Luftbild auf das Fabrikviertel 1966.
Industriegleise im Fabrikviertel Darmstadt
Walter Kuhl
Luftbild auf das Fabrikviertel 1966.
Das Fabrikviertel 1966.
Deutschlandkurve in der Landwehrstraße.
Eine Deutschlandkurve.
Kreuzung Straßenbahn- mit Industriegleis.
Einfahrt zur Kirschenallee.
Abholung eines Kesselwaggons.
Ein Kesselwaggontransport.
Gleisabbau an der Schenckallee.
Abgewrackt.

Industriegleise im Fabrikviertel Darmstadt

Das Industrie­stammgleis „G“

Geschichte und Spurensuche zwischen der Zeppelinhalle und der Löcherwiese, Teil 1

1872 und 1893/94 wurden die beiden ersten Industriestammgleise zum Darmstädter Fabrikviertel eingerichtet. Dieses Fabrikviertel bildete sich mit der Westexpansion der Stadt Darmstadt Ende des 19. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts heraus. Von den Mitte der 50er Jahre rund dreißig, Anschlußgleisen sind nur noch wenige übrig geblieben.

Zum Zwecke der Darstellung habe ich den Gleisen fiktive Buchstaben von A bis H zugewiesen, die somit zu keiner Zeit Bestandteil irgendwelcher Planungen, Pläne oder Dokumente gewesen sind. Als Industrie­stammgleis „G“ bezeichne ich die Verlängerung des Gleises „C“ in der Landwehr­straße. Es führt östlich vorbei an Schenck, kreuzt die Pallaswiesen­straße, tangiert den westlichen Rand des Ausbesserungs­werks auf der „Knell“ und hat nördlich der Schenck­allee seit etwa 1970 mehrere weitere Betriebe angebunden. Das Stammgleis selbst mündet an der ehemaligen Blockstelle Löcherwiese in das nördliche Gleis­vorfeld des Darm­städter Haupt­bahnhofs. Am Bahn­übergang Pallaswiesen­straße gab es einen Übergang zum Gleis „H“.

Die Darstellung orientiert sich an erhaltenen Gleis­plänen aus den 1950er und 1960er Jahren. Selbst­redend hat es hier in mehr als einhundert Jahren so manche Änderung gegeben, deren Erforschung noch nicht abge­schlossen ist.

Auf einem Lageplan von 1906 läßt sich dieses Stammgleis von [ L10] über [ J1] und [ J3] nach [ E10] verfolgen. Auf der Übersichtskarte zum Fabrikviertel ist es mit dem Buchstaben „G“ bezeichnet.

Das Industrie­stammgleis „G“ auf OpenStreetMap.

Überschneidungen zur Darstellung Vom Ludwigs­bahnhof zum Riedbahn­abzweig sind unvermeid­lich, da das hier dargestellte Industrie­stammgleis bis 1912 Teil einer zwei­gleisigen Haupt­strecke von Darmstadt nach Mainz bzw. Worms gewesen ist.

Den Fotografen Harald Schönfeld, Jörn Schramm und Peter Wöllert, sowie W. Bauer, Rainer Grobe und dem Denkmal­archiv Darmstadt sei für die Über­lassung der hier gezeigten Aufnahmen an dieser Stelle gedankt.


Von Dampfkesseln und Bahnbedarf

Wir verließen das Industrie­stammgleis „C“ an der Stelle, wo es mittels einer sogenannten „Deutschland­kurve“ scharf nach Nordwesten abknickte. Auf der Südseite sowohl der Kurve wie der Landwehr­straße befanden sich seit etwa 1923 zwei Industrie­hallen, deren Träger aus einer vormaligen Luftschiff­halle im nunmehr wieder polnischen Ostpreußen stammten. Erbaut wurde sie von der Bahnbedarf A.-G. bzw. den Bauarbeitern, die dafür, zumal in wirtschaft­lich schwierigen Zeiten, gewiß nicht üppig entlohnt wurden. Die eine dieser Hallen wurde nach einem schweren Brand­schaden im Oktober 1977 kurz darauf abgerissen; die andere dient seit der Jahrtausend­wende als Parkhaus.

»»  Zum Industriestamm­gleis „C“ in der Landwehr­straße und der „Deutschland­kurve“. Diese Kurve ist nicht national gesinnt, sondern wurde von einem Unternehmen dieses Namens hergestellt.

»»  Weitere Informationen zu den beiden sogenannten Zeppelinhallen südlich der Landwehr­straße.

Gleisanschlußplan Bahnbedarf Rodberg 1960.

Abbildung 1: Anschlußplan des Anschlusses Bahnbedarf-Rodberg, aufgestellt am 20. Mai 1960 von der Bahn­meisterei Darmstadt-Nord.

Schauen wir zunächst noch einmal auf den nicht genordeten Anschlußplan; Norden ist am linken Bildrand. Demnach besaß das Gelände südlich der Landwehr­straße zwei Zufahrten, links und rechts der vorderen soge­nannten Zeppelin­halle. Intern gab es Zufahrts- und Abholgleise, sowie Abstell­gleise, die mittels einer Schiebe­bühne miteinander verbunden waren.

Die „Dienstanweisung für die Bedienung des Privatanschluß­gleises der Firma Bahnbedarf-Rodberg GmbH Darmstadt, Werk II“, gültig vom 1. Februar 1961, beschreibt die Gleisanlagen und die notwendigen Vorkehrungen zu deren Befahrung. Demnach ist der Anschluß über die Weiche 520 durch ein 337 Meter langes Verbindungs­gleis mit den Rangier­anlagen des „Alten Bahnhofs“ verbunden gwesen. Zwar lagen die alten Bahnhöfe nicht hier, sondern am heutigen Steuben­platz, doch handelt es sich bei dieser zum Ausbesserungs­werk Darmstadt gehörenden Rangier­anlage um den Bereich des ehemaligen nordöstlichen Gleis­vorfeldes des Ludwigsbahnhofes.

Montagehalle.

Bild 2. Die mit Material aus Diwity erstellte nördliche Montage­halle. Aufnahme von vermutlich 1923. Quelle: Denkmal­archiv Darmstadt.

