Industriegleise im Fabrikviertel Darmstadt
Die Bahnbedarf A.-G.
Ein jüdisches Unternehmen in Darmstadt
1872 und 1893/94 wurden die beiden ersten Industriestammgleise zum und in das Darmstädter Fabrikviertel eingerichtet. Dieses Fabrikviertel bildete sich mit der Westexpansion der Stadt Darmstadt im letzten Quartal des 19. Jahrhunderts und in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts heraus. Von den Mitte der 1950er Jahre rund dreißig, Anschlußgleisen sind nur noch wenige übrig geblieben.
Von 1919 bis 1935 etablierte sich entlang der damaligen Blumenthalstraße, die heute den nördlichen Teil der Kasinostraße bildet, eine Fabrik bzw. ein Handelsunternehmen für verschiedenerlei Bahnbedarf. Sie übernahm das Gelände der ein halbes Jahrhundert zuvor dort angesiedelten Maschinenfabrik und Eisengießerei Aktiengesellschaft. Diese hatte dort von ihren zahlreichen Arbeitern einhundertsieben kleine Tenderlokomotiven herstellen lassen. Möglicherweise hatte die Bahnbedarf beim Erwerb des Geländes auch das Lieferbuch dieser Lokomotiven mit übernommen, das leider in nur verstümmelter Form als Abschrift erhalten ist.
Von 1939 bis 1969 prägte die Bahnbedarf-Rodberg GmbH das Geschehen in der Landwehrstraße. Es verwundert wenig, wenn dieser Name auch für die Zeit davor verwendet wird, es verwundert wegen der (vor 2012) mangelhaften Überlieferung auch nicht, wenn die lange Zeit getrennt operierenden Unternehmen als ein und dasselbe betrachtet werden. Dabei gilt bis Mitte der 1930er Jahre: Die Firma Bahnbedarf ist nicht die Firma Rodberg! Dies wird im Folgenden näher ausgeführt werden. Dabei wird die (Vor-)Geschichte der Dampfkesselfabrik vorm. Arthur Rodberg A.-G., weitgehend ausgeblendet bleiben müssen; deren Wirken ich an anderer Stelle meiner Webseite vorgestellt habe.
Ein besonderer Dank geht an Gerhard Klatt († 2018) aus Weiterstadt, der mir die Firmenbroschüre – heute würde man oder frau wohl sagen: Imagebroschüre – der Bahnbedarf A.-G. von 1921 zur Verfügung gestellt hat. Ein weiterer Dank geht an das Nahverkehrsmuseum in Dortmund, an Karl-Heinrich Schanz († 2021) und an den Walzzeichensammler Olaf Mensch.
Der Standort des Unternehmens in der Blumenthalstraße 24 auf OpenStreetMap.
Einstieg
Die Maschinenfabrik und Eisengießerei Darmstadt hatte Ende der 1850er Jahre auf dem freien Feld im Nordwesten der Stadt ein größeres neben der Lokomotivhalle der Hessischen Ludwigsbahn gelegenes Areal erworben und ließ dort eine neue großzügige Fabrikanlage errichten. Sie besaß zudem eine zu eng gewordene ähnliche Anlage an der Frankfurter Straße. Bis Mitte der 1870er Jahre wurden weitere Bauten hinzugefügt und das Gelände nahm im wesentlichen die Gestalt an, die wir auf der nachfolgenden Abbildung verewigt sehen. Aufgrund finanzieller Probleme in der Nachfolge des Gründerkrachs von 1873 wurde das Unternehmen zwischen 1879 und 1883 abgewickelt. Zunächst war eine der Gläubigerbanken, die Darmstädter Bank für Handel und Industrie, Eigentümerin des Grundstücks und der sich darauf befindlichen Anlagen. Mitte der 1880er Jahre siedelten sich hier die Grbrüder Seck aus Bockenheim an, deren Fabrik 1889 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, die Mühlenbauanstalt, Maschinenfabrik und Eisengießerei vormals Gebrüder Seck. 1896 übernahm die Braunschweiger Mühlenbauanstalt G. Luther das finanziell angeschlagene Unternehmen und betrieb hier bis 1918 ihre Darmstädter Filiale. Der Betrieb wurde moderat ausgebaut und erhielt intern ein Schmalspurgleis.
Abbildung 1: Ansicht des Werksgeländes der Bahnbedarf A.-G. in der Firmenbroschüre von 1921. Quelle dieser wie auch der nachfolgenden Abbildungen: Gerhard Klatt, Weiterstadt.
Diese wie auch die meisten nachfolgenden Ansichten aus der Imagebroschüre sind retuschiert bzw. stilisiert. Mit Blick nach Nordwesten sind an der vorderen Straße (der Blumenthalstraße) zwei Bürogebäude abgebildet. Der Güterzug befährt das aus den 1870er Jahren stammende Industriestammgleis. Linkerhand mündet die Landwehrstraße ein. Das mehrstöckige Gebäude am linken Bildrand ist das von der Stadt Darmstadt und der Hessischen Ludwigsbahn gemeinsam errichtete Lagerhaus. Das mit Wiesen und Bäumchen ausgestattete Gelände am unteren Bildrand war in der Realität mit Wohnhäusern bebaut. Diese wurden vom Grafiker (Eckert & Pflug Kunstanstalt in Leipzig) wegretuschiert, um das Werksgelände besser zur Geltung zu bringen.
Am 19. Mai 1919 gründeten der Kaufmann Martin Mann und die Ingenieure Paul Paschke und Wilhelm Petzold die Bahnbedarf G.m.b.H., die ein Jahr später, am m 28. Juni 1920 mit ihren Aktiva und Passiva in die Aktiengesellschaft gleichen Namens eingebracht wurde. Sitz der Gesellschaft war die Blumenthalstraße 24. Der G.m.b.H.-Anteil der drei Gesellschafter wurde mit 300.000 Mark bewertet. Die Einlage der 1899 gegründeten offenen Handelsgesellschaft J. Adler, junr., aus Frankfurt am Main betrug 7.600.000 Mark. Die Frankfurter Filiale der Bank für Handel und Industrie brachte 45.000 Mark, das 1870 gegründete Bankhaus S. Merzbach aus Offenbach ebenfalls 45.000 Mark, sowie der Frankfurter Fabrikant Carl Flesch weitere 10.000 Mark ein. Das Gesamtkapital betrug somit 8.000.000 Mark, für das 8.000 Aktien zum Kurs von 110% ausgegeben wurden.
Dem Aufsichtsrat des Unternehmens gehörten die Brüder Albert und Max Rothschild als Miteigentümer der J. Adler, junr., der Direktor der Frankfurter Filiale der Bank für Handel und Industrie Ludwig Deutsch, Wilhelm Merzbach und der Justizrat Alexander Berg an; den Vorsitz übernahm Max Rothschild mit Albert Rothschild als seinem Stellvertreter. Als Vorstand des Unternehmens fungierten die drei G.m.b.H.-Gesellschafter. Petzold schied im Herbst 1925 aus dem Vorstand aus, um in die Leitung des Verkaufsbüros Stuttgart einzutreten, Paschke ging kurz darauf Anfang 1926, während Mann bis 1927 als Vorstand tätig blieb.
Abbildung 2: Fabrikhof hinter den Bürogebäuden an der Blumenthalstraße. Auf dem ersten Innenblatt zählte die Bahnbedarf A.-G. ihre Vertretungen einzeln auf: Berlin, Hamburg, Breslau, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Leipzig, Amsterdam, Mailand und Zürich.
Die Einlage von J. Adler, junr., bestand neben Geldkapital aus mehreren am 5. Juni 1919 erworbenen Grundstücken an der Pallaswiesen- und Blumenthalstraße, so auch das als Hofreite bezeichnete Anwesen Nummer 24, wohl mitsamt der Fabrikhallen. Angesichts ihrer deutlichen Aktienmehrheit dürften die Rothschilds das Sagen gehabt haben, während die Bank für Handel und Industrie als Hausbank fungiert haben dürfte. An der Rothschild'schen Dominanz sollte sich in den kommenden anderthalb Jahrzehnten nichts wesentlich ändern. Der sogenannte Gründungsaufwand war nicht von der neu gegründeten Gesellschaft, sondern von den Gesellschaftern zu tragen. Selbst wenn wir die galoppierende Inflation der Nachkriegszeit in Rechnung stellen, ist die Summe von 580.600 Mark nicht als unerheblich zu betrachten; sie setzte wie folgt sich zusammen:
- Vergütung der Revisoren; 3.600 Mark
- Druck und Versand der Interimsscheine und Aktien: 8.000 Mark
- 5% Stempel für die Aktien: 444.000 Mark
- Reichs- und Landesstempelabgabe für die Gründung: 60.000 Mark
- Schlußnotenstempel: 24.000 Mark
- Notariats- und Gerichtskosten: 30.000 Mark
- Unvorhergesehens: 15.000 Mark
Inflation
Angesichts der Inflation mußte das Aktienkapital der Gesellschaft mehrfach angepaßt werden. Ohne entsprechende Angleichung der Einlagen wäre ansonsten ein krasses Mißverhältnis zwischen dem Stammkapital und den Gewinnen und Verlusten eines Geschäftsjahres entstanden. Dieser Vorang ist in diesem Zeitraum generell zu beobachten. Folglich wurde auf der ersten ordentlichen Generalversammlung der Bahnbedarf A.-G. am 6. Mai 1921 das Stammkapital um 4 Millionen Mark erhöht werden. Der Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr vom 1.4.1920 bis zum 31.3.1921 hält neben einem Reingewinn von 685.188,90 Mark fest:
„Unsere Werkstätten sind für die nächste Zeit ausreichend beschäftigt.
Zum Ausbau unserer Anlagen und für Grundstückserwerb in nächster Zeit sind grössere Mittel erforderlich und beantragen wir daher die Erhöhung des Aktienkapitals um Mk. 4.000.000,–.“
Erfreut durften die Aktionäre mit einer Dividende von 4% und einer Superdividende von weiteren 4% von dannen ziehen. Wie hoch der gleichzeitige Reallohnberlust der im Unternehmen beschäftigten Arbeiter gewesen ist, wird hingegen nicht ausgeführt. Mehrere Monate später, wir schreiben den 24. Oktober 1921, werden die Eigentumsverhältnisse zwar nicht wesentlich verändert, aber es findet eine Umgruppierung innerhalb der Adler-Gruppe statt. Die drei Gesellschafter der J. Adler, junr., erklären nun:
„Die offene Handelsgesellschaft in Firma J. Adler junr. zu Frankfurt am Main, deren drei Gesellschafter die Herren Heinrich Rothschild, Albert Rothschild und Max Rothschild, sämtlich in Frankfurt am Main, sind, erklärt hiermit, dass die Firma J. Adler junr. bei Unterzeichnung des Zeichnungsscheins für die Bahnbedarf Aktiengesellschaft zu Darmstadt als Beauftragte der damals bereits gegründeten, aber noch nicht in das Handelsregister eingetragenen ‚Aquila Aktiengesellschaft für Handels- und Industrieunternehmungen‘ zu Frankfurt am Main gehandelt hat und dass die
Vier Millionen Mark Aktien
von der Aquila Aktiengesellschaft für Handels- und Industrieunternehmungen, nicht von der Firma J. Adler junr. übernommen worden sind. Der Handelsregisterauszug für die Firma J. Adler junr. wird dieser Erklärung beigefügt.“
Nebenbei: Aquila bedeutet Adler. Die Aquila A.-G. wurde am 1. Juni 1921 mit einem Stammkapital von 19.500.000 Mark in das Handelsregister Frankfurt am Main eingetragen.
Es scheint so, als hätten die drei Rothschilds ihr kleines Imperium umstrukturiert und mußten nun im Nachgang die Besitzverhältnisse ihres Darmstädter Betriebes reformulieren. Schon am 22. Dezember 1921 traf man sich im Darmstädter Bahnhofshotel erneut, um auf einer außerordentlichen Generalversammlung eine weitere Kapitalerhöhung um 10 Millionen Mark zu beschließen. Hierfür wurden 8.000 Stammaktien zum Kurs von 145% mit einfachem und 2.000 Vorzugsaktien zum Kurs von 100% mit fünffachem Stimmrecht, die Aktien lauteten auf jeweils à 1.000 Mark, ausgegeben. Die Vorzugsaktien behielt die Aquila A.-G. selbstredend für sich.
Abbildung 3: Blick in die Lokomotiv-Reparaturwerkstatt.
