Fabrik. Blick auf das Fabrikgelände. Quelle: Adreßbuch 1908.

Die Maschinenfabrik und Eisengießerei Darmstadt

Kapitel 1: Hektor Rößler richtet eine Werkstätte ein

Die schon zuvor bestehende Maschinenfabrik und Eisengießerei in Darmstadt wurde mit Unterstützung der ebenfalls in Darmstadt ansässigen Bank für Handel und Industrie 1857 in eine Aktien­gesellschaft umgewandelt. Die Liquidation des Unternehmens wurde mit der General­versammlung am 21. Dezember 1878 eingeleitet.

Kapitel 1 behandelt die Unternehmens­vorgeschichte von 1807 bis etwa 1843. Der Mechanikus Hektor Rößler richtet sich eine optische und mechanische Werkstatt ein und verbessert die Münz­prägung der Darmstädter Residenz. Hierbei läßt er die erste Dampfmaschine des Groß­herzogtums bauen. 1817 wird er zum Münzmeister berufen und erhält 1832 den sogenannten „Charakter“ eines Münzrates.


Nach einer Fragestellung und einer Kapitelübersicht beginnt hier die Geschichte der Maschinenfabrik und Eisengießerei Darmstadt.

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Hektor Rößler richtet eine Werkstätte ein

Darmstadt um 1800

Darmstadt war 1800 ein etwas zu groß geratenes Dorf mit rund 10.000 Bewohnerinnen und Bewohnern. Als Hauptstadt einer kleinen Land­graf­schaft war das klein­städtische Leben auf die Bedürfnisse des Hofes und des Militärs abgestimmt. Ein Bürgertum war allenfalls im Entstehen begriffen und noch besaßen die Zünfte einen gewissen Einfluß auf Handel und Gewerbe. Viel zu sagen hatten die Unter­tanen nicht, erst recht nicht diejenigen, die mehr oder weniger von der Hand in den Mund leben mußten. Bettelei war allgegen­wärtig und die Obrigkeit fürchtete Aufruhr und Ungehorsam. Die Französische Revolu­tion hatte ihre Armeen bis an den Rhein gebracht und deren Ideen waren auch ohne militärischen Beistand allgegen­wärtig. Die Damen und Herren von Gottes Gnaden mußten um ihre Ausbeuter­innen- und Ausbeuter­rechte fürchten, allen voran Landgraf Ludwig X., dem zu Ehren das unter­würfig gehaltene Volk Jahr­zehnte später auf dem Luisen­platz einen großen Phallus hin­pfanzen sollte. An der Errichtung dieses Ludwigs­monuments war die Maschinenfabrik und Eisen­gießerei beteiligt. [1]

Polizei-Publikandum gegen Bettelei.

Abbildung 01.01: Polizei-Publikandum gegen Bettelei. „Man hat die Anzeige erhalten, daß verschiedene Bewohner vor der Stadt liegender Häuser von fremden unbekannten Fußgängern Felleisen und Reisebündel in Verwahrung nehmen, und dieselbe da­durch in den Stand setzen sich desto leichter unbemerkt in die Stadt zu schleichen. Da hier­durch nicht nur die Bettelei begünstigt – sondern auch die Sicherheit des Eigen­thums gefährdet wird; so sieht man sich veranlaßt, gegen ein solches Benehmen mit dem Anfügen öffentlich zu warnen, daß, wenn jemand sich dessen fernerhin schuldig machen sollte, derselbe mit einer Strafe von 5 R[eichs]­th[a]l[e]rn belegt werden wird.“ Quelle: Darm­städtisches Frag- und Anzeige-Blatt vom 18. September 1809, ULB Darmstadt; stell­vertre­tend für wieder­kehrend publizierte derartige Verlaut­barungen mit Straf­andro­hung. [2]

Dennoch besaßen die Untertanen einen ganz eigenen Humor bei ihrer Aufmüp­fig­keit. Sie warfen ihren Unrat in den Schloß­graben des aller­durchlauch­tigsten Landes­herren und schreckten auch nicht davor zurück, lebendes und totes Vieh dort abzuladen. Keine und niemand soll behaupten, daß sich die Menschen damals besser verhalten hätten als heute. Die Klage über den Verfall von Sitte und Moral ist so alt wie die Dekadenz der jeweils herrschenden Klassen. Was jedoch auffällt ist, daß die damaligen Zeit­genossen ihre „frevle­rischen“ Energien gezielt gegen die Symbole der Macht gerichtet haben. [3]

Polizei-Publikandum gegen Müllentsorgung.

Abbildung 01.02: Polizei-Publikandum gegen die Müllent­sorgung im Schloßgraben. Quelle: Darm­städtisches Frag- und Anzeige-Blatt vom 17. November 1800, ULB Darm­stadt.

Landgraf Ludwig lavierte bei der französischen Expansion nach Osten zwischen den Fronten und vergrößerte durch geschickte recht­zeitige Stellungs­wechsel das land­gräf­liche Terri­torium erheblich. Der Wiener Kongreß bestätigte seine neuen Erwerbungen, auch wenn er dabei Westfalen mit Rhein­hessen vertau­schen mußte. Das wurmte den nunmehr als Groß­herzog auftretenden Adligen wenig, waren doch die Gebiete des ehemaligen Kur­fürsten­tums Mainz wirt­schaft­lich wesent­lich potenter. Auch Darmstadt profitierte von der Erwei­terung des Terri­toriums und von der erheblichen Zunahme der Unter­tanen. Das kleine Städt­chen verdoppelte in nur zwei Jahr­zehnten die Zahl seiner Bewohner­innen und Bewohner. Zögerlich noch um 1800, aber fast schon unge­hemmt nach der Niederlage Napoleons wurde das neue Stadt­viertel im Westen, die Moller­stadt, und mehr noch das Gebiet im Süden bis hin nach Bessun­gen mit neuen Häusern versehen. Die kleine Stadt verän­derte ihren Charak­ter und war nicht mehr ganz so sehr auf die Altstadt und das Hof­schran­zen­tum zentriert. 1820/21 sollte ein Wein­händler namens Jakob Alleborn im Norden der Stadt ein neues Ausflugs­lokal erbauen lassen, das im Verlauf der hier vorge­legten Geschichte der Maschinen­fabrik und Eisen­gießerei noch eine Rolle spielen sollte. [4]

Einige Jahre zuvor, sicher vor 1766, siedelte sich der aus Bacharach am Rhein herkommende Johann Peter Rößler (3. Februar 1733 bis 5. Januar 1806) in Darmstadt an. Er war schon „Burger“ der Stadt, als er am 9. Mai 1766 in das gehobene Bürgertum der Stadt einheiratete und dabei die Tochter des zeit­weiligen Ober­burger­meisters Johann Heinrich Schwarz (9. Juni 1706 bis 24. November 1770) ehelichte. Die noch aus Butzbach stammende Marie Margarethe (auch: Margretha) Schwarz (10. November 1743 bis 17. Januar 1827) gebar am 31. März 1767 einen ersten Sohn Johann Heinrich, der jedoch am 8. Oktober 1784 früh verstarb. Johann Peter etablierte sich als Landgräf­licher Hofdreher­meister und wurde am 8. Januar 1806 nach einer Lebens­spanne von 72 Jahren, elf Monaten und zwei Tagen bei der reformierten Gemeinde in Darm­stadt beerdigt. Das Paar hatte neun Kinder, von denen nur die drei Brüder Jakob, Hektor und Friedrich die Schwelle zum 19. Jahrhundert erreichten. Eine hohe Kinder­sterblich­keit war der Normal­fall in einem wenig hygienischen Umfeld und bei einer noch nicht sehr entwickelten ärztlichen Kunst. [5]

Ein findiger Kopf

Der Protagonist der ersten fünf Kapitel ist Johann Hektor Rößler, der am 25. April 1779 geborene sechste Sohn von Johann Peter und Marie Margarethe [6]. Dem damaligen Zeitgeist entsprechend wurden Bestand­teile der Vor­namen auf die nach­folgenden Genera­tionen über­tragen, mit dem auch für die Forschung zuweilen irritierenden Effekt, die personae dramatis mit­einander zu ver­wech­seln. Infolge­dessen finden wir mehrere Hektor Rößlers vor, so unseren Prota­gonisten, im Folgenden als „sen.“ bezeichnet, seinen Sohn, der sich als Sekre­tär des Landes­gewerbe­vereins bei der Förde­rung der regionalen Wirt­schaft hervor­tat (1806–1875, im Folgenden als „jun.“ bezeichnet), sowie zwei Enkel, von denen der eine noch als Münz­assistent in Darm­stadt faßbar wird, bevor er relativ jung ver­stirbt (1833–1864), und der andere, der in Frank­furt als Chemi­ker tätig war (1842–1915) und mit seinem Bruder Heinrich (und Bank­kapital) die Degussa gründete. [7]

„Hektor Rößler,

Großherzoglich Hessischer Münzrath etc.
Nekrolog.

Am 9. November d[ieses] J[ahres] hat der Tod einen Mann aus unserer Mitte abberufen, dessen Andenken lebendig bleiben wird in den Herzen Aller, die ihn näher kannten. – Seinen drei aufeinander folgenden Regenten ein treu ergebener Diener, dem Staat ein gewissenhafter fleißiger Beamter, in weiteren Kreisen geachtet und geehrt durch seine hervorragenden Leistungen im mechanischen Fach, seiner Familie ein treuer, sorgsamer Vater und ein treffliches Vorbild der Liebenswürdigkeit und Tugend, seinen zahlreichen Freunden ein redlicher Rathgeber, Helfer und jovialer Gesellschafter; dies war der Großherzogliche Münzrath Hektor Rößler.

Geboren am 25. April 1779 zu Darmstadt, Sohn des damaligen Hof­drehers Rößler, widmete er sich dem mechanischen Fach und trat im 14. Lebensjahr bei dem Hof­mechanicus Fraser in die Lehre. Nach bestan­dener Lehrzeit begab er sich zur weiteren Ausbildung auf Reisen und arbeitete in den Städten Jena, Gotha, Stuttgart und Paris in den renom­mir­testen Werk­stätten. Ueberall erwarb er sich den Ruf eines ausge­zeichneten Arbeiters. Insbe­sondere war sein Aufent­halt in Stuttgart (bei Baumann) und Paris von großem Einfluß auf seine tech­nische Aus­bil­dung. [8]

In seine Heimath zurückgekehrt, wurde er auf Veranlassung hoher Gönner, die schon mit seinem Vater befreundet waren, und durch die Gnade seines Landesherrn im Jahr 1804 durch Decret und mit Besoldung, als Universitäts­mechanicus in Gießen angestellt. In dieser Stelle verblieb er indeß nur bis zum Jahr 1806, wo er wiederum nach Darmstadt, mit Beibehaltung seiner Besoldung, als Hofmechanicus übersiedelte.

Veranlassung gaben hierzu insbesondere auch der verstorbene Oberbau­director Schleiermacher und Geheimrat Eckhardt. Diese beiden Männer, als ausgezeichnete Mathematiker, Physiker und Geodäten bekannt, traten in nahe Beziehungen zu Rößler. Deren fruchtbringenden Ideen, sowie der großen mechanischen Begabung von Rößler verdanken wir seine Reihe sehr bedeutender Verbesserungen an physika­lischen, geodä­tischen und astrono­mischen Instrumenten. Die Aufzählung derselben würde hier zu weit führen. Das Atelier Rößler's erwarb sich einen wohl­begründeten Ruf in ganz Deutsch­land; seine Instrumente waren überall geschätzt und gesucht.

Nach dem Tode des damaligen Münzmeisters Fehr wurde Rößler (am 6. Juni 1817) unter der Erlaubniß, seine mechanische Werkstätte fort­führen zu dürfen, zum Großherzoglichen Münzmeister ernannt. Bis zum Jahr 1832, wo seine Besoldungs­verhältnisse anders regulirt wurden und seine Ernennung zum Großherzoglichen Münzrath erfolgte, betrieb er das Privat­geschäft fort. Als Münz­meister hat Rößler sehr Bedeutendes geleiste[t]. Außer in Berlin, befanden sich damals die Münzen meist in jämmer­lichem Zustande in Deutsch­land. Nach einer Reise, auf welcher Rößler die Haupt­münz­stätten besuchte, wurde im Jahr 1831 die neue Münze in Darm­stadt ganz nach seinen Plänen erbaut. Dieselbe galt damals mit Recht als Muster­anstalt in Bezug auf Einfach­heit und Zweck­mäßig­keit in der Anordnung, sowie Schön­heit ihrer Erzeugnisse. Mittler­weise ist man natür­lich auch an anderen Orten vorangegangen.

Bei der Errichtung der Münzstätten in Frankfurt, Wiesbaden und Bern zog man unsern Rößler zu Rathe und führte deren Einrichtungen größten Theils nach seinen Plänen aus. Diese Anstalten, sowie ferner diejenigen von Stuttgart und Straßburg, empfingen die heute noch im Gebrauch befind­lichen Münz­maschinen, als Walz­werke, Anwürfe und Präg­maschi­nen etc. aus der von Rößler geleiteten Maschinen­fabrik. – Sehr wahr sagt ein bewährter Freund und College eines Nachbar­staats von unserem Rößler: ‚Es hat Vieles erlebt und viel gewirkt in allen Rich­tungen seine thätigen Lebens. Denken wir nur daran, wie die Münz­einrich­tungen waren und wie sie geworden sind und wie er voran­ging. Wenn die Jungen jetzt höher stehen als wir, so waren wir es doch, die dazu beige­tragen haben, daß es so gekommen ist.‘

Die Thätigkeit Rößlers blieb in seiner neuen Stellung und nach Aufgabe seines mechanischen Ateliers nicht auf das Münzwesen beschränkt. Sein reger Geist und seine unermüdliche Thätigkeit, seine Liebe zur Technik, veranlaßten die Gründung einer Maschinenfabrik, der ‚Maschinenfabrik und Eisengießerei zu Darmstadt‘, zu welcher er bis vor wenigen Jahren, wo dieselbe eine Umgestaltung erfuhr und größere Ausdehnung erlangte, in naher Beziehung stand und die jetzt zu den bedeutendsten Etablis­sements der Art im Großherzog­thum zählt.

Auf seine Anregung erhielt die Großh[erzogliche] Münze im Jahre 1830 eine Dampfmaschine, die erste im Großherzogthum. Er war der erste, der am hiesigen Platz Leuchtgas (aus Oel) darstellte, und damit seine Wohnung und die Werkstätte beleuchtete. Unter seiner Leitung wurden mannigfache besondere mechanische Arbeiten für den Staat ausgeführt, wie z. B. die Herstellung der Normalmaßstäbe und Normalmaaße für die Großh[erzoglichen] Eichämter bei der Einführung des neuen Maaß- und Gewichtsystems etc.

Rößler gehörte dem Ausschuß des Großh[erzoglichen] Gewerbvereins seit der Gründung des Vereins als thätiges Mitglied an.

