Die schon zuvor bestehende Maschinenfabrik und Eisengießerei in Darmstadt wurde mit Unterstützung der ebenfalls in Darmstadt ansässigen Bank für Handel und Industrie 1857 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Die Liquidation des Unternehmens wurde mit der Generalversammlung am 21. Dezember 1878 eingeleitet.
Kapitel 1 behandelt die Unternehmensvorgeschichte von 1807 bis etwa 1843. Der Mechanikus Hektor Rößler richtet sich eine optische und mechanische Werkstatt ein und verbessert die Münzprägung der Darmstädter Residenz. Hierbei läßt er die erste Dampfmaschine des Großherzogtums bauen. 1817 wird er zum Münzmeister berufen und erhält 1832 den sogenannten „Charakter“ eines Münzrates.
Nach einer Fragestellung und einer Kapitelübersicht beginnt hier die Geschichte der Maschinenfabrik und Eisengießerei Darmstadt.
Darmstadt war 1800 ein etwas zu groß geratenes Dorf mit rund 10.000 Bewohnerinnen und Bewohnern. Als Hauptstadt einer kleinen Landgrafschaft war das kleinstädtische Leben auf die Bedürfnisse des Hofes und des Militärs abgestimmt. Ein Bürgertum war allenfalls im Entstehen begriffen und noch besaßen die Zünfte einen gewissen Einfluß auf Handel und Gewerbe. Viel zu sagen hatten die Untertanen nicht, erst recht nicht diejenigen, die mehr oder weniger von der Hand in den Mund leben mußten. Bettelei war allgegenwärtig und die Obrigkeit fürchtete Aufruhr und Ungehorsam. Die Französische Revolution hatte ihre Armeen bis an den Rhein gebracht und deren Ideen waren auch ohne militärischen Beistand allgegenwärtig. Die Damen und Herren von Gottes Gnaden mußten um ihre Ausbeuterinnen- und Ausbeuterrechte fürchten, allen voran Landgraf Ludwig X., dem zu Ehren das unterwürfig gehaltene Volk Jahrzehnte später auf dem Luisenplatz einen großen Phallus hinpfanzen sollte. An der Errichtung dieses Ludwigsmonuments war die Maschinenfabrik und Eisengießerei beteiligt. [1]
Abbildung 01.01: Polizei-Publikandum gegen Bettelei. „Man hat die Anzeige erhalten, daß verschiedene Bewohner vor der Stadt liegender Häuser von fremden unbekannten Fußgängern Felleisen und Reisebündel in Verwahrung nehmen, und dieselbe dadurch in den Stand setzen sich desto leichter unbemerkt in die Stadt zu schleichen. Da hierdurch nicht nur die Bettelei begünstigt – sondern auch die Sicherheit des Eigenthums gefährdet wird; so sieht man sich veranlaßt, gegen ein solches Benehmen mit dem Anfügen öffentlich zu warnen, daß, wenn jemand sich dessen fernerhin schuldig machen sollte, derselbe mit einer Strafe von 5 R[eichs]th[a]l[e]rn belegt werden wird.“ Quelle: Darmstädtisches Frag- und Anzeige-Blatt vom 18. September 1809, ULB Darmstadt; stellvertretend für wiederkehrend publizierte derartige Verlautbarungen mit Strafandrohung. [2]
Dennoch besaßen die Untertanen einen ganz eigenen Humor bei ihrer Aufmüpfigkeit. Sie warfen ihren Unrat in den Schloßgraben des allerdurchlauchtigsten Landesherren und schreckten auch nicht davor zurück, lebendes und totes Vieh dort abzuladen. Keine und niemand soll behaupten, daß sich die Menschen damals besser verhalten hätten als heute. Die Klage über den Verfall von Sitte und Moral ist so alt wie die Dekadenz der jeweils herrschenden Klassen. Was jedoch auffällt ist, daß die damaligen Zeitgenossen ihre „frevlerischen“ Energien gezielt gegen die Symbole der Macht gerichtet haben. [3]
Abbildung 01.02: Polizei-Publikandum gegen die Müllentsorgung im Schloßgraben. Quelle: Darmstädtisches Frag- und Anzeige-Blatt vom 17. November 1800, ULB Darmstadt.
Landgraf Ludwig lavierte bei der französischen Expansion nach Osten zwischen den Fronten und vergrößerte durch geschickte rechtzeitige Stellungswechsel das landgräfliche Territorium erheblich. Der Wiener Kongreß bestätigte seine neuen Erwerbungen, auch wenn er dabei Westfalen mit Rheinhessen vertauschen mußte. Das wurmte den nunmehr als Großherzog auftretenden Adligen wenig, waren doch die Gebiete des ehemaligen Kurfürstentums Mainz wirtschaftlich wesentlich potenter. Auch Darmstadt profitierte von der Erweiterung des Territoriums und von der erheblichen Zunahme der Untertanen. Das kleine Städtchen verdoppelte in nur zwei Jahrzehnten die Zahl seiner Bewohnerinnen und Bewohner. Zögerlich noch um 1800, aber fast schon ungehemmt nach der Niederlage Napoleons wurde das neue Stadtviertel im Westen, die Mollerstadt, und mehr noch das Gebiet im Süden bis hin nach Bessungen mit neuen Häusern versehen. Die kleine Stadt veränderte ihren Charakter und war nicht mehr ganz so sehr auf die Altstadt und das Hofschranzentum zentriert. 1820/21 sollte ein Weinhändler namens Jakob Alleborn im Norden der Stadt ein neues Ausflugslokal erbauen lassen, das im Verlauf der hier vorgelegten Geschichte der Maschinenfabrik und Eisengießerei noch eine Rolle spielen sollte. [4]
Einige Jahre zuvor, sicher vor 1766, siedelte sich der aus Bacharach am Rhein herkommende Johann Peter Rößler (3. Februar 1733 bis 5. Januar 1806) in Darmstadt an. Er war schon „Burger“ der Stadt, als er am 9. Mai 1766 in das gehobene Bürgertum der Stadt einheiratete und dabei die Tochter des zeitweiligen Oberburgermeisters Johann Heinrich Schwarz (9. Juni 1706 bis 24. November 1770) ehelichte. Die noch aus Butzbach stammende Marie Margarethe (auch: Margretha) Schwarz (10. November 1743 bis 17. Januar 1827) gebar am 31. März 1767 einen ersten Sohn Johann Heinrich, der jedoch am 8. Oktober 1784 früh verstarb. Johann Peter etablierte sich als Landgräflicher Hofdrehermeister und wurde am 8. Januar 1806 nach einer Lebensspanne von 72 Jahren, elf Monaten und zwei Tagen bei der reformierten Gemeinde in Darmstadt beerdigt. Das Paar hatte neun Kinder, von denen nur die drei Brüder Jakob, Hektor und Friedrich die Schwelle zum 19. Jahrhundert erreichten. Eine hohe Kindersterblichkeit war der Normalfall in einem wenig hygienischen Umfeld und bei einer noch nicht sehr entwickelten ärztlichen Kunst. [5]
Der Protagonist der ersten fünf Kapitel ist Johann Hektor Rößler, der am 25. April 1779 geborene sechste Sohn von Johann Peter und Marie Margarethe [6]. Dem damaligen Zeitgeist entsprechend wurden Bestandteile der Vornamen auf die nachfolgenden Generationen übertragen, mit dem auch für die Forschung zuweilen irritierenden Effekt, die personae dramatis miteinander zu verwechseln. Infolgedessen finden wir mehrere Hektor Rößlers vor, so unseren Protagonisten, im Folgenden als „sen.“ bezeichnet, seinen Sohn, der sich als Sekretär des Landesgewerbevereins bei der Förderung der regionalen Wirtschaft hervortat (1806–1875, im Folgenden als „jun.“ bezeichnet), sowie zwei Enkel, von denen der eine noch als Münzassistent in Darmstadt faßbar wird, bevor er relativ jung verstirbt (1833–1864), und der andere, der in Frankfurt als Chemiker tätig war (1842–1915) und mit seinem Bruder Heinrich (und Bankkapital) die Degussa gründete. [7]
Am 9. November d[ieses] J[ahres] hat der Tod einen Mann aus unserer Mitte abberufen, dessen Andenken lebendig bleiben wird in den Herzen Aller, die ihn näher kannten. – Seinen drei aufeinander folgenden Regenten ein treu ergebener Diener, dem Staat ein gewissenhafter fleißiger Beamter, in weiteren Kreisen geachtet und geehrt durch seine hervorragenden Leistungen im mechanischen Fach, seiner Familie ein treuer, sorgsamer Vater und ein treffliches Vorbild der Liebenswürdigkeit und Tugend, seinen zahlreichen Freunden ein redlicher Rathgeber, Helfer und jovialer Gesellschafter; dies war der Großherzogliche Münzrath Hektor Rößler.
Geboren am 25. April 1779 zu Darmstadt, Sohn des damaligen Hofdrehers Rößler, widmete er sich dem mechanischen Fach und trat im 14. Lebensjahr bei dem Hofmechanicus Fraser in die Lehre. Nach bestandener Lehrzeit begab er sich zur weiteren Ausbildung auf Reisen und arbeitete in den Städten Jena, Gotha, Stuttgart und Paris in den renommirtesten Werkstätten. Ueberall erwarb er sich den Ruf eines ausgezeichneten Arbeiters. Insbesondere war sein Aufenthalt in Stuttgart (bei Baumann) und Paris von großem Einfluß auf seine technische Ausbildung. [8]
In seine Heimath zurückgekehrt, wurde er auf Veranlassung hoher Gönner, die schon mit seinem Vater befreundet waren, und durch die Gnade seines Landesherrn im Jahr 1804 durch Decret und mit Besoldung, als Universitätsmechanicus in Gießen angestellt. In dieser Stelle verblieb er indeß nur bis zum Jahr 1806, wo er wiederum nach Darmstadt, mit Beibehaltung seiner Besoldung, als Hofmechanicus übersiedelte.
Veranlassung gaben hierzu insbesondere auch der verstorbene Oberbaudirector Schleiermacher und Geheimrat Eckhardt. Diese beiden Männer, als ausgezeichnete Mathematiker, Physiker und Geodäten bekannt, traten in nahe Beziehungen zu Rößler. Deren fruchtbringenden Ideen, sowie der großen mechanischen Begabung von Rößler verdanken wir seine Reihe sehr bedeutender Verbesserungen an physikalischen, geodätischen und astronomischen Instrumenten. Die Aufzählung derselben würde hier zu weit führen. Das Atelier Rößler's erwarb sich einen wohlbegründeten Ruf in ganz Deutschland; seine Instrumente waren überall geschätzt und gesucht.
Nach dem Tode des damaligen Münzmeisters Fehr wurde Rößler (am 6. Juni 1817) unter der Erlaubniß, seine mechanische Werkstätte fortführen zu dürfen, zum Großherzoglichen Münzmeister ernannt. Bis zum Jahr 1832, wo seine Besoldungsverhältnisse anders regulirt wurden und seine Ernennung zum Großherzoglichen Münzrath erfolgte, betrieb er das Privatgeschäft fort. Als Münzmeister hat Rößler sehr Bedeutendes geleiste[t]. Außer in Berlin, befanden sich damals die Münzen meist in jämmerlichem Zustande in Deutschland. Nach einer Reise, auf welcher Rößler die Hauptmünzstätten besuchte, wurde im Jahr 1831 die neue Münze in Darmstadt ganz nach seinen Plänen erbaut. Dieselbe galt damals mit Recht als Musteranstalt in Bezug auf Einfachheit und Zweckmäßigkeit in der Anordnung, sowie Schönheit ihrer Erzeugnisse. Mittlerweise ist man natürlich auch an anderen Orten vorangegangen.
Bei der Errichtung der Münzstätten in Frankfurt, Wiesbaden und Bern zog man unsern Rößler zu Rathe und führte deren Einrichtungen größten Theils nach seinen Plänen aus. Diese Anstalten, sowie ferner diejenigen von Stuttgart und Straßburg, empfingen die heute noch im Gebrauch befindlichen Münzmaschinen, als Walzwerke, Anwürfe und Prägmaschinen etc. aus der von Rößler geleiteten Maschinenfabrik. – Sehr wahr sagt ein bewährter Freund und College eines Nachbarstaats von unserem Rößler: ‚Es hat Vieles erlebt und viel gewirkt in allen Richtungen seine thätigen Lebens. Denken wir nur daran, wie die Münzeinrichtungen waren und wie sie geworden sind und wie er voranging. Wenn die Jungen jetzt höher stehen als wir, so waren wir es doch, die dazu beigetragen haben, daß es so gekommen ist.‘
Die Thätigkeit Rößlers blieb in seiner neuen Stellung und nach Aufgabe seines mechanischen Ateliers nicht auf das Münzwesen beschränkt. Sein reger Geist und seine unermüdliche Thätigkeit, seine Liebe zur Technik, veranlaßten die Gründung einer Maschinenfabrik, der ‚Maschinenfabrik und Eisengießerei zu Darmstadt‘, zu welcher er bis vor wenigen Jahren, wo dieselbe eine Umgestaltung erfuhr und größere Ausdehnung erlangte, in naher Beziehung stand und die jetzt zu den bedeutendsten Etablissements der Art im Großherzogthum zählt.
Auf seine Anregung erhielt die Großh[erzogliche] Münze im Jahre 1830 eine Dampfmaschine, die erste im Großherzogthum. Er war der erste, der am hiesigen Platz Leuchtgas (aus Oel) darstellte, und damit seine Wohnung und die Werkstätte beleuchtete. Unter seiner Leitung wurden mannigfache besondere mechanische Arbeiten für den Staat ausgeführt, wie z. B. die Herstellung der Normalmaßstäbe und Normalmaaße für die Großh[erzoglichen] Eichämter bei der Einführung des neuen Maaß- und Gewichtsystems etc.
Rößler gehörte dem Ausschuß des Großh[erzoglichen] Gewerbvereins seit der Gründung des Vereins als thätiges Mitglied an.
