Luftbild auf das Fabrikviertel 1966.
Industriegleise im Fabrikviertel Darmstadt
Walter Kuhl
Luftbild auf das Fabrikviertel 1966.
Das Fabrikviertel 1966.
Deutschlandkurve in der Landwehrstraße.
Eine Deutschlandkurve.
Kreuzung Straßenbahn- mit Industriegleis.
Einfahrt zur Kirschenallee.
Abholung eines Kesselwaggons.
Ein Kesselwaggontransport.
Gleisabbau an der Schenckallee.
Abgewrackt.

Industriegleise im Fabrikviertel Darmstadt

Das Industrie­stamm­gleis „A“

Geschichte und Spurensuche in der Mainzer Straße

1872 wurde in der damaligen Blumenthal­straße, der heutigen Kasino­straße, ein erstes Industrie­stamm­gleis gelegt. Westlich davon entstand im letzten Quartal des 19. Jahr­hunderts eine neue Werkstätten- und Industrie­landschaft, das sogenannte Fabrikviertel. Nach jahrelangem Klagen erhielten einige dieser Unternehmen entlang der Landwehr­straße 1894 einen eigenen Gleis­anschluß seitens der Main-Neckar-Eisenbahn. Die Geschichte der Erschließung des Fabrikviertels mit Gleisanlagen wird gesondert dargestellt.

Von den Mitte der 1950er Jahre noch rund dreißig Anschluß­gleisen sind nur wenige übrig geblieben. 2023 werden nur noch die Autologistik am ehemaligen Bahn­betriebs­werk, Hofmann-Rieg und Evonik an der Kreuzung Mainzer und Landwehr­straße mit der Kirschenallee, sowie am Nord­bahnhof Merck angefahren. Ob Donges wenigstens ab und zu noch bedient wird, ist mir nicht bekannt; deren Zufahrts­gleis auf der Nordseite der Mainzer Straße ist jedenfalls noch befahrbar.

Zum Zwecke der Darstellung habe ich den Industrie­stamm­gleisen fiktive Buchstaben von A bis H zugewiesen. Sie tauchen daher weder in zeit­genössischen Planungen noch in Plänen und Dokumenten auf. Für das hier vorgestellte Gleis in der Mainzer Straße verwende ich den Buchstaben „A“. Die hiermit hergestellte Verbindung zum Güter­bahnhof wurde 1912 gebaut.

Das Industriestammgleis „A“ auf OpenStreetMap.

Auf dem Lageplan von 1906 befindet sich dieses Stammgleis bei [⇒ H3], auf der Übersichtskarte zum Fabrikviertel ist es mit dem Buchstaben „A“ bezeichnet.

Das Gleis „A“ beginnt an der Rampe zu den Bahngleisen und verläuft mehrere hundert Meter parallel zum Straßenraum der Mainzer Straße. An der „Spinne“, der Kreuzung mit der Kirschen­allee und der Landwehr­straße, biegt es nach rechts ab in das Werksgelände von Hofmann-Rieg. Die heutige Weiterführung sowohl in die Kirschen­allee (wird nicht mehr befahren) als auch in das Evonik- bzw. Röhm-Werks­gelände ist neueren Datums (etwa 1970). Die Fort­setzung des Gleises entlang der Kirschen­allee wurde erst spät hergestellt und wird aus historischen Gründen unter dem Gleis „B“ beschrieben.

Die Rampe

Die Gleiskurve, welche die Verbindung zum Güter­bahnhof herstellt, wurde bei der Verlegung des Darmstädter Haupt­bahnhofs vom Steubenplatz zum heutigen Standort zwischen 1907 und 1912 (hier eher 1912) angelegt. Zunächst wurde damit allein das Industrie­stammgleis „B“ auf der Nordseite der damals noch Weiterstädter Straße genannten Mainzer Straße angebunden, welches in die Landwehrstraße fortgeführt wurde. 1912 beschloß die Darmstädter Stadt­verordneten­versammlung, auch auf der Südseite ein Stammgleis herzustellen, um weitere Industrie­betriebe anzulocken. Zwei Jahre später wurde ein drittes Gleis beschlossen, das in Richtung Pallaswiesen- und Gräfenhäuser Straße verlaufen sollte. Damit wurde im Prinzip der Zustand hergestellt, wie wir ihn heute vorfinden.

Rampe vom Gleisvorfeld.

Bild 1: Rampe des Zuführungs­gleises vom nördlichen Gleis­vorfeld (des Haupt­bahnhofs) her. Links die Geräte­sammel­stelle, nach dem Zweiten Weltkrieg auch Bahn­meisterei, dahinter die ehemalige Turmwagen­halle, heute ebenfalls eine Event-Location. Hinter der Mauer links lag das Anschluß­gleis von Reinhardt & Co. Aufnahme vom Dezember 2009.

Partylocation.

Bild 2: Lange Jahre, nachdem das Gebäude als Bahn­meisterei gedient hat, wurde es als Bürogebäude mit integrierter Party­location vermarktet. Der Name des Event­tempels wechselt alle paar Jahre, aber den Kindern, die hier verkehren, wird es häufig zu langweilig. Dann vergehen sie sich an Mülltonnen, Straßen­schildern und Handweichen; und lassen natürlich überall ihren Müll liegen. Ganz wie die Erwachsenen. Aufnahme vom Mai 2012.

Rampe vom Gleisvorfeld.

Bild 3: In der Gegen­richtung blicken wir auf die Mainzer Straße. Das Gleis „F“ biegt am Wohnhaus nach links ab, der zweite Weichen­hebel wurde passend gestellt. Aufnahme vom Mai 2009.

Plan der Bahnhofsanlagen 1912.

Abbildung 4: Der Gleisplan des Darmstädter Haupt­bahnhofs 1912 zeigt die Einbindung der beiden Gleise an der (damaligen) Weiter­städter Straße (oben Mitte) an den Güter­bahnhof (oben rechts). Bei „X“ stand das Stellwerk I (später Dn), bei „Y“ befanden sich laut Plan die Übergabe­gleise für die städtischen Anschlußgleise. Quelle: Atlas zur Zeitschrift für Bauwesen 1912, Blatt 52 [online].