Image
In ihrer Firmenbroschüre von 1921 stellte die Bahnbedarf A.-G. ihr Unternehmen detailliert auf 26 bebilderten Seiten vor. Auf daran anschließenden sieben Seiten konnten sich vier Darmstädter Unternehmen und die Deutsche Verlagsgesellschaft präsentieren. Die Verlagsanstalt hatte die Broschüre gedruckt. Weitere 57 Seiten beinhalten Annoncen von Firmen, „welche mit der Bahnbedarf Aktien-Gesellschaft Darmstadt in Geschäftsverbindung stehen“. Allein dieser Teil ist für wirtschaftshistorisch Interessierte eine wahre Fundgrube.
Die sechsundzwanzig mit Bildern aus dem Innenleben des Unternehmens versehenen Seiten wurden durch einen Text begleitet, der werbewirksam die Vorzüge des jungen Unternehmes pries. Heute würde das eine gut aufgestellte PR-Abteilung natürlich ganz anders gestalten und formulieren. Als Zeitdokument ist dieses Dokument von unschätzbarem Wert.
„Als eins der jüngsten Industrie-Unternehmen aut dem Gebiete des Eisenbahnbedarfes sowie des Eisenbahnbaues tritt heute die
BAHNBEDARF, AKTIEN-GESELLSCHAFT DARMSTADT
infolge ihrer stetig wachsenden Ausdehnung und unbegrenzten Wirksamkeit in den Kreis der bekanntesten Spezialfirmen dieser Branche Deutschlands.
Die Gründung des Werkes erfolgte im April des Jahres 1919, einem Zeitpunkte, in dem sich bei den deutschen Staats- und Privatbahnen die einschneidenden Nachwirkungen des fast fünfjährigen Krieges hinsichtlich des Verschleißes bezw. oft völliger Abnutzung der Gleisanlagen sowie des rollenden Materials am härtesten fühlbar machte. Der große Bedarf an Eisenbahnmaterial aller Art zog naturgemäß einen regsamen Handel in diesen Fabrikaten nach sich, dem sich die junge Firma alsbald anschloß. Sie wurde von der bekannten Eisen- und Metallgroßhandlung I. Adler junr., Frankfurt am Main, die seit Jahren auf Grund ihrer Beziehungen zu Verbrauchern eine besondere Abteilung ‚Eisenbahnbau&lsdquo; unterhielt, als G. m. b. H. ins Leben gerufen.
Als Fabrikterrain wurde in Darmstadt ein 33000 qm fassendes, mit Anschlußgleis versehenes Grundstück erworben, auf welchem vordem die Mühlenbauanstalt G. Luther, Braunschweig, eine Eisengießerei betrieb.
Das Werk, welches sich mit der Herstellung, dem Vertriebe und der Vermietung von Bahnmaterial aller Art, sowie der Projektierung und dem Bau von Gleis- und Transportanlagen und aller in das Fach einschlagenden Arbeiten befaßt, stand von vornherein unter bewährter kaufmännischer sowie technischer Leitung; es ist ein Verdienst derselben, daß die Entwicklung der Geschäfte vom ersten Tage an außerordentliche Fortschritte machte. So kam es, daß das neue Unternehmen nach Beschaffung der allernotwendigsten Werkzeugmaschinen schon mit der Fabrikation von
DREHSCHEIBEN, WEICHEN, KASTEN- UND MULDENKIPPWAGEN
beginnen konnte, während noch die Einrichtung der Betriebsräume vor sich ging. Mit der von Tag zu Tag zunehmenden Steigerung der Fabrikation ging die Erweiterung der maschinellen Einrichtung sowie Errichtung neuer Betriebsgebäude usw. Hand in Hand. In gleichem Verhältnis wuchs auch die Kopfzahl der Arbeiterschaft. Neben der technischen Ausdehnung erwiesen ich auch die Räumlichkeiten der kaufmännischen Abteilungen als zu klein und machten eine Erweiterung derselben erforderlich. Auch zur Bewältigung der Geschäfte ergab sich bald die Vergrößerung des Beamtenkörpers. Wenige Monate später hatte die Tagesleistung der Firma schon einen enormen Aufschwung zu verzeichnen. In der knappen Spanne Zeit von nur ¾ Jahren, seit der Gründung, hatte das Werk seine Leistungsfähigkeit qualitativ und quantitativ vollauf bewiesen und schien es zu der Zeit schon seinem ganzen Aufbau nach berufen, mit den führenden Firmen seiner Branche in Konkurrenz zu treten.
Die Entwicklung der Fabrikation sowie der kaufmännischen Tätigkeit inner- und außerhalb des Hauses machte weiterhin außerordentliche Fortschritte und zeitigte einen großen ungeahnten Erfolg. Der im ersten Geschäftsjahr erzielte Umsatz bei einer durchschnittlichen Gesamtbelegschaft von etwa 700 Mann war sehr zufriedenstellend.
Die immer größer werdende Ausdehnung der Geschäfte, als auch die Erweiterung der Betriebsanlage bedingten selbstverständlich einen finanziellen Zufluß. So wurde denn nach Ablauf von einem Jahre das Kapital der Firma auf 8 Millionen Mark erhöht und die G. m. b. H. mit Wirkung ab 1. Januar 1920 in die
BAHNBEDARF, Aktiengesellschaft DARMSTADT
umgewandelt. Gleichzeitig wurde auch dem Exportgeschäft besondere Aufmerksamkeit gewidmet, so daß sich im Laufe der Zeit ein starkes Netz von Vertretern im In- und Auslande gebildet hat, das, gut organisiert, für die Heranschaftung von Aufträgen tätig ist.
Die großen an das Werk gestellten Anforderungen begünstigten nicht zum wenigsten die Vielseitigkeit des Unternehmens und sah sich dasselbe bald genötigt, weitere Betriebszweige zu eröffnen. – Neben der Errichtung einer
REPARATUR-WERKSTATT FÜR LOKOMOTIVEN ALLER ARTEN UND SPURWEITEN
sowie einer besonderen Abteilung für die PROJEKTIERUNG und den Bau von ANSCHLUSSGLEISEN für Normal- und Schmalspur, welche gleichzeitig die Einholung von Konzessionen, Verhandlungen mit Behörden, den Umbau sowie die Instandsetzung von Gleisen nebst Ausführung sämtlicher Vorarbeiten übernimmt, wurde neuerdings die Fabrikation von WAGGONS und als Sonderheit GÜTER- UND SPEZIALWAGEN FÜR ALLE INDUSTRIEZWECKE aufgenommen. Durch die dem I. Adler junr.-Konzern gleichfalls angehörende Darmstädter Kesselfabrik vorm. A. Rodberg A.-G. ist es dem Unternehmen möglich, namentlich KESSELWAGEN kurzfristig und preiswert zu liefern. – Durch die prompte Ausführung der Aufträge sowie die befriedigende Beschaffenheit der Fabrikate hat das Werk die Aufmerksamkeit der Fachkreise auf sich gezogen und eine feste Basis für eine weitere vorteilhafte Entwicklung geschaffen. Die Leitung des Unternehmens ist ihrer Aufgabe in jeder Beziehung gewachsen und in der Lage, den weitgehendsten Anforderungen gerecht zu werden, was aus der musterhaflen und modernen Organisation des gesamten Betriebes hervorgeht.“
Dem im Text nun folgenden Rundgang durch Fabrikhallen, Zeichensäle, Werkstätten und Magazine werden wir uns nicht anschließen; dazu mögen einige der Abbildungen aus dieser Firmenbroschüre genügen.
Abbildung 4: Neu hergestellte Kesselwagen der Bahnbedarf A.-G. für die BASF in Ludwigshafen.
Zeppelinhallen ohne Zeppelin
Die Kriegsjahre von 1914 bis 1918, aber auch die Zeit danach, waren eine Zeit der Not für weite Teile der ärmeren oder durch die Inflation verarmenden Schichten der Bevölkerung. Diebstähle waren allgegenwärtig und Berichte darüber füllten die Spalten der Zeitungen. Es gab nichts, was nicht geklaut wurde: an der Wäscheleine trocknende Hemden und Hosen, Kupfer und Messing, Schweine, die am hellichten Tag aus Bauernhöfen abtransportiert wurden, Zigarren und Zwirn aus verschlossenen Eisenbahnwaggons, goldene Uhren aus D-Zugabteilen, Siegerpokale aus einem Vereinsheim in Messel, Kartoffeln von den Äckern, Fahrräder oder von Pferden gezogene Transportwagen. Bemerkenswert ist, im Gegensatz zu früheren oder späteren Narrativen, daß in den seltensten Fällen sogenannte „Zigeuner“ als Diebe genannt wurden. Zu offensichtlich war es, daß ganz normale Deutsche sich gegenseitig bestahlen. Erst im Verlauf der Zeit wurde der Volkszorn von den wahren Tätern weg- und zu einem mißtrauisch beäugten Kollektiv hingelenkt, eben den „Zigeunern“, das die auch zu diesem Zweck gewählten Nationalsozialisten anschließend ausgrenzten und vergasten.
Auch die Bahnbedarf A.-G. blieb nicht von Diebstählen verschont.
„Die drei Becker. Im Bahnbedarf zu Darmstadt wurden vor einige Zeit große Diebstähle an Eisenbahnmaterial verübt und an einen Darmstädter Alteisenhändler verkauft. Dieser, nichts Gutes ahnend, frug den Verkäufer nach seinem Namen, den dieser mit Georg Becker von Griesheim angab. Gegen den Händler wurde Klage angestrengt und der Verkäufer sollte als Zeuge auftreten. Da nun der Name Georg Becker hier dreimal existiert, mußten am Dienstag Vormittag drei unbescholtene Bürger wegen einem Nichtsnutz vor dem Gericht in Darmstadt antreten und erhielten als Entschädigung nur 15 Mk. pro Stunde, statt des viel höheren Verdienstes, und müssen, da die Verhandlung ausfiel, den Weg nochmals machen.“
Der Geschäftsbericht für 1921/22, vorgelegt zur 2. ordentlichen Generalversammlung am 26. Mai 1922, ist knapp gefaßt und verkündet einen inflationär aufgeblähten Reingewinn von 2.037.874,05 Mark. Die Materialbeschaffung geschehe in enger Verbindung mit dem Adler-Konzern. Es sei zudem ein Gelände von rund 50.000 Quadratmetern „mit für uns geeigneten Gebäuden“ übernommen worden. Hierbei dürfte es sich um das ehemals von der Stadt Darmstadt und der Hessischen Ludwigsbahn gemeinsam genutzte Lagerhaus zwischen Landwehrstraße und Lagerhausstraße (heute: Julius-Reiber-Straße) gehandelt haben, auf dessen Gelände die Bahnbedarf A.-G. bis 1923 aus den Skeletten einer ostpreußischen Luftschiffhalle zwei markante Werkstattgebäude errichten ließ. Außerdem habe man sich an einer Fabrik für Eisenbahnbedarf in Spanien beteiligt (wohl in Alcalá de Henares bei Madrid), zusammen mit der Aquila A.-G. und der Linke-Hofmann-Werke A.-G. Es wird eine Dividende von 4% und eine zusätzliche Superdividende von 11% ausgezahlt.
Auf einer weiteren außerordentlichen Generalversammlung am 14. November 1922 mußte das Stammkapital nochmals um 22 Millionen Mark verdoppelt werden. Die zusätzlichen Stammaktien zum Kurs von 280% zeichnete die Frankfurter Filiale der Darmstädter und Nationalbank, während die Vorzugsaktien zum Kurs von 100% wie gehabt bei der Aquila A.-G. untergebracht werden. Doch schon auf der nachfolgenden ordentlichen Generalversammlung am 14. Mai 1923 mußte das Stammkapital erneut verdoppelt werden, es betrug nunmehr 88 Millionen Mark. Die Damstädter und Nationalbank zeichnete die gesamten 40 Millionen Mark Stammaktien und die Aquila A.-G. die 4 Millionen Mark Vorzugsaktien.
An der Landwehrstraße wurden derweil zwei neue Werkshallen hochgezogen.
Bild 5/6: Baustelle der beiden Werkshallen der Bahnbedarf A.-G. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt durch das Denkmalarchiv Darmstadt.