Im Jahr 1854 feierte Rößler sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum in seltener Körper- und Geistesfrische. Noch 8 Jahre, bis zum Jahre 1862, verblieb er im activen Staatsdienst, gleichzeitig mit Sohn und Enkel – gewiß ein seltener Fall. Auf sein Nachsuchen pensionirt, trat er unter huldvoller Anerkennung seines Strebens und seiner Leistungen in den Ruhestand. Er hatte sich während seiner 58jährigen amtlichen Thätigkeit stets der Gnade von drei aufeinander folgenden Regenten und der verdienten Anerkennung seiner vorgesetzten Behörden zu erfreuen. Im Jahre 1838 wurde er durch Verleihung des Ritterkreuzes I. Classe des Ludwigsordens ausgezeichnet. Im Jahre 1845 empfing er das Ritterkreuz des kgl. bayerischen Verdienstordens vom heiligen Michael, in Anerkennung seiner vielfachen Verdienste, insbesondere um das Münzwesen. Im Jahre 1854 wurde ihm das Comthurkreuz 2. Classe des Verdienstordens Philipps des Großmüthigen von Seiner Königlichen Hoheit dem Großherzoge Ludwig III. huldreichst verliehen.
Wir haben nur in allgemeinen Umrissen ein Bild von dem Lebenslauf und der Wirksamkeit des Verstorbenen entworfen; eine detaillirte Schilderung seiner Einzelleistungen müssen wir unterlassen. Hier gilt es aber den Gefühlen der Liebe und Verehrung einen Ausdruck zu geben.
Rößler war ein ganzer Mann nach Außen und nach Innen. Eine hohe, kräftige Gestalt; niemals von eigentlichen Krankheiten heimgesucht und gebeugt. Er lebte in den angenehmsten Familienverhältnissen. Was uns vor Allem an ihn fesselte, war die Güte seines Herzens, die Bescheidenheit seines Sinnes, die rastlose Strebsamkeit seines Geistes, eine kernige markige Ausdrucksweise und sein unverwüstlicher Humor, der ihn auch die Sorgen des Lebens mit Leichtigkeit und Fassung ertragen ließ. Er war ein Mann, dessen Thun und Streben des Nacheifers in hohem Grade würdig ist und dessen Andenken bei allen Guten im Segen bleiben wird.“
Quelle: Darmstädter Zeitung vom 6. Dezember 1863. [9]
Nach seiner Rückkehr von einer mehrjährigen Wanderschaft wurde er 1804 in Gießen als Universitätsmechanikus angestellt. Am 15. Oktober 1804 heiratete er Karoline Friederike Olf, die Tochter des im Finanzministerium beschäftigten Geheimen Kanzleidieners Johannes Olf (auch: Olff). Nachdem er 1806 nach Darmstadt zurückkehrte, muß er kurz darauf seine eigene Werkstätte eingerichtet haben. Aber wo?
Die Jahreszahl 1807 verdankt sich einer Bemerkung in einer „Uebersicht der vorzüglichsten Gewerbe im Großherzogthum Hessen“, erschienen 1837 in den „Verhandlungen des Gewerbvereins für das Großherzogthum Hessen“. Dort wird ausgeführt, daß die erste mechanische Werkstätte vor dreißig Jahren enstanden sei. Ob es sich hierbei um eine gerundete Zahl handelt oder tatsächlich dreißig Jahre vergangen waren, ist nicht ersichtlich. Einen Beleg aus dem Zeitraum 1806 bis 1808 habe ich hierzu nicht finden können. [10]
Vermutlich wird es drei oder vier Standorte dieser Werkstätte zwischen 1806 und 1832 gegeben haben; denn 1832 mußte Hektor Rößler selbige schließen. Daß es in dieser frühen Zeit Adreßbücher nur für 1819 und 1821 gibt, ist nicht hilfreich. Dennoch gibt es Indizien. Denn Hektor Rößler besaß wohl bis 1817 ein Haus in der Rheinstraße mit genügend Platz für eine Werkstätte. Wann er das Grundstück erworben hat, ist nicht bekannt, und damit auch nicht, ob es zuvor eine Werkstätte an einem anderen Ort gegeben haben mag.
Um 1800 begann die Expansion der wachsenden Stadt nach Westen über die bei der modernen Kriegsführung nutzlos gewordenen Stadtmauer hinaus. Wer es sich leisten konnte, entfloh der Enge der Altstadt mit ihren dicht gedrängten Häusern und schmalen Gassen. Aus dieser Stadterweiterung ist dann später die Mollerstadt entstanden.
Abbildung 01.03: Ausschnitt aus einem Entwurf einer Vergrößerung der Residenzstadt Darmstadt von 1812, ULB Darmstadt. Der Plan ist gewestet. Mittig von oben nach unten verläuft die Rheinstraße, ebenso mittig von links nach rechts die Grafenstraße.
1812 liegt ein Entwurf für die Ausgestaltung dieser Stadterweiterung vor; wobei die ersten Häuser bis hin zur Grafenstraße (deren Namensgebung vollkommen unadeligen Ursprungs gewesen ist) schon erbaut waren. Im weiteren Verlauf der Rheinstraße werden auf der stadtauswärts rechten Seite die Grundstückseigentümer (Trainlieutenant) Müller, Rößler, Lichthammer und Kraft genannt. 1813 wird L. C. Wittich das Müller'sche Grundstück erwerben und dort seine Hofbuchdruckerei errichten lassen. Das heißt: es handelt sich nicht um eine reine Wohnanlage des begüterten Bürgertums, sondern eine gewerbliche Nutzung ist zumindest möglich gewesen. Gerade bei der Druckerei war sicherlich damit Lärm verbunden. Deshalb ist es naheliegend, daß Hektor Rößler auf dem benachbarten Grundstück seine Werkstätte eingerichtet hat. [11]
Schon bald wird Hektor Rößler zur Anfertigung seiner diversen mechanischen und optischen Geräte Gehilfen benötigt haben, die er auch außerhalb seiner hessischen Kleinstadt anzuwerben sucht. Mitte oder Ende der 1810er Jahre wird sich der Mechanikus Johann Ludwig Buschbaum aus Michelstadt dazu gesellen. Dieser hingegen wird sich nicht um die optischen Feinarbeiten kümmern, sondern um die verbesserte Ausstattung der Münze mit Werkzeugen.
1815 wird Hektor Rößler sein Geschäft um importierten englischen Stahl erweitern können, denn Napoleons Kontinentalsperre besteht nicht mehr. Aus einer Geschäftsanzeige wird der Umfang seines Sortiments ersichtlich (siehe folgende Seite). Einen Buchhalter hat er wohl nicht einstellen wollen, weshalb er auf Barzahlung besteht. Dies hat zudem den Vorteil, daß er säumigen Kunden nicht hinterherlaufen muß. Diese Ausweitung seines Geschäftes wird allerdings nur zwei Jahre lang bestehen.
Am 13. März 1817 stirbt recht jung der 1778 oder 1780 geborene Münzmeister Carl Wilhelm Fehr, Sohn des Remigius Fehr (1742–1810), ebenfalls Münzmeister, und Enkel von Georg Konrad Fehr, der auch Darmstädter Münzmeister gewesen war. Das Amt scheint quasi erblich gewesen zu sein und so verwundert es nicht, daß in den folgenden Jahrzehnten drei Hektoren aus der Familie Rößler als Münzmeister aufeinander folgen. Vielleicht war 1817 kein geeignetes Mitglied der Familie Fehr vorhanden, vielleicht war es aber auch so, daß sich Hektor Rößler einen Namen als Mechanikus weit über die Landesgrenzen hinaus gemacht hatte, so daß es geradezu nahelag, ihm die anspruchsvolle Aufgabe zu übertragen, das hessische Münzwesen grundlegend zu modernisieren.
„Des Großherzogs Königliche Hoheit haben am 6ten des laufenden Monats [Juni] den bisherigen Hof-Mechanikus Rößler dahier, zum Münzmeister bei der Großherzogl. Münzstätte allhier zu ernennen und zu erstellen […] gnädigst geruhet.“ [12]
Für den jeweiligen Münzmeister war eine Dienstwohnung in der Münzstätte vorgesehen, die sich wiederum am Rande der Infanteriekaserne befand. Folglich benötigte Hektor Rößler sein Haus in der Rheinstraße nicht länger und verkaufte es. Damit ging sicherlich einher, daß er seine Werkstätte in die neuen Räumlichkeiten mitnahm bzw. die dortigen Einrichtungen mitbenutzen konnte; allerdings unter Aufgabe einiger Geschäftszweige. Am 16. August 1817 gab er öffentlich bekannt:
Abbildung 01.05: Handlungsanzeige von Hektor Rößler im Darmstädtischen Frag- und Anzeigeblatt vom 24. April 1815, ULB Darmstadt.
„Meine gegenwärtigen Dienstverhältnisse erlauben mir nicht, die neben meinem Hauptgeschäft bisher geführten englischen Stahlwaaren und Kunstprodukte ferner beizubehalten. Ich habe mich daher entschlossen, diese Artikel, bestehend in allen Arten Uhrmacher-Werkzeugen, verschiedenen Werkzeugen für Schreiner und Sattler, plattirten Leuchtern, Lichtscheeren, Rasirmessern, Garten- und Federmessern, plattirten Sporn und Löffeln, Strickstöcken und Nadeln etc. um den Einkaufspreiß, gegen baare Bezahlung abzulassen. Indem ich dieses zur öffentlichen Kenntniß bringe, verfehle ich jedoch nicht, das geehrte Publikum zu benachrichtigen, daß ich meine mechanische Werkstätte in ihrem ganzen Umfange fortwährend beibehalte, und Bestellungen auf mathematische und physikalische Instrumente aller Art auf das Pünktlichste besorgen werde. Auch sind die beliebten Bleistifte nach wie vor in Dutzend bei mir zu haben.“ [13]
Im August 1817 teilt Hektor Rößler lapidar mit: „Unterzeichneter ist Willens sein Haus in der Rheinstraße aus freier Hand zu verkaufen.“ Doch es fand sich erst einmal kein Käufer, und so mußte das Anwesen versteigert werden.
„Samstag den 20. Dezember Nachmittags um zwei Uhr soll auf hiesigem Rathhaus, das Wohnhaus in der Rheinstraße Lit. F Nro. 61, neben Herrn Hofbuchdrucker Wittich und Herrn Geheimen Oberforstrath Lichthammer, sammt Hofraithe, Garten und Hintergebäuden unter annehmbaren Bedingungen, entweder ganz, oder ohne das daneben liegende zu einem Bauplatz dienliche Gärtgen, wozu noch mehrere Schuh von der Hofraithe gegeben werden, öffentlich versteigt, und im Fall eines annehmbaren Gebots, sogleich unwiderruflich zugeschlagen werden.“ [14]
Angaben zu Gebäuden, die verkauft oder versteigert werden sollten, bei denen nicht (wie hier) die Adresse des Brandversicherungskatasters angegeben wurden, sondern nur die Eigentümer der Nachbargebäude, waren damals üblich. Dies hilft jedoch in diesem Fall bei der eindeutigen Zuordnung, denn Lit. F Nr. 61 ist in der Tat das Rößlersche Haus. Die Versteigerung war wohl erfolglos. Das Adreßbuch für 1819, das noch keine Hauseigentümer nennt, führt unter Lit. F Nr. 61 den Marstallamtssekretair Georg Wilhelm Chelius, den Geheimen Rath Ludwig Minnigerrode und den Hofschauspieler Franz Xaver Cajetan Krebs auf. Chelius erscheint im nachfolgenden Adreßbuch für 1821 unter F.62, also dem Nachbargebäude, während Krebs in Lit. F Nr. 61 bleibt. Minnigerrode wird 1821 im Distrikt E im „eigen Haus“ geführt, für das das Kataster aber noch keine Numero vergeben hat. Alle drei waren somit wohl eingemietet, denn 1821 wird als Eigentümer der Hofgerichtsrath Jacob Karl Meyer genannt. Es war, wie Hektor Rößler anderthalb Jahrzehnte an anderer Stelle nochmals feststellen muß, gar nicht so einfach, ein solides Wohnhaus zu einem annehmbaren Preis loszuschlagen. Ein Indiz für den erfolglosen Versteigerungstermin ist ein weiterer Plan zur Gestaltung der Mollerstadt von 1818, in dem Rößler weiterhin als Eigentümer aufgeführt wird.
Abbildung 01.06: Ausschnitt aus der Zeichnung der auf allerhöchsten Befehl entworfenen Vergrößerung der Residenz Darmstadt, entworfen von Georg Moller, datiert auf von 1818, ULB Darmstadt. Der Plan ist ebenfalls gewestet.
1828 wird mit dem Umbau und der Vergrößerung der Infanteriekaserne begonnen. Die Münze wird an die Stelle einer Kaserne am Mainthor verlegt und 1832 vollendet. Somit sucht Hektor Rößler 1828 eine neue Bleibe und findet sie im sogenannten „Neuen Chausseehaus“ an der Frankfurter Chaussee. Hier kann er ungestört die Dampfmaschine entwickeln, die zum Betrieb der Münze gehören soll, ohne daß eine Explosion fatale Folgen für die aus viel Holz gebaute Altstadt haben kann. Dort, an der Chaussee nach Frankfurt gelegen, ist der letzte Ort seiner mechanischen Werkstätte zu finden. [15]
Hektor Rößlers erstes Projekt entstand als Vorarbeit zur Vermessung der Entfernung von der Darmstädter Stadtkirche zur Dorfkirche des westlich gelegenen Vororts Griesheim. Diese Vermessung bildete die Grundlage für die Vermessung der hessischen Lande, um darauf aufbauend Grundbuchämter einzurichten und Steuern zu erheben. Hierzu wurden sowohl exakt gebaute Vermessungslatten benötigt als auch präzise gefertigte Theodolite. Hier kam die Werkstätte des Mechanikus ins Spiel.