Luftbild Mainzer Straße von 1962.

Abbildung 5: Das Industrie­stamm­gleis „A“ entlang der Mainzer Straße, nördliches Teilstück. Als Orientierung mag das dunkle längliche Gebäude parallel zur Mainzer Straße in der Bildmitte dienen; das war die Draht­stiftefabrik. Quelle: Ausschnitt aus einem Luftbild von 1962. Mit freundlicher Genehmigung des Vermessungs­amtes Darmstadt.

Reinhardt und Jonas Meyer

1912/13 verlegten zwei sehr unterschied­liche Unternehmen ihren Geschäfts­betrieb an die Weiter­städter Straße, ganz in der Nähe der Bahnhofs­anlagen der Königlich Preußischen und Groß­herzoglich Hessischen Staats­eisenbahn. 1913 wurde an das frisch gelegte Industrie­stammgleis ein Gleis­anschluß für die Holzwerke Jonas Meyer und die Eisengießerei Reinhardt & Co. angebunden. Auch wenn lange Zeit noch ein Stumpfgleis neben der Rampe bestanden haben mag, so wurde der Gleis­anschluß schon 1962 nicht mehr bedient. Im Zeitraum 1956/58 wurde das Werk noch per Bahn mit rotem und gelbem Sand für die Eisen­gießerei beliefert. 

Holzwerke Jonas Meyer.

Abbildung 6: Die beiden Anschluß­gleise der Holzwerke Jonas Meyer und von Reinhardt & Co. Das Gebäude hinter dem rechten Schild mit der Aufschrift „Jonas Meyer“ ist das Fabrik­gebäude von Reinhardt & Co.; rechts daneben die Geräte­sammelstelle der Reichsbahn. Die Proportionen der Gebäude sind nicht naturgetreu. Quelle: Werbe­annonce Jonas Meyer von 1926.

Gleisplan.

Abbildung 7: Der Gleisplan Jsl 96 von 1954 mit Bearbeitungs­stand 1973 zeigt die Reste des ehemaligen Anschluß­gleises. Das längliche Gebäude am unteren Bildrand in der Parzelle 5/1 ist Reinhardt & Co.

Der Holzhandel Jonas Meyer und die dazu gehörigen Holzwerke werden auf einer eigenen Unterseite näher vorgestellt.

Friedrich Wilhelm Knieß zeigt in seinem Buch „Darmstadt. Bewegte Zeiten. Die 50er Jahre“ [1997] auf Seite 28 eine Szene aus der Werkstatt des Familien­unternehmens Reinhardt & Co.

Schutt.

Bild 8. Das, was von Reinhardt & Co. übrig geblieben war. Aufnahme vom April 2013.

Fliesen.

Bild 9. Fliesen der Küche oder einer Naßraum­zelle. Aufnahme vom April 2013.

Freifläche.

Bild 10. Auf dieser Fläche (von der Straße aus gesehen) hinter der Mauer endete der gemeinsame Gleis­anschluß von Reinhardt und Jonas Meyer. Ob sich unter Gras und Erde noch Schienen­rost befindet, habe ich nicht ergründet. Aufnahme vom April 2013.

Einfriedung.

Bild 11. Im August 2013 kündigen sich die neuen Eigentümer mittels eingerammter Stahl­träger und mit vielen Holzbalken etwa an derselben Stelle an. Die Siller Schüttgut­logistik wird in der Folge das Gelände komplett abriegeln, danach Erde, Schutt, Asphalt und Beton abladen und das Ganze lautstark zerkleinern. Angeliefert wird natür­lich per Lkw.

Zermahlmaschine.

Bild 12. Das Mahlwerk im Juli 2013.

Die Anschließer

Entlang und am Ende des Industrie­stammgleises „A“ befanden und befinden sich folgende Anschließer; die Haus­nummern in Klammern):

  • Reinhardt & Co., Eisengießerei (100) und Holzhandel Jonas Meyer (98).
  • Eventuell der Kohlengroßhandel Georg Nungesser & Co. (98) als Nach­folger des Holzahndels Jonas Meyer.
  • Glaserei Rast & Co., Süd­deutsche Glaswerke, danach Mittel­deutsche Drahtstifte fabrik (90). 
  • Preussag im Neuwiesenweg.
  • Gebrüder Stöckel, Maschinen­fabrik (Dampf­kessel, 80–82).
  • Darmstädter Holz­industrie Wilhelm Mahr Nach­folger (Albert Feucht­wanger, 80), danach die Stadt Darmstadt.
  • Vor dem Zweiten Weltkrieg: der Bezirkskonsum­verein, danach die Bauhütte und der Tiefbau­unternehmer Ludwig Himmler (78), wohl als Mitbenutzer zu Mahr.
  • Nach dem Zweiten Weltkrieg: Helmut Armbruster, Schrott- und Metall­großhandlung als Mitbenutzer des Stöckel-Gleises.
  • Lippmann May, Magazin und Rohprodukte (70), später Nomoco (Noll-Monnard & Co. KG), Kfz-Reparatur­werkstatt.
  • Eisen Trier, danach Eisen-Rieg, aufgegangen in Hofmann-Rieg.
  • Röhm und Haas, aufgegangen in Evonik.

Ob das Gelände der Mahr'schen Holz­industrie dem der Gebrüder Stöckel entspricht und ob die Konsum­genossen­schaft auf dem späteren Schrott­platz von Armbruster gelegen hat, ist (mir) nicht so recht klar.

