Fabrik. Blick auf das Fabrikgelände. Quelle: Adreßbuch 1908.

Industriegleise im Fabrikviertel Darmstadt

Die Maschinenfabrik und Eisengießerei Darmstadt

Kapitel 9: Die Handelskammer zieht eine Augenbraue hoch

Das seit 1837 als Buschbaum & Comp. bestehende und 1844 zur Maschinenfabrik und Eisengießerei in Darmstadt umfirmierte Unternehmen wurde mit Unterstützung der ebenfalls in Darmstadt ansässigen Bank für Handel und Industrie 1857 in eine Aktien­gesellschaft umgewandelt. Die Liquidation des Unternehmens wurde mit der General­versammlung am 21. Dezember 1878 eingeleitet.

In Kapitel 9 werden die Jahre 1859 bis 1863 behandelt. Zunächst scheinen die Geschäfte gut zu laufen, doch dann geht es drunter und drüber. Die kaufmännischen Leiter geben sich die Klinke, während die Verluste wachsen. Zwar bauen die Arbeiter der Fabrik die erste Dampf­lokomotive, zwar annonciert das Unternehmen im Katalog der Welt­ausstellung in London, aber nur durch einen finanziellen Kraftakt kann das Unternehmen bestehen bleiben. Eine Bilanz des Desasters erscheint nicht, und das verwundert die neu gegründete Darmstädter Handelskammer dann sehr.


Dieses Kapitel zur Geschichte der Maschinenfabrik und Eisengießerei ist die Fortsetzung von Kapitel 8 – Ein Monteur geht zu Merck. Dort geht es um die dreißigjährige Geschäftsbeziehung zwischen den beiden Darmstädter Unternehmen.

Auf Kurs, aber …

1859 gingen die Geschäfte der zwei Jahre zuvor gegründeten Aktiengesellschaft noch glänzend. Die Arbeiter malochten und die Aktionäre feierten ihre Dividende. Auf der zweiten ordentlichen General­versammlung am 30. April 1859 wurde ein Auftragsbestand bis zum Jahresende und darüber hinaus verkündet. Am 1. Juli 1859 endete die Einzahlungsfrist für die letzte Rate des gezeichneten Kapitals. Erst zu diesem Zeitpunkt verfügte das Unternehmen über das volle Stammkapital von 250.000 Gulden; dementsprechend trugen die nunmehr ausgegebenen Anteilsscheine auch dieses Datum [1]. Größter, aber nicht Mehrheitsaktionär war weiterhin die Darmstädter „Bank für Handel und Industrie“. In ihrem Geschäftsbericht für 1859 gibt sie ihren Aktienanteil mit nominal 49.500 Gulden an und fährt fort:

„Es befinden sich mehrere dieser Etablissements, namentlich jene zu Heidenheim, Marklissa und Darmstadt in vollkommen befriedigender Lage: sie prosperiren trotz der schwierigen Zeitläufe; …“ [2]

Der Geschäftsbericht der Bank für 1860 vermeldet eine gedrückte Lage der Eisenindustrie, aber man sei dennoch mit der Leitung und dem Stand des Unternehmens „vollkommen befriedigt“ [3]. Der Kapitalbedarf der Aktiengesellschaft war 1859 jedenfalls nicht gedeckt. Die neu errichteten Bauten auf dem Gelände an der (späteren) Blumenthal­straße erforderten weitere Geldmittel. Statutengemäß stand die Möglichkeit offen, die Kapitaldecke durch die Ausgabe weiterer Aktien zu erweitern. Tatsächlich aber beschritt man den Weg über die Ausgabe einer hypothekarisch abgesicherten Schuld­verschreibung, vermutlich in Höhe von 100.000 Gulden. Diese mit jährlich 5 % verzinste Prioritätsanleihe wurde in drei Serien zu 500, zu 250 und zu 100 Gulden ausgegeben. Offiziell datiert diese Anleihe vom 16. Februar 1860. Durch die erhaltenen Merck'schen Kontenbücher ist jedoch ersichtlich, daß die Anleihen schon 1859 gezeichnet, eingezahlt und sogar verzinst worden sind. Einer der Erwerber dieses Wertpapiers war nämlich das Unternehmen E. Merck Darmstadt in Höhe von 10.000 Gulden. 1872 sollte diese Schuld­verschreibung vom Unternehmen wieder eingefordert werden; eine Umwandlung in eine neue Anleihe war optional möglich. Bis dahin wurden die ausgegeben Obligationen dadurch amortisiert, daß jährlich einzelne Obligationen der drei Serien zur Rückzahlung des eingezahlten Betrages ausgelost wurden. [4]