Federführend waren der Geodät und spätere Präsident des Landesgewerbevereins Christian Leonhard Philipp Eckhardt und – vor allem für die trigonometrischen Berechnungen – der Oberbaudirektor Ludwig Johann Schleiermacher. Die Vermessung fand vom 5. bis zum 29. Oktober 1808 statt und war eine technische Meisterleistung von beeindruckender Präzision. Vor allem, wenn wir die doch eher einfachen Mittel betrachten, ist sie umso erstaunlicher, weil erst die heutige lasergestützte Vermessung genauere Ergebnisse zu liefern imstande ist. [16]
„Von den geodätischen Operationen zur Verbindung der Observatorien Göttingen, Seeberg, Darmstadt, Mannheim, Speier und Strassburg gab Eckhardt in der, am 19. Sept. 1834 zu Stuttgart stattgefundenen, Naturforscher-Versammlung Nachricht, die dem Wesentlichsten nach in Folgendem bestand. Eckhardt brachte, um v. Zach's Wunsch der Ausführung einer trigonometrischen Verbindung Seeberg's mit Mannheim zu realisiren, in den Jahren 1804 bis 1807 mit sehr beschränkten Mitteln ein Dreiecksnetz zwischen Rastadt und dem Herzberg zu Stande. Dasselbe wurde als Grundlage der militärischen Charten von Haas benutzt. Im Jahre 1807 [sic!] massen Eckhardt und Schleiermacheh die Basis bei Darmstadt; mit dem von Rössler 1808 angefertigten astronomischen Theodoliten wurden die spätem Winkelmessungen der Hauptkette grösslentheils angestellt, und 1809 erhielt Eckhardt den Auftrag, Henry's und Tranchot's geodätischen Operationen in den Vogesen und im Rheinthale beizuwohnen. Hier wollte er mit Capitain Delcros die französischen Dreiecke in das Haupfnetz aufnehmen, und die Fortsetzung bis Seeberg gemeinschaftlich ausführen. Der grösste Thcil der Dreiecke von Strassburg bis Mannheim wurde von Delcros mitgenommen, von Mannheim bis an die Basis bei Darmstadt aber von ihm und Eckhardt gemeinschaftlich. Dann wurden beide Männer durch die damals ungünstigen Zeitereignisse getrennt. Später fingen von Darmsladt die eigentümlichen Dreiecke der grossherzoglich hessischen Vermessung an, und erstreckten sich wie die frühem bis zum Knill. Nachher hatte v. Müiffling die Dreiecke bis zum Herkules und Seeberg als Theil seiner, schon (Bd. II. S. 165.) erwähnten, Längenmessung übernommen; doch erst im Jahre 1830 wurde die Verbindung mit Göttingen durch v. Brand zu Stande gebracht. Die astronomischen Beobachtungen nun, welche durch diese grosse Triangulation verbunden worden sind, müssen als sehr genau angesehen werden; die Formeln zur Einführung der Methode der kleinsten Quadrate bei den geodätischen Rechnungen waren von Schleiermacher entwickelt worden, und Eckhardt's Gehilfe, Hügel, hat alle Berechnungen mit Gewandtheit und Ausdauer gewissenhaft ausgeführt. Durch solche vereinte Kräfte war demnach ein Werk vollendet worden, das interessante Resultate geliefert hat, und von welchem Eckhardt glaubt, dass es sich in Betreff der Genauigkeit wohl an die bisherigen Gradmessungen anschliessen kann.
Quelle: Gustav Adolph Jahn : Geschuchte der Astronomie vom Anfange des neunzehnten Jahrhunderts bis zum Ende des Jahres 1842. Zweiter Band [1844, ETH Zürich], Seite 174–175.
In seiner Werkstätte baute(n) Hektor Rößler und/oder seine Mitarbeiter nach einer aus Paris stammenden Vorlage zwei präzis gefertigte Toisen (Toise du Pérou) nach. Diese wurden als Vermessungslatten so aneinandergesteckt, daß jegliches Verrutschen ausgeschlossen war. Die Rößler'sche Toise wurde in der Folge empfohlen. So schreibt Johann Friedrich Benzenberg 1831:
„Ich habe mir eine Copie von der Peruer Toise im Jahre 1804 aus Paris mitgebracht. Es ist eine eiserne plattgeschliffene Stange von 6 paris. Fuß Länge, 1½ Zoll Breite und 1/3 Zoll Dicke. Sie ist von Lenoir verfertigt, und in meiner und, des Astronomen Bouward Gegenwart vierzehnmal unmittelbar mit der Toise verglichen worden, welche bei der Peruer Grad-Messung gebraucht wurde, und die das genaueste und in Europa am allgemein bekannteste Grundmaß ist. Bei dieser Vergleichung fand sich, daß meine Toise nur um 1/890 einer Linie länger war als die Peruer. Da dieses auf eine Standlinie von 5 Stunden nur etwa ein Zoll beträgt, so ließ sie der Künstler wie sie war. Der Preis der Toise ist 161 Franken.
Da man indeß nicht immer Gelegenheit hat, die Maaße unmittelbar mit den Urmaaßen vergleichen zu können, so bestellt man seinen Maaßstaab bei einem geschickten Künstler in Deutschland, wie z. B. bei Herrn Hof-Mechanikus Baumann in Stuttgardt, oder bei Herrn Hof-Mechanikus Rößler in Darmstadt, oder bei Herrn Mauch in Cöln. Diese haben sich von Paris sehr genaue Maaßstäbe verschafft, und man kann sich darauf verlassen, daß sie diese mit aller Sorgfalt nachmachen. Herr Mauch hat außer der Pariser Toise, auch noch das Meter, welches der Fürst Primas selber von Paris mitbrachte.“ [17]
Bei der Darmstädter Vermessung wurde die Ausdehnung der Latten durch Temperatur- und Witterungseinflüsse berücksichtigt. Auch der hierbei verwendete Theodolit entstammte seiner Konstruktion. [18]
Zunächst wurde mit der Landesvermessung des 1802/03 der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt zugeschlagenen Herzogtums Westfalen im Bereich um Arnsberg begonnen. In Rößlers Werkstatt gefertigte Theodolite wurden 1812 zur Vermessung bei der provisorischen Anlage des Dreiecknetzes 1. Ordnung im Herzogtum Westfalen eingesetzt; 1817 nutzten der Ingenieurgeograph Johann Nikolaus Emmerich und der Chorograph Padberg zur Vermessung des Arnsberger Teilnetzes den Repetitionstheodoliten Nr. 25 aus Darmstadt. 2014 erwarb der Verein Förderkreis Vermessungstechnisches Museum e. V. in Dortmund einen solchen um 1815 von Rößler ersonnenen Theodoliten. [19]
Zu Rößlers Bedeutung für das Vermessungswesen schreibt Wilhelm Breithaupt ein Jahrhundert später:
„Hektor Rössler (1779–1863), Münzmeister und Hofmechanikus in Darmstadt, hat ebenfalls Anfang dei 19. Jahrhunderts gute Theodolite gebaut, besonders die von Lenoir am Bordakreis angebrachte Repetitions-Einrichtung ihrer vielen Mängel wegen mit Vorteil durch seine Einrichtung ersetzt. Auch den Höhenkreis seines Theodolits hat Rössler mit Repetition versehen, was aber bei geodätischen Theodoliten später, so viel mir bekannt, nur einmal wiederholt worden ist; dagegen waren die Vertikal-Kreise der Reflexions-Goniometer von Breithaupt stets mit Repetition versehen. Der Rösslersche Theodolit ist beschrieben und abgebildet: Eckardt, Repetitions-Theodolit von Rössler, Darmstadt 1813 und Netto, Vermessungskunde, Berlin 1820, Seite 164 Fig. 55.“ [20]
Einer unscheinbaren Annonce im „Darmstädtischen Frag- und Anzeigeblatt“ von 1834 können wir entnehmen, daß Rößlers Theodolite – wohl unter den angehenden Geometern des Großherzogtums – auch weiterhin begehrt waren. Demnach war ein „Rößlerischer Theodolyt mit neuer Einrichtung […] billig zu verkaufen“. Die Annonce mußte nur einmal wiederholt werden, danach war das Gerät verkauft. [21]
Es ist sicherlich nicht verfehlt zu sagen, daß Rößlers Vermessungsgeräte seinerzeit state of the art waren. Das scheinen seine Zeitgenossen ähnlich gesehen zu haben, wie etwa 1834 Hermann Umpfenbach, Professor für Mathematik an der Universität Gießen.
„Selbst aber bei der Messung des horzontalen Winkels bedarf es Vorrichtungen, durch welche man erkennt, ob der Stand des Stativs sich nicht etwas in der Zeit verrückt hat, während welcher man das öfter vervielfachte Maaß eines Winkels bestimmt; will man aber auch den Höhenwinkel genau messen, so bedarf es noch eigenthümlicher Vorrichtungen, theils um genau zu ermitteln, ob die Axe der Fernrohre wirklich horizontal sey, wenn der Nullpunct des Nonius auf dem Nullpunct des Limbus steht, theils aber auch um sowohl den Höhenkreis als auch seinen Noniuskreis successiv um eine horizontale Axe zu drehn. Werkzeuge, welche allen diesen Erfordernissen Genüge leisten, nennt man Repetitions-Theodolithen. Sie wurden bei uns zuerst in der gehörigen Vorzüglichkeit aller ihrer einzelnen Theile ausgeführt von dem Mechanicus Rößler in Darmstadt. Wir besitzen hier zwei von diesem verdienstvollen Künstler verfertigte Werkzeuge dieser Art, in gleicher Vollkommenheit werden sie noch von seinem Nachfolger dem Mechanicus Siener in Darmstadt verfertigt, von denen wir gleichfalls ein Exemplar besitzen.“ [22]
Optische Präzisionsgeräte hatten schon damals ihren Preis. So verlangte Hektor Rößler für seinen am besten ausgestatteten Theodoliten stolze 500 Gulden. Es handelte sich hierbei um einen siebenzölligen Repetitionstheodoliten für Horizontal- und Höhenwinkel, so wie er von Christian Eckhardt beschrieben worden war (Abbildung 01.07). Die sechszöllige Variante, mit der nur der Horizontalwinkel repetiert werden konnte, kostete immer noch 330 Gulden. Die einfachste Version kam auf 125 Gulden. [23]
Hektor Rößler arbeitete auch in der Folgezeit eng mit Schleiermacher zusammen. Dieser soll die in der Rößler'schen Werkstätte hergestellten Objektive nachgemessen und durchgerechnet haben und so vielleicht zu seiner ausführlichen theoretischen Durchdringung der Optik gekommen sein. Wie diese Zusammenarbeit ausgesehen haben kann, darauf gibt dessen Enkel August Schleiermacher in einem von ihm in den 1920er Jahren verfaßten Lebenslauf seines Großvaters einen Hinweis:
„Es wäre ganz verfehlt Schleiermacher nach den umsichtigen und darum weitläufigen Entwicklungen in seiner Optik für einen unpraktischen Theoretiker zu halten, es ist im Gegenteil sicher, dass ihm gerade die Anwendung bei allen seinen Untersuchungen vor Augen lag. Hätte er mit leistungsfähigen Werkstätten in Verbindung gestanden, so wäre schon damals ein Erfolg seiner Arbeit nicht versagt geblieben. Zu seiner Zeit stand ihm in Darmstadt nur ein geschickter Mechaniker, Roessler, zur Seite, der sich auch mit dem Schleifen von Prismen und Linsen befasste, aber mit beschränkten Hilfsmitteln nicht viel leisten konnte. Zu einem ‚3-fachen Objektiv nach Schleiermacher‘ von 80 mm [Durchmesser] hat Roessler eine biconvexe Kronlinse und die biconcave Flintlinse geschliffen. Letztere hat jedoch solche Schlieren, dass vermutlich die Vollendung des Objektivs an der Unmöglichkeit brauchbares Flintglas zu beschaffen gescheitert ist. Die Berechnung zu diesen Objektiv ist bisher nioht aufgefunden worden.“ [25]
Hans Boegehold gibt als ein erstes gesichertes Datum dieser Zusammenarbeit auf optischem Gebiet den 3. Juli 1814 an. Schleiermacher notierte dieses Datum im Zusammenhang mit einer Bestimmung der Brechungs- und Zerstreuungsverhältnisse der von Rößler verfertigten Prismen. Boegehold konnte in den 1920er und 1930er Jahren noch Einsicht nehmen in die vorhandenen Schleiermacher'schen Unterlagen, die im Zweiten Weltkrieg verbrannt sind. Erst anderthalb Jahrzehnte später, 1829 und 1830, scheint Schleiermacher wieder auf Rößler und dessen Prismen zurückgekommen zu sein. Schleiermacher unternahm mehrere neuerliche physikalische Versuche und nannte Rößler als Optiker. [26]
1812 oder 1813 verfertigt Hektor Rößler eine auf den Vorgaben von Johann Helfrich von Müller beruhende und für die damaligen Verhältnisse sehr exakte Sonnenuhr.
Zu dieser Sonnenuhr schreibt Werner Stephan anläßlich einer Ausstellung über Sonnenuhren in der damaligen Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek 1980:
„Der Äquatorialring mit Zifferblatt ist auf drei Säulchen aufgeschraubt, die auf einer runden Grundplatte stehen. Um den Mittelpunkt des Stundenkreises dreht sich ein Schieber mit Dioptereinrichtungen an beiden Enden. Die Diopter sind für die verschiedenen Jahreszeiten einstellbar. Die Uhr ist auf einer Grundplatte, die mit Mauerankern versehen ist, drehbar aufzusetzen.
Die Uhr zeigt die ‚mittlere Sonnenzeit‘ bis auf eine halbe Minute genau an. Man brauchte also keine Zeitgleichungstafeln mehr, um die wahre Ortszeit in die damals geltende ‚mittlere‘ Zeit umzurechnen.
Hektor Roessler (1779–1863) hat die Uhr in den Jahren 1812/13 nach einem Entwurf Johann Helfrich von Müllers (1746–1830) angefertigt.
Das Gerät gehört zu den seltenen Fällen, in denen man Ursache und Wirkung verfolgen kann.
J. E. Bode beschreibt in seinem ‚Astronomischen Jahrbuch für das Jahr 1814‘, erschienen 1811 in Berlin, (Sign.: Zs 4296), auf S. 230 den ‚Entwurf einer Sonnenuhr, die die zwölfte Mittagsstunde mittlerer Zeit angibt.‘ Davon wurde Müller offensichtlich angeregt, eine noch bessere zu bauen.
Eine Beschreibung der Uhr ist im ‚Allgemeinen Anzeiger‘, Gotha 1815, 2. Bl. Num., Spalte 2241 – 2246 (Sign.: Zs 3009), zu finden. In einzelnen Punkten weicht diese Beschreibung von dem ausgestellten Stück ab. Wahrscheinlich hat Müller nach Abfassung des Aufsatzes noch Verbesserungen am Gerät vorgenommen.