A?Nr.Hausnr.\Jahr:1921192419271929193019331934193519361937
JA100Reinhardt & Co.XXXXXXXXXX
JA98Jonas MeyerXXXXXXX   
?98Nungesser       XXX
?90Rast & Co.X         
?90Süddt. Glaswerke XXXXXX   
JA90Drahtstifte­fabrik       XXX
JA80Mahr Nachf.XXXXX     
?80Stadt Darmstadt     XXXXX
JA78Konsumverein bzw. Bauhütte  XXXXXXXX
JA70Lippmann MayXXXXXXXXXX
Tabelle 1: Anlieger (Spalte A?) und Gleis­anschlüsse an der südlichen Seite der Weiterstädter, ab etwa 1954 Mainzer Straße; zwischen 1921 und 1937. Quelle: Darmstädter Adreßbuch. 
A?Nr.Hausnr.\Jahr:193919401941194219491952/531954/551956/571958/59
JA100Reinhardt & Co.XXXX(X)XXXX
?98Georg NungesserXXXX?    
JA90Drahtstifte­fabrikXXXX(X)XXXX
JA82Stöckel       XX
?80Stadt DarmstadtXXXX(X)XXXX
?78Ludwig HimmlerXXXX?    
MIT78Armbruster    ?XXXX
JA70Lippmann MayX        
JA70Noll-MonnardXXXX(X)XXXX
Tabelle 2: Anlieger (Spalte A?) und Gleis­anschlüsse an der südlichen Seite der Weiterstädter, ab etwa 1954 Mainzer Straße; zwischen 1939 und 1959. Quelle: Darmstädter Adreßbuch; die Ausgabe von 1949 wurde nicht ausgewertet.

Vergleiche zu dieser Übersicht der (möglichen) Gleis­anschlüsse auch die Darstellung zur Erschließung des Fabrik­viertels mittels Anschluß­gleisen.

Eisen Trier (seit 1913) und Röhm und Haas (Jahr unbekannt) gehörten zu den früh Ange­schlossenen und sind es, wenn auch unter anderer Firmierung, bis heute. Das Bundesbahn-Adreßbuch von 1965 nennt als Anschließer außer diesen beiden nur noch Reinhardt & Co., die Preussag und Stöckel.

Ausschnitt Stadtplan.

Abbildung 13. Ausschnitt aus dem dem Adreßbuch für 1927 beigelegten Stadtplan [online ulb darmstadt].

Die Gleis­anschlüsse an der Weiter­städter Straße, wie sie im Darmstädter Stadtplan von 1927 eingezeichnet sind, sind unvoll­ständig wieder­gegeben. So fehlen die Anschlüsse an den Haus­nummern 100 und 90, die es Mitte der 1920er Jahre zweifellos gegeben hat. Andere sind hingegen recht detail­getreu nach­empfunden, so etwa die Gleisanlage bei Nummer 81 (Gebrüder Lutz) oder an der Landwehr­straße Nummer 79 (Motoren­fabrik). Insofern können wir die Anlage des Anschlusses Lippmann May (Nummer 70) als realitäts­gerecht annehmen. 

Um 1970 herum dürfte das Gleis entlang der Kirschen­allee zu Roeder und Goebel vom Industrie­stammgleis „B“ abgekoppelt und an das hier besprochene Gleis „A“ angebunden worden sein.

Glas, Draht und Holz

Es erhielten Lippmann May im Mai 1912 und Wilhelm Mahr im Juni 1912 die Genehmigung für einen Gleis­anschluß. Zu der Mittel­deutschen Drahtstifte­fabrik bzw. dem Vorgänger Süd­deutsche Glaswerke liegen keine Informationen vor. Von diesen drei Anschlu­ssen ist nichts mehr vorhanden – siehe aber nachfolgend unter Preussag!

Zeitungsannonce.
Abbildung 14: Die Welt­wirt­schafts­krise zwingt zu unkon­ventio­nellen Maß­nahmen. Die Glas­werke ver­kaufen Schlaf­zimmer eines Schuld­ners. Annonce in der Darm­städter Zei­tung vom 14. De­zember 1930 [online ulb darm­stadt].

Die Süddeutschen Glaswerke stellten Mitte 1924 ihren Fuhrpark von einem Pferd auf „Autobetrieb“ um. 

Die Glaswerke wie auch die nachfolgende Mittel­deutsche Draht­stiftefabrik scheinen lokale, eher kleine Unter­nehmen gewesen zu sein. Der über­regionale Anspruch im Firmen­namen entsprach wohl eher nicht der Wirk­lichkeit.

Die Darmstädter Konsum-, Spar- und Produktions­genossenschaft durfte ab Oktober 1913 einen Gleis­anschluß betreiben. Da mir bekannte Pläne keine eigene Anlage zeigen, ist eine Mitbenutzung (oder Verlängerung) des Mahr'schen Anschlusses gemeint oder es ist denkbar, daß einzelne Güter­waggons auf dem Stammgleis direkt vor deren Schuppen hingestellt wurden. Jedenfalls heißt es im Hessischen Regierungs­blatt:

„Wir haben der Darmstädter Konsum-, Spar- und Produktions­genossenschaft e. G. m. b. H. zu Darmstadt die widerrufliche Erlaubnis erteilt, an die Industrie­gleis­anlage auf der Südseite der Weiter­städter­straße ein Anschluß­gleis anzulegen und mit Lokomotiven zu betreiben.“ 

Der Zimmer­meister Wilhelm Mahr betrieb bis 1901 oder 1902  ein Dampf­sägewerk zwischen Parcus­straße und Blumenthal­straße (heute Kasino­straße), mit der offiziellen Anschrift Pallaswiesen­straße 54. Seit den 1870er Jahren verfügte sein Vater Georg Mahr dort über einen eigenen Gleis­anschluß (das sogenannte „Mahr'sche Gleis“) an das Industrie­stammgleis, das entlang der Blumenthal­straße verlief. Erstmals finden wir das Geschäft 1903 im Adreß­buch an der Weiter­städter Straße 70; es ging 1913 auf den Kaufmann Albert Feucht­wanger über. 1915 nannte dieser es zusätzlich Darmstädter Holz­industrie. Obwohl das Anschluß­gleis Mahr seit 1912 bestanden hat, finden wir im Hessischen Regierungs­blatt 1920 die Genehmigung für die Holz­industrie des Albert Feucht­wanger, ein Anschluß­gleis anzulegen und mit Lokomotiven zu befahren. Sollte der Anschluß ausgebaut werden? 1924 wurde die Genehmigung zurück­gezogen. Albert Feucht­wanger starb Anfang 1926, das Unternehmen wurde vorerst von den Erben fort­geführt. Das Adreßbuch für 1933 weist nunmehr die Stadt Darmstadt als Eigentümerin des Geländes aus; die Holz­industrie von Albert Feucht­wanger ist verschwunden. 

