Luftbild auf das Fabrikviertel 1966.
Industriegleise im Fabrikviertel Darmstadt
Walter Kuhl
Luftbild auf das Fabrikviertel 1966.
Das Fabrikviertel 1966.
Deutschlandkurve in der Landwehrstraße.
Eine Deutschlandkurve.
Kreuzung Straßenbahn- mit Industriegleis.
Einfahrt zur Kirschenallee.
Abholung eines Kesselwaggons.
Ein Kesselwaggontransport.
Gleisabbau an der Schenckallee.
Abgewrackt.

Industriegleise im Fabrikviertel Darmstadt

Karte zu den Industrie­gleisen im Nord­westen Darmstadts

Mit einigen inhaltlichen Ergänzungen

1872 wurde in der damaligen Blumenthal­straße, der heutigen Kasino­straße, ein erstes Industrie­stamm­gleis gelegt. Westlich davon entstand im letzten Quartal des 19. Jahr­hunderts eine neue Werkstätten- und Industrie­landschaft, das sogenannte Fabrikviertel. Vom Main-Neckar-Bahnhof aus wurde 1894 ein weiteres Industrie­stamm­gleis verlegt, das ab etwa 1912 vom neuen Güter­bahnhof auf der Westseite das Fabrikviertel anband. Die Geschichte der Erschließung des Fabrikviertels mit Gleisanlagen wird gesondert dargestellt.

Zur Jahrhundert­wende expandierte Darmstadts Industrie und Gewerbe nach Westen und Nordwesten. Das chemisch-pharmazeutische Unternehmen Merck, das im 19. Jahrhundert seine Fabrik­anlangen beim heutigen Mercksplatz angesiedelt hatte, lag mit seiner chemischen Produktion zu nahe an der Darmstädter Altstadt. Es fand nach einem Grundstücks­tausch einen neuen Standort auf den Feldern und Wiesen zwischen Darmstadt und dem damals noch selb­ständigen Ort Arheilgen. Einige Maschinenbau­unter­nehmen errichteten ihre Produktions­stätten westlich beider Bahn­strecken und nahmen die Verlagerung des Haupt­bahnhofs zu seinem heutigen Standort vorweg. Noch in den 1950er und 1960er Jahren wurden etwa dreißig Industrie­betriebe angebunden, 2020 sind es nur noch vier oder fünf.

Zum Zwecke der Darstellung habe ich den Industrie­stamm­gleisen fiktive Buchstaben von A bis H zugewiesen. Sie tauchen daher weder in zeit­genössischen Planungen noch in Plänen und Dokumenten auf.

Diese Unterseite meines Webprojektes zur Riedbahn, zum Fabrikviertel und zur Straßenbahn in Darmstadt benutzt eine Grafik, mit der per Mausklick die passende Fabrikviertel-Seite für jedes Gleis und jedes Unternehmen aufgerufen werden kann. Die benutzte Technik funktioniert auf kleineren Bildschirmen nur mit ausgefallenen Techniken, die ich hier nicht anwende. Deshalb bleibt als suboptimale Lösung, das Bild großzuziehen und dann den passenden Klickpunkt (der selbstredend dann nicht mehr angeklickt, sondern angetatscht wird) auszuwählen.


Gleisnetz.

Die rotbraunen Punkte zeigen die wesentlichen Gleisanlagen zur Anbindung der Industriean­schlüsse. Blaue Punkte führen zu den Standorten der jeweiligen Firmen, die mit roten Zahlen gekennzeichnet sind. „P“ ist der Bahnüber­gang 45 an der Pallaswiesen­straße. „S“ ist der Bahnübergang Schenckallee.

Die Buchstaben zu den Gleisanlagen wurden von mir vergeben; die Buchstaben A bis H bezeichnen Teile des städtischen Industriestamm­gleises; der Buchstabe K führt zum Gleisanschluß der Heag und zum sogenannten Kartoffelkeller­gleis; der Buchstabe W bezeichnet das ehemalige Werkstättengleis. Auf der Mainzer Straße verliefen (und verlaufen) zwei Gleise, nämlich „A“ auf der südwestlichen Straßenseite und „B“ auf der nordöstlichen Straßenseite. Ursprünglich endete Gleis „A“ bei Eisen-Rieg („3“) und Röhm und Haas („4“), während das Gleis „B“ in der Landwehr­straße als „C“ fortgeführt wurde, einen Abzweig zu Röhm und Haas besaß („4“) und zudem nach rechts in die Kirschenallee nach Süden abbog. Seit den 1960er Jahren ist Donges („15“) sowohl durch „B“ als auch durch „F“ angebunden.

Nachtrag April 2022: Die hier aufgeführten Industriegleise sind nun vollständig erfaßt. Es sind zwei weitere Gleis­anschlüsse hinzugekommen, die in der Grafik nicht berück­sichtigt werden. Zwischen der Motorenfabrik (#17) und der Herdfabrik (#18) besaß auch Venuleth und Ellenberger einen (ersten) eigenen Anschluß. Das zu Jakobi (#46) führende Gleis hatte nach einer Gleiskurve (in das heutige Evonik-Gelände) offenbar einen weiteren Anschließer, der namentlich jedoch noch nicht faßbar ist.