In einem, in der ‚Hessischen Chronik‘, 17. Jahrg, 1930, S. 1ff. (Sign.: Zs 3971) abgedruckten selbstverfaßten Lebenslauf berichtet Müller, er habe die Sonnenuhr 1812 erfunden. Nach seinen Angaben hat er die Uhr in Messing ausführen lassen, um sie dem Großherzog 1813 im Juni zum Geburtstag zu überreichen. Die Uhr sollte im ‚astronomischen Cabinet vor einem Fenster gegen Mittag befestigt‘ werden.“
Es ist allerdings auch denkbar, daß Beschreibung und Ausführung der Sonnenuhr deswegen leicht voneinander abweichen, weil der mechanische Künstler Hektor Rößler selbst einige Veränderungen hat einfließen lassen. In dem genannten Aufsatz fügt von Müller eine Fußnote hinzu:
„Der hiesige Hofmechanicus Rößler hat bereits dergleichen verfertigt und erbietet sich, auf Bestellungen mehrere mit oder ohne Linsengläschen zu liefern; da aber nicht Jeder sich eine solche Uhr anschaffen kann, so bin ich nun auf eine Vervielfältigung derselben durch Abgüsse von anderem Metall bedacht, wodurch sie ungleich weniger kosten werden.“
Die 1980 ausgestellte Sonnenuhr befindet sich im Fundus des Hessischen Landesmuseums mit der [damaligen] Inventarnummer Ph. C. 58/1. Die Grundplatte hat einen Durchmesser von 155 Millimetern, die Uhr ist 310 mm hoch. Als Material wurden Messing, Eisen und Weißblech verwendet. [27]
In der Literatur findet sich der Hinweis, daß sich Carl Zeiss 1840 bei Hektor Rößler in Darmstadt zur Vervollkommnung seiner Ausbildung aufgehalten haben soll. Das ist zwar drei Jahrzehnte nach der Basismessung und dem Bau des ersten Rößler'schen Theodoliten, verdeutlicht jedoch das immer noch vorhandene Renommée des Darmstädter Mechanikus. [28].
Auf der Webseite der Carl Zeiss AG ist zu lesen:
„Auch über seinen Arbeitgeber in Darmstadt ist nichts bekannt. Verschiedentlich wurde spekuliert, dass Zeiss in der Hauptstadt des Großherzogtums Hessen in der Fabrik von Johann Hector Roessler (1779–1863) tätig war, die vor allem Maschinen zur Münzprägung herstellte. Dies ist plausibel: Roessler war als Geselle in Jena gewesen, bekleidete in Darmstadt den Posten eines Universitätsmechanikers und hatte vor seiner Ernennung zum großherzoglich-hessischen Münzrat im Jahr 1832 auch eine mechanische Werkstätte ähnlich der Körners in Jena betrieben. Gleichwohl ist die Annahme, Zeiss hätte bei Roessler in Darmstadt Arbeit gefunden, nicht durch schriftliche Belege abgesichert.“
Und an anderer Stelle wird ein Bewerbungsschreiben von Zeiss wiedergegeben:
„Während des Zeitraums vom J[uli] 1838 bis May 1845 arbeitete ich zu meiner weiteren Ausbildung in den renommirtesten, physikalischen, optischen, mathematischen und Maschinen-Werkstätten Stuttgarts, Darmstadts, Wiens und Berlins, wobey ich nicht versäumte alle sich darbietenden Gelegenheiten zu meiner weitern Vervollkommung in den dem Mechaniker nützlichen und nöthigen Hülfswissenschaften, resp. Künsten zu benutzen.“ [29].
Bei der Vervollkommung der Kenntnisse in den Hilfswissenschaften wäre in Darmstadt auch an einen Besuch der 1836 gegründeten fortschrittlichen Höheren Gewerbeschule zu denken.
Auf der sechsten Generalversammlung des Großherzoglichen Gewerbvereins in Darmstadt am 29. Juni 1841 sollte Hektor Rößler seinen von Friedrich Voigtländer in Wien konstruierten Daguerre'schen Apparat ausstellen. Voigtländer hatte erst im Jahr zuvor damit begonnen, das von Daguerre entworfene Verfahren erheblich zu verfeinern. Hieran zeigt sich nicht nur, daß Hektor Rößler den Gang der technischen Entwicklung auch nach Vollendung seines 60. Lebensjahres sorgfältig beobachtete, sondern auch, daß er einer alten Liebe, der Beschäftigung mit optischen Instrumenten, treu geblieben war. [30]
Bei der Einführung des metrischen Systems im Großherzogtum Hessen 1818 finden wir wieder das gemeinsame Wirken von Schleiermacher, Eckhardt und Rößler. Bislang koexistierten verschiedene lokale und regionale Längenmaße, Flächenmaße, Gewichte und Hohlmaße nebeneinander; manche Maße trugen denselben Namen, meinten jedoch etwas vollkommen Verschiedenes. Das durch Ludewig I. arrondierte Land sollte eine gemeinsame Verwaltung, eine gemeinsame Währung und ein gemeinsames Maßsystem erhalten. Die Entwicklung von Handel und Gewerbe in einer entstehenden globalen Wirtschaftsweise verlangte ohnehin nach einer Vereinheitlichung der Maßsysteme, und hier bot sich das französische metrische System an. Großherzog Ludewig, der nur echt adelig mit einem zusätzlich erfundenen „e“ in seinem Namen daherstolzieren konnte, beauftragte Eckhardt damit, die Voraussetzungen zu schaffen; und derlei geht nie ohne Ausschüsse und Kommissionen vor sich, weshalb Eckhardt dann einer Großherzoglich Hessischen Maß- und Gewichts-Commission vorsaß.
Schleiermacher, dessen Patenonkel der Großherzog war, bekam schon 1808 den Auftrag, die Leitung und den weiteren Ausbau der physikalischen Sammlung des Landesfürsten zu übernehmen, das sogenannte Physikalische Cabinet. Die Aufgabe Hektor Rößlers bestand darin, den zu dem neuen Maßsystem gehörenden Eichsatz herzustellen. Das diesem Eichsatz entstammende und hierauf der nächsten Seite abgebildete Kontrollnormal für Flüssigkeiten hat ein Volumen von 32 Kubikzoll, was einem halben Liter entspricht. Mit Verordnung vom 10. Dezember 1817 trat das neue Maßsystem am 1. Juli 1818 in Kraft. [31]
Eine weitere Auftragsarbeit, die Hektor Rößler mit gewohnter Gründlichkeit ausfuhrte, beschreibt Johann Friedrich Schiereck mit Bezug auf den von ihm selbst erfundenen Pediometer.
„Es wurde nun beschlossen, einige dieser Instrumente anfertigen zu lassen, und ich lieferte zu diesem Behufe die Beschreibung des Instruments, welches ich Kathetometer nannte, die dem damaligen Mechanikus, jezigem Münzmeister Rößler in Darmstadt, überschikt wurde, der einige dieser Instrumente zur vollkommenen Zufriedenheit ausführte, von denen ich noch ein Exemplar besize.“ [32]
1841 veröffentlichte Hektor Rößler (vermutlich der Senior) eine Abhandlung über „Tafeln zur Vergleichung und Reduktion der Längenmaße wie auch der Gewichte in verschiedenen europäischen Staaten“ nebst zwei zugehörigen Tafeln. [33]
Im Oktober 1862 findet sich im „Gewerbeblatt für das Großherzogthum Hessen“ ein Aufsatz über verbesserte „Punktir-Maßstäbe“, der auf die Rößler'schen Vorarbeiten eingeht:
„Schon vor einer Reihe von Jahren wurden in der damaligen mechanischen Werkstätte des Herrn Münzrath Rößler dahier Maßstäbe nach dem neuen Großh[erzoglich] Hess[ischen] Decimalmaße in Stahlblechen zur Ausführung gebracht, welche hinsichtlich ihrer Richtigkeit bei Längenmessungen, wie deren Uebertragung auf Risse und Zeichnungen etc. nichts zu wünschen übrig ließen, sobald man sie nur bezüglich ihrer letzterwähnten Benutzung (der Uebertragung auf die Planzeichnung) mit einiger Vorsicht zu handhaben verstand. Ein solcher Maßstab ist nämlich an seinem einen Längenrande mit Spitzen versehen, welche die Länge eines halben hessischen Fußes, sowie der 5 Zolle desselben und zwischen dem ersten Zolle jene der 10 Linien, auf's Genaueste angeben. Die Räume zwischen den Zoll- und Linien-Spitzen sind nicht aus freier Hand mittelst einer Feile geschaffen, sondern zur Erreichung möglichster Richtigkeit mit Hülfe einer Fräße und einer Längentheilmaschine erzeugt, wie man sich an solchen Maßstäben durch den Augenschein zu überzeugen vermag. Die so gebildeten Spitzen konnten deßhalb, im Durchschnitt betrachtet, nur viereckig entstehen. Demnach ergeben sich bei einem mit Vorsicht vollzogenen, gleichmäßigen und nicht zu starken Eindrücken derselben in Papier die zur Ausführung einer vollkommenen Zeichnung erforderlichen Punkte zwar immer als kleine viereckige Oeffnungen, dennoch in genügender Feinheit. Sobald man jedoch das richtige Maß dieses Eindrückens in die Papierfläche nur um Weniges überschreitet oder die Unterlage desselben ist nicht vollkommen eben, so veranlaßt die diesen Spitzen, der Dauerhaftigkeit halber, verliehene konische Form, größere viereckige Oeffnungen, welche bei einer allen Fleißes bedürfenden Zeichnung zu Unrichtigkeiten Veranlassung geben können und letztere bedeutend entstellen.“ [34]
Als Lösung dieses Problems offeriert der Artikelschreiber die entsprechend angepaßten Punktiermaßstäbe des Hofinstrumentenmachers F. Mahr mitsamt dessen Preisvorstellung.
Als Hektor Rößler 1817 zum Münzmeister berufen wurde, befand sich die Münze noch in der Infanteriekaserne zwischen Alexanderstraße (damals: Birngarten) und dem später weiter nach Osten verlegten Ballonplatz.
„Die M[ünze] selbst bestand aus zwei Gebäuden: einem Hauptgebäude mit allen Werkstätten und Lagereinrichtungen sowie der 1703 hinzugekommenen, so genannten ‚Strecke‘. Sie enthielt die für die Münzprägung notwendigen mechanischen Werke, für deren Antrieb die Wasserkraft des Mühlbachs genutzt wurde.“ [35]
Abbildung 01.10: Ausschnitt aus dem „Plan von Der Fürstlichen Residentz Darmstadt“ von 1798, ULB Darmstadt. Der Plan ist geostet. Die vom unteren Bildrand kommende Straße ist der Birngarten, sie läuft in einem Platz aus, der hier sinnreich als „vor der Münz“ erscheint.
Das großherzogliche Bestreben, die Zurichtung von Soldaten in der kleinstädtischen südhessischen Metropole zu zentralisieren, führte u. a. zum Ausbau der Infanteriekaserne. Daher mußte die Münze an einen neuen Standort ausweichen. Ausschreibungen für Abbruch- und Bauarbeiten in den zeitgenössischen Darmstädter Zeitungen zufolge dürfte der Umbau 1828 begonnen haben. Georg Moller und Franz Heger planten hierzu zu Beginn der 1830er Jahre einen klassizistischen Neubau am Mathildenplatz [36]. Hektor Rößler nutzte dabei nicht nur die Gelegenheit, den Innenraum der neuen Münze zweckmäßig auszurichten, sondern ließ in seiner eigenen Werkstätte, nunmehr vor den Toren der Stadt, nach einem verbessert ausgeführten auswärtigen Vorbild des Franzosen Saulnier [37] eine Dampfmaschine bauen, die wiederum das Streckwerk und ein kurz zuvor von Diedrich Uhlhorn konstruiertes Prägewerk betreiben sollte. Die Darmstädter Münze schloß 1881. [38].
Alle Darstellungen zur Darmstädter Technik- und Wirtschaftsgeschichte gehen davon aus, daß die erste hiesige Dampfmaschine in der neuen Münze stand. Und doch finden wir im Standardwerk „Darmstadts Geschichte“ folgende Passage:
„Die sich häufenden Anträge auf Zulassung fabrikmäßer Manufakturen kamen nur dann zum Zuge, wenn sie mit den bestehenden Gewerben nicht konkurrierten. […] Schlossermeister Johann Philipp Ettensberger durfte trotz der 1791 verhängten Bausperre für Grundstücke außerhalb der Stadt, wo sich vor dem Sporertor schon seit etwa 1770 das Armenviertel der Pancratien- oder Bangertsgasse entwickelt hatte, eine mechanische Werkstatt in seinem Garten vor der Stadtmauer ausbauen, da der Lärm seiner Dampfmaschine außerordentlich incommodiren würde. Das Industriezeitalter kündigte sich an, doch wurde die von Wilhelm Haußmann geplante Zeugfabrik noch 1797 verboten, da sie der Tuchmacherzunft Schaden zufügen konnte.“ [39].
Angesichts dessen, daß die erste deutsche Dampfmaschine erst 1785 installiert wurde, wäre dies – erst recht für die Werkstatt eines Schlossermeisters – ein sehr früher Zeitpunkt für eine Dampfmaschine in Darmstadt. Auch die Begründung erscheint etwas seltsam, denn das eigentliche Problem bei dieser neuen Technologie bestand ja nicht im Lärm, sondern in ihrer Brandgefahr. Eine Dampfmaschine in der Altstadt mit all ihren hölzernen Bauten wäre ein viel zu hohes Risiko gewesen; und das wußten die Stadtoberen ganz gewiß auch.
Wenn diese Maschine ein halbes Jahrhundert später nicht in den bekannten beiden Dampfmaschinenlisten auftaucht, liegt das sicherlich an der Art der hierzu durchgeführten Erhebung des Landesgewerbevereins. Den interessierte es wenig, was anno dunnemals geschehen war, sondern er wollte den Stand der Modernisierung und Technik um 1850 herum erfassen.
Wir sollten wir daher fragen: was haben wir uns in den 1790er Jahren in Darmstadt unter einer Dampfmaschine vorzustellen? Hier hilft es vielleicht weiter, daß der damalige Kammerrat Philipp Engel Klipstein in den 1780er Jahren mit Aeolipilen (ähnlich dem Heronsball) herumexperimentierte. Im Gegensatz zu den späteren Kraftmaschinen des Industriezeitalters forschte er nach einer Alternative zu Blasebälgen bei Metallschmelzen, deren Betrieb auf Wasserkraft beruhte. Ob Ettensberger eine solche Dampfmaschine betrieb, ist jedoch nicht überliefert.
»» Zu Philipp Engel Klipstein und seinen Dampfmaschinen siehe meine mit weiterführenden Literaturangaben versehene Darstellung.
Carl von Decker kommt in seinen „Mittheilungen einer Reise durch die südlichen Staaten des deutschen Bundes, einen Theil der Schweiz, Tyrol, die Lombardei, und durch Piemont bis Genua“ vom Sommer 1839 auch auf Darmstadt und seine militärische Organisation zu sprechen. Dabei schildert er seine Einladung zum geselligen Mittagessen an der Tafel des Großherzogs. Als eine Art Verdauungsspaziergang mag der nachfolgende kurze Ausflug zum Münzgebäude gedient haben.