Im Jahr 1854 feierte Rößler sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum in seltener Körper- und Geistesfrische. Noch 8 Jahre, bis zum Jahre 1862, verblieb er im activen Staatsdienst, gleichzeitig mit Sohn und Enkel – gewiß ein seltener Fall. Auf sein Nachsuchen pensionirt, trat er unter huldvoller Anerkennung seines Strebens und seiner Leistungen in den Ruhestand. Er hatte sich während seiner 58jährigen amtlichen Thätigkeit stets der Gnade von drei aufeinander folgenden Regenten und der verdienten Anerkennung seiner vorgesetzten Behörden zu erfreuen. Im Jahre 1838 wurde er durch Verleihung des Ritterkreuzes I. Classe des Ludwigsordens ausgezeichnet. Im Jahre 1845 empfing er das Ritterkreuz des kgl. bayeri­schen Verdienst­ordens vom heiligen Michael, in Anerkennung seiner vielfachen Verdienste, insbesondere um das Münzwesen. Im Jahre 1854 wurde ihm das Comthur­kreuz 2. Classe des Verdienstordens Philipps des Großmüthigen von Seiner Königlichen Hoheit dem Groß­herzoge Ludwig III. huldreichst verliehen.

Wir haben nur in allgemeinen Umrissen ein Bild von dem Lebenslauf und der Wirksamkeit des Verstorbenen entworfen; eine detaillirte Schilderung seiner Einzelleistungen müssen wir unterlassen. Hier gilt es aber den Gefühlen der Liebe und Verehrung einen Ausdruck zu geben.

Rößler war ein ganzer Mann nach Außen und nach Innen. Eine hohe, kräftige Gestalt; niemals von eigentlichen Krankheiten heimgesucht und gebeugt. Er lebte in den angenehmsten Familien­verhält­nissen. Was uns vor Allem an ihn fesselte, war die Güte seines Herzens, die Bescheiden­heit seines Sinnes, die rastlose Strebsam­keit seines Geistes, eine kernige markige Ausdrucks­weise und sein unverwüst­licher Humor, der ihn auch die Sorgen des Lebens mit Leichtig­keit und Fassung ertragen ließ. Er war ein Mann, dessen Thun und Streben des Nach­eifers in hohem Grade würdig ist und dessen Andenken bei allen Guten im Segen bleiben wird.“

Quelle: Darmstädter Zeitung vom 6. Dezember 1863. [9]

Nach seiner Rückkehr von einer mehrjährigen Wanderschaft wurde er 1804 in Gießen als Universitäts­mechanikus angestellt. Am 15. Oktober 1804 heiratete er Karoline Friederike Olf, die Tochter des im Finanz­ministerium beschäftigten Geheimen Kanzleidieners Johannes Olf (auch: Olff). Nachdem er 1806 nach Darmstadt zurückkehrte, muß er kurz darauf seine eigene Werk­stätte einge­richtet haben. Aber wo?

Vermutungen zu seiner Werkstätte

Die Jahreszahl 1807 verdankt sich einer Bemerkung in einer „Uebersicht der vorzüglichsten Gewerbe im Groß­herzogthum Hessen“, erschienen 1837 in den „Verhandlungen des Gewerbvereins für das Groß­herzogthum Hessen“. Dort wird ausgeführt, daß die erste mechanische Werk­stätte vor dreißig Jahren enstan­den sei. Ob es sich hierbei um eine gerundete Zahl handelt oder tatsäch­lich dreißig Jahre vergangen waren, ist nicht ersicht­lich. Einen Beleg aus dem Zeit­raum 1806 bis 1808 habe ich hierzu nicht finden können. [10]

Vermutlich wird es drei oder vier Standorte dieser Werkstätte zwischen 1806 und 1832 gegeben haben; denn 1832 mußte Hektor Rößler selbige schließen. Daß es in dieser frühen Zeit Adreß­bücher nur für 1819 und 1821 gibt, ist nicht hilfreich. Dennoch gibt es Indizien. Denn Hektor Rößler besaß wohl bis 1817 ein Haus in der Rheinstraße mit genügend Platz für eine Werkstätte. Wann er das Grundstück erworben hat, ist nicht bekannt, und damit auch nicht, ob es zuvor eine Werkstätte an einem anderen Ort gegeben haben mag.

Um 1800 begann die Expansion der wachsenden Stadt nach Westen über die bei der modernen Kriegs­führung nutzlos gewordenen Stadtmauer hinaus. Wer es sich leisten konnte, entfloh der Enge der Altstadt mit ihren dicht gedrängten Häusern und schmalen Gassen. Aus dieser Stadt­erweiterung ist dann später die Mollerstadt entstanden.

Entwurf von 1812.

Abbildung 01.03: Ausschnitt aus einem Entwurf einer Vergrößerung der Residenzstadt Darmstadt von 1812, ULB Darmstadt. Der Plan ist gewestet. Mittig von oben nach unten verläuft die Rhein­straße, ebenso mittig von links nach rechts die Grafen­straße.

1812 liegt ein Entwurf für die Ausgestaltung dieser Stadt­erweiterung vor; wobei die ersten Häuser bis hin zur Grafenstraße (deren Namens­gebung vollkommen unadeligen Ursprungs gewesen ist) schon erbaut waren. Im weiteren Verlauf der Rheinstraße werden auf der stadt­auswärts rechten Seite die Grundstücks­eigentümer (Train­lieutenant) Müller, Rößler, Lichthammer und Kraft genannt. 1813 wird L. C. Wittich das Müller'sche Grundstück erwerben und dort seine Hofbuch­druckerei errichten lassen. Das heißt: es handelt sich nicht um eine reine Wohn­anlage des begüterten Bürgertums, sondern eine gewerb­liche Nut­zung ist zumindest möglich gewesen. Gerade bei der Druckerei war sicher­lich damit Lärm verbunden. Deshalb ist es nahe­liegend, daß Hektor Rößler auf dem benachbarten Grund­stück seine Werk­stätte einge­richtet hat. [11]

Stellenangebot.
Abbildung 01.04: Zur Anfertigung seiner mathematischen Instrumente sucht Hektor Rößler Gehilfen. Quelle: Allgemeiner Anzei­ger der Deutschen vom 19. Februar 1810, BSB München.

Schon bald wird Hektor Rößler zur Anfertigung seiner diversen mechanischen und optischen Geräte Gehilfen benötigt haben, die er auch außerhalb seiner hessischen Kleinstadt anzuwerben sucht. Mitte oder Ende der 1810er Jahre wird sich der Mechanikus Johann Ludwig Buschbaum aus Michelstadt dazu gesellen. Dieser hingegen wird sich nicht um die optischen Feinarbeiten kümmern, son­dern um die verbesserte Ausstattung der Münze mit Werkzeugen.

1815 wird Hektor Rößler sein Geschäft um importierten eng­lischen Stahl erweitern können, denn Napoleons Konti­nental­sperre besteht nicht mehr. Aus einer Ge­schäfts­anzeige wird der Um­fang seines Sorti­ments ersicht­lich (siehe folgende Seite). Einen Buch­halter hat er wohl nicht ein­stellen wollen, weshalb er auf Bar­zah­lung besteht. Dies hat zudem den Vorteil, daß er säumi­gen Kunden nicht hinter­her­laufen muß. Diese Aus­wei­tung seines Geschäftes wird aller­dings nur zwei Jahre lang bestehen.

Handlungsanzeige.
Abbildung 01.05: Handlungs­anzeige von Hektor Rößler im Darm­städtischen Frag- und Anzeige­blatt vom 24. April 1815, ULB Darmstadt.

Am 13. März 1817 stirbt recht jung der 1778 oder 1780 gebo­rene Münzmeister Carl Wilhelm Fehr, Sohn des Remigius Fehr (1742–1810), ebenfalls Münz­meister, und Enkel von Georg Konrad Fehr, der auch Darm­städter Münz­meister gewesen war. Das Amt scheint quasi erblich gewesen zu sein und so ver­wundert es nicht, daß in den folgenden Jahr­zehnten drei Hekto­ren aus der Familie Rößler als Münz­meister aufeinander folgen. Viel­leicht war 1817 kein geeignetes Mitglied der Familie Fehr vorhanden, viel­leicht war es aber auch so, daß sich Hektor Rößler einen Namen als Mechanikus weit über die Landes­grenzen hinaus gemacht hatte, so daß es geradezu nahelag, ihm die an­spruchs­volle Aufgabe zu über­tragen, das hessische Münz­wesen grund­legend zu modernisieren.

„Des Großherzogs Königliche Hoheit haben am 6ten des laufenden Monats [Juni] den bisherigen Hof-Mechanikus Rößler dahier, zum Münzmeister bei der Großherzogl. Münzstätte allhier zu ernennen und zu erstellen […] gnädigst geruhet.“ [12]

Für den jeweiligen Münzmeister war eine Dienst­wohnung in der Münzstätte vorgesehen, die sich wiederum am Rande der Infanterie­kaserne befand. Folglich benötigte Hektor Rößler sein Haus in der Rheinstraße nicht länger und verkaufte es. Damit ging sicherlich einher, daß er seine Werkstätte in die neuen Räumlich­keiten mitnahm bzw. die dortigen Einrichtungen mitbenutzen konnte; allerdings unter Aufgabe einiger Geschäfts­zweige. Am 16. August 1817 gab er öffentlich bekannt:

Handlungsanzeige.

Abbildung 01.05: Handlungsanzeige von Hektor Rößler im Darmstädtischen Frag- und Anzeigeblatt vom 24. April 1815, ULB Darmstadt.

„Meine gegenwärtigen Dienst­verhältnisse erlauben mir nicht, die neben meinem Hauptgeschäft bisher geführten englischen Stahl­waaren und Kunst­produkte ferner beizu­behalten. Ich habe mich daher ent­schlossen, diese Artikel, bestehend in allen Arten Uhrmacher-Werk­zeugen, ver­schie­denen Werkzeugen für Schreiner und Sattler, plattir­ten Leuch­tern, Lichtscheeren, Rasirmessern, Garten- und Feder­messern, plattir­ten Sporn und Löffeln, Strick­stöcken und Nadeln etc. um den Ein­kaufs­preiß, gegen baare Bezahlung abzu­lassen. Indem ich dieses zur öffent­lichen Kennt­niß bringe, verfehle ich jedoch nicht, das geehrte Publikum zu be­nach­richtigen, daß ich meine mecha­nische Werk­stätte in ihrem gan­zen Umfange fort­während beibe­halte, und Bestel­lungen auf mathe­ma­tische und physika­lische Instru­mente aller Art auf das Pünkt­lich­ste besorgen werde. Auch sind die beliebten Blei­stifte nach wie vor in Dutzend bei mir zu haben.“ [13]

Im August 1817 teilt Hektor Rößler lapidar mit: „Unter­zeichneter ist Willens sein Haus in der Rheinstraße aus freier Hand zu verkaufen.“ Doch es fand sich erst einmal kein Käufer, und so mußte das Anwesen versteigert werden.

„Samstag den 20. Dezember Nachmittags um zwei Uhr soll auf hiesi­gem Rathhaus, das Wohnhaus in der Rhein­straße Lit. F Nro. 61, neben Herrn Hofbuch­drucker Wittich und Herrn Geheimen Ober­forstrath Licht­hammer, sammt Hofraithe, Garten und Hinter­gebäuden unter annehm­baren Bedingungen, entweder ganz, oder ohne das daneben liegen­de zu einem Bauplatz dienliche Gärtgen, wozu noch mehrere Schuh von der Hof­raithe gegeben werden, öffent­lich versteigt, und im Fall eines annehm­baren Gebots, sogleich unwider­ruflich zuge­schlagen werden.“ [14]

Angaben zu Gebäuden, die verkauft oder versteigert werden sollten, bei denen nicht (wie hier) die Adresse des Brand­versicherungs­katasters angegeben wurden, sondern nur die Eigentümer der Nachbar­gebäude, waren damals üblich. Dies hilft jedoch in diesem Fall bei der eindeutigen Zuordnung, denn Lit. F Nr. 61 ist in der Tat das Rößlersche Haus. Die Versteigerung war wohl erfolglos. Das Adreßbuch für 1819, das noch keine Haus­eigentümer nennt, führt unter Lit. F Nr. 61 den Marstall­amtssekretair Georg Wilhelm Chelius, den Geheimen Rath Ludwig Minnigerrode und den Hofschauspieler Franz Xaver Cajetan Krebs auf. Chelius erscheint im nachfolgenden Adreßbuch für 1821 unter F.62, also dem Nachbar­gebäude, während Krebs in Lit. F Nr. 61 bleibt. Minnigerrode wird 1821 im Distrikt E im „eigen Haus“ geführt, für das das Kataster aber noch keine Numero vergeben hat. Alle drei waren somit wohl eingemietet, denn 1821 wird als Eigentümer der Hofgerichtsrath Jacob Karl Meyer genannt. Es war, wie Hektor Rößler anderthalb Jahrzehnte an anderer Stelle nochmals feststellen muß, gar nicht so einfach, ein solides Wohnhaus zu einem annehmbaren Preis loszuschlagen. Ein Indiz für den erfolglosen Verstei­gerungs­termin ist ein weiterer Plan zur Gestaltung der Mollerstadt von 1818, in dem Rößler weiterhin als Eigen­tümer aufgeführt wird.

Entwurf von 1818.

Abbildung 01.06: Ausschnitt aus der Zeichnung der auf allerhöchsten Befehl ent­wor­fenen Vergrößerung der Residenz Darmstadt, entworfen von Georg Moller, datiert auf von 1818, ULB Darmstadt. Der Plan ist ebenfalls gewestet.

1828 wird mit dem Umbau und der Vergrößerung der Infanterie­kaserne begon­nen. Die Münze wird an die Stelle einer Kaserne am Mainthor verlegt und 1832 vollendet. Somit sucht Hektor Rößler 1828 eine neue Bleibe und findet sie im sogenannten „Neuen Chausseehaus“ an der Frankfurter Chaussee. Hier kann er ungestört die Dampfmaschine entwickeln, die zum Betrieb der Münze gehö­ren soll, ohne daß eine Explosion fatale Folgen für die aus viel Holz gebaute Alt­stadt haben kann. Dort, an der Chaussee nach Frankfurt gelegen, ist der letzte Ort seiner mecha­nischen Werkstätte zu finden. [15]

Zwei Kirchtürme und ein Theodolit

Hektor Rößlers erstes Projekt entstand als Vorarbeit zur Vermessung der Entfernung von der Darmstädter Stadtkirche zur Dorfkirche des westlich gelegenen Vororts Griesheim. Diese Vermessung bildete die Grundlage für die Vermessung der hessischen Lande, um darauf aufbauend Grundbuch­ämter einzurichten und Steuern zu erheben. Hierzu wurden sowohl exakt gebaute Vermessungs­latten benötigt als auch präzise gefertigte Theodolite. Hier kam die Werkstätte des Mechanikus ins Spiel.

Theodolit.
Abbildung 01.07: Der Rößler'sche Theodolit, abgebildet zu der Beschreibung desselben durch C. L. P. Eckhardt (1813), ULB Düssel­dorf.