Das linke Bild wurde vermutlich von der Landwehrstraße aus mit Blick nach Süden aufgenommen. Der Standort des Fotografen für das rechte Bild dürfte sich zwischen beiden zu errichtenden Hallen befunden haben, der Blick geht gen Norden. Falls meine Bildinterpretation zutrifft, sehen wir auf dem rechten Bild linkerhand eine Maschinenfabrik an der Pallaswiesenstraße, während rechterhand das Fabrikensemble der ehemaligen Maschinenfabrik und Eisengießerei, nun ebenfalls zur Bahnbedarf A.-G. gehörig, hervorragt. Die Tragkonstruktion der neuen Hallen entstammte einer nach Maßgabe des Versailler Vertrages abzubauenden Luftschiffhalle beim ostpreußischen Dywity (damals Diwitten, nahe Olsztyn / Allenstein). Ein weiterer Teil dieser Luftschiffhalle wurde nach Zabrze in Oberschlesien verkauft.
Der Heimatforscher Karl-Heinrich Schanz aus Mühltal übersandte mir ein halbes Jahr vor seinem Tod im August 2021 einen kleinen Text, der den Bauleiter der beiden Hallen würdigte.
„Willy Schulze, Traisa
Willy Schulze geb. 27.01.1901 in Königsberg/Ostpreußen, gest. 9.02.1990 in Traisa. Von Beruf war er Eisenhoch- und Brückenbauer.
In Diwitten (heute Dywity) bei Allenstein (heute Olsztyn) bestand im ersten Weltkrieg eine Luftlandebasis mit einer Zeppelinhalle. Nach dem Versailler Friedensvertrag musste diese Halle abgebaut werden. Sie wurde in der Höhe und Länge halbiert. Die beiden Dachhälften kaufte die Firma Bahnbedarf AG in Darmstadt. Dort entstanden 2 Hallen, ca. 20 m hoch, 44 m breit und 90 m lang.
Den Abbau der Halle in Diwitten 1920/21 und Wiederaufbau der beiden Dachhälften in Darmstadt 1922/23 leitete Willy Schulze, der damals bei der Firma Karl Haefele & Co in Königsberg i. Pr. angestellt war. Während der Aufbauzeit in Darmstadt lernte er Marie Meyer in Roßdorf kennen, geb. 25.06.1907, gest. 2.9.1987. Die beiden heirateten in Roßdorf und bauten in Traisa ein Haus in der Straße der SA (heute Rosengarten), in das sie 1936 einzogen. Das Ehepaar hat 3 Söhne, Hans, Walter und Ernst.
Als die beiden Hallen bei der Bahnbedarf AG aufgestellt waren, bewarb sich Willy Schulze bei der Firma Merck in Darmstadt. Dort war er als Betriebsleiter und später als Techniker im Baubüro, bis zu seiner Pensionierung, tätig.
Willy Schulze hat in Darmstadt, beim Aufbau der beiden Hallen eifrig fotografiert, ebenso in seiner Zeit in Roßdorf. Bei der TH Darmstadt wurde im Seminar Industrie Architektur 1980/81 eine Arbeit über die Geschichte der beiden Hallen erstellt mit vermutlich vielen Aussagen und Fotografien von Willy Schulze.
Im Museum Roßdorf wurden seine frühen Bilder aus dem Dorf ebenfalls in einer Ausstellung gezeigt.
Leider wird in der Industriegeschichte Darmstadts nicht dieses Mannes gedacht, der die beiden Hallen nach Darmstadt begleitet und mit seinen Mitarbeitern aus Königsberg aufgebaut hat.
Karl-Heinrich Schanz, Traisa 2020“
Der Architekt der beiden Hallen war Jan Hubert Pinand. Die vordere Halle an der Landwehrstraße steht auf der Trasse der Hessischen Ludwigsbahn, deren Linien ais Worms, Mainz und Aschaffenburg hier in den Ludwigsbahnhof mündeten. Beidseitig der Halle kreuzen Anschlußgleise die Straße, deren Reste bis heute erhalten sind. Zwischen den Hallen befand sich eine Schiebebühne. Am rechten Pförtnerhäuschen kann man und frau auch heute noch die Hausnummer 50 ablesen. Die vordere Halle wird heute als Parkhaus genutzt, die hintere ist 1977 abgebrannt.
Bild 7. Die mit Material aus Diwity erstellte Montagehalle. Aufnahme vermutlich 1923. Quelle: Denkmalarchiv Darmstadt.
Der vom Vorstand vorgelegte knappe Geschäftsbericht für 1922/23 nennt die Inbetriebnahme einer neuen Halle – wohl eine der beiden sogenannten „Zeppelinhallen“ – für den Wagenbau, die technischen Büros und die Kraftzentrale. Des weiteren wird der Einstieg in ein neues Geschäftsfeld erprobt.
Motorisiertes Segelfliegen
Der Geschäftsbericht fährt fort:
„In Verbindung mit der Akademischen Fliegergruppe an der Technischen Hochschule Darmstadt haben wir das Segelflugzeug „Geheimrat“ konstruiert, welches an dem Rhönsegelflug erfolgreich teilnahm. In diesem Jahr beabsichtigen wir, uns wieder mit einem neuen Modell zu beteiligen.“
Der Reingewinn wird diesmal mit 22.521.855,70 Mark angegeben, woraus eine Dividende von 4% gespeist wurde. Damit nicht genug, erhielten die Besitzer von Stammaktien eine Superdividende von 66%, die Inhaber von Vorzugsaktien hingegen mußten sich mit 2% begnügen. Da die Aquila A.-G. auch den größten Teil der Stammaktien ihr eigen nennt, dürften die 2% leicht zu verschmerzen gewesen sein.
Bild 8: Leichtmotorflugzeug BAG EI der Bahnbedarf A.-G. mit dem Piloten Albert Botsch. Quelle: Broschüre der Bahnbedarf A.-G.
Zum Verbot des Rhön-Segelflug-Films
erhalten wir folgende Erklärung:
„Zu dem Verbot des Rhön-Segelflug-Films seitens der Filmprüfstelle, das u. a. damit begründet wurde, daß die Bezeichnung des besten Maschine der Darmstädter Fliegergruppe mit dem Namen ‚Konsul‘ als eine Anhimmelung des Kapitän Ehrhardt und seiner Organisation Consul gedacht war, erklären wir, daß ebenso wie wir unser vorjähriges Segelflugzeug ‚Geheimrat‘ nannten, um damit den bekannten Förderer unserer Bestrebungen, den Darmstädter Hochschulprofessor, Herrn Geheimrat Dr. Berndt, zu ehren, wir eines unserer diesjährigen Flugzeuge nur deswegen ‚Konsul‘ tauften, um dadurch unsere Dankbarkeit gegenüber dem tatkräftigen Förderer des deutschen Segelflugsportes, Herrn Generalkonsul Dr. Kotzenberg, Frankfurt a. Main, Ausdruck zu geben.
Darmstadt, den 16. Oktober 1923.
Akademische Fliegergruppe Darmstadt e. V.
Bahnbedarf A.-G. Darmstadt.“
Quelle: Darmstädter Zeitung vom 20. Oktober 1923 [online ulb darmstadt].
Die Bahnbedarf A.-G. baute in Zusammenarbeit mit der Akademischen Fliegergruppe (Akaflieg) Darmstadt mehrere Segelflugzeuge (auch mit Hilfsmotor), von denen die D-602 bis D-607 sowie D-629 in der Luftfahrzeugrolle B registriert waren. Nachdem 1923 die durch den Versailler Vertrag auferlegte Beschränkung, keine Motorflugzeuge zu entwickeln, fortgefallen war, schien dies ein geeigneter Zeitpunkt zu sein, ein neues Geschäftsfeld anzutesten. Aus der Kooperation mit der Akaflieg bekannte Segelflugzeuge waren D-6 „Geheimrat“, D-8 „Karl der Große“ (Typ Bahnbedarf-DI) und „D-9 Konsul“. Der „Geheimrat“ wurde von L. Hoffmann und F. Nicolaus, der „Konsul“ wurde von Albert Botsch und Rudolf Spies konstruiert. Diese zwei Segelflugzeuge zierten die Rückseite eines von der Bahnbedarf A.-G. 1923 herausgegebenen Notgeldscheins. Der Name Botsch wird uns ein Jahrzehnt später erneut begegnen.
Abbildung 9: Rückseite des Inflations-Notgeldscheins über 10 Milliarden Mark der Bahnbedarf A.-G. von 1923.
Die Flüge von Albert Botsch 1924/25 auf der von der Bahnbedarf A.-G. gebauten BAG E I fanden ein geradezu überschwengliches Medienecho. Das Leichtmotorflugzeug hätte durchaus das Potential gehabt, auf dem Flugzeugmarkt zu bestehen. Warum dieser Weg nachfolgend nicht beschritten wurde, ist anhand der vorhandenen (geringen) Quellenlage nicht ersichtlich. Möglicherweise ging dem Unternehmen auch einfach nur das Geld aus.
„Der Flug-Wettbewerb in Darmstadt.
Der erste Flugwettbewerb nach dem Kriege hat am Sonntag in Darmstadt auf dem Flugplatz der Hessenflieger stattgefunden. An den Wettbewerben nahmen Flugzeuge mit Motoren von 2½ bis 90 PS. teil. An dem Wettfliegen, das in Gegenwart von weit über 10.000 Personen stattfand, nahmen teil: die akademische Fliegergruppe Darmstadt, die Bahnbedarf-A.-G., Udet, Albatros, Dietrich-Gobiet und Junkerlimousinen. Der Münchener Fallschirmkünstler Bäumler zeigte ebenfalls seine Kunst durch einen Absprung aus 2000 Meter Höhe. Die Resultate sind folgende: Kurvenflug mit Ziellandung, Klass[e] A bis 30 PS.: 1. Hoppe (Akad. Fliegergr. Darmstadt), 2. Botsch (Bahnbedarf-A.-G.). Klasse B, bis 60 PS,: 1. Billik (Udet). Klasse C, bis 90 PS.: 1. Heck (Dietrich-Gobiet), 2. Katzenstein (Heinze). Höhenflug: Die Resultate konnten noch nicht endgültig festgestellt werden. In 15 Minuten wurde durchschnittlich erreicht von Klasse A 1200 Meter, von Klasse B 2050 Meter und Klasse C 2000 Meter.
Der Fünfländer-Flug, der anläßlich des deutschen Luftwettbewerbs in Darmstadt über Frankfurt, Würzburg, Fürth, Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim, Darmstadt ausgeflogen wird, sah die vier Flieger Botsch-Bahnbedarf, Heck, Heinze und Katzenstein am Start. […]“
Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger vom 2. Oktober 1924. Der Wettbewerb fand am 28. September auf der Lichtwiese statt.
Bild 10: Sport-Kleinflugzeug der Bahnbedarf A.-G. auf einer wohl 1924 von der Pressestelle des Deutschen Luftfahrt-Verbandes herausgebrachten Ansichtskarte. Die von einem 10 PS Hirth-Motor angetriebene Maschine besaß eine Spannweite von elf Metern, war 4,90 Meter lang und die Flügelfläche betrug 12,5 Quadratmeter. Als Leergewicht waren 175 kg und als Nutzlast 105 kg angegeben.
Eisenbahntechnik
1924 wird die Inflationszeit überwunden. Die hierdurch herbeigeführte Entwertung von Geldvermögen trifft diejenigen, die weder verwertbaren Grundbesitz noch Gebäude oder Maschinen besaßen, am härtesten; und das war auch so beabsichtigt. Irgendwer muß ja die Zeche für den verlorenen Weltkrieg zahlen, und das waren sicherlich nicht diejenigen, die ihn angezettelt hatten. Somit mußte auch die Bahnbedarf A.-G. ihre Bilanz auf eine neue, solide Grundlage stellen. Auf der 4. ordentlichen Generalversammlung am 5. August 1924 war die Neubewertung noch nicht abgeschlossen, so daß erst eine außerordentliche Generalversammlung am 23. Dezember 1924 die Herabsetzung des Grundkapitals von 88.000.000 Mark auf 1.608.000 Reichsmark beschließen konnte. Stamm- und Vorzugsaktien wurden wertmäßig und in Bezug auf ihre Stimmkraft angepaßt. Die Stammaktien wurden im Verhältnis 1:50 abgewertet, so daß nun jede Aktie zu 20 Reichsmark eine Stimme besitzt. Während dessen wurden die Vorzugsaktien anders gewichtet. Es handelte sich um 4.000 Aktien à 1.000 Mark und um eine Aktie zu 4.000.000 Mark. Diese wurden in 400 Aktien zu 20 Reichsmark umgewandelt, erhielten jedoch das hundertfache Stimmrecht. In der Praxis ist das unerheblich, da die Rothschilds über die Aquila A.-G. eine eindeutige Aktienmehrheit besaßen.
