Luftbild auf das Fabrikviertel 1966.
Industriegleise im Fabrikviertel Darmstadt
Walter Kuhl
Luftbild auf das Fabrikviertel 1966.
Das Fabrikviertel 1966.
Ansicht der Dampfkesselfabrik Rodberg.
Dampfkesselfabrik Rodberg.
Zeppelinhalle.
Sogenannte Zeppelinhalle.
Bahnbedarf A.-G..
Bahnbedarf A.-G..
Schild Bahnbedarf-Rodberg.
Bahnbedarf–
Rodberg.

Industriegleise im Fabrikviertel Darmstadt

Die Bahn­bedarf A.-G.

Ein jüdisches Unternehmen in Darmstadt

1872 und 1893/94 wurden die beiden ersten Industrie­stamm­gleise zum und in das Darm­städter Fabrik­viertel eingerichtet. Dieses Fabrik­viertel bildete sich mit der West­expansion der Stadt Darm­stadt im letzten Quartal des 19. Jahr­hunderts und in den ersten beiden Jahr­zehnten des 20. Jahr­hunderts heraus. Von den Mitte der 1950er Jahre rund dreißig, Anschluß­gleisen sind nur noch wenige übrig geblieben.

Von 1919 bis 1935 etablierte sich entlang der damaligen Blumenthal­straße, die heute den nörd­lichen Teil der Kasino­straße bildet, eine Fabrik bzw. ein Handels­unternehmen für verschie­denerlei Bahn­bedarf. Sie übernahm das Gelände der ein halbes Jahrhundert zuvor dort angesiedelten Maschinen­fabrik und Eisen­gießerei Aktien­gesell­schaft. Diese hatte dort von ihren zahlreichen Arbeitern einhundert­sieben kleine Tenderl­okomotiven herstellen lassen. Möglicher­weise hatte die Bahnbedarf beim Erwerb des Geländes auch das Lieferbuch dieser Loko­motiven mit übernommen, das leider in nur verstüm­melter Form als Abschrift erhalten ist.

Von 1939 bis 1969 prägte die Bahnbedarf-Rodberg GmbH das Geschehen in der Landwehr­straße. Es verwundert wenig, wenn dieser Name auch für die Zeit davor verwendet wird, es verwundert wegen der (vor 2012) mangel­haften Über­lieferung auch nicht, wenn die lange Zeit getrennt operierenden Unter­nehmen als ein und dasselbe betrachtet werden. Dabei gilt bis Mitte der 1930er Jahre: Die Firma Bahn­bedarf ist nicht die Firma Rodberg! Dies wird im Folgenden näher ausge­führt werden. Dabei wird die (Vor-)Geschichte der Dampfkessel­fabrik vorm. Arthur Rodberg A.-G., weitgehend ausge­blendet bleiben müssen; deren Wirken ich an anderer Stelle meiner Webseite vorgestellt habe.

Ein besonderer Dank geht an Gerhard Klatt († 2018) aus Weiter­stadt, der mir die Firmen­broschüre – heute würde man oder frau wohl sagen: Image­broschüre – der Bahn­bedarf A.-G. von 1921 zur Verfügung gestellt hat. Ein weiterer Dank geht an das Nahverkehrs­museum in Dortmund, an Karl-Heinrich Schanz († 2021) und an den Walzzeichen­sammler Olaf Mensch.

Der Standort des Unter­nehmens in der Blumenthal­straße 24 auf OpenStreetMap.

Einstieg

Die Maschinen­fabrik und Eisen­gießerei Darm­stadt hatte Ende der 1850er Jahre auf dem freien Feld im Nord­westen der Stadt ein größeres neben der Lokomotiv­halle der Hessischen Ludwigs­bahn gelegenes Areal erworben und ließ dort eine neue großzügige Fabrik­anlage errichten. Sie besaß zudem eine zu eng gewordene ähnliche Anlage an der Frankfurter Straße. Bis Mitte der 1870er Jahre wurden weitere Bauten hinzugefügt und das Gelände nahm im wesent­lichen die Gestalt an, die wir auf der nach­folgenden Abbildung verewigt sehen. Aufgrund finanzieller Probleme in der Nachfolge des Gründer­krachs von 1873 wurde das Unter­nehmen zwischen 1879 und 1883 abgewickelt. Zunächst war eine der Gläubigerbanken, die Darm­städter Bank für Handel und Industrie, Eigentümerin des Grundstücks und der sich darauf befindlichen Anlagen. Mitte der 1880er Jahre siedelten sich hier die Grbrüder Seck aus Bockenheim an, deren Fabrik 1889 in eine Aktien­gesell­schaft umgewandelt wurde, die Mühlenbau­anstalt, Maschinen­fabrik und Eisen­gießerei vormals Gebrüder Seck. 1896 übernahm die Braun­schweiger Mühlenbau­anstalt G. Luther das finanziell angeschlagene Unter­nehmen und betrieb hier bis 1918 ihre Darmstädter Filiale. Der Betrieb wurde moderat ausgebaut und erhielt intern ein Schmal­spur­gleis. 

Werksgelände Bahnbedarf AG.

Abbildung 1: Ansicht des Werks­geländes der Bahn­bedarf A.-G. in der Firmen­broschüre von 1921. Quelle dieser wie auch der nachfolgenden Abbildungen: Gerhard Klatt, Weiter­stadt.

Diese wie auch die meisten nach­folgenden Ansichten aus der Image­broschüre sind retuschiert bzw. stilisiert. Mit Blick nach Nord­westen sind an der vorderen Straße (der Blumenthal­straße) zwei Büro­gebäude abgebildet. Der Güterzug befährt das aus den 1870er Jahren stammende Industrie­stamm­gleis. Linkerhand mündet die Landwehr­straße ein. Das mehr­stöckige Gebäude am linken Bildrand ist das von der Stadt Darmstadt und der Hessischen Ludwigs­bahn gemeinsam errichtete Lagerhaus. Das mit Wiesen und Bäumchen ausgestattete Gelände am unteren Bildrand war in der Realität mit Wohn­häusern bebaut. Diese wurden vom Grafiker (Eckert & Pflug Kunst­anstalt in Leipzig) wegre­tuschiert, um das Werks­gelände besser zur Geltung zu bringen. 

Am 19. Mai 1919 gründeten der Kaufmann Martin Mann und die Ingenieure Paul Paschke und Wilhelm Petzold die Bahnbedarf G.m.b.H., die ein Jahr später, am m 28. Juni 1920 mit ihren Aktiva und Passiva in die Aktien­gesell­schaft gleichen Namens eingebracht wurde. Sitz der Gesell­schaft war die Blumenthal­straße 24. Der G.m.b.H.-Anteil der drei Gesellschafter wurde mit 300.000 Mark bewertet. Die Einlage der 1899 gegründeten offenen Handels­gesellschaft J. Adler, junr., aus Frankfurt am Main betrug 7.600.000 Mark. Die Frankfurter Filiale der Bank für Handel und Industrie brachte 45.000 Mark, das 1870 gegründete Bankhaus S. Merzbach aus Offenbach ebenfalls 45.000 Mark, sowie der Frankfurter Fabrikant Carl Flesch weitere 10.000 Mark ein. Das Gesamt­kapital betrug somit 8.000.000 Mark, für das 8.000 Aktien zum Kurs von 110% ausgegeben wurden. 

Dem Aufsichtsrat des Unternehmens gehörten die Brüder Albert und Max Rothschild als Miteigen­tümer der J. Adler, junr., der Direktor der Frankfurter Filiale der Bank für Handel und Industrie Ludwig Deutsch, Wilhelm Merzbach und der Justizrat Alexander Berg an; den Vorsitz übernahm Max Rothschild mit Albert Rothschild als seinem Stellvertreter. Als Vorstand des Unter­nehmens fungierten die drei G.m.b.H.-Gesellschafter. Petzold schied im Herbst 1925 aus dem Vorstand aus, um in die Leitung des Verkaufs­büros Stuttgart einzutreten, Paschke ging kurz darauf Anfang 1926, während Mann bis 1927 als Vorstand tätig blieb.

Fabrikhof Bahnbedarf AG.

Abbildung 2: Fabrikhof hinter den Büro­gebäuden an der Blumenthal­straße. Auf dem ersten Innenblatt zählte die Bahn­bedarf A.-G. ihre Vertretungen einzeln auf: Berlin, Hamburg, Breslau, Dortmund, Düssel­dorf, Duisburg, Leipzig, Amsterdam, Mailand und Zürich.

Die Einlage von J. Adler, junr., bestand neben Geldkapital aus mehreren am 5. Juni 1919 erworbenen Grund­stücken an der Pallas­wiesen- und Blumenthal­straße, so auch das als Hofreite bezeichnete Anwesen Nummer 24, wohl mitsamt der Fabrikhallen. Angesichts ihrer deutlichen Aktien­mehrheit dürften die Rothschilds das Sagen gehabt haben, während die Bank für Handel und Industrie als Hausbank fungiert haben dürfte. An der Rothschild'schen Dominanz sollte sich in den kommenden anderthalb Jahr­zehnten nichts wesentlich ändern. Der sogenannte Gründungs­aufwand war nicht von der neu gegründeten Gesell­schaft, sondern von den Gesell­schaftern zu tragen. Selbst wenn wir die galoppierende Inflation der Nach­kriegszeit in Rechnung stellen, ist die Summe von 580.600 Mark nicht als unerheblich zu betrachten; sie setzte wie folgt sich zusammen:

  • Vergütung der Revisoren; 3.600 Mark
  • Druck und Versand der Interims­scheine und Aktien: 8.000 Mark
  • 5% Stempel für die Aktien: 444.000 Mark
  • Reichs- und Landes­stempelabgabe für die Gründung: 60.000 Mark
  • Schlußnoten­stempel: 24.000 Mark
  • Notariats- und Gerichts­kosten: 30.000 Mark
  • Unvorher­gesehens: 15.000 Mark

Inflation

Angesichts der Inflation mußte das Aktien­kapital der Gesell­schaft mehrfach angepaßt werden. Ohne entsprechende Angleichung der Einlagen wäre ansonsten ein krasses Mißver­hältnis zwischen dem Stamm­kapital und den Gewinnen und Verlusten eines Geschäfts­jahres entstanden. Dieser Vorang ist in diesem Zeitraum generell zu beobachten. Folglich wurde auf der ersten ordent­lichen General­versammlung der Bahnbedarf A.-G. am 6. Mai 1921 das Stamm­kapital um 4 Millionen Mark erhöht werden. Der Geschäfts­bericht für das Geschäfts­jahr vom 1.4.1920 bis zum 31.3.1921 hält neben einem Reingewinn von 685.188,90 Mark fest:

„Unsere Werkstätten sind für die nächste Zeit ausreichend beschäftigt.

Zum Ausbau unserer Anlagen und für Grundstücks­erwerb in nächster Zeit sind grössere Mittel erforderlich und beantragen wir daher die Erhöhung des Aktien­kapitals um Mk. 4.000.000,–.“

Erfreut durften die Aktionäre mit einer Dividende von 4% und einer Superdividende von weiteren 4% von dannen ziehen. Wie hoch der gleichzeitige Reallohn­berlust der im Unternehmen beschäftigten Arbeiter gewesen ist, wird hingegen nicht ausgeführt. Mehrere Monate später, wir schreiben den 24. Oktober 1921, werden die Eigentums­verhältnisse zwar nicht wesentlich verändert, aber es findet eine Umgruppierung innerhalb der Adler-Gruppe statt. Die drei Gesellschafter der J. Adler, junr., erklären nun:

„Die offene Handels­gesellschaft in Firma J. Adler junr. zu Frankfurt am Main, deren drei Gesell­schafter die Herren Heinrich Rothschild, Albert Rothschild und Max Rothschild, sämtlich in Frankfurt am Main, sind, erklärt hiermit, dass die Firma J. Adler junr. bei Unter­zeichnung des Zeichnungs­scheins für die Bahn­bedarf Aktien­gesellschaft zu Darmstadt als Beauftragte der damals bereits gegründeten, aber noch nicht in das Handels­register eingetragenen ‚Aquila Aktien­gesellschaft für Handels- und Industrie­unter­nehmungen‘ zu Frankfurt am Main gehandelt hat und dass die

Vier Millionen Mark Aktien

von der Aquila Aktien­gesellschaft für Handels- und Industrie­unterneh­mungen, nicht von der Firma J. Adler junr. über­nommen worden sind. Der Handels­register­auszug für die Firma J. Adler junr. wird dieser Erklärung beigefügt.“

Nebenbei: Aquila bedeutet Adler. Die Aquila A.-G. wurde am 1. Juni 1921 mit einem Stamm­kapital von 19.500.000 Mark in das Handels­register Frankfurt am Main eingetragen.