„Da es noch hell am Tage war, so benutzten wir dies, um die hiesige Münze kennen zu lernen, und fanden bei dem Münzrath Rößler eine höchst gefällige Aufnahme. Der hiesige Münzapparat ist sehenswerth und die mechanischen Einrichtungen sind mir sehr zweckmäßig vorgekommen. Eine Dampfmaschine, deren Konstruktion gerühmt wird, setzt die verschiedenen Münzwerke in Bewegung. Nachdem die Silberplatten gewalzt und mit Hülfe der sogenannten ‚ewigen Kette‘ gestreckt sind, werden die rohen Scheiben ausgestanzt und sodann gewogen; fallen einzelne noch zu schwer in's Gewicht, so werden sie mittelst einer eignen Maschine behobelt. Noch muß ich bemerken, daß man die Platten, damit sie von den Streckwalzen ergriffen werden können, vorne mittelst einer sechseckigen Walze abschärft, was recht sinnreich erfunden zu seyn scheint, und eben so die Maschine, welche den Münzen die Ränder giebt. Das Prägen geschieht wie gewöhnlich mit einem Balancier, aber die ausgeprägten Stücke werden durch einen besonderen Mechanismus unter der Druckschraube weg und eine neue rohe Scheibe dafür hineingeschoben, was früher der Arbeiter mit den Fingern besorgen mußte, und wobei hie und da einer um ein Glied zu kurz kam. Wahrscheinlich befindet sich dieser zweckmäßige Mechanismus bereits bei allen neuen Münzpressen und ich erzähle dadurch den Münzkünstlern nichts Neues, aber ich habe mir einmal vorgenommen, Alles niederzuschreiben, was mir von Interesse erschienen ist; man kann wenigstens daraus ersehen, daß das Münzwesen in Darmstadt mit der Zeit fortzuschreiten bemüht ist. Es waren so eben neue ‚Rheinische Guldenstücke‘ in Arbeit, zu 17⅓ Preuß[ischen] Silbergroschen, und da diese Münze in allen Staaten des großen Zollverbandes ihre volle Gültigkeit hat, so ist dadurch ein wichtiger Schritt zur Vereinfachung des deutschen Verkehrs geschehen. Die Rechnung nach Gulden und Kreuzern scheint nur im ersten Augenblick unbequem, bei einiger Uebung ist sie sogar bequemer als die unsrige nach Thalern und Silbergroschen, weil der Gulden ohne Bruch sich durch 12 theilen läßt, der Thaler aber nicht.“ [40]
Bild 01.11: Die ehemalige Münze am Mathildenplatz, gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgenommen. Das Gebäude wurde um die Jahrhundertwende abgerissen und durch den 1905 vollendeten Bau des Amtsgerichts ersetzt. Quelle: Digitale Sammlungen Darmstadt, Sammlung Heil.
Auch Georg Wilhelm Justin Wagner plaudert in seiner 1839 verfaßten „Geschichte und Beschreibung von Darmstadt“ ein wenig über den Neubau der Münze und die Dampfmaschine:
„Die Münze liegt ganz nahe am Mainthor, und wurde von dem Oberbaurath Franz Heger in den Jahren 1831–32 erbaut. Die ist zweistöckig und hat eine Länge von 110 Fuß. Die Dampfmaschine, die erste im Großherzogthum, dient zum Betrieb des Streckwerks. Sie wurde 1830 in der vormaligen Werkstätte des Münzraths Rößler im Wesentlichen nach den von Saulnier in Paris verfertigten Dampfmaschinen erbaut, und ist ihrem System nach eine doppelt wirkende, bei welcher der Dampf abwechselnd auf beide Seiten der Kolbenfläche drückt. Die Dämpfe werden mit einem mittleren Druck von 39 Pfund auf den Quadratzoll angewendet, und die Kraft der Maschine ist auf 5 Pferdekraft berechnet.“ [41]
Bleibt der Autor bei der Rößler'schen Dampfmaschine noch ganz sachlich, so gerät er hinsichtlich des Darmstädter Maschinenbaus geradezu ins Schwärmen:
„Maschinenfabrik von Jordan. Sie gehört zu den bedeutendsten Teutschlands, und wetteifert hinsichtlich der Zweckmäßigkeit und Schönheit ihrer Fabrikate, mit den englischen. Jordan hat die erste nach amerikanischem System im Großherzogthum erbaute Mühle zu Lich und die erste Runkelrüben-Zuckerfabrik im Großherzogthum und vielleicht die größte Teutschlands, bei Pfungstadt eingerichtet. Er hat Maschinen für Zuckerraffinerien, Brückenwaagen etc. geliefert, und die Bestellungen aus weiter Ferne bestätigen seinen Ruf im In- und Auslande. Es werden alle Arten von Dampfmaschinen, hydraulische Pressen, Schraubenpressen, Gebläsmaschinen, Saug- und Druckpumpen, Koch- und Destillir-Apparate, Brückenwaagen jeder Art verfertigt, sowie Maschinen, die auf jeden Zweig des Fabrikwesens, der Landwirthschaft etc. Bezug haben, jederzeit vorräthig sind, oder sogleich nach Bestellung gefertigt werden. Erwähnt wird die Maschinenfabrik von Buschbaum.“ [42]
Abbildung 01.12/13: 1842 prägte Hektor Rößler als Münzmeister mit seinen Initialen dieses goldene 5-Gulden-Stück mit dem Emblem seiner Landesherren. Der Graveur war Carl Voigt. Der Durchmesser dieser Münze war etwas geringer als bei einem heutigen 10-Cent-Stück. Beim Namenszug wurde ein „S“ eingespart. Quelle: SMB. [43]
»» Auf die Maschinenfabrik von Johann Ludwig Buschbaum wird in Kapitel 2 näher eingegangen.
»» Die Dampfmaschine der Großherzoglichen Münze wird in Kapitel 3 im Zusammenhang mit der Einführung der Dampfkraft in Darmstadt und Umgebung betrachtet.
Hektor Rößlers Arbeiten waren nicht ohne Grund allseits geschätzt, was einige Expertisen belegen mögen. Schon 1807 betrieb Hektor Rößler sein geodätisches Handwerk.
„Diese Eigenschaften vereiniget folgende Einrichtung, welche der hiesige geschickte Mechanikus, Herr Rößler, nach dem Beyspiele des durch seine vollkommene Arbeiten so vortheilhaft bekannten Herrn Baumann in Stuttgardt, dem Meßtische giebt.“ [44]
Georg Gottlieb Schmidt, Professor für Mathematik und Physik in Gießen, schrieb 1813 in der zweiten Auflage seines „Handbuchs der Naturlehre“:
„Herr Mechanicus Rößler in Darmstadt verfertiget sehr vorzügliche Mikroscope mit 4 und 5 Gläsern nach der neuesten Einrichtung und vollständigem Apparat.“ [45]
Die Wertschätzung von Rößlers Arbeiten wird vermutlich schon bei dessen Tätigkeit als Mechanikus der Universität Gießen entstanden sein, wo beide gewiß persönlich miteinander verkehrten. So ist es wenig verwunderlich, daß selbiger Professor Schmidt aus Gießen bei Hektor Rößler
„eine neue Magnetnadel verfertigen [ließ], und derselben die Gestalt eines ½ Linie dicken und 2 Linien breiten Parallelepipedons geben, da bekanntlich falsche Nadeln eine stärkere magnetische Kraft annehmen, als die ganz dünnen zugespitzten Uhrfedern. Mit dieser neuen Nadel stellte“ [46]
er weiterführende Beobachtungen an. Georg Kaspar Chelius nahm des Münzmeisters Dienste 1819 in Anspruch.
„Hinsichtlich der kölnischen Mark, als Münzgewicht, finde ich mich veranlaßt, hier zu bemerken: daß der grhzl. hess. Herr Münzmeister (und geschickte Mechanikus) Rößler von Darmstadt im Juni 1819 bei mir seine kölnische Mark mit der meinigen oder frankfurter übereinstimmend fand, und daß, nach seiner mündlichen Erklärung in der Ostermesse 1822, seine erwähnte Mark immer noch dieselbe Schwere hatte.“ [47]
Der Rheinstrom führt seit langer Zeit einen hauchdünnen Anteil an ausgespültem alpinem Goldstaub mit sich. Es sind derart feinste Partikel, die sich nur an ausgewählten Standorten, nämlich dort, wo sich aufgrund der Strömung die Partikeldichte häuft, auszuwaschen lohnten. Die Goldwäscherei ist mindestens zwei Jahrtausende alt, auch wenn sich die Goldwäscher der Neuzeit nur notdürfig davon ernähren konnten. Vielleicht gab dieses Gold den Anlaß, sich den burgundischen Schatz der Nibelungen auszudenken. Als sich die Landgrafschaft Hessen im Banne der Napoleonischen Kriege zu einem Großherzogtum mauserte, weckte der feine Staub auch in Darmstadt gewisse Begehrlichkeiten. Doch erst der Münzmeister Hektor Rößler ging die Sache systematisch an und ließ bei Stockstadt den Rheinsand sieben. [48]
Hektor Rößler erkannte, daß der nach Plänen von Johann Gottlieb Tulla 1828/29 erfolgte Rheindurchstich am westlichen Rand des Kühkopfes genügend Kies und Sand aufgewirbelt hatte, um in der Gegend von Stockstadt gezielt nach Gold schürfen zu können. Er hatte in den Jahren zuvor bei Worms auf eigene Kosten entsprechende Versuche unternommen und erhielt vom hessischen Finanzministerium die Erlaubnis, auf eigene Rechnung nunmehr bei Stockstadt nach Gold zu suchen. Er zog den Goldwäscher Philipp Kuhn aus Leimersheim herbei, der die beiden wohl aus Stockstadt stammenden Johann Nesinger und Daniel Engelhard in der Kunst der Goldwäscherei unterrichten sollte. Nach althergebrachter Technik wurde der den Goldstaub enthaltende Sand auf Wolltücher aufgebracht und diese dann vorsichtig ausgespült. [49]
Rößler kaufte das so gewonnene Gold zum damals üblichen Preis von fünf Gulden pro Krone von 3,4 Gramm auf. Bis 1836 kamen so 69½ Kronen umgeschmolzenes Gold zusammen, das Rößler seiner Regierung für 347½ Gulden anbot. Diese geringe Menge reichte gerade einmal zur Prägung von sechzig 5-Guldenmünzen. Die Münzen erhielten auf der Vorderseite das Aussehen der zwischen 1835 und 1842 geprägten Serie von Fünfguldenstücken mit dem Konterfei der Monarchen. Auf der Rückseite hingegen wurde auf das Rheingold Bezug genommen und der Feingehalt mit 22 Karat und 6 Gran (93,75%) angegeben. Die sechzig Exemplare wogen zwischen 3,24 und 3,35 Gramm mit einem Feingewicht von 3,05 Gramm; ihr Durchmesser betrug zwischen 18,5 und 19 Millimetern. Auch wenn diese Münzen mit der Jahreszahl 1835 beschlagen wurden, so erfolgte die Prägung erst im August 1836.
Weitere sporadische Förderversuche dieses Rheingoldes erwiesen sich in Hessen als nicht erfolgreich. Dabei waren allein im Großherzogtum Baden 1831 noch dreizehn Kilogramm Gold gewonnen worden.
„Aus dem Badischen vom 8. Oktober. Nach einem ausführlichen, in dem landwirthchaftlichen Wochenblatte enthaltenen Aufsatze über die Goldwascherei am Rheine kommt dieses Metall zuerst bei Waldshut in dem Sande vor, nachdem sich bei dieser Stadt die Aar mit dem Rheine vereinigt und ihm das Gold zugeführt hat. Von hier an beginnt die Goldwascherei. Allein zwischen Waldshut und Basel sind nur wenige Goldgründe anzutreffen, indem der Rhein auf dieser Strecke von zu hohen Ufern eingeengt und seine Strömung zu stark ist; auch im weiten Thale unterhalb Basel bis gegen Kehl herab läßt das noch zu große Gefäll und der sehr veränderliche Lauf des Stromes nicht viele Goldgründe aufkommen. Aber von Kehl an bis gegen Dachslanden herab, eine Stunde von Karlsruhe, liegen die reichsten Goldgründe, und in dieser Beziehung ist namentlich die Gemarkung des Dorfes Helmlingen, Amts Rheinbischofsheim, ausgezeichnet. Auch unterhalb Dachslanden bis gegen Philippsburg und weiter hinab befinden sich noch Goldwaschereien, deren Ertrag aber durch die bereits ausgeführten Rheindurchschnitte sehr abgenommen hat. Unterhalb Mannheim wird nur sehr wenig und von Mainz an bis zum Ausflusse des Rheins gar kein Gold mehr gewaschen. Das Rheingold kommt gediegen in feinen, mehr oder weniger zerriebenen Blättchen vor; es ist von durchaus gleicher edler Mischung, die 934 Tausendtheile feines Gold und 66 Tausendtheile feines Silber enthält.
Früher wurden am badischen Rheinufer die Goldgründe in Pacht gegeben, oder aber den Goldwaschern zur Pflicht gemacht, ihre ganze Ausbeute für einen bestimmten niederen Preis an die Regierung abzugeben. Seit dem Jahre 1821 aber wird der volle Werth der Krone Rheingold mit 5 fl. bezahlt, und dieses Gewerbe ist ganz freigegeben, jedoch muß das gewonnene Gold an die Münze abgegeben werden. Die Zahl der Goldwascher im Badischen beläuft sich dermalen auf 400, worunter sich auch Frauen und ältere Kinder befinden. Von 1804 bis 1834 hat sich die Goldwascherei fortwährend sehr gehoben, denn in diesen 30 Jahren sind 41.815 Kronen, etwas über drei Zentner, Gold zur großherzogl. Münze geliefert worden, welche, zu 5 fl. die Krone, 209.075 fl. betragen. Die reichste Ausbeute war im Jahre 1823 mit 2300, sodann im Jahre 1831 mit 3716 Kronen. Seit 1834 ist die jährliche Ausbeute wieder auf 2000 Kronen zurückgegangen. Das Rheingold wird dermalen in seinem natürlichen Zustande zu Dukaten verprägt, auch werden alle großherzogl. Medaillen aus Rheingold geschlagen.“ [50]
Abbildung 01.14: Das Goldwaschen bey Carlsruhe, aus: Aloys Schreiber : Trachten, Volksfeste und charakteristische Beschäftigungen im Großherzogtum Baden, Freiburg um 1825. Quelle: Wikimedia Commons.