An der Drahtstiftefabrik.

Bild 15: Schon lange vor dem Februar 2013, als diese Aufnahme entstand, hatte sich ein Autohaus auf dem Gelände der Draht­stiftefabrik breit gemacht. Das Anschluß­gleis dürfte ungefähr auf der aufgefrästen Asphalt­fläche gelegen haben. Die Weiche des nach­folgenden Gleis­anschlusses Mahr lag etwa in Höhe des auf den Fußweg gestellten Baustellen­schildes. Der Knick an der Kante des Sandweges (im Bild unten rechts) ist durch den Verlauf dieses Anschluß­gleises entstanden.

Die Anschlüsse Preussag und Stöckel

In den 1930er Jahren entstand auf beiden Seiten des Neuwiesen­weges eine kleine Wohn­siedlung. Diese verschwand bis zu Beginn der 1950er Jahre. Ob hierfür die Teil­zerstörung Darmstadts durch alliierte Bomben­angriffe im September 1944 (mit)verant­wortlich waren oder vielleicht andere Angriffe – denn die Siedlung lag in unmittelbarer Nähe des Güter­bahnhofs –, ist rund achtzig Jahre später nicht mehr zu sagen. Auf dem Zerstörungs­plan von Darmstadt sind beidseitig der Straße 41 Häuser eingezeichnet. Der Abriß der Siedlung machte den Weg frei zur Ansiedlung neuen Gewerbes. An der Westseite des Neuwiesen­weges treffen wir einen Ableger des Preussag-Konzerns an, auf dem Gelände des Mahr'schen Dampf­sägewerks die Kessel­schmiede der Gebrüder Stöckel, die Mitte der 1950er Jahre nach Darmstadt gezogen waren. Der Preussag-Anschluß war Ende der 1980er Jahre noch vorhanden. Stöckel meldete den seinen ab, als eine Weichen­sanierung anstand und in Rechnung gestellt werden sollte.

Gleisplan Preussag von 1955.

Abbildung 16: Gleisplan des Anschlusses der Preussag am Neu­wiesenweg von 1955. Es bedeuten: (1) Spillanlage, zwischen (1) und (2) Übergabe­stelle, (2) Halt für Bundesbahn-Lok, (3) der Seilzug mit den Seilzug­rollen, (4) Kran.

Die zugehörige Dienst­anweisung, gültig ab 1. Februar 1956, beschrieb die Gleiszu­führung so:

„Der Gleis­anschluß beginnt in der Anschluß­weiche A, kreuzt die ungesicherte Zugangs­straße der Mittel­deutschen Drahtstiften­fabrik, verläuft in einem Bogen, der sich allmäh­lich von 180 m Halb­messer bis zu 35 m Halb­messer verstärkt, nach Süden, führt durch ein Tor zum Lagerplatz der Anschließerin und endet dort nach einer nutzbaren Länge von insgesamt 120 m an einem stabilen Prellbock. Von der nutzbaren Länge des Anschluß­gleises liegen 50 m innerhalb des Werks­geländes. Eine 10 m breite Kranbahn (Brückenkran) kreuzt hier das Anschluß­gleis. […] Die Übergabe­stelle der Wagen liegt zwischen der Gleis­sperre I und der Tafel mit der Aufschrift ‚Halt für Bundes­bahnlok‘. Sie ist 13 m lang. Für die Beförderung der Wagen zwischen Übergabe­stelle und den einzelnen Lade­stellen im Werkhof ist eine Spillanlage vorhanden.“

Ehemals Standort des Weichenhebels.

Bild 17: Standort des Weichen­hebels für den Gleis­anschluß Preussag und eventuell schon Mahr. Aufnahme vom April 2012, bevor die Fräse kam.

Umlenkung der Spillanlage.

Bild 18: Die Umlenkung für das Zugseil der Spillanlage. Aufnahme vom Mai 2012.

Demolieren der Spillanlage.

Bild 19: Im Februar 2013 wurde die Anlage das Opfer des Zerstörungs­wahns. Einen sachlichen Grund gab es dafür nicht.

Haltezeichen.

Bild 20: Zur gleichen Zeit verschwand auch diese Haltetafel, kurz nachdem ich sie noch abfoto­grafiert hatte.

Tor Preussag.

Bild 21: Die Einfahrt zum Preussag-Anschluß ist durch ein Tor versperrt worden, das im Lageplan von 1955 an dieser Stelle nicht erscheint. Angebracht ist noch immer die Sh2-Tafel. Aufnahme vom Juni 2016.

Bürogebäude Preussag.

Bild 22: Das Bürogebäude trägt noch immer den Preussag-Schriftzug. Aufnahme vom August 2022.

Angaben darüber, in welchem Zeitraum dieses Anschluß­gleis bedient wurde, sind mir nicht bekannt. Auf der gegenüber liegenden Seite des Neuwiesen­wegs ließen die Gebrüder Stöckel eine Werkshalle hochziehen. Die 1894 als Stöckel & Petrie in Leipzig gegründete Dampfkesselfirma übersiedelte 1953 nach Darmstadt und erhielt 1955 ihren Gleis­anschluß. Im Juli 2016 übernahm die Georg Hagelschuer GmbH aus Dülmen-Buldern das Unternehmen und dessen Dampfkessel­service.

Die Mitbenutzung durch den Schrotthandel von Helmut Armbruster dürfte Anfang der 1970er Jahre geendet haben, denn seit Mitte der 1970er Jahre steht an Stelle des Schrottareals ein Raumausstattungs­geschäft.

Luftbild.