Es scheint so, als hätten die drei Rothschilds ihr kleines Imperium umstrukturiert und mußten nun im Nachgang die Besitz­verhältnisse ihres Darm­städter Betriebes reformulieren. Schon am 22. Dezember 1921 traf man sich im Darm­städter Bahnhofs­hotel erneut, um auf einer außer­ordentlichen General­versammlung eine weitere Kapital­erhöhung um 10 Millionen Mark zu beschließen. Hierfür wurden 8.000 Stamm­aktien zum Kurs von 145% mit einfachem und 2.000 Vorzugs­aktien zum Kurs von 100% mit fünffachem Stimmrecht, die Aktien lauteten auf jeweils à 1.000 Mark, ausgegeben. Die Vorzugs­aktien behielt die Aquila A.-G. selbs­tredend für sich.

Lokomotiv-Reparaturwerkstatt.

Abbildung 3: Blick in die Lokomotiv-Reparatur­werkstatt.

Image

In ihrer Firmen­broschüre von 1921 stellte die Bahn­bedarf A.-G. ihr Unter­nehmen detailliert auf 26 bebilderten Seiten vor. Auf daran anschließenden sieben Seiten konnten sich vier Darmstädter Unter­nehmen und die Deutsche Verlags­gesellschaft präsentieren. Die Verlags­anstalt hatte die Broschüre gedruckt. Weitere 57 Seiten beinhalten Annoncen von Firmen, „welche mit der Bahnbedarf Aktien-Gesell­schaft Darm­stadt in Geschäfts­verbindung stehen“. Allein dieser Teil ist für wirtschafts­historisch Interessierte eine wahre Fundgrube.

Die sechsund­zwanzig mit Bildern aus dem Innenleben des Unter­nehmens versehenen Seiten wurden durch einen Text begleitet, der werbe­wirksam die Vorzüge des jungen Unter­nehmes pries. Heute würde das eine gut aufgestellte PR-Abteilung natürlich ganz anders gestalten und formulieren. Als Zeit­dokument ist dieses Dokument von unschätzbarem Wert.

„Als eins der jüngsten Industrie-Unter­nehmen aut dem Gebiete des Eisenbahn­bedarfes sowie des Eisenbahn­baues tritt heute die

BAHNBEDARF, AKTIEN-GESELL­SCHAFT DARM­STADT

infolge ihrer stetig wachsenden Ausdehnung und unbegrenzten Wirksam­keit in den Kreis der bekanntesten Spezial­firmen dieser Branche Deutschlands.

Die Gründung des Werkes erfolgte im April des Jahres 1919, einem Zeitpunkte, in dem sich bei den deutschen Staats- und Privat­bahnen die einschnei­denden Nach­wirkungen des fast fünf­jährigen Krieges hinsichtlich des Ver­schleißes bezw. oft völliger Abnutzung der Gleis­anlagen sowie des rollenden Materials am härtesten fühlbar machte. Der große Bedarf an Eisenbahn­material aller Art zog natur­gemäß einen regsamen Handel in diesen Fabrikaten nach sich, dem sich die junge Firma alsbald anschloß. Sie wurde von der bekannten Eisen- und Metall­großhandlung I. Adler junr., Frankfurt am Main, die seit Jahren auf Grund ihrer Beziehungen zu Verbrauchern eine besondere Abteilung ‚Eisen­bahnbau&lsdquo; unterhielt, als G. m. b. H. ins Leben gerufen.

Als Fabrikterrain wurde in Darmstadt ein 33000 qm fassendes, mit Anschluß­gleis versehenes Grund­stück erworben, auf welchem vordem die Mühlenbau­anstalt G. Luther, Braun­schweig, eine Eisengießerei betrieb.

Das Werk, welches sich mit der Herstellung, dem Vertriebe und der Vermietung von Bahn­material aller Art, sowie der Projektierung und dem Bau von Gleis- und Transport­anlagen und aller in das Fach einschlagenden Arbeiten befaßt, stand von vornherein unter bewährter kauf­männischer sowie technischer Leitung; es ist ein Verdienst derselben, daß die Entwicklung der Geschäfte vom ersten Tage an außer­ordentliche Fortschritte machte. So kam es, daß das neue Unter­nehmen nach Beschaffung der allernot­wendigsten Werkzeug­maschinen schon mit der Fabrikation von

DREHSCHEIBEN, WEICHEN, KASTEN- UND MULDEN­KIPPWAGEN

beginnen konnte, während noch die Einrichtung der Betriebs­räume vor sich ging. Mit der von Tag zu Tag zunehmenden Steigerung der Fabrikation ging die Erweiterung der maschinellen Einrichtung sowie Errichtung neuer Betriebs­gebäude usw. Hand in Hand. In gleichem Ver­hältnis wuchs auch die Kopfzahl der Arbeiter­schaft. Neben der technischen Ausdehnung erwiesen ich auch die Räumlich­keiten der kauf­männischen Abteilungen als zu klein und machten eine Erweiterung derselben erforderlich. Auch zur Bewälti­gung der Geschäfte ergab sich bald die Ver­größerung des Beamten­körpers. Wenige Monate später hatte die Tages­leistung der Firma schon einen enormen Aufschwung zu verzeichnen. In der knappen Spanne Zeit von nur ¾ Jahren, seit der Gründung, hatte das Werk seine Leistungs­fähigkeit qualitativ und quantitativ vollauf bewiesen und schien es zu der Zeit schon seinem ganzen Aufbau nach berufen, mit den führenden Firmen seiner Branche in Konkurrenz zu treten.

Die Entwicklung der Fabrikation sowie der kauf­männischen Tätig­keit inner- und außerhalb des Hauses machte weiterhin außer­ordentliche Fortschritte und zeitigte einen großen ungeahnten Erfolg. Der im ersten Geschäfts­jahr erzielte Umsatz bei einer durch­schnittlichen Gesamt­belegschaft von etwa 700 Mann war sehr zufrieden­stellend.

Die immer größer werdende Ausdehnung der Geschäfte, als auch die Erweiterung der Betriebs­anlage bedingten selbst­verständ­lich einen finanziellen Zufluß. So wurde denn nach Ablauf von einem Jahre das Kapital der Firma auf 8 Millionen Mark erhöht und die G. m. b. H. mit Wirkung ab 1. Januar 1920 in die

BAHNBEDARF, Aktien­gesellschaft DARMSTADT

umgewandelt. Gleichzeitig wurde auch dem Export­geschäft besondere Aufmerk­samkeit gewidmet, so daß sich im Laufe der Zeit ein starkes Netz von Vertretern im In- und Auslande gebildet hat, das, gut organisiert, für die Heran­schaftung von Aufträgen tätig ist.

Die großen an das Werk gestellten Anforderungen begünstigten nicht zum wenigsten die Vielseitig­keit des Unter­nehmens und sah sich dasselbe bald genötigt, weitere Betriebs­zweige zu eröffnen. – Neben der Errichtung einer

REPARATUR-WERKSTATT FÜR LOKO­MOTIVEN ALLER ARTEN UND SPURWEITEN

sowie einer besonderen Abteilung für die PROJEKTIERUNG und den Bau von ANSCHLUSS­GLEISEN für Normal- und Schmal­spur, welche gleichzeitig die Einholung von Konzes­sionen, Verhand­lungen mit Behörden, den Umbau sowie die Instand­setzung von Gleisen nebst Ausfüh­rung sämtlicher Vorarbeiten über­nimmt, wurde neuer­dings die Fabrikation von WAGGONS und als Sonderheit GÜTER- UND SPEZIAL­WAGEN FÜR ALLE INDUSTRIE­ZWECKE aufge­nommen. Durch die dem I. Adler junr.-Konzern gleichfalls ange­hörende Darm­städter Kessel­fabrik vorm. A. Rodberg A.-G. ist es dem Unter­nehmen möglich, namentlich KESSEL­WAGEN kurzfristig und preiswert zu liefern. – Durch die prompte Ausfüh­rung der Aufträge sowie die befriedi­gende Beschaffen­heit der Fabrikate hat das Werk die Aufmerk­samkeit der Fachkreise auf sich gezogen und eine feste Basis für eine weitere vorteil­hafte Entwicklung geschaffen. Die Leitung des Unter­nehmens ist ihrer Aufgabe in jeder Beziehung gewachsen und in der Lage, den weit­gehendsten Anforde­rungen gerecht zu werden, was aus der muster­haflen und modernen Organi­sation des gesamten Betriebes hervorgeht.“

Dem im Text nun folgenden Rundgang durch Fabrik­hallen, Zeichen­säle, Werk­stätten und Magazine werden wir uns nicht anschließen; dazu mögen einige der Abbildungen aus dieser Firmen­broschüre genügen.

Kesselwagen.

Abbildung 4: Neu hergestellte Kesselwagen der Bahnbedarf A.-G. für die BASF in Ludwigs­hafen.

Zeppelin­hallen ohne Zeppelin

Die Kriegsjahre von 1914 bis 1918, aber auch die Zeit danach, waren eine Zeit der Not für weite Teile der ärmeren oder durch die Inflation verarmenden Schichten der Bevölkerung. Dieb­stähle waren allgegen­wärtig und Berichte darüber füllten die Spalten der Zeitungen. Es gab nichts, was nicht geklaut wurde: an der Wäsche­leine trocknende Hemden und Hosen, Kupfer und Messing, Schweine, die am hellichten Tag aus Bauern­höfen abtrans­portiert wurden, Zigarren und Zwirn aus verschlossenen Eisenbahn­waggons, goldene Uhren aus D-Zugabteilen, Sieger­pokale aus einem Vereins­heim in Messel, Kartoffeln von den Äckern, Fahrräder oder von Pferden gezogene Transport­wagen. Bemerkens­wert ist, im Gegen­satz zu früheren oder späteren Narrativen, daß in den seltensten Fällen sogenannte „Zigeuner“ als Diebe genannt wurden. Zu offen­sichtlich war es, daß ganz normale Deutsche sich gegen­seitig bestahlen. Erst im Verlauf der Zeit wurde der Volkszorn von den wahren Tätern weg- und zu einem miß­trauisch beäugten Kollektiv hingelenkt, eben den „Zigeunern“, das die auch zu diesem Zweck gewählten National­sozialisten anschließend ausgrenzten und vergasten. 

Auch die Bahn­bedarf A.-G. blieb nicht von Dieb­stählen verschont.

„Die drei Becker. Im Bahnbedarf zu Darmstadt wurden vor einige Zeit große Diebstähle an Eisenbahn­material verübt und an einen Darm­städter Alteisen­händler verkauft. Dieser, nichts Gutes ahnend, frug den Verkäufer nach seinem Namen, den dieser mit Georg Becker von Griesheim angab. Gegen den Händler wurde Klage angestrengt und der Verkäufer sollte als Zeuge auftreten. Da nun der Name Georg Becker hier dreimal existiert, mußten am Dienstag Vormittag drei unbe­scholtene Bürger wegen einem Nichts­nutz vor dem Gericht in Darm­stadt antreten und erhielten als Ent­schädigung nur 15 Mk. pro Stunde, statt des viel höheren Ver­dienstes, und müssen, da die Ver­handlung ausfiel, den Weg nochmals machen.“ 

Der Geschäfts­bericht für 1921/22, vorgelegt zur 2. ordent­lichen General­versammlung am 26. Mai 1922, ist knapp gefaßt und verkündet einen inflationär aufgeblähten Rein­gewinn von 2.037.874,05 Mark. Die Material­beschaffung geschehe in enger Verbindung mit dem Adler-Konzern. Es sei zudem ein Gelände von rund 50.000 Quadrat­metern „mit für uns geeigneten Gebäuden“ über­nommen worden. Hierbei dürfte es sich um das ehemals von der Stadt Darm­stadt und der Hessischen Ludwigs­bahn gemeinsam genutzte Lagerhaus zwischen Landwehr­straße und Lagerhaus­straße (heute: Julius-Reiber-Straße) gehandelt haben, auf dessen Gelände die Bahnbedarf A.-G. bis 1923 aus den Skeletten einer ost­preußischen Luftschiff­halle zwei markante Werkstatt­gebäude errichten ließ. Außerdem habe man sich an einer Fabrik für Eisenbahn­bedarf in Spanien beteiligt (wohl in Alcalá de Henares bei Madrid), zusammen mit der Aquila A.-G. und der Linke-Hofmann-Werke A.-G. Es wird eine Dividende von 4% und eine zusätzliche Super­dividende von 11% ausgezahlt.

Auf einer weiteren außer­ordentlichen General­versammlung am 14. November 1922 mußte das Stamm­kapital nochmals um 22 Millionen Mark verdoppelt werden. Die zusätzlichen Stamm­aktien zum Kurs von 280% zeichnete die Frankfurter Filiale der Darm­städter und National­bank, während die Vorzugs­aktien zum Kurs von 100% wie gehabt bei der Aquila A.-G. unter­gebracht werden. Doch schon auf der nachfolgenden ordent­lichen General­versammlung am 14. Mai 1923 mußte das Stamm­kapital erneut verdoppelt werden, es betrug nunmehr 88 Millionen Mark. Die Dam­städter und Nationalbank zeichnete die gesamten 40 Millionen Mark Stamm­aktien und die Aquila A.-G. die 4 Millionen Mark Vorzugs­aktien.

An der Landwehr­straße wurden derweil zwei neue Werkshallen hochgezogen.