Federführend waren der Geodät und spätere Präsident des Landes­gewerbe­vereins Christian Leon­hard Philipp Eckhardt und – vor allem für die trigono­metri­schen Berechnungen – der Ober­bau­direktor Ludwig Johann Schleier­macher. Die Vermessung fand vom 5. bis zum 29. Oktober 1808 statt und war eine tech­nische Meister­leistung von beein­drucken­der Präzi­sion. Vor allem, wenn wir die doch eher ein­fachen Mittel betrachten, ist sie umso erstaun­licher, weil erst die heutige laser­gestützte Vermes­sung genauere Ergebnisse zu lie­fern imstande ist. [16]

Zur Vermessung der Basis

„Von den geodätischen Operationen zur Verbindung der Observatorien Göttingen, Seeberg, Darmstadt, Mannheim, Speier und Strassburg gab Eckhardt in der, am 19. Sept. 1834 zu Stuttgart stattgefundenen, Naturforscher-Versammlung Nachricht, die dem Wesentlichsten nach in Folgendem bestand. Eckhardt brachte, um v. Zach's Wunsch der Ausführung einer trigonometrischen Verbindung Seeberg's mit Mannheim zu realisiren, in den Jahren 1804 bis 1807 mit sehr beschränkten Mitteln ein Dreiecks­netz zwischen Rastadt und dem Herzberg zu Stande. Dasselbe wurde als Grundlage der militärischen Charten von Haas benutzt. Im Jahre 1807 [sic!] massen Eckhardt und Schleiermacheh die Basis bei Darmstadt; mit dem von Rössler 1808 angefertigten astronomischen Theodoliten wurden die spätem Winkel­messungen der Hauptkette grösslentheils angestellt, und 1809 erhielt Eckhardt den Auftrag, Henry's und Tranchot's geodätischen Operationen in den Vogesen und im Rheinthale beizuwohnen. Hier wollte er mit Capitain Delcros die französischen Dreiecke in das Haupfnetz aufnehmen, und die Fortsetzung bis Seeberg gemein­schaftlich ausführen. Der grösste Thcil der Dreiecke von Strassburg bis Mannheim wurde von Delcros mitgenommen, von Mannheim bis an die Basis bei Darmstadt aber von ihm und Eckhardt gemein­schaftlich. Dann wurden beide Männer durch die damals ungünstigen Zeitereignisse getrennt. Später fingen von Darmsladt die eigentümlichen Dreiecke der gross­herzoglich hessischen Vermessung an, und erstreckten sich wie die frühem bis zum Knill. Nachher hatte v. Müiffling die Dreiecke bis zum Herkules und Seeberg als Theil seiner, schon (Bd. II. S. 165.) erwähnten, Längen­messung übernommen; doch erst im Jahre 1830 wurde die Verbindung mit Göttingen durch v. Brand zu Stande gebracht. Die astronomischen Beobachtungen nun, welche durch diese grosse Triangulation verbunden worden sind, müssen als sehr genau angesehen werden; die Formeln zur Einführung der Methode der kleinsten Quadrate bei den geodätischen Rechnungen waren von Schleiermacher entwickelt worden, und Eckhardt's Gehilfe, Hügel, hat alle Berechnungen mit Gewandtheit und Ausdauer gewissenhaft ausgeführt. Durch solche vereinte Kräfte war demnach ein Werk vollendet worden, das interessante Resultate geliefert hat, und von welchem Eckhardt glaubt, dass es sich in Betreff der Genauigkeit wohl an die bisherigen Grad­messungen anschliessen kann.

Quelle: Gustav Adolph Jahn : Geschuchte der Astronomie vom Anfange des neunzehnten Jahrhunderts bis zum Ende des Jahres 1842. Zweiter Band [1844, ETH Zürich], Seite 174–175.

Theodolit.
Abbildung 01.07: Der Rößler'sche Theodolit, abgebildet zu der Beschreibung desselben durch C. L. P. Eckhardt (1813), ULB Düssel­dorf.

In seiner Werkstätte baute(n) Hektor Rößler und/oder seine Mitarbeiter nach einer aus Paris stammen­den Vorlage zwei präzis gefertigte Toisen (Toise du Pérou) nach. Diese wurden als Vermes­sungs­latten so anein­ander­gesteckt, daß jegliches Verrut­schen ausge­schlossen war. Die Rößler'sche Toise wurde in der Folge empfohlen. So schreibt Johann Friedrich Benzenberg 1831:

„Ich habe mir eine Copie von der Peruer Toise im Jahre 1804 aus Paris mitgebracht. Es ist eine eiserne platt­geschliffene Stange von 6 paris. Fuß Länge, 1½ Zoll Breite und 1/3 Zoll Dicke. Sie ist von Lenoir verfertigt, und in meiner und, des Astronomen Bouward Gegenwart vier­zehn­mal unmittelbar mit der Toise ver­glichen worden, welche bei der Peruer Grad-Messung gebraucht wurde, und die das genaueste und in Europa am allgemein bekann­teste Grund­maß ist. Bei dieser Ver­glei­chung fand sich, daß meine Toise nur um 1/890 einer Linie länger war als die Peruer. Da dieses auf eine Stand­linie von 5 Stunden nur etwa ein Zoll beträgt, so ließ sie der Künst­ler wie sie war. Der Preis der Toise ist 161 Franken.

Da man indeß nicht immer Gelegenheit hat, die Maaße unmittelbar mit den Urmaaßen vergleichen zu können, so bestellt man seinen Maaß­staab bei einem geschickten Künstler in Deutschland, wie z. B. bei Herrn Hof-Mechanikus Baumann in Stuttgardt, oder bei Herrn Hof-Mechani­kus Rößler in Darmstadt, oder bei Herrn Mauch in Cöln. Diese haben sich von Paris sehr genaue Maaßstäbe verschafft, und man kann sich darauf verlassen, daß sie diese mit aller Sorgfalt nachmachen. Herr Mauch hat außer der Pariser Toise, auch noch das Meter, welches der Fürst Primas selber von Paris mitbrachte.“ [17]

Bei der Darmstädter Vermessung wurde die Ausdehnung der Latten durch Temperatur- und Witterungs­einflüsse berück­sichtigt. Auch der hierbei ver­wendete Theodolit entstammte seiner Konstruktion. [18]

Zunächst wurde mit der Landes­vermessung des 1802/03 der Land­graf­schaft Hessen-Darmstadt zuge­schlagenen Herzog­tums Westfalen im Bereich um Arnsberg begonnen. In Rößlers Werk­statt gefertigte Theodolite wurden 1812 zur Vermes­sung bei der proviso­rischen Anlage des Dreieck­netzes 1. Ordnung im Herzog­tum Westfalen eingesetzt; 1817 nutzten der Ingenieur­geograph Johann Nikolaus Emmerich und der Choro­graph Padberg zur Vermes­sung des Arnsberger Teilnetzes den Repetitions­theodoliten Nr. 25 aus Darmstadt. 2014 erwarb der Verein Förder­kreis Vermessungs­technisches Museum e. V. in Dort­mund einen solchen um 1815 von Rößler ersonnenen Theodoliten. [19]

Zu Rößlers Bedeutung für das Vermessungs­wesen schreibt Wilhelm Breithaupt ein Jahr­hundert später:

„Hektor Rössler (1779–1863), Münz­meister und Hof­mechanikus in Darm­stadt, hat eben­falls Anfang dei 19. Jahr­hunderts gute Theodolite gebaut, besonders die von Lenoir am Borda­kreis angebrachte Repe­titions-Einrich­tung ihrer vielen Mängel wegen mit Vorteil durch seine Einrich­tung ersetzt. Auch den Höhen­kreis seines Theodolits hat Rössler mit Repetition versehen, was aber bei geo­dätischen Theo­doliten später, so viel mir bekannt, nur einmal wieder­holt worden ist; dagegen waren die Vertikal-Kreise der Reflexions-Goniometer von Breit­haupt stets mit Repetition versehen. Der Rössler­sche Theodolit ist beschrie­ben und abge­bildet: Eckardt, Repetitions-Theodolit von Rössler, Darm­stadt 1813 und Netto, Vermes­sungs­kunde, Berlin 1820, Seite 164 Fig. 55.“ [20]

Einer unscheinbaren Annonce im „Darmstädtischen Frag- und Anzeigeblatt“ von 1834 können wir entnehmen, daß Rößlers Theodolite – wohl unter den angehen­den Geometern des Groß­herzog­tums – auch weiterhin begehrt waren. Dem­nach war ein „Rößlerischer Theodolyt mit neuer Einrich­tung […] billig zu ver­kaufen“. Die Annonce mußte nur einmal wieder­holt werden, danach war das Gerät verkauft. [21]

Es ist sicherlich nicht verfehlt zu sagen, daß Rößlers Vermessungs­geräte seinerzeit state of the art waren. Das scheinen seine Zeit­genossen ähnlich gesehen zu haben, wie etwa 1834 Hermann Umpfenbach, Professor für Mathe­matik an der Universität Gießen.

„Selbst aber bei der Messung des horzontalen Winkels bedarf es Vorrichtungen, durch welche man erkennt, ob der Stand des Stativs sich nicht etwas in der Zeit verrückt hat, während welcher man das öfter vervielfachte Maaß eines Winkels bestimmt; will man aber auch den Höhenwinkel genau messen, so bedarf es noch eigen­thümlicher Vorrichtungen, theils um genau zu ermitteln, ob die Axe der Fernrohre wirklich horizontal sey, wenn der Null­punct des Nonius auf dem Null­punct des Limbus steht, theils aber auch um sowohl den Höhenkreis als auch seinen Noniuskreis successiv um eine horizontale Axe zu drehn. Werk­zeuge, welche allen diesen Erfordernissen Genüge leisten, nennt man Repetitions-Theodolithen. Sie wurden bei uns zuerst in der gehö­rigen Vorzüg­lichkeit aller ihrer einzelnen Theile ausgeführt von dem Mechanicus Rößler in Darmstadt. Wir besitzen hier zwei von diesem verdienst­vollen Künstler verfertigte Werk­zeuge dieser Art, in gleicher Voll­kommen­heit werden sie noch von seinem Nachfolger dem Mecha­nicus Siener in Darmstadt verfertigt, von denen wir gleichfalls ein Exemplar besitzen.“ [22]

Optische Präzisionsgeräte hatten schon damals ihren Preis. So verlangte Hektor Rößler für seinen am besten ausgestatteten Theodoliten stolze 500 Gulden. Es handelte sich hierbei um einen siebenzölligen Repetitions­theodoliten für Horizontal- und Höhenwinkel, so wie er von Christian Eckhardt beschrieben worden war (Abbildung 01.07). Die sechszöllige Variante, mit der nur der Horizontal­winkel repetiert werden konnte, kostete immer noch 330 Gulden. Die einfachste Version kam auf 125 Gulden. [23]

Wem die Sonne scheint

Hektor Rößler arbeitete auch in der Folgezeit eng mit Schleier­macher zusam­men. Dieser soll die in der Rößler'schen Werkstätte herge­stellten Objektive nachgemessen und durchgerechnet haben und so vielleicht zu seiner ausführ­lichen theore­tischen Durch­dringung der Optik gekommen sein. Wie diese Zusammen­arbeit ausge­sehen haben kann, darauf gibt dessen Enkel August Schleier­macher in einem von ihm in den 1920er Jahren verfaßten Lebens­lauf seines Groß­vaters einen Hinweis:

Meßpunkt.
Bild 01.08: Ausgangs­punkt der Basis­messung von 1808. Der Meß­punkt wurde 1969 zur Erinnerung an die historische Pioniertat an der Westseite des Residenz­schlosses eingebracht. [24]

„Es wäre ganz verfehlt Schleiermacher nach den umsichtigen und darum weitläufigen Entwick­lungen in seiner Optik für einen unprakt­ischen Theoretiker zu halten, es ist im Gegenteil sicher, dass ihm gerade die Anwendung bei allen seinen Unter­suchungen vor Augen lag. Hätte er mit leistungs­fähigen Werk­stätten in Verbin­dung gestanden, so wäre schon damals ein Erfolg seiner Arbeit nicht versagt geblie­ben. Zu seiner Zeit stand ihm in Darm­stadt nur ein ge­schickter Mecha­niker, Roess­ler, zur Seite, der sich auch mit dem Schleifen von Pris­men und Linsen befasste, aber mit beschränk­ten Hilfs­mit­teln nicht viel leisten konnte. Zu einem ‚3-fachen Objektiv nach Schleier­macher‘ von 80 mm [Durchmesser] hat Roess­ler eine biconvexe Kron­linse und die biconcave Flint­linse geschlif­fen. Letztere hat jedoch solche Schlieren, dass vermut­lich die Voll­endung des Objek­tivs an der Unmög­lich­keit brauch­bares Flint­glas zu beschaffen geschei­tert ist. Die Berech­nung zu diesen Objektiv ist bisher nioht aufge­funden worden.“ [25]

Hans Boegehold gibt als ein erstes gesichertes Datum dieser Zusam­men­arbeit auf optischem Gebiet den 3. Juli 1814 an. Schleier­macher notierte dieses Datum im Zusammen­hang mit einer Bestimmung der Brechungs- und Zerstreuungs­verhältnisse der von Rößler verfertigten Prismen. Boegehold konnte in den 1920er und 1930er Jahren noch Einsicht nehmen in die vorhan­denen Schleier­macher'schen Unterlagen, die im Zweiten Weltkrieg verbrannt sind. Erst andert­halb Jahrzehnte später, 1829 und 1830, scheint Schleier­macher wieder auf Rößler und dessen Prismen zurück­gekommen zu sein. Schleier­macher unter­nahm mehrere neuerliche physika­lische Versuche und nannte Rößler als Optiker. [26]

1812 oder 1813 verfertigt Hektor Rößler eine auf den Vorgaben von Johann Helfrich von Müller beruhende und für die damaligen Verhältnisse sehr exakte Sonnenuhr.

Hektor Rößlers Sonnenuhr

Zu dieser Sonnenuhr schreibt Werner Stephan anläßlich einer Ausstellung über Sonnenuhren in der damaligen Hessischen Landes- und Hochschul­bibliothek 1980:

„Der Äquatorialring mit Zifferblatt ist auf drei Säulchen aufge­schraubt, die auf einer runden Grund­platte stehen. Um den Mittel­punkt des Stunden­kreises dreht sich ein Schieber mit Diopter­einrich­tungen an beiden Enden. Die Diopter sind für die verschie­denen Jahres­zeiten einstell­bar. Die Uhr ist auf einer Grund­platte, die mit Mauer­ankern versehen ist, drehbar aufzu­setzen.

Die Uhr zeigt die ‚mittlere Sonnenzeit‘ bis auf eine halbe Minute genau an. Man brauchte also keine Zeitgleichungs­tafeln mehr, um die wahre Ortszeit in die damals geltende ‚mittlere‘ Zeit umzurechnen.

Hektor Roessler (1779–1863) hat die Uhr in den Jahren 1812/13 nach einem Entwurf Johann Helfrich von Müllers (1746–1830) angefertigt.

Das Gerät gehört zu den seltenen Fällen, in denen man Ursache und Wirkung verfolgen kann.

J. E. Bode beschreibt in seinem ‚Astronomischen Jahrbuch für das Jahr 1814‘, erschienen 1811 in Berlin, (Sign.: Zs 4296), auf S. 230 den ‚Entwurf einer Sonnenuhr, die die zwölfte Mittagsstunde mittlerer Zeit angibt.‘ Davon wurde Müller offensichtlich ange­regt, eine noch bessere zu bauen.

Eine Beschreibung der Uhr ist im ‚Allgemeinen Anzeiger‘, Gotha 1815, 2. Bl. Num., Spalte 2241 – 2246 (Sign.: Zs 3009), zu finden. In einzelnen Punkten weicht diese Beschreibung von dem ausge­stellten Stück ab. Wahr­schein­lich hat Müller nach Abfas­sung des Aufsatzes noch Verbesse­rungen am Gerät vorgenom­men.