Streng genommen werden sowohl Bahnbedarf-Rodberg als auch die Deutschland­kurve somit über das von mir als „H“ beschriebene Industrie­stammgleis entlang der Kasinostraße angebunden. Zur besseren Darstellung wird das Unternehmen dennoch hier aufgeführt und der Gleis­anschluß näher beschrieben. Das Unternehmen Bahnbedarf-Rodberg, das Mitte der 30er Jahre im Zuge einer „Arisierung“ als Aktien­gesellschaft aus einer Dampfkessel­schmiede und einem Unternehmen für Bahnbedarf hervor­gegangen ist, besaß von Ende der 1930er bis in die 1960er Jahre drei Werke. Werk I befand sich auf dem Gelände der früheren Maschinen­fabrik und Eisen­gießerei an der Blumenthal­straße 24, der heutigen Kasinostraße. Werk II war das Gelände südlich der Landwehr­straße rund um die beiden etwa 1923 errichteten Hallen, deren Trag­konstruktion einer von Zeppelinen bevölkerten Luftschiff­halle entstammte, die in den Nähe des ost­preußischen Olsztyn, damals Allenstein, genauer bei Dywity gestanden hatte. Das Gelände für Werk II konnte die Bahnbedarf A.-G. nach der Auflassung der ehemaligen Haupt­bahnhöfe, bestehend aus dem Main-Neckar-Bahnhof und dem Ludwigs­bahnhof, 1922 erwerben. Werk III schließlich bezeichnete das ursprüngliche Fabrik­gelände der Dampfkessel­fabrik vorm. Arthur Rodberg A.-G. an der Landwehr­straße 61.

Baustelle Bahnbedarf A.-G.
Baustelle Bahnbedarf A.-G.

Bilder 3 und 4: Baustelle für die aus Ostpreußen geholte Trag­konstruktion der beiden Werkshallen der Bahnbedarf A.-G. Das linke Bild wurde vermutlich von der Landwehr­straße aus aufgenommen und blickt nach Süden. Der Standort des Fotografen für das rechte Bild dürfte sich zwischen beiden zu errichtenden Hallen befunden haben, der Blick geht gen Norden. Wenn die Interpretation zutrifft, sehen wir auf dem rechten Bild linkerhand eine Maschinen­fabrik an der Pallas­wiesenstraße, während rechterhand die ehemalige Maschinen­fabrik und Eisen­gießerei hervorragt. Quelle: Denkmal­archiv Darmstadt.

Auszug aus der Dienst­anweisung von 1961

„Der Anschluß besteht aus den Verbindungs­gleis und den Gleisen 1 bis 6. Außerdem liegen in den Werks­anlagen noch 22 Arbeits­gleise mit einer nutzbaren Gesamt­länge von 1,505 km, die in den westlich und östlich der Über­gabestelle gelegenen Hallen beginnen und enden. Die Arbeits­gleise können nur durch eine Schiebe­bühne von 18,0 m Breite bedient werden.

Der Privatgleis­anschluß dient zum Zustellen und Abholen der für den Anschließer ein- und ausgehenden Wagen.

Die Werks­anlagen südlich und nördlich der Landwehr­straße sind besonders einge­zäunt. Die über die Landwehr­straße von Norden nach Süden führenden drei Werksgleise sind durch Gleistore (nördlich 6,40 m und südlich 9,00 m und 5,00 m breit) gesichert.

Die Übergänge werden von Osten und Westen her durch Warnkreuze (liegend), rechts der Straße aufgestellt, in Abstand von 6 m, von der ersten Schiene angezeigt.

Weitere Ankündigungen der Bahnüber­gänge sind nicht vorhanden.

Das Verbindungs­gleis des Anschließers zweigt an der Weiche 520 von den Rangier­anlagen des „Alten Bahnhofs“ ab, führt in südlicher Richtung nach 70 m hinter der Weiche 515 durch ein 4,8 m breites Gittertor (Beginn des eigent­lichen Anschlusses) und verläuft nach weiteren 182 m hinter der Weiche 511 durch ein weiteres Gittertor nit 5,7 m Breite. Alsdann führt es in einen leichten Linksbogen in südöstlicher Richtung über die befestigte Beton­fahrbahn für Kranmobile der Firma Schenck AG und endet nach weiteren 85 m an der Weiche 509 nördlich der Landwehr­straße. […] Es hat zwischen der Weiche 515 und 511 eine nutzbare Länge von 165 m und zwischen den Weichen 511 und 509 eine solche von 63 m.

Gleis 1 ist Abholgleis. Es zweigt an der Weiche 509 in südlicher Richtung ab, führt durch zwei Gleistore über die Landwehr­straße in den Werkshof und teilt sich im südlichen Teil an der Weiche 507 in zwei Stunpf­gleise, die beide nach einer nutzbaren Länge von 41 m an Prell­böcken enden. Am südlichen Stunpfgleis ist eine Wagen­hebe angebracht. Zwischen den Weichen 506 und 507 befindet sich eine Gleiswaage mit einer Brücken­länge von 6,5 m und 30 to Tragkraft. […] Die nutzbare Länge zwischen Weiche 508 und 506 beträgt 74 m. An der Weiche 506 zweigt das Gleis 50 in nordwestlicher Richtung ab, das durch die Weiche 505 die Verbindung mit dem ersten östlichen Arbeitsgleis herstellt und die Fahrbahn der Schiebe­bühne durchschneidet.

Weiche 508.

Bild 5: Weiche 508 östlich der direkt an der Landwehr­straße gelegenen Zeppelinhalle, Hersteller: Bahnbedarf-Rodberg. Aufnahme vom September 2010.

Gleis 2 ist Zustellgleis, Es zweigt an der Weiche 508 innerhalb des Werkhofes aus Gleis 1 ab, führt in südlicher Richtung und endet an einem Prellbock. Es liegt auf seiner ganzen Länge horizontal (1:∞) und hat eine nutzbare Länge von 164 m.

Gleis 3 ist Verschiebe­gleis. Es zweigt an der Weiche 509 aus dem Verbindungs­gleis ab, führt in südöstlicher Richtung durch zwei Gleistore über die Landwehr­straße und endet im südlichen Teil des Werk­geländes mit einem Gleis­abschluß. Es liegt horizontal (1:∞) und hat eine nutzbare Länge von 106 + 68 = 174 m. Durch die Weichen 601 und 602 ist es mit dem östlich liegenden Arbeits­gleis 4 verbunden.

Gleis 4 ist Arbeits­gleis. Es erstreckt sich östlich parallel zum Gleis 3 verlaufend nach Süden und endet im Süden durch einen Gleis­abschluß, während der nördliche Teil des Gleises durch ein Tor in die Spritzhalle führt und ohne besonderen Gleis­abschluß endet. Es liegt auf seiner ganzen Länge horizontal und hat eine nutzbare Länge von 117 + 38 = 159 m. [sic!]