Baustelle der Bahnbedarf A.-G.
Baustelle der Bahnbedarf A.-G.

Bild 5/6: Baustelle der beiden Werks­hallen der Bahn­bedarf A.-G. Freundlicher­weise zur Verfügung gestellt durch das Denkmal­archiv Darmstadt.

Das linke Bild wurde vermutlich von der Landwehr­straße aus mit Blick nach Süden aufgenommen. Der Standort des Fotografen für das rechte Bild dürfte sich zwischen beiden zu errichtenden Hallen befunden haben, der Blick geht gen Norden. Falls meine Bild­interpretation zutrifft, sehen wir auf dem rechten Bild linkerhand eine Maschinen­fabrik an der Pallas­wiesen­straße, während rechter­hand das Fabrik­ensemble der ehemaligen Maschinen­fabrik und Eisen­gießerei, nun ebenfalls zur Bahnbedarf A.-G. gehörig, hervorragt. Die Trag­konstruktion der neuen Hallen entstammte einer nach Maßgabe des Versailler Vertrages abzu­bauenden Luftschiff­halle beim ostpreußischen Dywity (damals Diwitten, nahe Olsztyn / Allen­stein). Ein weiterer Teil dieser Luftschiff­halle wurde nach Zabrze in Ober­schlesien verkauft. 

Der Heimatforscher Karl-Heinrich Schanz aus Mühltal übersandte mir ein halbes Jahr vor seinem Tod im August 2021 einen kleinen Text, der den Bauleiter der beiden Hallen würdigte.

„Willy Schulze, Traisa

Willy Schulze geb. 27.01.1901 in Königs­berg/Ost­preußen, gest. 9.02.1990 in Traisa. Von Beruf war er Eisenhoch- und Brücken­bauer.

In Diwitten (heute Dywity) bei Allen­stein (heute Olsztyn) bestand im ersten Weltkrieg eine Luftlande­basis mit einer Zeppelin­halle. Nach dem Versailler Friedens­vertrag musste diese Halle abgebaut werden. Sie wurde in der Höhe und Länge halbiert. Die beiden Dach­hälften kaufte die Firma Bahn­bedarf AG in Darm­stadt. Dort entstanden 2 Hallen, ca. 20 m hoch, 44 m breit und 90 m lang.

Den Abbau der Halle in Diwitten 1920/21 und Wieder­aufbau der beiden Dach­hälften in Darm­stadt 1922/23 leitete Willy Schulze, der damals bei der Firma Karl Haefele & Co in Königs­berg i. Pr. angestellt war. Während der Aufbau­zeit in Darm­stadt lernte er Marie Meyer in Roßdorf kennen, geb. 25.06.1907, gest. 2.9.1987. Die beiden heirateten in Roßdorf und bauten in Traisa ein Haus in der Straße der SA (heute Rosengarten), in das sie 1936 einzogen. Das Ehepaar hat 3 Söhne, Hans, Walter und Ernst.

Als die beiden Hallen bei der Bahn­bedarf AG aufgestellt waren, bewarb sich Willy Schulze bei der Firma Merck in Darm­stadt. Dort war er als Betriebs­leiter und später als Techniker im Baubüro, bis zu seiner Pensio­nierung, tätig.

Willy Schulze hat in Darm­stadt, beim Aufbau der beiden Hallen eifrig foto­grafiert, ebenso in seiner Zeit in Roßdorf. Bei der TH Darm­stadt wurde im Seminar Industrie Architektur 1980/81 eine Arbeit über die Geschichte der beiden Hallen erstellt mit vermutlich vielen Aussagen und Fotografien von Willy Schulze.

Im Museum Roßdorf wurden seine frühen Bilder aus dem Dorf ebenfalls in einer Ausstellung gezeigt.

Leider wird in der Industrie­geschichte Darmstadts nicht dieses Mannes gedacht, der die beiden Hallen nach Darm­stadt begleitet und mit seinen Mitarbeitern aus Königs­berg aufgebaut hat.

Karl-Heinrich Schanz, Traisa 2020“

Der Architekt der beiden Hallen war Jan Hubert Pinand. Die vordere Halle an der Landwehr­straße steht auf der Trasse der Hessischen Ludwigsbahn, deren Linien ais Worms, Mainz und Aschaffen­burg hier in den Ludwigs­bahnhof mündeten. Beidseitig der Halle kreuzen Anschluß­gleise die Straße, deren Reste bis heute erhalten sind. Zwischen den Hallen befand sich eine Schiebe­bühne. Am rechten Pförtner­häuschen kann man und frau auch heute noch die Haus­nummer 50 ablesen. Die vordere Halle wird heute als Parkhaus genutzt, die hintere ist 1977 abgebrannt. 

Montagehalle.

Bild 7. Die mit Material aus Diwity erstellte Montage­halle. Aufnahme vermutlich 1923. Quelle: Denkmal­archiv Darmstadt.

Der vom Vorstand vorgelegte knappe Geschäfts­bericht für 1922/23 nennt die Inbetrieb­nahme einer neuen Halle – wohl eine der beiden sogenannten „Zeppelin­hallen“ – für den Wagenbau, die technischen Büros und die Kraft­zentrale. Des weiteren wird der Einstieg in ein neues Geschäfts­feld erprobt.

Motorisiertes Segelfliegen

Der Geschäftsbericht fährt fort:

„In Verbindung mit der Akade­mischen Flieger­gruppe an der Technischen Hoch­schule Darm­stadt haben wir das Segel­flugzeug „Geheimrat“ konstruiert, welches an dem Rhön­segelflug erfolg­reich teilnahm. In diesem Jahr beab­sichtigen wir, uns wieder mit einem neuen Modell zu beteiligen.“

Der Reingewinn wird diesmal mit 22.521.855,70 Mark angegeben, woraus eine Dividende von 4% gespeist wurde. Damit nicht genug, erhielten die Besitzer von Stamm­aktien eine Super­dividende von 66%, die Inhaber von Vorzugs­aktien hingegen mußten sich mit 2% begnügen. Da die Aquila A.-G. auch den größten Teil der Stamm­aktien ihr eigen nennt, dürften die 2% leicht zu verschmerzen gewesen sein.

Flugzeug der Bahnbedarf AG.

Bild 8: Leichtmotor­flugzeug BAG EI der Bahnbedarf A.-G. mit dem Piloten Albert Botsch. Quelle: Broschüre der Bahnbedarf A.-G.

Zum Verbot des Rhön-Segelflug-Films

erhalten wir folgende Erklärung:

„Zu dem Verbot des Rhön-Segelflug-Films seitens der Film­prüfstelle, das u. a. damit begründet wurde, daß die Bezeichnung des besten Maschine der Darm­städter Flieger­gruppe mit dem Namen ‚Konsul‘ als eine Anhimmelung des Kapitän Ehrhardt und seiner Organisation Consul gedacht war, erklären wir, daß ebenso wie wir unser vorjähriges Segel­flugzeug ‚Geheimrat‘ nannten, um damit den bekannten Förderer unserer Bestrebungen, den Darm­städter Hochschul­professor, Herrn Geheimrat Dr. Berndt, zu ehren, wir eines unserer dies­jährigen Flug­zeuge nur deswegen ‚Konsul‘ tauften, um dadurch unsere Dankbar­keit gegenüber dem tatkräftigen Förderer des deutschen Segelflug­sportes, Herrn General­konsul Dr. Kotzen­berg, Frankfurt a. Main, Ausdruck zu geben.

Darmstadt, den 16. Oktober 1923.
Akademische Flieger­gruppe Darm­stadt e. V.
Bahnbedarf A.-G. Darmstadt.“

Quelle: Darmstädter Zeitung vom 20. Oktober 1923 [online ulb darmstadt].

Die Bahnbedarf A.-G. baute in Zusammen­arbeit mit der Akade­mischen Flieger­gruppe (Akaflieg) Darm­stadt mehrere Segel­flugzeuge (auch mit Hilfs­motor), von denen die D-602 bis D-607 sowie D-629 in der Luftfahr­zeugrolle B registriert waren. Nachdem 1923 die durch den Versailler Vertrag auferlegte Beschrän­kung, keine Motor­flugzeuge zu entwickeln, fort­gefallen war, schien dies ein geeigneter Zeit­punkt zu sein, ein neues Geschäfts­feld anzutesten. Aus der Kooperation mit der Akaflieg bekannte Segel­flugzeuge waren D-6 „Geheimrat“, D-8 „Karl der Große“ (Typ Bahnbedarf-DI) und „D-9 Konsul“. Der „Geheimrat“ wurde von L. Hoffmann und F. Nicolaus, der „Konsul“ wurde von Albert Botsch und Rudolf Spies konstruiert. Diese zwei Segel­flugzeuge zierten die Rück­seite eines von der Bahn­bedarf A.-G. 1923 heraus­gegebenen Notgeld­scheins. Der Name Botsch wird uns ein Jahr­zehnt später erneut begegnen. 

Rückseite Notgeld der Bahnbedarf AG.

Abbildung 9: Rückseite des Inflations-Notgeld­scheins über 10 Milliarden Mark der Bahn­bedarf A.-G. von 1923. 

Die Flüge von Albert Botsch 1924/25 auf der von der Bahn­bedarf A.-G. gebauten BAG E I fanden ein geradezu über­schwengliches Medienecho. Das Leichtmotor­flugzeug hätte durchaus das Potential gehabt, auf dem Flugzeug­markt zu bestehen. Warum dieser Weg nach­folgend nicht beschritten wurde, ist anhand der vorhandenen (geringen) Quellen­lage nicht ersichtlich. Möglicher­weise ging dem Unter­nehmen auch einfach nur das Geld aus.

„Der Flug-Wettbewerb in Darmstadt.

Der erste Flugwett­bewerb nach dem Kriege hat am Sonntag in Darm­stadt auf dem Flug­platz der Hessen­flieger stattge­funden. An den Wett­bewerben nahmen Flug­zeuge mit Motoren von 2½ bis 90 PS. teil. An dem Wett­fliegen, das in Gegen­wart von weit über 10.000 Personen stattfand, nahmen teil: die akade­mische Flieger­gruppe Darm­stadt, die Bahn­bedarf-A.-G., Udet, Albatros, Dietrich-Gobiet und Junker­limousinen. Der Münchener Fallschirm­künstler Bäumler zeigte ebenfalls seine Kunst durch einen Absprung aus 2000 Meter Höhe. Die Resultate sind folgende: Kurven­flug mit Ziel­landung, Klass[e] A bis 30 PS.: 1. Hoppe (Akad. Fliegergr. Darm­stadt), 2. Botsch (Bahn­bedarf-A.-G.). Klasse B, bis 60 PS,: 1. Billik (Udet). Klasse C, bis 90 PS.: 1. Heck (Dietrich-Gobiet), 2. Katzen­stein (Heinze). Höhen­flug: Die Resultate konnten noch nicht endgültig festge­stellt werden. In 15 Minuten wurde durch­schnittlich erreicht von Klasse A 1200 Meter, von Klasse B 2050 Meter und Klasse C 2000 Meter.

Der Fünf­länder-Flug, der anläß­lich des deutschen Luftwett­bewerbs in Darm­stadt über Frankfurt, Würzburg, Fürth, Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim, Darm­stadt ausge­flogen wird, sah die vier Flieger Botsch-Bahn­bedarf, Heck, Heinze und Katzen­stein am Start. […]“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger vom 2. Oktober 1924. Der Wett­bewerb fand am 28. September auf der Lichtwiese statt.

Sport-Kleinflugzeug der Bahnbedarf AG.

Bild 10: Sport-Klein­flugzeug der Bahn­bedarf A.-G. auf einer wohl 1924 von der Presse­stelle des Deutschen Luftfahrt-Verbandes heraus­gebrachten Ansichts­karte. Die von einem 10 PS Hirth-Motor ange­triebene Maschine besaß eine Spann­weite von elf Metern, war 4,90 Meter lang und die Flügel­fläche betrug 12,5 Quadrat­meter. Als Leer­gewicht waren 175 kg und als Nutzlast 105 kg angegeben.

Eisenbahn­technik

1924 wird die Inflations­zeit überwunden. Die hierdurch herbei­geführte Entwertung von Geld­vermögen trifft diejenigen, die weder verwert­baren Grund­besitz noch Gebäude oder Maschinen besaßen, am härtesten; und das war auch so beabsichtigt. Irgendwer muß ja die Zeche für den verlorenen Welt­krieg zahlen, und das waren sicherlich nicht diejenigen, die ihn ange­zettelt hatten. Somit mußte auch die Bahn­bedarf A.-G. ihre Bilanz auf eine neue, solide Grundlage stellen. Auf der 4. ordent­lichen General­versammlung am 5. August 1924 war die Neube­wertung noch nicht abgeschlossen, so daß erst eine außer­ordentliche General­versammlung am 23. Dezember 1924 die Herab­setzung des Grund­kapitals von 88.000.000 Mark auf 1.608.000 Reichs­mark beschließen konnte. Stamm- und Vorzugs­aktien wurden wert­mäßig und in Bezug auf ihre Stimm­kraft angepaßt. Die Stamm­aktien wurden im Verhältnis 1:50 abgewertet, so daß nun jede Aktie zu 20 Reichsmark eine Stimme besitzt. Während dessen wurden die Vorzugs­aktien anders gewichtet. Es handelte sich um 4.000 Aktien à 1.000 Mark und um eine Aktie zu 4.000.000 Mark. Diese wurden in 400 Aktien zu 20 Reichs­mark umgewandelt, erhielten jedoch das hundert­fache Stimmrecht. In der Praxis ist das unerheblich, da die Roth­schilds über die Aquila A.-G. eine eindeutige Aktien­mehrheit besaßen.

