Bahnhof Griesheim. Französische Wache auf dem Griesheimer Bahnhof. Quelle.

Die Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau

Die Regiebahn 1923 und 1924

Dokumentation

1869 wurde die Riedbahn zwischen Darmstadt und Worms eröffnet. Die heutige Riedbahn mit ihrem Hauptverlauf von Mannheim nach Frankfurt wurde erst zehn Jahre später errichtet. Dokumentiert wird auf meinen Riedbahn-Seiten der Strecken­abschnitt zwischen Darmstadt und Goddelau.

Diese Seite befaßt sich mit den Folgen des verlorenen Ersten Weltkrieges für Darmstadt, Griesheim, Wolfskehlen und Goddelau, sowie die Riedbahn als ganzer. Im Waffenstillstandsabkommen von Compiègne verpflichtete sich das militärisch geschlagene Deutsche Kaiserreich am 11. November 1918 zur militärischen Räumung aller linksrheinischen Gebiete. Zudem wurde der französischen Armee ein Brückenkopf in Mainz zugesprochen, der dreißig Kilometer in das rechts­rheinische Gebiet reichte. Faktisch bedeutete dies, daß die Darmstädter Vororte Arheilgen und Griesheim zur französisch besetzten Zone gehörten. Mitte Dezember 1918 rückten die französischen Truppen ein. Am 30. Juni 1930 verließen die letzten französischen Soldaten deutschen Boden.

Die Literatur zum Eisenbahnwesen unter französischer und belgischer Besatzung ist spärlich. Eine hervorragende, wenn auch aus naheliegenden Gründen auf das Ruhrgebiet konzentrierte, Darstellung gibt Klaus Kemp in seinem Buch zur Regiebahn. Die hier vorliegende Darstellung stützt sich vorwiegend auf Berichte, Meldungen und Annoncen im „Neuen Griesheimer Anzeiger“. Somit werden die knapp zwölf Jahre der französischen Besatzung weitgehend aus Griesheimer Sicht betrachtet, lassen aber auch den lokalen Raum verlassende Aspekte nicht außer Acht.

Die Jahre der französischen Besatzung werden in drei Teilen erzählt. Dies ist der zweite Teil. Der erste Teil handelt für die Jahre 1918 bis 1922 von der Besetzung, Eisenbahnerstreiks und den Schwierigkeiten, vom besetzten in das unbesetzte Gebiet zu gelangen. Im dritten Teil für die Jahre von 1925 bis 1930 geht es merklich entspannter zu.

»»  Zu den Auswirkungen der französische Besatzung insbesondere in und für Griesheim siehe auch die zweiteilige Geschichte, wie die Elektrische nach Griesheim gekommen ist, mit Teil 1 von 1918 bis 1926 und Teil 2 von 1926 bis 1930. Inhaltliche Überschneidungen sind somit unvermeidlich.

Ein besonderer Dank geht an K. M. aus Darmstadt, der mir mehrere Dokumente aus dieser Zeit zum Einscannen zur Verfügung gestellt hat.


Dieses Kapitel über die Regiebahn ist die Fortsetzung des Kapitels über die Riedbahn zu Beginn der französischen Besatzung.

Der Bahnhof in Goddelau wird besetzt

Anfang Januar 1923 nahm die französische Regierung Rückstände bei den Reparationslieferungen zum Anlaß, sich den Zugriff auf das Ruhrgebiet zu sichern. Die reichen Kohlevorkommen waren das Ziel, hier vor allem der dringend benötigte Koks für die französische Stahlindustrie. Nachdem genügend französische Truppen ins Rheinland transportiert worden waren, begann am 11. Januar der Vormarsch französischer Truppen von den Brückenköpfen in Duisburg und Düsseldorf ins Ruhrgebiet. Am 19. Januar rief die Reichsregierung zum passiven Widerstand im Ruhrgebiet auf. Streiks folgten. Am 30. Januar wurde der passive Widerstand auf das Ende 1918 besetzte linksrheinische Gebiet ausgeweitet. Dies hatte französische Gegenmaßnahmen zur Folge. [1]

Grundsätzlich ist anzumerken, daß die französischen Maßnahmen für die deutsche Zivilbevölkerung zum Teil hart waren und erhebliche Auswirkungen auf die Lebensbedingungen besaßen. Dabei hielten sich die französischen Besatzer nicht immer an die Regeln des Völkerrechts. Angesichts dessen, was deutsche Truppen in den vier Jahren von 1914 bis 1918 in Nord- und Ostfrankreich angerichtet hatten, muß die französische Besatzung an Rhein und Ruhr trotz aller Widrigkeiten, Ungerechtigkeiten, Übergriffe und Repressalien als geradezu anständig bezeichnet werden. So ist das eben, wenn Deutsche die Standards setzen. [2]

Am 30. Januar 1923 wird im besetzten Gebiet der Eisenbahn­verkehr von und nach dem unbesetzten Gebiet vollständig eingestellt. Durch die Besetzung des Ruhrgebiets ist nicht voraussagbar, wie die Kohlenversorgung für das nicht besetzte Gebeit in den folgenden Wochen aussehen wird. Obwohl die Reichsbahn noch einen Kohlenvorrat für etwa 40 Tage besitzt, greift sie vorsichtshalber zu Einschränkungen im Personenverkehr, die auf zehn bis zwanzig Prozent veranschlagt werden [3]. Der Fuhrwerks- und Automobil­verkehr aus dem Ried nach Darmstadt ist seit dem 2. Februar 1923 gesperrt. Züge fahren im Bereich der Eisenbahn­direktion keine mehr, mit Ausnahme der Strecke von Frankfurt nach Darmstadt. [4]

„Der Bahnhof Goddelau ist am Sonntag vormittag [4. Februar, WK] von französischen Truppen besetzt worden. Damit ist der Eisenbahnverkehr zwischen Frankfurt a. M. und Mannheim bezw. Worms völlig abgeschnürt. Die Truppen begannen sofort mit der Verladung der auf dem Güterbahnhof aufgestapelten großen Heu- und Strohvorräte deutscher Firmen für die Besatzungsarmee.

Die Station Wixhausen ist mit einer französischen Wache besetzt. Zwischen Darmstadt und Frankfurt findet keine Zugkontrolle statt.

In Bischofsheim, so berichtet das ‚Echo du Rhin‘, sei eine Lokomotive derart vor das Maschinenhaus gestellt worden, daß 33 Lokomotiven, die sich im Maschinenhaus befänden, dadurch aktionsunfähig geworden seien.“ [5]

Fahrplan.
Abbildung 1: Auszug aus der Fahrplanbeilage des „Bergsträßer Anzeigeblatts“ vom 15. Oktober 1923, hier für die Riedbahn von Gernsheim nach Mannheim ab dem 1. Oktober 1923. Der Zug Gernsheim ab 14.43 Uhr fährt bis zur Rheinbrücke am Landdamm, vielleicht als Wittfeld-Triebwagen.

Noch scheint der direkte Verkehr über die Main-Neckar-Eisenbahn von der südhessischen Provinz­metropole in die große Stadt am Main ungehindert möglich zu sein. Einen rudimentären Eisenbahnbetrieb auf der Riedbahn gab es von Ende Januar 1923 bis Mitte März 1924 nur noch zwischen Mannheim und Gernsheim. Denn nördlich von Gernsheim beginnt mit Biebesheim die französisch kontrollierte Zone, und dort wird erst dreizehn Monate später der Personen- und Güterverkehr wieder aufgenommen werden. Die Strecke von Mannheim über Lampertheim nach Worms wurde bis zur Blockstelle Landdamm am östlichen Ende des Wormser Eisenbahn­brücke bedient. Ebenso endete die Nibelungenbahn von Bensheim aus an der Blockstelle Landdamm. Einzelne direkte Züge von der Blockstelle Landdamm nach Biblis und zurück sind belegt. [6]

„Auf dem Darmstädter Güterbahnhof wurden am Dienstag Morgen [am 6. Februar, WK] 25 gutgemästete Ochsen und Rinder ausgeladen, die vom Mannheimer Viehmarkt kamen und infolge der Bahnsperre nicht nach dem besetzten Gebiet transportiert werden konnten. Da das Vieh von den Händlern in der Richtung nach Griesheim abgetrieben wurde, vermutete die Polizei eine Schiebung und beschlagnahmte den Transport. Da die Händler aber den Nachweis führen konnten, daß das Vieh für die Ernährung der Mainzer und Wiesbadener Zivilbevölkerung bestimmt war, verfügte das Ministerium die Freigabe des Transportes.“ [7]

Der Eisenbahnverkehr zwischen Darmstadt und Mainz ruht, deshalb wird ein Personen-Kraftwagen­verkehr eingerichtet. Die Fahrt geht über Weiterstadt, Groß-Gerau und Rüsselsheim; für einen Kilometer sind 250 inflationäre Mark zu entrichten [8]. Auf dem noch befahrbaren Teilstück der Riedbahn zwischen Darmstadt und Wolfskehlen wird am 16. Februar der Versuch gestartet, morgens um 6.32 einen in Wolfskehlen abgehenden Arbeiterzug zu fahren, der nachmittags um 16.52 Uhr von Darmstadt zurückkehren soll. Der Abendzug wird auch tatsächlich gefahren. [9]

„Der Versuch den Bahnverkehr zwischen Darmstadt und Wolfskehlen wenigstens in den Früh- und Spätnachmittags­stunden durch zwei Züge nach jeder Richtung wieder aufzunehmen, um den in Darmstadt beschäftigten Arbeitern Fahrgelegenheit zu verschaffen, ist gescheitert. Der am Freitag Nachmittag in Darmstadt abgelassene Zug wurde bei der Rückfahrt im hiesigen Bahnhof [von Griesheim, WK] angehalten und am Weiterfahren gehindert, aber am Samstag Nachmittag wieder freigegeben. Wie von authentischer Seite gemeldet wird, haben die Franzosen bei den vorher gepflogenen Verhandlungen mit der Eisenbahner-Gewerkschaft den Arbeiter­zugverkehr davon abhändig gemacht, daß das Eisenbahnpersonal an den Stationen im besetzten Gebiet an der Errichtung der Zolllinie mitwirkt und sich den Anordnungen der Unterkommission unterwirft, was abgelehnt wurde. Wie gemeldet wird, werden die Verhandlungen wegen Freigabe der Arbeiterzüge auf den Strecken Darmstadt – Wolfskehlen und Darmstadt – Klein-Gerau zwischen den Gewerkschaften und der Interalliierten Kommission in Mainz weitergeführt. Mit welchem Erfolg bleibt abzuwarten.“ [10]

Der sich hier andeutende Konflikt zwischen deutschen Beamten und französischen Anweisungen wird gravierende Folgen haben. Wer sich den französischen Anweisungen nicht fügt, wird in das nicht besetzte Gebiet überführt. Da die Verweigerungs­haltung bei den Behörden allgemein verbreitet ist, sind nicht nur Eisenbahner von der französischen Reaktion betroffen. Der Eisenbahn­verkehr wird dadurch derart behindert, daß sich die französischen und belgischen Besatzungs­behörden gezwungen sehen, den Eisenbahn­betrieb in die eigenen Hände zu nehmen. Daraus wird die Regiebahn entstehen. Doch zunächst werden wir über eine Fülle von Einzelschicksalen informiert.