Bild 23: Luftbild des Stöckel-Geländes, wohl aus den 1970er Jahren. Auf dem Preussag-Gelände erkennen wir den im Lageplan eingetragenen Kran und den soliden Prellbock. Unten links stehen zwei Güter­waggons des Mitbenutzers Armbruster. Die Aufnahme wurde von Stöckel zur Verfügung gestellt.

Luftbild.

Bild 24: Luftbild rund um das Stöckel-Gelände von 1962. Es bedeuten: (P) Preussag, (S) Stöckel und (N) Noll-Monnard. Auch hier stehen am Schrott­platz von Helmut Armbruster zwei Güter­waggons. Zur Verfügung gestellt vom Vermessungs­amt Darmstadt.

Bei Stöckel.

Bild 25: Die Zufahrt zum Werksgelände ist kaum noch zu erkennen. Das Rasenstück ist bals darauf – wenig über­raschend – mit einem Steinbelag versiegelt worden, damit dicke Brummer darauf parken können. Aufnahme vom April 2013.

Bei Stöckel.

Bild 26: Manchmal standen auch neckisch zwei kleine Kessel­waggons auf dem Gleis im Werks­gelände, wie hier im Juli 2015.

An der Spinne

Die „Spinn“ ist eine nicht­amtliche, aber wohl gebräuchliche Bezeich­nung für die Kreuzung dreier Straßen. Die ehemalige Weiter­städter, seit Mitte der 1950er Jahre Mainzer Straße, führte einst direkt von der heutigen Dolivo­straße kommend unter dem Steg von Röhm bzw. Evonik durch. Die Landwehr­straße wurde fortgesetzt durch einen Landwehr­weg und endete am Stellwerk „Dg“ des Güter­bahnhofs, um danach als besserer Pfad bis zur Rampe am Anfang dieser Seite durch­zulaufen. Die Kirschen­allee war auch nicht immer durch­gängig, wurde aber vor über hundert Jahren zur Wind­mühle und zur Bismarck­straße ausgedehnt. Heute sorgt eine Ampel­schaltung dafür, daß die Auto­mobilisten die Über­sicht behalten und keine Fuß­gängerinnen umnieten.

Doch bevor wir zu dieser Kreuzung gelangen, gab es auf dem südlichen Industrie­stamm­gleis seit 1912 einen weiteren Anschließer, nämlich den Verwerter aller möglichen Abfall­produkte Lippmann May; Lippmann ist hier der Vorname. Dieses jüdische Unternehmen hatte seinen alt­städtischen Sitz in der Kleinen Ochsen­gasse 14.

Bei Stöckel.

Abbildung 27: Annonce von Lippmann May im Darmstädter Adreßbuch für 1892.

Lippmann May meldete sein Gewerbe im Juni 1890 unter der Firma L. May für das Darm­städter Handels­register an. Prokuristin war seine Ehefrau Karoline, geborene Hecht. Im Februar 1898 erhalten die Söhne Moritz und Simon May ebenfalls Prokura; das Unternehmen firmiert nunmehr als Lippmann May. Anfang 1899 stirbt Lippmann May und seine Ehefrau übernimmt die Leitung des Geschäfts. Zum Jahresende 1908 wandeln Moritz und Simon May das Geschäft in eine offene Handels­gesellschaft um, in welche der bisherige Prokurist Joseph May 1912 als persön­lich haftender Gesell­schafter eintritt. Das Unternehmen wird 1938 liquidiert, nachdem die Betriebs­grund­stücke verkauft worden sind. Eine „Arisierung“ ist hier sehr wahr­scheinlich. Die Erbinnen und Erben von Moritz May klagen 1961 auf Entschädigung. 

Der Gleis­anschluß wurde vielleicht noch in den 1950er Jahren genutzt; 1962 wird es jedoch nicht mehr aufgeführt. Seit 1938/39 gehörte das Gelände der Auto­werkstatt Noll, Monnard & Co. Wir hatten schon weiter oben in dem 1927er Stadtplan­ausschnitt gesehen, daß über eine interne Drehscheibe ein Binnen­gleis angebunden war. 

Schuppen Landwehrweg.

Bild 28: An der verlängerten Landwehr­straße stehen neben­einander drei mit Steinmauern versehene Schuppen, die vielleicht schon zum Anwesen von Lippmann May gehört haben können. Aufnahme vom Oktober 2015.

Einfahrt zur EMRO.

Bild 29: Heute ist hier die Einfahrt zur EMRO. Mit ein wenig Phantasie erkennen wir die schräg verlaufende Einführung des Gleis­anschlusses von Lippmann May bzw. nachfolgend der Nomoco.

Im Schilderwald
Horst Knechtel.
Bild 30: Mehr Licht im Schilderwald, 1998. Bildautor: Günther Jockel. 

Ein Vierteljahr vor der Ober­bürger­meisterwahl am 17. und 31. Januar 1999 unter­stützte der SPD-Politiker Horst Knechtel seinen Parteifreund Peter Benz gegen den Heraus­forderer Wolfgang Gehrke von der CDU durch öffent­lichkeits­wirksames Sauber­machen. Insbesondere die für Auto­fahrerinnen und Kraft­fahrer mitunter nervigen Verkehrs­schilder mußten daran glauben. Keineswegs, so sei hinzu­gefügt, störte sich der damalige Ordnungs­dezernent am bunten Schilder- und Bretter­wald am Rande von Straßen und Plätzen, die selbige Fahrer­innen und Fahrer mit ihren netten Werbe­botschaften bewußt vom Verkehrs­geschehen ablenken sollen. Am 12. Oktober 1998 verirrte sich Darmstadts Saubermann ins Fabrik­viertel, um dort zwanzig Verkehrs­zeichen nach vorheriger Rück­sprache mit der Polizei eigen­händig und fotografen­gerecht abzu­montieren:

„Schwungvoll rauschte Knechtels Axt gestern nachmittag durch den Schilder­wald an der Mainzer Straße. Mit dem Vorsatz, das Gestrüpp von Verkehrs­zeichen dort zu lichten, zog der Darm­städter Bürger­meister und Ordnungs­dezernent beim Ortstermin kurzerhand den Trenchcoat aus, griff zum Schrauben­schlüssel und stieg auf die Leiter. Sein Ziel war eine Reihe von Andreas­kreuzen, die an jeder Grund­stücks­einfahrt entlang der Mainzer Straße die Autofahrer auf ein selten genutztes, parallel laufendes Industrie­gleis hinwiesen.“

Zum „reibungs­losen Ablauf waren die Schrauben vorab schon gelockert worden“, wie der Artikel des „Darmstädter Echo“ leicht süffisant vermerkte.