Bogengleis Bahnbedarf.
Abbildung 11: Bogen­gleis der Bahn­bedarf A.-G. mit Auflauf­weiche. Quelle: Die Werkbahn 1/1925.

An der eisenbahn­technischen Ausstellung im September und Oktober 1924 in Seddin scheint sich das Unter­nehmen noch nicht beteiligt zu haben. Zeitgleich zeigte es jedoch seine Produktions­palette in (mindestens) einer ganz­seitigen Werbe­annonce.

Heft 1 der Zeitschrift „Die Werkbahn“ behandelte 1925 verschiedene Kon­struktionen für Gleis­bögen mit geringem Halb­messer bei Werkbahnen. Die Ausführung der Bahn­bedarf A.-G. wird hierbei überaus positiv besprochen. Ein solches Bogen­gleis wurde in einer Grubenbahn der Gewerk­schaft Messel im Nordosten von Darm­stadt eingebaut; weitere Exemplare sollten bald darauf bei der Firma Ed. Breiten­bach in Weidenau (Sieg), den Heddes­heimer Kupfer­werken und den Süd­deutschen Kabel­werken folgen. Besonders wurde auf eine an das Bogen­gleis anschließende Auflauf­weiche hinge­wiesen, die ebenfalls in der Gruben­bahn der Gewerk­schaft Messel eingebaut worden war. – Der Ölschiefer­abbau der Gewerk­schaft Messel zur Gewinnung von Paraffin, Teer und Erdöl endete 1962, das durch den Tagebau entstandene Loch ist heute als Grube Messel Welt­kulturerbe. Zur Bedeutung: 1924 wurde hier etwa ein Viertel des deutschen Erdöls produziert. 

Elektrolok 905.

Bild 12: Elektro­lokomotive 905 im Nahverkehrs­museum Dort­mund, das mir diese Aufnahme freundlicher­weise zur Verfügung gestellt hat.

Vom 1. Juni bis zum 12. Oktober 1925 präsentierte die Deutsche Verkehrs­ausstellung in München einem breiten Publikum den Stand der technischen Entwicklung im gesamten Verkehrs­wesen. Die Bahn­bedarf A.-G. war dort gleich zweimal vertreten: einmal mit ihren Klein­flugzeugen in Halle VII an Stand 7, zudem in der Oberbau­ausstellung im Frei­gelände mit einer Auflaufweiche (dort Weiche 26), einem Auflauf­gleis und einer Dreh­scheibe ohne Fundamente, jeweils in Normal­spur ausgeführt.

„Den Abschluß des Bahnhofes nach Osten bildet eine Gleis­kurve von 35 m Halb­messer, die zum Teil von der Vögele A.-G., Mannheim, zum Teil von der Maschinen­fabrik Deutsch­land ausge­führt ist. Sie ist gerade noch in den engen Raum hinein­gezirkelt. Sie zeigt, wie man bei beengten Verhält­nissen in Anschluß­gleisen usw. auch noch bei Ver­wendung dieser scharfen Gleis­kurve das Gelände auf­schließen kann. Vor der Oberbau­halle ist ebenfalls eine 35-m-Kurve mit Bogen­weiche angeordnet, die von der Bahn­bedarf-A.-G., Darm­stadt, geliefert wurde. Bemerkens­wert ist eine fahrbare Dreh­scheibe derselben Firma auf demselben Gleis­stutzen.“ 

Fabrikschild Bahnbedarf AG.
Bild 13: Fabrikschild der Elektrolok 905 von 1925. Quelle: Nahverkehrs­museum Dortmund.

Ebenfalls 1925 baute das Darm­städter Werk für die Dort­munder Straßen­bahnen eine Arbeits­lokomotive. Die elektrische Ausstattung stammte von Bergmann Lokomotiv­bau aus Berlin. In Dortmund wurde die Lok mit der Betriebs­nummer 905 in Dienst gestellt. Sie ist heute ein Schmuckstück des Nahverkehrs­museums Dortmund.

Bei folgendem Auftrag ist mir nicht bekannt, ob er ausgeführt wurde:

„Die Reparations-Kommission hat ihre Genehmigung zur Erteilung eines Auftrages von 3300 Eisenbahn­waggons an zwei deutsche Firmen erteilt, die an die Paris-Lyoner Mittel­meerbahn auf Reparations­konro geleifert werden sollen. Die Lieferung von 1800 Waggons ist den Gockel­werken in Neuwied, die Lieferung von 1500 Waggons an Bahn­bedarfs-A.-G. Darm­stadt über­tragen worden.“ 

Auf der folgenden fünften ordent­lichen General­versammlung am 15. Oktober 1925 in den Räumen der Darm­städter und National­bank muß der Vorstand für das Geschäfts­jahr 1924/25 einen Verlust von 167.840,51 Reichs­mark kon­statieren. Die weiterhin schwierige Geschäfts­lage – das folgende Geschäfts­jahr sollte mit einem noch höheren Verlust von 1.515.762,34 Reichs­mark enden – zwang die Aquila A.-G. wie die Bahn­bedarf A.-G. dazu zu fusionieren, und zwar rück­wirkend zum 1. April 1925. Dies wurde auf der letzten ordent­lichen General­versammlung der Bahn­bedarf A.-G. am 29. November 1926 auch so beschlossen. Der Fusions­vertrag kam am 8. Juli 1927 zustande. Für 800 Bahn­bedarf-Aktien erhielten die Bahn­bedarfs-Aktionäre nunmehr 200 Aquila-Aktien. Der Vertrag sah vor, daß die Aquila die Firma Bahn­bedarf zukünftig als ihre Nieder­lassung in Darm­stadt betreiben kann. Es scheint hierbei noch einigen Unklar­heiten über die Bewertung des Grund­besitzes der Bahn­bedarf A.-G. gegeben haben. Beim Grundstücks­kauf 1921/22 scheinen die Flur­stücke des Volks­staates Hessen und der Stadt Darm­stadt nicht eindeutig abgegrenzt gewesen zu sein, denn 1924 (und später) mußte darüber nach­verhandelt werden.

Lagerplatz.

Abbildung 14: Großer Lagerplatz für Fertigfabrikate.

Zu obiger Abbildung: Um die Jahrhundert­wende besaßen auf dem einge­zäunten Gelände mehrere Firmen eigene Lager­häuser. Links am Zaun entlang verlief das hier auch sichtbare Industrie­gleis entlang der Blumenthal­straße. Im Hinter­grund erhebt sich links gebieterisch die Diester­wegschule, während in der Bildmitte die Schorn­steine der Appel'schen Kleng­anstalt rauchen. Am rechten Bildrand begrenzt das Lager­haus das Gelände. Das Lager­haus war ebenfalls durch die Bahnbedarf A.-G. erworben worden. Bemerkens­wert ist das Rangier­gleis für Normal- und Schmal­spurwagen. Der vordere Zaun grenzt das Gelände zur Landwehr­straße ab.

Die Niederlassung

Der Fusionsvertrag listet das Grund­eigentum der Bahnbedarf A.-G. wie folgt auf:

  • Flur 15 [zwischen Landwehr­straße und Pallaswiesen­straße, westlich der Blumenthal­straße, WK], Nr. 115, Grab­garten Blumenthal­straße mit 1.743 Quadrat­metern, Nr. 116, Grab­garten Blumenthal­straße mit 325 Quadrat­metern, und Nr. 117, Hofreite Blumenthal­straße Nr. 24 mit 22.911 Quadrat­metern, erworben am 22. März 1921.
  • Flur 15, Nr. 122 9/10, Hofreite­grund Blumenthal­straße, 2 8/10 Quadrat­meter, erworben am 11. November 1921.
  • Flur 16 [zwischen Landwehr­straße und Lagerhaus­straße, westlich Blumenthal­straße, WK], Nr. 1 5/10, Hofreite­grund Blumenthal­straße, 5.070 Quadrat­meter, erworben am 3. Mai 1921.
  • Flur 16, Nr. 1, Lager­haus und Lager­platz Blumenthal­straße Nr. 22 [erst der Hessischen Ludwigs­bahn, dann der Preußisch-Hessischen Eisenbahn­gemein­schaft, WK] mit 2.877 Quadrat­metern, erworben am 23. Februar 1922.
  • Flur 16, Nr. 2, Lager­haus und Lager­platz Blumenthal­straße Nr. 20 [ehemaliges städtisches Lager­haus, WK] mit 5.262 Quadrat­metern, Nr. 3, Grab­garten Lagerhaus­straße mit 170 Quadrat­metern, und Nr. 4 Hofreite Lagerhaus­straße Nr. 15 mit 204 Quadrat­metern, erworben am 1. Februar 1922.
  • Flur 16, Nr. 268, Hofreite (Haupt­bahnhof) mit 37.606 Quadrat­metern, erworben am 23. Februar 1922.

Bei den unter Flur 16 genannten Grund­stücken dürfte es sich um die etwa 50.000 Quadrat­meter handeln, von denen im Geschäfts­bericht für 1921/22 die Rede gewesen ist. Das unter Nr. 268 aufge­führte Gelände mit dem Zusatz „Haupt­bahnhof“ verweist auf das nörd­liche Gleis­vorfeld des vormaligen Haupt­bahnhofs, bestehend aus Main-Neckar-Bahnhof und Ludwigs­bahnhof, der 1912 geschlossen wurde. Hierzu gibt es eine Anmerkung im Fusions­vertrag:

„Zu letzterem wird bemerkt, dass bei diesem Grund­stück Ab- und Zuschreibungen gemäss den Kauf­verträgen mit dem Hessischen Staat, bezw. der Stadt Darm­stadt vom 5. Mai 1924 statt­gefunden haben und dass das neu entstehende Grund­stück mit der Bezeichnung 16 Nr. 4 5/10 eine Grösse von etwa 45.177 qm bekommen soll.“

In einem Grundbuch­auszug vom 5. November 1926 wird ausgeführt, worin die Unklar­heit begründet liegt. Demnach bean­spruchte der Hessische Staat aus dem Kauf­vertrag vom 23. Februar 1922

„die Rücküber­tragung derjenigen Gebäude­flächen, die als Strassen­gelände in die Landwehr­straße, Lagerhaus­straße und die durch­geführte Weiter­städter­straße gelegen sind. Die Rück­übertragung hat unent­geltlich, kostenfrei und frei von Belastungen aller Art, insbesondere von Hypotheken, zu erfolgen.“

Natürlich muß pro forma auch die Aquila A.-G. der Fusion noch zustimmen. Auf deren General­versammlung am 1. März 1927 berichtete der Vorstand: „Durch die Fusion ist eine zweck­mässigere Gestaltung des Arbeits­gebietes der Bahn­bedarf Aktien­gesellschaft beabsichtigt.“ Die neue Filiale wird ins Darm­städter Handels­register als „Bahn­bedarf Darm­stadt, Werk der Aquila Aktien­gesellschaft für Handels- und Industrie­unternehmungen, Frank­furt a. M.“ einge­tragen. Die Aquila (bzw. zuvor J. Adler junr.) war zu Beginn der 1920er Jahre in Darm­stadt nicht nur bei der Bahn­bedarf G.m.b.H. eingestiegen. Sie war auch in der ehemaligen Rodberg'schen Dampf­kessel­fabrik sowie der Maschinen­bauanstalt, ehemals Venuleth & Ellenberger, erheblich engagiert. 

1927/28 beteiligte sich die Bahn­bedarf an der Demontage und der Verwertung der Anlagen der ehemaligen Waldbahn vom Bahnhof Buchschlag nach Klaraberg am Main.

Im Geschäftsjahr 1928 litten die Unter­nehmen, so der Bericht der Handels­kammer Darm­stadt für dieses Jahr, an der allgemeinen Zahlungs­moral, und weiter, hier wohl speziell von Seiten der Bahn­bedarf Darm­stadt eingebracht:

„Bedauert wird die Zurück­haltung hinsichtlich der Vergebung von Aufträgen der öffent­lichen Hand einschließ­lich der Reichs­bahn. Die Ver­drängung der Feld­bahnen durch anderweitige Verkehrs­mittel macht sich in den solches Material her­stellenden Betrieben unangenehm bemerkbar.“ 

Bahnbedarf und Rodberg

Die Bahn­bedarf A.-G. und die Dampf­kesselfabrik vormals Arthur Rodberg A.-G. waren anderthalb Jahr­zehnte lang getrennte Unter­nehmen. Erst Mitte der 1930er Jahre wurden sie zusammen­geführt. Da es bis Ende der 1960er Jahre in Darm­stadt eine Bahn­bedarf-Rodberg G.m.b.H. in der Landwehr­straße gegeben hat, wurde in diversen Veröffent­lichungen mehr spekuliert als zutreffend dargestellt, wie denn das Verhältnis beider Unter­nehmen einstens gewesen sein mag.