Tabelle 09.1: Obligationen (Nummern) der Anleihe von 1859 bzw. 1860, die zwischen 1865 und 1871 ausgelost worden waren, mit Veröffentlichungs­datum in der „Darmstädter Zeitung“. Ob und gegebenen­falls wann die Verlosung während des Krieges mit Frankreich stattgefunden hat, ist bislang nicht zu ermitteln gewesen.
Jahr1865186618671868186918701871
Lit. A66 101 11027 11335 7514 86 10233 96?8 84
Lit. B6520 71 9640 446880 83 98?77 85 93
Lit. C12 99 12036 71 7513 80 15054 69 9766 68 84?46 102 136
Annonce18.5.18658.12.18663.9.186728.6.186817.7.1869?13.8.1871

Liefen die Geschäfte 1859 noch gut, so muß es in den beiden Folgejahren drunter und drüber gegangen zu sein. Der 1857 eingestellte kaufmännische Leiter scheint weggangen zu sein, und kurz darauf auch sein Nachfolger. Von beiden sind bislang keine Namen bekannt. Vielleicht nur kommissarisch ernannt, wird Reinhard Ludwig Venator, einer der vier Gründer der Aktiengesellschaft, in einer externen Publikation als Direktor genannt [5]. Doch Venator stirbt am 3. Oktober 1862, und so stellt sich die Frage, wer das Unternehmen leiten soll, aufs Neue. Ob und wie das Fehlen einer solchen Leitung sich auf die Geschäftstätigkeit des Unternehmens ausgewirkt hat, ist den dürren Worten der Geschäftsberichte der Bank für Handel und Industrie nur schwer zu entnehmen; jedenfalls fährt das Unternehmen im Geschäftsjahr 1862/63 derart große Verluste ein, daß seine Existenz auf dem Spiel steht. Dazu später mehr. Zunächst jedoch konstatiert die Bank in ihrem Geschäftsbericht für 1861, daß es ein Problem gibt.

„Die Maschinenfabrik in Darmstadt hat in der Periode vom 1. Juli 1860 bis dahin 1861 nicht allein unter der allgemeinen Ungunst der Verhältnisse zu leiden gehabt, sondern auch mit den Nachtheilen zu kämpfen, welche sich aus dem kurz nacheinander folgenden zweimaligen Abgang der kaufmännischen Dirigenten ergaben.“ [6]

Nekrolog

Wie bereits in der Nr. 275 der Darmst[ädter] Z[ei]t[un[g] vom 4. v[origen] M[ona]ts mitgetheilt [online], verschied am 3. October l[aufenden] J[ahres] dahier der Großherzogliche Hofbuchdrucker Reinhard Ludwig Venator, dessen Leben und Wirken wir in nachfolgenden Zeilen vorzustellen versuchen.

R. L. Venator stammte aus der (früher dem Hessischen Fürstenhause angehörigen) Grafschaft Hanau-Lichtenberg im badischen Oberlande, und ward geboren am 21. October 1799 zu Willstett, wo sein Vater – ein Sohn des Feldprobstes Venator im Landgräflich Hessischen Garde-Grenadier-Regiment zu Pirmasens – die Pfarrstelle bekleidete. Venator besuchte bis zu seinem sechzehnten Jahre das Gymnasium zu Karlstuhe und genoß hier den Unterricht des trefflichen Hebel, der ihm auch in späteren Lebensjahren noch Freund blieb. Seine kaufmännische Laufbahn begann er in der Landesproducten-Handlung Griesbach zu Karlsruhe, erhielt hierauf seine weitere Ausbildung zu Mannheim und siedelte im Jahre 1820 nach Darmstadt über, das seine zweite Heimath und der Schauplatz seiner umfassenden commerciellen und industriellen Thätigkeit werden sollte. Im Jahre 1829 gründete er daselbst ein kaufmännisches Institut, welches bald zu gedeihlicher Blüthe gelangte und bis zum Jahre 1842 bestand, in welchem Jahre die Wittich'sche Hofbuch­druckerei an seine Leitung überging, der er bis zu seinem Ende seine energische Thätigkeit vorzugsweise widmete.