Horst Knechtel, den ich seinerzeit in meinen Radio­sendungen den „Ordnungs­knechtel“ genannt habe, gehörte zu der Spezies sozial­demokratischer Politiker, deren Motto „law and order is a labour issue“ lautete. Er starb im Dezember 2022.

An der „Spinne“ verzweigten sich Industrie­stamm­gleise und Gleis­anschlüsse. Die ursprüng­liche Konfiguration von 1912 sah ein Gleis nördlich der Weiter­städter Straße vor, das weiter in die Landwehr­straße verlief. Von diesem Gleis zweigte vor der „Spinne“ der Anschluß von Donges ab und zu Beginn der Landwehr­straße das Gleis der Palmkern­ölfabrik (später der Motoren­fabrik) und direkt danach das von Venuleth und Ellenberger. Ein weiterer Strang verlief in der Höhe von Donges geradeaus weiter die Weiter­städter Straße entlang an der Seifenfabrik Jakobi vorbei und bog dann nach rechts ab. Wer am Ende dieses Gleises der Inhaber des Anschlusses gewesen ist, habe ich noch nicht heraus­finden können. Das Gleis südlich der Landwehr­straße verlief geradeaus zu Röhm und Haas; das Gleis durch den Torbogen kam erst später dazu. Davon noch vor der „Spinne“ nach rechts abzweigend war der Anschluß der Eisen­handlung der Gebrüder Trier. Das Industrie­gleis entlang der Kirschen­allee zu Roeder und Goebel wurde erst kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs angelegt und zweigte vom nördlichen Gleis ab. Diese Konfiguration wurde wohl erst in den 1970er Jahren verändert; heute sieht das etwas anders aus.

Zur Veranschau­lichung zwei sehr verschiedene Ausführungen dieses Gleis­gewirrs nach einer Flurkarte von 1906 (noch ohne das südliche Gleis) und einem Anschluß­plan von Röhm und Haas von 1955.

Gleise an der Spinne.

Abbildung 31: Ausschnitt aus einer städtischen Flurkarte von 1906 (Stadtarchiv Darmstadt Bestand 51 Nr. 132, Blatt 63), voll­ständig auf der Webseite von Kristof Doffing [online].

Gleisplan Röhm und Haas.

Abbildung 32: Ausschnitt aus dem Anschlußplan von Röhm und Haas von 1955. Der Plan ist in etwa gewestet. Das Gleis 3 an der Mainzer Straße war ursprüng­lich nicht mit dem Gleisbogen verbunden, sondern mit dem hier besprochen südlichen Stammgleis.

Bauarbeiten.

Bild 33: Im August 2013 wurde die Weiche 4, die den Abzweig zum Anschluß von Hofmann-Rieg herstellt, ausgetauscht. Sie hatte ein Walzzeichen „Union 1928“, und das ist schon ziemlich lange her.

Gleise an der Spinne.

Bild 34: Vor der „Spinne“. Zunächst geht rechts das Gleis zu Hofmann-Rieg ab, dann das Stamm­gleis in die Kirschen­allee. Direkt vor selbiger verzweigt sich das Gleis, um durch beide Werkstore geführt zu werden. Auf dem linken Gleis steht im Werks­gelände gerne einmal ein Kessel­waggon herum und langweilt sich. Aufnahme vom Juni 2011.

Taubenschlag.

Bild 35: Auf der Frei­fläche neben der verlärmten Kreuzung versammeln sich gerne einige Tauben. Sie ahnen, wann Fütterungs­zeit ist, und sie werden selten ent­täuscht. Ab und an schaut eine Frau vorbei und bringt gleich säckeweise Futter mit. Das war den Stadt­oberen ein Dorn im Auge. Den Knechtel im Herzen versuchten sie, eine fast schon wahnhaft herbei­geredete Tauben­plage einzuhegen. Auf dem Werks­gelände der Evonik und auch anderswo wurde ein Tauben­schlag errichtet, in dem man den für dumm gehaltenen Vögeln Gipseier anstatt der eigenen Brut unterjubeln wollte. Die städtischen Ordnungs­hüterinnen und -hüter bekämpften die böse Hexe, die den schönen Plan der Sauberkeit unterlief, mit legalen und manchmal auch nicht ganz so legalen Methoden. Was soll ich sagen? Sie haben verloren. Ich hatte im Laufe der Jahre mehrere Gespräche mit ihr. Sie ist in ihrer Sache engagiert, aber sie ist weder unfreund­lich noch durch­geknallt, wie böse Zungen unter­stellt haben. Aufnahme vom November 2012. 

Bauarbeiten.

Bild 36: Im Herbst 2016 wurde die Zufahrt zur Evonik vollständig erneuert. Das alte Gerümpel wurde ausgegraben …

Bauarbeiten.

Bild 37: … und schöne neue Schienen und Beton­schwellen verlegt. Aufnahmen vom November 2016.

Enzyme

Der Chemiker Otto Röhm und der Kaufmann Otto Haas gründeten 1907 in Eßlingen am Neckar ein kleines Chemie­unternehmen, das zwei Jahre später ins Darmstädter Fabrik­viertel direkt an die „Spinne“ umzog. Der Erfolg des Unternehmens lag zunächst in der Verwendung von Enzymen in der Leder­verarbei­tung und bei Waschmitteln begründet. Nach mehreren Umbenennungen und Über­nahmen ging das Unternehmen und der Standort 2007 in den Evonik-Konzern auf, aus dem 2019 ein Teil als Röhm GmbH wieder ausgegliedert wurde.