Am 14. September 1832 „wurde dem Münzmeister Hector Rößler dahier der Charakter eines Münzrathes erteilt.“ Damit verbunden war die Aufgabe seiner Werkstätte.
„Ich mache hierdurch die Anzeige, daß ich das bisher geführte mechanische Geschäft aufgegeben habe, jedoch mit Ausnahme des optischen Theils desselben, welchen ich durch meinen Opticus für meine Rechnung werde fort betreiben lassen. Meine Herren Abnehmer wollen sich daher von jetzt an gefälligst an den Opticus Gottlob Oechsle, wohnhaft bei Kaufmann Rößler in der Ludwigsstraße wenden, wobei alle Arten optische Gläser, Brillen, Perspective, Microscope etc. vorräthig oder auf Bestellung zu haben sind.“ [51]
Johann Jakob Rößler war der älteste der drei beim Tod des Vaters Johann Peter noch lebenden Brüder. Er war am 5. April 1769 in Darmstadt geboren worden und erlernte wohl bei seinem Vater das Dreherhandwerk. Noch bevor dieser 1806 starb, wurde Jakob vor 1800 zum Hofkunstdreher ernannt, was sein Auskommen sicherlich befördert haben wird. Wann er als Darmstädter Burger aufgenommen wurde, habe ich noch nicht herausbekommen können. Jedenfalls dürfte er nach dem Ende der Napoleonischen Herrschaft einer der wohlhabenderen Bürger der Stadt gewesen sein. Am 16. August 1798 heiratete er die zehn Jahre jüngere Karoline Elisabethe Kling, die am 6. Oktober 1810 verstarb. Drei Jahre später heiratete er zum zweiten Mal, diesmal Friederika (Friederike) Charlotte Christiane Eckhardt, vielleicht eine Verwandte des Geodäten Christian Eckhardt, am 29. Juni 1813. Ihr Vater war der zu Zwingenberg verstorbene Gräfisch Erbachische Kammerdiener Johann Leonhard Eckhardt. [52]
Im Dezember 1805 annoncierte er zum bevorstehenden Weihnachtsgeschäft, er habe „eine vorzüglich schöne Auswahl ganz neuer Artikel, Nürnberger, Sächsischer und französischer Waaren, sowohl zum gemeinnützigem Gebrauche, als auch zur lehrreichen und angenehmen Unterhaltung zu Weihnachtsgeschenken für Kinder, wie auch für Erwachsene, erhalten“. 1812 kaufte er das zentral am Marktplatz gelegene Haus Nro. 539 des verstorbenen Fürstlichen Pfarrers Johann Adam Sell, das ab 1818 die Anschrift Lit. D Nr. 126 trug, dessen Witwe Johannette für 15.000 Gulden ab. Dort hatte er seine Werkstatt und ein Geschäftslokal. Die oberen Stockwerke wurden vermietet. Als die Witwe, der er das Haus abgekauft hatte, im Dezember 1813 starb, waren von der Summe des Kaufpreises noch mehr als die 10.000 Gulden offen, welche die zehn Erben 1819 bei passender Gelegenheit einforderten. [53]
Im April 1814 gab es aufgrund des Todesfalls folgende kuriose Annonce:
„Mittwochs den 20ten dieses, des Nachmittags um 2 Uhr sollen zum Behuf der Auseinandersetzung der Pfarrer Sellischen Erben ohngefähr 24 Ohm durchaus rein gehaltener Weine von verschiedenen Lagen und Jahrgängen, zum Theil von ausgezeichneter Güte, mit den Fässern in dem Hofdreher Rößlerischen Hause auf dem Marktplatz, gegen baare Bezahlung an den Meistbietenden öffentlich verkauft werden, welches daher, und daß alsdann die Proben bei den Fässern genommen werden können, zu jedermanns Nachricht hiermit bekannt gemacht wird.“
Da wird es sich gewiß nicht (nur) um Meßwein gehandelt haben. Die genannten 24 Ohm dürften etwa 3.600 bis 3.800 Liter gewesen sein. Alkoholismus war in den besseren Kreisen damals weit verbreitet und überhaupt nicht anstößig; ein Thema, das wir in den nachfolgenden Kapiteln immer wieder antreffen werden. Ganz anders wurde die verteufelte Trunksucht der unteren Schichten kommuniziert. [54]
Abbildung 01.15: Fürstliches Polizeideputations-Publicandum. „Da mehrmalen mißfällig wahrgenommen worden, daß an Sonn- und Feyertagen während der Kirche mehrere Wirthshäuser […] mit Gästen sehr besetzt gewesen, welche öfters gelärmt und gespielet, besonders mehrere junge Handwerker, statt sich an diesen Tagen auf eine anständige und sittliche Weise zu vergnügen […].“ Und wer kein „anständiges“ Besaufnis hinbekommt, der wird bestraft. Den unteren Schichten mußte der Kirchgang geradezu eingebleut werden, denn von alleine gingen sie nicht in die Kirche. Quelle: Darmstädtisches Frag- und Anzeigungs-Blatt vom 25. Juli 1803. [55]
Einige Tage nach der Weinprobe wurden das der Witwe gehörende Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Messing, Blech, die Hausmöbel und allerlei Hausrat an Ort und Stelle verkauft. Sie wird wohl noch bis zu ihrem Tod in ihrem ehemaligen Haus gewohnt haben. [56]
Dieses Haus sollte sich für Jakob Rößler als eine Goldgrube erweisen. Die im Westen mit der Mollerstadt vollzogene Stadterweiterung wurde weiter südlich entlang der alten Stadtbefestigung fortgeführt. Um die Häuser der Begüteteren besser an den Markt anzubinden, wurde eine Stichstraße von der Baustraße (später: Elisabethenstraße) zum Marktplatz projektiert, die heutige Ludwigstraße. Diesem Projekt standen am Markt einige Häuser im Weg, unter anderen das frisch von Jakob Rößler erworbene. Die Stadt kaufte es im Dezember 1818 für 24.000 Gulden an. Als Vertragspartner der Käuferseite wird im Kaufvertrag der Hofkammerrat Ludwig Schleiermacher genannt. Schleiermacher, Eckhardt, Rößler, eine Verbindung, die sich auszahlte. Er erhielt im Gegenzug einen Bauplatz an der neuen Straße unweit vom Markt und richtete dort sein neues Geschäft ein. Mit dem nochmals revidierten Brandversicherungskataster erhielt das Grundstück nach 1830 die Anschrift Lit. E Nr. 47 und wurde dadurch auch formal den besseren Kreisen zugeschlagen. [57]
Abbildung 01.16: Auszug aus dem 1822 entstandenen Geometrischen Plan der Großherzoglichen Residenzstadt Darmstadt von Georg Louis und Gottlieb Börner. Die drei Rößler-Brüder Hektor (H), Jakob (J) und Friedrich (F) waren 1822 an den blau markierten Orten anzutreffen. Quelle: ULB Darmstadt.
Dabei sah es zunächst nicht danach aus, als sollte Jakob Rößler sein Haus gewinnbringend verwerten können. In einem ursprünglichen Entwurf einer neuen Straße von der Baustraße zur Altstadt war wohl der direkte Weg zur Stadtkirche favorisiert worden. [58]
Abbildung 01.17: Plan der projektierten neuen Straßen in der Innenstadt von Darmstadt zwischen Marktplatz, Stadtkirche und Baustraße von 1816. Links ist die Stadtkirche und der Marktplatz eingetragen; dazwischen der Name „Rößler“ für das Grundstück, das für den Straßenbau zu erwerben war.
Parallel zur Vertragsunterzeichnung begann Jakob Rößler im Dezember 1818 seinen Räumungsverkauf und vergaß hierbei auch das Weihnachtsgeschäft nicht:
„Bei einer mir bevorstehenden Wohnungsveränderung habe ich alle Ursache, auf die schnellste Räumung meines Waarenlagers bedacht zu seyn, für welchen Zweck ich mir erlaube, meine hiesige und auswärtige verehrte Freunde zu geneigtem Zuspruch hiermit öffentlich einzuladen. Gerade jetzt bin ich ganz vorzüglich gut assortirt, worunter ich besonders Gegenstände von bedeutender Auswahl zähle, welche bei dem sehr nahe liegenden Christ- und Neujahrsfest sich als Geschenke für Erwachsene und Kinder trefflich eignen.
Die meisten Kinderspielwaaren werde ich um oder unter den Einkaufspreisen gegen baare Zahlung abgeben.“ [59]
Anfang 1820 hatte er sein neues Haus mit seinem Ladengeschäft bezogen und annoncierte die Geschäftseröffnung im April mit einem besonderen Hinweis auf frisch eingetroffene italienische Strohhüte. Das Haus am Markt wurde im Februar 1820 auf Abriß versteigert und benötigte für einen geneigten Interessenten wohl einen zweiten Anlauf. [60]
Am 18. April 1820 durften die Darmstädter Stimmbürger erstmals für eine Landtagswahl an die Urne treten. Damit das gemeine Volk nicht zu übermütig reagierte, wurde der Wahlprozeß gesteuert. Zunächst durften nur diejenigen Männer ihre Stimme abgeben, die mindestens 25 Jahre alt waren und 20 Gulden direkte Steuern zahlten. Dies betraf nur etwa ein Sechstel der Stadtbevölkerung. Alsdann wurde der Wahlprozeß in drei Stufen durchgeführt. Im ersten Wahlgang wurden vierzig Bevollmächtigte als erster Filter gewählt, die aus den sechzig Männern über 30 Jahren mit dem höchsten Steueraufkommen sich zwanzig Wahlmänner als zweiten Filter aussuchen durften, die dann wiederum die beiden Darmstädter Landtagsabgeordneten wählten. Der Monarch und seine Gesinnungsgenossen erhofften sich hiermit ein wohlgefälliges Parlament; ein Plan, der nur begrenzt aufging. Unter den sechzig Höchstbesteuerten des Wahlbezirks Darmstadt befand sich der Kaufmann Jakob Rößler, auf den am 23. Mai 1820 dreiundzwanzig der möglichen vierzig Stimmen entfielen. Für wen er als Wahlmann anschließend gestimmt hat, ist nicht überliefert. [61]
Das Hutgeschäft in Jakob Rößlers Laden muß gelaufen sein. Ab 1826 kooperierte er mit dem Offenbacher Hutfabrikanten H. Wilhelm Martini und vertrieb in Kommission dessen „runde und Militär-Hüte in verschiedenen Qualitäten“. Das Sortiment wurde 1828 um Herren-, Damen-, Mädchen- und Kinderhüte „nach den neuesten Formen“ erweitert [62]. Wie seinerzeit üblich, wurden auch in den Häusern begüteterer Männer (und seltener Frauen) Einzelzimmer oder ganze Stockwerke vermietet. Eine Mieterin, Henriette Heinrich, war bei Jacob Rößler 1832 untergekommen.
„Seit mehreren Jahren habe ich mich in Putzarbeiten practisch auszubilden gesucht und glaube es darin zu einer solchen Fertigkeit gebracht zu haben, daß meine Arbeiten zu den geschmackvollsten gezählt werden dürfen. Ich finde mich deßhalb veranlaßt, ein verehrungswürdiges Publikum hiervon mit dem ergebensten Bemerken in Kenntniß zu setzen, daß alle Arten von Frauenhüten, Hauben u. d. gl. nach der neuesten Mode und den billigsten Preisen von mir verfertigt werden. Meine Leistungen werden mir Vertrauen erwerben und erhalten.“ [63]
Jakob Rößler sollte um die Jahreswende 1832/33 herum seinem Bruder Friedrich nach Schönberg folgen, wovon noch die Rede sein wird. Im Dezember 1832 annoncierte er, sein Geschäft in der Ludwigsstraße aufgeben zu wollen, wenige Tage zuvor war seine Frau Friederika gestorben. Im Juli 1833 sollte dort der jüdische Bettenhändler Löw Wolfskehl sein Geschäft aufschlagen. [64]. Die Abwesenheit Jakob Rößlers wußte der Drehermeister Friedrich Braun aus Darmstadt für sich zu nutzen. Jakob war ja nicht nur Geschäftsmann, sondern auch Hofdreher und wandelte damit auf den Spuren seines Vaters Johann Peter, der sich als Drehermeister in Darmstadt niedergelassen hatte. Friedrich Braun beanspruchte für sich den Titel eines Hofdrehers und erhielt am 9. Oktober 1833 den Segen des Großherzogs. [65]
1836 soll Jakob Rößler nach Frankreich ausgewandert sein [66]. Dabei kann es sich aber, sofern zutreffend, nur um ein kurzes Intermezzo gehandelt haben, denn am 31. Januar 1840 verstarb er im Alter von 70 Jahren, 9 Monaten und 25 Tagen – in Darmstadt. Sein Haus in der Ludwigsstraße verkaufte er kurz zuvor dem jüdischen Händler Salomon Homberger für 18.000 Gulden [67]. In seinem Testament vom 9. Mai 1834 hatte Jakob Rößler verfügt, daß sein Vermögen je zur Hälfte an seinen Bruder Hektor und an die Kinder seines jüngsten Bruders Friedrich gehen sollte. Denn eigene Kinder hatte er nicht. Dabei erhielt Friedrich den lebenslangen Nießbrauch. Gegen selbigen war kurz zuvor ein Konkursverfahren eröffnet worden und so galt es, im Falle einer Erbschaft das Vermögen vor dem Zugriff der Gläubiger zu schützen. Allerdings hatte er eine Einschränkung in Bezug auf die beiden ältesten noch lebenden Söhne Friedrichs formuliert.
„Da die beiden ältesten Söhne meines Bruders Friedrich, nemlich Friedrich und Christian Rößler, sich bisher höchst leichtsinnig betragen und ihre Unfähigkeit, den ihnen zugestandenen Erbtheil selbst zu verwalten, an den Tag gelegt haben, so will ich, daß solcher ihnen nach dem Ableben ihres Vaters nur dann soll ausgeliefert werden, wenn sie obrigkeitliche Zeugniße ihrer Leistung, und ihrer Fähigkeit zu Begründung eines anständigen Etablissements werden beigebracht haben.“
Von den hier gemeinten beiden 1812 und 1813 geborenen Söhnen Friedrichs starb Friedrich Jakob 1835 in Afrika, den anderen, Christian, scheint es nach Dortmund verschlagen zu haben. Friedrich Rößler erkannte das Testament am 25. Februar 1840 als gültig an. Nach Abzug der Verbindlichkeiten des Verstorbenen und der gerichtlichen Gebühren erhielten Hektor und die Kinder Friedrichs jeweils rund 6.000 Gulden ausbezahlt. [68]
Hektor Rößlers mechanisches Tätigkeitsgebiet scheint nach 1832 durch den Hofmechanikus Georg Siener übernommen worden zu sein, der sich kurz nach Rößlers Anzeige quasi als Nachfolger empfahl:
„Der Unterzeichnte macht hiermit bekannt, daß er sein bisheriges Logis in der Baustraße verlassen hat, und in das demselben schräg gegenüber stehende Hofschreiner Künzel'sche Haus Lit. E Nr. 93 gezogen ist.