Abbildung 11: Bogengleis der Bahnbedarf A.-G. mit Auflaufweiche. Quelle: Die Werkbahn 1/1925.
An der eisenbahntechnischen Ausstellung im September und Oktober 1924 in Seddin scheint sich das Unternehmen noch nicht beteiligt zu haben. Zeitgleich zeigte es jedoch seine Produktionspalette in (mindestens) einer ganzseitigen Werbeannonce.
Heft 1 der Zeitschrift „Die Werkbahn“ behandelte 1925 verschiedene Konstruktionen für Gleisbögen mit geringem Halbmesser bei Werkbahnen. Die Ausführung der Bahnbedarf A.-G. wird hierbei überaus positiv besprochen. Ein solches Bogengleis wurde in einer Grubenbahn der Gewerkschaft Messel im Nordosten von Darmstadt eingebaut; weitere Exemplare sollten bald darauf bei der Firma Ed. Breitenbach in Weidenau (Sieg), den Heddesheimer Kupferwerken und den Süddeutschen Kabelwerken folgen. Besonders wurde auf eine an das Bogengleis anschließende Auflaufweiche hingewiesen, die ebenfalls in der Grubenbahn der Gewerkschaft Messel eingebaut worden war. – Der Ölschieferabbau der Gewerkschaft Messel zur Gewinnung von Paraffin, Teer und Erdöl endete 1962, das durch den Tagebau entstandene Loch ist heute als Grube Messel Weltkulturerbe. Zur Bedeutung: 1924 wurde hier etwa ein Viertel des deutschen Erdöls produziert.
Bild 12: Elektrolokomotive 905 im Nahverkehrsmuseum Dortmund, das mir diese Aufnahme freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.
Vom 1. Juni bis zum 12. Oktober 1925 präsentierte die Deutsche Verkehrsausstellung in München einem breiten Publikum den Stand der technischen Entwicklung im gesamten Verkehrswesen. Die Bahnbedarf A.-G. war dort gleich zweimal vertreten: einmal mit ihren Kleinflugzeugen in Halle VII an Stand 7, zudem in der Oberbauausstellung im Freigelände mit einer Auflaufweiche (dort Weiche 26), einem Auflaufgleis und einer Drehscheibe ohne Fundamente, jeweils in Normalspur ausgeführt.
„Den Abschluß des Bahnhofes nach Osten bildet eine Gleiskurve von 35 m Halbmesser, die zum Teil von der Vögele A.-G., Mannheim, zum Teil von der Maschinenfabrik Deutschland ausgeführt ist. Sie ist gerade noch in den engen Raum hineingezirkelt. Sie zeigt, wie man bei beengten Verhältnissen in Anschlußgleisen usw. auch noch bei Verwendung dieser scharfen Gleiskurve das Gelände aufschließen kann. Vor der Oberbauhalle ist ebenfalls eine 35-m-Kurve mit Bogenweiche angeordnet, die von der Bahnbedarf-A.-G., Darmstadt, geliefert wurde. Bemerkenswert ist eine fahrbare Drehscheibe derselben Firma auf demselben Gleisstutzen.“
Bild 13: Fabrikschild der Elektrolok 905 von 1925. Quelle: Nahverkehrsmuseum Dortmund.
Ebenfalls 1925 baute das Darmstädter Werk für die Dortmunder Straßenbahnen eine Arbeitslokomotive. Die elektrische Ausstattung stammte von Bergmann Lokomotivbau aus Berlin. In Dortmund wurde die Lok mit der Betriebsnummer 905 in Dienst gestellt. Sie ist heute ein Schmuckstück des Nahverkehrsmuseums Dortmund.
Bei folgendem Auftrag ist mir nicht bekannt, ob er ausgeführt wurde:
„Die Reparations-Kommission hat ihre Genehmigung zur Erteilung eines Auftrages von 3300 Eisenbahnwaggons an zwei deutsche Firmen erteilt, die an die Paris-Lyoner Mittelmeerbahn auf Reparationskonro geleifert werden sollen. Die Lieferung von 1800 Waggons ist den Gockelwerken in Neuwied, die Lieferung von 1500 Waggons an Bahnbedarfs-A.-G. Darmstadt übertragen worden.“
Auf der folgenden fünften ordentlichen Generalversammlung am 15. Oktober 1925 in den Räumen der Darmstädter und Nationalbank muß der Vorstand für das Geschäftsjahr 1924/25 einen Verlust von 167.840,51 Reichsmark konstatieren. Die weiterhin schwierige Geschäftslage – das folgende Geschäftsjahr sollte mit einem noch höheren Verlust von 1.515.762,34 Reichsmark enden – zwang die Aquila A.-G. wie die Bahnbedarf A.-G. dazu zu fusionieren, und zwar rückwirkend zum 1. April 1925. Dies wurde auf der letzten ordentlichen Generalversammlung der Bahnbedarf A.-G. am 29. November 1926 auch so beschlossen. Der Fusionsvertrag kam am 8. Juli 1927 zustande. Für 800 Bahnbedarf-Aktien erhielten die Bahnbedarfs-Aktionäre nunmehr 200 Aquila-Aktien. Der Vertrag sah vor, daß die Aquila die Firma Bahnbedarf zukünftig als ihre Niederlassung in Darmstadt betreiben kann. Es scheint hierbei noch einigen Unklarheiten über die Bewertung des Grundbesitzes der Bahnbedarf A.-G. gegeben haben. Beim Grundstückskauf 1921/22 scheinen die Flurstücke des Volksstaates Hessen und der Stadt Darmstadt nicht eindeutig abgegrenzt gewesen zu sein, denn 1924 (und später) mußte darüber nachverhandelt werden.
Abbildung 14: Großer Lagerplatz für Fertigfabrikate.
Zu obiger Abbildung: Um die Jahrhundertwende besaßen auf dem eingezäunten Gelände mehrere Firmen eigene Lagerhäuser. Links am Zaun entlang verlief das hier auch sichtbare Industriegleis entlang der Blumenthalstraße. Im Hintergrund erhebt sich links gebieterisch die Diesterwegschule, während in der Bildmitte die Schornsteine der Appel'schen Klenganstalt rauchen. Am rechten Bildrand begrenzt das Lagerhaus das Gelände. Das Lagerhaus war ebenfalls durch die Bahnbedarf A.-G. erworben worden. Bemerkenswert ist das Rangiergleis für Normal- und Schmalspurwagen. Der vordere Zaun grenzt das Gelände zur Landwehrstraße ab.
Die Niederlassung
Der Fusionsvertrag listet das Grundeigentum der Bahnbedarf A.-G. wie folgt auf:
- Flur 15 [zwischen Landwehrstraße und Pallaswiesenstraße, westlich der Blumenthalstraße, WK], Nr. 115, Grabgarten Blumenthalstraße mit 1.743 Quadratmetern, Nr. 116, Grabgarten Blumenthalstraße mit 325 Quadratmetern, und Nr. 117, Hofreite Blumenthalstraße Nr. 24 mit 22.911 Quadratmetern, erworben am 22. März 1921.
- Flur 15, Nr. 122 9/10, Hofreitegrund Blumenthalstraße, 2 8/10 Quadratmeter, erworben am 11. November 1921.
- Flur 16 [zwischen Landwehrstraße und Lagerhausstraße, westlich Blumenthalstraße, WK], Nr. 1 5/10, Hofreitegrund Blumenthalstraße, 5.070 Quadratmeter, erworben am 3. Mai 1921.
- Flur 16, Nr. 1, Lagerhaus und Lagerplatz Blumenthalstraße Nr. 22 [erst der Hessischen Ludwigsbahn, dann der Preußisch-Hessischen Eisenbahngemeinschaft, WK] mit 2.877 Quadratmetern, erworben am 23. Februar 1922.
- Flur 16, Nr. 2, Lagerhaus und Lagerplatz Blumenthalstraße Nr. 20 [ehemaliges städtisches Lagerhaus, WK] mit 5.262 Quadratmetern, Nr. 3, Grabgarten Lagerhausstraße mit 170 Quadratmetern, und Nr. 4 Hofreite Lagerhausstraße Nr. 15 mit 204 Quadratmetern, erworben am 1. Februar 1922.
- Flur 16, Nr. 268, Hofreite (Hauptbahnhof) mit 37.606 Quadratmetern, erworben am 23. Februar 1922.
Bei den unter Flur 16 genannten Grundstücken dürfte es sich um die etwa 50.000 Quadratmeter handeln, von denen im Geschäftsbericht für 1921/22 die Rede gewesen ist. Das unter Nr. 268 aufgeführte Gelände mit dem Zusatz „Hauptbahnhof“ verweist auf das nördliche Gleisvorfeld des vormaligen Hauptbahnhofs, bestehend aus Main-Neckar-Bahnhof und Ludwigsbahnhof, der 1912 geschlossen wurde. Hierzu gibt es eine Anmerkung im Fusionsvertrag:
„Zu letzterem wird bemerkt, dass bei diesem Grundstück Ab- und Zuschreibungen gemäss den Kaufverträgen mit dem Hessischen Staat, bezw. der Stadt Darmstadt vom 5. Mai 1924 stattgefunden haben und dass das neu entstehende Grundstück mit der Bezeichnung 16 Nr. 4 5/10 eine Grösse von etwa 45.177 qm bekommen soll.“
In einem Grundbuchauszug vom 5. November 1926 wird ausgeführt, worin die Unklarheit begründet liegt. Demnach beanspruchte der Hessische Staat aus dem Kaufvertrag vom 23. Februar 1922
„die Rückübertragung derjenigen Gebäudeflächen, die als Strassengelände in die Landwehrstraße, Lagerhausstraße und die durchgeführte Weiterstädterstraße gelegen sind. Die Rückübertragung hat unentgeltlich, kostenfrei und frei von Belastungen aller Art, insbesondere von Hypotheken, zu erfolgen.“
Natürlich muß pro forma auch die Aquila A.-G. der Fusion noch zustimmen. Auf deren Generalversammlung am 1. März 1927 berichtete der Vorstand: „Durch die Fusion ist eine zweckmässigere Gestaltung des Arbeitsgebietes der Bahnbedarf Aktiengesellschaft beabsichtigt.“ Die neue Filiale wird ins Darmstädter Handelsregister als „Bahnbedarf Darmstadt, Werk der Aquila Aktiengesellschaft für Handels- und Industrieunternehmungen, Frankfurt a. M.“ eingetragen. Die Aquila (bzw. zuvor J. Adler junr.) war zu Beginn der 1920er Jahre in Darmstadt nicht nur bei der Bahnbedarf G.m.b.H. eingestiegen. Sie war auch in der ehemaligen Rodberg'schen Dampfkesselfabrik sowie der Maschinenbauanstalt, ehemals Venuleth & Ellenberger, erheblich engagiert.
1927/28 beteiligte sich die Bahnbedarf an der Demontage und der Verwertung der Anlagen der ehemaligen Waldbahn vom Bahnhof Buchschlag nach Klaraberg am Main.
Im Geschäftsjahr 1928 litten die Unternehmen, so der Bericht der Handelskammer Darmstadt für dieses Jahr, an der allgemeinen Zahlungsmoral, und weiter, hier wohl speziell von Seiten der Bahnbedarf Darmstadt eingebracht:
„Bedauert wird die Zurückhaltung hinsichtlich der Vergebung von Aufträgen der öffentlichen Hand einschließlich der Reichsbahn. Die Verdrängung der Feldbahnen durch anderweitige Verkehrsmittel macht sich in den solches Material herstellenden Betrieben unangenehm bemerkbar.“
Bahnbedarf und Rodberg
Die Bahnbedarf A.-G. und die Dampfkesselfabrik vormals Arthur Rodberg A.-G. waren anderthalb Jahrzehnte lang getrennte Unternehmen. Erst Mitte der 1930er Jahre wurden sie zusammengeführt. Da es bis Ende der 1960er Jahre in Darmstadt eine Bahnbedarf-Rodberg G.m.b.H. in der Landwehrstraße gegeben hat, wurde in diversen Veröffentlichungen mehr spekuliert als zutreffend dargestellt, wie denn das Verhältnis beider Unternehmen einstens gewesen sein mag.