By the way: das Straßenstück zwischen Dolivo­straße und „Spinne“ wurde im Oktober 1974 dem Durch­gangs­verkehr entzogen.

Die Zufahrt um 1917.

Bild 38: Diese Aufnahme, die auf 1917 datiert wird, zeigt sowohl das Anschlußgleis am Firmen­gelände vorbei auf der Weiter­städter Straße als auch die neue Zuführung durch das Werkstor. Diese Aufnahme, wie auch die nachfolgenden Bilder, wurden mir freund­licher­weise von der Evonik Industries AG, Konzern­archiv, zur Verfügung gestellt.

Waggons im Werksgelände.

Bild 39: Währnd der Standort ausgebaut wurde, kamen die Güterwaggons direkt ins Werk. Aufnahme ebenfalls von 1917.

Rangierfahrt.

Bild 40: Eine Rangier­fahrt verläßt 1952 das Werk, aufgenommen vom Donges-Werksgelände.

Im Werk.

Bild 41: Güter­waggons im Werks­gelände 1954.

Eisen und Stahl

Seit mehr als einhundert Jahren wird am süd­westlichen Eck der „Spinne“ mit Eisen und Stahl gehandelt. Der jüdische Kaufmann Jacob Trier verkaufte Mitte der 1830er Jahre in der Großen Ochsengasse Öfen, Herde und Ambosse. Später zog das Geschäft in die Rhein­straße um. Als Gebrüder Trier wurde um 1905 eine Außen­stelle des Eisen­handels an der Ecke Land­wehrweg und Kirschen­allee, zunächst mit der Anschrift Weiter­städter Weg 10, errichtet. Als das Unter­nehmen 1933 Konkurs anmelden mußte, übernahm der Kaufmann Emil Rieg mit seiner Kommandit­gesellschaft das Gelände. Ein Jahr später wurdie die Eisen-Rieg KG in eine Aktien­gesell­schaft umgewandelt. 1980 erwirtschafteten die rund 250 Angestellten und Arbeiter des Unternehmens den Aktionären mit ihren 8.050.000 DM Kapital einen Umsatz von knapp 100 Millionen Mark. Seit 2003 heißt das Unter­nehmen Hofmann-Rieg Stahl­handel. 

Stahlwaggon.

Bild 42: Das abrupte Ende des Anschluß­gleises von Hofmann-Rieg wird sichtbar, wenn wie hier das Werkstor einmal geöffnet ist. Aufnahme vom Februar 2013.

1960 bestand der Gleisanschluß aus einer zusätz­lichen Gleiswaage neben der Kirschen­allee, einer internen Verbindung zwischen zwei Weichen und einem längeren, fast in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Ladegleis. Die zugehörige Dienst­anweisung beschreibt dies so:

„Die Anschluß­anlage besteht aus den Gleisen 1, 2 und 3.

Gleis 1 beginnt an der Anschluß­weiche A im Industrie­stamm­gleis, führt in einem Rechts­bogen über die Landwehr­straße auf den Werkhof der Firma und verläuft dann in südlicher Richtung. 45 m hinter der Weiche A befindet sich ein 4,50 m breites Eisentor (Tor 5); nach weiteren 100 m ist die Weiche B eingebaut. Das Gleis endet ohne Gleis­abschluß. […] 15 m südlich der Weiche B liegt eine doppelte Gleis­waage, die außer Betrieb ist.“

Gleis 2 zweigt an der Weiche B aus dem Anschluß­gleis 1 ab, verläuft in einem S-Bogen über die Anschluß­weiche C nach Süden und endet im Werkhof ohne Gleis­abschluß. […]

Gleis 3 zweigt an der Weiche C aus dem Anschluß­gleis 2 ab, verläuft in nörd­licher Richtung und endet im Werkhof ohne Gleis­abschluß. Es hat eine nutzbare Länge von 183,10 m, liegt ab Weiche C auf eine Länge von 60 m in einer Steigung von 1:500 und anschließend auf eine Länge von 135 m horizontal (1:∞).

Die Übergabe­stelle liegt im Anschluß­gleis 1 zwischen dem Tor und der Weiche B. Deutsche Bundes­bahn-Loko­motiven dürfen das Gleis 1 nur bis zum Schild ‚Halt für Bundes­bahnlok‘ befahren.“

Laderampe von Eisen Rieg.

Bild 43: Das interne Gleis 3 mit der Laderampe im Innenhof von Eisen-Rieg, wohl in den 1960er Jahren. Freundlicher­weise zur Verfügung gestellt von Hofmann-Rieg Stahl­handel GmbH.

Lageplan linker Teil. Lageplan rechter Teil.

Abbildung 44: Lageplan des Gleis­anschlusses Eisen-Rieg von 1960.

Mit Dampf und huckepack

Ältere und neuere Bilder vom Güter­verkehr auf dem Industrie­stamm­gleis ist auf folgenden Unter­seiten meines Web­auftritts zu finden.

Zu verschiedenen Anlässen wurde das Industrie­stammgleis „A“ auch zu Fahrten genutzt, die nicht dem Güterverkehr dienten.