Gleis 5 ist Arbeitsgleis und verläuft östlich des Gleises 4, Durch die Weichen 603 und 604 sind beide Gleise mit­einander verbunden. Gleis 5 beginnt im Norden der Sand­strahlhalle und verläuft durch ein Gleistor nach Süden, wo es mit einem Prellbock abschließt. Es liegt auf seiner ganzen Länge horizontal und hat eine nutzbare Länge von 90 + 61 = 151 m. Östlich des Gleises 5 befinden sich noch die beiden Arbeits­gleise 5a nördlich und 5b südlich, Sie können nur durch die Schiebe­bühne bedient werden. Beide Gleise liegen horizontal und haben (5a) eine nutzbare Länge von 72 m, während Gleis 5b eine solche von 98 m hat. Sie beginnen und enden ohne besonderen Gleis­abschluß.

Gleis 6 zweigt an der Weiche 511 aus dem Verbindungs­gleis ab, führt durch ein 4,5 m breites Gittertor nach Südwesten über die Weiche 510, kreuzt die Beton­fahrbahn für Kranmobile, führt anschließend über die Landwehr­straße durch ein 5 m breites Gleistor und endet chne Prellbock. Das Gleis darf von Bundes­bahnlok nicht befahren werden und dient nur dem inneren Werk­verkehr. […] Seine nutzbare Länge innerhalb des Werkhofes beträgt 287 m. Aus dem Gleis 6 zweigt an der Weiche 510 das Verbindungs­gleis zu dem Industrie­stammgleis in der Landwehr­straße ab. Es liegt horizontal und darf wegen seines kleinen Krümmungs­halbmessers nur von Triebfahr­zeugen der Anschließerin zwischen Werk II und III befahren werden. In der Zeit von 7.00 bis 9.00 Uhr und 16.00 bis 18.00 Uhr dürfen wegen des Bedienens der Privatgleis­anschlüsse durch die Rangier­abteilung des Bahnhofs Darmstadt Hbf Fahrten zwischen Werk II und III mit eigenen Triebfahr­zeugen nicht statt­finden. 

Als Übergabe- und Übernahme­stelle durch die Bundesbahn dienen die Werks­gleise 1 und 2. Sie dürfen von Bundes­bahnlck nur bis zu dem im Werkshof angebrachten Schild ‚Halt für Bundesbahn-Lokomotiven‘ befahren werden. Das weitere Bewegen von Fahrzeugen innerhalb des Werkhofes auf den Verschiene- und Arbeits­gleisen ist durch Trieb­fahrzeuge und Schiebe­bühne des Anschließers durch­zuführen. Hierbei ist die besondere Betriebsdienst­anweisung zu beachten. Die in den Anschluß­anlagen befindlichen Weichen sind hand­bedient und während der Dunkelheit nicht besonders beleuchtet. Das südlich der Landwehr­straße gelegene Gleistor ist wegen seines geringen Abstandes vom Gleis (216 m [sic!]) mit besonderem Gefahren­anstrich – Ne 8 – beiderseits der Torpfosten gekenn­zeichnet. Beim Bewegen von Fahrzeugen ist besondere Vorsicht geboten.“

Bei Weiche 515 (auf dem Plan in Abbildung 1 links) war bei der Anlieferung von Güterwagen das Tor aufzuschließen. Der Schlüssel wurde vom Posten 45 an der Pallaswiesen­straße verwaltet. Bei den anderen Werkstoren oblag es Bahnbedarf-Rodberg, nach telefonischer Ankündigung der Zulieferung, diese zu öffnen. Die Überfahrt über die Landwehr­straße war in Zusammen­arbeit eines Rangierers mit dem Pförtner der Fabrik abzusichern. Für die Pflege der Gleis­anlagen, also der Schnitt wuchernder Pflanzenund das Beseitigen von Eis und Schnee, war die Anschließerin verant­wortlich.

Weiche 508.

Bild 6: Zweiachsiger Kessel­waggon für Säuren und Laugen 556 416 der Farbwerke Hoechst auf der Schiebe­bühne zwischen den beiden Hallen. Quelle: Sammlung W. Bauer.

»»  Zur Dampfkesselfabrik vormals Arthur Rodberg A.-G. siehe mein ausführ­licheres, aber dennoch „Fragment“ zu deren Geschichte.

Werbeanzeige Rodberg 1965.
Abbildung 7: Werbe­annonce der Bahn­bedarf-Rod­berg GmbH 1965. Quelle: Jahr­buch des Eisen­bahn­wesens 1965.

Die 1935 aus der Dampf­kessel­fabrik Rod­berg und der Bahn­bedarf hervor­gegan­gene Bahn­bedarf-Rod­berg GmbH schloß Ende März 1969 ihre Tore. Das Gelände wurde anschlie­ßend von einer Rodberg'­schen Immobilien­gesell­schaft ver­waltet und teil­weise an Schenck und andere Interes­senten abge­geben. Eine der beiden Zeppelin­hallen brannte am 29. Oktober 1977 ab, an deren Stelle traten neue Ge­bäude. Die andere, vordere Halle beher­bergte Mitte der 80er bis Mitte der 90er Jahre das Logistik­unter­nehmen Rhenus, ehe sie zu einem mehr­stöckigen Park­haus umge­widmet wurde. Von zwei Über­gaben an Rhenus 1990 gibt es Bilder

Von der alten Gleis­anlage künden einige bewußt liegen gelassene Gleis­reste. Die beiden nach­folgenden Bilder zeigen den einstigen Bahn­über­gang. Das linke Bild zeigt linker­hand das Gleis 3 und in der Mitte die Weiche 508, mit den nach­folgenden Gleisen 2 und 1. Auf dem rechten Bild sehen wir das fabrik­interne Gleis 6, das dem Verkehr zwischen den Werken II und III gedient hat.

Im November 2023 ließ die Stadt Darm­stadt die Fahr­bahn der Land­wehr­straße zwischen der Kasino­straße und der Rößler­straße erneuern. Hierbei wurden die die Straße querenden Schienen und damit auch ein (nicht wirklich wichtiges) Stück Industrie­geschichte beseitigt. 

Gleisrest Bahnbedarf-Rodberg.
Gleisrest Bahnbedarf-Rodberg.

Bilder 8 und 9: Gleisreste des Anschlusses der soge­nannten Zeppelin­hallen von Bahnbedarf-Rodberg.