In einem, in der ‚Hessischen Chronik‘, 17. Jahrg, 1930, S. 1ff. (Sign.: Zs 3971) abgedruckten selbst­verfaßten Lebenslauf berichtet Müller, er habe die Sonnenuhr 1812 erfunden. Nach seinen Angaben hat er die Uhr in Messing ausführen lassen, um sie dem Großherzog 1813 im Juni zum Geburtstag zu über­rei­chen. Die Uhr sollte im ‚astro­nomischen Cabinet vor einem Fenster gegen Mittag befestigt‘ werden.“

Es ist allerdings auch denkbar, daß Beschreibung und Ausführung der Sonnenuhr deswegen leicht voneinander abweichen, weil der mechani­sche Künstler Hektor Rößler selbst einige Veränderungen hat einflie­ßen lassen. In dem genannten Aufsatz fügt von Müller eine Fußnote hinzu:

„Der hiesige Hofmechanicus Rößler hat bereits dergleichen verfertigt und erbietet sich, auf Bestellungen mehrere mit oder ohne Linsengläschen zu liefern; da aber nicht Jeder sich eine solche Uhr anschaffen kann, so bin ich nun auf eine Verviel­fälti­gung derselben durch Abgüsse von anderem Metall bedacht, wodurch sie ungleich weniger kosten werden.“

Die 1980 ausgestellte Sonnenuhr befindet sich im Fundus des Hessischen Landesmuseums mit der [damaligen] Inventarnummer Ph. C. 58/1. Die Grundplatte hat einen Durchmesser von 155 Millimetern, die Uhr ist 310 mm hoch. Als Material wurden Messing, Eisen und Weißblech verwendet. [27]

In der Literatur findet sich der Hinweis, daß sich Carl Zeiss 1840 bei Hektor Rößler in Darmstadt zur Vervoll­kommnung seiner Ausbildung aufgehalten haben soll. Das ist zwar drei Jahrzehnte nach der Basis­messung und dem Bau des ersten Rößler'schen Theodoliten, verdeutlicht jedoch das immer noch vorhandene Renommée des Darmstädter Mechanikus. [28].

Carl Zeiss in Darmstadt?

Auf der Webseite der Carl Zeiss AG ist zu lesen:

„Auch über seinen Arbeitgeber in Darmstadt ist nichts bekannt. Verschiedentlich wurde spekuliert, dass Zeiss in der Hauptstadt des Groß­herzogtums Hessen in der Fabrik von Johann Hector Roessler (1779–1863) tätig war, die vor allem Maschinen zur Münzprägung herstellte. Dies ist plausibel: Roessler war als Geselle in Jena gewesen, bekleidete in Darmstadt den Posten eines Universitäts­mechanikers und hatte vor seiner Ernennung zum groß­herzoglich-hessischen Münzrat im Jahr 1832 auch eine mechanische Werkstätte ähnlich der Körners in Jena betrieben. Gleichwohl ist die Annahme, Zeiss hätte bei Roessler in Darm­stadt Arbeit gefunden, nicht durch schriftliche Belege abge­sichert.“

Und an anderer Stelle wird ein Bewerbungs­schreiben von Zeiss wiedergegeben:

„Während des Zeitraums vom J[uli] 1838 bis May 1845 arbeitete ich zu meiner weiteren Ausbildung in den renommirtesten, physikalischen, optischen, mathematischen und Maschinen-Werkstätten Stuttgarts, Darmstadts, Wiens und Berlins, wobey ich nicht versäumte alle sich darbietenden Gelegen­heiten zu meiner weitern Vervoll­kommung in den dem Mechaniker nütz­lichen und nöthigen Hülfs­wissenschaften, resp. Künsten zu benutzen.“ [29].

Bei der Vervollkommung der Kenntnisse in den Hilfs­wissen­schaften wäre in Darmstadt auch an einen Besuch der 1836 gegründeten fort­schritt­lichen Höheren Gewerbeschule zu denken.

Auf der sechsten General­versammlung des Groß­herzoglichen Gewerbvereins in Darmstadt am 29. Juni 1841 sollte Hektor Rößler seinen von Friedrich Voigt­länder in Wien konstruierten Daguerre'schen Apparat ausstellen. Voigtländer hatte erst im Jahr zuvor damit begonnen, das von Daguerre entworfene Verfahren erheblich zu verfeinern. Hieran zeigt sich nicht nur, daß Hektor Rößler den Gang der technischen Entwicklung auch nach Vollendung seines 60. Lebensjahres sorgfältig beobachtete, sondern auch, daß er einer alten Liebe, der Beschäf­tigung mit optischen Instrumenten, treu geblieben war. [30]

Ein Land definiert sein Gewicht

Eichmaß.
Bild 01.09: Kontroll­normal für Flüssig­keiten, aus dem Eichgewichts­satz von Hector Rößler, 1818, Foto: Wolfgang Fuhr­mannek, © Hessi­sches Landes­museum Darm­stadt. Mit freund­licher Geneh­migung.

Bei der Einführung des metrischen Systems im Groß­herzog­tum Hessen 1818 finden wir wieder das gemein­same Wirken von Schleier­macher, Eckhardt und Rößler. Bislang koexis­tierten verschie­dene lokale und regionale Längen­maße, Flächen­maße, Gewichte und Hohl­maße neben­einander; manche Maße trugen denselben Namen, meinten jedoch etwas vollkommen Ver­schie­denes. Das durch Ludewig I. arrondierte Land sollte eine gemein­same Verwaltung, eine gemein­same Währung und ein gemein­sames Maßsystem erhal­ten. Die Entwick­lung von Handel und Gewerbe in einer entste­henden globalen Wirt­schafts­weise verlangte ohnehin nach einer Verein­heit­lichung der Maß­systeme, und hier bot sich das fran­zösische metrische System an. Groß­herzog Ludewig, der nur echt adelig mit einem zusätz­lich erfundenen „e“ in seinem Namen daher­stolzieren konnte, beauf­tragte Eckhardt damit, die Voraus­setzungen zu schaffen; und derlei geht nie ohne Aus­schüsse und Kommis­sionen vor sich, weshalb Eckhardt dann einer Groß­herzog­lich Hessischen Maß- und Gewichts-Commission vorsaß.

Schleiermacher, dessen Patenonkel der Großherzog war, bekam schon 1808 den Auftrag, die Leitung und den weiteren Ausbau der physikalischen Samm­lung des Landes­fürsten zu über­nehmen, das sogenannte Physika­lische Cabinet. Die Aufgabe Hektor Rößlers bestand darin, den zu dem neuen Maß­system gehörenden Eichsatz herzu­stellen. Das diesem Eichsatz entstam­mende und hierauf der nächsten Seite abge­bildete Kontroll­normal für Flüssig­keiten hat ein Volumen von 32 Kubik­zoll, was einem halben Liter ent­spricht. Mit Verord­nung vom 10. Dezem­ber 1817 trat das neue Maß­system am 1. Juli 1818 in Kraft. [31]

Eine weitere Auftrags­arbeit, die Hektor Rößler mit gewohnter Gründ­lich­keit ausfuhrte, beschreibt Johann Friedrich Schiereck mit Bezug auf den von ihm selbst erfun­denen Pediometer.

„Es wurde nun beschlossen, einige dieser Instrumente anfertigen zu lassen, und ich lieferte zu diesem Behufe die Beschrei­bung des Instru­ments, welches ich Katheto­meter nannte, die dem dama­ligen Mecha­nikus, jezigem Münz­meister Rößler in Darm­stadt, überschikt wurde, der einige dieser Instru­mente zur vollkom­menen Zufrieden­heit aus­führte, von denen ich noch ein Exem­plar besize.“ [32]

Hektor Rößler und seine Maßstäbe

1841 veröffentlichte Hektor Rößler (vermutlich der Senior) eine Ab­hand­lung über „Tafeln zur Verglei­chung und Reduktion der Längen­maße wie auch der Gewichte in verschiedenen europäischen Staaten“ nebst zwei zugehörigen Tafeln. [33]

Im Oktober 1862 findet sich im „Gewerbeblatt für das Großherzogthum Hessen“ ein Aufsatz über verbesserte „Punktir-Maßstäbe“, der auf die Rößler'schen Vorarbeiten eingeht:

„Schon vor einer Reihe von Jahren wurden in der dama­ligen mechanischen Werkstätte des Herrn Münzrath Rößler dahier Maßstäbe nach dem neuen Groß­h[erzoglich] Hess[ischen] Decimal­maße in Stahlblechen zur Ausfüh­rung gebracht, welche hin­sichtlich ihrer Richtig­keit bei Längen­messungen, wie deren Ueber­tragung auf Risse und Zeich­nungen etc. nichts zu wün­schen übrig ließen, sobald man sie nur bezüg­lich ihrer letzt­erwähnten Benutzung (der Ueber­tragung auf die Plan­zeichnung) mit einiger Vorsicht zu hand­haben verstand. Ein solcher Maßstab ist nämlich an seinem einen Längen­rande mit Spitzen versehen, welche die Länge eines halben hessischen Fußes, sowie der 5 Zolle desselben und zwischen dem ersten Zolle jene der 10 Linien, auf's Genaueste angeben. Die Räume zwischen den Zoll- und Linien-Spitzen sind nicht aus freier Hand mittelst einer Feile geschaffen, sondern zur Errei­chung möglich­ster Richtig­keit mit Hülfe einer Fräße und einer Längen­theil­maschine erzeugt, wie man sich an solchen Maßstäben durch den Augen­schein zu über­zeugen vermag. Die so gebildeten Spitzen konnten deßhalb, im Durch­schnitt betrachtet, nur viereckig entstehen. Demnach ergeben sich bei einem mit Vorsicht voll­zogenen, gleichmäßigen und nicht zu starken Ein­drücken derselben in Papier die zur Aus­füh­rung einer vollkom­menen Zeichnung erforder­lichen Punkte zwar immer als kleine vier­eckige Oeffnungen, dennoch in genü­gen­der Feinheit. Sobald man jedoch das richtige Maß dieses Ein­drückens in die Papier­fläche nur um Weniges über­schreitet oder die Unterlage des­selben ist nicht vollkommen eben, so veran­laßt die diesen Spitzen, der Dauer­haftigkeit halber, verlie­hene konische Form, größere vier­eckige Oeffnungen, welche bei einer allen Fleißes bedür­fenden Zeichnung zu Unrichtig­keiten Veran­lassung geben können und letztere bedeutend entstellen.“ [34]

Als Lösung dieses Problems offeriert der Artikelschreiber die entspre­chend angepaßten Punktier­maßstäbe des Hof­instrumenten­machers F. Mahr mitsamt dessen Preisvorstellung.

Der Münzmeister

Als Hektor Rößler 1817 zum Münzmeister berufen wurde, befand sich die Münze noch in der Infanterie­kaserne zwischen Alexander­straße (damals: Birngarten) und dem später weiter nach Osten verlegten Ballonplatz.

„Die M[ünze] selbst bestand aus zwei Gebäuden: einem Haupt­gebäude mit allen Werkstätten und Lager­einrichtungen sowie der 1703 hinzu­gekommenen, so genannten ‚Strecke‘. Sie enthielt die für die Münz­prägung notwen­digen mechanischen Werke, für deren Antrieb die Wasser­kraft des Mühlbachs genutzt wurde.“ [35]

Planausschnitt.

Abbildung 01.10: Ausschnitt aus dem „Plan von Der Fürstlichen Residentz Darmstadt“ von 1798, ULB Darmstadt. Der Plan ist geostet. Die vom unteren Bildrand kommende Straße ist der Birngarten, sie läuft in einem Platz aus, der hier sinnreich als „vor der Münz“ erscheint.

Das großherzogliche Bestreben, die Zurichtung von Soldaten in der klein­städti­schen süd­hessischen Metropole zu zentrali­sieren, führte u. a. zum Ausbau der Infanterie­kaserne. Daher mußte die Münze an einen neuen Standort auswei­chen. Ausschrei­bungen für Abbruch- und Bauar­beiten in den zeit­genössi­schen Darm­städter Zeitungen zufolge dürfte der Umbau 1828 begonnen haben. Georg Moller und Franz Heger planten hierzu zu Beginn der 1830er Jahre einen klassi­zistischen Neubau am Mathilden­platz [36]. Hektor Rößler nutzte dabei nicht nur die Gelegen­heit, den Innenraum der neuen Münze zweck­mäßig auszurichten, sondern ließ in seiner eigenen Werk­stätte, nunmehr vor den Toren der Stadt, nach einem verbessert ausge­führten auswärtigen Vorbild des Franzosen Saulnier [37] eine Dampf­maschine bauen, die wiederum das Streck­werk und ein kurz zuvor von Diedrich Uhlhorn konstruiertes Präge­werk betrei­ben sollte. Die Darm­städter Münze schloß 1881. [38].

Moment mal!

Alle Darstellungen zur Darmstädter Technik- und Wirtschafts­geschichte gehen davon aus, daß die erste hiesige Dampf­maschine in der neuen Münze stand. Und doch finden wir im Standard­werk „Darmstadts Geschichte“ folgende Passage:

„Die sich häufenden Anträge auf Zulassung fabrik­mäßer Manu­fakturen kamen nur dann zum Zuge, wenn sie mit den beste­henden Gewerben nicht konkur­rierten. […] Schlosser­meister Johann Philipp Ettens­berger durfte trotz der 1791 ver­hängten Bausperre für Grund­stücke außerhalb der Stadt, wo sich vor dem Sporer­tor schon seit etwa 1770 das Armen­viertel der Pancra­tien- oder Bangertsgasse entwickelt hatte, eine mecha­nische Werk­statt in seinem Garten vor der Stadt­mauer ausbauen, da der Lärm seiner Dampf­maschine außer­ordent­lich incommo­diren würde. Das Industrie­zeitalter kündigte sich an, doch wurde die von Wilhelm Haußmann geplante Zeug­fabrik noch 1797 verbo­ten, da sie der Tuch­macher­zunft Schaden zufügen konnte.“ [39].

Angesichts dessen, daß die erste deutsche Dampf­maschine erst 1785 installiert wurde, wäre dies – erst recht für die Werkstatt eines Schlosser­meisters – ein sehr früher Zeitpunkt für eine Dampf­maschine in Darmstadt. Auch die Begrün­dung erscheint etwas seltsam, denn das eigent­liche Problem bei dieser neuen Techno­logie bestand ja nicht im Lärm, sondern in ihrer Brand­gefahr. Eine Dampf­maschine in der Altstadt mit all ihren hölzernen Bauten wäre ein viel zu hohes Risiko gewesen; und das wußten die Stadt­oberen ganz gewiß auch.

Wenn diese Maschine ein halbes Jahr­hundert später nicht in den bekannten beiden Dampf­maschinen­listen auftaucht, liegt das sicher­lich an der Art der hierzu durch­geführten Erhebung des Landes­gewerbe­vereins. Den interessierte es wenig, was anno dunne­mals geschehen war, sondern er wollte den Stand der Moderni­sierung und Technik um 1850 herum erfassen.

Wir sollten wir daher fragen: was haben wir uns in den 1790er Jahren in Darmstadt unter einer Dampf­maschine vorzustellen? Hier hilft es vielleicht weiter, daß der damalige Kammer­rat Philipp Engel Klipstein in den 1780er Jahren mit Aeolipilen (ähnlich dem Heronsball) herum­experimentierte. Im Gegensatz zu den späteren Kraft­maschinen des Industrie­zeit­alters forschte er nach einer Alternative zu Blase­bälgen bei Metall­schmelzen, deren Betrieb auf Wasser­kraft beruhte. Ob Ettens­berger eine solche Dampf­maschine betrieb, ist jedoch nicht über­liefert.

»»  Zu Philipp Engel Klipstein und seinen Dampf­maschinen siehe meine mit weiter­führenden Literatur­angaben versehene Darstellung.