Eine Sammlung alltäglicher französischer Maßnahmen

„Im Eisenbahn-Direktionsbezirk Mainz ist die Lage auch heute noch unverändert. Die Franzosen suchen sich auf den von ihnen betriebenen Strecken weiter einzurichten. Die meisten Dienststellen­vorsteher der Strecken Worms–Mainz und Mainz–Koblenz, die ausnahmslos im Stationsgebäude wohnen, sind von den Franzosen benachrichtigt worden, daß ihnen freie Verfügung über ihre Wohnung nur gewährt werden kann, wenn sie ihren Dienst wieder aufnehmen und sich allen französischen Anordnungen fügen würden.“

„Seit Beginn der Ruhraktion wurden aus dem besetzten hessischen Gebiet 16 hessische Beamte von den Franzosen ausgewiesen. Rechnet man dazu noch die ausgewiesenen Reichsbeamten, die teilweise auch hessische Staatsangehörige sind, so kommt man zu der Zahl von 30 ausgewiesenen Beamten, die mit ihren Familien zusammen 120 Personen betragen werden.“

Ausgewiesen wurde der Vorsteher des Betriebsamts Mainz Regierungsbaurat Rostowski mit Familie. Im Zusammenhang mit der Auszahlung rückständiger Gehälter wurden weiter verhaftet der Vorstand des Verkehrsamts Mainz, Regierungsrat Bach und Eisenbahnober­inspektor Grimm.

Oberpostdirektor Klingelhöffer in Mainz ist am Sonntag von den Franzosen verhaftet und mit unbekanntem Ziel abtransportiert worden. Ober-Frosch und Telegraphen­inspektor Hamel wurden wegen Spionage zu 3 Monaten bezw. 14 Tagen Gefängnis verurteilt. Nach der Anklage haben die beiden Beamten ein Telegramm über Truppen­verschiebungen in dem besetzten Gebiet an ihre vorgesetzte Behörde in Frankfurt a. M. weitergegeben. Die Verurteilten müssen die Strafe ohne Aufschub antreten.“

„Der von der Eisenbahndirektion Mainz eröffnete Betrieb auf den rheinhessischen Nebenstrecken ist von den Franzosen bisher nicht gehindert worden. Die Bahnvorsteher von Rüdesheim, Heidesheim und Uhlerborn mußten in kurzer Frist ihre Dienstwohnungen räumen, weil sie sich geweigert hatten, ihren Dienst anders, als nach den Weisungen der deutschen Behörden auszuüben. Die Haupt­werkstätte Mainz wurde von den Franzosen besetzt.

Der Nachtverkehr im Kreise Bingen ist seit kurzem von den Franzosen wieder freigegeben worden. Auch in Ingelheim und in Gaulsheim ist die Verkehrssperre wieder aufgehoben. Für Heidesheim ist das Verbot noch nicht aufgehoben.

Im Direktionsbezirke Trier wurde eine große Anzahl Bahnhofs­vorsteher und andere Beamten aufgefordert, ihren Dienst wieder aufzunehmen. oder innerhalb 48 Stunden ihre Dienstwohnung zu räumen.“

„In Frankenthal wurden der Bahnhofswirt, ein Oberkellner und ein Bahnsteig­schaffner durch die französische Gendarmerie verhaftet, weil sie Sammelscheine für die Notleidenden im Ruhrgebiet weitergegeben hatten. Später sind die Verhafteten jedoch wieder freigelassen worden.“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger, 21. Februar 1923.

Seit dem 22. Februar 1923 werden nunmehr auch die Straßenübergänge an der Demarkationslinie schärfer überwacht. Es werden Pässe kontrolliert, doch Autos, Fuhrwerke o. ä. dürfen das besetzte Gebiet nicht verlassen. Zwischen Eberstadt und Pfungstadt verkehrt nur noch ein Arbeiterzugpaar, das morgens von Pfungstadt kommt und abends zurückfährt. Der Fahrpostverkehr zwischen Darmstadt und Mainz ist vorübergehend wieder eingestellt worden. Ob dies an Anweisungen französischer Behörden gelegen hat, am Fahrzeugmangel oder an den inflationären Fahrpreisen, wird in der Zeitungsmeldung nicht genannt. [11]

Französischer Vormarsch, deutsche Attentate

Der passive Widerstand der Eisenbahner scheint die französischen Besatzer unvorbereitet getroffen zu haben. Zunächst wurde der Betrieb im besetzten Gebiet notdürftig mit französischen und belgischen Feldeisen­bahnern aufrecht erhalten, allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau. Am 1. März gehen die französisch-belgischen Besatzer einen Schritt weiter und nehmen die Eisenbahnen im besetzten Gebiet auch formalrechtlich in die eigene Hand. Die Regiebahn wird gegründet. Als rechtliche Grundlage wurde die Ordonnanz Nr. 149 der Rheinland­kommission erlassen, in der Frankreich und Belgien die Stimmen­mehrheit besaßen.

Regiegeld.
Abbildung 2: Vorderseite eines Gutscheins der Regiebahn über 10 Centimes. Quelle: Sammlung K. M.

Als Sitz dieser Regie war zunächst Düsseldorf vorgesehen, am 8. April bezog man in Mainz die Räumlichkeiten der dortigen Eisenbahndirektion. Die Deutschen hatten zuvor den Dienstsitz provisorisch nach Darmstadt verlagert. Die Regiebahn gab im inflationären Deutschland eigene Gutscheine als Ersatzgeld aus. [12]

Anfang März wird der französische Zugriff verschärft. Am 3. März rücken französische Truppen nach Darmstadt und Mannheim vor.

„Französische Truppen rückten am Samstag früh gegen 6 Uhr vom hiesigen Uebungsplatz aus gegen Darmstadt vor, schwenkten an der Eisenbahnbrücke an der breiten Allee links ab und marschierten zum Güterbahnhof, zum Elektrizitätswerk und den Werkstätten am Dornheimerweg. Gegen 6 Uhr wurde die Eisenbahn-Ausbesserungs­werkstatt, das Elektrizitätswerk und das Betriebsamt besetzt. Die zur Arbeit anrückenden Arbeiter wurden von dem kommandierenden französischen Offizier gefragt, ob sie die Arbeit unter französischer Aufsicht weiterführen wollten, was rundweg abgelehnt wurde. Sie legten die Arbeit nieder und verließen ihre Arbeitsstätte. Darauf besetzten die Franzosen auch die Betriebs­werkstätte. Auch hier verweigerten die Arbeiter die Weiterarbeit und verließen die Werkstätte. Bei der Abteilung der Franzosen befand sich ein französischer Ingenieur, der über die betriebswichtigen Punkte genau Bescheid wußte und überall dort Posten aufstellte. Gegen 11 Uhr vormittags ließ der Kommandant der französischen Truppen den Vorständen mitteilen, daß der Betrieb nicht gestört werden sollte, daß man den Gesamtbetrieb und die Arbeit ruhig fortführen könne. Nichtsdestoweniger behielten jedoch die Franzosen die Posten im Betriebsamt vor der Lokomotiv­werkstätte und im Elektrizitätswerk bei. Sie umstellten später auch den Lokomotivschuppen und sperrten dessen Zugänge. Ebenfalls wurde der Güterbahnhof von einem Doppelposten besetzt und der Verkehr stillgelegt. Mehrfach im Laufe des Vormittags wurde mit den Franzosen wegen der Fortführung des Betriebes verhandelt. Das Ergebnis dieser Verhandlungen war, daß der Personenzug­verkehr mit Ausnahme des Durchgangsverkehrs eingestellt wurde. Es wurden keine Züge, die in Darmstadt münden, hereingelassen, ebensowenig wurden aus Darmstadt ausgehende Züge herausgelassen, was auch gar nicht möglich war, da die vorhandenen Lokomotiven rechtzeitig in Sicherheit gebracht worden waren. Gegen Abend wurde auch diese Beschränkung zum größten Teil wieder aufgehoben. Ebenso wurde der Güterbahnhofs­posten von den Franzosen zurückgezogen und die Postierung an der Griesheimer Chaussee etwas zurückgenommen.“

Der elektrische Betrieb der Straßenbahn bis zum Waldfriedhof wird am 29. März 1923 aufgenommen werden, worüber im „Neuen Griesheimer Anzeiger“ nichts zu finden ist, weil er für mehrere Ausgaben im März und April von der französischen Militärverwaltung verboten wurde. Der hier wiedergegebene Bericht fährt fort:

Seit Sonntag ist der Personenzugverkehr wieder normal. Auch den Güterzugverkehr hat man versuchsweise wieder aufgenommen.“ [13]

Im Gegensatz zu 1920 wurde demnach nicht das gesamte Darmstädter Stadtgebiet, sondern nur das Gebiet westlich der Main-Neckar-Bahn, sowie die Güteranlagen, besetzt.