Wiegen und Wägen mit Schenck

Vor dem Umbau der Bahn­anlagen im Westen Darmstadts wurde die elektro­mechanische Firma von Carl Schenck seit 1893/94 über das Industrie­gleis [das Stammgleis „C“] an die Main-Neckar-Bahn angebunden. Nach 1912 expandierte Schenck auf das nun frei gewordene Areal östlich des vorhandenen Fabrik­geländes und verlegte [wann ??] dorthin auch seinen Gleis­anschluß. Diese Anbindung dürfte spätestens im letzten Jahrzehnt des vergangenem Jahr­tausends aufgegeben worden sein. 

Annonce für Waggonwaagen.

Abbildung 10: Annonce der Carl Schenck, Eisen­gießerei und Maschinen­fabrik, Darmstadt, G.m.b.H. im Organ für die Fort­schritte des Eisenbahn­wesens in technischer Beziehung [1894, online ulb darmstadt].

Eine Kurz­fassung der Unternehmens­geschichte von Carl Schenck ist in der Wikipedia nachzulesen. Die offiziöse und noch mehr geraffte Fassung dieser Geschichte ist auf der Website des nun zum Dürr-Konzern gehördenden Schenck-Nachfolgers zu finden. Nett finde ich die dort verklau­sulierte Beschreibung dessen, weshalb Schenck seine Eigen­ständigkeit verloren hat:

„Neue wirtschaft­liche Entwicklungen stellen die Carl Schenck AG vor große Heraus­forderungen. Umstruktu­rierungen und Neuglie­derungen sind die Folge.“

Man oder frau könnte auch sagen, die Firma hat in den 1980er und 1990er Jahren den Zug verpaßt, sich vielleicht auch einfach nur verhoben; jedenfalls fehlte es wohl am nötigen Kleingeld, um unabhängig weiter wirtschaften zu können. Sie landete zunächst beim Mischkonzern VIAG und anschließend 2000 auf dem Wege des Aktienkaufs bei Dürr.

2005 wurde ein Teil von Schenck im Zuge eines management buy-outs ausgegliedert und wirkt als Schenck Process im Bereich Meß und Verfahrens­technik. Seit 2017 gehört das Unternehmen der Heuschrecke Blackstone. 

Werbeanzeige Schenck 1965.
Abbildung 11: Werbeanzeige der Carl Schenck Maschinen­fabrik GmbH 1965. Quelle: Jahrbuch des Eisen­bahn­wesens 1965.

Wann und weshalb der Gleis­anschluß von der Landwehr­straße zur Pallas­wiesenstraße hin verlegt worden ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Die zum nach­folgenden Plan gehörige Dienst­anweisung vom 10. Juni 1955 (gültig ab 1. Februar 1956) spricht jedoch explizit von einem „neue[n] Privatgleis­anschluß“. Zudem wird der Anschluß über eine Weiche 4a geleitet, die zwischen den Weichen 4 und 5 der wohl ursprüng­lichen Weichen­folge eingefügt wurde. Es liegt somit nahe, daß nach dem Zweiten Weltkrieg der Gleis­anschluß von der Südseite des Schenck-Geländes auf die Ostseite verlegt worden ist.

Wenn wir die auf dieser Seite gezeigten Gleis­anschlußpläne gedanklich zusammen­tragen, dann wird deutlich, daß der im Eisen­bahner-Volksmund oft zitierte Rundkurs von den Gleis­anlagen der Bundes­bahn über die Mainzer Straße, die Landwehr­straße, die Deutschland­kurve, über die Pallaswiesen­straße und dann am Ausbes­serungs­werk vorbei wieder zurück auf die Gleis­anlagen der Bundesbahn ohne Sägefahrt auf der Rangier­anlage „Alter Bahnhof“ nicht möglich war. Abgesehen davon war die Deutschland­kurve ausdrück­lich nur einem Rangier­gerät, eventuell einer Lokomotive von Bahn­bedarf-Rodberg vorbehalten.

Gleisanschlußplan Schenck 1954.

Abbildung 12: Auszug aus dem Anschluß­plan der Firma Carl Schenck, aufgestellt am 16. Februar 1954 von der Bahn­meisterei Darmstadt-Nord.

Die dickeren Linien des obigen Gleis­anschluß­plans bezeichnen die zum Gleis­anschluß Schenck gehörenden Gleise und Weichen. Ganz links handelt es sich um die Weiche 4a in der Ver­längerung des vom Güter­bahnhof Darmstadt über die Schenck­allee her­kommenden Güter­gleises auf der Trasse der einstens nach Mainz und Worms führenden Strecken der Hessischen Ludwigs­bahn. Das Gleis reicht über den rechten Bildrand hinaus und endet an einem Prellbock noch vor der Landwehr­straße. Das zweite Gleis führt bis vor die Werkhalle. Die Weiche 4a mußte für eine Anlieferung aufge­schlossen werden, den Schlüssel verwaltete der Schranken­posten 45 an der Pallas­wiesen­straße.

Werkhof von Schenck.

Bild 13: Mittags­pause bei Schenck. Bildautor: Peter Wöllert, 1989.

Auf dieser Aufnahme verläuft rechts das Zufahrts­gleis zu Schenck von der Knell, links befinden sich die zwei im nach­folgenden Plan­ausschnitt ver­zeichneten Lade­gleise an der Versand­halle. Die Güter­wagen, meist waren es Rungen­wagen, wurden zunächst durch Gabelstapler, später auch durch einen Unimog verschoben.

Anschluß Schenck 1961/62.
Anschluß Schenck 1961/62.

Abbildung 14a/b: Auszug aus dem Anschluß­plan der Firma Carl Schenck, aufge­stellt am 22. Dezember 1961 von der Bahn­meisterei Darmstadt.

Auffällig ist auf diesen beiden Planaus­schnitten das durch eine Doppel­kreuzungs­weiche ange­bundene zweite Werksgleis, die Verl­ängerung des ersten, sowie eine Verbindung zwischen beiden durch die Weichen 553 und 554. Der Umbau dürfte 1961 statt­gefunden haben, denn ein Berichtigungs­blatt des Betriebs­amts Darmstadt vom 16. Januar 1962 fordert dazu auf, die Lagepläne „bis zur Neuauf­stellung der Dienst­anweisung“ auszu­tauschen. In den mir vorliegen und vermutlich voll­ständigen Unterlagen ist selbige noch zu erstellende Dienst­anweisung nicht vorhanden. Nach einem weiteren, recht schematischen Lageplan vom 14. November 1988 scheint sich dieser Gleis­zustand bis zum Ende der 1980er Jahre nicht verändert zu haben.

Ausziehgleis.
Ausziehgleis.