Zugleich bemerkt er, daß bei ihm alle mathematische, physicalische und optische Instrumente auf das solideste verfertigt werden, und stets eine vollständige Auswahl von Reißzeugen, Perspectiven, Brillen u. s. w. bei ihm zu finden ist. Verhältnißmäßig billige Preise und die Güte der bei ihm gekauft werdenden Gegenstände, werden ihn noch besonders empfehlen.“ [69]
Hektor Rößler sah sich zeitgleich mit der Aufgabe seines Geschäftes veranlaßt, eine Warnung auszusprechen. Einen speziellen Anlaß wird es wohl gegeben zu haben, aber er ist nicht überliefert: „Ich warne hiermit, ohne meine schriftliche Einwilligung auf meinen Namen etwas abzugeben. Münzmeister Rößler.“ [71]
Als Jakob Rößler nach dem Tod seiner Ehefrau Friederika annonciert hatte, sein Geschäft in der Ludwigsstraße aufgeben zu wollen, war davon wohl auch der Vertrieb der optischen Instrumente und Materialien Hektor Rößlers betroffen. Somit setzte dieser für den 19. und 20. Dezember 1832 zwei Versteigerungen an, eine in seinem Hause und eine in der großherzoglichen Münze, diesmal um die Werkzeuge, Maschinen und anderes Material seiner Werkstätte zu verkaufen.
Es ist recht wahrscheinlich, derzeit aber nicht belegbar, daß er die Hofreite Ende der 1820er Jahre erworben hat, als die alte Münze in der Infanteriekaserne abgerissen werden sollte und er deswegen neue Räumlichkeiten für den Betrieb seiner Werkstätte und den damals zumindest in Darmstadt noch unerprobten Bau und Betrieb einer möglicherweise als gefährlich angesehenen Dampfmaschine außerhalb der früheren Stadtummauerung finden mußte. Mit der Aufgabe der Werkstätte wäre auch der Nutzen der Hofreite obsolet gewesen. Seine Wohnung konnte er nunmehr im neu erbauten Münzgebäude am Maintor nehmen. [72]
„Da ich mein mechanisches Geschäft aufgegeben habe, so werde ich Mittwoch den 19. d. M. in meinem Hause vor dem Mainthor verschiedene mechanische Werkzeuge und Maschinen, worunter sich mehrere Drehbänke, Schraubstöcke, kleine Handwerkzeuge und Maschinentheile, eine kleine hydraulische Presse, ein vollständiger Glasschleifapparat mit 180 Stück Schleifschalen und eine Parthie vorräthige silberne und stählerne Brillen, Perspective und optische Gläser befinden, gegen gleich baare Zahlung öffentlich versteigern lassen.“
„Donnerstag den 20. d. Mts., Vormittags 8 Uhr, sollen in dem Münzgebäude zu Darmstadt verschiedene überflüssig gewordene Werkzeuge und Geräthschaften, worunter mehrere große Schraubenpressen, einzelne Schraubenspindeln, ein Durchschnitt- und ein Walzenwerk befindlich, gegen gleich baare Zahlung öffentlich versteigert werden.“ [73]
„Die erste mechanische Werkstätte, welche sich durch Verfertigung höchst sorgfältig ausgeführter mathematischer und physikalischer Werkzeuge auszeichnete, und sich einen wohlbegründeten Ruf in Deutschland erwarb, war die vor 30 Jahren von Rößler errichtete in Darmstadt. Eine Fabrik für größere Maschinen wurde später damit verbunden und darin die vorzüglichen Prägwerkzeuge und die Dampfmaschine der hiesigen Münze verfertigt, welche letztere die erste Dampfmaschine im Großherzogthum, und bis heute noch die einzige, im Betrieb befindliche Maschine dieser Art ist. Leider ist diese großartige Anstalt vor einigen Jahren eingegangen, da die Dienstverhältnisse ihres Besitzers keine Muse mehr zu deren Betrieb übrig ließ.
Was mathematische und physikalische Werkzeuge betrifft, so werden dieselben von Siener in Darmstadt nunmehr in gleicher Vollkommenheit geliefert; seine nach Reichenbachischer Art eingerichtete Theilmaschine kann den besten in Deutschland beigezählt werden.
Die vor einigen Jahren von Jordan in Darmstadt neu etablirte Fabrik großer Maschinen ist im Aufblühen begriffen; sie hat schon viele bedeutende Maschinen geliefert, und aus ihr sind die ersten Mühlen nach dem amerikanisch-englischen System, so wie die Maschinen für Zuckerfabrikation im Großherzogthum, hervorgegangen. Außerdem verdienen die ähnlichen Anstalten von Houben und de Barri [d. i. de Bary, WK] und Heim in Offenbach, so wie von Amelungen und Stumpf in Mainz rühmliche Erwähnung.“
Quelle: Uebersicht der vorzüglichsten Gewerbe im Großherzogthum Hessen, in: Verhandlungen des Gewerbvereins für das Großherzogthum Hessen, II. Quartalheft 1837, Seite 4ff., Zitat auf Seite 8.
„Obgleich die Eisenhüttenwerke im Großherzogthum, sowohl in Bezug auf unmittelbare Darstellung des Eisens aus den Erzen, als auf die Verarbeitung des Roheisens zu Schmiedeisen, in ziemlich großer Ausdehnung betrieben werden, so hat doch kein Eisenhüttenwerk von Bedeutung Erzeugnisse seiner Fabrikation zur Ausstellung gesendet. Nur von der Rößler'schen Eisenhütte in Schönberg, welche Roheisen und Bruchseisen in Kupolöfen umschmelzt und zu Gießereigegenständen verwendet, waren einige Proben ausgestellt. […] Von dem Rößler'schen Eisenhüttenwerk in Schönberg, wie schon erwähnt, das einzige, welches in diesem Fabrikate etwas zur Ausstellung brachte, waren verschiedene Proben von Kupolofenguß, nemlich einige Verzierungen und Ornamente ausgestellt, welche in Bezug auf ihre Formen und reinen Guß für lobenswerth erklärt wurden.“
Quelle: Bericht über die vom 4. bis zum 13. September d. J. in Darmstadt stattgefundene erste Ausstellung inländischer Gewerbserzeugnisse, in: Verhandlungen des Gewerbvereins für das Großherzogthum Hessen, III. Quartalheft 1837, Seite 24ff., Zitat auf Seite 32 und 33; zu: Gießereigegenstände und gezogene Bleiröhren. [74]
Nachdem Hektor Rößler sich mit seiner Ernennung zum Münzrat gezwungen sah, sein bislang betriebenes Geschäft mitsamt der damit verbundenen Werkstätte aufzugeben, muß es zunächst verwundern, daß er nunmehr in Schönberg ein Eisenhüttenwerk betrieben haben soll. Tatsächlich war es jedoch sein Bruder Friedrich, der 1831 die Gelegenheit ergriff, die sich im Gräflich Erbach-Schönberger Besitz befindliche Herrenmühle zu erwerben, um dort ein Hammerwerk zu errichten. Diese Herrenmühle wurde erstmals 1555 erwähnt [75]. Die Geschäftstätigkeit entwickelte sich jedoch nicht so, wie es sich Friedrich Rößler vorgestellt hatte. Zum einen beschwerten sich die Besitzer der unterhalb der Herrenmühle angesiedelten Mahlmühlen über die erhebliche Wasserentnahme für das Hammerwerk. Infolge dessen konnten sie mangels Wasserzufluß ihre Mühlen nicht kontinuierlich betreiben. Zum anderen führten die Beschwerden dazu, daß sich die Obrigkeit einmischte und feststellte, daß zum Betrieb eines Hammerwerkes eine eigene Konzession notwendig werde. In der Folge konnte Friedrich Rößler seine Außenstände, unter anderem die Abgaben an das Gräfliche Rentamt, nicht begleichen, woraufhin ein Konkursverfahren gegen ihn eröffnet wurde. [76]
Am 2. April 1832 schreibt der Kreisrat in Heppenheim an seinen Kollegen in Bensheim.
„Rubricirt hat bei der höchsten Staatsbehörde um die Erlaubniß zur Anlage eines Eisenhammers in der von ihm erkauften vormals Zehischen Mühle zu Schönberg, in welcher er, wie Ihnen bekannt ist, bisher schon ein Eisenhammerwerk betrieben hat, nachgesucht.
In den früheren, dieses Gegenstandes wegen gepflogenen Verhandlungen, hat sich nun, wie Sie aus der Anlage ersehen werden, Gr[oßherzogliche] Oberbaudirection dahin ausgesprochen, daß ein solches Hammerwerk sich alsdann ohne Benachtheiligung der Unteren Müller, würde betreiben lassen, wenn Rößler ueber seinem Mühlengerinne, noch ein Leergerinne anlege, welch letzteres jedes mal alsdann geöffnet werden müße, wenn das Mühlengerinne zugestellt werde.
Ich ersuche Sie deßhalb, die Untermüller in Bensheimer Gemarkung zu vernehmen, ob sie bei Anlage eines solchen Mühlengerinnes gegen das projectirte Hammerwerk nichts zu erinnern fänden, oder welche weiteren Vorkehrungen sie deßhalb etwa noch für nothwendig hielten.
Das aufzunehmende Vernehmungsprotocoll ersuche ich Sie, mir, unter Rückschluß des Communicats zuzusenden.“
Mit Datum vom 30. Januar 1833 setzt das hessischen Ministerium des Innern und der Justiz den Heppenheimer Kreisrat vom juristischen Stand der Dinge in Kenntnis.
„Rößler hat mit erblichherrlichem Consens – als nichts weiter erscheint das Decret der Rentkammer zu König vom 14ten Junius 1831 – die Mühle des Erbleihmüllers Zeh zu Schönberg erkauft und kann also nur so viel Wasser ansprechen, als zum Betrieb einer Mahlmühle erforderlich ist. Zur Anlegung eines Eisenhammers, wozu, praevia causae cognitione [nach vorangegangenem Vergleich, WK], eine Concession der Staatsbehörde erforderlich, ist er bis jetzt nicht conceßionirt.
Bis dahin ist also der status quo – in Bezug auf den Wasser-Gebrauch, ein solcher zum Betrieb der Mahlmühle bestanden – mit polizeilicher Strenge herzustellen und zu handhaben und es ist somit nicht zu dulden, daß durch die zum unconcessionirten Betrieb eines Eisenhammers geschehenen Wasser-Anlagen und das nöthige Wasser Stauen den unterhalb gelegenen Mühlen das vorher gehabte Wasser entzogen, verkümmert, oder gar das Mahlwesen zu Zeiten unmöglich gemacht werde.
Zugleich haben Sie den Rößler unter dem geeigneten Präjudiz aufzufordern, sich in so fern er bei der Eisenhammer-Anlage zu beharren gemeint sey, über die dazu erforderliche Erlaubniß binnen einer zu setzenden Frist auszuweisen.“
Am 3. April 1834 unterzeichnet der „gehorsamste Diener“ Friedrich Rößler eine Eingabe an den Heppenheimer Kreisrat, worin er darauf verweist, er habe am 23. Januar des Jahres um eine Konzession ersucht, bislang aber noch keine Antwort erhalten. Die Angelegenheit sei dringend, da der ihm zuteil werdende Verlust wegen der notwendigen Konzessionierung „täglich drückender“ werde. Vielleicht habe er auch einen Formfehler begangen, den er zu korrigieren bittet:
„Sollte ich wegen Mangel an gehöriger Kenntniß das erforderliche Stempelpapier versäumt haben, so bitte ich ferner geziemend dasselbe gefälligst beylegen, und mich den Betrag dafür nachzahlen zu lassen.“
Er muß wohl die Konzession erhalten haben, denn die Beschwerden über die Wasserentnahme des Eisenhammers reißen nicht ab. Mit der Konzession war eine Verfügung verbunden, die den Hammerbetrieb durchaus zu beeinträchtigen in der Lage war. So informiert am 10. Januar 1835 der Heppenheimer Kreisrat seinen Bensheimer Kollegen davon, daß dem „Hammerbesitzer Rößler alles Stauen und Hemmen des Hammers bei 10 Reichs[thalern] Strafe und unter Verantwortlichkeit für jeden verursacht werdenden Schaden untersagt“ worden sei. Am 25. Juni 1835 eskalierte der Streit zwischen Friedrich Rößler und den Müllern. Selbige zogen mit Äxten, Hebeisen und anderen Gegenständen bewaffnet hinauf nach Schönberg, ließen sich auch vom einheimischen Bürgermeister nicht beschwichtigen und sollen einige Zerstörungen am Hammerwerk angerichtet haben. Daraufhin führte der Heppenheimer Kreisrat zwei Tage später einen Ortstermin durch und forderte die Kontrahenten, die Müller und den geschädigten Hammerwerksbesitzer, dazu auf, ihren Streit gefälligst vor einem ordentlichen Gericht auszutragen. Zwei Wochen später gab es die nächste Beschwerde. Der Bensheimer Kreisrat sprach hierüber tags darauf, am 12. Juli 1835, mit Friedrich Rößler.
„Gestern, so gaben die Müller an, haben ihre Mühlen wieder beinahe zwei Stunden kein Wasser gehabt, weil Rößler mit dem großen Hammer arbeiten ließ.
Auf die drängende Beschwerde der Müller war ich an dem Eisenhammer, Rößler entschuldigte das Ausbleiben des Wassers damit, indem er mir angebe[?]:
zwei fremde Müllerpurschen seyen an dem unteren Wasser gewesen, hätten das Schäßbrett so zugestellt, daß keine ½ Zoll das Wasser hätte in den Mühlgraben fließen können, er habe aber alsbald diesem Frevel abgeholfen, er habe die Müllerpurschen nicht gekannt.