2012 feierte die IHK Darmstadt ihr 150jähriges Bestehen. In diesem Umfeld entstand eine Ausstellung mit Briefköpfen Darmstädter und südhessischer Unternehmen aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Eine zugehörige Broschüre rundete das Unterfangen ab. Ich habe mir die Ausstellung einige Jahre später angeschaut und muß sagen, daß sie wirklich schön gestaltet worden ist. Unglücklicherweise enthält sie den einen oder anderen Fehler.
Ulrich Eisenbach, Leiter des Hessischen Wirtschaftsarchivs in Darmstadt, schrieb im August 2012 in einer Begleitserie zu dieser Ausstellung für das Darmstädter Echo:
„1928 wurde die Dampfkesselfabrik vorm. Arthur Rodberg AG mit der 1919 gegründeten Bahnbedarf AG zur Bahnbedarf Rodberg AG verschmolzen. Die Bahnbedarf AG stellte Eisenbahnwaggons, Schienen und Weichen sowie Kleinbahnmaterialen her und reparierte Lokomotiven, sodass die neue Firma über ein ausgesprochen breites Produktionsprogramm verfügte. 1939 wurde die Bahnbedarf Rodberg AG in eine GmbH umgewandelt. Alleiniger Gesellschafter war seitdem die Friedrich Boesner GmbH in Augustenthal bei Neuwied.“
Kurioserweise meint die Begleitbroschüre zur Ausstellung „Rauchende Schlote“, die Dampfkesselfabrik sei 1922 in Bahnbedarf A.-G. umbenannt worden. Vermutlich war jemandem über das Findbuch bzw. Hadis bzw. Arcinsys aufgefallen, daß die erhaltene Handelsregisterakte der Dampfkesselfabrik Rodberg 1922 endet, und hat daraus voreilige Schlüsse gezogen, ohne die Akte selbst zu konsultieren.
Da es kaum einen Quatsch gibt, der nicht noch quätscher gamecht werden kann, findet sich im Buch „Darmstädter Geheimnisse“ der Echo-Redakteurin Kerstin Schumacher eine seltsame Bahnbedarf AG Rodberg, welche die Zeppelinhallen errichtet haben soll.
Die tatsächlichen Zusammenhänge lassen sich über die erhaltene Handelsreisterakten der Bahnbedarf, einmal als Aktiengesellschaft, ein andermal als Niederlassung der Aquila A.-G., sowie mittels Recherche im Darmstädter Tagblatt rekonstruieren. Dazu ist es hilfreich, sich nicht davon abschrecken zu lassen, daß wir es mit einer „Arisierung“ zu tun bekommen werden. Dazu weiter unten mehr.
Die in der Bahnbedarf-Akte enthaltenen Geschäftsberichte der Aquila A.-G. vermiiteln Ende der 1920er noch ausreichende Perspektiven und zu Beginn der 1930er Jahre ein düsterer werdendes Bild über die Lage der Darmstädter Niederlassung Bahnbedarf, aber auch über die zum Konzern gehörende, jedoch eigenständig operierende Dampfkesselfabrik. Der Geschäftsbericht zur Aquila-Generalversammlung am 23. November 1929 führt aus:
„Bei unserem Werk Bahnbedarf in Darmstadt ist ein guter Aufschwung zu verzeichnen. Die Aufträge haben sich erhöht. Es ist mit einem günstigen Ergebnis zu rechnen.“
„Die Dampfkesselfabrik vorm. Arthur Rodberg A.-G., Darmstadt, entwickelt sich normal. Es wird besonderer Wert auf den Bau von Abhitzekesseln gelegt, worin gute in- und ausländische Geschäfte getätigt worden sind. Der Auftragsbestand ist ausreichend. Es ist für das laufende Geschäftsjahr mit der Aufnahme der Dividendenzahlung zu rechnen.“
Auch der Geschäftsbericht zur Aquila-Generalversammlung am 23. Dezember 1930 vermittelt noch ein positives Bild, wenn auch der Vergangenheit.
„Die Erhöhung der Anlagen entsteht aus einer Erneuerung und Erweiterung des Maschinenparkes unserer Abteilung Bahnbedarf Darmstadt.“
„Die Dampfkesselfabrik vorm. Arthur Rodberg A.-G., Darmstadt, hat für das verflossene Geschäftjahr eine Dividende von 4% verteilt. Für das am 30.9.1930 abgelaufene Geschäftsjahr dürfte mit der gleichen Dividende zu rechnen sein.
Das Ergebnis unserer Abteilung Bahnbedarf Darmstadt ist mit Rücksicht auf die allgemeine Wirtschaftslage nicht unbefriedigend; dieselbe hat eine wesentliche Steigerung der Umsätze bei entsprechend erhöhten Unkosten erzielt.“
Abbildung 15: Technische Zeichung der Bahnbedarf Darmstadt von 1928. Dargestellt wird ein zweiachsiger gedeckter Güterwagen. Scan der Blaupause. Quelle: Sammlung Eisenbahnmuseum Darmstadt-Kranichstein.
Anwohnerinnen und Anwohner beschweren sich
Industriebetriebe wie die Bahnbedarf A.-G. sind laut und schmutzig. In den 1920er Jahren scherte man sich wenig um Umwelt- oder Schallschutz, noch weniger jedenfalls, als manche Konzerne dies heutzutage betreiben, wenn sie Öl ins Meer gießen oder Atomkraftwerke in Erdbebengebieten errichten. Vermutlich war es nicht die erste Beschwerde dieser Art. Seit etwa 1927 organisierten sich die Anwohnerinnen und Anwohner der Bahnbedarf in der Feldbergstraße, der Lagerhausstraße und der Weiterstädter Straße (heute Dolivostraße) „gegen die immer unerträglicher werdenden Belästigungen“, wie der sozialdemokratische „Hessische Volksfreund“ am 19. September 1929 berichtete. Auf Ersuchen von Stadtrat Engel wurde die Stadtverwaltung bei der Bahnbedarf vorstellig und erhielt von einer ob der Vorhalte vollkommen erstaunten Geschäftsleitung zur Antwort, „daß man bereit sei, entgegenzukommen; sie äußerte den Wunsch, mit einer Abordnung der Anwohner zu verhandeln, um deren Wünsche kennen zu lernen.“ (Klar, sie wollten wissen, wie weit sie nachgeben müssen.) Stadtrat Engel lud nun die Bewohnerinnen und Bewohner der umliegenden Straßen zu einer Versammlung am 16. September, einem Montag, in der Gaststätte Haußner in der Feldbergstraße ein, um den Sachverhalt zu diskutieren und eine Kommission zu wählen, die mit der Firmenleitung ins Gespräch kommen solle.
„Etwa 80 Männer und Frauen waren der Einladung gefolgt, nicht eingerechnet die, die auf der Straße und an den Fenstern den Verhandlungen folgten. Auch der Syndikus des Hausbesitzervereins, Herr Ziegler, war erschienen.
Stadtrat Engel eröffnete um 8.20 Uhr die Versammlung, machte die Anwesenden nochmals mit dem Zweck der Zusammenkunft vertraut und schilderte kurz die Entwicklung der beklagten Firma vom Jahre 1919 ab. Als man im Jahre 1919 der Firma das Gelände, auf dem die heute im Betrieb befindlichen Werkstätten errichtet sind, zu gewerblichen Zwecken überlassen wollte, habe er seinen damals erhobenen Einspruch zurückgezogen, weil er geglaubt habe, dem Argument der Firma, sie wolle ihren Betrieb so ausgestalten, daß 1000 Erwerbstätige ihr Brot finden, nichts Durchschlagendes entgegensetzen zu können. Hierzu kamen noch die damaligen Verhältnisse, die unter Hintanstellung aller Bedenken die alsbaldige Wiedereinreihung der heimkehrenden Krieger in das Wirtschaftsleben gebieterisch forderten. Auch habe damals niemand absehen können, daß der Betrieb eine Belästigung der Anwohner mit sich bringen würde, wie es heute der Fall ist. Es sei nun Aufgabe der Erschienenen, die Beschwerden und Mißstände sachlich zur Sprache zu bringen, um der zu wählenden Kommission all das Material an die Hand zu geben, das sie zu den in Aussicht genommenen Verhandlungen nötig habe. Er stehe auf dem Standpunkt, daß die Firma zum Entgegenkommen bereit und bei gutem Willen auch eine wesentliche Verminderung des Lärms und der sonstigen Belästigungen möglich sei.
An der Aussprache beteiligten sich etwa 20 Personen und machten in teilweise recht leidenschaftlichen Ausführungen ihrem gepreßten Herzen und der seit Jahren aufgespeicherten Empörung Luft. Man klagte über den Lärm der Schraubenfabrik mit ihrer Feuersgefahr und ihren ganz besonders bei herrschendem Tiefdruck lästigen Dünsten und Abgasen, die durch die Kohlenstaubfeuerung erzeugt werden; ferner gegen den Lärm, der durch das Be- und Entladen der eisernen Schwellen, Schienen und Laschen aufnehmenden Waggons verursacht wird und nicht zuletzt gegen den ultravioletten Feuerschein, der durch das elektrische Schweißen im Freien an die umstehenden Häuser geworfen wird und die nicht mit Fensterläden versehenen Wohnungen taghell erleuchtet, so daß die Bewohner aus dem Schlaf aufschrecken. Um sich einigermaßen gegen die Belästigung zu schützen, waren die Anwohner der Feldbergstraße in den heißen Sommermonaten gezwungen, die Fenster der Schlafzimmer zu schließen und mit lichtundurchlässigen Decken zu verhängen.“
Herr Ziegler legte dar, daß man und frau zivilrechtlich wenig ausrichten könne. Ein Oberwerkmeister der Firma, ebenfalls Anwohner, glaubte, daß Abhilfe durchaus möglich sei.
„So könnten die Schornsteine der Schraubenfabrik noch um einige Meter erhöht werden und das Be- und Entladen der Waggons in die Tageszeit verlegt werden und schließlich sei bezüglich der Belästigungen durch die Schweißerei die Firma ohnedies gezwungen, die heute hierzu benutzte Halle für den kommenden Winter mit einer Umkleidung zu versehen.“
Alsdann wurde eine Kommission gewählt, der neben Stadtrat Engel und Herrn Ziegler noch fünf Männer und zwei Frauen angehörten.
Was die Abordnung erreichen konnte, ist in der vorliegenden Quelle leider nicht erwähnt.
Abbildung 16: Gleisverlegung auf der Darmstädter Rheinstraße 1921. Das Schild mit der Angabe der Baufirma „Bahnbedarf A.G.“ sieht hineinmontiert aus. Der Geschäftsbericht der HEAG für 1920/21 nennt eine Gleisverlagerung des südlichen Gleises in der Rheinstraße zwischen Luisenplatz und Neckarstraße, im Geschäftsjahr darauf (April 1921 bis März 1922) die Verlagerung des nördlichen Gleises. Die Bauarbeiter betrachten mit ihren Gerätschaften den Fotografen und stehen dabei auf der Trasse des nördlichen Gleises, das gerade verlegt wird.
Der Adler trudelt
Abbildung 17: Information über die Aquila A.-G. im Handbuch der Deutschen Aktien-Gesellschaften, 1933, Band II [online uni mannheim], Seite 2501.
Die Rothschilds hinter dem Adler
Abbildung 18: Porträt Albert Rothschild.
J. Adler jun. war 1862 in Frankfurt gegründet und 1899 in eine offene Handelsgesellschaft umgewandelt worden. Die Aquila Aktiengesellschaft kam 1921 als Holding dazu. Zu diesem Zeitpunkt prägten die vier Rothschild-Brüder Henry, Albert, David und Max, die zu den „neuen Rothschilds“ gezählt wurden, die Unternehmensführung. Ihre Eltern waren Wilhelm Rothschild (1836–1906) und Stella Schott (1840–1926), beide waren nach Frankfurt zugezogen. Die vier Brüder hatten drei Schwestern Leopoldine (1869–1940), Recha (1880–1966) und Karoline (1882–1968).
Henry Rothschild (1870–1936) wurde in Heilbronn geboren, seine anderen Brüder in Frankfurt am Main. Er war seit 1901 mit Bertha Merzbach vertheiratet.
Albert Rothschild (1872–1938) besuchte die Realschule und absolvierte nachfolgend eine kaufmännische Ausbildung. Er wurde Mitinhaber von J. Adler jun. Er war Vorsitzender des Verbandes deutscher Schrottbetriebe und Schrottgroßhandlungen und Mitglied des Präsidiums des Hansa-Bundes für Gewerbe, Handel und Industrie in Berlin. Er war verheiratet mit Lisbeth Merzbach.
