Industriegleise im Fabrikviertel Darmstadt
Mit den Buslinien G und M zur Großmarkthalle
Geschichte und Dokumente zu einem Gebäude an der Gräfenhäuser Straße
1872 und 1893/94 wurden die beiden ersten Industriestammgleise zum Darmstädter Fabrikviertel eingerichtet. Dieses Fabrikviertel bildete sich mit der Westexpansion der Stadt Darmstadt Ende des 19. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts heraus. Von den Mitte der 50er Jahre rund dreißig, Anschlußgleisen sind nur noch wenige übriggeblieben.
Im August 1937 wurde im Darmstäder Nordwesten auf dem Gelände einer vormaligen Schrott- und Lumpensammlung nach Frankfurter Vorbild eine Großmarkthalle eröffnet. Einer der Gründe bestand darin, den zentral gelegenen Marktplatz für das Abstellen von Miefomobilen nutzen zu können. Damit die Griesheimer Marktfrauen und Gemüsebauern zu dieser abseits gelegenen Markthalle an der Gräfenhäuser Straße gelangen konnten, wurde eigens die Buslinie G ins Leben gerufen. Die Verbindung zwischen Großmarkt und Marktplatz stellte die neue Buslinie M her.
„Darmstadt bekommt eine Großmarkthalle.
Für die Anfuhr der Erzeuger und Großhändler zum Markt reichte der Abstellplatz am Marktplatz und Umgebung schon lange nicht mehr aus. Nun hat man für die Lösung dieser Frage, wie die ‚Hessische Landeszeitung‘ mitzuteilen weiß, eine praktische Lösung gefunden. Drei geräumige Hallen eines leerstehenden Industriegebäudes an der Gräfenhäuser Straße werden zur Großmarkthalle ausgebaut, so daß eine überdeckte Fläche von 140 zu 30 zur Verfügung steht. Die Hallen liegen nahe am Stadtrand, dienen aber auch nur dem Verkauf vom Erzeuger an den Händler. Der Wochenmarkt auf dem Marktplatz, wo Kleinerzeuger unmittelbar an die Verbraucher verkaufen, bleibt weiter bestehen.“ [1]

Abbildung 1: Ansicht des Betriebes von Wolf Strauß mit dem Zufahrtsgleis. Zeichnung von Kurt Kretzschmar. Mit freundlicher Genehmigung des Grafikers.
Die in diesem Artikel angesprochen drei Hallen entstammen jedoch nicht einem Industriegebäude, sondern einer Verarbeitungseinrichtung für Schrott und Lumpen des jüdischen Gewerbetreibenden Wolf Strauß und seiner Nachfahren, die Ende der 1920er Jahre auf die Mannheimer Verwandtschaft überging. Das konnte man, vielleicht aus imaginierten Hygienegründen, nicht so kommunizieren und fand eine neutralere Bezeichnung. Der Betrieb verfügte seit Mitte 1914 über einen eigenen Gleisanschluß an die Industriegleise entlang der damaligen Weiterstädter, heute Mainzer Straße. Ob dieses Anschlußgleis auch für den Antransport zur Großmarkthalle genutzt wurde, ist nicht überliefert.“ [2]

Abbildung 2: Ankündigung der Eröffnung der Großmarkthalle im Neuen Griesheimer Anzeiger vom 14. August 1937.

Abbildung 3: Nazichargen eröffnen die Großmarkthalle mit viel Wortgetöse. Quelle: Neuen Griesheimer Anzeiger vom 17. August 1937.


Abbildung 4: Ordnung muß sein. Die Marktordnung gibt den Rahmen vor, an den sich Erzeugerinnen und Großhändler zu halten haben. Quelle: Neuen Griesheimer Anzeiger vom 24. August 1937.
Mit etwas Verspätung nimmt die HEAG am 26. August 1937 zwei Autobuslinien zur Anbindung der Großmarkthalle in Betrieb. Die neu geschaffene Linie G besteht aus nur einer einzigen frühmorgendlichen Fahrt von Griesheim zur Markthalle, damit die dortige Bevölkerung direkt zu ihren Verkaufsständen eilen kann. Zwischen der Markthalle und dem Marktplatz wird daran anschließend mit der Linie M ein Pendelverkehr eingerichtet.

Abbildung 5: Die HEAG kündigt ihre beiden Autobuslinien im Neuen Griesheimer Anzeiger vom 26. August 1937 an.
Ab dem 1. Oktober 1937 geht der Autobus vom Griesheimer Horst-Wessel-Platz erst um 5.00 Uhr zur Großmarkthalle ab. Mitte November ist die Marktsaison vorbei, so daß auch das Verkehrsbedürfnis nachläßt. [3]

Abbildung 6: Die HEAG kündigt für ihre beiden Autobuslinien im Neuen Griesheimer Anzeiger vom 16. November 1937 Verkehrseinschränkungen an.
Aufdrucke auf den Heftfahrscheinen der HEAG zeigen die beiden Marktlinien.

Abbildung 7: HEAG-Heftfahrschein etwa Dezember 1938 bis Februar 1940. Quelle: Sammlung Ralph Völger.

Abbildung 8: HEAG-Heftfahrschein etwa Mai 1941 bis September 1944. Die Griesheimer Stichlinie beginnt hier wohl am Richthofenbunker, heute Mozartturm genannt.
Ab dem 24. Januar 1938 verkehrte „versuchsweise“ der Frühbus aus Griesheim auch wieder an den Nichtmarkttagen Montag, Mittwoch und Freitag, jedoch nur bis zum Hauptbahnhof. Der Versuchsbetrieb wurde am 14. März wegen zu geringer Benutzung wieder eingestellt. Ab dem 3. Mai 1938 fuhren die Busse eine Stunde früher, also in Griesheim um 4.00 Uhr ab, mit Halt um 4.10 Uhr am Hauprbahnhof und Ankunft an der Großmarkthalle um 4.20 Uhr. Von dort pendelte der Bus bis gegen 8 Uhr zwischen Markthalle und Marktplatz. Ausdrücklich wurde die Fahrt beider Linien nur an Markttagen vermerkt. Das galt auch mit dem Winterfahrplan ab dem 2. Okrober 1938. [4]
Am 1. November 1939 verkündet der Oberbürgermeister von Darmstadt neue Öffnungszeiten der Markthalle und des Wochenmarktes im Winter. Demnach sind Anfahrtszeiten für die Verkäufer um 6 bzw. 7 Uhr, der Marktbeginn für die Käufer jeweils eine Stunde später. Aufgrund der veränderten Geschäftszeiten ändert die HEAG die Fahrzeiten ihrer beiden Buslinien. Die Linie G beginnt am Griesheimer Horst-W*****-Platz um 5.30 Uhr, legt zehn Minuten später einen Stop am Hauptbahnhof ein und erreicht die Großmarkthalle um 5.50 Uhr. Alsdann pendelt der Bus als Linie M zwischen den beiden Marktorten, an der Markthalle ab 6.15, 7.15, 7.45, 8.15 und 8.45, am Marktplatz ab 6.30, 7.30, 8.00, 8.30 Uhr, jeweils mit einem Zwischenhalt an der Frankfurter Straße. Ab dem 15. Juni 1940 ist der Betrieb schon weiter eingeschränkt. Vom Frühbus aus Griesheim ist gar nicht mehr die Rede, und die Pendelbusse fahren nur noch ab Markthalle um 6.00, 7.15 und 8.45, ab Marktplatz um 6.15 und 7.30 Uhr. [5]
Heute steht auf dem Gelände der ehemaligen Großmarkthalle eine Autowaschanlage.