2012 feierte die IHK Darmstadt ihr 150jähriges Bestehen. In diesem Umfeld entstand eine Aus­stellung mit Brief­köpfen Darm­städter und süd­hessischer Unter­nehmen aus dem 19. und beginnenden 20. Jahr­hundert. Eine zuge­hörige Broschüre rundete das Unter­fangen ab. Ich habe mir die Aus­stellung einige Jahre später angeschaut und muß sagen, daß sie wirklich schön gestaltet worden ist. Unglücklicher­weise enthält sie den einen oder anderen Fehler.

Ulrich Eisenbach, Leiter des Hessischen Wirtschafts­archivs in Darm­stadt, schrieb im August 2012 in einer Begleit­serie zu dieser Aus­stellung für das Darm­städter Echo:

„1928 wurde die Dampf­kesselfabrik vorm. Arthur Rodberg AG mit der 1919 gegründeten Bahn­bedarf AG zur Bahn­bedarf Rodberg AG verschmolzen. Die Bahn­bedarf AG stellte Eisenbahn­waggons, Schienen und Weichen sowie Kleinbahn­materialen her und reparierte Loko­motiven, sodass die neue Firma über ein ausge­sprochen breites Produktions­programm verfügte. 1939 wurde die Bahn­bedarf Rodberg AG in eine GmbH umge­wandelt. Alleiniger Gesell­schafter war seitdem die Friedrich Boesner GmbH in Augusten­thal bei Neuwied.“ 

Kurioser­weise meint die Begleit­broschüre zur Ausstellung „Rauchende Schlote“, die Dampf­kesselfabrik sei 1922 in Bahnbedarf A.-G. umbe­nannt worden. Vermut­lich war jemandem über das Findbuch bzw. Hadis bzw. Arcinsys aufgefallen, daß die erhaltene Handels­registerakte der Dampf­kesselfabrik Rodberg 1922 endet, und hat daraus voreilige Schlüsse gezogen, ohne die Akte selbst zu konsultieren. 

Da es kaum einen Quatsch gibt, der nicht noch quätscher gamecht werden kann, findet sich im Buch „Darmstädter Geheimnisse“ der Echo-Redakteurin Kerstin Schumacher eine seltsame Bahn­bedarf AG Rodberg, welche die Zeppelin­hallen errichtet haben soll. 

Die tatsächlichen Zusammenhänge lassen sich über die erhaltene Handels­reisterakten der Bahnbedarf, einmal als Aktien­gesellschaft, ein andermal als Nieder­lassung der Aquila A.-G., sowie mittels Recherche im Darm­städter Tagblatt rekon­struieren. Dazu ist es hilfreich, sich nicht davon abschrecken zu lassen, daß wir es mit einer „Arisierung“ zu tun bekommen werden. Dazu weiter unten mehr. 

Die in der Bahnbedarf-Akte enthaltenen Geschäfts­berichte der Aquila A.-G. vermiiteln Ende der 1920er noch ausreichende Perspektiven und zu Beginn der 1930er Jahre ein düsterer werdendes Bild über die Lage der Darm­städter Nieder­lassung Bahn­bedarf, aber auch über die zum Konzern gehörende, jedoch eigen­ständig operierende Dampf­kesselfabrik. Der Geschäfts­bericht zur Aquila-General­versammlung am 23. November 1929 führt aus:

„Bei unserem Werk Bahn­bedarf in Darmstadt ist ein guter Aufschwung zu verzeichnen. Die Aufträge haben sich erhöht. Es ist mit einem günstigen Ergebnis zu rechnen.“

„Die Dampfkessel­fabrik vorm. Arthur Rodberg A.-G., Darm­stadt, entwickelt sich normal. Es wird besonderer Wert auf den Bau von Abhitzekesseln gelegt, worin gute in- und aus­ländische Geschäfte getätigt worden sind. Der Auftrags­bestand ist ausreichend. Es ist für das laufende Geschäfts­jahr mit der Aufnahme der Dividenden­zahlung zu rechnen.“

Auch der Geschäftsbericht zur Aquila-General­versammlung am 23. Dezember 1930 vermittelt noch ein positives Bild, wenn auch der Vergangenheit.

„Die Erhöhung der Anlagen entsteht aus einer Erneuerung und Erweiterung des Maschinen­parkes unserer Abteilung Bahn­bedarf Darm­stadt.“

„Die Dampfkessel­fabrik vorm. Arthur Rodberg A.-G., Darm­stadt, hat für das verflossene Geschäft­jahr eine Dividende von 4% verteilt. Für das am 30.9.1930 abgelaufene Geschäfts­jahr dürfte mit der gleichen Dividende zu rechnen sein.

Das Ergebnis unserer Abteilung Bahn­bedarf Darm­stadt ist mit Rück­sicht auf die allgemeine Wirtschafts­lage nicht unbe­friedigend; dieselbe hat eine wesent­liche Steigerung der Umsätze bei entsprechend erhöhten Unkosten erzielt.“

Konstruktionszeichnung.

Abbildung 15: Technische Zeichung der Bahn­bedarf Darm­stadt von 1928. Darge­stellt wird ein zweiachsiger gedeckter Güter­wagen. Scan der Blaupause. Quelle: Sammlung Eisenbahn­museum Darm­stadt-Kranich­stein.

Anwohnerinnen und Anwohner beschweren sich

Industriebetriebe wie die Bahn­bedarf A.-G. sind laut und schmutzig. In den 1920er Jahren scherte man sich wenig um Umwelt- oder Schall­schutz, noch weniger jedenfalls, als manche Konzerne dies heutzutage betreiben, wenn sie Öl ins Meer gießen oder Atom­kraftwerke in Erdbeben­gebieten errichten. Vermut­lich war es nicht die erste Beschwerde dieser Art. Seit etwa 1927 organisierten sich die Anwohner­innen und Anwohner der Bahn­bedarf in der Feldberg­straße, der Lagerhaus­straße und der Weiter­städter Straße (heute Dolivo­straße) „gegen die immer uner­träglicher werdenden Belästi­gungen“, wie der sozial­demokratische „Hessische Volksfreund“ am 19. September 1929 berichtete. Auf Ersuchen von Stadtrat Engel wurde die Stadt­verwaltung bei der Bahn­bedarf vorstellig und erhielt von einer ob der Vorhalte vollkommen erstaunten Geschäfts­leitung zur Antwort, „daß man bereit sei, entgegen­zukommen; sie äußerte den Wunsch, mit einer Abordnung der Anwohner zu verhandeln, um deren Wünsche kennen zu lernen.“ (Klar, sie wollten wissen, wie weit sie nach­geben müssen.) Stadtrat Engel lud nun die Bewohner­innen und Bewohner der umliegenden Straßen zu einer Versamm­lung am 16. September, einem Montag, in der Gaststätte Haußner in der Feldberg­straße ein, um den Sach­verhalt zu diskutieren und eine Kommission zu wählen, die mit der Firmen­leitung ins Gespräch kommen solle.

„Etwa 80 Männer und Frauen waren der Einladung gefolgt, nicht eingerechnet die, die auf der Straße und an den Fenstern den Verhand­lungen folgten. Auch der Syndikus des Haus­besitzer­vereins, Herr Ziegler, war erschienen.

Stadtrat Engel eröffnete um 8.20 Uhr die Versamm­lung, machte die Anwesenden nochmals mit dem Zweck der Zusammen­kunft vertraut und schilderte kurz die Entwick­lung der beklagten Firma vom Jahre 1919 ab. Als man im Jahre 1919 der Firma das Gelände, auf dem die heute im Betrieb befindlichen Werk­stätten errichtet sind, zu gewerb­lichen Zwecken über­lassen wollte, habe er seinen damals erhobenen Einspruch zurück­gezogen, weil er geglaubt habe, dem Argument der Firma, sie wolle ihren Betrieb so ausge­stalten, daß 1000 Erwerbs­tätige ihr Brot finden, nichts Durch­schlagendes entgegen­setzen zu können. Hierzu kamen noch die damaligen Verhält­nisse, die unter Hintan­stellung aller Bedenken die alsbaldige Wieder­einreihung der heim­kehrenden Krieger in das Wirtschafts­leben gebie­terisch forderten. Auch habe damals niemand absehen können, daß der Betrieb eine Belästi­gung der Anwohner mit sich bringen würde, wie es heute der Fall ist. Es sei nun Aufgabe der Erschienenen, die Beschwerden und Miß­stände sachlich zur Sprache zu bringen, um der zu wählenden Kommission all das Material an die Hand zu geben, das sie zu den in Aussicht genommenen Verhand­lungen nötig habe. Er stehe auf dem Stand­punkt, daß die Firma zum Entgegen­kommen bereit und bei gutem Willen auch eine wesent­liche Ver­minderung des Lärms und der sonstigen Belästi­gungen möglich sei.

An der Aussprache beteiligten sich etwa 20 Personen und machten in teilweise recht leiden­schaftlichen Aus­führungen ihrem gepreßten Herzen und der seit Jahren aufge­speicherten Empörung Luft. Man klagte über den Lärm der Schrauben­fabrik mit ihrer Feuers­gefahr und ihren ganz besonders bei herrschendem Tiefdruck lästigen Dünsten und Abgasen, die durch die Kohlen­staub­feuerung erzeugt werden; ferner gegen den Lärm, der durch das Be- und Entladen der eisernen Schwellen, Schienen und Laschen auf­nehmenden Waggons verursacht wird und nicht zuletzt gegen den ultra­violetten Feuer­schein, der durch das elektrische Schweißen im Freien an die umstehenden Häuser geworfen wird und die nicht mit Fenster­läden versehenen Wohnungen taghell erleuchtet, so daß die Bewohner aus dem Schlaf auf­schrecken. Um sich einiger­maßen gegen die Belästi­gung zu schützen, waren die Anwohner der Feldberg­straße in den heißen Sommer­monaten gezwungen, die Fenster der Schlaf­zimmer zu schließen und mit lichtun­durchlässigen Decken zu verhängen.“

Herr Ziegler legte dar, daß man und frau zivil­rechtlich wenig ausrichten könne. Ein Oberwerk­meister der Firma, ebenfalls Anwohner, glaubte, daß Abhilfe durchaus möglich sei.

„So könnten die Schorn­steine der Schrauben­fabrik noch um einige Meter erhöht werden und das Be- und Entladen der Waggons in die Tageszeit verlegt werden und schließ­lich sei bezüglich der Belästi­gungen durch die Schweißerei die Firma ohnedies gezwungen, die heute hierzu benutzte Halle für den kommenden Winter mit einer Umklei­dung zu versehen.“

Alsdann wurde eine Kommission gewählt, der neben Stadtrat Engel und Herrn Ziegler noch fünf Männer und zwei Frauen angehörten. 

Was die Abordnung erreichen konnte, ist in der vorliegenden Quelle leider nicht erwähnt.

Gleisarbeiten in der Rheinstraße.

Abbildung 16: Gleis­verlegung auf der Darm­städter Rheinstraße 1921. Das Schild mit der Angabe der Baufirma „Bahnbedarf A.G.“ sieht hinein­montiert aus. Der Geschäfts­bericht der HEAG für 1920/21 nennt eine Gleis­verlagerung des südlichen Gleises in der Rhein­straße zwischen Luisenplatz und Neckar­straße, im Geschäfts­jahr darauf (April 1921 bis März 1922) die Verla­gerung des nördlichen Gleises. Die Bau­arbeiter betrachten mit ihren Gerät­schaften den Foto­grafen und stehen dabei auf der Trasse des nördlichen Gleises, das gerade verlegt wird.

Der Adler trudelt

Info über die Aquila A.-G.

Abbildung 17: Information über die Aquila A.-G. im Hand­buch der Deutschen Aktien-Gesell­schaften, 1933, Band II [online uni mann­heim], Seite 2501.

Die Rothschilds hinter dem Adler
Porträt.
Abbildung 18: Porträt Albert Rothschild.

J. Adler jun. war 1862 in Frank­furt gegründet und 1899 in eine offene Handels­gesell­schaft umge­wandelt worden. Die Aquila Aktien­gesell­schaft kam 1921 als Holding dazu. Zu diesem Zeit­punkt prägten die vier Roth­schild-Brüder Henry, Albert, David und Max, die zu den „neuen Roth­schilds“ gezählt wurden, die Unter­nehmens­führung. Ihre Eltern waren Wilhelm Roth­schild (1836–1906) und Stella Schott (1840–1926), beide waren nach Frank­furt zugezogen. Die vier Brüder hatten drei Schwestern Leopoldine (1869–1940), Recha (1880–1966) und Karoline (1882–1968). 

Henry Rothschild (1870–1936) wurde in Heil­bronn geboren, seine anderen Brüder in Frank­furt am Main. Er war seit 1901 mit Bertha Merzbach vertheiratet. 