Es wird wohl jedem sehr einleuchtend seyn, daß diese Angabe grundfalsch und erlogen ist, wäre sie aber wahr, so ist es doch an Rößler die unterliegenden Müller vor dergl. […] zu schützen. Es ist offenbar, daß Rößler bei kleinem Wasser den Eisenhammer nicht ohne Nachtheil der Müller benutzen kann, ich ersuche Sie den Bürgermeister Rettig darüber mit pflichtmäßigem Gutachten zu hören und ihm den Gebrauch des Hammers vor der Hand zu untersagen, auch mich von Ihrer Verfügung in Kenntniß zu setzen.“
Es scheint, als habe sich Friedrich Rößler bei Bedarf über die Verfügung, den Müllern das Wasser nicht abzudrehen, einfach hinweggesetzt. Und sollte er doch einmal zur Rede gestellt werden, tischte er fast schon arrogant eine Räuberpistole auf.
Der erzwungene Stillstand des in Erbleihe erworbenen Hammerwerks, in das Friedrich Rößler wohl sein vorhandenes Vermögen gesteckt haben dürfte, führte zu einer Gläubigerversammlung am 14. Oktober 1833 in Schönberg. Jakob Rößler muß nachfolgend bei der Versteigerung der Friedrich Rößler'schen Immobilien die Rechte an der Erbleihmühle erworben und sie im Verlauf des Jahres 1834 für 5.500 Gulden an Hektor weitergegeben haben. Dieser meldet daraufhin am 17. Dezember 1834 beim Kreisamt Heppenheim an, nunmehr der Besitzer und Betreiber der Mühle zu sein, und sein Bruder Friedrich führe die dortigen Geschäfte. Am 18. Juli 1835 schlägt er, der ja irgendwie auch ein begnadeter Ingenieur ist, eine technische Lösung für das Wasserproblem vor und legt seiner Beschreibung eine Skizze bei. Nichtsdestotrotz zieht sich die Angelegenheit weiter hin, denn nunmehr müssen zwei Gutachter beauftragt werden, deren Gutachten am 7. Februar 1837 vorliegt. Diese Gutacher, ein Geometer aus Groß-Gerau und ein Mühlenbesitzer aus Auerbach, hatten sich die Mühlenanlagen entlang des Baches genau angeschaut, Messungen bei unterschiedlichen Wasserständen durchgeführt und schließlich festgestellt, daß, wenn alle Mühlenbesitzer ihre Anlagen in Ordnung halten würden, die Wasserverwendung durch den Rößler'schen Eisenhammer keine Komplikationen hervorrufe. Damit scheint die Angelegenheit als erledigt betrachtet worden zu sein.
Und so erhalten wir unter leichter Verballhornung des Berichtes über die Gewerbeausstellung 1837 folgendes wohlwollende Bild:
„Ueber die Eisenhüttenwerke in unserm Großherzogthum geben uns die Gewerbvereins-Blätter eine Notiz, woraus wir sehen, daß auch diese Branche der Industrie, besonders in den Provinzen Oberhessen und Starkenburg (wo sich überhaupt in unserm Lande die meisten Eisensteine befinden) recht brav kultivirt wird. […]
Das Rößler'sche Eisenwerk in Schönberg, ebenfalls sehr bedeutend, schmelzt Roheisen und Brucheisen zu [sic!] Kupolöfen um, und läßt sie zu Gießereigegenständen aller Gattung verwenden. Von diesem Werke allein sind bei der letzten Industrue-Ausstellung Gegenstände vorhanden, und zwar Proben von Kupolöfenguß, Verzierungen und Ornamente, die damals die Theilnahme der Beschauer gefunden haben.
Aus der angeführten Uebersicht dieser Eisenhüttenwerke erhellt, daß im Großherzogthum bereits, sowohl was die Darstellung des Eisens aus den Erzen, als was die Bearbeitung des Roheisens zu Schmiedeeisen betrifft, große Thätigkeit entwickelt wird, und daß, wenn auch unsere Eisensteingruben nicht sehr reichhaltig und nicht von der besten Qualität sind, doch das an Eisensteinen so überreiche Nassau uns nah genug liegt, um den inländischen Eisenhüttenwerken auf eine leichte Weise das Material zu liefern.“ [77]
»» Die Herrenmühle und die damit verbundene Eisenverhüttung wird uns in Kapitel 2 wieder begegnen.
Hektor Rößler hatte, vermutlich Ende der 1820er Jahre, ein Grundstück etwa einen halben Kilometer nördlich der alten Stadtbefestigung am Maintor erworben. Nachdem es ihm schon 1832 nicht gelungen war, dieses weiterzuverkaufen, unternahm er fünf Jahre später einen erneuten Versuch.
Im Februar 1837 wird ein Gartengrundstück zur Pacht angeboten, das in der Nähe der späteren ersten Fabrik der Maschinenfabrik und Eisengießerei gelegen haben muß. Bei der Umstellung der städtischen Adressen von Brandversicherungskatasternummern auf die uns heute geläufige Art Mitte der 1860er Jahre wird aus der hier angegebenen Anschrift Lit. F Nr. 208 das Anwesen Schloßgartenstraße 18. Das Adreßbuch von 1863 hingegen schlägt Lit. F Nr. 208 noch der Frankfurter Straße zu. Als Schloßgartenstraße war in den 1860er Jahren nur das kleine Teilstück zwischen Frankfurter Straße und späterem Schloßgartenplatz bezeichnet worden. Das hier genannte Grundstück mit seinen rund 17.000 Quadratmetern lag vermutlich auf der Nordseite dieser Straße und somit recht wahrscheinlich dem Fabrikgelände gegenüber auf der Ostseite der Frankfurter Straße. Das Gelände gehörte in den 1830er Jahren dem Regierungsrat G. C. Küchler, der in der Rheinstraße wohnte.
Die Beschreibung des Gartengrundstücks enthält unter anderem die Angabe, daß in den Gärten nicht nur mehrere Sorten Kern- und Steinobst blühten und gediehen, sondern auch den Hinweis auf mehrere Rebsorten. Sollte es so etwas wie Darmstädter Wein oder Apfelwein gegeben haben?
Für den 23. Mai 1837 beabsichtigte der Münzrat Hektor Rößler ein „anmuthig“ an der Frankfurter Chaussee gelegenes Grundstück zu versteigern. Das hierauf 1820 oder 1821 im Auftrag des Ökonomen und Gastwirts Jakob Alleborn errichtete Haus wurde im Darmstädter Brandversicherungskataster zunächst unter Lit. I Nr. 55 und ab 1830 unter Lit. F Nr. 209 geführt. In dem auszugsweise weiter oben gezeigten, auf 1822 datierten Stadtplan von Georg Louis und Gottlieb Börner wird dieses Gebäude als „Neues Chaussee Haus“ bezeichnet. Die Angabe, das Haus sei seit mehreren Jahren von einem Freiherrn von Schenck bewohnt, führt zur der Frage, welcher der vielen Schencks das denn gewesen sein könnte. [78]
Einen direkten Beleg zu einer bestimmten Person gibt es nicht. Zunächst hatte ich an den aufstrebenden Finanzsekretär Ludwig Friedrich Carl Schenck zu Schweinsberg gedacht, der von 1848 bis 1874 Leiter des hessischen Finanzministeriums gewesen ist. Dieser wird uns in Kapitel 4 begegnen und Hektor bzw. Friedrich Rößler bei der Akquise von Aufträgen helfen.
Mittels einer Annonce im Darmstädtischen Frag- und Anzeigeblatt suchte er im März 1834 einen Untermieter in dem von ihm bewohnten Haus des Gemeinderats Barth am Theater, Lit. A Nr. 2. Das Adreßbuch für 1840 sieht ihn am Wilhelmplatz Lit. I Nr. 205, so daß eine zwischenzeitliche Wohnung im Neuen Chaussehaus nicht ganz auszuschließen wäre.
Es gibt jedoch noch einen weiteren Kandidaten, der in keinem der Darmstädter Adreßbücher vorkommt. Friedrich Georg Ferdinand Schenck zu Schweinsberg wurde am 1. Juli 1805 geboren und war in den 1830er Jahren Kammerherr und Reisestallmeister am Großherzoglichen Hof in Darmstadt, wo er am 30. Dezember 1836 verstarb. Dies würde dazu passen, daß Hektor Rößler einige Monate später das Haus verkaufen wollte. Irritierend ist jedoch, daß schon am 13. Oktober 1836 zwei Reitpferde aus dem Nachlaß des Reisestallmeisters von Schenck versteigert werden sollten. Wie diese beiden Angaben zusammenpassen, wäre noch herausztufinden. [79]
Angaben darüber, wie die Versteigerung 1837 ausgegangen ist, fehlen. Dem Darmstädter Brandversicherungskataster zufolge standen auf dem Grundstück neben einem zweistöckigen Wohnhaus ein einstöckiger Nebenbau auf der linken Seite, ein einstöckiger Querbau, eine Remise auf der rechten Seite und ein neuer Querbau, aus dem ein zweistöckiges Gießhaus erwachsen sollte. 1843 wird der Eintrag im Kataster um ein einstöckiges Magazingebäude, einen einstöckigen Schuppen und einen Abtritt ergänzt. In welchem Jahr diese Neubauten errichtet wurden, geht aus diesem Eintrag jedoch nicht hervor; es scheint sich eher um eine periodische Fortschreibung des Katasters zu handeln. [80]
Bald nach der angesetzten Versteigerung jedenfalls residiert auf dem Gelände das Unternehmen Buschbaum und Comp., und den Adreßbüchern der 1840er Jahre zufolge war der Eigentümer dieser Hofreite weiterhin der Münzrat Hektor Rößler. Haben Johann Ludwig Buschbaum und Hektor Rößler, die sich aus früherer Zusammenarbeit gekannt haben, über die Versteigerung zur Führung eines gemeinsamen Maschinenbauunternehmens wieder zusammengefunden? Buschbaum jedenfalls, der als Werkmeister auf der Ludwigshütte bei Biedenkopf tätig war, kehrte 1837 nach Darmstadt zurück. Daß das Grundstück ausweislich der Annonce auch zur Anlage einer Fabrik geeignet war, mag den Gedanken einer Partnerschaft gefördert haben. Der Hinweis auf die „wasserreiche Pumpe“ ist den Darmstädter Verhältnissen geschuldet. Wasser gab es in Darmstadt, vor allem in den trockenen Sommermonaten, sowohl quantitativ wie auch qualitativ nur mangelhaft. Das mag nördlich der ehemaligen Stadtmauer, den sumpfigen Pallaswiesen zugewandt, wieder anders gewesen sein. Erst mit der Inbetriebnahme einer durch außerhalb Darmstadts gelegene Brunnen gespeisten Wasserversorgung 1880 sollte sich dies nachhaltig ändern.
Der Nekrolog auf Hektor Rößler enthält eine Andeutung, wonach er sein Privatgeschäft, eben die Werkstätte, nach seiner 1832 erfolgten Ernennung zum Münzrat nicht fortgeführt habe. Weiterhin ist dem Nekrolog seine Verbundenheit zur Maschinenfabrik und Eisengießerei zu entnehmen, deren Erzeugnisse Eingang in auswärtige Münzen gefunden haben. Buschbaum und Comp. ist somit als Zwischenglied zwischen Werkstätte und späterer Maschinenfabrik anzusehen.
Zur Verdeutlichung der Lage der Grundstücke Lit. F Nr. 208 und 209 mag folgender zeitlich passender Stadtplanausschnitt dienen.
Abbildung 01.23: Ausschnitt aus dem Plan der Residenz Darmstadt von Eduard Wagner, datiert auf 1836. Quelle: Digitale Sammlungen der ULB Darmstadt. [81]
Nach dem Versteigerungstermin am 23. Mai 1837 wurde ein Teil des Gebäudekomplexes, und zwar „die obere und untere Etage nebst Stallung, Remise und Garten auf mehrere Jahre“ zur Vermietung ausgeschrieben. Im Juli 1837 zog dort Johann Ludwig Buschbaum ein und dürfte wohl alsbald dort unter der Firma „Buschbaum & Comp.“ die Arbeit aufgenommen haben. [82]
Zehn Jahre später ereignete sich eine Gaunergeschichte ganz eigener Art, in die sehr mittelbar auch der Münzrat Hektor Rößler verwickelt war.
Darmstadt, den 12. November [1847].
Der an dem hiesigen Bahnhofe provisorisch angestellte Kassediener Keller, ein zurückgekommener Schneider, wurde gestern Morgen von dem Hauptkassier an die Staatsschuldentilgungskasse mit einer Anweisung über 4700 fl. geschickt, um diese Summe zu erheben und sie an Herrn Münzrath Rößler abzuliefern. Als er bis zum Abend nicht wieder zurückkehrte, erkundigte sich der Hauptkassier nach ihm und erfuhr nun zu seinem Schrecken, daß zwar das Geld in Empfang genommen, aber nicht an dem Ort seiner Bestimmung abgeliefert worden war.
Nach näherer Nachforschung ergab sich, daß der Kassediener die Flucht ergriffen und den Weg per Eisenbahn nach Strasburg eingeschlagen hatte. Bei der Entdeckung seiner Flucht hatte er schon einen so großen Vorsprung gewonnen, daß ihn schwerlich die nachsetzende Verfolgung erreichen wird. Er ist seit Kurzem Wittwer und läßt sechs Kinder zurück, die von seiner Flucht nichts wußten. Wahrscheinlich wird er seinen Weg durch Frankreich nach dem nächsten Seehafen nehmen und seinen Raub in Amerika in Sicherheit zu bringen suchen, wohin er wohl die Absicht hat, seine Kinder nachkommen zu lassen.
Wie man hört, soll dem Hauptkassier der Verlust des Geldes zur Last gelegt werden. Wenn man es auch rechtlicher Weise nicht kann, so ist er doch jedenfalls dadurch, daß er allerdings den Fehler beging und sich so spät erst um das Außenbleiben seines Kassedieners bekümmerte, in eine fatale Lage gerathen, was man um so mehr bedauern muß, da er ein allgemein geachteter, tüchtiger und gewissenhafter Beamter ist.
Quelle: Frankfurter Konversationsblatt. Belletristische Beilage zur Oberpostamts-Zeitung vom 16. November 1847, BSB München und Folgeseite.
Die Geschichte der Maschinenfabrik und Eisengießerei wird fortgesetzt in Kapitel 2 – Johann Ludwig Buschbaum schneidet eine preisgekrönte Schraube – und behandelt den Zeitraum von etwa 1837 bis 1844.
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Erstes Kapitel zur Geschichte der Maschinenfabrik und Eisengießerei Darmstadt.
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