Von specieller Bedeutung für Darmstadt sollte Venators Wirksamkeit auf industriellem Gebiete namentlich dadurch werden, daß derselbe, im Vereine mit mehreren anderen hiesigen Capitalisten, im Jahre 1854 eine Actien-Gesellschaft für Gasbeleuchtung hervorrief. Dieses Unternehmen, welchem der Verstorbene vom Jahre 1855 an bis zu seinem Ende als Präsident des Verwaltungsrathes angehörte, gedieh in der erfreulichsten Weise und schuf für unsere Stadt ein eben so billiges wie brillantes Beleuchtungs­mittel. Schon früher – im Jahre 1838 – wurde durch Venators Anregung und Mitwirkung ein anderes, Darmstadts Interessen berührendes Unternehmen begründet, – wir meinen die Steinkohlen-Actien-Gesellschaft, durch deren Vermittlung dieses billige Heizungs-Material in Darmstadt einheimisch wurde. – Von den Leistungen Venators in typographischer Beziehung zeugt das im Jahre 1848 geschaffene hessische Staatspapiergeld, welches unter allen neueren Kunst­schöpfungen dieser Art noch immer einen hervorragenden Rang behauptet.

Es würde uns zu weit führen, wollten wir uns über die vielgestaltete schöpferische Thätigkeit Venators in noch mehrere Einzelheiten verbreiten und darf wohl behauptet werden, daß in Darmstadt kaum eine industrielle oder gemeinnützige Unternehmung entstand, der er nicht seine eifrige Mitwirkung lieh. So sei nur hier noch erwähnt, daß er Mitgründer der Maschinenfabrik und Eisengießerei Darmstadt gewesen und diesem Etablissement in den schwierigen Verhältnissen, welche dem Aufblühen desselben in den letzten Jahren hemmend entgegentraten, als Mitglied des Verwaltungsrathes seine aufopfernde Thätigkeit widmete. – Im Jahre 1861 sollte seinem Wirken auch von oben die verdiente Anerkennung werden, da ihn die Gnade seines Fürsten durch die Verleihung des Ritterkreuzes erster Klasse des Philippsordens ehrte.

Neben seiner hevorrragenden geschäftlichen Begabung zeichnete den Verstorbenen nicht minder ein reger Sinn für alles Schöne aus, welcher sich in seinem lebhaften Interesse für sämmtliche Bereiche der Kunst aussprach. Die Empfindungen der Freundschaft waren ihm Bedürfniß und er fehlte nie, wo es galt, denselben durch Rath und That Ausdruck zu verleihen. Im zahlreichen Kreise seiner ihm warm anhängenden Freunde entwickelte er die gemüthvollen Seiten seines Charakters und zeigte sich als den anregendsten heitersten Gesellschafter. Für seine bedürftigen Mitmenschen war er der stets gerne bereite Helfer, wie denn auch alle Vereine zu milden Zwecken einen thätigen Förderer in ihm fanden.

Bei seiner rastlosen anstrengsten Thätigkeit fand er die liebste Erhebung in zeitweiligen Ausflügen in die heimathliche Gegend seines lieben Hanauer Landes – wo er zu Kork eine von Verwandten mütterlicherseits herrührende kleine Besitzung hatte, in der er – oft umgeben von werthen Darmstädter Freunden – heitere Tage ländlicher Zurück­gezogenheit zubrachte. Noch vor wenigen Wochen war er von da neugestärkt heimgekehrt, als eine wenig beachtete Erkältung die Katastrophe herbeiführte, welche seinen Tagen ein Ziel setzen sollte; er starb nach nur eintägigem Krankenlager – bis zum letzten Momente in voller Geistesfrische – an einem Lungenschlage im nicht ganz vollendeten 63. Lebensjahre.

Tief gefühlte Worte der Trauer erschallten an seinem Grabe, das die Angehörigen und Freunde des Verblichenen in Wehmuth umgaben, aus dem Munde seines langjährigen Freundes Herrn Pfarrer Ritsert. Möge er sanft ruhen und sein Andenken in Ehren bleiben!