Industriestammgleis A Industriestammgleis A Industriestammgleis B Industriestammgleis B Industriestammgleis C Industriestammgleis D Industriestammgleis E Industriestammgleis F Industriestammgleis G Industriestammgleis H Industriestammgleis H Kartoffelkellergleis und Heag Werkstättengleis Werkstättengleis Bahnübergang 45 Pallaswiesenstraße Bahnübergang Schenckallee 1 Preussag (Neuwiesenweg) 1 Preussag (Neuwiesenweg) 2 Stöckel 2 Stöckel 3 Eisen-Rieg 3 Eisen-Rieg 4 Röhm & Haas 4 Röhm & Haas 5 Nold/Olex-BP 5 Nold/Olex-BP 6 Goebel 6 Goebel 7 Herdfabrik Roeder 7 Herdfabrik Roeder 8 H. Joseph/E. Schmidt 8 H. Joseph/E. Schmidt 9 Heckmann & Assmuth 9 Heckmann & Assmuth 10 Klöckner 10 Klöckner 11 Festo-Bau, Esswein, Firle 11 Festo-Bau, Esswein, Firle 12 Strauss, Markthalle, Bandag, Röhm, Paschke 12 Strauss, Markthalle, Bandag, Röhm, Paschke 13 Knecht 13 Knecht 14 Alter, Fischer, Monnard 14 Alter, Fischer, Monnard 15 Donges 15 Donges 15 Donges 16 Venuleth & Ellenberger 16 Venuleth & Ellenberger 17 Motorenfabrik 17 Motorenfabrik 18 Herdfabrik Meisterbrand 18 Herdfabrik Meisterbrand 19 Rodberg Werk III 19 Rodberg Werk III 20 Schenck 20 Schenck 21 Bahnbedarf, Rodberg (Zeppelinhallen) 21 Bahnbedarf, Rodberg (Zeppelinhallen) 22 Markthalle 22 Markthalle 23 Nungesser 23 Nungesser 24 Gasfabrik 24 Gasfabrik 25 MFuEG, Seck, Luther, Bahnbedarf 25 MFuEG, Seck, Luther, Bahnbedarf 26 Ammann-Rieg 26 Ammann-Rieg 27 Scheid 27 Scheid 28 Mahr 28 Mahr 29 Strödter & Wörner 29 Strödter & Wörner 30 Südhessische 30 Südhessische 31 Schlachthof 31 Schlachthof 32 Städtischer Lagerplatz 32 Städtischer Lagerplatz 33 Ausbesserungswerk 33 Ausbesserungswerk 34 Nungesser 34 Nungesser 35 Spiefagro 35 Spiefagro 36 Mücksch 36 Mücksch 37 Miele 37 Miele 38 Gleislager, Kuhnwaldt, Autologistik 38 Gleislager, Kuhnwaldt, Autologistik 39 Starkenburg-Kaserne 39 Starkenburg-Kaserne 40 Kartoffelkellergleis 40 Kartoffelkellergleis 41 Heag 41 Heag 42 Röhm/Evonik Weiterstadt 42 Röhm/Evonik Weiterstadt 43 Gebrüder Lutz 43 Gebrüder Lutz 44 Lippman-May, Noll-Monnard 44 Lippmann-May, Noll-Monnard 45 Holzwerke Jonas Meyer, Reinhardt & Comp. 45 Holzwerke Jonas Meyer, Reinhardt & Comp. 46 Jacobi 46 Jacobi

Doppelte Anfänge

Zeitungsannonce.
Die Main-Neckar-Bahn annonciert die Eröffnung der Anbindung ins Fabrikviertel zum 1. April 1894 [online ulb darmstadt].

Die ersten Gleisanschlüsse Darmstädter Fabriken datieren auf die frühen 1870er Jahre. Schon bei den Planungen zur Errichtung des Blumenthal­viertels wurde darauf geachtet, daß einzelne Gewerbetreibende mit den Gleisen der nahen Hessischen Ludwigsbahn verbunden wurden. Zu nennen sind hier das Schneidemühlgleis und das Mahr'sche Gleis, die Anbindung der Gasfabrik auf der heutigen Schulinsel, sowie die einstmals bedeutende Maschinenfabrik und Eisengießerei.

So, wie das Fabrikviertel seinen Ausgang in den Gewerbe­ansiedlungen in der Landwehr- und der (damaligen) Weiterstädter Straße nahm, so entwickelte sich auch die dortige Gleisanbindung. Zunächst wurde 1893/94 vom Main-Nerckar-Bahnhof ausgehend ein Gleis auf der Nordseite der Landwehr­straße gelegt, das bis zum Fabrikgelände der Gebrüder Lutz in der Weiterstädter Straße verlängert wurde, das heutige Nordgleis in der Mainzer Straße. Ausführlich wird die Erschließung des Fabrikviertels mit Gleisanlagen auf einer eigenen Unterseite dokumentiert.