Carl von Decker kommt in seinen „Mitthei­lungen einer Reise durch die südlichen Staaten des deutschen Bundes, einen Theil der Schweiz, Tyrol, die Lombardei, und durch Piemont bis Genua“ vom Sommer 1839 auch auf Darmstadt und seine militäri­sche Organisation zu sprechen. Dabei schildert er seine Einladung zum geselligen Mittag­essen an der Tafel des Groß­herzogs. Als eine Art Verdauungs­spazier­gang mag der nach­folgende kurze Ausflug zum Münz­gebäude gedient haben.

„Da es noch hell am Tage war, so benutzten wir dies, um die hiesige Münze kennen zu lernen, und fanden bei dem Münz­rath Rößler eine höchst gefällige Aufnahme. Der hiesige Münz­apparat ist sehenswerth und die mechani­schen Einrichtungen sind mir sehr zweck­mäßig vorge­kommen. Eine Dampf­maschine, deren Konstruk­tion gerühmt wird, setzt die verschiedenen Münz­werke in Bewegung. Nachdem die Silber­platten gewalzt und mit Hülfe der soge­nannten ‚ewigen Kette‘ gestreckt sind, werden die rohen Scheiben ausgestanzt und sodann gewogen; fallen einzelne noch zu schwer in's Gewicht, so werden sie mittelst einer eignen Maschine behobelt. Noch muß ich bemerken, daß man die Platten, damit sie von den Streck­walzen ergriffen werden können, vorne mittelst einer sechs­eckigen Walze abschärft, was recht sinn­reich erfun­den zu seyn scheint, und eben so die Maschine, welche den Münzen die Ränder giebt. Das Prägen geschieht wie gewöhn­lich mit einem Balan­cier, aber die ausge­prägten Stücke werden durch einen beson­deren Mechanis­mus unter der Druck­schraube weg und eine neue rohe Scheibe dafür hinein­geschoben, was früher der Arbeiter mit den Fingern besorgen mußte, und wobei hie und da einer um ein Glied zu kurz kam. Wahr­scheinlich befindet sich dieser zweck­mäßige Mecha­nismus bereits bei allen neuen Münz­pressen und ich erzähle dadurch den Münz­künstlern nichts Neues, aber ich habe mir einmal vorge­nommen, Alles niederzu­schreiben, was mir von Interesse erschienen ist; man kann wenigstens daraus ersehen, daß das Münz­wesen in Darm­stadt mit der Zeit fortzu­schreiten bemüht ist. Es waren so eben neue ‚Rheinische Gulden­stücke‘ in Arbeit, zu 17⅓ Preuß[i­schen] Silber­groschen, und da diese Münze in allen Staaten des großen Zoll­verban­des ihre volle Gültig­keit hat, so ist dadurch ein wichtiger Schritt zur Verein­fachung des deutschen Verkehrs geschehen. Die Rech­nung nach Gulden und Kreuzern scheint nur im ersten Augen­blick unbe­quem, bei einiger Uebung ist sie sogar bequemer als die unsrige nach Thalern und Silber­groschen, weil der Gulden ohne Bruch sich durch 12 theilen läßt, der Thaler aber nicht.“ [40]

Ansichtskarte.

Bild 01.11: Die ehemalige Münze am Mathilden­platz, gegen Ende des 19. Jahr­hunderts aufge­nommen. Das Gebäude wurde um die Jahr­hundert­wende abge­rissen und durch den 1905 vollendeten Bau des Amts­gerichts ersetzt. Quelle: Digitale Sammlungen Darmstadt, Sammlung Heil.

Auch Georg Wilhelm Justin Wagner plaudert in seiner 1839 verfaßten „Geschich­te und Beschrei­bung von Darmstadt“ ein wenig über den Neubau der Münze und die Dampfmaschine:

„Die Münze liegt ganz nahe am Mainthor, und wurde von dem Ober­baurath Franz Heger in den Jahren 1831–32 erbaut. Die ist zwei­stöckig und hat eine Länge von 110 Fuß. Die Dampf­maschine, die erste im Groß­herzogthum, dient zum Betrieb des Streckwerks. Sie wurde 1830 in der vormaligen Werk­stätte des Münz­raths Rößler im Wesent­lichen nach den von Saulnier in Paris verfertigten Dampf­maschinen erbaut, und ist ihrem System nach eine doppelt wirkende, bei welcher der Dampf abwech­selnd auf beide Seiten der Kolben­fläche drückt. Die Dämpfe werden mit einem mittleren Druck von 39 Pfund auf den Quadrat­zoll angewendet, und die Kraft der Maschine ist auf 5 Pferde­kraft berechnet.“ [41]

Bleibt der Autor bei der Rößler'schen Dampf­maschine noch ganz sachlich, so gerät er hinsichtlich des Darm­städter Maschinen­baus geradezu ins Schwärmen:

Maschinenfabrik von Jordan. Sie gehört zu den bedeutendsten Teutsch­lands, und wetteifert hinsicht­lich der Zweck­mäßigkeit und Schön­heit ihrer Fabrikate, mit den englischen. Jordan hat die erste nach amerika­nischem System im Groß­herzogthum erbaute Mühle zu Lich und die erste Runkelrüben-Zucker­fabrik im Groß­herzogthum und vielleicht die größte Teutsch­lands, bei Pfung­stadt eingerichtet. Er hat Maschinen für Zucker­raffinerien, Brücken­waagen etc. geliefert, und die Bestel­lungen aus weiter Ferne bestätigen seinen Ruf im In- und Auslande. Es werden alle Arten von Dampf­maschinen, hydraulische Pressen, Schrauben­pressen, Gebläs­maschinen, Saug- und Druckpumpen, Koch- und Destil­lir-Apparate, Brücken­waagen jeder Art verfertigt, sowie Maschinen, die auf jeden Zweig des Fabrik­wesens, der Land­wirth­schaft etc. Bezug haben, jederzeit vorräthig sind, oder sogleich nach Bestellung gefertigt werden. Erwähnt wird die Maschinen­fabrik von Buschbaum.“ [42]

Münze 5 Gulden von 1842.
Münze 5 Gulden von 1842.

Abbildung 01.12/13: 1842 prägte Hektor Rößler als Münz­meister mit seinen Initialen dieses goldene 5-Gulden-Stück mit dem Emblem seiner Landes­herren. Der Graveur war Carl Voigt. Der Durch­messer dieser Münze war etwas geringer als bei einem heutigen 10-Cent-Stück. Beim Namens­zug wurde ein „S“ eingespart. Quelle: SMB[43]

»»  Auf die Maschinenfabrik von Johann Ludwig Buschbaum wird in Kapitel 2 näher eingegangen.

»»  Die Dampfmaschine der Groß­herzoglichen Münze wird in Kapitel 3 im Zusammen­hang mit der Einfüh­rung der Dampfkraft in Darmstadt und Umgebung betrachtet.

Hektor Rößlers Arbeiten waren nicht ohne Grund allseits geschätzt, was einige Expertisen belegen mögen. Schon 1807 betrieb Hektor Rößler sein geodäti­sches Handwerk.

„Diese Eigenschaften vereiniget folgende Einrichtung, welche der hiesige geschickte Mechanikus, Herr Rößler, nach dem Beyspiele des durch seine vollkommene Arbeiten so vortheil­haft bekannten Herrn Baumann in Stuttgardt, dem Meßtische giebt.“ [44]

Georg Gottlieb Schmidt, Professor für Mathematik und Physik in Gießen, schrieb 1813 in der zweiten Auflage seines „Handbuchs der Naturlehre“:

„Herr Mechanicus Rößler in Darmstadt verfertiget sehr vorzüg­liche Mikroscope mit 4 und 5 Gläsern nach der neuesten Einrichtung und voll­ständigem Apparat.“ [45]

Die Wertschätzung von Rößlers Arbeiten wird vermutlich schon bei dessen Tätig­keit als Mechanikus der Univer­sität Gießen ent­standen sein, wo beide gewiß persön­lich miteinander verkehrten. So ist es wenig verwun­derlich, daß selbiger Professor Schmidt aus Gießen bei Hektor Rößler

„eine neue Magnetnadel verfertigen [ließ], und derselben die Gestalt eines ½ Linie dicken und 2 Linien breiten Parallel­epipedons geben, da bekannt­lich falsche Nadeln eine stärkere magnetische Kraft annehmen, als die ganz dünnen zugespitzten Uhrfedern. Mit dieser neuen Nadel stellte“ [46]

er weiterführende Beobachtungen an. Georg Kaspar Chelius nahm des Münz­meisters Dienste 1819 in Anspruch.

„Hinsichtlich der kölnischen Mark, als Münz­gewicht, finde ich mich veranlaßt, hier zu bemerken: daß der grhzl. hess. Herr Münz­meister (und geschickte Mechanikus) Rößler von Darmstadt im Juni 1819 bei mir seine kölnische Mark mit der meinigen oder frankfurter über­ein­stimmend fand, und daß, nach seiner münd­lichen Erklärung in der Oster­messe 1822, seine erwähnte Mark immer noch dieselbe Schwere hatte.“ [47]

Nicht der Schatz der Nibelungen

Der Rheinstrom führt seit langer Zeit einen hauchdünnen Anteil an ausgespültem alpinem Goldstaub mit sich. Es sind derart feinste Partikel, die sich nur an ausgewählten Standorten, nämlich dort, wo sich aufgrund der Strömung die Partikeldichte häuft, auszuwaschen lohnten. Die Goldwäscherei ist mindestens zwei Jahrtausende alt, auch wenn sich die Goldwäscher der Neuzeit nur notdürfig davon ernähren konnten. Vielleicht gab dieses Gold den Anlaß, sich den burgundischen Schatz der Nibelungen auszudenken. Als sich die Land­grafschaft Hessen im Banne der Napoleonischen Kriege zu einem Groß­herzogtum mauserte, weckte der feine Staub auch in Darmstadt gewisse Begehrlich­keiten. Doch erst der Münzmeister Hektor Rößler ging die Sache systematisch an und ließ bei Stockstadt den Rheinsand sieben. [48]

Hektor Rößler erkannte, daß der nach Plänen von Johann Gottlieb Tulla 1828/29 erfolgte Rhein­durchstich am westlichen Rand des Kühkopfes genügend Kies und Sand aufgewirbelt hatte, um in der Gegend von Stockstadt gezielt nach Gold schürfen zu können. Er hatte in den Jahren zuvor bei Worms auf eigene Kosten entsprechende Versuche unternommen und erhielt vom hessischen Finanz­ministerium die Erlaubnis, auf eigene Rechnung nunmehr bei Stockstadt nach Gold zu suchen. Er zog den Goldwäscher Philipp Kuhn aus Leimersheim herbei, der die beiden wohl aus Stockstadt stammenden Johann Nesinger und Daniel Engelhard in der Kunst der Goldwäscherei unterrichten sollte. Nach althergebrachter Technik wurde der den Goldstaub enthaltende Sand auf Wolltücher aufgebracht und diese dann vorsichtig ausgespült. [49]

Rößler kaufte das so gewonnene Gold zum damals üblichen Preis von fünf Gulden pro Krone von 3,4 Gramm auf. Bis 1836 kamen so 69½ Kronen umgeschmolzenes Gold zusammen, das Rößler seiner Regierung für 347½ Gulden anbot. Diese geringe Menge reichte gerade einmal zur Prägung von sechzig 5-Guldenmünzen. Die Münzen erhielten auf der Vorderseite das Aussehen der zwischen 1835 und 1842 geprägten Serie von Fünf­gulden­stücken mit dem Konterfei der Monarchen. Auf der Rückseite hingegen wurde auf das Rheingold Bezug genommen und der Feingehalt mit 22 Karat und 6 Gran (93,75%) angegeben. Die sechzig Exemplare wogen zwischen 3,24 und 3,35 Gramm mit einem Feingewicht von 3,05 Gramm; ihr Durchmesser betrug zwischen 18,5 und 19 Millimetern. Auch wenn diese Münzen mit der Jahreszahl 1835 beschlagen wurden, so erfolgte die Prägung erst im August 1836.

Weitere sporadische Förderversuche dieses Rheingoldes erwiesen sich in Hessen als nicht erfolgreich. Dabei waren allein im Groß­herzogtum Baden 1831 noch dreizehn Kilogramm Gold gewonnen worden.

„Aus dem Badischen vom 8. Oktober.  Nach einem ausführlichen, in dem landwirth­chaftlichen Wochenblatte enthaltenen Aufsatze über die Goldwascherei am Rheine kommt dieses Metall zuerst bei Waldshut in dem Sande vor, nachdem sich bei dieser Stadt die Aar mit dem Rheine vereinigt und ihm das Gold zugeführt hat. Von hier an beginnt die Goldwascherei. Allein zwischen Waldshut und Basel sind nur wenige Goldgründe anzutreffen, indem der Rhein auf dieser Strecke von zu hohen Ufern eingeengt und seine Strömung zu stark ist; auch im weiten Thale unterhalb Basel bis gegen Kehl herab läßt das noch zu große Gefäll und der sehr veränderliche Lauf des Stromes nicht viele Goldgründe aufkommen. Aber von Kehl an bis gegen Dachslanden herab, eine Stunde von Karlsruhe, liegen die reichsten Goldgründe, und in dieser Beziehung ist namentlich die Gemarkung des Dorfes Helmlingen, Amts Rhein­bischofsheim, ausgezeichnet. Auch unterhalb Dachslanden bis gegen Philippsburg und weiter hinab befinden sich noch Goldwaschereien, deren Ertrag aber durch die bereits ausgeführten Rhein­durchschnitte sehr abgenommen hat. Unterhalb Mannheim wird nur sehr wenig und von Mainz an bis zum Ausflusse des Rheins gar kein Gold mehr gewaschen. Das Rheingold kommt gediegen in feinen, mehr oder weniger zerriebenen Blättchen vor; es ist von durchaus gleicher edler Mischung, die 934 Tausendtheile feines Gold und 66 Tausendtheile feines Silber enthält.

Früher wurden am badischen Rheinufer die Goldgründe in Pacht gegeben, oder aber den Goldwaschern zur Pflicht gemacht, ihre ganze Ausbeute für einen bestimmten niederen Preis an die Regierung abzugeben. Seit dem Jahre 1821 aber wird der volle Werth der Krone Rheingold mit 5 fl. bezahlt, und dieses Gewerbe ist ganz freigegeben, jedoch muß das gewonnene Gold an die Münze abgegeben werden. Die Zahl der Goldwascher im Badischen beläuft sich dermalen auf 400, worunter sich auch Frauen und ältere Kinder befinden. Von 1804 bis 1834 hat sich die Goldwascherei fortwährend sehr gehoben, denn in diesen 30 Jahren sind 41.815 Kronen, etwas über drei Zentner, Gold zur großherzogl. Münze geliefert worden, welche, zu 5 fl. die Krone, 209.075 fl. betragen. Die reichste Ausbeute war im Jahre 1823 mit 2300, sodann im Jahre 1831 mit 3716 Kronen. Seit 1834 ist die jährliche Ausbeute wieder auf 2000 Kronen zurückgegangen. Das Rheingold wird dermalen in seinem natürlichen Zustande zu Dukaten verprägt, auch werden alle großherzogl. Medaillen aus Rheingold geschlagen.“ [50]

Goldwäscher bei Karlsruhe.