Bilder 15 und 16: Zwei Rangier­fahrten auf dem Auszieh­gleis des Aus­besserungs­werks, aufge­nommen 1984 von Peter Wöllert

Auf dem linken Bild erkennen wir im Hinter­grund die Einfädelung des Schenck-Anschlusses. Hier ist die Köf 323 746-8 am Werk. Auf dem rechten Bild ist in ähnlicher Rangier­position ist 260 773-7 unterwegs. 


Intermezzo mit Dampf

65005 quert die Pallaswiesenstraße.

Bild 17: Am 5. Juli 1968 lichtete Harald Schön­feld die Darm­städter Rangier­lokomotive 65 005 auf dem Bahnüber­gang 45 Pallaswiesen­straße ab. Am rechten Bildrand lugt noch der Gasometer der Süd­hessischen ins Bild, der seither einem Müll­heizkraftwerk gewichen ist. Ob hierbei Schad­wagen dem Wagenaus­besserungs­werk zugestellt werden sollten oder Güter­wagen für die Firmen Bahn­bedarf-Rodberg oder Schenck zuzu­stellen waren, läßt sich fast ein halbes Jahr­hundert später nicht mehr aufklären.


Das Ausbesserungswerk

Als im Herbst 2008 das folgende Bild entstand, war der Bahn­übergang längst Geschichte. Ob die Schienen komplett entfernt oder nur mit einer Deckschicht aus Asphalt überzogen wurden, ist (aus der Erinnerung) nicht mehr zu sagen. Als der Bahn­übergang abgebaut wurde, hatte mich das noch nicht interessiert. Ein Relikt dieses Bahn­übergangs ist jedoch erhalten geblieben. Dort, wo heute blauweiße Verkehrs­zeichen aufge­hängt sind, befanden sich einst Ampeln, die bei einer Über­querung des Bahn­übergangs durch eine Rangier­einheit den Straßen­verkehr daran hindern sollten, bis zur Kreuzung vorzu­preschen.

Ehemaliger Bahnübergang Pallaswiesenstraße.

Bild 18: Ehemaliger Bahnüber­gang Pallas­wiesenstraße [ J1]. Aufnahme vom September 2008.

In den 1870er Jahren legte die Hessische Ludwigsbahn auf der Fläche zwischen ihren damaligen Strecken nach Mainz bzw. Worms auf der einen und nach Aschaffen­burg auf der anderen Seite ihre Wagen­reparatur­werkstätte an. Diese wurde von der Reichsbahn und Bundesbahn fortge­führt, bis der neo­liberalen BWL-Prinzipien gehorchende Konzern, der zur Ver­silberung an die Börse gebracht werden sollte, um die Jahrtausend­wende diese Abteilung schloß. Die Werk­stätte war durch mehrere Gleis­anschlüsse mit dem Industrie­gleis verbunden.

Der Bahnüber­gang trug die Nummer 45.

»»  Einen Gleisplan der Wagen­reparatur­werkstätte der Hessischen Ludwigs­bahn aus den 1870er Jahren gibt es auf der Spuren­such-Unterseite Vom Ludwigs­bahnhof zum Riedbahn­abzweig.

Ausbesserungswerk 1960 linker Teilplan.

Abbildung 19: Plan des Bundesbahn-Ausbesserungs­werks 1960, linker Teil.

Zur Lage des Gleis­anschlusses macht die „Dienst­anweisung für die Bedienung des Gleisan­schlusses Bundesbahn­ausbesserungswerk Darmstadt“ [ J2] vom 13. Februar 1961 folgende Aussagen:

„Das Ausbesserungs­werk Darmstadt liegt östlich des Bahnhofs Darmstadt Hbf und wird begrenzt im Osten durch das Gelände des Städtischen Gaswerks, im Süden durch die Pallas­wiesenstraße, im Westen durch den Sens­felderweg und im Norden durch den Karl-Schenck-Weg. Die Gleis­anlagen sind voll­ständig eingezäunt und nur durch besondere Gleistore vom Süden und Westen her bedienbar. Im Süden ragen über die Pallas­wiesenstraße 3 Werks­gleise in die Rangier­anlagen des sogenannten ‚Alten Bahnhofs‘ hinein. Durch die Weiche 3 ist das Gleis 1, durch die Weiche 4 das Gleis 2 und durch die Weiche 5 das südliche Gleis 7 mit den Anlagen des Alten Bahnhofs verbunden. Auf der Westseite sind das nördliche Gleis 7 und das Zustell­gleis 42 durch die Weichen 9 und 21 an das Verbindungs­gleis Darmstadt Hbf – Alter Bahnhof angeschlossen.“

Mittels Weiche 6 wurde das Industrie­stammgleis auf der Kasino­straße angebunden. Das vom Haupt­bahnhof her­führende Verbindungs­gleis führte zum Zeitpunkt dieser Beschreibung noch als Auszieh­gleis bis zur Landwehr­straße; über die Weiche 4a führte der Gleis­anschluß der Firma Carl Schenck.

Ausbesserungswerk 1960 mittlerer Teilplan.

Abbildung 20: Plan des Bundesbahn-Ausbesserungs­werks 1960, mittlerer Teil.

Die Dienstanweisung fährt mit der Beschreibung der Anlage fort:

„Der Gleisanschluß dient den Belangen der Deutschen Bundesbahn. Als Zustell­gleis dienen die beiden Gleise 41 und 42 innerhalb der Werks­anlagen, unmittelbar an der West­umzäunung. Sie sind über die Weiche 21 und 29 durch das Gleistor 6 (lichte Weite 4,8 m) [im Plan unterhalb des Schriftzugs ‚Sens­felderweg‘, WK] von dem Verbindungs­gleis Damstadt Hbf – Alter Bahnhof aus bedienbar

Das Zustellgleis 41 zweigt an der Weiche 29 aus dem Gleis 42 ab, verläuft in einem schwachen S-Bogen über die Weichen 32, 33, 36, 37, 39 und 43 in nördlicher Richtung und endet nach Überqueren von 2 Schiebe­bühnen an einen Prellbock. Es liegt ab Weiche 29 (Gleistor 6) auf eine Länge von 50 m in einem Gefälle von 1:505 und anschließend auf 560 m horizontal (1:∞). Die nutzbare Länge bis zur Schiebe­bühne 1 beträgt 151 m. Das Bewegen von Fahrzeugen über die Schiebe­bühne 1 hinaus ist dem Rangier­personal des Bahnhofs Darmstadt Hbf nicht gestattet.

