Die Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau
Darmstadt Südbahnhof
auf der Main-Neckar-Bahn
1869 wurde die Riedbahn zwischen Darmstadt und Worms eröffnet. Die heutige Riedbahn mit ihrem Hauptverlauf von Mannheim nach Frankfurt wurde erst zehn Jahre später errichtet. Dokumentiert wird auf meinen Riedbahn-Seiten vor allem der Streckenabschnitt zwischen Darmstadt und Goddelau.
»» Der Südbahnhof auf OpenStreetMap.
1912 wurden die beiden alten Bahnhöfe am (heutigen) Steubenplatz durch den einige hundert Meter weiter westlich neu errichteten Hauptbahnhof ersetzt. Neben einer neuen Einfädelung der Riedbahn mußte auch der (alte) Darmstädter Südbahnhof von seinem alten Standort am Ortsrand von Bessungen nach Westen verlegt werden.
2020 wurde der Bahnhof umgebaut. Ein neuer Straßenzugang mit integriertem Fahrstuhl ersetzt den Durchgang durch das verheuschreckte Bahnhofsgebäude.
Einfahrt
Vorläufer des Südbahnhofs war der Bahnhof Bessungen am Westrand des 1888 nach Darmstadt eingemeindesten Ortes. Der Bahnhof wurde am 15. Oktober 1879 als Personenhaltestelle eröffnet und am 1. Mai 1895 zur Güterstation erhoben. Zunächst erhielt nur die Güterstation den Namen Südbahnhof. Die amtliche Umbenennung der für den Personenverkehr eingerichteten Station in „Darmstadt Südbf. (Bessungen)“ erfolgte erst nach der Überführung der Main-Neckar-Bahn in die preußisch-hessische Eisenbahngemeinschaft am 27. November 1902. Der Bahnhof wurde 1912 infolge der Verlagerung der Strecke nach Westen geschlossen und bald danach abgerissen.
Der (alte) Bessunger Bahnhof stand an der heutigen Straßenkreuzung Donnersbergring / Bessunger Straße, und zwar an der Südwestseite der Kreuzung längs des Donnersbergrings, wohl noch vor dem Standort des sich heute dort befindlichen Supermarkts (demnach etwa auf dem heutigen Bürgersteig).
Einige hundert Meter weiter südlich dieses Bessunger Bahnhofs wurde der Abzweig von der ursprünglichen Bahntrasse angelegt. Von Bickenbach über Eberstadt bis kurz vor Darmstadt wurde die Main-Neckar-Bahn Mitte der 1840er Jahre als schnurgerader Strich konzipiert. Wenn man oder frau auf der Brücke steht, welche die Lincoln-Siedlung über die Karlsruher Straße (Bundesstraße 3) und die Bahnlinie hinweg mit der Heimstättensiedlung verbindet, dann reicht ein Blick nach unten aus, um den Verlauf der alten Trassenführung zu erkennen. Zwar wurden so ziemlich alle Spuren verwischt, aber es gibt eben doch charakteristische Freiflächen.
Bild 1: Als die Strecke um 1910 umverlegt wurde, enstand die Gleiskurve, die direkt zum neuen Südbahnhof führt. Der Fotograf steht in Verlängerung der alten Trasse. Der Itino kommt von Pfungstadt und macht sich nach einem Aufenthalt im Hauptbahnhof weiter auf den Weg in den Odenwald. Aufnahme vom September 2016.
Abbildung 2: Diese auf 1905 datierte Flurkarte zeigt mit blaugrauer Farbe rechts den Verlauf der alten Trasse mit dem (alten) Sübahnhof und links die Planung für die Trasse zum neuen Hauptbahnhof; dort am unteren Bildrand die Ausbuchtung, wo das neue Bahnhofsgebäude erstellt werden sollte. Quelle: Stadtarchiv Darmstadt, Bestand 51, Nr. 132, Blatt 38. Die gesamte Karte ist in besserer Auflösung auf der Webseite von Kristof Doffing zu finden.
Bild 3: Blick von der Straße zur Heimstättensiedlung nach Norden auf den Bahnsteig des Südbahnhofs. Soeben hat ein Doppelstockzug nach Frankfurt angehalten. Aufnahme vom September 2016.
Auf der Main-Neckar-Bahn herrscht auch heute noch reger Verkehr. Zwar rasen die meisten Personen- und Güterzüge unbeachtet an den beiden Bahnsteigkanten vorbei, doch halten hier (Stand 2023) stündliuch Regionalbahnen von Frankfurt Richtung Bergstraße und zurück. Die Pfungstadtbahn verkehrt, wenn nicht gerade wieder einmal Schienenersatzverkehr angesagt ist, ebenfalls stündlich. Hinzu kommen einzelne Verstärkerfahrten.