Albert Rothschild (1872–1938) besuchte die Real­schule und absolvierte nachfolgend eine kauf­männische Ausbildung. Er wurde Mitinhaber von J. Adler jun. Er war Vorsitzender des Verbandes deutscher Schrott­betriebe und Schrott­großhandlungen und Mitglied des Präsidiums des Hansa-Bundes für Gewerbe, Handel und Industrie in Berlin. Er war verheiratet mit Lisbeth Merzbach.

David Rothschild (1875–1936) studierte Medizin und wurde Facharzt für Lungen- und Herz­krankheiten. In Bad Soden wirkte er als Badearzt und als Gemeinde­rat. Von den Versorgungs­gerichten wurde er mehrfach als Gutachter für Kriegs­erkrankungen herangezogen. Von 1925 bis 1928 war er Vorsitzender des Fußball­vereins FSV Frank­furt. Er starb, Ironie der Geschichte, in Stockholm an einem Herz­infarkt.

Max Rothschild (1876–1944) besuchte das Real­gymnasium in Frank­furt und absolvierte anschließend eine Banklehre und eine Lehre in den eigenen Betrieben. Er war Handels­richter beim Land­gericht Frank­furt und wurde 1944 in Auschwitz ermordet.

Die Grabsteine von Henry und Albert Roth­schild befinden sich auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Frankfurt. 

Zur nächsten ordent­lichen General­versammlung der Aquila A.-G. am 23. April 1932 wurde vermerkt, daß sich die Dampf­kesselfabrik Rodberg „der Ungunst der wirtschaft­lichen Verhältnisse nicht entziehen“ konnte, während das Ergebnis der Bahn­bedarf als befriedi­gend angesehen wurde: „Dieses Werk ist mit Aufträgen versehen und arbeitet mit Erfolg.“ Ein Jahr später, die Nazis sind schon an die Macht gebracht worden, was für einen jüdisch dominierten Betrieb fatale Folgen haben mußte, berichtet der Aquila-Vorstand auf der General­versammlung am 12. Mai 1933 über das Geschäfts­jahr 1931/32:

„Bei der Dampfkessel­fabrik vorm. Arthur Rodberg A.-G., Darm­stadt, haben sich die im letzten Bericht dargestellten Verhält­nisse im Berichts­jahr nicht geändert. Die Unkosten sind auf das äusserste einge­schränkt worden.

Unsere Abteilung Bahn­bedarf Darm­stadt war unter den heutigen Verhält­nissen leidlich beschäftigt und hat über die Unkosten und Abschrei­bungen hinaus einen kleinen Betriebs­gewinn erzielt.“

Die 1932 und 1933 verfaßten Geschäfts­berichte nennen noch eine nicht weiter ausgeführte Abstoßung von Immobilien. Möglicher­weise war darunter auch ein Teil des Anfang der 1920er Jahre erworbenen Geländes entlang der Blumenthal­straße.

Nördliche Toreinfahrt.

Abbildung 19: Die nordliche Toreinfahrt. Während am linken Bildrand direkt hinter der Mauer das Industrie­gleis entlang der Blumenthal­straße verlief, verzweigte sich am Fabriktor das Anschluß­gleis der ehemaligen Maschinen­fabrik und Eisen­gießerei. 1930/31 errichtete die Deutsch-Amerikanische Petroleum-Gesell­schaft an der Stelle der an der Mauer aufge­schichteten Holzstapel ein Tanklager mit Tankstelle; als Esso-Tankstelle war sie noch in den 2010er Jahren einem Auto­händler angegliedert. Das zugehörige Gelände war zuvor abgetrennt worden und erhielt die neue Haus­nummer Blumenthal­straße 28. Rechts befanden sich die Gleis­anlagen der Hessischen Ludwigs­bahn; nach dem Ersten Welt­krieg wurde das Gelände als Rangier­gruppe für das Reichsbahn- und später Bundesbahn-Aus­besserungs­werk genutzt.

Der auf der General­versammlung am 26. Mai 1934 vorgelegte Geschäfts­bericht nennt Verhand­lungen mit den Banken und eine Umstruk­turierung der Aquila/Adler-Gruppe. Demnach soll die Aquila zur Holding und die J. Adler junr. wieder ein reines Handels­unternehmen werden. „Unsere Abteilung Bahn­bedarf wird wieder, wie früher, in eine selb­ständige Gesell­schaft umgewandelt, oder mit einer uns nahe stehenden Gesell­schaft verbunden werden.“ Das deutet auf einen bevor­stehenden Zusammen­schluß mit der Rodberg'schen Dampf­kessel­fabrik hin. Hier versiegt als Quelle die im Staats­archiv Darm­stadt verbliebene Handels­registerakte. Mit Datum vom 8. Januar 1936 schreibt die Aquila A.-G. als quasi letztes Lebens­zeichen dem Amtsgericht Darm­stadt, daß die unter der Bezeichnung Bahn­bedarf Darm­stadt bestehende Zweig­niederlassung erloschen sei.

„Normales“ kapitalistisches Gebaren oder „Arisierung“?

Die unstete Konjunktur der 1920er Jahre mit der nach­folgenden Welt­wirtschafts­krise hatte auch die Aquila-Holding ungünstig getroffen. Der von den Gläubiger­banken Mitte der 1920er Jahre erzwungene Zusammen­schluß von Aquila und Bahn­bedarf fand seine Fort­setzung mit dem Eintreiben der Schulden während der Nazizeit. Während es sich einer­seits tatsäch­lich um ganz ordinären Kapitalis­mus handelt, nämlich die best­mögliche Verwertung angeschlagener Unter­nehmen zugunsten der Gläubiger­banken, kommt nach dem 30. Januar 1933 eine dezidiert anti­semitische Komponente hinzu. Da die Aquila und ihre Bahn­bedarf-Nieder­lassung nicht als „arisches“ Unter­nehmen angesehen und ihnen daher wichtige Aufträge entzogen wurden, konnten die Banken diese Exklusion zu ihrem Vorteil nutzen und den Druck auf die jüdischen Eigen­tümer erhöhen. Folge­richtig wurde zunächst die Dampf­kesselfabrik Rodberg mit der Bahn­bedarf zusammen­gelegt, wobei die Aquila-Filiale Bahn­bedarf der schwächelnden Dampf­kesselfabrik finanziell unter die Arme greifen mußte. Alsdann wirde die so neu entstandene Bahn­bedarf-Rodberg A.-G. aus dem Aquila-Konzern ausge­gliedert und den Gläubiger­banken ausgeliefert, bevor sie einem interessierten „arischen“ Unter­nehmen über­geben werden konnte.

Das im Bändchen „Rauchende Schlote“ und in dem im Darm­städter Echo abgedruckten Begleit­artikel zur gleich­namigen Ausstellung genannte Verhältnis der Unter­nehmen Bahn­bedarf und Rodberg zeugt nicht nur von Unkenntnis, die aus mangelnder Recherche herrührt. Vielmehr wird etwas Ent­scheidendes übersehen, nämlich die Fusion zweier Unter­nehmen im Zuge einer „Arisiserung“.

Auf ihrer General­versammlung am 26. März 1935 beschlossen die Aktionäre der Dampf­kesselfabrik vormals Arthur Rodberg A.-G., den Geschäfts­verlust der beiden Vorjahre in Höhe von 217.000 RM durch eine Neu­justierung des Aktien­kapitals auszu­gleichen. Hierzu wurde das Grund­kapital der Gesell­schaft drastisch von 350.000 RM auf 50.000 RM herab­gesetzt und nach­folgend wieder auf 500.000 RM herauf­gesetzt. Um kein frisches Geld einbringen zu müssen, wurde die Aquila A.-G. zur Ader gelassen. Sie hatte ihr Filial­unternehmen Bahn­bedarf mit 720.000 RM Aktiva und 305.000 RM Passiva einzu­bringen. Noch gehörten von den Aktien des so neu aufgestellten Unter­nehmens 90% der Aquila und 10% dem „Markt“. Das so regenerierte Unter­nehmen erhielt die Firmierung Bahn­bedarf-Rodberg A.-G. Aus dem Vermögen der Aquila bzw. Bahn­bedarf nicht eingebracht und somit für eine anderweitig lukrative Verwertung vorbehalten waren die Grund­stücke, Immobilien und Maschinen der Bahn­bedarf. Diese konnten von der Bahn­bedarf-Rodberg A.-G. gepachtet werden. Dies kann durchaus als eine Art Gewinn­abschöpfung eines noch „jüdischen“ Unter­nehmens betrachtet werden. Der Geschäfts­bericht vermerkt zudem, die Dampfkessel­fabrikation habe eine gewisse Belebung erfahren und auch die Bahn­bedarf sei mit Aufträgen gut versehen.

Dem das Unternehmen kontrollierenden Aufsichts­rat gehörten nunmehr der Rechts­anwalt Schwörer aus Darm­stadt, Max Roth­schild aus Frankfurt, die Direktoren Bochow und Götz aus Darm­stadt sowie der Rechts­anwalt und Notar Ernst Bösebeck aus Frankfurt an. Hier wäre noch zu heraus­zufinden, wessen Interessen die vier anderen, vermutlich „arischen“, Aufsichtsrats­mitglieder zu vertreten hatten. 

Die Geschäfte entwickelten sich im Verlauf des Jahres leidlich gut. Es konnte ein minimaler Gewinn erzielt werden, der sich wohl haupt­sächlich aus dem Export­geschäft speiste. 

Dann wird die Vergangenheit abgerechnet:

Bahnbedarf Rodberg AG., Darmstadt. Diese Konzern­gesellschaft von J. Adler jun.-Aquila verzeichnet in der Vorlage der beiden Jahres­bilanzen 1933 und 1934 für 1933 bei 117.000RM Vorlust­vortrag einen Gesamt­verlust von 169.000 RM., dazu treten aus 1934 noch 48.400 RM. Neuverlust. Nach Sonder­abschreibungen von 102.000 RM. und einem Sanierungs­gewinn von 300.000 RM. aus der vorjährigen Kapital­herabsetzung von 350.000 auf 50.000 RM. und Wieder­erhöhung des Aktien­kapitals auf 500.000 RM. wird der Verlust von 217.000 RM beseitigt. Die Gesell­schaft wurde im vorigen Jahre aus der Werks­abteilung der Bahn­bedarf AGund der Dampf­kesselfabrik vorm. Arthur Rodberg zusammen­gefaßt.“ 

Dem Bericht über die General­versammlung am 24. Juni 1937 ist der Übergang der Aktien von der Aquila auf ein Banken­konsortium im zweiten Halbjahr 1936 oder 1. Halbjahr 1937 zu entnehmen; Konzern­schulden seien daher in der Bilanz nicht länger aufge­führt. Der Rein­gewinn des Vorjahres betrug rund 20.000 Reichs­mark. In den ersten Monaten des Vorjahres sei es gelungen, größere Aufträge herein­zuholen, was wohl im Zusammen­hang mit der „Entjudung“ des Unter­nehmens zu sehen sein wird. Umsätze und Export stiegen an. „Die Zahl der Gefolgschafts­mitglieder konnte um etwa 22 Prozent erhöht werden.“ Zuschüsse für KdF-Fahrten und die Anlage eines Sport­platzes auf dem Werks­gelände vervoll­ständigten das sich arisierende Gesamt­bild. Zudem fand eine maßgebliche Beteiligung an der auf dem Bahn­bedarf-Gelände angesiedelten Flug­zeugbau Botsch u. Co. statt.

Vermutlich im ersten Halbjahr 1938 erfolgte die Übergabe des Unter­nehmens an die in Augusten­thal bei Neuwied ansässige Schrauben­fabrik Friedrich Bösner GmbH. Das Geschäft lief 1937 besser als im Vorjahr, die gepachteten Anlagen wurden für ungefähr eine halbe Million Reichs­mark käuflich erworben. Aufsichtsrats­vorsitzender war nunmehr Friedrich Stursberg aus Augustenthal. Die Umwand­lung des Unter­nehmens aus einer Aktien­gesellschaft in eine GmbH erfolgte 1939. 

Flick und Konsorten

Die Aquila/Adler-Gruppe war, wie wir gesehen haben, nicht unbeschädigt aus der Weltwirt­schafts­krise heraus­gekommen. Die in den frühen 1920er Jahren vorge­nommenen Industrie­beteiligungen hingen nun wie ein Klotz am Unternehmen und fuhren angesichts dümpelnder Konjunktur Verluste ein. Auf den Aktien­besitz an der Dampf­kesselfabrik Rodberg mußten erhebliche Abschrei­bungen vorge­nommen werden. Die Umschuldungs­verhandlungen mit den Banken wurden nach der Macht­übergabe an die National­sozialisten weiter erschwert. „Nichtarische“ Unter­nehmen wurden mehr und mehr von Aufträgen und Lieferungen ausgeschlossen. Dennoch konnte die Aquila/Adler-Gruppe sich zunächst behaupten. Während die Inlands­geschäfte mit Metall­schrott mehr und mehr zurück­gingen, hatte man sich ein zweites, durchaus lukratives Standbein im Ausland aufgebaut. „Virtuos bewegte sich das Unter­nehmen dabei im undurch­sichtigen und sich schnell ver­ändernden Geflecht inter­nationaler Zoll­barrieren, Einfuhr­beschränkungen und politischer Konflikte, wozu es durch ein einge­spieltes weltweites Nachrichten­system befähigt wurde“, so Benno Nietzel. 