Quelle: Darmstädter Zeitung vom 21. November 1862 [online].

Während es ziemlich naheliegend scheint, daß die Maschinenfabrik vorzugsweise Kundschaft im südhessischen Raum beliefert hat, so ist es durchaus überraschend, Mitteilung über eine Lieferung nach Ungarn zu erhalten. So berichtet ein unbekannter Autor in einer Korrespondenz vom 20. Juli 1860 über eine Reise nach Groß-Kanischa, das heutige Nagykanizsa. Dort, so schreibt der Verfasser, befinde sich neben einer Ziegelei noch eine weitere Produktionsanlage.

„In dieser bewegt eine liegende, 50pferdekräftige Dampfmaschine zwei große Blocksägen, zwei Circularsägen, ein Pumpwerk, ferner eine ganze Knochen­mühleinrichtung mit Brechwalzen, Schrotwalzen, zwei Mahlgängen und einem Siebcylinder. Weiter schließt sich an diese Maschinen noch ein Dämpf- und Kochkessel, sowie ein Raum zur Aufstellung von Ziegelmaschinen an. Die Dampfmaschine, die Säge- und Knochenmühle sind von der Maschinenfabrik und Eisengießerei in Darmstadt gefertigt.“ [7]

Reisebericht.

Abbildung 09.01: Der Korrespondenten­bericht in der österreichischen Allgemeinen Land- und Forst­wirthschaftlichen Zeitung 1860. Digitalisat der Österreichischen Nationalbibliothek.

Ganz nebenbei findet die Produktion der Eisengießerei der Darmstädter Maschinenfabrik Eingang in die „Uebersicht der Production des Bergwerks-, Hütten- und Salinen-Betriebs im Groß­herzogtum Hessen im Jahre 1860“. Dort heißt es ohne Namensnennung:

Gußwaaren, theils aus Erzen, theils aus Roheisen, werden dargestellt in 4 Etablissements der Provinz Starkenburg (Michelstadt, Darmstadt und Offenbach [2 W.] mit 345 Arbeitern, 18.800 Ctr. Produktions­quantum im Werth von 173.000 fl.; […].“ [8]

Damit können, was Darmstadt betrifft, nur die Kupolöfen der Eisengießerei gemeint sein. – 1860 und 1861 soll der Ingenieur Theodor Beck im Unternehmen beschäftigt gewesen sein.

„Dr.-Ing. e. h. Theodor Beck †

Nach langer Krankheit starb am 30. Juli d. Js. in Darmstadt im Alter von 78 Jahren unser Mitglied, Professor Dr.-Ing. e. h. Theodor Beck, den Ingenieuren wohlbekannt als Forscher auf dem Gebiete der Geschichte der Technik. Beck war mit einer von den ersten, die erkannt hatten, daß eine »historische Vergangenheit« für das Ansehen eines Standes von außer­ordentlicher Wichtigkeit ist und daß daher zur Hebung des Ansehens der Ingenieure eine Verbreitung der Kenntnis der Entwicklungs­geschichte des Ingenieur­wesens dringend erforderlich ist; dies umso mehr, als schon im Altertum und Mittelalter die Ingenieure hervorragende Leistungen aufzuweisen hatten, die erheblich in das Kulturleben der Völker eingriffen, und man auch, im Gegensatz zum verflossenen Jahrhundert, in diesen frühen Zeiten den Ingenieur hoch bewertet und seine Arbeit anerkannt hat. Die Geschichte der Technik ist aber auch für den Ingenieur selbst von Nutzen, indem er aus ihr die Schwierigkeiten kennen lernt, die sich dem Werden der großen Erfindungen entgegen­stellten, und gleichzeitig sieht, daß Mut und unermdliche Ausdauer schließlich doch zum Ziele führen. So kann er, indem er an ihrer Hand den ganzen Werdegang der Technik noch einmal durchmacht, seine Kenntnisse vertiefen, seinen Willen zu neuem technischen Schaffen stählen und sich vor vergeblichen Versuchen hüten lernen.