Hineinspaziert
Eine am Gebäude angebrachte Tafel weist auf den denkmalschützerischen Wert des Bahnhofs hin:
„1909 bis 1913 gebaut. Mit Eröffnung des neuen Hauptbahnhofes 1912 wurde die alte Streckenführung der Bahn nach Westen verschoben. Auch der Südbahnhof, bis dahin an der Ecke Donnersbergring und Bessunger Straße, wurde verlegt.
Der Entwurf zum neuen Südbahnhof stammt wahrscheinlich von der Eisenbahndirektion Mainz. Friedrich Pützer, Planer des Hauptbahnhofsgebäudes, arbeitete möglicherweise an diesem Entwurf mit. Baukünstlerische Details weisen auf ihn hin. Das gut erhaltene Bahnhofsgebäude in traditionalistischer Bauweise zeigt deutliche Jugendstildetails, eine Bauform, die Pützer beherrschte.“
Vermutlich stammt der Entwurf jedoch nicht von Friedrich Pützer, sondern vom Baurat der Eisenbahndirektion Mainz, Friedrich Mettegang. Manche Ähnlichkeiten zum gleichzeitig erbauten Nordbahnhof sind nicht zu verkennen. Zu den künstlerisch beabsichtigten Elementen gehören sicherlich die nicht nur an dieser Stelle vorzufindenden Kacheln.
Bild 4: Bei Gegenlicht ist das Bahnhofsgebäude nicht so gut zu fotografieren. Aufnahme vom September 2015.
Bild 5: Ein Fensterchen als stilbildendes Detail. Aufnahme vom August 2008.
Bild 6: Der Eingangsbereich und die einstige Schalterhalle. Die lokalen wie auswärtigen Fußballdeppen haben ihr Revier markiert. Aufnahme vom April 2014.
Bild 7: Wenn wir uns hier um die eigene Achse drehen, sehen wir den Abgang zum Zwischengeschoß. Aufnahme vom April 2014.
Bild 8: Wie kaum anders zu erwarten war, erwartet uns am Treppenabgang ein geheimnisvolles Kunstwerk. Aufnahme vom April 2014.
Bild 9: Die anheimelige Atmosphäre lädt geradezu zu unverständlichen Kritzeleien früh- und spätpubertärer Knalltüten ein. Aufnahme vom April 2014.
Bild 10: Alles vergittert. Das fühlen wir uns gleich viel wohler. Aufnahme vom April 2014.
Bild 11: Auf dem Bahnsteig angekommen. Die kleinen Gucklöcher gibt es als Gestaltungselement auch auf dem Dach des Nordbahnhofs. Aufnahme vom August 2008.
Von Anfang der 1970er Jahre bis Ende 2006 war die Eisenbahnmodellbaugruppe Darmstadt in den vorherigen Diensträumen des Südbahnhofs untergebracht. Sie wurde ein Opfer der Absicht der Deutschen Bahn, das einst schmucke Gebäude zu verhökern. Die Eisenbahnmodellbaugruppe Darmstadt war am 1. April 1967 als eine Freizeitgruppe des damaligen Bundesbahn-Sozialwerkes (BSW) gegründet worden. In ihren Anfängen baute die Gruppe das Modell des Main-Neckar-Bahnhofs, das heute im Eisenbahnmuseum in Darmstadt-Kranichstein zu bewundern ist. Nach dem Rausschmiß aus dem Südbahnhof hat sie Unterschlupf in einem Kellerraum in der Bismarckstraße gefunden.
Die Börse
Nachdem Bundesbahn und Deutsche Bahn das kleine Schmuckstück hatten jahrzehntelang verfallen lassen, war der nächste Schritt folgerichtig. Weg mit dem Ding! Für den Herbst 2008 war der Börsengang geplant; zuvor mußten die Kostenfaktoren abgestoßen werden. Deshalb wurde es – zusammen mit 489 weiteren Gebäuden – zum 1. Januar 2008 an den britischen Immobilien„investor“ Patron Capital und den Hamburger Immobilienentwickler Procom Invest zu einem durchschnittlichen Schleuderpreis von wahrscheinlich weniger als 100.000 Euro pro Bahnhofsgebäude verkauft. Die Deutsche Bahn AG sprach von einem Verkaufserlös in Höhe eines mittleren zweistelligen Millionenbetrags. Die Käufer sollen sich verpflichtet haben, in den kommenden fünf Jahren insgesamt 15 Millionen Euro in die gekauften Immobilien zu investieren. Da dürfen wir doch sehr gespannt sein, wie aus dem Südbahnhof mit einem Kapitaleinsatz von 30.000 Euro ein richtiges Schmuckkästchen wird.