„Ein Aufruf an das hessische Volk.

Darmstadt, 8. März.  Das hessische Gesamtministerium erließ einen Aufruf an das hessische Volk. Der Aufruf ermahnt das hessische Volk fernerhin zur Ruhe und würdigem Verhalten gegenüber den Besatzungstruppen.

Die Arbeit ist inzwischen überall wieder aufgenommen worden mit Ausnahme der Lokomotiv­ausbesserungswerkstätte.

Am Montag mittag [5. März, WK] verhandelte der Arbeiterbetriebsrat der Eisenbahn­werkstätten mit dem Präsidenten der französischen Unterkommission, der aus Mainz hierher gekommen war, über die Wiederaufnahme der Arbeit. Das Ansinnen, die Arbeit wieder aufzunehmen, wurde abgelehnt, weil die Franzosen darauf bestanden, daß unter ihrer Aufsicht die hier zur Reparatur stehenden Lokomotiven fahrbereit gemacht und nach Mainz verbracht würden, und zwar als Ersatz für in Mainz angeblich erfolgte Sabotage. Das Anerbieten des Betriebsrates, sich dafür zu verbürgen, daß in Darmstadt keine Sabotage stattfinden würde, wurde von den Franzosen abgelehnt. Die Verhandlungen waren somit gescheitert. Die Arbeiter versammelten sich, um über das weitere Verhalten zu beschließen.

Am Montag mittag traf eine Motordraisine von Mainz kommend, mit 2 Offizieren und 8 Mann Besatzung ein. Die Draisine wollte zu dem besetzten Dornheimer Weg, war jedoch versehentlich in den Hauptbahnhof eingefahren. Nach etwa einer Stunde zogen die Franzosen wieder von dem Bahnhof ab.“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger, 10. März 1923.

Am 8. März lassen französische Soldaten die Streckenrevision auf dem südwärts führenden Gleis der Main-Neckar-Eisenbahn nicht mehr zu, so daß der gesamte Verkehr zwischen Darmstadt und Frankfurt nur noch eingleisig vonstatten gehen kann [14]. Und die Ausweisungen gehen weiter.

„Etwa 60 ausgewiesene Eisenbahnbeamte und Arbeiter aus Wolfskehlen, Goddelau, Dornheim, Groß-Gerau und Klein-Gerau wurden am Samstag Nachmittag [am 14. April, WK] mit der Bahn bis zur Hammelstrift befördert, von wo sie zu Fuß nach Darmstadt gehen mußten. Eine andere Gruppe wurde bei Gernsheim ausgeladen. Die Familien­angehörigen müssen innerhalb vier Tagen folgen. Im Ganzen sind es über 100 Eisenbahner mit Familien.“ [15].

„Im Laufe des heutigen Tages [am 24. April, WK] haben auch hier [in Griesheim, WK] eine Anzahl Eisenbahner ihre Ausweisung durch die Interalliierte Kommission erhalten. Im ganzen sollen es 13 Beamte und Arbeiter sein, die auf der Station beschäftigt sind. Von der Ausweisung betroffen sind die Herren: Stationsvorsteher Funk, die Eisenbahn­sekretäre M***** und K*****, die Bahnassistenten R********** und E*********, die Weichensteller H*******, S****** und N*****. Die übrigen Ausgewisenen sind Stationsarbeiter aus Wolfskehlen, Goddelau, Leeheim und Erfelden. Die Familien müssen innerhalb 4 Tage folgen.“ [16]

„Anschlag auf einen D-Zug bei Mainz.

Auf den Pariser Expreßzug, der in Mainz um 934 eintregen [sic!] soll, wurde am Donnerstagabend [am 14. Juni 1923, WK] ein Anschlag verübt. Eine auf die Schienen zwischen Budenheim und Uhlerborn gelegte Bombe explodierte im Augenblick der Vorbeifahrt des Zuges. Die Bombe explodierte erst bei dem fünften Wagen. Es war ein Personenwagen dritter Klasse, in dem etwa zwanzig Reisende saßen, Deutsche und Franzosen. Die Explosion riß den Fußboden eines Abteils und eines Teils des Ganges auf. Alle Fensterscheiben wurden zertrümmert. Zehn Reisende erlitten Verletzungen, zum Teil schwerer Art, so daß sie ins Krankenhaus gebracht werden mußten. Ein französischer Brigadier der auf einer Bank schlief, erlitt einen Bruch beider Beine neben vielen anderen Verletzungen. – Sofort nach Bekanntwerden des Anschlags wurden von der französischen Gendarmerie Nachforschungen nach den Tätern unternommen, in deren Verlauf vier Männer, die falsche Ausweispapiere hatten, verhaftet wurden; sie sind als Täter verdächtig.“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger, 20. Juni 1923.

Die (durchaus begründete) Furcht vor weiteren Attentaten auf den Zugverkehr verleitete selbst im beschaulichen Griesheim die Behörden zu einem drastischen Verbot, bei dem ich mich frage, wie bei konsequenter Anwendung denn dann die Menschen von der Nord- auf die Südseite der Riedbahn haben gelangen sollen.

Griesheim, 19. Juni.  Wie am Samstag [am 16. Juni, WK] durch die Ortsschelle bekannt gemacht wurde, ist das Betreten des Bahnkörpers und der Bahnhofsanlagen strengstens verboten. Ein Jagdteilhaber, der jedenfalls in Unkenntnis dieses Verbots gestern Abend vom Anstand heimkehrte, wurde von einem Wachtposten am Uebergang des Frankfurterwegs angehalten und ihm sein Fahrrad und Gewehr abgenommen. Heute früh wurde der Mann verhaftet.“ [17]

Nun muß die Bahnhofsanlagen in Griesheim ohnehin keine und niemand betreten, da sowohl der Personen- wie der Güterverkehr eingestellt bleibt. Am 25. Juni werden an der Eisenbahnbrücke über den Rhein bei Worms Bomben gefunden, die den Zweck hatten, einen Brückenpfeiler zu zerstören. Am Tag darauf explodiert im Schalterraum des Wiesbadener Hauptbahnhofs eine Bombe, wodurch neben erheblichem Sachschaden auch zwei Deutsche (also keine Franzosen) verletzt werden. [18]

Regiegeld.
Abbildung 3: Rückseite eines Gutscheins der Regiebahn über 10 Centimes. Quelle: Sammlung K. M.

Am 30. Juni explodiert in einem belgischen Urlauberzug eine Bombe, der gerade den Duisburger Hauptbahnhof verlassen hatte. Neun belgische Soldaten wurden getötet und 25 weitere verletzt; zudem wurde ein Wachtposten der Rheinbrücke von einem Eisenstück tödlich getroffen. Die französische Nachrichten­agentur Havas brachte auch einen explodierten Gasbehälter ins Gespräch. Vor dem Mainzer Tunnel wurden zwei Bomben gefunden, von denen eine schon explodiert war und die andere von einem französische Artillerieoffizier entschärft werden konnte. [19]

In der Folge führte diese Bombenserie zu drastischen Maßnahmen der Besatzungsbehörden. Der Verkehr zwischen dem besetzten Rheinland und dem derzeit nur formal nicht besetzten Ruhrgebiet wurde mit wenigen Ausnahmen untersagt. In Duisburg wurde das Geschäftsleben lahmgelegt und 20 Bürger als Geiseln genommen, zudem wurde verfügt, daß in jedem Zug der Regiebahn nunmehr 50 Deutsche mitzufahren hatten. Ab dem 1. Juli war dann jeglicher Verkehr zwischen besetztem und unbesetztem Gebiet für einen längeren Zeitraum untersagt. Schon am 30. Juni war in Wiesbaden das dortige Reichsbankgebäude besetzt worden; mehrere Lastautos waren zum Abtransport des dort gelagerten Geldes eingesetzt. [20]

„Am Freitag morgen 5 Uhr [am 29. Juni, WK] hatten Franzosen den Bahnhof Langen an der Main-Neckar-Bahn militärisch besetzt und Schienenlaschen gelöst. Der Zugverkehr zwischen Sprendlingen-Buchschlag und Darmstadt ist gestört. Die Züge werden über Ober-Roden – Dieburg umgeleitet. Für den Arbeiterverkehr wird von Darmstadt aus beschränkter Pendelverkehr zwischen Darmstadt und Egelsbach eingerichtet. Im übrigen wird der Zugverkehr zwischen Darmstadt und Frankfurt durch Umleitung aufrechterhalten.“ [21]

Die Eisenbahner, die in der ehemaligen Funkerkaserne am Dornheimer Weg wohnen, werden aufgefordert, in den Dienst der französisch-belgischen Eisenbahnregie zu treten. Sonst drohe die Ausweisung. Die Main-Neckar-Eisenbahn wird nördlich von Darmstadt vollständig unterbrochen. Vermutlich werden dabei auch Merck und Schenck vom Güterverkehr abgeschnitten, was erklären mag, weshalb Merck 1923 einen neuen Gleisanschluß direkt am Darmstädter Nordbahnhof erhalten hat.