Das Zustellgleis 42 zweigt an der Weiche 21 aus dem Verbindungs­gleis Darmstadt Hbf – Alter Bahnhof ab, verläuft in einem schwachen S-Bogen in nördlicher Richtung und endet nach Kreuzung der beiden Schiebe­bühnen 1 und 2 an einem Prellbock. Es liegt ab Weiche 21 auf eine Länge von 101 m in einem Gefälle von 1:505 und weiter auf 560 [m] bis zu seinem Abschluß horizontal. Gleis 42 hat bis zu Schiebe­bühne 1 eine nutzbare Länge von 363 m. Zur Zustellung von Wagen für das Ausbesserungs­werk dürfen durch das Rangier­personal des Bahnhofs Darmstadt Hbf alle Gleise in Verbindung mit dem Rangier­leiter des AW Darmstadt benutzt werden. Ein Befahren der Schiebe­bühnen ist nicht gestattet.“

Ausbesserungswerk 1960 rechter Teilplan.

Abbildung 21: Plan des Bundesbahn-Ausbesserungs­werks 1960, rechter Teil.

Vor Abfahrt der Rangier­abteilung vom Darmstädter Güter­bahnhof hatte der Aufsichts­beamte des Güter­bahnhofs telefonisch Kontakt mit dem Wärter des Schranken­postens 45 aufzunehmen. Die für das Ausbesserungs­werk bestimmten Schad- und Güte­rwagen liefen am Schluß des Zuges mit. Nach dem telefonischen Kontakt öffnete der Wärter das Gleistor 6 und schloß die Schranken des Bahnüber­gangs Pallaswiesen­straße. An der Tor­einfahrt zum Ausbesserungs­werk betrug die Höchst­geschwindigkeit aufgrund der unüber­sichtlichen Verhältnisse 5 km/h. Nach Zuführung der Wagen für das Ausbesserungs­werk bediente die Rangier­abteilung die anderen Anschlüsse auf dem Gelände des Alten Bahnhofs. Wobei hier anzumerken ist, daß es sich nicht im eigentlichen Sinne um das Gelände der alten Bahnhöfe gehandelt hat, sondern um deren nordöst­liches Gleis­vorfeld.

Ausbesserungswerk Tor 6.

Bild 22: Die Reste von Tor 6, 2009. Vergleiche Bild 24.

Die Dienst­anweisung regelte selbst­redend auch die Rück­führung von Wagen zum Güter­bahnhof Darmstadt:

„Nach Ankunft an der Übergabe­steile sind die angebrachten Wagen grenz­zeichenfrei abzustellen und durch Rad­vorloger und Anziehen der vorhandenen Hand­bremsen zu sichern. Sofern sich unter den zuge­stellten Schadwagen Wagen mit Ladungen befinden, die für das AW bestimmt sind, hat der Rangier­leiter unter Hinzu­ziehung des Umtrieb­meisters des AW diese besonders zu übergeben. Fest­gestellte Mängel sind der Güter­abfertigung und dem Bahnhof Darmstadt Hbf zu melden. Soweit Schäden nicht gemeldet werden, gelten die Wagen vom AW als unbe­schädigt über­nommen. Nach der Zustellung der Wagen in Anschluß haben weitere Rangier­bewegungen durch Lok- und Rangier­personal des Bf Darmstadt Hbf zu unter­bleiben. Die weitere Behandlung der zugestellten Wagen erfolgt durch Betriebs­mittel und Personal des Ausbesserungs­werkes.

Nachdem die angebrachten Wagen ordnungs­mäßig gesichert sind, ist die Lok abzukuppeln. Sie verläßt anschließend die Übergabe­anlagen und fährt bis zum Pallaswiesen­übergang vor und hält bis die Schranken geschlossen sind. Zuvor ist die Weiche 21 wieder in die Grund­stellung zu legen und zu ver­schließen. Den Schlüssel hat der Rangier­leiter an den Wärter des Schranken­postens 45 zurück­zugeben, der ihn am Schlüssel­brett aufbewahrt. Sind alle Voraus­setzungen erfüllt, setzt die Lok ihre Fahrt über den Pallaswiesen­übergang nach den Anlagen des Alten Bahnhofs fort.

Die für den Abgang bestimmten Wagen werden von dem AW mit eigenen Triebfahr­zeugen und Rangier­personal zusammen­gestellt und nach den Rangier­anlagen des Alten Bahnhofs über­führt. Nachdem die Rangier­abteilung des Bahnhofs Darmstadt Hbf die abgehenden Wagen der übrigen Anschluß­inhaber zusammen­gestellt hat, werden die Wagen vom AW der vorge­zogenen Abteilung im Verbindungs­gleis durch Betriebs­mittel und Personal des AW am Schluß beigestellt. Hierbei ist besonders darauf zu achten, daß die Abteilung des Bahnhofs im Verbindungs­gleis soweit vorzieht, damit während der Beistellung der Wagen durch die Abteilung des AW der Bahn­übergang Pallaswiesen­straße nicht unnötig für den Straßen­verkehr gesperrt wird. Nach ordnungs­mäßiger Kupplung und Brems­probe kann die Rückfahrt der wieder zu ziehenden Abteilung nach dem Bahnhof Darmstadt Hbf durch­geführt werden.“

Bahnübergang Pallaswiesenstraße.
Abbildung 23: Bahn­übergang Pallas­wiesenstraße, Skitte vermut­lich aus den 1980er Jahren.

Diese vermutlich aus den 1980er Jahren stammende „Skizze zum Bahn­übergang Nr. 45 in km 4,284 der Strecke Darmstadt Hbf – AW Darmstadt“ zeigt eine Kon­stellation, die ein wenig Fingerspitzen­gefühl verlangte. Als der Bahn­übergang mit dem Bau der Bahn­strecken von Mainz bzw. Aschaffen­burg nach Darmstadt angelegt wurde, ahnte noch keine und niemand, daß sich an der (damals noch gar nicht vor­handenen) nebst­gelegenen Kreuzung ein Verkehrs­schwerpunkt entwickeln würde. Nachdem mehr als ein Jahr­hundert lang ein Schranken­wärter hier seinen Dienst verrichtete, wurde (wann ?) der Schranken­posten durch Licht­zeichen ersetzt. Hier war dafür zu sorgen, daß von der Kasino­straße her der in die Pallaswiesen­straße ein­strömende Verkehr aufge­halten werden konnte, während in der Gegen­richtung kein Stau vor der beampelten Kreuzung entstehen sollte. Möglicher­weise gehört diese Skizze als Anlage zur nach­folgenden Beschreibung; dies ist den von mir ver­wendeten Unter­lagen nicht zu entnehmen.  

In einer weiteren Dienst­anweisung nämlich wird die Nutzung der Gleis­anlagen (und des Bahn­übergangs) nochmals detailliert dargelegt. Hieraus ergeben sich zudem Hinweise, welche Teile der Gleis­anlagen Ende der 1970er Jahre zu welchem Zweck noch genutzt wurden.