Der wunde Punkt war die geringe Kapital­decke. Solange das Unter­nehmen dem Deutschen Reich durch seine Auslands­tätigkeit dringend benötigte Devisen verschaffte, erhielt es eine Atem­pause. Die von den Gläubiger­banken erzwungenen zwei Vertrauens­leute innerhalb des Unter­nehmens gaben über dessen Leistungs­fähigkeit Auskunft. Ende 1936 wurde ein Abkommen geschlossen, das dem Unter­nehmen vier Jahre Ruhe verschaffen sollte. Die Banken, hier vor allem die Deutsche Bank, die Dresdner Bank in Nachfolge der Darmstädter und National­bank, sowie die Gold­diskontobank verzichteten auf einen Teil ihrer Forderungen und schuldeten einen anderen Teil so um, das diese frühestens 1940 fällig werden sollte. Die Aquila A-G. und J. Adler jun. wurden zu einem Unter­nehmen verschmolzen.

„Im Gegenzug übernahmen die Banken umfangreiche Aktienwerte und Beteiligungen, außerdem verpflichtete sich die J. Adler jun., ihren ent­behrlichen Grund­besitz zur Tilgung der laufenden Schulden zu verkaufen.“ 

In diesem Zusammen­hang ist der Zusammen­schluß der Bahn­bedarf-Nieder­lassung mit der Rodberg'schen Aktien­gesellschaft zu sehen. Da hiervon die Grund­stücke aus­drücklich ausgenommen waren, verwundert es nicht, wenn einzelne Grund­stücke zwischen Pallas­wiesen- und Landwehr­straße den Eigen­tümer gewechselt haben.

Haupteingang.

Abbildung 20: Es war einmal: Haupt­eingang in der Blumenthal­straße 24.

Das Unternehmen Aquila bzw. J. Adler junr. wird für das Anwesen Nr. 20 noch im Adreßbuch von 1942 als Eigentümer benannt. Das Adreß­buch für 1936 nennt unter der Nr. 20/22 die Bahn­bedarf Rodberg AG, wobei das Anwesen Nr. 22 etwa 1940 an die Auto­reparatur­werkstatt Auto-Axt übergeht. Hierbei kommt es zu einer Neujustierung der Haus­nummern, denn die Nr. 22 als Teil des Bahn­bedarf-Anwesens befand sich in den 1920er Jahren noch südlich der Landwehr­straße. Die neue Firma Auto-Axt lag hingegen (mehrere Jahr­zehnte lang) nördlich der Landwehr­straße. Das Anwesen Nr. 24 scheint von etwa 1933 bis 1940 an die Zigarren­fabrik von Peter Stang verpachtet worden zu sein. Erst das Adreß­buch für 1941 kennt hier Peter Willems aus Trier als neuen Eigentümer, der hier die Firma „Deutsche ‚Cristalline‘ Werke“ bis in die 1950er Jahre betreiben sollte. Nach Ende der Nazi­herrschaft scheint er sich in die Schweiz abgesetzt zu haben. 

Mehr als ein Jahrzehnt zuvor, so um 1923 herum, hatte die Bahnbedarf A.-G. die Segelflug­ambitionen der Akaflieg Darm­stadt unterstützt. Einer deren bekanntesten Piloten war Albert Botsch. Wir finden nun im Darm­städter Adreß­buch für 1936 erstmals in der Landwehr­straße Nr. 47½ eine Flug­zeugbau Botsch & Co. G.m.b.H.; diese neu geschaffene Haus­nummer dürfte eine Halle an der nord­westlichen Ecke der Kreuzung der Blumenthal­straße mit der Landwehr­straße bezeichnen. 1938 kommt als weitere Adresse (und wohl auch Firmensitz) der Taunusring 20 hinzu, also das alte Lagerhaus. Dort verzeichnet auch das letzte Adreß­buch der Nazizeit für 1942 das Unter­nehmen. Segel­flugbau zusammen mit der Akaflieg oder Einbindung in Aufrüstung und Krieg? 

Fabrikschild Bahnbedarf-Rodberg.
Bild 21: Fabrikschild Nr. 9567 eines Dampf­kessels der Bahn­bedarf-Rodberg A.-G. von 1938 im Lokschuppen des Eisenbahn­museums Darmstadt-Kranich­stein. 

Für das Unternehmen J. Adler jun. kommt das Ende dann doch recht plötzlich. Wurde ihr von den Banken 1936 trotz inländischer Restriktionen des Nazi­regimes noch zugetraut, innerhalb von vier Jahren in die Gewinnzone zurück­kehren zu können, so änderte der Tod des Seniorchefs Albert Rothschild im Mai 1938 die Geschäfts­grundlage. Er war es, der so virtuos die Fäden im Ausland gezogen hatte. Die Banken, allen voran die Dresdner Bank, entschlossen sich, das Abkommen von 1936 zu ignorieren und den Betrieb zu zerschlagen, also zu arisieren. Die Banken versuchten nun, das Unter­nehmen und seinen Besitz mit Gewinn zu verkaufen. Max Rothschild, der die Zeichen der Zeit richtig verstand, erschien im Juni 1938 gar nicht erst mehr zu einer Besprechung in den Räumen der Deutschen Bank in Berlin; er nutzte eine Geschäfts­reise nach Groß­britannien und Frankreich, um sich abzusetzen. Im September 1938 wurde das Unter­nehmen im Schnell­verfahren aus dem Handels­register gestrichen. Ohnehin hätte es nach der Reichs­pogromnacht wohl kaum noch eine Überlebens­chance in jüdischem Besitz gehabt.

In ihrer Geschichte des Flick-Konzerns nähern sich Norbert Frei u. a. der „Arisierung“ der Aquila-Adler-Gruppe von anderer Seite. Friedrich Flick, der seine jüdischen Geschäfts­partner bei Bedarf fallen ließ, wird hier als ein eiskalter Geschäfts­mann vorge­stellt, der auch ohne besondere eigene anti­semitische Motive auf die passende Gelegen­heit wartete, sich jüdischen Besitz anzueignen.

„Das zeigte sich im Sommer 1936, als die Kapital­mehrheit an der Eisen­hütten­werk Thale AG auf den Markt kam. Dabei handelte es sich um eine typische ‚Arisierung‘, die von Deutscher und Dresdner Bank gemeinsam betrieben wurde. Das Werk im Nordharz lag im Interessen­gebiet von Mittelstahl und befand sich im Besitz zweier Haupt­aktionäre; neben der Frankfurter Unternehmens­gruppe Adler-Aquila des Albert Rothschild war Albert Ottenheimer aus Köln beteiligt. Dass die beiden jüdischen Eigentümer in immer größere Bedrängnis gerieten, hatte man bei Mittelstahl schon anderthalb Jahre zuvor registriert.“

Als mit Otto Wolff ein Konkurrent Interesse zeigte, war Flick hellwach. Da jahrelang jedoch nur wenig investiert worden war, wartete Flick, der bereit war, mit Wolff zusammen den Rothschild'schen Mehrheits­anteil zu übernehmen, ab. Denn Ottenheimer sollte abgefunden und aus dem Unter­nehmen gedrängt werden, ein Job, den Flick den Banken über­lassen wollte. Das Geschäft selbst versprach nicht lukrativ genug zu werden.

„Damit war die ‚Arisierung‘ aber noch nicht abgeschlossen, da auch die Frankfurter Mutter­gesellschaft von der Deutschen Bank feil­geboten wurde. Die Schrott­handels­firma J. Adler jr. war zuvor nach bekanntem Muster in wirt­schaftliche Schwierig­keiten gebracht worden. Neben den Rüssels­heimer Opel­werken hatte auch die Reichs­bahn ihre Lieferungen eingestellt und Albert Roth­schild auf diese Weise zum Verkauf genötigt. Als sich Eduard Mosler von der Deutschen Bank im Februar 1937 direkt an Flick wandte, lehnte dieser trotz hart­näckiger Nachfrage durch den Bankier erneut ab.“ 

Wenn wir beide Darstellungen dieser „Arisierung“ miteinander verknüpfen, dann scheint es so zu sein, daß die Deutsche Bank das Abkommen mit den Roth­schilds schon vor dem Tod des Seniorchefs hintertrieb.

Briefkopf.

Abbildung 22: Briefkopf der Bahn­bedarf-Rodberg GmbH von 1939. Der Ursprung aus zwei recht unterschied­lichen Unter­nehmen ist noch deutlich. Das „jüdisch“ verspielte Logo der Bahn­bedarf A.-G. wurde beibehalten.

Fundstücke

Auch mehr als ein­hundert Jahre nach der Unternehmens­gründung, lassen sich unerwartet Hinter­lassenschaften der Bahn­bedarf A.-G. in freier Wildbahn entdecken. Olaf Mensch verdanke ich diese beiden Aufnahmen zweier Weichen­hebel, die auf der Wormser Hafenbahn ihren Dienst verrichten. Erstaunlich; aber ob sie zwanzig Jahre später noch immer verwendet werden?

Weichenhebel.

Bild 23: Die beiden Weichen­hebel der Wormser Hafen­bahn, von Olaf Mensch im Februar 2004 aufgenommen.

Weichenhebel.

Bild 24: Auf der Rück­seite der Hebel steht „Bahnbedarf Darmstadt“, was darauf schließen läßt, daß sie zwischen 1927 und 1935 gefertigt wurden.

Sogar in Darmstadt findet sich in der Verlänge­rung der Kirschen­allee über die Bismarck­straße hinaus ein Relikt in der Einfahrt zum ehemals weit verzweigten Goebel'schen Gelände. Direkt am Werkstor liegt eine Weiche, deren gerader Verlauf zur Herdfabrik Roeder und deren Abzweig zu Goebel geführt hatte. Diese Weiche stammt ausweislich des Signets von der Bahnbedarf A.-G. 

Anmerkungen

Am Ende der angeklickten und eingefärbten Anmerkung geht es mit dem Return ( ⏎ ) zum Text zurück.