„Am Dienstag früh [am 10. Juli, WK] hat eine französische Militärabteilung, bestehend aus einem Offizier und 15 Mann den Bahnhof Arheilgen besetzt. Die Wartesäle wurden als Unterkunft benutzt. Die übrigen Diensträume blieben frei. Der Betrieb mußte auf Anordnung des Truppenführers eingestellt werden. Vom Bahnhofsvorsteher wurde schriftliches Anerkenntnis hierüber verlangt. Aenderungen am Oberbau wurden nicht vorgenommen. Desgleichen wurde der Bahnhof Sprendlingen-Buchschlag besetzt und das Gleis auf Schienenlänge unterbrochen Der Pendelverkehr Darmstadt – Egelsbach wurde eingestellt.“ [22]

Am 21. Juli übernehmen französische Soldaten den Block Hanecker zwischen Rödelheim und Weißkirchen auf der Strecke von Frankfurt nach Usingen und unterbinden den Zugverkehr, indem sie die Schienen unterbrechen. [23]

Am 26. Juli wird die Grenzsperre nach fast vier Wochen wieder aufgehoben. Das kann aber nur eine vorübergehende Maßnahme gewesen sein, denn Mitte August wird berichtet, die Sperre sei bis zum Monatsende in Kraft [24]. Am 24. August werden in Wolfskehlen 17 Eisenbahner, meist Streckenarbeiter, ausgewiesen, die Familien haben innerhalb von vier Tagen zu folgen. Ebenso wurden zehn in der ehemaligen Funkerkaserne lebende Arbeiter ausgewiesen und deren Familien über die Sperre, entweder an der Dornheimer Weg-Brücke oder an der Eisenbahnbrücke auf der Rheinstraße, nach Darmstadt abgeschoben. Auch sie hatten sich geweigert, für die französisch-belgische Eisenbahnregie zu arbeiten [25]. Endgültig aufgehoben wird die Grenzsperre jedoch erst zum 17. September, wobei anschließend wieder die zuvor vorhandenen Einschränkungen gelten. [26]

Beschleunigter Transport durch die Regiebahn.

„Von dem Herrn Delegierten der Interalliierten Kommission in Groß-Gerau ist uns folgendes zur Veröffentlichung zugegangen:

Bekanntmachung.

In Anbetracht der in verschiedenen Teilen der besetzten Gebiete herrschenden Versorgungs­schwierigkeiten wurden seitens der Rheinland­kommission bei der Direktion der Eisenbahnregie Schritte unternommen damit die Lebensmittel­transporte nach Möglichkeit erleichtert würden.

Mit Rücksicht darauf gibt nunmehr die Direktion der Eisenbahn-Regie bekannt, daß Lebensmittel zur Beförderung als Eilgut (in Wagenladungen oder als Stückgüter) angenommen und mit den gewöhnlichen Personenzügen unverzüglich befördert werden.

Außerdem erscheint in den nächsten Tagen ein neuer Tarif für die Beförderung von Stückgütern, nach welchen die Möglichkeit besteht, gewisse Güter als beschleunigtes Eilgut zu versenden. In diesem Fall ist die Fracht um 50% zu erhöhen. Die Güter werden alsdann mit den nächsten Schnellzügen befördert.

Andererseits hat die Eisenbahn-Regie die Verbindungen zwischen Wiesbaden – Mainz einerseits und Düsseldorf – Duisburg – Essen – Dortmund anderseits verbessert und erweitert. Die Abfahrtzeiten der neuen Schnellzüge sind aus den Plakaten in den Bahnhöfen zu ersehen.“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger, 12. September 1923.

Schnellzüge ins Rheinland.

Abbildung 4: Die in der am 12. September abgedruckten Bekanntmachung genannten Schnellzüge ins Rheinland und Ruhrgebiet. Auffallend ist der eigenwillige Umweg über Euskirchen, Düren und Neuß. Dieser war dadurch notwendig geworden, weil die britische Besatzungsmacht in der Umgebung von Köln mit der französischen Konfrontations­politik nicht einverstanden war und deshalb von der Eisenbahnregie so behandelt werden mußte wie das nicht besetzte Deutschland. Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger vom 19. September 1923.

Moderatere Töne

Die Ruhrkrise nähert sich ihrem Ende.

„Eine Uebergangszeit von drei Wochen.

Die Reichsregierung hat die notwendigen Vorbereitungen zum schnellen Abbau der Ruhrfront getroffen. Sie plant unter anderem, einen besonderen Kommissar mit der Abwickelung zu betrauen. Auch die großen Organisationen dürften im Anschluß an den Aufruf der Reichsregierung zu Besprechungen über den Abbau des passiven Widerstandes zusammentreten. In den beteiligten Ministerien ist man dauernd beschäftigt mit der Beratung der Probleme, wie die Rückkehr zur Arbeit in den besetzten Gebieten erfolgen kann. Damit befaßt sich nicht nur das Ministerium für die besetzten Gebiete, sondern auch das preußische Ministerium des Innern und das Reichsfinanz­ministerium. In diesen beiden Ministerien hatten sich die Oberpräsidenten der in Betracht kommenden Gebiete und die Regierungspräsidenten aus Wiesbaden, Köln, Aachen, Trier und Koblenz mit den Vertretern der Reichsbehörden versammelt. Dabei wurde die praktische Durchführung der generellen Beschlüsse des Reichskabinetts, wie sie sich für die Eisenbahnen, die Post, für die Forsten und die Polzeiverwaltung darstellt, eingehend besprochen. Auch das Problem der Abführung der Kohlensteuern und der Zölle wurde erörtert und genaue Beschlüsse darüber gefaßt. Volle Einmütigkeit herrschte nach dem ‚Berliner Tageblatt‘ darüber, daß der Kampf gegen den Separatismus mit aller Schärfe fortgeführt werden wird.

Bevor man in Deutschland weiß, wie sich die Besatzungsmächte verhalten werden, kann ein gewisses Uebergangsstadium nicht vermieden werden. Mit Rücksicht darauf soll, wie verlautet, die Rhein- und Ruhrhilfe der Reichsregierung noch etwa drei Wochen weitergehen. In dieser Zeit dürfte wohl auch eine Fühlungnahme zwischen deutschen Vertretern und der Rheinland­kommission stattgefunden haben. Danach werden sich die Vertreter der Regierung auch mit den Organisationen der besetzten Gebiete an Ort und Stelle in Verbindung setzen.

Die Wiedereinstellung der deutschen Eisenbahner.

In den letzten Tagen haben unter dem Vorsitz des französischen Regieleiters im Ruhrgebiet Verhandlungen zwischen den Spitzenorganisationen der Eisenbahn­gewerkschaften und Vertretern der französischen Eisenbahnregie stattgefunden, wobei es sich um die Frage der Wiederaufnahme des Verkehrs handelte. Bei diesen Verhandlungen konnten deutscherseits nur Fragen gestellt werden. Aus der Beantwortung dieser Fragen konnte man feststellen, daß die französische Eisenbahnregie die deutschen Eisenbahner nur unter folgenden Bedingungen wieder einstellen will:

  1. Die deutschen Beamten werden auf die alliierte Regie vereidigt.
  2. Es werden nur solche Beamte eingestellt, die am Ort ihrer Tätigkeit geboren sind.
  3. Aeltere Leute sind von der Wiedereinstellung überhaupt ausgeschlossen, es kommen nur jüngere in Frage.
  4. Die ausgewiesenen Beamten werden nicht wieder eingestellt, sondern die Ausweisungen aufrechterhalten.
  5. Insgesamt darf nur ein Drittel des bisherigen deutschen Beamtenstandes wieder eingestellt werden.
  6. Die Leute haben unter alliierter Leitung zu arbeiten.

Die Beamten im Ruhrgebiet sind meistens ältere Leute. Es ist daher kaum anzunehmen, daß die Regie auch nur das gewollte Drittel der Einstellung erreichen dürfte. In den Eisenbahnerkreisen herrscht eine geradezu verzweifelte Stimmung. Trotzdem werden die Verhandlungen fortgesetzt.“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger, 3. Oktober 1923.

Die in der Formierungsphase befindliche Nazipartei wirft ihre Schatten voraus.

„In der Nacht zum Mittwoch wurden Tore und Häuser unserer jüdischen Mitbürger und auch die einiger Geschäftsleute christlicher Konfession mit dem Hakenkreuz bemalt. Was sich der Schmierfink dabei gedacht hat, ist ganz unverständlich, denn daß keiner der so Bezeichneten der politischen Richtung der Hakenkreuzler huldigt, weiß nachgerade Jeder, der auch nur einigermaßen in der Politik bewandert ist. Es kann sich hier nur um einen Lausbubenstreich handeln, für den eine gehörige Tracht Prügel die geeignete Strafe wäre.“ [27]

Am 11. Oktober wird über die Ortsschelle in Griesheim eine Verkehrssperre zwischen 19 und 6 Uhr verkündet. Begründet wird sie mit Sabotageakten. Eine ähnliche Verkehrssperre wurde auch über Walldorf bei Groß-Gerau verhängt. [28]

Die Züge von Frankfurt nach Darmstadt müssen immer noch den Umweg über die Rodgaubahn nehmen. Dabei kommt es am 12. Oktober in Dieburg zu einem Zusammenstoß.

„Am Freitag abend fuhr auf dem Bahnhof Dieburg infolge irrtümlicher Freigabe des besetzten Gleises ein Personenzug Darmstadt – Frankfurt hinten auf einen im Bahnhof haltenden Güterzug. In dem Personenzug wurden eine Person schwer und 13 leicht verletzt. Sämtliche Verletzte wurden mit dem nächsten Zug nach Darmstadt befördert. Während die drei letzten Wagen des Güterzuges schwer beschädigt wurden, war der Sachschaden bei dem Personenzug unbedeutend.“ [29]

Der infolge des passiven Widerstandes gestörte Eisenbahnverkehr wird nach und nach wiederhergestellt, in den besetzten Gebieten vorerst unter Leitung der französisch-belgischen Eisenbahnregie.