V36 schiebt ins Ausbesserungswerk.

Bild 24: 236 408–1 [lebenslauf mit bild] schiebt einige Güterwagen durch Tor 6. Sammlung Rainer Grobe, 1974 oder früher.

Zu den vielen Geschichten, die über das und rund um das Ausbesserungs­werk auf der Knell zu erzählen wären, gehört, daß die außerhalb Darmstadts wohnenden Arbeiter des Werkes zeitweise direkt per Bahn vor Ort gebracht wurden. So ist in der „Hessischen Landes-Zeitung“ am 21. Januar 1936 zu lesen:

„Eine besondere Zugver­bindung besteht auch für die Arbeiter­schaft der Eisenbahn­werkstätten. Für sie kommt ein Zug von Pfungstadt aus (Pfungstadt ab 6.19 Uhr) und geht, ohne daß in Eberstadt umgestiegen werden muß, über den Haupt­bahnhof Darmstadt, wo er weitere Arbeiter aus anderen Orten aufnimmt, unmittelbar bis zum Wagen­ausbesserungs­werk in der Frankfurter Straße.“

Über eine eventuelle Rück­leistung schweigt sich der Zeitungs­bericht aus.

Bundesbahn-Ausbesserungs­werk
Darmstadt
T 3 / U  1

Darmstadt, 04.12.79
351

Anweisung für die Aus­führung von Rangier­arbeiten im AW Darmstadt

I. Allgemeines

1. Grundlagen für die vor­liegende Anweisung sind die „Dienst­anweisung für die Bedienung des Gleis­anschlusses AW Darmstadt“ vom 13.02.1961 [auszugs­weise weiter oben zitiert, WK], der jeweils gültige Bahnhofs­bedienungsplan des Bf Darmstadt Hbf, die Fahrdienst­vorschrift DS 408, das Signalbuch DS 301, Schutz­regelheft 11 „Verhalten im Bereich der Gleis­anlagen“ und Sohutz­regelheft 13 „Verhalten im Rangier- und Zugbe­gleitdienst“.

2. Der Ranglerdienst ist der technischen Abteilung unterstellt. Die Leitung und Über­wachung sind dem Förder­ingenieur und dem Förder­meister übertragen. Sie sind verantwortlich für die plan- und ordnungs­gemäße Aus­führung der Rangier­geschäfte in enger Zusammen­arbeit mit dem Steuerungs­meister. Der Förder­meister regelt den Einsatz des ihm zugeteilten Personals und die sichere und zweckmäßige Durch­führung des Rangier­geschäftes (s. FV § 78 (2)).

3. Die Rangier­anweisung gilt im Werk­gelände des AW Darmstadt (außer den Werkhallen) und auf den zu befahrenden Werk- und Uuml;bergabe­gleisen südlich des BÜ 45 ein­schließlich des Verbindungs­gleises von und nach Dst Hbf.

4. Zur Umstellung von Wagen für das AW Darmstadt dürfen durch das Rangier­personal des Bf Dst Hbf alle Gleise in Verbindung mit einem Rangier­leiter des AW Darmstadt benutzt werden. Das Befahren der Schiebe­bühnen ist nicht gestattet.

II. Lage des Gleisanschlusses

1. Das AW Darmstadt liegt östlich des Bf Dst Hbf. Die Gleis­anlagen sind voll­ständig einge­zäunt und nur durch besondere Gleistore vom Süden und Westen her bedienbar.

Im Süden ragen über den BÜ 45 (Kasino­straße / Pallaswiesen­straße) hinaus 3 Werkgleise, die durch die Weichen 5, 4 und 3 mit dem Über­gabegleis von und nach Dst Hbf verbunden sind.

Auf der Westseite sind die Gleise 7 (DK-Weiche 10) und 42 (Weiche 29) an das Über­gabegleis ange­schlossen (siehe Lageplan).

2. Die Ausgangs­gleise 41 und 29 sind vor dem ersten West­ausgang mit dem Zustell­gleis 42 durch Weiche 29 verbunden. Die Gleise 33-40 sind ebenfalls Zustell­gleise und zweigen von Gleis 42 ab.

3. Die Verbindung zum nordöst­lichen Werk­gelände (Schrott­bansen, Radsatz­hof) wird durch das den Schiebe­bühnen­bereich kreuzende Gleis 6 hergestellte.

III. Rangierabteilungen

1. Das AW Darmstadt ist in zwei Gleis­bereiche aufgeteilt, deren Gleis­anschlüsse von zwei Rangier­abteilungen je nach Zuständig­keit bedient werden.

Die Gleis­bereiche über­schneiden sich teilweise, d. h. das Gleis 7 wird von beiden Rangler­abteilungen befahren (siehe Lageplan).

2. Der Bereich der Rangier­abteilung 1 (Lok 1) reicht vom Gleis 7 bis zum Gleis 43 und umfaßt u. a. den Sehadwagen­zulauf (Gleise 33-40) und die Zustellung der Wagen für Kesselhaus, Stofflager, Eisenlager, Holzplatz über Gleis 42. Begrenzt wird der Bereich durch die Schiebe­bühnen A bzw. F.

Personell setzt sich die Rabt 1 aus einem Lokführer, der vom Bw Darmstadt zugeteilt ist, einem Rangier­leiter und zwei Rangierern zusammen.

3. Für die Werkgleise 1 bis 7 ist die Rangier­abteilung 2 (Lok 2) zuständig. Sie befährt außerdem den Gleis­bereich südlich des BÜ 45 und bedient über Gleis 6 das Farben­lager, den Radsatz­hof und den Schrott­verladeplatz.

Die Rabt 2 setzt sich zusammen aus einem Kleinlok­bediener, einem Rangier­leiter und einem Rangierer.

4. Die Rangierleiter sind als Vorarbeiter der Rangierer für die Einhaltung und Beachtung der sicherheits­technischen Vorschriften und Maßnahmen in ihrem Arbeits­bereich zuständig.

IV. Ablauf dar Rangierfahrten

1. Das AW Darmstadt wird nach dem jeweils gültigen Bedienungs­plan des Bf Dst Hbf bedient, in dem täglich drei Bedienungs- und Abholungs­fahrten (Übergabe­fahrten) vorgesehen sind.

2. Bei der ersten Übergabe­fahrt läßt die Bf-Lok die für das AW bestimmten Wagen auf dem Übergabe­gleis (Zubringer) stehen und bedient dann die übrigen Anschließer. Bis zur Rückkehr der Bf-Lok muß die Rabt 1 des AW Darmstadt den Zubringer räumen, wobei die einzelnen Wagen auf die entsprechenden Gleise verteilt werden.