  • Am 8. und 9. März 1986 sollten anläßlich der Frühjahrs­ausstellung von Eisen-Rieg das Eisenbahn­museum in Darmstadt-Kranich­stein Sonder­fahrten auf dem Gleis stattfinden. Als Über­führungs­lok war die V36 401 vorgesehen, für die Fahrten auf dem Gleis die Kranich­steiner ELNA-Loko­motive 184 mit zwei zwei­achsigen Personen­wagen. Ob die Fahrt dann auch durchgeführt wurde und, wenn ja, ob es davon auch Aufnahmen gibt, ist mir nicht bekannt. 
  • Am 24. Januar 2019 gab es eine Sonderfahrt zu einer Veranstaltung eines Darmstädter Unternehmens in der West­stadtbar. Davon gibt es sicherlich neben den Aufnahmen der Museums­bahn auch welche der Teilneh­merinnen und Teilnehmer. Einen schön gemachten Film der Fahrt von Kranichstein ins Industrie­gebiet gibt es auf Youtube.
  • Drei Wochen später, am 14. Februar 2019, fand eine weitere Sonder­fahrt auf das Industrie­gleis statt. Anlaß war der 70. Geburtstag des Museums-Vereins­gründers Uwe Breitmeier. Davon gibt es viele Aufnahmen; z. B. im Newsletter 1/2019 des Eisenbahn­museums, den ich auf der dadina-Webseite gefunden habe.
  • In den Nächten 14./15. und 21. /22. Dezember 2022 sowie 11./12. Januar 2023 wurden die ersten drei „Tina“-Straßen­bahnen von Stadler aus der Schweiz mit der Eisenbahn ins Industrie­gebiet gebracht. Dort wurden die auf einen Straßen­transporter umgeladen, der sie einige hundert Meter weiter zum Straßenbahn­gleis in der Bismarck­straße brachte. Die direkte Ablieferung über die Kirschen­allee ist wohl nicht möglich und/oder wird als zu aufwendig betrachtet. Da die Straßenbahnen nachts angeliefert werden, ist es etwas schwierig, brauchbare Bilder zu erhalten. Aufnahmen gibt es von „bob013“ [hier], Holger Kötting [hier] und von „Johony“ [hier].
Straßenbahntransport.

Bild 45: Am 22. Dezember 2022 fotografierte Tilmann Wittig die Anlieferung des Triebwagens 22101.

Anmerkungen

Am Ende der angeklickten und eingefärbten Anmerkung geht es mit dem Return ( ⏎ ) zum Text zurück.

  1. Eine mir vorliegende Aufstellung der Privat­anschlüsse im Bereich des Bahnhofs Darmstadt zum 1. November 1962 führt den Gleis­anschluß nicht mehr auf. Zur Sand­anlieferung 1956/58 Erinnerungen von Herrn M. aus Weiterstadt vom April 2021. – Reinhardt & Co, soll 1908 gegründet worden sein und wurde 1974 aus dem Handels­register gelöscht; siehe auch HStAD H 14 Darmstadt Nr. R 1747 [nicht eingesehen].   
  2. Es gab bis 1929 in Darmstadt eine Hessische Draht­stiftefabrik. Diese ist hier nicht gemeint. Die Mittel­deutsche Draht­stiftefabrik wurde 1964 aufgelöst.   
  3. Die Angaben der Darmstädter Adreßbücher sind grundsätzlich mit einer gewissen Skepsis zu betrachten. Generell dürften die Angaben stimmen, aber der Teufel steckt im Detail.   
  4. In der Akte HStAD G 43 A Dampf­kessel­inspektion – bei meiner Durchsicht im Mai 2019 aus 25 Archiv­kartons bestehend – gibt es im Darmstadt-Teil einen verblaßten Lageplan über die Gleise im Fabrik­viertel zwischen Pallas­wiesen- und Weiterstädter Straße von 1926. Dort sind die Anschlüsse Drahtstifte­fabrik, Mahr und Lippmann May (aber nicht im Detail!) eingezeichnet.   
  5. Annonce im Darmstädter Tagblatt vom 29. Juli 1924 [online ulb darmstadt].   
  6. Groß­herzoglich Hessisches Regierungs­blatt Nº 24 vom 31. Oktober 1913, Seite 288. Die Jubiläums­schrift „50 Jahre Konsum­genossen­schaft Darmstadt e.G.m.b.H. 1900–1950“ von 1950 enthält keinen Hinweis auf den Standort und den Gleis­anschluß in der Weiter­städter Straße.   
  7. Am 19. Oktober 1901 beschloß die Stadt­verordneten­versammlung, das Mahr'sche Anwesen neben dem Armenhaus zum Preis von 100.000 Mark anzukaufen, siehe Darm­städter Zeitung vom 11. Oktober 1901 [online ulb darmstadt].   
  8. Zwischen 1930 und 1933 erschienen keine weiteren Adreßbücher. Wann Feuchtwanger sein Geschäft schließen mußte, ist genauso unklar wie die Antwort auf die Frage, wann und weshalb die Stadt Darmstadt das Gelände erworben hat. Vielleicht für die Siedlung am Neu­wiesenweg?   
  9. Die Handelsregisterakte von Lippmann May in HStAD G 28 Darmstadt Nr. 1337. Das Entschädi­gungs­verfahren in HHStAW, 518, 24487 [nicht eingesehen]. Ansonsten die Bekannt­machungen des Amts­gerichts Darmstadt im Darm­städter Tagblatt vom 1. Juli 1890 [online ulb darmstadt], 21. Februar 1898 [online ulb darmstadt], 17. Februar 1899 [online ulb darmstadt] und 13. Januar 1909 [online ulb darmstadt].   
  10. In der Unternehmens­chroinik der EMRO GmbH findet sich eine Abbildung des Werkstores, wie es Ende der 1970er Jahre anzutreffen war. Es gehört nicht viel dazu, sich hier die Gleis­einführung zu denken.   
  11. Die Aufnahme entstammt dem Darmstädter Echo vom 13. Oktober 1998; hier eingescannt vom abgedruckten Bild. Wieder­gegeben mit freundlicher Erlaubnis des Fotografen.   
  12. Zu dem Darm­städter Tauben­wahn habe ich 2013 einen Aufsatz geschrieben: Wer Tauben füttert, wird eingebuchtet.   
  13. Wann Jacob Trier seine Eisenwaren­handlung in der Großen Ochsen­gasse eröffnet hat, habe ich nicht näher erforscht. Den ersten Hinweis habe ich im Darm­städtischen Tag- und Anzeige­blatt vom 5. Oktober 1833 gefunden [online ulb darm­stadt].   
  14. Es gibt hierzu einige Blatt Schrift­verkehr in den Akten des Archivs des Eisenbahn­museums in Darmstadt-Kranich­stein. Im Firmen­archiv von Hofmann-Rieg scheint es hierzu keine Bilder oder Unterlagen zu geben.