„Nach Meldungen aus dem besetzten Gebiete sind bisher 30.000 Eisenbahner von der französisch-belgischen Regie wiedereingestellt worden. Höhere Beamte werden nicht wieder eingestellt. Sämtliche leitenden Stellen sollen durch Franzosen besetzt werden. Der Umfang der Regiebahn soll an verschiedenen Stellen eine Abänderung erfahren. Die bisher noch unbesetzten Bahnen werden in die Regie noch mit einbezogen. Die Regie verlangt volle Wiederherstellung des Eisenbahnnetzes und die Aufstellung des Wagen- und Lokomotiv­bestandes vom 10. Januar 1923. Die Kosten soll das Reich bezahlen.‘ [30]

Die letzte dieser Forderungen ist nicht unbegründet. Bei Beginn der französischen Besetzung des Ruhrgebietes und anderer Randgebiete an den Brückenköpfen hatten die findigen deutschen Eisenbahner jede Menge Lokomotiven und Wagen ins unbesetzte Reich geschafft bzw. geschmuggelt. Fehlendes Material hatten die französischen Militärs durch regelrechte Raubzüge im Ruhrgebiet requiriert. Nunmehr soll die Regiebahn auf solide materielle Füße gestellt werden. Und das geht nur, wenn wenigstens der Bestand von Ende Januar wiederhergestellt ist. Zudem scheinen die französischen Behörden die Absicht noch nicht ganz aufgegeben zu haben, eine mit Frankreich sympathisierende Rheinische Republik von Deutschland abspalten zu können.

„In Arheilgen, wo am vorigen Montag [am 22. Oktober, WK] auswärtige Separatisten eingetroffen waren, um dei [sic!] ‚Rheinische Republik‘ auszurufen, aber unverrichteter Dinge wieder abziehen mußten, ließ der Bürgermeister einige dortige Einwohner festnehmen, die mit ihnen sympathisierten. Da er am Ort ihre Sicherheit nicht garantieren konnte, ließ er sie nach Darmstadt abtransportieren. Am Samstag [am 27. Oktober, WK] wurde daraufhin eine Anzahl Arheilger Bürger, an der Spitze der Bürgermeister, verhaftet und nach Mainz abtransportiert.“ [31]

Über Arheilgen wurde anschließend eine zwölfstündige nächtliche Verkehrssperre verhängt. Die in Darmstadt eingebuchteten Separatisten wurden wieder freigelassen und in das besetzte Gebiet abgeschoben. Die Eisenbahnregie bemüht sich derweil, den Lebensmittel­transport per Bahn zu beschleunigen. Im unbesetzten Gebiet gibt es manche Blessuren. [32]

„Im Bahnhof Babenhausen entgleisten am Freitag nachmittag [am 2. November, WK] aus einem nach Kranichstein ausfahrenden Güterzug drei hinter der Lokomotive folgende Wagen und sperrten sämtliche Gleise nach Darmstadt und Wiebelsbach. Personen sind nicht verletzt worden. Der Verkehr zwischen Frankfurt und Darmstadt wurde bis zur Behebung des Verkehrshindernisses über Dieburg und Offenbach geleitet.

Zwei Schuljungen in Ober-Roden leisteten sich einen Streich, der aller Beschreibung spottet. Sie setzten sich auf das Schienengleis, um zu sehen, wer von ihnen beiden am längsten vor dem herannahenden Schnellzug Darmstadt – Frankfurt aushalte. Einer der Buben sprang noch rechtzeitig ab. Der andere aber warf sich im letzten Augenblick noch zwischen die Schienen, sodaß der Zug über ihn hinwehfuhr, ohne ihn zu verletzen. Der Zug wurde zum Stehen gebracht und der Schlingel bekam zunächst von dem erbosten Lokomotivführer die entsprechende Tracht Prügel, worauf er der Polizei zugeführt wurde.“ [33]

Fahrplan.
Abbildung 5: Auszug aus der Fahrplanbeilage des „Bergsträßer Anzeigeblatts“ vom 15. Oktober 1923, hier für die Riedbahn von Mannheim nach Gernsheim ab dem 1. Oktober 1923. Der Zug Biblis ab 14.21 Uhr kommt von der Rheinbrücke am Landdamm, vielleicht als Wittfeld-Triebwagen.

Am 6. November fährt seit langem der erste Zug wieder über die Eisenbahnbrücke bei Worms, er transportiert Kartoffeln. [34]

Das Abkommen zwischen der Eisenbahnregie und der deutschen Eisenbahnverwaltung vom 1. Dezember 1923 läßt in den Riedgemeimden die Hoffnung steigen, der Eisenbahnverkehr auf der Riedbahn könne bald wieder aufgenommen werden. Sie werden sich noch ein wenig gedulden müssen.

„Durch den Regiebetrieb werden alle Strecken des besetzten Gebiets erfaßt, mit Ausnahme derjenigen östlich von Dortmund, in der englischen Zone und im Mainzer Brückenkopf alle Streckenteile zwischen Frankfurt – Mannheim, Frankfurt – Darmstadt und Darmstadt – Worms. Die Bergstraßen-Riedbahn wurde freigegeben, ebenso die äußerst wichtige Strecke Offenburg – Kehl, sodaß der Verkehr nach der Schweiz auf dieser Strecke voraussichtlich am Montag [am 17. Dezember, WK] wieder hergestellt werden kann. Ferner wurden die Werkstätten Limburg und Dortmund, der Reichsbahn zurückgegeben. Erstere muß allerdings auch französisches Material reparieren.“ [35]

Personen- und Schnellzüge fahren ab dem 10. Dezember [36] wieder auf der Main-Neckar-Eisenbahn zwischen Darmstadt und Frankfurt, jedoch ohne Zwischenhalt. Auch auf der Strecke von Darmstadt nach Mainz fahren ab dem 15. Dezember wieder Züge, allerdings sind besondere Paß- und Gepäckregularien einzuhalten. Kontrolliert wird wie bisher in Weiterstadt. Am 21. Dezember folgt die Wiederaufnahme auf der Mainbahn zwischen Frankfurt und Mainz, kontrolliert wird in Goldstein. [37]

Regiebahn auf der Riedbahn.

Am 4. Februar 1923 hatten französische Soldaten den Bahnhof in Goddelau besetzt. Ob sie dabei auch einzelne Gleise herausgerissen haben wie andernorts, ist unklar. Jedenfalls kam der Personen- und Güterverkehr auf der Riedbahn innerhalb der französisch besetzten Zone vollkommen zum Erliegen. Hinweise auf Truppen­transporte per Bahn, etwa zum Truppen­übungsplatz in Griesheim, habe ich nicht finden können. Ausgeschlossen ist dies jedoch nicht. Die Regiebahn betrachtete laut eines bei Kemp abgedruckten Übersichts­plans die Riedbahn wohl als Teil ihres Streckennetzes. Der Strecken­abschnitt von Goldstein nach Biblis trägt hier die Streckennummer 27, das anschließende Riedbahnstück von Biblis nach Mannheim die Nummer 23. Hingegen werden die Riedbahnäste von Worms nach Biblis und von Goddelau-Erfelden nach Darmstadt nicht aufgeführt. Der Plan ist undatiert und stammt aufgrund der darin eingetragenen Anschlagsorte wohl aus der zweiten Hälfte des Jahres 1923.

Beim Abkommen vom 1. Dezember 1923 behielt sich die Eisenbahnregie vor, die Riedbahn zwischen Worms und Darmstadt benutzen zu dürfen. Dies dürfte vor allem im ungehinderten Transport von Truppen und Militärgütern von und nach Griesheim begründet gewesen sein.

Der Personenverkehr auf der Riedbahn wurde am 10. März 1924 wieder aufgenommen. So weit, so klar. Und dann fällt mir dieses Dokument in die Hand:

Arbeiterwochenkarte.

Abbildung 6: Arbeiterwochen­karte der Regiebahn für den Strecken­abschnitt von Goddelau-Erfelden nach Darmstadt, gültig vom 2. bis zum 8. März 1924. Quelle: Sammlung Eva Lorenz.

Das paßt so gar nicht. Gab es dennoch in der Zeit zuvor von der Regie betriebene Arbeiterzüge? Weder in der Griesheimer Lokalzeitung noch in der einschlägigen Literatur findet sich darauf ein Hinweis. Oder wurde die Karte ausgestellt in der Erwartung, die Riedbahn werde schon eine Woche vor der tatsächlichen Freigabe wieder geöffnet?

Quelle: Klaus Kemp : Regiebahn, Seite 139.


ED Mainz.

Abbildung 7: Auszug aus einer Übersichtskarte des Eisenbahn­direktionsbezirks Mainz von 1906. Quelle: Stadtarchiv Langen, Abt. 1 K 250 / Abt. XXV, Abschn. 3/2/2; vollständig auf der Webseite von Kristof Doffing.


Alles fährt, nur die Riedbahn (noch) nicht

Zu Jahresbeginn 1924 wird der Verkehr zwischen dem unbesetzten und dem besetzten Gebiet weitgehend freigegeben. Am 2. Januar kommt es in Mainz zu einer Flankenfahrt.