David Rothschild (1875–1936) studierte Medizin und wurde Facharzt für Lungen- und Herzkrankheiten. In Bad Soden wirkte er als Badearzt und als Gemeinderat. Von den Versorgungsgerichten wurde er mehrfach als Gutachter für Kriegserkrankungen herangezogen. Von 1925 bis 1928 war er Vorsitzender des Fußballvereins FSV Frankfurt. Er starb, Ironie der Geschichte, in Stockholm an einem Herzinfarkt.
Max Rothschild (1876–1944) besuchte das Realgymnasium in Frankfurt und absolvierte anschließend eine Banklehre und eine Lehre in den eigenen Betrieben. Er war Handelsrichter beim Landgericht Frankfurt und wurde 1944 in Auschwitz ermordet.
Die Grabsteine von Henry und Albert Rothschild befinden sich auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Frankfurt.
Zur nächsten ordentlichen Generalversammlung der Aquila A.-G. am 23. April 1932 wurde vermerkt, daß sich die Dampfkesselfabrik Rodberg „der Ungunst der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht entziehen“ konnte, während das Ergebnis der Bahnbedarf als befriedigend angesehen wurde: „Dieses Werk ist mit Aufträgen versehen und arbeitet mit Erfolg.“ Ein Jahr später, die Nazis sind schon an die Macht gebracht worden, was für einen jüdisch dominierten Betrieb fatale Folgen haben mußte, berichtet der Aquila-Vorstand auf der Generalversammlung am 12. Mai 1933 über das Geschäftsjahr 1931/32:
„Bei der Dampfkesselfabrik vorm. Arthur Rodberg A.-G., Darmstadt, haben sich die im letzten Bericht dargestellten Verhältnisse im Berichtsjahr nicht geändert. Die Unkosten sind auf das äusserste eingeschränkt worden.
Unsere Abteilung Bahnbedarf Darmstadt war unter den heutigen Verhältnissen leidlich beschäftigt und hat über die Unkosten und Abschreibungen hinaus einen kleinen Betriebsgewinn erzielt.“
Die 1932 und 1933 verfaßten Geschäftsberichte nennen noch eine nicht weiter ausgeführte Abstoßung von Immobilien. Möglicherweise war darunter auch ein Teil des Anfang der 1920er Jahre erworbenen Geländes entlang der Blumenthalstraße.
Abbildung 19: Die nordliche Toreinfahrt. Während am linken Bildrand direkt hinter der Mauer das Industriegleis entlang der Blumenthalstraße verlief, verzweigte sich am Fabriktor das Anschlußgleis der ehemaligen Maschinenfabrik und Eisengießerei. 1930/31 errichtete die Deutsch-Amerikanische Petroleum-Gesellschaft an der Stelle der an der Mauer aufgeschichteten Holzstapel ein Tanklager mit Tankstelle; als Esso-Tankstelle war sie noch in den 2010er Jahren einem Autohändler angegliedert. Das zugehörige Gelände war zuvor abgetrennt worden und erhielt die neue Hausnummer Blumenthalstraße 28. Rechts befanden sich die Gleisanlagen der Hessischen Ludwigsbahn; nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Gelände als Rangiergruppe für das Reichsbahn- und später Bundesbahn-Ausbesserungswerk genutzt.
Der auf der Generalversammlung am 26. Mai 1934 vorgelegte Geschäftsbericht nennt Verhandlungen mit den Banken und eine Umstrukturierung der Aquila/Adler-Gruppe. Demnach soll die Aquila zur Holding und die J. Adler junr. wieder ein reines Handelsunternehmen werden. „Unsere Abteilung Bahnbedarf wird wieder, wie früher, in eine selbständige Gesellschaft umgewandelt, oder mit einer uns nahe stehenden Gesellschaft verbunden werden.“ Das deutet auf einen bevorstehenden Zusammenschluß mit der Rodberg'schen Dampfkesselfabrik hin. Hier versiegt als Quelle die im Staatsarchiv Darmstadt verbliebene Handelsregisterakte. Mit Datum vom 8. Januar 1936 schreibt die Aquila A.-G. als quasi letztes Lebenszeichen dem Amtsgericht Darmstadt, daß die unter der Bezeichnung Bahnbedarf Darmstadt bestehende Zweigniederlassung erloschen sei.
„Normales“ kapitalistisches Gebaren oder „Arisierung“?
Die unstete Konjunktur der 1920er Jahre mit der nachfolgenden Weltwirtschaftskrise hatte auch die Aquila-Holding ungünstig getroffen. Der von den Gläubigerbanken Mitte der 1920er Jahre erzwungene Zusammenschluß von Aquila und Bahnbedarf fand seine Fortsetzung mit dem Eintreiben der Schulden während der Nazizeit. Während es sich einerseits tatsächlich um ganz ordinären Kapitalismus handelt, nämlich die bestmögliche Verwertung angeschlagener Unternehmen zugunsten der Gläubigerbanken, kommt nach dem 30. Januar 1933 eine dezidiert antisemitische Komponente hinzu. Da die Aquila und ihre Bahnbedarf-Niederlassung nicht als „arisches“ Unternehmen angesehen und ihnen daher wichtige Aufträge entzogen wurden, konnten die Banken diese Exklusion zu ihrem Vorteil nutzen und den Druck auf die jüdischen Eigentümer erhöhen. Folgerichtig wurde zunächst die Dampfkesselfabrik Rodberg mit der Bahnbedarf zusammengelegt, wobei die Aquila-Filiale Bahnbedarf der schwächelnden Dampfkesselfabrik finanziell unter die Arme greifen mußte. Alsdann wirde die so neu entstandene Bahnbedarf-Rodberg A.-G. aus dem Aquila-Konzern ausgegliedert und den Gläubigerbanken ausgeliefert, bevor sie einem interessierten „arischen“ Unternehmen übergeben werden konnte.
Das im Bändchen „Rauchende Schlote“ und in dem im Darmstädter Echo abgedruckten Begleitartikel zur gleichnamigen Ausstellung genannte Verhältnis der Unternehmen Bahnbedarf und Rodberg zeugt nicht nur von Unkenntnis, die aus mangelnder Recherche herrührt. Vielmehr wird etwas Entscheidendes übersehen, nämlich die Fusion zweier Unternehmen im Zuge einer „Arisiserung“.
Auf ihrer Generalversammlung am 26. März 1935 beschlossen die Aktionäre der Dampfkesselfabrik vormals Arthur Rodberg A.-G., den Geschäftsverlust der beiden Vorjahre in Höhe von 217.000 RM durch eine Neujustierung des Aktienkapitals auszugleichen. Hierzu wurde das Grundkapital der Gesellschaft drastisch von 350.000 RM auf 50.000 RM herabgesetzt und nachfolgend wieder auf 500.000 RM heraufgesetzt. Um kein frisches Geld einbringen zu müssen, wurde die Aquila A.-G. zur Ader gelassen. Sie hatte ihr Filialunternehmen Bahnbedarf mit 720.000 RM Aktiva und 305.000 RM Passiva einzubringen. Noch gehörten von den Aktien des so neu aufgestellten Unternehmens 90% der Aquila und 10% dem „Markt“. Das so regenerierte Unternehmen erhielt die Firmierung Bahnbedarf-Rodberg A.-G. Aus dem Vermögen der Aquila bzw. Bahnbedarf nicht eingebracht und somit für eine anderweitig lukrative Verwertung vorbehalten waren die Grundstücke, Immobilien und Maschinen der Bahnbedarf. Diese konnten von der Bahnbedarf-Rodberg A.-G. gepachtet werden. Dies kann durchaus als eine Art Gewinnabschöpfung eines noch „jüdischen“ Unternehmens betrachtet werden. Der Geschäftsbericht vermerkt zudem, die Dampfkesselfabrikation habe eine gewisse Belebung erfahren und auch die Bahnbedarf sei mit Aufträgen gut versehen.
Dem das Unternehmen kontrollierenden Aufsichtsrat gehörten nunmehr der Rechtsanwalt Schwörer aus Darmstadt, Max Rothschild aus Frankfurt, die Direktoren Bochow und Götz aus Darmstadt sowie der Rechtsanwalt und Notar Ernst Bösebeck aus Frankfurt an. Hier wäre noch zu herauszufinden, wessen Interessen die vier anderen, vermutlich „arischen“, Aufsichtsratsmitglieder zu vertreten hatten.
Die Geschäfte entwickelten sich im Verlauf des Jahres leidlich gut. Es konnte ein minimaler Gewinn erzielt werden, der sich wohl hauptsächlich aus dem Exportgeschäft speiste.
Dann wird die Vergangenheit abgerechnet:
„Bahnbedarf Rodberg AG., Darmstadt. Diese Konzerngesellschaft von J. Adler jun.-Aquila verzeichnet in der Vorlage der beiden Jahresbilanzen 1933 und 1934 für 1933 bei 117.000RM Vorlustvortrag einen Gesamtverlust von 169.000 RM., dazu treten aus 1934 noch 48.400 RM. Neuverlust. Nach Sonderabschreibungen von 102.000 RM. und einem Sanierungsgewinn von 300.000 RM. aus der vorjährigen Kapitalherabsetzung von 350.000 auf 50.000 RM. und Wiedererhöhung des Aktienkapitals auf 500.000 RM. wird der Verlust von 217.000 RM beseitigt. Die Gesellschaft wurde im vorigen Jahre aus der Werksabteilung der Bahnbedarf AGund der Dampfkesselfabrik vorm. Arthur Rodberg zusammengefaßt.“
Dem Bericht über die Generalversammlung am 24. Juni 1937 ist der Übergang der Aktien von der Aquila auf ein Bankenkonsortium im zweiten Halbjahr 1936 oder 1. Halbjahr 1937 zu entnehmen; Konzernschulden seien daher in der Bilanz nicht länger aufgeführt. Der Reingewinn des Vorjahres betrug rund 20.000 Reichsmark. In den ersten Monaten des Vorjahres sei es gelungen, größere Aufträge hereinzuholen, was wohl im Zusammenhang mit der „Entjudung“ des Unternehmens zu sehen sein wird. Umsätze und Export stiegen an. „Die Zahl der Gefolgschaftsmitglieder konnte um etwa 22 Prozent erhöht werden.“ Zuschüsse für KdF-Fahrten und die Anlage eines Sportplatzes auf dem Werksgelände vervollständigten das sich arisierende Gesamtbild. Zudem fand eine maßgebliche Beteiligung an der auf dem Bahnbedarf-Gelände angesiedelten Flugzeugbau Botsch u. Co. statt.
Vermutlich im ersten Halbjahr 1938 erfolgte die Übergabe des Unternehmens an die in Augustenthal bei Neuwied ansässige Schraubenfabrik Friedrich Bösner GmbH. Das Geschäft lief 1937 besser als im Vorjahr, die gepachteten Anlagen wurden für ungefähr eine halbe Million Reichsmark käuflich erworben. Aufsichtsratsvorsitzender war nunmehr Friedrich Stursberg aus Augustenthal. Die Umwandlung des Unternehmens aus einer Aktiengesellschaft in eine GmbH erfolgte 1939.
Flick und Konsorten
Die Aquila/Adler-Gruppe war, wie wir gesehen haben, nicht unbeschädigt aus der Weltwirtschaftskrise herausgekommen. Die in den frühen 1920er Jahren vorgenommenen Industriebeteiligungen hingen nun wie ein Klotz am Unternehmen und fuhren angesichts dümpelnder Konjunktur Verluste ein. Auf den Aktienbesitz an der Dampfkesselfabrik Rodberg mußten erhebliche Abschreibungen vorgenommen werden. Die Umschuldungsverhandlungen mit den Banken wurden nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten weiter erschwert. „Nichtarische“ Unternehmen wurden mehr und mehr von Aufträgen und Lieferungen ausgeschlossen. Dennoch konnte die Aquila/Adler-Gruppe sich zunächst behaupten. Während die Inlandsgeschäfte mit Metallschrott mehr und mehr zurückgingen, hatte man sich ein zweites, durchaus lukratives Standbein im Ausland aufgebaut. „Virtuos bewegte sich das Unternehmen dabei im undurchsichtigen und sich schnell verändernden Geflecht internationaler Zollbarrieren, Einfuhrbeschränkungen und politischer Konflikte, wozu es durch ein eingespieltes weltweites Nachrichtensystem befähigt wurde“, so Benno Nietzel.