Abbildung 01.14: Das Goldwaschen bey Carlsruhe, aus: Aloys Schreiber : Trachten, Volksfeste und charakteristische Beschäftigungen im Großherzogtum Baden, Freiburg um 1825. Quelle: Wikimedia Commons.

Jakob Rößler verkauft nicht nur Hüte

Am 14. September 1832 „wurde dem Münzmeister Hector Rößler dahier der Charakter eines Münzrathes erteilt.“ Damit verbunden war die Aufgabe seiner Werkstätte.

„Ich mache hierdurch die Anzeige, daß ich das bisher geführte mecha­nische Geschäft aufgegeben habe, jedoch mit Ausnahme des opti­schen Theils desselben, welchen ich durch meinen Opticus für meine Rech­nung werde fort betreiben lassen. Meine Herren Abnehmer wollen sich daher von jetzt an gefälligst an den Opticus Gottlob Oechsle, wohn­haft bei Kaufmann Rößler in der Ludwigsstraße wenden, wobei alle Arten optische Gläser, Brillen, Perspective, Microscope etc. vorrä­thig oder auf Bestellung zu haben sind.“ [51]

Johann Jakob Rößler war der älteste der drei beim Tod des Vaters Johann Peter noch lebenden Brüder. Er war am 5. April 1769 in Darmstadt geboren worden und erlernte wohl bei seinem Vater das Dreher­handwerk. Noch bevor dieser 1806 starb, wurde Jakob vor 1800 zum Hofkunst­dreher ernannt, was sein Auskommen sicherlich befördert haben wird. Wann er als Darmstädter Burger aufgenommen wurde, habe ich noch nicht heraus­bekommen können. Jedenfalls dürfte er nach dem Ende der Napoleonischen Herrschaft einer der wohl­habenderen Bürger der Stadt gewesen sein. Am 16. August 1798 heiratete er die zehn Jahre jüngere Karoline Elisabethe Kling, die am 6. Oktober 1810 verstarb. Drei Jahre später heiratete er zum zweiten Mal, diesmal Friederika (Friederike) Charlotte Christiane Eckhardt, vielleicht eine Verwandte des Geodäten Christian Eckhardt, am 29. Juni 1813. Ihr Vater war der zu Zwingen­berg verstorbene Gräfisch Erbachische Kammer­diener Johann Leonhard Eckhardt. [52]

Im Dezember 1805 annoncierte er zum bevorstehenden Weihnachts­geschäft, er habe „eine vorzüglich schöne Auswahl ganz neuer Artikel, Nürnberger, Sächsischer und französischer Waaren, sowohl zum gemein­nützigem Gebrauche, als auch zur lehrreichen und angenehmen Unterhaltung zu Weihnachts­geschenken für Kinder, wie auch für Erwachsene, erhalten“. 1812 kaufte er das zentral am Marktplatz gelegene Haus Nro. 539 des verstor­benen Fürstlichen Pfarrers Johann Adam Sell, das ab 1818 die Anschrift Lit. D Nr. 126 trug, dessen Witwe Johannette für 15.000 Gulden ab. Dort hatte er seine Werkstatt und ein Geschäftslokal. Die oberen Stockwerke wurden vermietet. Als die Witwe, der er das Haus abgekauft hatte, im Dezember 1813 starb, waren von der Summe des Kaufpreises noch mehr als die 10.000 Gulden offen, welche die zehn Erben 1819 bei passender Gelegen­heit einforderten. [53]

Im April 1814 gab es aufgrund des Todes­falls folgende kuriose Annonce:

„Mittwochs den 20ten dieses, des Nachmittags um 2 Uhr sollen zum Behuf der Auseinander­setzung der Pfarrer Sellischen Erben ohngefähr 24 Ohm durchaus rein gehaltener Weine von verschiedenen Lagen und Jahrgängen, zum Theil von ausgezeichneter Güte, mit den Fässern in dem Hofdreher Rößlerischen Hause auf dem Marktplatz, gegen baare Bezahlung an den Meist­bietenden öffentlich verkauft werden, welches daher, und daß alsdann die Proben bei den Fässern genommen werden können, zu jedermanns Nachricht hiermit bekannt gemacht wird.“

Da wird es sich gewiß nicht (nur) um Meßwein gehandelt haben. Die genannten 24 Ohm dürften etwa 3.600 bis 3.800 Liter gewesen sein. Alkoholismus war in den besseren Kreisen damals weit verbreitet und überhaupt nicht anstößig; ein Thema, das wir in den nach­folgenden Kapiteln immer wieder antreffen werden. Ganz anders wurde die verteufelte Trunk­sucht der unteren Schichten kommuni­ziert. [54]

Bekanntmachung.

Abbildung 01.15: Fürstliches Polizei­deputations-Publicandum. „Da mehrmalen mißfällig wahr­genommen worden, daß an Sonn- und Feyertagen während der Kirche mehrere Wirths­häuser […] mit Gästen sehr besetzt gewesen, welche öfters gelärmt und gespielet, besonders mehrere junge Handwerker, statt sich an diesen Tagen auf eine anständige und sittliche Weise zu vergnügen […].“ Und wer kein „anständiges“ Besaufnis hinbekommt, der wird bestraft. Den unteren Schichten mußte der Kirchgang geradezu eingebleut werden, denn von alleine gingen sie nicht in die Kirche. Quelle: Darmstädtisches Frag- und Anzeigungs-Blatt vom 25. Juli 1803. [55]

Einige Tage nach der Weinprobe wurden das der Witwe gehörende Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Messing, Blech, die Hausmöbel und allerlei Hausrat an Ort und Stelle verkauft. Sie wird wohl noch bis zu ihrem Tod in ihrem ehemaligen Haus gewohnt haben. [56]

Dieses Haus sollte sich für Jakob Rößler als eine Goldgrube erweisen. Die im Westen mit der Mollerstadt vollzogene Stadt­erweiterung wurde weiter südlich entlang der alten Stadt­befestigung fortgeführt. Um die Häuser der Begüteteren besser an den Markt anzubinden, wurde eine Stichstraße von der Baustraße (später: Elisabethen­straße) zum Marktplatz projektiert, die heutige Ludwig­straße. Diesem Projekt standen am Markt einige Häuser im Weg, unter anderen das frisch von Jakob Rößler erworbene. Die Stadt kaufte es im Dezember 1818 für 24.000 Gulden an. Als Vertrags­partner der Käufer­seite wird im Kauf­vertrag der Hof­kammerrat Ludwig Schleiermacher genannt. Schleier­macher, Eckhardt, Rößler, eine Verbindung, die sich auszahlte. Er erhielt im Gegenzug einen Bauplatz an der neuen Straße unweit vom Markt und richtete dort sein neues Geschäft ein. Mit dem nochmals revidierten Brand­versiche­rungs­kataster erhielt das Grundstück nach 1830 die Anschrift Lit. E Nr. 47 und wurde dadurch auch formal den besseren Kreisen zugeschlagen. [57]

Ausschnitt Stadtplan 1822.

Abbildung 01.16: Auszug aus dem 1822 entstandenen Geometrischen Plan der Großherzoglichen Residenzstadt Darmstadt von Georg Louis und Gottlieb Börner. Die drei Rößler-Brüder Hektor (H), Jakob (J) und Friedrich (F) waren 1822 an den blau markierten Orten anzutreffen. Quelle: ULB Darmstadt.

Dabei sah es zunächst nicht danach aus, als sollte Jakob Rößler sein Haus gewinn­bringend verwerten können. In einem ursprünglichen Entwurf einer neuen Straße von der Baustraße zur Altstadt war wohl der direkte Weg zur Stadtkirche favorisiert worden. [58]

Projektskizze von 1816.

Abbildung 01.17: Plan der projektierten neuen Straßen in der Innenstadt von Darmstadt zwischen Marktplatz, Stadtkirche und Baustraße von 1816. Links ist die Stadtkirche und der Marktplatz eingetragen; dazwischen der Name „Rößler“ für das Grundstück, das für den Straßenbau zu erwerben war.

Parallel zur Vertrags­unterzeichnung begann Jakob Rößler im Dezember 1818 seinen Räumungs­verkauf und vergaß hierbei auch das Weihnachts­geschäft nicht:

„Bei einer mir bevorstehenden Wohnungs­veränderung habe ich alle Ursache, auf die schnellste Räumung meines Waarenlagers bedacht zu seyn, für welchen Zweck ich mir erlaube, meine hiesige und auswärtige verehrte Freunde zu geneigtem Zuspruch hiermit öffentlich einzuladen. Gerade jetzt bin ich ganz vorzüglich gut assortirt, worunter ich beson­ders Gegen­stände von bedeutender Auswahl zähle, welche bei dem sehr nahe liegenden Christ- und Neujahrs­fest sich als Geschenke für Erwach­sene und Kinder trefflich eignen.

Die meisten Kinderspiel­waaren werde ich um oder unter den Einkaufs­preisen gegen baare Zahlung abgeben.“ [59]

Anfang 1820 hatte er sein neues Haus mit seinem Laden­geschäft bezogen und annoncierte die Geschäfts­eröffnung im April mit einem besonderen Hinweis auf frisch eingetroffene italienische Strohhüte. Das Haus am Markt wurde im Februar 1820 auf Abriß versteigert und benötigte für einen geneigten Interes­senten wohl einen zweiten Anlauf. [60]

Am 18. April 1820 durften die Darmstädter Stimmbürger erstmals für eine Landtags­wahl an die Urne treten. Damit das gemeine Volk nicht zu übermütig reagierte, wurde der Wahlprozeß gesteuert. Zunächst durften nur diejenigen Männer ihre Stimme abgeben, die mindestens 25 Jahre alt waren und 20 Gul­den direkte Steuern zahlten. Dies betraf nur etwa ein Sechstel der Stadt­bevöl­kerung. Alsdann wurde der Wahlprozeß in drei Stufen durch­geführt. Im ersten Wahlgang wurden vierzig Bevoll­mächtigte als erster Filter gewählt, die aus den sechzig Männern über 30 Jahren mit dem höchsten Steuer­aufkommen sich zwanzig Wahlmänner als zweiten Filter aussuchen durften, die dann wiede­rum die beiden Darmstädter Landtags­abgeordneten wählten. Der Monarch und seine Gesinnungs­genossen erhofften sich hiermit ein wohl­gefäl­liges Parlament; ein Plan, der nur begrenzt aufging. Unter den sechzig Höchst­besteu­erten des Wahl­bezirks Darmstadt befand sich der Kaufmann Jakob Rößler, auf den am 23. Mai 1820 dreiund­zwanzig der möglichen vierzig Stimmen entfielen. Für wen er als Wahlmann anschließend gestimmt hat, ist nicht überliefert. [61]

Das Hutgeschäft in Jakob Rößlers Laden muß gelaufen sein. Ab 1826 koope­rierte er mit dem Offenbacher Hutfabri­kanten H. Wilhelm Martini und vertrieb in Kommission dessen „runde und Militär-Hüte in verschiedenen Quali­täten“. Das Sortiment wurde 1828 um Herren-, Damen-, Mädchen- und Kinder­hüte „nach den neuesten Formen“ erweitert [62]. Wie seinerzeit üblich, wurden auch in den Häusern begüteterer Männer (und seltener Frauen) Einzel­zimmer oder ganze Stockwerke vermietet. Eine Mieterin, Henriette Hein­rich, war bei Jacob Rößler 1832 untergekommen.

„Seit mehreren Jahren habe ich mich in Putzarbeiten practisch auszu­bilden gesucht und glaube es darin zu einer solchen Fertigkeit gebracht zu haben, daß meine Arbeiten zu den geschmackvollsten gezählt werden dürfen. Ich finde mich deßhalb veranlaßt, ein verehrungs­würdiges Publikum hiervon mit dem ergebensten Bemerken in Kenntniß zu setzen, daß alle Arten von Frauenhüten, Hauben u. d. gl. nach der neuesten Mode und den billigsten Preisen von mir verfertigt werden. Meine Leistungen werden mir Vertrauen erwerben und erhal­ten.“ [63]

Jakob Rößler sollte um die Jahreswende 1832/33 herum seinem Bruder Friedrich nach Schönberg folgen, wovon noch die Rede sein wird. Im Dezember 1832 annoncierte er, sein Geschäft in der Ludwigs­straße aufgeben zu wollen, wenige Tage zuvor war seine Frau Friederika gestorben. Im Juli 1833 sollte dort der jüdische Bettenhändler Löw Wolfskehl sein Geschäft aufschlagen. [64]. Die Abwesenheit Jakob Rößlers wußte der Drehermeister Friedrich Braun aus Darmstadt für sich zu nutzen. Jakob war ja nicht nur Geschäftsmann, sondern auch Hofdreher und wandelte damit auf den Spuren seines Vaters Johann Peter, der sich als Drehermeister in Darmstadt nieder­gelassen hatte. Friedrich Braun beanspruchte für sich den Titel eines Hofdrehers und erhielt am 9. Oktober 1833 den Segen des Großherzogs. [65]

1836 soll Jakob Rößler nach Frankreich ausgewandert sein [66]. Dabei kann es sich aber, sofern zutreffend, nur um ein kurzes Intermezzo gehandelt haben, denn am 31. Januar 1840 verstarb er im Alter von 70 Jahren, 9 Monaten und 25 Tagen – in Darmstadt. Sein Haus in der Ludwigsstraße verkaufte er kurz zuvor dem jüdischen Händler Salomon Homberger für 18.000 Gulden [67]. In seinem Testament vom 9. Mai 1834 hatte Jakob Rößler verfügt, daß sein Vermögen je zur Hälfte an seinen Bruder Hektor und an die Kinder seines jüngsten Bruders Friedrich gehen sollte. Denn eigene Kinder hatte er nicht. Dabei erhielt Friedrich den lebenslangen Nießbrauch. Gegen selbigen war kurz zuvor ein Konkursverfahren eröffnet worden und so galt es, im Falle einer Erbschaft das Vermögen vor dem Zugriff der Gläubiger zu schützen. Allerdings hatte er eine Einschränkung in Bezug auf die beiden ältesten noch lebenden Söhne Friedrichs formuliert.

„Da die beiden ältesten Söhne meines Bruders Friedrich, nemlich Friedrich und Christian Rößler, sich bisher höchst leichtsinnig betragen und ihre Unfähig­keit, den ihnen zugestandenen Erbtheil selbst zu verwalten, an den Tag gelegt haben, so will ich, daß solcher ihnen nach dem Ableben ihres Vaters nur dann soll ausge­liefert werden, wenn sie obrig­keitliche Zeugniße ihrer Leistung, und ihrer Fähigkeit zu Begrün­dung eines anständigen Etablisse­ments werden beigebracht haben.“

Von den hier gemeinten beiden 1812 und 1813 geborenen Söhnen Friedrichs starb Friedrich Jakob 1835 in Afrika, den anderen, Christian, scheint es nach Dortmund verschlagen zu haben. Friedrich Rößler erkannte das Testament am 25. Februar 1840 als gültig an. Nach Abzug der Verbindlich­keiten des Verstor­benen und der gerichtlichen Gebühren erhielten Hektor und die Kinder Fried­richs jeweils rund 6.000 Gulden ausbezahlt. [68]

Hektor Rößler hinterläßt eine Lücke

Hektor Rößlers mechanisches Tätigkeits­gebiet scheint nach 1832 durch den Hofmechanikus Georg Siener übernommen worden zu sein, der sich kurz nach Rößlers Anzeige quasi als Nachfolger empfahl:

„Der Unterzeichnte macht hiermit bekannt, daß er sein bisheriges Logis in der Baustraße verlassen hat, und in das demselben schräg gegen­über stehende Hof­schreiner Künzel'sche Haus Lit. E Nr. 93 gezogen ist.