„Am Mittwoch morgen ist der von Wiesbaden kommende Schnellzug vor dem Stellwerk 4 bei Mainz in einen von Bingen kommenden Personenzug hineingefahren. Es werden etwa 20 Verletzte gemeldet. Das Unglück soll auf ein Nicht­funktionieren der Signalapparate, verursacht durch die Schneefälle und den Frost, zurückzuführen sein.“ [38]

Gerüchte machen die Runde

„Mit größter Bestimmtheit wird hier das Gerücht verbreitet, daß vom nächsten Montag [am 21. Januar, WK] der Verkehr auf der Riedbahnstrecke wieder aufgenommen werden soll. Ob das Gerücht wirklich auf Wahrheit beruht, konnten wir nicht feststellen.“ [39]

„Das vorige Woche verbreitete Gerücht von der Wiederaufnahme des Verkehrs auf der Riedbahnstrecke hat sich auch diesmal nicht bewahrheitet. Wie lange wir noch darauf warten müssen, bis wir wieder einmal Gelegenheit haben werden, mit der Bahn nach Darmstadt fahren zu können, wissen nicht einmal diejenigen zu sagen, welche man in der Sache für eingeweiht hält. Wir müssen uns eben mit Geduld wappnen, einmal müssen auch hier die Schranken fallen, die jetzt noch den Weg versperren.“ [40]

Ja, wenn nicht einmal die „gewöhnlich gut unterrichteten Kreise“ gewöhnlich gut unterrichtet sind … [41]

„Heute früh [am 22. Januar, WK] gegen 7 Uhr ereignete sich unmittelbar vor der Einfahrt in den Darmstädter Hauptbahnhof ein Eisenbahnunfall über den folgender amtliche Bericht ausgegeben wird: Heute vormittag 6.45 Uhr stieß im hiesigen Hauptbahnhof, etwa 200 Meter nördlich der Dornheimer Weg-Brücke, der Regiepersonenzug Nr. 1458 von Mainz mit einer in seinem Fahrgleis fälschlich haltenden Lokomotive zusammen. Die Zuglokomotive und die drei hinter ihr laufenden Wagen sind entgleist und beschädigt, der Lokomotivführer und 20 Reisende sind verletzt, davon drei Reisende schwer, aber nicht lebensgefährlich. Die Schuldfrage ist noch nicht vollständig geklärt. Die Unfallfolgen wären wahrscheinlich weniger schwer gewesen, wenn hinter der Lokomotive ein Schutzabteil vorhanden gewesen wäre, wie dies bei der deutschen Reichsbahn allgemein vorgeschrieben ist.“ [42]

Ereignisse wie diese werden durch die verordnete Verlängerung der täglichen Arbeitszeit gewiß nicht weniger geworden sein. Die Sozialdemokraten, denen diese Verlängerung genauso zuzutrauen gewesen wäre, hatten die Reichsregierung verlassen, die seit Ende November 1923 aus einem Konglomerat konservativer und liberaler Politiker bestand. Verkehrsminister war der Liberale Rudolf Oeser, ab 1924 erster Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn Gesellschaft. Dieser Politiker aus den Reihen der DDP, die damals als linksliberal galt und mit einem sozialen Mäntelchen die Wirtschaft bediente, half dabei, eine wichtige Errungenschaft der November­revolution, den Achtstundentag, zu demontieren. Der folgende Leitartikel widerspiegelt die Interessenlage der herrschenden Kreise: längere Arbeitszeiten bei geringeren Löhnen, damit die Gewinne sprudeln. Die hiermit konfrontierten Arbeiter und Beamten hatten nach dem Weltkrieg insbesondere durch die Inflation ohnehin schon empfindliche Einbußen hinnehmen müssen. Das war einigen Herren noch nicht ausreichend genug. Und so wird das dann auch in den Leitmedien kommuniziert, als eine Notlage und ein Zwang, so wie es für die meisten Menschen der Republik erscheinen sollte. Siebzig Jahre später zeigt uns eine ähnlich gelagerte „Bahnreform“, welche grotesken Blüten dieses kaufmännische Denken hervorzubringen in der Lage ist.

„Die Arbeitszeit bei der Reichsbahn.

Zur Neuregelung der Arbeitszeit bei der Reichsbahn wird von unterrichteter Seite gemeldet: Die bittere Notlage hat die Reichsregierung gezwungen, außer dem großen Personalabbau die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit der Beamten auf neun Stunden anzuordnen. Nach dem Beamtenrecht können die Beamten hierfür eine Erhöhung ihrer Bezüge nicht beanspruchen. Dieser Umstand hat bei der Reichsbahn zur Folge, daß vielfach die neben den Beamten tätigen Arbeiter vor der Frage stehen, ob sie da, wo auch ihre Arbeitszeit verlängert werden muß, sich mit dem ihnen für die neunte Stunde angebotenen halben Stundenlohn (sie würden für neun Stunden Arbeit 8 ½ Stundenlöhne beziehen) begnügen wollen oder nicht.

Der Vorstand des deutschen Eisenbahner­verbandes, dem der größte Teil der Eisenbahn­arbeiter angehört, glaubt die teilweise Streckung der Arbeitszeit, ohne die die wirtschaftliche Betriebsführung unmöglich ist, abwehren zu sollen, und nimmt gegenwärtig unter seinen Mitgliedern eine Urabstimmung vor, ob in einen Abwehrstreik getreten werden soll. Man möchte dringend hoffen, daß bei dieser Abstimmung die kühle und klare Ueberlegung die Oberhand behält. Die Stellung des Verkehrsministers gegenüber einem solchen Streik kann nicht zweifelhaft sein. Irgendwelche Gruppen der Allgemeinheit würden die Eisenbahner kaum für sich haben, denn sie würden die Anfänge der Gesundung unseres Wirtschaftslebens im Keime ersticken und die gefestigte Währung in Lebensgefahr bringen. Jede Erschütterung der deutschen Wirtschaft wird ein weiteres Sinken des Verkehrs zur Folge haben und damit den Umfang des Abbaues zwangsläufig vermehren.

Daß auch die Beamten in den Streik treten, dürfte nach den Erfahrungen von 1922 nicht mehr wahrscheinlich sein, ihnen würde die Oeffentlichkeit und zumal in der heutigen Zeit noch viel weniger Verständnis und Nachsicht entgegenbringen wie dem Arbeiter. Ein streikender Beamter würde auch bald merken, daß er nicht die Verwaltung, die ihren Personalbestand einschränken muß, sondern sich selbst am meisten schädigen würde. Es ist zu hoffen, daß die gesunde Ueberlegung siegen und eine gewaltsame Auseinander­setzung vermieden wird, von deren Aussichts­losigkeit jeder urteilsfähige Führer der Eisenbahner­verbände schon heute überzeugt sein muß.

Gemischtwirtschaftlicher Eisenbahnbetrieb.

Wie der sozialdemokratische ‚Vorwärts‘ hört, sollen für die Post und Eisenbahn aus wirtschaftlichen und politischen Gründen neue Betriebsformen gefunden werden. In den Verhandlungen, die zur Zeit der Reichs­verkehrsminister und der Reichs­postminister mit den Regierungen der einzelnen Länder führen, liegt ein Plan der Reichsregierung zugrunde, der für beide, Eisenbahn und Post, den gemischt-wirtschaftslichen Betrieb vorsieht. Zu disem Zweck wird die Reichsbahn aus der starren Bindung an den Reichshaushalt gelöst, um ihren Betrieb vollständig nach kaufmännischen Grundsätzen führen zu können. Diese Führung geschieht durch ein Direktorium, das sich zusammensetzt aus einem viergliedrigen Verwaltungsrat und einem zehngliedrigen Aufsichtsrat.

Im Verwaltungsrat sollen vor allen Dingen die vor dem Kriege Eisenbahnen besitzenden vier großen Länder, nämlich Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg vertreten sein, Die Frage, wie und ob in diesem Verwaltungsrat auch die kleinen Staaten mit ehemals eigener Eisenbahn vertreten sein sollen, ist noch nicht geklärt. Durch Sitz und Stimme im Aufsichtsrat soll auch die Privatwirtschaft zur Geltung kommen. Dieses Direktorium ist eine eingetragene Gesellschaft mit den Rechten einer juristischen Person. Seine Ernennung geschicht ausschließlich von der Reichsregierung. Der Reichstag wird seines Rechtes der Haushalts­bewilligung entkleidet und erhält nur mehr beratendes Recht. Die bayerische Regierung soll bereits durch ihren Handelsminister im allgemeinen ihre Zustimmung zu dem Plan der Reichsregierung ausgesprochen haben. Eine endgültige Zustimmung der anderen Staaten liegt bis jetzt noch nicht vor.“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger, 30. Januar 1924.

Während mit der Einführung der Rentenmark die horrende Inflation eingedämmt wurde, bleiben die Eisenbahnen defizitär. Dies gilt erst recht für den Betrieb der französisch-belgischen Regiebahn. Zum 1. Februar wurden daher die Fahrpreise drastisch erhöht. In der ersten Klasse um 25 %, in der zweiten um 35 %, in der dritten um 60 % und in der vierten Klasse werden sie für die Ärmsten verdoppelt [43]. Bessere Nachrichten erreichen Griesheim im Verlauf des Februar.

„Wie der Bürgermeisterei durch das Kreisamt mitgeteilt wurde, haben die von hier ausgewiesenen Eisenbahnbeamten Funk, M*****, R**********, K*****, H****** und S****** durch die interalliierten [sic!] Rheinland­kommission die Einreiseerlaubnis erhalten. Die Wiederaufnahme des Eisenbahnbetriebes auf der Strecke Darmstadt – Worms soll, nach einer Mitteilung der Eisenbahndirektion Mainz an die gleiche Stelle, in den allernächsten Tagen erfolgen. Diese Nachricht wird hier und in allen Riedgemeinden mit größter Freude vernommen werden.“ [44]

Endlich wieder Züge auf der Riedbahn.

„Bahnamtlich wird jetzt bekannt gegeben, daß der Betrieb der Riedbahnstrecken Darmstadt – Worms und Frankfurt – Mannheim in der Nacht vom 9. zum 10. März in vollem Umfang wieder aufgenommen wird. Die Züge auf der Strecke Darmstadt – Worms verkehren von Montag früh ab wie folgt:

Griesheim – Darmstadt 5.25 6.33 7.20 8.25W 9.30 12.05 1.08W 2.46 5.03 6.41 7.24 8.35 9.38

Darmstadt – Griesheim 3.58 5.06 7.10 8.14 10.14 12.06W 1.20 3.40 4.50 5.40 6.22W 7.20 10.20

Griesheim – Worms – Mannheim 4.22 5.31 7.35 8.38 10.42 12.25W 1.48 4.09 5.16 6.07 6.41W 7.47 10.44

Die mit W verzeichneten Züge verkehren nur Wochentags.“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger, 8. März 1924. Vgl. auch den rekonstruierten [fahrplan].