Das Hauptverdienst Theodor Becks liegt darin, daß er uns die nur schwer erhältlichen und in fremder Sprache und Anschauungs­weise geschriebenen Werke älterer Meister der Ingenieurs­kunst und der Mechanik in bequemer Weise zugän[g]lich gemacht hat. Sein Hauptwerk, »Beiträge zur Geschichte des Maschinenbaues« [online als pdf], umfaßt 27 Einzel­abhandlungen, anfangend mit Hero von Alexandrien, der um 120 v. Chr. lebte, bis zum Erfinder der Dampf­maschine. Das Werk ist eine Fundgrube für den Techniker; kann man doch in ihm an Hand der zahlreichen Abbildungen oft von den ersten Keimen an der Entwicklung der vielfältigen Getriebe und Mechanismen verfolgen, deren sich noch heut der Maschinenbau in vollendeter Ausführung bedient. Diese einzelnen Abhandlungen hatte Beck in den Jahren 1886 bis 1890 im »Zivilingenieur« veröffentlicht. Auf Veranlassung Prof. Riedlers wurden sie vom Verein deutscher Ingenieure im Jahre 1899 zu einem stattlichen Bande | zusammen­gestellt und den Mitgliedern zu ermäßigtem Preise abgegeben. Die Nachfrage nach dem Buche war so groß, daß bald eine zweite Auflage erforderlich wirde.

Außerdem hat Beck Studien über ältere deutsche Maschinen- und Mühlenbauer und über die großen englischen Ingenieure des achtzehnten Jahrhunderts veröffentlicht.

Theodor Beck wurde am 3. Juni 1839 in Darmstadt geboren. Er besuchte bis zu seinem siebzehnten Jahre das Gymnasium und sodann (1856 bis 1857) die höhere Gewerbeschule seiner Vaterstadt. Dann arbeitete er kurze Zeit praktisch in einer Schlosserei und bezog im Herbst 1857 die Polytechnische Schule in Karlsruhe, der er bis zum Sommer 1859 als Studierender angehörte. Von seinen akademischen Lehrern war es der große Redtenbacher, der den wesentlichen Einfluß auf ihn ausübte; von ihm sprach Beck noch in seinen spätesten Lebensjahren mit Liebe und Verehrung.

Dampfmaschine von Kleyer & Rosenbaum.
Abbildung 09.02: Dampfmaschine von Kleyer & Rosenbaum aus ihrem Katalog von 1865 [online bsb münchen].

Nach Beendigung seiner Studien war Beck 1859 bei Klett & Co. in Nürnberg tätig, dann 1860 und 1861 in der Maschinenfabrik und Eisengießerei Darmstadt. In den Jahren 1861 und 1862 war er Ingenieur der Main-Weser-Eisenbahn in Gießen. 1863 ging er nach Glasgow und später nach London. Im Jahre 1867 trat er als Teilhaber in die Firma Kleyer & Rosenbaum, Maschinen­fabrik in Darmstadt, die spätere Firma Beck & Rosenbaum, die heute noch auf dem Gebiete der Brauerei- und Mälzerei­maschinen einen wohlverdienten Ruf hat.

Im Jahre 1885 gab Beck diese Tätigkeit wieder auf, um sich in erster Linie wissenschaftlichen Studien, für die er seiner Ganzen Veranlagung nach bestimmt war, zu widmen. Er war ein außergewöhnlich gründlicher und gewissenhafter Forscher auf dem einmal gewählten Arbeitsgebiete. 1885 habilitierte er sich als Privatdozent an der Technischen Hochschule in Darmstadt und las lange Jahre hindurch über Gewicht- und Kosten­berechnung im Maschinenbau. 1899 erhielt er den Professortitel, 1909 ernannte ihn die Technische Hochschule Karlsruhe zum Dr.-Ing. ehrenhalber.

Beck war lebenslängliches Mitglied des Ausschusses des Deutschen Museums und korrespondierendes Mitglied des k. k. technologischen Gewerbemuseums in Wien. Die gründliche Ausbildung und reiche Praxis als Ingenieur und Fabrikleiter waren wohl die Ursache, daß Beck es verstanden hat, aus den alten und oft halb verschütteten Quellen die Meisterwerke der alten Technik wieder erstehen zu lassen in einer technisch richtigen Darstellungs­weise, die sie nicht nur dem Laien verständlich macht, sondern vor allem dem Ingenieur immer wieder Freude und Genuß verschafft. So bleibt Beck vorbildlich für alle, die sich mit der Geschichte der Technik befassen.