Ein Zeitsprung in bewegte Zeiten

Für die späten 1950er und frühen 1960er Jahre liegen mir die Beschreibungen (fast) aller vorhandenen Gleisanschlüsse vor; sie haben Eingang in die detaillierten Beschreibungen der verschiedenen Industrie­stammgleise gefunden. Ab Mitte der 1960er Jahre ist die Faktenlage hingegen dürr, weil nur einzelne knappe Hinweise vorliegen.

Das Bundesbahn-Adreßbuch für 1965 listet folgende (zum Teil auch verschriebene) Firmennamen auf, wobei Mitbenutzer der Gleisanschlüsse mit einem „+“ geklennzeichnet sind:

Darmstadt Hbf: Autohaus Darmstdt [sic!] Ammon, Rieg KG; Bäuerliche Hauptgen. Rhein-Main-Neckar eGmbH (+); Bahnbedarf-Rodberg GmbH; DEMAG AG Werk Modag; Deutsche Shell AG Agentur E. Kunze (+); Donges Stahlbau GmbH; Eisen-Rieg AG; Festa-Bau GmbH (+); Rudolf Firle; Fischer KG; Großmarkthalle; Heckmann & Aßmuth; Hessische Elektrizitäts AG; Kapp & Co.; Klöckner Kohlenhandel GmbH; Maschinenfabrik GOEBEL GmbH; Metzeler AG (+); J. Nold; L. C. Nungesser; Oberfinanzdirektion Frankfurt; PREUSSAG AG; Reinhardt & Comp.; Dr.-Ing. Joh. Reiske (+); Gebr. Roeder AG; Röhm & Haas GmbH; Carl Schenck Maschinenfabrik GmbH; Stadt Darmstadt; Städt. Schlacht- u. Viehhof; Gebrüder Stöckel; Südhess. Gas- u. Wasser AG; Venuleth & Ellenberger (+); Wiest & Söhne.

Die Fabrikanlagen von Merck wurden über Kranichstein angebunden; weitere Gleisanschlüsse bestanden am Ostbahnhof für die Unternehmen Jos. Gentil (+), Jakob Nohl und die Stadt Darmstadt.

Die Bäuerliche Hauptgenossenschaft hatte ihre Anschlußgleise auf dem Gelände des Nathan Hale Depots, verwaltet durch die Oberfinanz­direktion Frankfurt. Dieser Anschluß besaß ein Zweiggleis zur Firma Wiest & Söhne. Die Agentur E. Kunze wie auch der Dr.-Ing. Joh. Reiske nutzten das ehemalige Kartoffelkellergleis der Stadt Darmstadt. Seltsam ist, daß Venuleth & Ellenberger als Mitbenutzerin eines Gleisanschlusses benannt wird, obwohl selbiger seit Jahrzehnten auf dem Firmengelände endete. In den nachfolgenden Ausgaben von 1972 und 1975 wurd dieser (mutmaßliche) Fehler dann auch korrigiert. Von den hier genannten Firmen ist mir allein der Standort der Niederlassung der Metzeler AG unklar; auch das Darmstädter Adreßbuch hilft hier nicht weiter. Die Ausgaben 1972 und 1975 nennen hingegen eine Metzeler Schaum GmbH, ohne daß dies zur Verortung beitragen kann.

In den Jahren nach 1965 fallen einige Gleisanschlüsse fort, neue kommen hinzu. Zu nennen sind hier die Brennstoff-Union GmbH mit einer Firmenanschrift am Mathildenplatz, die Gustav Reisser KG, später Niama-Reisser, mit einer Firmenanschrift in der Pallaswiesen­straße, aber im Martinsviertel, sowie die Heinrich Holbeck & Co. KG mit einer Firmenanschrift in der Büdinger Straße. Letztere Firma könnte demnach die Verlängerung des Schlachthof­gleises mitbenutzt haben. Die Firma Otto Knecht siedelte sich südlich der Pallaswiesenstraße an und war folglich Mitbenutzerin des Gleises von Venuleth & Ellenberger. Die Firma Rhenus nutzte die nördliche der beiden Zeppelinhallen und hatte noch 1990 Güterverkehr; das Anschlußgleis war 1975 auf die Rodberg Industrie­anlagen GmbH in Neuwird angemeldet, die im 75er Adreßbuch zur Erschwerung der Suche unter „Redberg“ einsortiert war. Bleibt noch die Mitbenutzung eines Gleisanschlusses durch einen Michael Schließmann zu nennen; auch hier fehlt mir die Zuordnung.

Außerhalb des Fabrikviertels siedelten sich folgende Unternehmen mit Gleisanschluß an der Otto-Röhm-Straße an: Mücksch, Nungesser, Schmitt & Ziegler (am Nordbahnhof) und Spiefagro.