Der Betrieb auf der Riedbahn scheint am 10. März wie geplant aufgenommen worden zu sein. Die abgedruckten Fahrzeiten lassen weiterhin für den Kontrollpunkt Griesheim einen Aufenthalt mit Grenzkontrolle von etwa 10 bis 15 Minuten vermuten. Ganz reibungslos verlief die Kooperation zwischen deutscher Eisenbahn und französischer Besatzung jedoch immer noch nicht. Am selben Tag entgleiste nämlich im Biebesheimer Bahnhof eine Lokomotive infolge Achsbruchs. Ein aus Darmstadt entsandter Hilfszug wurde in Griesheim aufgehalten und zurückgeschickt, weil das Personal nicht mit den notwendigen Ausweispapieren für das besetzte Gebiet versehen war. Zum 30. März wird die Westeuropäische Sommerzeit eingeführt, die mit der Mitteleuropäischen Zeit des unbesetzten Gebietes identisch ist. Die Griesheimer Ortszeit ist dann gleich der Bahnzeit. Mitte März wurde im Griesheimer Bahnhof ein Güterwagen erbrochen. Zwei Kisten mit Zichorien wurden entwendet. Ob die Diebe nach etwas Anderem gesucht hatten? [45]

„In der unter französischer Leitung stehenden Eisenbahn­werkstätte am Hauptbahnhof ist es nach langwierigen Verhandlungen gelungen, eine Einigung zu erzielen. Nach zehntägiger Unterbrechung ist die Aussperrung beendet. Die Arbeit wurde heute morgen wieder aufgenommen. Der französische Werkdirektor hat im großen und ganzen die Forderungen der seinerzeit von ihm ausgesperrten Arbeiter erfüllt. Vor allem sind bezüglich der Lohnhöhe neue Vereinbarungen getroffen worden.“ [46]

Trotz Inflation, Mediengetrommel, der Drohung mit Arbeitslosigkeit und dem Einsatz von Freicorps sind die Arbeiter noch lange nicht bereit, das im November 1918 Erkämpfte wieder herzugeben. Um diese Errungenschaften endgültig zu beseitigen, wurden 1933 die Nazis an die Macht gebracht. Doch am 28. März 1924 sollten die Arbeiter im Rangierbahnhof Mannheim beschließen, die Arbeit niederzulegen. Sie fordern höhere Löhne, die Wiedereinführung der durchgehenden achtstündigen Arbeitszeit und das Ende der Entlassungen. „Der Streik hat auch auf andere Bahnhöfe übergegriffen.“ In einzelnen Hafenstädten wird ausgesperrt, nachdem die „Ausgleichsbemühungen“ des Reichsarbeits­ministers gescheitert sind. [47]

„Verschärfung des Eisenbahnerstreiks.

Es wird gemeldet, daß die Lage bei der Reichsbahn im Verlauf der letzten 24 Stunden eine weitere Verschärfung erfahren habe. Der Streik breitet sich weiter aus und hat jetzt auch auf Nürnberg übergegriffen, wo zwei Betriebswerkstätten lahmgelegt worden sind. Ebenso ist der Güterverkehr an der Schweizer Grenze auf der Strecke Weil – Leopoldshöhe – Basel zum großen Teil durch den Ausstand der Güterboden­arbeiter unterbunden. In Hamburg sind weitere Betriebswerkstätten außer Tätigkeit gesetzt. Weiter wird mitgeteilt, daß die Lage sich noch dadurch verschärfe, daß das Kabinett jetzt auch seine Zustimmung zu dem neuen Tarifvertrag zwischen dem Reichspost­ministerium und den Postarbeitern versagt habe. Die Postarbeiter wollten, wie aus gewerkschaftlichen Kreisen verlautet, sich dem Vorgehen der Eisenbahnarbeiter anschließen. Der Deutsche Eisenbahner­verband hat am Sonntag seinen Hauptbeirat nach Berlin berufen. An der Tagung nahmen 27 Delegierte der einzelnen Bezirke teil. Der 1. Vorsitzende des Deutschen Eisenbahnerverbandes, Scheffel, erstattete Bericht über die bisherigen Verhandlungen mit dem Reichsverkehrs­ministerium. Er drohte damit, daß die Kämpfe nunmehr auf der ganzen Linie zu erwarten seien. In der Aussprache wurde an der Haltung der Regierung eine außerordentlich scharfe Kritik geübt und die Stimmung der Eisenbahner im ganzen Reiche als außerordentlich erregt dargestellt. In vorgerückter Stunde wurde die Sitzung auf heute vormittag vertagt.“ [48]

Die Reichsregierung machte den Eisenbahnern Zugeständnisse, um dem Streik die Spitze zu brechen. Reparationszahlungen waren von dem Streik nicht betroffen.

„Nach einer Havasmeldung aus Mainz erhält Frankreich auf Grund von Abmachungen, die der französische Oberkommissar Tirard in Koblenz mit der deutschen chemischen Industrie getroffen hat, seit einiger Zeit beträchtliche Mengen Kunstdünger auf Reparationskonto. Außerdem seien in der vergangenen Woche Züge mit Kartoffeln und Rübsamen nach den zerstörten Gebieten von Frankreich abgegangen.“ [49]

Die Eisenbahnregie gibt bekannt, daß sie nunmehr in der Lage sei, die Bahnübergänge selbst zu überwachen. Die Verordnung, die Gemeinden verpflichtet hatte, die Bahnübergänge auf dem eigenen Gebiet zu überwachen, wird aufgehoben. Dies gilt vermutlich nicht für die Riedbahn, die von der Reichsbahn betrieben wird, obwohl sie größtenteils im französisch besetzten Gebiet lag. [50]

„Im Bahnhof zu Dieburg überfuhr am Mittwoch früh der von Reinheim kommende Personenzug das auf Halt stehende Einfahrtssignal und geriet auf ein Stumpfgleis. Die Lokomotive fuhr den am Ende des Gleises stehenden Prellbock mit solcher Kraft um, daß sie noch die Wand des dahinterliegenden Empfangsgebäudes eindrückte. Fünf Reisende, die sich im Zug befanden, wurden durch den Stoß leicht verletzt.“

Der Lokomotivführer Sebastian V*** und der Reserve­lokomotivführer Hugo K*** wurden aufgrund des Unfalls am 23. April im August zu 5 bzw. 2 Monaten Gefängnis verurteilt. [51] – Auf der Südseite der Riedbahnbrücke bei Mannheim wird in der Nacht zum 6. Mai eine Warntafel mitsamt Träger (eine T-Schiene) herausgerissen und auf die Schienen gelegt. Nur durch Zufall soll es zu keiner Entgleisung gekommen sein; es wird eine Belohnung von 500 Mark ausgesetzt. [52] – Der zum 1. Juni geltende Fahrplan sieht in Griesheim (und wohl auch in Weiterstadt und Biebesheim) weiterhin einen etwa zehnminütigen Kontrollaufenthalt vor. [53]

Ein Zeichen.

„Der Darmstädter Einzelhandel hat beschlossen, die ‚Hess[ische] Landesz[ei]t[un]g‘ mit ihren Inseraten nicht mehr zu betrauen wegen der antisemitischen Artikel, die in letzter Zeit in dieser Zeitung erschienen sind.“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger, 26. Juli 1924.

Die Regiebahn wird abgewickelt

Im Vorgriff auf die geplante Aufhebung der Verkehrs­beschränkungen bei der Einreise in das französisch besetzte Gebiet und das Ende der Zollgrenze wollen die Besatzer etwa 18 Quadratkilometer mit rund 3.500 Bewohnerinnen und Bewohnern in den westlichen Teilen Darmstadts räumen. Damit sind die Waldkolonie, die Lokomotiv­werkstätte am Dornheimer Weg und der Waldfriedhof wieder frei zugänglich. Die Zollgrenze fällt in der Nacht vom 8. zum 9. September. Vom 11. September an gilt daher ein angepaßter Fahrplan. [54]

Den Hals nicht voll.

„Bei einer Milchrevision, welche die Gendarmerie unlängst in Wolfskehlen vornahm, wurde die von einem sehr gutsituierten und angesehenen Bauersmann abgelieferte Milch beanstandet und eine Probe davon an das Untersuchungsamt in Darmstadt eingeliefert. Dort wurde festgestellt, daß die Milch bis zu 50 Prozent gewässert war. Der Profitgierige wird sich jetzt wegen Nahrungsmittel­fälschung vor Gericht zu verantworten haben.“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger, 6. September 1924. Diese profitable Panscherei war kein Einzelfall. Einen Monat später wurde ein Landwirt aus Weiterstadt, der seine Milch um bis zu 20 % entrahmt, aber dennoch als Vollmilch verkauft hatte, zur Anzeige gebracht; vgl. Neuer Griesheimer Anzeiger vom 7. Oktober 1924.

Der nunmehr weitgehend unproblematische „Grenzübertritt“ kommt auch den kulturellen Bedürfnissen der Männer und Frauen im Ried zugute. Die mit dem verlorenen Krieg beendete Tradition, nach den Spätvorstellungen des Theaters noch nach Hause fahren zu können, wird wieder aufgenommen. Vor dem Landestheater wartete gewiß auf dem noch im Herbst 1914 eigens eingerichteten Theatergleis eine Straßenbahn, um die Schaulustigen zum Bahnhof zu bringen.