Aufgrund der Finanzkrise und einem absehbar niedrigen Verkaufserlös wurde der Börsengang abgesagt. Abet auf CDUCSUSPDFDPGrüne ist Verlaß. Sie werden schon einen Weg finden, die von ihnen marodierte Deutsche Bahn weiter zu zerlegen.
Bild 12: Ein Gestaltungselement der eigenen Art bot der Tragpfeiler des Zwischengeschosses dar. Aufnahme vom Mai 2010.
Bild 13: Das Gebäude vom benachbarten Hang aus gesehen. Aufnahme vom September 2011.
Bild 14: Die Uhr läuft ab. Aufnahme vom September 2011.
Im Februar 2010 schien der Verfall des Bahnhofsgebäudes ein wenig gestoppt zu werden. Klaus Honold schrieb im „Darmstädter Echo“ über Schutz- und Sicherungsmaßnahmen, auch wenn von einer Sanierung durch den neuen Eigentümer, die Main Asset Management GmbH in Dreieich-Sprendlingen, eine 100%ige Tochter der Investmentgruppe Patron Capital Ltd., nicht geredet werden könne. Vermutlich handelte es sich hierbei um das Allernötigste, um das Gebäude durch Vermietung als Wohn- oder Geschäftsräume irgendwie verwerten zu können. Vielleicht kam es auch nur deswegen dazu, um zu verhindern, daß den Fahrgästinnen und Pendlern nicht das Dach auf den Kopf fällt.
Der neue Zugang
Jahre sind vergangen, seit ich dies geschrieben habe. 2020 wurde weiter herumgewerkelt. Das Gebäude ist marode wie zuvor und die Deutsche Bahn sieht sich gezwungen, den Bahnsteig zu modernisieren und einen neuen Zugang zu schaffen, inklusive barrierefreiem Aufzug, wenn er dann auch funktioniert. So funktioniert Marktwirtschaft. Was nicht funktioniert, ist, daß der neue Zugang komplett über die Gleise in die Heimstättensiedlung verlängert wird. Die Stadt wollte den Steg, hat aber kein Geld, und die Bahn denkt nicht daran einzuspringen.
„Nicht erfüllt hat sich offensichtlich die Hoffnung der Stadt, wonach der Besitzer des Bahnhofsgebäudes mit der Gebäudesanierung noch 2019 beginnen würde. Am Freitag zeigte sich das Bahnhofsgebäude am Haardtring weiter so, wie seit Jahren schon: Verwahrlost, versifft und verkommen.“
Das ist sicherlich seitens des Käufers eine kluge Investition. So funktioniert eben der Markt, liebe Stadt; it's the economy, stupid. Genau das, was ihr mit eurer Schuldenbremse und der Liberalisierung des Marktes doch gewollt habt …
Im Oktober 2021 habe ich nachgeschaut, wie sich der neue Zugang zu den Bahnhofsanlagen gestaltet.
Bild 15: Da rottet er vor sich hin. Ein Ergebnis erfolgreicher Privatisierung. Herzlichen Dank, liebe CDUCSUSPDFDPGrüne!
Bild 16: Der neue Zugang wurde mit einer wesentlich größeren Geldsumme errichtet, als der Verkauf an einen Immobilienhai eingebracht hatte. So mästet man Investoren. Ein neuer Zugang als Ersatz für ein verrammeltes Entrée, obwohl es der alte auch getan hätte, wenn man nur gewollt hätte.
Bild 17: Wie zu erwarten war: der Aufzug ist defekt. Großartig. So macht Privatisierung Spaß! Und wenn ihr jetzt meckert, daß ihr zu Fuß euer Fahrrad die Treppe hinaufschleppen müßt, wie die junge Frau, die ich während meiner Fotosession dabei beobachten durfte, dann überlegt einmal ganz kurz, welcher Partei ihr eure Stimme gegeben habt. Ihr bekommt, was ihr wählt.
Anmerkungen
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- So nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal vom 22. Dezember 2022 bis zum 6. Januar 2023. Und damit sich die Reisenden an diesen Servive gewöhnen, wurde wegen Bauarbeiten und Probebohrungen für eine ICE-Trasse auch im Februar und März 2023 der Verkehr mit Bussen abgewickelt. ⏎
- Siehe die Selbstdarstellung der Gruppe. ⏎
- Siehe hierzu die nicht mehr online verfügbare Presseinformation der Deutschen Bahn AG vom 4. Dezember 2007. Die Liste der verkauften Immobilien ist inzwischen ebenso aus dem normalen Internet verschwunden und nur noch bei archive.org zu entdecken. ⏎
- Klaus Honold : Südbahnhof: Als Erstes wird das Dach repariert, in Darmstädter Echo, war online am 16. Februar 2010. ⏎
- Frank Horneff : Umbau an Darmstadts marodem Südbahnhof, in: Darmstädter Echo, war online am 4. Januar 2020.nbsp; ⏎