Der wunde Punkt war die geringe Kapitaldecke. Solange das Unternehmen dem Deutschen Reich durch seine Auslandstätigkeit dringend benötigte Devisen verschaffte, erhielt es eine Atempause. Die von den Gläubigerbanken erzwungenen zwei Vertrauensleute innerhalb des Unternehmens gaben über dessen Leistungsfähigkeit Auskunft. Ende 1936 wurde ein Abkommen geschlossen, das dem Unternehmen vier Jahre Ruhe verschaffen sollte. Die Banken, hier vor allem die Deutsche Bank, die Dresdner Bank in Nachfolge der Darmstädter und Nationalbank, sowie die Golddiskontobank verzichteten auf einen Teil ihrer Forderungen und schuldeten einen anderen Teil so um, das diese frühestens 1940 fällig werden sollte. Die Aquila A-G. und J. Adler jun. wurden zu einem Unternehmen verschmolzen.
„Im Gegenzug übernahmen die Banken umfangreiche Aktienwerte und Beteiligungen, außerdem verpflichtete sich die J. Adler jun., ihren entbehrlichen Grundbesitz zur Tilgung der laufenden Schulden zu verkaufen.“
In diesem Zusammenhang ist der Zusammenschluß der Bahnbedarf-Niederlassung mit der Rodberg'schen Aktiengesellschaft zu sehen. Da hiervon die Grundstücke ausdrücklich ausgenommen waren, verwundert es nicht, wenn einzelne Grundstücke zwischen Pallaswiesen- und Landwehrstraße den Eigentümer gewechselt haben.
Abbildung 20: Es war einmal: Haupteingang in der Blumenthalstraße 24.
Das Unternehmen Aquila bzw. J. Adler junr. wird für das Anwesen Nr. 20 noch im Adreßbuch von 1942 als Eigentümer benannt. Das Adreßbuch für 1936 nennt unter der Nr. 20/22 die Bahnbedarf Rodberg AG, wobei das Anwesen Nr. 22 etwa 1940 an die Autoreparaturwerkstatt Auto-Axt übergeht. Hierbei kommt es zu einer Neujustierung der Hausnummern, denn die Nr. 22 als Teil des Bahnbedarf-Anwesens befand sich in den 1920er Jahren noch südlich der Landwehrstraße. Die neue Firma Auto-Axt lag hingegen (mehrere Jahrzehnte lang) nördlich der Landwehrstraße. Das Anwesen Nr. 24 scheint von etwa 1933 bis 1940 an die Zigarrenfabrik von Peter Stang verpachtet worden zu sein. Erst das Adreßbuch für 1941 kennt hier Peter Willems aus Trier als neuen Eigentümer, der hier die Firma „Deutsche ‚Cristalline‘ Werke“ bis in die 1950er Jahre betreiben sollte. Nach Ende der Naziherrschaft scheint er sich in die Schweiz abgesetzt zu haben.
Mehr als ein Jahrzehnt zuvor, so um 1923 herum, hatte die Bahnbedarf A.-G. die Segelflugambitionen der Akaflieg Darmstadt unterstützt. Einer deren bekanntesten Piloten war Albert Botsch. Wir finden nun im Darmstädter Adreßbuch für 1936 erstmals in der Landwehrstraße Nr. 47½ eine Flugzeugbau Botsch & Co. G.m.b.H.; diese neu geschaffene Hausnummer dürfte eine Halle an der nordwestlichen Ecke der Kreuzung der Blumenthalstraße mit der Landwehrstraße bezeichnen. 1938 kommt als weitere Adresse (und wohl auch Firmensitz) der Taunusring 20 hinzu, also das alte Lagerhaus. Dort verzeichnet auch das letzte Adreßbuch der Nazizeit für 1942 das Unternehmen. Segelflugbau zusammen mit der Akaflieg oder Einbindung in Aufrüstung und Krieg?
Bild 21: Fabrikschild Nr. 9567 eines Dampfkessels der Bahnbedarf-Rodberg A.-G. von 1938 im Lokschuppen des Eisenbahnmuseums Darmstadt-Kranichstein.
Für das Unternehmen J. Adler jun. kommt das Ende dann doch recht plötzlich. Wurde ihr von den Banken 1936 trotz inländischer Restriktionen des Naziregimes noch zugetraut, innerhalb von vier Jahren in die Gewinnzone zurückkehren zu können, so änderte der Tod des Seniorchefs Albert Rothschild im Mai 1938 die Geschäftsgrundlage. Er war es, der so virtuos die Fäden im Ausland gezogen hatte. Die Banken, allen voran die Dresdner Bank, entschlossen sich, das Abkommen von 1936 zu ignorieren und den Betrieb zu zerschlagen, also zu arisieren. Die Banken versuchten nun, das Unternehmen und seinen Besitz mit Gewinn zu verkaufen. Max Rothschild, der die Zeichen der Zeit richtig verstand, erschien im Juni 1938 gar nicht erst mehr zu einer Besprechung in den Räumen der Deutschen Bank in Berlin; er nutzte eine Geschäftsreise nach Großbritannien und Frankreich, um sich abzusetzen. Im September 1938 wurde das Unternehmen im Schnellverfahren aus dem Handelsregister gestrichen. Ohnehin hätte es nach der Reichspogromnacht wohl kaum noch eine Überlebenschance in jüdischem Besitz gehabt.
In ihrer Geschichte des Flick-Konzerns nähern sich Norbert Frei u. a. der „Arisierung“ der Aquila-Adler-Gruppe von anderer Seite. Friedrich Flick, der seine jüdischen Geschäftspartner bei Bedarf fallen ließ, wird hier als ein eiskalter Geschäftsmann vorgestellt, der auch ohne besondere eigene antisemitische Motive auf die passende Gelegenheit wartete, sich jüdischen Besitz anzueignen.
„Das zeigte sich im Sommer 1936, als die Kapitalmehrheit an der Eisenhüttenwerk Thale AG auf den Markt kam. Dabei handelte es sich um eine typische ‚Arisierung‘, die von Deutscher und Dresdner Bank gemeinsam betrieben wurde. Das Werk im Nordharz lag im Interessengebiet von Mittelstahl und befand sich im Besitz zweier Hauptaktionäre; neben der Frankfurter Unternehmensgruppe Adler-Aquila des Albert Rothschild war Albert Ottenheimer aus Köln beteiligt. Dass die beiden jüdischen Eigentümer in immer größere Bedrängnis gerieten, hatte man bei Mittelstahl schon anderthalb Jahre zuvor registriert.“
Als mit Otto Wolff ein Konkurrent Interesse zeigte, war Flick hellwach. Da jahrelang jedoch nur wenig investiert worden war, wartete Flick, der bereit war, mit Wolff zusammen den Rothschild'schen Mehrheitsanteil zu übernehmen, ab. Denn Ottenheimer sollte abgefunden und aus dem Unternehmen gedrängt werden, ein Job, den Flick den Banken überlassen wollte. Das Geschäft selbst versprach nicht lukrativ genug zu werden.
„Damit war die ‚Arisierung‘ aber noch nicht abgeschlossen, da auch die Frankfurter Muttergesellschaft von der Deutschen Bank feilgeboten wurde. Die Schrotthandelsfirma J. Adler jr. war zuvor nach bekanntem Muster in wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht worden. Neben den Rüsselsheimer Opelwerken hatte auch die Reichsbahn ihre Lieferungen eingestellt und Albert Rothschild auf diese Weise zum Verkauf genötigt. Als sich Eduard Mosler von der Deutschen Bank im Februar 1937 direkt an Flick wandte, lehnte dieser trotz hartnäckiger Nachfrage durch den Bankier erneut ab.“
Wenn wir beide Darstellungen dieser „Arisierung“ miteinander verknüpfen, dann scheint es so zu sein, daß die Deutsche Bank das Abkommen mit den Rothschilds schon vor dem Tod des Seniorchefs hintertrieb.
Abbildung 22: Briefkopf der Bahnbedarf-Rodberg GmbH von 1939. Der Ursprung aus zwei recht unterschiedlichen Unternehmen ist noch deutlich. Das „jüdisch“ verspielte Logo der Bahnbedarf A.-G. wurde beibehalten.
Fundstücke
Auch mehr als einhundert Jahre nach der Unternehmensgründung, lassen sich unerwartet Hinterlassenschaften der Bahnbedarf A.-G. in freier Wildbahn entdecken. Olaf Mensch verdanke ich diese beiden Aufnahmen zweier Weichenhebel, die auf der Wormser Hafenbahn ihren Dienst verrichten. Erstaunlich; aber ob sie zwanzig Jahre später noch immer verwendet werden?
Bild 23: Die beiden Weichenhebel der Wormser Hafenbahn, von Olaf Mensch im Februar 2004 aufgenommen.
Bild 24: Auf der Rückseite der Hebel steht „Bahnbedarf Darmstadt“, was darauf schließen läßt, daß sie zwischen 1927 und 1935 gefertigt wurden.
Sogar in Darmstadt findet sich in der Verlängerung der Kirschenallee über die Bismarckstraße hinaus ein Relikt in der Einfahrt zum ehemals weit verzweigten Goebel'schen Gelände. Direkt am Werkstor liegt eine Weiche, deren gerader Verlauf zur Herdfabrik Roeder und deren Abzweig zu Goebel geführt hatte. Diese Weiche stammt ausweislich des Signets von der Bahnbedarf A.-G.