  1. Hierzu ausführlich das 19. Kapitel meiner Geschichte der Maschinen­fabrik und Eisen­gießerei.   
  2. Helmut Lackner : Die Industrie­maler Jakob und Ferdinand Weeser-Krell, in: Klaus Türk (Hg.) : Arbeit und Industrie in der bildenden Kunst. Beiträge eines inter­disziplinären Symposiums [1997], Seite 220–233. Er beschreibt dies als „repräsentative Möglich­keit der Selbst­inszenierung“. Demnach „bot die gemalte Vogel­perspektive offen­sichtlich gerade jene Freiheit in der Darstellung und Phantasie in der Inter­pretation, die den Dampf­maschinen­kapitalismus idealistisch zu über­höhen erlaubte.“ (Seite 224). Der Kunstverlag Eckert und Pflug galt mit 120 ausge­bildeten Künstlern und Graveuren kurz vor dem Ersen Welt­krieg als größtes hier tätiges Atelier (Seite 221). Die Bahn­bedarf A.-G. war in der Selbst­darstellung gewiß nicht knausrig.   
  3. Das Gründungs­datum der offenen Handels­gesellschaft J Adler, junr., nach der im HStAD vorliegenden beglaubigten Abschrift aus dem Handels­register Frankfurt a. M., Abteilung A, No. 4780. Die Bahnbedarf G.m.b.H. scheint als eine Art Mantel beibe­halten worden zu sein. Deren Name, also die „Firma“ wurde auf einer Gesellschafter­versammlung am 6. Mai 1921 in Gesellschaft für Bau- und Bahn­bedarf mit beschränkter Haftung geändert und der Sitz der Gesell­schaft nach Berlin verlegt; siehe die Mitteilung aus dem Handels­register im Darm­städter Tagblatt vom 21. Juni 1921 [online].   
  4. Als geradezu proto­typisch kann das wenige Kilo­meter westlich von Darmstadt gelegene Dorf Griesheim gelten. Griesheim lag zwischen Ende 1918 und Juni 1930 in der französisch besetzten Zone und war jahrelang wirt­schaftlich vom angrenzenden Deutschen Reich getrennt. Die Not war groß und der Neue Griesheimer Anzeiger ist für diese Zeit eine wahre Fundgrube von Berichten über Diebstähle aller Art.   
  5. Neuer Griesheimer Anzeiger vom 16. September 1922.   
  6. Mona Sauer schreibt für das Stadt­lexikon Darmstadt [2006] im Lemma „Zeppelin­halle“ auf Seite 1014, es seien 1921 in Alleinstein zwei Zeppelin­hallen demontiert worden. Diese Fehl­information wurde in die Onlineausgabe mitge­schleppt und ist auch im März 2023 noch nicht korrigiert worden. Um es noch einmal klarzu­stellen, weil sich dieser Fehler schon in anderen Publikationen verselb­ständigt hat: bei Diwitten bzw. Dywity stand nur eine Luftschiff­halle. Eine. – Zu Zabrze: Information von Rafał Bętkowski vom Museum der Moderne in Olsztyn, in: Sterowce na dywickim niebie, erschienen in der Gazeta Olsztyńska, aktualisiert am 20. Dezember 2016 [online].   
  7. Die beiden Zeppelin­hallen werden ausführ­lich auf einer anderen Unterseite meiner Webseite besprochen. Auf dieser Grundlage habe ich 2022 den kurzen Artikel in der Wikipedia sinnvoll nachge­bessert.   
  8. Vergleiche die Zusammen­stellung auf Civil Aircraft Register – Germany. Ingesamt scheint es die Typen DI, DII, DIIa, EI und EII gegeben zu haben. [Im März 2023 benutzte die Webseite ein selbst ausge­stelltes und abge­laufenes Zertifikat, was Firefox als nicht vertrauens­würdig ansieht. Was Chrome damit anstellt, weiß ich nicht, weil ich nicht mit dieser wenig Vertrauen erweckenden Datenkrake arbeite.]   
  9. Der Geldschein wurde mir zum Einscannen dankens­werter­weise von K. M. aus Darmstadt zur Verfügung gestellt. Ein weiteres Exemplar mit dem Nennwert von 20 Milliarden Mark ist auf einer eigenen Unterseite abgebildet; weiterhin existiert ein Exemplar mit einem Nennwert von 50 Milliarden Mark.   
  10. H. H. : Über Gleis­bögen bei regel­spurigen Werk­bahnen, in: Die Werkbahn, Heft 1, 5. Januar 1925, [online, die Grafiken sind nicht mehr sichtbar]. Museumsverein Messel e. V. : Industriegeschichte Messel, [online].   
  11. Amtlicher Katalog zur Deutschen Verkehrs-Ausstellung 1925 in München. Zitat im I. Teil auf Seite 85. Weitere Angaben zum Unter­nehmen im II. Teil auf den Seiten 200, 233 und 245. Im IV. Teil wird auf Seite 2 auf ein Inserat im Titel­bogen hingewiesen, das in dem von mir einge­sehenen Exemplar nicht vorhanden war. Die „Gander­bergische [sic!] Maschinen­fabrik G. Goebel“ war als weiteres Darm­städter Unter­nehmen präsent; vgl. II. Teil, Seite 257. Hingegen sind die Modag und Schenck im Katalog nicht aufgeführt.   
  12. Neuer Griesheimer Anzeiger vom 28. März 1925.   
  13. Auf der 32. ordent­lichen General­versammlung der Maschinenbau­anstalt, vormals Venuleth & Ellen­berger, am 23. Juni 1921 repräsen­tierte Max Roth­schild 110 und der mit ihm verschwägerte Dr. Richard Merzbach 107 von 723 stimm­berechtigten Aktien. Max Rothschild wurde in den Auf­sichtsrat gewählt. Auf der außer­ordentlichen General­versammlung am 3. Mai 1922 besaß die Aquila A.-G. 262 von 695 stimm­berechtigten Aktien. Für die 33. ordent­liche General­versammlung am 12. August 1922 war als Tages­ordnungs­punkt die Genehmigung eines Vertrages vorgesehen, welcher das Firmen­vermögen an die Dampf­kesselfabrik Rodberg über­tragen hätte. Der Tages­ordnungs­punkt wurde auf der General­versammlung durch den Auf­sichtsrat ohne weitere Erklärung mit 530 gegen 274 Stimmen abgesetzt. Die Aquila A.-G. verfügte hier über 267 der 810 stimm­berechtigten Aktien und scheint die Absetzung befür­wortet zu haben. Auf der nach­folgenden 34. ordent­lichen General­versammlung am 7. August 1923 verfügt nunmehr die Dampf­kessel­fabrik Rodberg (in Händen der Aquila A.-G.) über die Stimmen­mehrheit (527 von 756 Stimmen). Nach Maßgabe der Geschäfts­berichte für 1925 und 1926 dümpelt das Unter­nehmen vor sich hin und ist somit als Anlage­objekt nicht mehr interessant; vielleicht mußte aber auch die Aquila A.-G. wegen ähnlicher Schwierig­keiten Kasse machen. Dazu paßt, daß am 11. Januar 1927 das Unter­nehmen dem Amts­gericht Darm­stadt mitteilt, Max Roth­schild sei aus dem Auf­sichtsrat ausge­schieden. Statt dessen verfügt auf der 38. ordent­lichen Generalv­ersammlung am 15. Juli 1927 nun die Firma Lippmann May aus der Weiter­städter Straße in Darm­stadt über 749 der 780 anwesenden Stimmen; bei der Aquila A.-G, verbleiben drei stimm­berechtigte Aktien, die jedoch bald darauf ebenfalls ver­äußert werden. Siehe hierzu HStAD G 28 Darm­stadt Nr. R 942.   
  14. Das Wirtschaftsjahr 1928. Bericht der Hessischen Industrie- und Handels­kammer Darmstadt [1929].   
  15. Ursprünglich war der Artikel am 6. August 2012 online abrufbar, bevor er einem Relaunch der Webseite zum Opfer fiel. Die Print­ausgabe war im Darm­städter Echo am 7. August 2012.   
  16. Hessisches Wirtschafts­archiv (Hg.) : Rauchende Schlote [2012], Seite 11.   
  17. Wiedergegeben in ihrem Artikel Ein Über­bleibsel der Luftschiff-Ära im Darm­städter Echo, online am 2. Dezember 2019.   
  18. Nach dem verlorenen Krieg gab es eine Melde­pflicht für arisierte Unternehmen an einen Prüfungsaus­schuß der IHK Darm­stadt. Das Verzeichnis gilt als verschollen. Siehe Christof Dipper : Die südhessische Wirtschaft in der NS-Zeit und im Zweiten Weltkrieg (1939–1945), in: Ulrich Eisenbach (Hg.) : Von den Anfängen der Industriali­sierung zur Engineering Region. 150 Jahre IHK Darmstadt Rhein Main Neckar [2012], Seite 137–172; dazu auf Seite 258 die Anmerkung 91. Es scheint, als habe es sich um ein auch bei anderen IHKs übliches Verfahren gehandelt, die Vergangen­heit zu entsorgen. Selbst­redend gibt es in Darm­stadt kein (mir bekanntes) Forschungs­projekt, das sich mit der Rekon­struktion dieser Liste befaßt. Wer etwas über „Arisierungen“ in Darm­stadt erfahren möchte, ist auf die Veröffent­lichungen der Darm­städter Geschichts­werkstatt und der DFG-VK angewiesen.   
  19. Dieser Zeitungs­bericht ist in Kopie das einzige Blatt einer Akten­mappe aus der Sammlung Hesse HStAD O 24 Nr. 62/12. Einem Auszug aus dem Grund­buchblatt Nr. 927 (Bahn­bedarf) vom 5. November 1926 zufolge habe die Bahn­bedarf A.-G. bei bestimmten Grund­stücken „ihre Betriebs­anlagen so einzurichten, daß störende Einwir­kungen durch diese, ihren Bestand und ihre Benutzung, auf die Umgebung, namentlich in Gestalt von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschüt­terungen möglichst vermieden bleiben. Sie hat auf Verlangen des Hessischen Staates die zu diesem Zwecke erforder­lichen Einrichtungen und Vor­kehrungen zu treffen. Auf die technische und wirt­schaftliche Betriebs­lage der Fabrik ist billige Rück­sicht zu nehmen. In den Bauten an der Lagerhaus­strasse und der (durch­geführten) Weiter­städter­strasse darf ein Betrieb, von dem störende Einwirkungen der vorer­wähnten Art im wesentlichen Maße ausgehen, nicht stattfinden. Siehe HStAD O 24 Nr. 40/6.   
  20. Auf einer genealo­gischen Webseite ist ein Familien­foto vorhanden [online].   
  21. Zu Henry Rothschild siehe die Henry Roth­schild Collection des Leo Baeck Institute [online].   
  22. Dieser Abschnitt fußt auf folgenden Texten: 1) Reichs­handbuch der deutschen Gesell­schaft, Zweiter Band [1931], Seite 1572; hieraus auch das Porträt Albert Roth­schilds. 2) Benno Nietzel : Handeln und Über­leben. Jüdische Unter­nehmer aus Frank­furt am Main 1924–1964 [2012], insbesondere die Seiten 112 bis 118. 3) Martin Münzel : Die jüdischen Mitglieder der ökonomischen Elite Frank­furts nach 1933. Aspekte der Aus­schaltung aus dem Wirtschafts­bürgertum, in: Jörg Osterloh und Harald Wixforth (Hg:) : Unternehmer und NS-Verbrechen. Wirtschafts­eliten im »Dritten Reich“ und in der Bundes­republik Deutsch­land [2014], Seite 33 bis 64, hier die Seiten 53 und 54. 4) David Rothschild, in: Frank­furter Personen­lexikon, Stand 19. Oktober 2018 [online]. 5) Adolf Albus : Biografie über Dr. David Rothschild, Arzt in Bad Soden, Artikel in Frank­furt live vom 1. März 2021 [online].   
  23. Hans Bochow war Direktor der Darm­städter Filiale der Deutschen Bank und Disconto-Gesell­schaft. Carl (Karl) Götz war Direktor der Darm­städter und National­bank, Darm­städter Filiale der Dresdener Bank. Fund­stelle: Darm­städter Adreß­buch für 1935.   
  24. Darmstädter Tagblatt vom 29. März 1935 [online ulb darmstadt]. Das Text des Digitalisates ist aufgrund des Mittel­falzes leider nicht voll­ständig lesbar. Die fehlenden Bruch­stücke des Textes werden hier wieder­gegeben nach der Sichtung der mikro­verfilmten Zeitungs­ausgabe.   
  25. Darmstädter Tagblatt vom 25. Dezember 1935 [online ulb darmstadt]. Das Text des Digitalisates ist aufgrund des Mittel­falzes leider nicht voll­ständig lesbar. Die fehlenden Bruch­stücke des Textes werden hier wieder­gegeben nach der Sichtung der mikro­verfilmten Zeitungs­ausgabe.   
  26. Siehe zu diesem „Arisierungs“­vorgang die Berichte zu den General- bzw. Haupt­versammlungen im Darm­städter Tagblatt vom 29. März 1935, 10. April 1936 [online ulb darmstadt], 25. Juni 1937 [online ulb darmstadt] und 15. Juli 1938 [kein Digitalisat vorhanden]. Briefkopf der Bahn­bedarf-Rodberg A.-G. an den Landrat des Land­kreises Groß-Gerau am 8. Juli 1939, HStAD G 15 Groß-Gerau Nr. X 49.   
  27. Benno Nietzel, Seite 114. Zu Aquila/Adler sind die Seiten 112–118 aufschluß­reich, auf die meine Dar­stellung fußt. Da der Autor hierzu auf das Archiv der Dresdner Bank zurück­greifen konnte, das nunmehr im Commerz­bank Archiv vorhanden ist, kann vermutet werden, daß die recht ausführ­lichen Berichte der Bank-Vertrauens­leute an ihre Auftrag­geber auch Ausfüh­rungen zur Darm­städter Nieder­lassung Bahn­bedarf und zur Dampf­kesselfabrik Rodberg beinhalten. Dem bin ich aber nicht weiter nachge­gangen.   
  28. Benno Nietzel, Seite 115.   
  29. Zu den Deutsche „Cristalline“ Werken siehe meine eigene Darstellung auf dieser Webseite.   
  30. Die national­sozialistische Stadt­verwaltung änderte im Oktober 1938 den als jüdisch geltenden Straßenn­namen Blumenthal­straße zu Taunusring, auch wenn es schon eine Taunus­straße gab. In den 1950er Jahren setzte die von Sozial­demokraten geführte Stadt­regierung den Kurs der Ver­drängung fort, indem sie der Straße ihren alten Namen nicht etwa zurück­gab, sondern sie zum nördlichen Teil der Kasino­straße erklärte. Damals hat jedenfalls kein Darm­städter Hahn gekräht, die Umbenennung verursache unnötige Kosten auf Brief­papieren oder Geschäfts­unterlagen, wie dies als „Argument“ auftaucht, um die von rechter Seite politisch uner­wünschte Umbe­nennung der nach dem militaristischen Reaktionär Hinden­burg benannten Straße zu verhindern. Eine neue, historisch jedoch deplazierte Blumenthal­straße befindet sich seit den 1980er Jahren in einem Kranich­steiner Neubau­gebiet.   
  31. Manchmal sieht man das Offen­sichtliche nicht. Jahelang bin ich an diesem Relikt vorbei­gelaufen, ohne es wahrzu­nehmen. Erst Uwe Breitmeier hat meinen Blick darauf gelenkt.   
  32. Norbert Frei, Ralf Ahrens, Jörg Osterloh, Tim Schanetzky : Flick. Der Konzern, die Familie, die Macht [2011], Seite 209–210.   
  33. Siehe meine Seite zum Industrie­stammgleis „B.“.