Schadwagen in Gleise 33 - 40 [zweite Zahl ist schwer lesbar]

Kesselwagen in Gleise 8 - 10

Radsatzwagen in Gleis 7

sonstige Transport­wagen in Gleise 7 und 43

Nach Rückkehr der Bf-Lok werden die Ausgangs­wagen (nur Leerwagen) durch die Rabt 2 über den Gleis­anschluß südlieh des BÜ 45 zur Abholungs­fahrt auf den Zubringer bei­gestellt. Die Rabt 1 bringt weitere Wagen von Gleis 29 und Achssenke.

3. Die zweite Übergabe­fahrt bringt nur Schadwagen, die wiederum von der Rabt 1 auf die entsprechenden Gleise verteilt werden (s. Pkt. 2).

Ist die Zubringer­strecke frei, stellt die Rabt 1 die Ausgangs­wagen (Leerwagen und Wagen­ladungen) aus Gleis 41, 29 und von der Achssenke auf die Bf-Lok. Anschließend werden von Rabt 2 nochmals Ausgangs­wagen über den Gleis­anschluß südlich des BÜ 45 der Abholungs­fahrt zugeführt.

4. Bei der dritten Übergabe­fahrt stellt die Bf-Lok die AW-Wagen vorerst in Gleis 41 ab und bedient dann die Privat­anschlüsse. Für die anschließende Abholung beginnt jetzt die Rabt 2 mit der Zusammen­stellung des Zuges, der durch Rangier­abteilung 1. vervoll­ständigt wird.

5. Zuständigkeiten

Die Steuerungs­meister des AW Darmstadt koordinieren den Zugang und Abgang der Schad- bzw. Fertig­wagen.

Der Förder­meister m 3 ist für alle Wagen­ladungen (Schrottlager, Radsatzhof, Farbenlager, Stofflager, Eisenlager, Holzplatz) zuständig.

Alle Beteiligten stehen über Rangier­funk in ständiger Verbindung miteinander.

V. Betriebliche Anweisungen

[…]

4. Die zulässige Rangier­geschwindigkeit für Rangier­bewegungen beträgt höchstens 25 km/h. Die Gleise 5 und 6 nördlich der Schiebe­bühne „F“ bis zum Schrott­verladekran sind mit höchstens 10 km/h zu befahren. In den Übergabe­gleisen darf wegen der schlechten Übersicht durch die Tore und die dort befindlichen Gleis­krümmungen höchstens mit einer Geschwindig­keit von 5 km/h gefahren werden.

[…]

16. Zur Sicherung des BÜ 45 (Kasino­straße / Pallaswiesen­straße) sind die Hilfs-Einschalter und Ausschalt­tasten (HET/HAT) der Straßenverkehrs­signalanlage am Übergang zu betätigen. Die Betätigung bewirkt eine Teilbeein­flussung der Straßen­signale, d. h. alle in Richtung Bahn­übergang weisenden Straßen­signale werden unter Einhaltung der Mindest-Grün-Zeiten auf Rot geschaltet.

Schalt­berechtigt sind die Rangier­leiter oder die von ihnen beauftragten Rangierer. Die Bedienungs­anweisung für den BÜ 45 und darüber hinaus­gehende weitere besondere Anweisungen sind zu beachten.

Es ist verboten, mit mehr als einer Rangier­abteilung den Übergang gleichzeitig zu befahren. Der BÜ ist vorsichtig zu befahren.

Bei Störung der Signal­anlage ist der BÜ durch 2 Posten des Rangier­personals zu sichern. Der Rangier­leiter verständigt in diesem Falle sofort fmdl. AA T 3 des AW (Ruf 351).

Die vom BA Darmstadt erstellte Anweisung für das Befahren des Bahn­überganges Kasino-/ Pallaswiesen­straße ist Anlage 1 dieser Anweisung.

[…]

VI. Unfallverhütungs­maßnahmen bei Rangier­arbeiten

[…]

5. Besondere Vorsicht ist auch bei Rangier­bewegungen in Gleisen geboten, in denen Wagen abgestellt sind und an denen Personen arbeiten.

Hierzu gehören:

Gleis 1, 2 und 3: Bema-Abnahmedienst,

die Gleise im Bereich der Kessel­wagenreinigungs­anlage,

Gleis 11 an der Achssenke,

Gleis 29 und 30 Richthalle und Stahlkies­strahlanlage,

Gleise 33 bis 43 westlich der Richthalle,

die Gleisanlagen im Bereich des Radsatz­hofes und des Schrott­verladekranes.

[…]

8. Der Genuß von Alkohol vor und im Dienst ist verboten.

[gezeichnet/Unterschrift]

Manchmal geht das Rangieren dennoch übel aus. So schreibt der „Griesheimer Anzeiger“ am 2. August 1961, einem Eisenbahner sei am Bahnüber­gang in der Pallaswiesen­straße der Fuß abgefahren worden, weil er der Rangierlok zu nahe gekommen war.

Anmerkungen

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  1. Ob es eine solche werks­eigene Lokomotive gegeben hat und, wenn ja, was für eine dies gewesen ist, ist voll­kommen unklar.   
  2. In den 1990er Jahren hätte ich vielleicht selbst solch eine Übergabe forografieren können, sofern ich a) davon gewußt und b) mich das damals interessiert hätte. Tat es aber nicht.   
  3. Wissenschafts­stadt Darmstadt erneuert ab 6. November Fahrbahn­oberfläche in der Landwehr­straße zwischen Kasino­straße und Rößler­straße in zwei Bauab­schnitten, Presse­meldung vom 17. Oktober 2023 [online].   
  4. Ich bin nach 1992 Dutzende Male am Bahn­übergang an der Pallas­wiesenstraße gewesen und hätte den Abbau der Gleis­anlagen beobachten können. Aber auch hier gilt: es hatte mich damals nicht interessiert.   
  5. Achim Preu : Schenck Process nun bei Blackstone, in: Darmstädter Echo, war online am 22. September 2017.   
  6. Zu den Klein­lokomotiven: Der Lebenslauf der Köf ist hier und hier nachzulesen; der Lebenslauf des größeren Exemplars hier.   
  7. Die Skizze ist am Blattrand mit Anlage 3 oder 5 bezeichnet, während in der nach­folgenden Dienst­anweisung eine Anweisung zum Befahren des Bahn­übergangs als Anlage 1 geführt wird.