Zugleich bemerkt er, daß bei ihm alle mathematische, physicalische und optische Instrumente auf das solideste verfertigt werden, und stets eine vollständige Auswahl von Reißzeugen, Perspectiven, Brillen u. s. w. bei ihm zu finden ist. Verhältnißmäßig billige Preise und die Güte der bei ihm gekauft werdenden Gegenstände, werden ihn noch besonders empfehlen.“ [69]

Text der Annonce.
Abbildung 01.18: In vier Zeitungs­annoncen bot Hektor Rößler sein Haus und Grund­stück an der Frank­furter Chaussee zum Verkauf oder zur Vermie­tung an. Quele: Darmstädti­sches Frag- und Anzeige­blatt vom 4. August 1832. [70]

Hektor Rößler sah sich zeitgleich mit der Aufgabe seines Geschäf­tes veranlaßt, eine Warnung auszusprechen. Einen speziel­len Anlaß wird es wohl gegeben zu haben, aber er ist nicht über­liefert: „Ich warne hiermit, ohne meine schriftliche Einwilli­gung auf meinen Namen etwas abzu­geben. Münz­meister Rößler.“ [71]

Als Jakob Rößler nach dem Tod seiner Ehefrau Friederika annon­ciert hatte, sein Geschäft in der Ludwigsstraße aufgeben zu wol­len, war davon wohl auch der Ver­trieb der optischen Instru­mente und Materialien Hektor Rößlers betroffen. Somit setzte dieser für den 19. und 20. Dezember 1832 zwei Verstei­gerungen an, eine in seinem Hause und eine in der groß­herzog­lichen Münze, diesmal um die Werk­zeuge, Maschinen und anderes Mate­rial seiner Werk­stätte zu verkaufen.

Es ist recht wahrscheinlich, der­zeit aber nicht belegbar, daß er die Hof­reite Ende der 1820er Jahre erwor­ben hat, als die alte Münze in der Infanterie­kaserne abge­rissen werden sollte und er des­wegen neue Räumlich­keiten für den Betrieb seiner Werk­stätte und den damals zumindest in Darm­stadt noch unerprobten Bau und Betrieb einer möglicher­weise als gefähr­lich angese­henen Dampf­maschine außer­halb der früheren Stadt­ummauerung finden mußte. Mit der Aufgabe der Werk­stätte wäre auch der Nutzen der Hofreite obsolet gewesen. Seine Wohnung konnte er nunmehr im neu erbauten Münz­gebäude am Maintor nehmen. [72]

„Da ich mein mechanisches Geschäft aufgegeben habe, so werde ich Mittwoch den 19. d. M. in meinem Hause vor dem Mainthor verschie­dene mechanische Werkzeuge und Maschinen, worunter sich mehrere Drehbänke, Schraub­stöcke, kleine Handwerk­zeuge und Maschinen­theile, eine kleine hydrau­lische Presse, ein vollstän­diger Glas­schleif­apparat mit 180 Stück Schleif­schalen und eine Parthie vor­räthige silberne und stählerne Brillen, Perspec­tive und optische Gläser befinden, gegen gleich baare Zahlung öffent­lich verstei­gern lassen.“

„Donnerstag den 20. d. Mts., Vormittags 8 Uhr, sollen in dem Münz­gebäude zu Darm­stadt verschiedene über­flüssig gewordene Werk­zeuge und Geräthschaften, worun­ter mehrere große Schrauben­pressen, einzelne Schrauben­spindeln, ein Durch­schnitt- und ein Walzen­werk befind­lich, gegen gleich baare Zahlung öffent­lich versteigert werden.“ [73]

Mechanische Werkstätten im Darmstadt der 1830er Jahre

„Die erste mechanische Werkstätte, welche sich durch Verfertigung höchst sorgfältig ausgeführter mathema­tischer und physikalischer Werkzeuge auszeichnete, und sich einen wohl­begründeten Ruf in Deutschland erwarb, war die vor 30 Jahren von Rößler errichtete in Darmstadt. Eine Fabrik für größere Maschinen wurde später damit verbunden und darin die vorzüglichen Präg­werkzeuge und die Dampf­maschine der hiesigen Münze verfertigt, welche letztere die erste Dampf­maschine im Groß­herzogthum, und bis heute noch die einzige, im Betrieb befindliche Maschine dieser Art ist. Leider ist diese großartige Anstalt vor einigen Jahren einge­gangen, da die Dienst­verhält­nisse ihres Besit­zers keine Muse mehr zu deren Betrieb übrig ließ.

Was mathematische und physikalische Werkzeuge betrifft, so werden dieselben von Siener in Darmstadt nunmehr in gleicher Vollkommenheit geliefert; seine nach Reichenbachischer Art eingerichtete Theilmaschine kann den besten in Deutschland beigezählt werden.

Die vor einigen Jahren von Jordan in Darmstadt neu etablirte Fabrik großer Maschinen ist im Aufblühen begriffen; sie hat schon viele bedeu­tende Maschinen geliefert, und aus ihr sind die ersten Mühlen nach dem amerikanisch-englischen System, so wie die Maschinen für Zucker­fabrikation im Groß­herzogthum, hervorge­gangen. Außerdem verdienen die ähnlichen Anstalten von Houben und de Barri [d. i. de Bary, WK] und Heim in Offen­bach, so wie von Amelungen und Stumpf in Mainz rühm­liche Erwähnung.“

Quelle: Uebersicht der vorzüglichsten Gewerbe im Groß­herzogthum Hessen, in: Verhand­lungen des Gewerb­vereins für das Groß­herzogthum Hessen, II. Quartal­heft 1837, Seite 4ff., Zitat auf Seite 8.

„Obgleich die Eisen­hütten­werke im Groß­herzogthum, sowohl in Bezug auf unmittelbare Darstel­lung des Eisens aus den Erzen, als auf die Verar­beitung des Roheisens zu Schmied­eisen, in ziemlich großer Ausdeh­nung betrieben werden, so hat doch kein Eisen­hütten­werk von Bedeu­tung Erzeugnisse seiner Fabrikation zur Ausstellung gesendet. Nur von der Rößler­'schen Eisen­hütte in Schönberg, welche Roheisen und Bruchs­eisen in Kupolöfen umschmelzt und zu Gießerei­gegen­ständen verwen­det, waren einige Proben ausgestellt. […] Von dem Rößler­'schen Eisen­hütten­werk in Schön­berg, wie schon erwähnt, das einzige, welches in diesem Fabrikate etwas zur Ausstellung brachte, waren verschiedene Proben von Kupolofen­guß, nemlich einige Verzie­rungen und Ornamente ausge­stellt, welche in Bezug auf ihre Formen und reinen Guß für lobens­werth erklärt wurden.“

Quelle: Bericht über die vom 4. bis zum 13. September d. J. in Darmstadt stattgefundene erste Ausstellung inländischer Gewerbserzeugnisse, in: Verhandlungen des Gewerbvereins für das Großherzogthum Hessen, III. Quar­talheft 1837, Seite 24ff., Zitat auf Seite 32 und 33; zu: Gießerei­gegen­stände und gezogene Bleiröhren. [74]

Der Eisenhammer in Schönberg

Nachdem Hektor Rößler sich mit seiner Ernennung zum Münzrat gezwungen sah, sein bislang betriebenes Geschäft mitsamt der damit verbundenen Werk­stätte aufzugeben, muß es zunächst verwundern, daß er nunmehr in Schön­berg ein Eisen­hütten­werk betrieben haben soll. Tatsäch­lich war es jedoch sein Bru­der Friedrich, der 1831 die Gelegen­heit ergriff, die sich im Gräf­lich Erbach-Schön­berger Besitz befind­liche Herren­mühle zu erwerben, um dort ein Ham­mer­werk zu errichten. Diese Herren­mühle wurde erstmals 1555 er­wähnt [75]. Die Geschäfts­tätig­keit entwickelte sich jedoch nicht so, wie es sich Friedrich Rößler vorgestellt hatte. Zum einen beschwer­ten sich die Besitzer der unter­halb der Herren­mühle ange­siedelten Mahl­mühlen über die erheb­liche Wasser­ent­nahme für das Hammer­werk. Infolge dessen konnten sie mangels Wasser­zufluß ihre Mühlen nicht kontinuier­lich betreiben. Zum anderen führten die Beschwer­den dazu, daß sich die Obrig­keit einmischte und fest­stellte, daß zum Betrieb eines Hammer­werkes eine eigene Konzes­sion notwendig werde. In der Folge konnte Friedrich Rößler seine Außen­stände, unter anderem die Abga­ben an das Gräfliche Rentamt, nicht begleichen, woraufhin ein Konkurs­ver­fahren gegen ihn eröffnet wurde. [76]

Herrenmühle.
Bild 01.19: Die Herrenmühle in Schönberg, Aufnahme vom April 2015.

Am 2. April 1832 schreibt der Kreisrat in Heppenheim an seinen Kollegen in Bensheim.

„Rubricirt hat bei der höchsten Staatsbehörde um die Erlaub­niß zur Anlage eines Eisen­ham­mers in der von ihm erkauf­ten vormals Zehischen Mühle zu Schön­berg, in wel­cher er, wie Ihnen bekannt ist, bisher schon ein Eisen­ham­mer­werk betrieben hat, nach­gesucht.

In den früheren, dieses Ge­gen­standes wegen gepflo­ge­nen Verhand­lungen, hat sich nun, wie Sie aus der An­lage ersehen werden, Gr[oß­herzog­liche] Ober­bau­direc­tion dahin aus­gespro­chen, daß ein solches Ham­mer­werk sich alsdann ohne Benach­theili­gung der Unteren Müller, würde betreiben lassen, wenn Rößler ueber seinem Mühlen­gerinne, noch ein Leer­gerinne anlege, welch letzteres jedes mal alsdann geöff­net werden müße, wenn das Mühlen­gerinne zugestellt werde.

Ich ersuche Sie deßhalb, die Untermüller in Bensheimer Gemarkung zu vernehmen, ob sie bei Anlage eines solchen Mühlengerinnes gegen das projectirte Hammerwerk nichts zu erinnern fänden, oder welche weite­ren Vorkeh­rungen sie deßhalb etwa noch für noth­wendig hielten.

Das aufzunehmende Vernehmungsprotocoll ersuche ich Sie, mir, unter Rückschluß des Communicats zuzusenden.“

Mit Datum vom 30. Januar 1833 setzt das hessischen Ministerium des Innern und der Justiz den Heppenheimer Kreisrat vom juristischen Stand der Dinge in Kenntnis.

„Rößler hat mit erblichherrlichem Consens – als nichts weiter erscheint das Decret der Rentkammer zu König vom 14ten Junius 1831 – die Mühle des Erbleihmüllers Zeh zu Schönberg erkauft und kann also nur so viel Wasser ansprechen, als zum Betrieb einer Mahlmühle erforder­lich ist. Zur Anlegung eines Eisenhammers, wozu, praevia causae cognitione [nach vorangegangenem Vergleich, WK], eine Conces­sion der Staats­behörde erforderlich, ist er bis jetzt nicht conceßionirt.

Bis dahin ist also der status quo – in Bezug auf den Wasser-Gebrauch, ein solcher zum Betrieb der Mahlmühle bestanden – mit polizeilicher Strenge herzustellen und zu handhaben und es ist somit nicht zu dulden, daß durch die zum unconcessionirten Betrieb eines Eisen­hammers geschehenen Wasser-Anlagen und das nöthige Wasser Stauen den unterhalb gelegenen Mühlen das vorher gehabte Wasser entzogen, verkümmert, oder gar das Mahlwesen zu Zeiten unmöglich gemacht werde.

Zugleich haben Sie den Rößler unter dem geeigneten Präjudiz aufzu­fordern, sich in so fern er bei der Eisenhammer-Anlage zu beharren gemeint sey, über die dazu erforderliche Erlaubniß binnen einer zu setzenden Frist auszuweisen.“

Am 3. April 1834 unterzeichnet der „gehorsamste Diener“ Friedrich Rößler eine Eingabe an den Heppenheimer Kreisrat, worin er darauf verweist, er habe am 23. Januar des Jahres um eine Konzession ersucht, bislang aber noch keine Antwort erhalten. Die Angelegenheit sei dringend, da der ihm zuteil werdende Verlust wegen der notwendigen Konzessionierung „täglich drückender“ werde. Vielleicht habe er auch einen Formfehler begangen, den er zu korrigieren bittet:

„Sollte ich wegen Mangel an gehöriger Kenntniß das erforderliche Stempelpapier versäumt haben, so bitte ich ferner geziemend dasselbe gefälligst beylegen, und mich den Betrag dafür nachzahlen zu lassen.“

Die Lauter.
Bild 01.20: Eingehegte Lauter oberhalb der Herren­mühle in Schön­berg, Aufnahme vom April 2015.

Er muß wohl die Konzession erhalten haben, denn die Beschwerden über die Wasser­entnahme des Eisenhammers reißen nicht ab. Mit der Konzession war eine Verfügung verbunden, die den Hammer­betrieb durchaus zu beein­träch­tigen in der Lage war. So informiert am 10. Januar 1835 der Heppen­heimer Kreisrat seinen Bensheimer Kollegen davon, daß dem „Hammer­besitzer Rößler alles Stauen und Hemmen des Hammers bei 10 Reichs­[thalern] Strafe und unter Verant­wortlich­keit für jeden verursacht werden­den Schaden untersagt“ worden sei. Am 25. Juni 1835 eska­lierte der Streit zwischen Fried­rich Rößler und den Müllern. Sel­bige zogen mit Äxten, Heb­eisen und anderen Gegen­ständen bewaff­net hinauf nach Schön­berg, ließen sich auch vom einheimi­schen Bürger­meister nicht be­schwich­tigen und sollen einige Zerstö­rungen am Hammer­werk ange­richtet haben. Daraufhin führte der Heppen­heimer Kreisrat zwei Tage später einen Orts­termin durch und forderte die Kontra­henten, die Müller und den geschä­digten Hammer­werks­besitzer, dazu auf, ihren Streit gefäl­ligst vor einem ordent­lichen Gericht auszutragen. Zwei Wochen später gab es die nächste Beschwer­de. Der Bensheimer Kreisrat sprach hierüber tags darauf, am 12. Juli 1835, mit Friedrich Rößler.

„Gestern, so gaben die Müller an, haben ihre Mühlen wieder beinahe zwei Stunden kein Wasser gehabt, weil Rößler mit dem großen Hammer arbeiten ließ.

Auf die drängende Beschwerde der Müller war ich an dem Eisen­hammer, Rößler entschuldigte das Ausbleiben des Wassers damit, indem er mir angebe[?]:

zwei fremde Müllerpurschen seyen an dem unteren Wasser gewesen, hätten das Schäßbrett so zugestellt, daß keine ½ Zoll das Wasser hätte in den Mühlgraben fließen können, er habe aber alsbald diesem Frevel abgeholfen, er habe die Müllerpurschen nicht gekannt.