Anmerkungen
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- Hierzu ausführlich das 19. Kapitel meiner Geschichte der Maschinenfabrik und Eisengießerei. ⏎
- Helmut Lackner : Die Industriemaler Jakob und Ferdinand Weeser-Krell, in: Klaus Türk (Hg.) : Arbeit und Industrie in der bildenden Kunst. Beiträge eines interdisziplinären Symposiums [1997], Seite 220–233. Er beschreibt dies als „repräsentative Möglichkeit der Selbstinszenierung“. Demnach „bot die gemalte Vogelperspektive offensichtlich gerade jene Freiheit in der Darstellung und Phantasie in der Interpretation, die den Dampfmaschinenkapitalismus idealistisch zu überhöhen erlaubte.“ (Seite 224). Der Kunstverlag Eckert und Pflug galt mit 120 ausgebildeten Künstlern und Graveuren kurz vor dem Ersen Weltkrieg als größtes hier tätiges Atelier (Seite 221). Die Bahnbedarf A.-G. war in der Selbstdarstellung gewiß nicht knausrig. ⏎
- Das Gründungsdatum der offenen Handelsgesellschaft J Adler, junr., nach der im HStAD vorliegenden beglaubigten Abschrift aus dem Handelsregister Frankfurt a. M., Abteilung A, No. 4780. Die Bahnbedarf G.m.b.H. scheint als eine Art Mantel beibehalten worden zu sein. Deren Name, also die „Firma“ wurde auf einer Gesellschafterversammlung am 6. Mai 1921 in Gesellschaft für Bau- und Bahnbedarf mit beschränkter Haftung geändert und der Sitz der Gesellschaft nach Berlin verlegt; siehe die Mitteilung aus dem Handelsregister im Darmstädter Tagblatt vom 21. Juni 1921 [online]. ⏎
- Als geradezu prototypisch kann das wenige Kilometer westlich von Darmstadt gelegene Dorf Griesheim gelten. Griesheim lag zwischen Ende 1918 und Juni 1930 in der französisch besetzten Zone und war jahrelang wirtschaftlich vom angrenzenden Deutschen Reich getrennt. Die Not war groß und der Neue Griesheimer Anzeiger ist für diese Zeit eine wahre Fundgrube von Berichten über Diebstähle aller Art. ⏎
- Neuer Griesheimer Anzeiger vom 16. September 1922. ⏎
- Mona Sauer schreibt für das Stadtlexikon Darmstadt [2006] im Lemma „Zeppelinhalle“ auf Seite 1014, es seien 1921 in Alleinstein zwei Zeppelinhallen demontiert worden. Diese Fehlinformation wurde in die Onlineausgabe mitgeschleppt und ist auch im März 2023 noch nicht korrigiert worden. Um es noch einmal klarzustellen, weil sich dieser Fehler schon in anderen Publikationen verselbständigt hat: bei Diwitten bzw. Dywity stand nur eine Luftschiffhalle. Eine. – Zu Zabrze: Information von Rafał Bętkowski vom Museum der Moderne in Olsztyn, in: Sterowce na dywickim niebie, erschienen in der Gazeta Olsztyńska, aktualisiert am 20. Dezember 2016 [online]. ⏎
- Die beiden Zeppelinhallen werden ausführlich auf einer anderen Unterseite meiner Webseite besprochen. Auf dieser Grundlage habe ich 2022 den kurzen Artikel in der Wikipedia sinnvoll nachgebessert. ⏎
- Vergleiche die Zusammenstellung auf Civil Aircraft Register – Germany. Ingesamt scheint es die Typen DI, DII, DIIa, EI und EII gegeben zu haben. [Im März 2023 benutzte die Webseite ein selbst ausgestelltes und abgelaufenes Zertifikat, was Firefox als nicht vertrauenswürdig ansieht. Was Chrome damit anstellt, weiß ich nicht, weil ich nicht mit dieser wenig Vertrauen erweckenden Datenkrake arbeite.] ⏎
- Der Geldschein wurde mir zum Einscannen dankenswerterweise von K. M. aus Darmstadt zur Verfügung gestellt. Ein weiteres Exemplar mit dem Nennwert von 20 Milliarden Mark ist auf einer eigenen Unterseite abgebildet; weiterhin existiert ein Exemplar mit einem Nennwert von 50 Milliarden Mark. ⏎
- H. H. : Über Gleisbögen bei regelspurigen Werkbahnen, in: Die Werkbahn, Heft 1, 5. Januar 1925, [online, die Grafiken sind nicht mehr sichtbar]. Museumsverein Messel e. V. : Industriegeschichte Messel, [online]. ⏎
- Amtlicher Katalog zur Deutschen Verkehrs-Ausstellung 1925 in München. Zitat im I. Teil auf Seite 85. Weitere Angaben zum Unternehmen im II. Teil auf den Seiten 200, 233 und 245. Im IV. Teil wird auf Seite 2 auf ein Inserat im Titelbogen hingewiesen, das in dem von mir eingesehenen Exemplar nicht vorhanden war. Die „Ganderbergische [sic!] Maschinenfabrik G. Goebel“ war als weiteres Darmstädter Unternehmen präsent; vgl. II. Teil, Seite 257. Hingegen sind die Modag und Schenck im Katalog nicht aufgeführt. ⏎
- Neuer Griesheimer Anzeiger vom 28. März 1925. ⏎
- Auf der 32. ordentlichen Generalversammlung der Maschinenbauanstalt, vormals Venuleth & Ellenberger, am 23. Juni 1921 repräsentierte Max Rothschild 110 und der mit ihm verschwägerte Dr. Richard Merzbach 107 von 723 stimmberechtigten Aktien. Max Rothschild wurde in den Aufsichtsrat gewählt. Auf der außerordentlichen Generalversammlung am 3. Mai 1922 besaß die Aquila A.-G. 262 von 695 stimmberechtigten Aktien. Für die 33. ordentliche Generalversammlung am 12. August 1922 war als Tagesordnungspunkt die Genehmigung eines Vertrages vorgesehen, welcher das Firmenvermögen an die Dampfkesselfabrik Rodberg übertragen hätte. Der Tagesordnungspunkt wurde auf der Generalversammlung durch den Aufsichtsrat ohne weitere Erklärung mit 530 gegen 274 Stimmen abgesetzt. Die Aquila A.-G. verfügte hier über 267 der 810 stimmberechtigten Aktien und scheint die Absetzung befürwortet zu haben. Auf der nachfolgenden 34. ordentlichen Generalversammlung am 7. August 1923 verfügt nunmehr die Dampfkesselfabrik Rodberg (in Händen der Aquila A.-G.) über die Stimmenmehrheit (527 von 756 Stimmen). Nach Maßgabe der Geschäftsberichte für 1925 und 1926 dümpelt das Unternehmen vor sich hin und ist somit als Anlageobjekt nicht mehr interessant; vielleicht mußte aber auch die Aquila A.-G. wegen ähnlicher Schwierigkeiten Kasse machen. Dazu paßt, daß am 11. Januar 1927 das Unternehmen dem Amtsgericht Darmstadt mitteilt, Max Rothschild sei aus dem Aufsichtsrat ausgeschieden. Statt dessen verfügt auf der 38. ordentlichen Generalversammlung am 15. Juli 1927 nun die Firma Lippmann May aus der Weiterstädter Straße in Darmstadt über 749 der 780 anwesenden Stimmen; bei der Aquila A.-G, verbleiben drei stimmberechtigte Aktien, die jedoch bald darauf ebenfalls veräußert werden. Siehe hierzu HStAD G 28 Darmstadt Nr. R 942. ⏎
- Das Wirtschaftsjahr 1928. Bericht der Hessischen Industrie- und Handelskammer Darmstadt [1929]. ⏎
- Ursprünglich war der Artikel am 6. August 2012 online abrufbar, bevor er einem Relaunch der Webseite zum Opfer fiel. Die Printausgabe war im Darmstädter Echo am 7. August 2012. ⏎
- Hessisches Wirtschaftsarchiv (Hg.) : Rauchende Schlote [2012], Seite 11. ⏎
- Wiedergegeben in ihrem Artikel Ein Überbleibsel der Luftschiff-Ära im Darmstädter Echo, online am 2. Dezember 2019. ⏎
- Nach dem verlorenen Krieg gab es eine Meldepflicht für arisierte Unternehmen an einen Prüfungsausschuß der IHK Darmstadt. Das Verzeichnis gilt als verschollen. Siehe Christof Dipper : Die südhessische Wirtschaft in der NS-Zeit und im Zweiten Weltkrieg (1939–1945), in: Ulrich Eisenbach (Hg.) : Von den Anfängen der Industrialisierung zur Engineering Region. 150 Jahre IHK Darmstadt Rhein Main Neckar [2012], Seite 137–172; dazu auf Seite 258 die Anmerkung 91. Es scheint, als habe es sich um ein auch bei anderen IHKs übliches Verfahren gehandelt, die Vergangenheit zu entsorgen. Selbstredend gibt es in Darmstadt kein (mir bekanntes) Forschungsprojekt, das sich mit der Rekonstruktion dieser Liste befaßt. Wer etwas über „Arisierungen“ in Darmstadt erfahren möchte, ist auf die Veröffentlichungen der Darmstädter Geschichtswerkstatt und der DFG-VK angewiesen. ⏎
- Dieser Zeitungsbericht ist in Kopie das einzige Blatt einer Aktenmappe aus der Sammlung Hesse HStAD O 24 Nr. 62/12. Einem Auszug aus dem Grundbuchblatt Nr. 927 (Bahnbedarf) vom 5. November 1926 zufolge habe die Bahnbedarf A.-G. bei bestimmten Grundstücken „ihre Betriebsanlagen so einzurichten, daß störende Einwirkungen durch diese, ihren Bestand und ihre Benutzung, auf die Umgebung, namentlich in Gestalt von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen möglichst vermieden bleiben. Sie hat auf Verlangen des Hessischen Staates die zu diesem Zwecke erforderlichen Einrichtungen und Vorkehrungen zu treffen. Auf die technische und wirtschaftliche Betriebslage der Fabrik ist billige Rücksicht zu nehmen. In den Bauten an der Lagerhausstrasse und der (durchgeführten) Weiterstädterstrasse darf ein Betrieb, von dem störende Einwirkungen der vorerwähnten Art im wesentlichen Maße ausgehen, nicht stattfinden. Siehe HStAD O 24 Nr. 40/6. ⏎
- Auf einer genealogischen Webseite ist ein Familienfoto vorhanden [online]. ⏎
- Zu Henry Rothschild siehe die Henry Rothschild Collection des Leo Baeck Institute [online]. ⏎
- Dieser Abschnitt fußt auf folgenden Texten: 1) Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, Zweiter Band [1931], Seite 1572; hieraus auch das Porträt Albert Rothschilds. 2) Benno Nietzel : Handeln und Überleben. Jüdische Unternehmer aus Frankfurt am Main 1924–1964 [2012], insbesondere die Seiten 112 bis 118. 3) Martin Münzel : Die jüdischen Mitglieder der ökonomischen Elite Frankfurts nach 1933. Aspekte der Ausschaltung aus dem Wirtschaftsbürgertum, in: Jörg Osterloh und Harald Wixforth (Hg:) : Unternehmer und NS-Verbrechen. Wirtschaftseliten im »Dritten Reich“ und in der Bundesrepublik Deutschland [2014], Seite 33 bis 64, hier die Seiten 53 und 54. 4) David Rothschild, in: Frankfurter Personenlexikon, Stand 19. Oktober 2018 [online]. 5) Adolf Albus : Biografie über Dr. David Rothschild, Arzt in Bad Soden, Artikel in Frankfurt live vom 1. März 2021 [online]. ⏎
- Hans Bochow war Direktor der Darmstädter Filiale der Deutschen Bank und Disconto-Gesellschaft. Carl (Karl) Götz war Direktor der Darmstädter und Nationalbank, Darmstädter Filiale der Dresdener Bank. Fundstelle: Darmstädter Adreßbuch für 1935. ⏎
- Darmstädter Tagblatt vom 29. März 1935 [online ulb darmstadt]. Das Text des Digitalisates ist aufgrund des Mittelfalzes leider nicht vollständig lesbar. Die fehlenden Bruchstücke des Textes werden hier wiedergegeben nach der Sichtung der mikroverfilmten Zeitungsausgabe. ⏎
- Darmstädter Tagblatt vom 25. Dezember 1935 [online ulb darmstadt]. Das Text des Digitalisates ist aufgrund des Mittelfalzes leider nicht vollständig lesbar. Die fehlenden Bruchstücke des Textes werden hier wiedergegeben nach der Sichtung der mikroverfilmten Zeitungsausgabe. ⏎
- Siehe zu diesem „Arisierungs“vorgang die Berichte zu den General- bzw. Hauptversammlungen im Darmstädter Tagblatt vom 29. März 1935, 10. April 1936 [online ulb darmstadt], 25. Juni 1937 [online ulb darmstadt] und 15. Juli 1938 [kein Digitalisat vorhanden]. Briefkopf der Bahnbedarf-Rodberg A.-G. an den Landrat des Landkreises Groß-Gerau am 8. Juli 1939, HStAD G 15 Groß-Gerau Nr. X 49. ⏎
- Benno Nietzel, Seite 114. Zu Aquila/Adler sind die Seiten 112–118 aufschlußreich, auf die meine Darstellung fußt. Da der Autor hierzu auf das Archiv der Dresdner Bank zurückgreifen konnte, das nunmehr im Commerzbank Archiv vorhanden ist, kann vermutet werden, daß die recht ausführlichen Berichte der Bank-Vertrauensleute an ihre Auftraggeber auch Ausführungen zur Darmstädter Niederlassung Bahnbedarf und zur Dampfkesselfabrik Rodberg beinhalten. Dem bin ich aber nicht weiter nachgegangen. ⏎
- Benno Nietzel, Seite 115. ⏎
- Zu den Deutsche „Cristalline“ Werken siehe meine eigene Darstellung auf dieser Webseite. ⏎
- Die nationalsozialistische Stadtverwaltung änderte im Oktober 1938 den als jüdisch geltenden Straßennnamen Blumenthalstraße zu Taunusring, auch wenn es schon eine Taunusstraße gab. In den 1950er Jahren setzte die von Sozialdemokraten geführte Stadtregierung den Kurs der Verdrängung fort, indem sie der Straße ihren alten Namen nicht etwa zurückgab, sondern sie zum nördlichen Teil der Kasinostraße erklärte. Damals hat jedenfalls kein Darmstädter Hahn gekräht, die Umbenennung verursache unnötige Kosten auf Briefpapieren oder Geschäftsunterlagen, wie dies als „Argument“ auftaucht, um die von rechter Seite politisch unerwünschte Umbenennung der nach dem militaristischen Reaktionär Hindenburg benannten Straße zu verhindern. Eine neue, historisch jedoch deplazierte Blumenthalstraße befindet sich seit den 1980er Jahren in einem Kranichsteiner Neubaugebiet. ⏎
- Manchmal sieht man das Offensichtliche nicht. Jahelang bin ich an diesem Relikt vorbeigelaufen, ohne es wahrzunehmen. Erst Uwe Breitmeier hat meinen Blick darauf gelenkt. ⏎
- Norbert Frei, Ralf Ahrens, Jörg Osterloh, Tim Schanetzky : Flick. Der Konzern, die Familie, die Macht [2011], Seite 209–210. ⏎
- Siehe meine Seite zum Industriestammgleis „B.“. ⏎