„Um den Bewohnern des Rieds den Besuch der Vorstellungen des Landestheaters zu ermöglichen, hat die Reichsbahn­direktion Mainz auf Anregung des hessischen Ministeriums die Abfahrt des Triebwagens 2850 nach Gernsheim in Darmstadt Hauptbahnhof ab 5. Oktober d[iese]s J[ahre]s auf 10.50 Uhr abends festgelegt. Da in der Regel die Vorstellungen um 7 Uhr abends beginnen, kann man das Ende derselben ruhig abwarten ohne Gefahr zu laufen, den Zug zu versäumen.“ [55]

Zur gleichen Zeit sind die Bemühungen der Reichsbahn, kostspielige Bahnübergänge zu schließen, nur teilweise erfolgreich. Während die Bahnübergänge Nr. 81 (Dornheimer Weg) und Nr. 80 (Braunshardter Hausschneise) nach Einsprüchen der Stadt Darmstadt, des Landkreises und der Forstbehörde weiterhin geöffnet bleiben, werden die Schranken der zwischen Wolfskehlen und Griesheim gelegenen Bahnübergänge Nr. 72 (Am Schwarzen Dämmchen) und Nr. 74 (Körngeswiese) während der Nachtstunden geschlossen. [56]

Nunmehr nähert sich das Bestehen der Regiebahn ihrem Ende.

„Die Uebergabe der Regiebahn an die neue Reichsbahn-Gesellschaft soll nicht unmittelbar, sondern zunächst an das sogenannte Organisations­komitee erfolgen. Dieses wird dann die Uebergabe etappenweise vornehmen. Die Uebergabe soll in sechs Wochen vollendet sein. Dem technischen Hilfspersonal der Regie ist zum 4. Oktober gekündigt worden. Die deutschen Eisenbahner sind aufgefordert worden, sich am 15. Oktober zum Dienst einzufinden.“ [57]

Der Winterfahrplan beginnt nicht mit dem 1. Oktober, sondern mit Rücksicht auf das Ende der Westeuropäischen Sommerzeit erst am 5. Oktober. [58]

Minutengenau.

„Wir werden gebeten, darauf hinzuweisen, daß der Fahrkartenschalter im Bahnhof [Griesheim, WK] im allgemeinen nur 15 Minuten vor Abgang des Zuges geöffnet ist, Sonntags aber von 8–11.23 Uhr und nachmittags von 12.02–5.21 Uhr ständig. Daher empfiehlt es sich, die Wochen- und Monatskarten in dieser Zeit zu lösen. Sonst ist der Schalter nur 15 Minuten vor Abgang eines jeden Zuges geöffnet.“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger, 4. Oktober 1924.

Am 1. Oktober ereignet sich im Mainzer Tunnel ein schweres Zugunglück. Im Tunnel war der Schnellzug 670 von Köln nach Basel liegen geblieben. Die französische Regiebahn hatte den Streckenblock außer Betrieb genommen. Der nachfolgende Personenzug 682 nach Worms wurde auf die Strecke geschickt, ohne die Freigabe durch die direkt am Tunnelausgang liegende Station Mainz-Süd abzuwarten. Es starben 14 oder 15 Personen. Der Schnellzug beförderte zudem eine größere Geldmenge für die Reichsbankfiliale in Ludwigshafen. [59]

Bekanntmachung.
Abbildung 8: Bekanntmachung der Bürger­meisterei Griesheim zur Verlegung des Bahn­übergangs Nr. 78 vom 5. November 1924, abgedruckt im „Neuen Griesheimer Anzeiger“ am Folgetag.

Am 9. Oktober 1924 wird im Bahnhof Dreieichenhain der dortige Bahnhofsvorsteher K******** von dem ersten von Frankfurt aus kommenden Leerzug beim Rangieren überfahren. [60]

„Die Eisenbahnregie gibt bekannt, daß sie zwecks Erleichterung und Vereinfachung der Liquidierung der Abrechnung in den Bahnhöfen am 16. November ab 28. Oktober 1924 keine mit Barvorschüssen oder Nachnahme belastete Sendungen mehr annehmen wird.“ [61]

Die Auflösung der Regiebahn nutzten zwei Beamte des Bahnhofs Bischofsheim, um 120.000 bzw. 22.000 Franken mitgehen zu lassen. Sie flüchteten ins unbesetzte Gebiet, einer der beiden wurde in Frankfurt festgenommen. [62]

Ab dem 3. November verkehrt der um 13.08 Uhr von Griesheim nach Darmstadt geführte Triebwagen 21 Minuten später um 13.29 Uhr. Am 8. November 1924 wird in Griesheim der Bahnübergang Nr. 78 geschlossen. Statt dessen wird an der Hofmannstraße ein neuer mit derselben Nummer eröffnet, der vom Stellwerk an der Schöne­weibergasse aus ferngesteuert wird. Die landes­polizeiliche Abnahme erfolgt allerdings erst am 6. Februar 1925. [63]

Die Besatzungsgrenze wird in der Nacht vom 16. zum 17. November auf die Linie zurückgezogen, wie sie im Waffenstillstanda­abkommen vom 11. November 1918 vorgesehen war. Damit gehören die 1923 besetzten Gemarkungen in Darmstadt, Eschollbrücken, Hahn bei Pfungstadt und Gernsheim wieder zum unbesetzten Gebiet. Damit wird auch das Lokomotiv-Ausbesserungswerk am Dornheimer Weg, das seit der Besetzung 1923 unter französischer Aufsicht stand, wieder von deutschen Stellen betrieben. [64]

„Die Uebernahme der Regiebahnen.

Die offizielle Uebergabe der Regiebahn an die Deutsche Reichsbahn­gesellschaft erfolgte ordnungsgemäß in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Die Bureaus der Reichsbahn­direktion Mainz, die während des Regiebetriebes nach Darmstadt verlegt wurden, sind größtenteils wieder in Mainz im Eisenbahn-Direktionsgebäude in der Kaiserstraße untergebracht. Der Rest folgt voraussichtlich Ende dieser Woche, sobald die von der Regie zur Abwicklung der Uebergabe noch belegten Räume frei geworden sind. Der Sitz der Generaldirektion der Regie bleibt zunächst noch in der Oberrealschule[,] die weiter beschlagnahmt bleibt. Bereits seit Samstagmittag erfolgte der Verkauf der Fahrkarten bei der Regiebahn nicht mehr gegen Franken, sondern gegen deutsches Geld. Der Fahrplan der Regie bleibt vorläufig bestehen. Man will bis zum 1. Dezember einen neuen Fahrplan einführen[,] der den Zustand vor der Regie wiederherstellen soll. Das Fahrpersonal auf den Zügen ist bereits seit einigen Tagen durchweg deutsch. Auch aus den Reparatur- und Betriebs­werkstätten sind die französischen und belgischen Arbeiter vollständig herausgezogen worden. 2400 deutsche Angestellte, die während des passiven Widerstandes in den Dienst der Regie getreten waren, gehen auf französische Aufforderung hin nach Frankreich, wo sie zum Teil in Fabriken untergebracht werden. Ein kleiner Teil geht in die Kolonien.“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger, 20. November 1924.

Regiegeld.
Abbildung 9: Vorderseite eines Gutscheins der Regiebahn über 25 Centimes. Quelle: Sammlung K. M.

Die Regiefranken, die bei der Übergabe der Regiebahn nicht eingelöst wurden, können noch bis zum Ende des Jahres in den Regiedirektionen in Düren und Mainz eingelöst werden.

„Die von der ehemaligen französisch-belgischen Eisenbahnregie herausgegebenen Regiefranken im Wert von 5 Frenken und darunter werden in der Zeit vom 24. November bis 15. Dezember 1924 von den Kassen der Deutschen Reichsbahn­gesellschaft des besetzten Gebiets eingelöst. Regiefranken über 5 Franken löst die Abwicklungsstelle der Regie selbst ein. Die Einlösung erfolgt in Reichsmark zu einem von der Rheinland­kommission bestimmten Umwechslungskurs. Der erstmalige Kurs ist 4,4488 Franken auf 1 Reichsmark oder 1000 Milliarden Papiermark. Mit Ablauf des 15. Dezember 1924 wird die Einlösung geschlossen.“ [65]

Die Deutsche Bahn AG ist bekannt, um nicht zu sagen: berüchtigt dafür, daß ihre ICEs gerne einmal Systemhalte in Wolfsburg, Wittenberg, Bitterfeld, Gütersloh, Celle, Freiburg oder Neu-Ulm auslassen. Derartiges konnte unter veränderten politischen Verhältnissen auch schon rund einhundert Jahre vorher geschehen.

„Wohl aus Gewohnheit fuhr dieser Tage ein Personenzug an Arheilgen vorbei bis Wixhausen. Dort wurde die Maschine umgesetzt und der ‚eilige‘ Zug wieder hierher zurückbefördert. Das kleine Abenteuer hatte eine halbstündige Verspätung zur Folge. An den nötigen Spässen und Schimpfworten fehlte es natürlich nicht.“ [66]

Zum 30. November 1924 tritt ein neuer, einheitlicher Fahrplan in Kraft. Die Reichsbahn fährt wieder auf allen ihren Strecken.

„Am 30. November tritt auf den bisherigen Regiestrecken ein neuer Fahrplan in Kraft. Er ist im allgemeinen auf der Grundlage des Fahrplans für 1922/1923 aufgebaut. Verbesserungen sind nach Möglichkeit vorgenommen worden. Die Anschlüsse der früheren Zeit werden wieder hergestellt. Der durchgehende Schnell- und Eilzugverkehr wird wieder wie früher aufgenommen. Die bisherige Umleitung der Rheinisch-Süddeutschen und Holland – Baseler Schnellzüge über Frankfurt (a. M.) – Gießen – Siegen – Hagen fällt weg. Die Aushang­fahrpläne, Taschen­fahrpläne und das Reichskursbuch erscheinen im Neudruck. Auch der Taschen­fahrplan der Reichsbahn­direktion Mainz, der seit 1922 nicht gedruckt werden konnte, wird wieder in dem Umfange wie vor der Ruhrbesetzung ausgegeben.“ [67]

Die französischen Kontrollposten in Griesheim, Weiterstadt, Biebesheim und Goldstein bleiben bis ins folgende Jahr bestehen.

Die Geschichte der Riedbahn wird fortgesetzt mit dem Kapitel zum Ende der französischen Besatzung von Anfang 1925 bis Mitte 1930.


Literatur

Anmerkungen

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