Es wird wohl jedem sehr einleuchtend seyn, daß diese Angabe grund­falsch und erlogen ist, wäre sie aber wahr, so ist es doch an Rößler die unterliegenden Müller vor dergl. […] zu schützen. Es ist offenbar, daß Rößler bei kleinem Wasser den Eisenhammer nicht ohne Nach­theil der Müller benutzen kann, ich ersuche Sie den Bürger­meister Rettig darü­ber mit pflichtmäßigem Gutachten zu hören und ihm den Gebrauch des Hammers vor der Hand zu untersagen, auch mich von Ihrer Verfü­gung in Kenntniß zu setzen.“

Es scheint, als habe sich Friedrich Rößler bei Bedarf über die Verfügung, den Müllern das Wasser nicht abzudrehen, einfach hinweggesetzt. Und sollte er doch einmal zur Rede gestellt werden, tischte er fast schon arrogant eine Räuberpistole auf.

Der erzwungene Stillstand des in Erbleihe erworbenen Hammerwerks, in das Friedrich Rößler wohl sein vorhandenes Vermögen gesteckt haben dürfte, führte zu einer Gläubiger­versammlung am 14. Oktober 1833 in Schönberg. Jakob Rößler muß nachfolgend bei der Versteigerung der Friedrich Rößler'schen Immobilien die Rechte an der Erbleihmühle erworben und sie im Verlauf des Jahres 1834 für 5.500 Gulden an Hektor weitergegeben haben. Dieser meldet daraufhin am 17. Dezember 1834 beim Kreisamt Heppenheim an, nunmehr der Besitzer und Betreiber der Mühle zu sein, und sein Bruder Friedrich führe die dortigen Geschäfte. Am 18. Juli 1835 schlägt er, der ja irgendwie auch ein begnadeter Ingenieur ist, eine technische Lösung für das Wasserproblem vor und legt seiner Beschreibung eine Skizze bei. Nichtsdestotrotz zieht sich die Angelegenheit weiter hin, denn nunmehr müssen zwei Gutachter beauftragt werden, deren Gutachten am 7. Februar 1837 vorliegt. Diese Gutacher, ein Geometer aus Groß-Gerau und ein Mühlenbesitzer aus Auerbach, hatten sich die Mühlenanlagen entlang des Baches genau angeschaut, Messungen bei unterschiedlichen Wasserständen durchgeführt und schließlich festgestellt, daß, wenn alle Mühlenbesitzer ihre Anlagen in Ordnung halten würden, die Wasserverwendung durch den Rößler'schen Eisenhammer keine Komplikationen hervorrufe. Damit scheint die Angelegenheit als erledigt betrachtet worden zu sein.

Und so erhalten wir unter leichter Verballhornung des Berichtes über die Gewerbe­ausstellung 1837 folgendes wohlwollende Bild:

„Ueber die Eisenhütten­werke in unserm Groß­herzogthum geben uns die Gewerbvereins-Blätter eine Notiz, woraus wir sehen, daß auch diese Branche der Industrie, besonders in den Provinzen Oberhessen und Starkenburg (wo sich überhaupt in unserm Lande die meisten Eisen­steine befinden) recht brav kultivirt wird. […]

Das Rößler'sche Eisenwerk in Schönberg, ebenfalls sehr bedeutend, schmelzt Roheisen und Brucheisen zu [sic!] Kupolöfen um, und läßt sie zu Gießerei­gegenständen aller Gattung verwenden. Von diesem Werke allein sind bei der letzten Industrue-Ausstellung Gegen­stände vorhan­den, und zwar Proben von Kupol­öfenguß, Verzierungen und Orna­mente, die damals die Theilnahme der Beschauer gefunden haben.

Aus der angeführten Uebersicht dieser Eisen­hütten­werke erhellt, daß im Groß­herzogthum bereits, sowohl was die Darstellung des Eisens aus den Erzen, als was die Bearbeitung des Roheisens zu Schmiede­eisen betrifft, große Thätig­keit entwickelt wird, und daß, wenn auch unsere Eisen­stein­gruben nicht sehr reichhaltig und nicht von der besten Qualität sind, doch das an Eisensteinen so überreiche Nassau uns nah genug liegt, um den inländischen Eisen­hütten­werken auf eine leichte Weise das Material zu liefern.“ [77]

»»  Die Herrenmühle und die damit verbundene Eisenverhüttung wird uns in Kapitel 2 wieder begegnen.

Häuser und Gärten vor dem Mainthor

Zeitungsannonce.
Abbildung 01.21: Das Gartengrundstück Lit. F Nr. 208 wird verpachtet. Quelle: Großherzoglich Hessische Zeitung vom 15. Februar 1837, ULB Darmstadt.

Hektor Rößler hatte, vermutlich Ende der 1820er Jahre, ein Grundstück etwa einen halben Kilometer nördlich der alten Stadt­befesti­gung am Maintor erworben. Nachdem es ihm schon 1832 nicht gelungen war, dieses weiterzu­verkaufen, unternahm er fünf Jahre später einen erneuten Versuch.

Im Februar 1837 wird ein Gar­ten­grund­stück zur Pacht ange­boten, das in der Nähe der spä­teren ersten Fabrik der Maschi­nen­fabrik und Eisen­gießerei gelegen haben muß. Bei der Um­stel­lung der städti­schen Adressen von Brand­versi­che­rungs­kataster­nummern auf die uns heute geläufige Art Mitte der 1860er Jahre wird aus der hier angege­benen Anschrift Lit. F Nr. 208 das Anwesen Schloßgarten­straße 18. Das Adreßbuch von 1863 hingegen schlägt Lit. F Nr. 208 noch der Frankfurter Straße zu. Als Schloß­garten­straße war in den 1860er Jahren nur das kleine Teil­stück zwischen Frank­furter Straße und späterem Schloß­garten­platz bezeichnet worden. Das hier genannte Grund­stück mit seinen rund 17.000 Quadrat­metern lag vermut­lich auf der Nordseite dieser Straße und somit recht wahr­schein­lich dem Fabrik­gelände gegen­über auf der Ostseite der Frank­furter Straße. Das Gelände gehörte in den 1830er Jahren dem Regierungs­rat G. C. Küchler, der in der Rheinstraße wohnte.

Die Beschreibung des Garten­grundstücks enthält unter anderem die Angabe, daß in den Gärten nicht nur mehrere Sorten Kern- und Steinobst blühten und gediehen, sondern auch den Hinweis auf mehrere Rebsorten. Sollte es so etwas wie Darmstädter Wein oder Apfelwein gegeben haben?

Für den 23. Mai 1837 beabsichtigte der Münzrat Hektor Rößler ein „anmuthig“ an der Frankfurter Chaussee gelegenes Grund­stück zu versteigern. Das hierauf 1820 oder 1821 im Auftrag des Ökonomen und Gastwirts Jakob Alleborn errich­tete Haus wurde im Darm­städter Brand­versicherungs­kataster zunächst unter Lit. I Nr. 55 und ab 1830 unter Lit. F Nr. 209 geführt. In dem auszugs­weise weiter oben gezeigten, auf 1822 datierten Stadtplan von Georg Louis und Gottl­ieb Börner wird dieses Gebäude als „Neues Chaussee Haus“ bezeich­net. Die Angabe, das Haus sei seit mehreren Jahren von einem Freiherrn von Schenck bewohnt, führt zur der Frage, welcher der vielen Schencks das denn gewesen sein könnte. [78]

Mutmaßungen über einen Freiherrn von Schenck.

Einen direkten Beleg zu einer bestimmten Person gibt es nicht. Zunächst hatte ich an den aufstrebenden Finanz­sekretär Ludwig Fried­rich Carl Schenck zu Schweins­berg gedacht, der von 1848 bis 1874 Leiter des hessischen Finanz­ministeriums gewesen ist. Dieser wird uns in Kapitel 4 begegnen und Hektor bzw. Friedrich Rößler bei der Akquise von Aufträgen helfen.

Mittels einer Annonce im Darmstädtischen Frag- und Anzeigeblatt suchte er im März 1834 einen Untermieter in dem von ihm bewohnten Haus des Gemeinderats Barth am Theater, Lit. A Nr. 2. Das Adreßbuch für 1840 sieht ihn am Wilhelmplatz Lit. I Nr. 205, so daß eine zwischen­zeitliche Wohnung im Neuen Chaussehaus nicht ganz auszuschließen wäre.

Es gibt jedoch noch einen weiteren Kandidaten, der in keinem der Darmstädter Adreßbücher vorkommt. Friedrich Georg Ferdinand Schenck zu Schweinsberg wurde am 1. Juli 1805 geboren und war in den 1830er Jahren Kammerherr und Reisestall­meister am Groß­herzoglichen Hof in Darmstadt, wo er am 30. Dezember 1836 verstarb. Dies würde dazu passen, daß Hektor Rößler einige Monate später das Haus verkaufen wollte. Irritierend ist jedoch, daß schon am 13. Oktober 1836 zwei Reitpferde aus dem Nachlaß des Reisestall­meisters von Schenck versteigert werden sollten. Wie diese beiden Angaben zusammen­passen, wäre noch heraus­ztufinden. [79]

Zeitungsannonce.
Abbildung 01.22: Hektor Rößler (sen.) läßt seine Hofreite versteigern. Quelle: Großher­zoglich Hessische Zeitung vom 5. Mai 1837, ULB Darmstadt.

Angaben darüber, wie die Verstei­gerung 1837 ausgegangen ist, fehlen. Dem Darm­städter Brand­versicherungs­kataster zufolge standen auf dem Grund­stück ne­ben einem zwei­stöckigen Wohn­haus ein ein­stöckiger Neben­bau auf der linken Seite, ein ein­stö­ckiger Quer­bau, eine Remise auf der rechten Seite und ein neuer Quer­bau, aus dem ein zwei­stöcki­ges Gieß­haus erwachsen sollte. 1843 wird der Ein­trag im Kataster um ein ein­stöcki­ges Magazin­gebäude, einen ein­stöcki­gen Schuppen und einen Abtritt er­gänzt. In welchem Jahr diese Neu­bauten errichtet wurden, geht aus diesem Eintrag jedoch nicht hervor; es scheint sich eher um eine perio­dische Fort­schrei­bung des Katas­ters zu handeln. [80]

Bald nach der angesetzten Versteigerung jedenfalls residiert auf dem Gelände das Unternehmen Buschbaum und Comp., und den Adreßbüchern der 1840er Jahre zufolge war der Eigentümer dieser Hofreite weiterhin der Münzrat Hektor Rößler. Haben Johann Ludwig Buschbaum und Hektor Rößler, die sich aus früherer Zusammenarbeit gekannt haben, über die Versteigerung zur Führung eines gemeinsamen Maschinenbau­unternehmens wieder zusammen­gefunden? Buschbaum jedenfalls, der als Werkmeister auf der Ludwigshütte bei Bieden­kopf tätig war, kehrte 1837 nach Darmstadt zurück. Daß das Grundstück ausweis­lich der Annonce auch zur Anlage einer Fabrik geeignet war, mag den Gedan­ken einer Partnerschaft gefördert haben. Der Hinweis auf die „wasser­reiche Pumpe“ ist den Darmstädter Verhält­nissen geschuldet. Wasser gab es in Darmstadt, vor allem in den trockenen Sommer­monaten, sowohl quantitativ wie auch qualitativ nur mangel­haft. Das mag nördlich der ehemaligen Stadt­mauer, den sumpfigen Pallas­wiesen zugewandt, wieder anders gewesen sein. Erst mit der Inbetrieb­nahme einer durch außerhalb Darmstadts gelegene Brun­nen gespeisten Wasser­versorgung 1880 sollte sich dies nachhaltig ändern.

Der Nekrolog auf Hektor Rößler enthält eine Andeutung, wonach er sein Privat­geschäft, eben die Werkstätte, nach seiner 1832 erfolgten Ernennung zum Münz­rat nicht fortgeführt habe. Weiterhin ist dem Nekrolog seine Verbunden­heit zur Maschinen­fabrik und Eisen­gießerei zu entnehmen, deren Erzeug­nisse Eingang in auswärtige Münzen gefunden haben. Buschbaum und Comp. ist somit als Zwischen­glied zwischen Werk­stätte und späterer Maschinen­fabrik anzusehen.

Zur Verdeutlichung der Lage der Grundstücke Lit. F Nr. 208 und 209 mag folgender zeitlich passender Stadtplanausschnitt dienen.

Ausschnitt Darmstädter Stadtplan von 1836.

Abbildung 01.23: Ausschnitt aus dem Plan der Residenz Darmstadt von Eduard Wagner, datiert auf 1836. Quelle: Digitale Sammlungen der ULB Darmstadt. [81]

Zu vermieten

Nach dem Versteigerungs­termin am 23. Mai 1837 wurde ein Teil des Gebäude­komplexes, und zwar „die obere und untere Etage nebst Stallung, Remise und Garten auf mehrere Jahre“ zur Vermietung ausge­schrieben. Im Juli 1837 zog dort Johann Ludwig Buschbaum ein und dürfte wohl alsbald dort unter der Firma „Buschbaum & Comp.“ die Arbeit aufgenommen haben. [82]

Zehn Jahre später ereignete sich eine Gauner­geschichte ganz eigener Art, in die sehr mittelbar auch der Münzrat Hektor Rößler verwickelt war.

Eine Kurzgeschichte aus dem Frankfurter Konversations­blatt.

Darmstadt, den 12. November [1847].   

Der an dem hiesigen Bahnhofe provisorisch angestellte Kassediener Keller, ein zurück­gekommener Schneider, wurde gestern Morgen von dem Hauptkassier an die Staatsschulden­tilgungskasse mit einer Anwei­sung über 4700 fl. geschickt, um diese Summe zu erheben und sie an Herrn Münzrath Rößler abzuliefern. Als er bis zum Abend nicht wieder zurückkehrte, erkundigte sich der Hauptkassier nach ihm und erfuhr nun zu seinem Schrecken, daß zwar das Geld in Empfang genommen, aber nicht an dem Ort seiner Bestimmung abgeliefert worden war.

Nach näherer Nachforschung ergab sich, daß der Kassediener die Flucht ergriffen und den Weg per Eisenbahn nach Strasburg eingeschlagen hatte. Bei der Entdeckung seiner Flucht hatte er schon einen so großen Vorsprung gewonnen, daß ihn schwerlich die nachsetzende Verfolgung erreichen wird. Er ist seit Kurzem Wittwer und läßt sechs Kinder zurück, die von seiner Flucht nichts wußten. Wahrscheinlich wird er seinen Weg durch Frankreich nach dem nächsten Seehafen nehmen und seinen Raub in Amerika in Sicherheit zu bringen suchen, wohin er wohl die Absicht hat, seine Kinder nachkommen zu lassen.

Wie man hört, soll dem Hauptkassier der Verlust des Geldes zur Last gelegt werden. Wenn man es auch rechtlicher Weise nicht kann, so ist er doch jedenfalls dadurch, daß er allerdings den Fehler beging und sich so spät erst um das Außenbleiben seines Kassedieners bekümmerte, in eine fatale Lage gerathen, was man um so mehr bedauern muß, da er ein allgemein geachteter, tüchtiger und gewissenhafter Beamter ist.

Quelle: Frankfurter Konversationsblatt. Belletristische Beilage zur Ober­postamts-Zeitung vom 16. November 1847, BSB München und Folgeseite.

Die Geschichte der Maschinenfabrik und Eisengießerei wird fortgesetzt in Kapitel 2 – Johann Ludwig Buschbaum schneidet eine preisgekrönte Schraube – und behandelt den Zeitraum von etwa 1837 bis 1844.

Quellen- und Literaturverzeichnis.


Anmerkungen

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Erstes Kapitel zur Geschichte der Maschinenfabrik und Eisengießerei Darmstadt.

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Bearbeitungsstand: 13. Dezember 2022.
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