C. W.“

Quelle: Zeitschrift des Vereines Deutscher Ingenieure, Nummer 37, 15. September 1917, Seite 772–773.

Auch der am 14. November 1835 in Herborn geborene Carl Schenck erthielt seine theoretische Ausbildung bei Ferdinand Redtenbacher in Karlsruhe, wo er von 1854 bis 1856 lernte. So werden sich Theodor Beck und Carl Schenck wohl nicht in Karlsruhe getroffen haben, aber beide folgten fast gleichzeitig dem Ruf der Darmstädter Maschinenfabrik; Schenck im Verlauf des Jahres 1859.

Aus den Aufzeichnungen seines Neffen Emil Schenck

„In der kurz zuvor begrüneten »Maschinenfabrik und Eisengießerei Darmstadt A. G.« fand er bald unter der Leitung des tüchtigen Direktors Horstmann eine Tätigkeit, die für seine weitere Ausbildung von großem Nutzen war. Anfang der fünfziger Jahre, als die ersten Eisenbahnen sich im Betriebe bewährt hatten, gründeten weit vorausschauende Finanzkreise des Rheinlands mit Rücksicht auf die verkehrs­politische Lage des Rhein-Main-Gebietes und unter Benutzung der in Hessen damals geltenden günstigen aktienrechtlichen Bestimmungen in Darmstadt eine Notenbank und eine Industriebank, um den beschleunigten Ausbau des Verkehrsnetzes im Herzen Südwest­deutschlands zu ermöglichen. Die eine dieser segensreichen Gründungen war die »Bank für Handel und Industrie«, die später in der Darmstädter und Nationalbank, und neuerlich in der Dresdner Bank aufgegangen ist. Sie finanzierte vornehmlich Betriebe, die den Zwecken des Eisenbahnbaues dienten, und neben anderen auch die erwähnte Maschinenfabrik. Diese befaßte sich in erster Linie mit der Herstellung von Lokomotiven, Lokomotiv­kesseln, Drehscheiben, Schiebebühnen, Weichen, Ladekranen und Brückenwaagen; daneben fertigte sie, wie das zu Beginn der Maschinen­fabrikation allgemein üblich war, noch alle anderen Arten von Dampfkesseln, Kraft- und Arbeitsmaschinen, je nachdem, wie es der Bedarf ergab. Man erkennt, daß hier schon Schenck auf der Spur seiner Lebensbahn, die Befriedigung des Eisenbahn­bedarfs, gesetzt worden ist, und zeitlebens waren ihm die Eisenbahn­verwaltungen die Abnehmer, zu denen er sich aus früher Gewöhnzng am meisten hingezogen fühlte. Aber auch die Betätigung auf den Gebieten des allgemeinen Maschinenbaues, die an Vielseitigkeit nichts zu wünschen übrig ließ, war für den Ingenieur ein fruchtbares Übungsfeld, auf dem er sich als Konstrukteur unter Horstmanns sachkundiger Leitung vorzügliche Kenntnisse und Erfahrungen aneignen konnte. Und bei seinem Eifer und Fleiß hat Schenck sicherlich für seinen späteren Beruf als Maschinen­fabrikant hier eine lehrreiche Schule genossen.“

Schenck verließ das Unternehmen 1861. Während Beck später eher dem Theoretischen verhaftet geblieben ist, baute Schenck nach einem Abstecher über Böhmen und Mannheim in Darmstadt ein eigenes Maschinenbau­unternehmen auf, das aufgrund seiner präzisen und innovativen Waagen schnell über­regionalen Ruf erlangen sollte. Schenck starb am 17. Dezember 1910. [9]

Die Landesgewerbe­ausstellung 1861

Vom 4. September bis zum (verlängert) 6. Oktober 1861 fand in Darmstadt anläßlich des 25-jährigen Bestehens des lokalen Gewerbevereins eine hessische Landes­gewerbeausstellung statt. Diese vierte vom Gewerbeverein durchgeführte Veranstaltung nutzte die Räume und die Turnhalle der höheren Gewerbeschule zu Darmstadt. Für die Maschinen­ausstellung war eigens eine eigene Halle errichtet worden [10]. Selbstredend stellte auch das führende Maschinenbau­unternehmen am Ort aus.

Gewerbeausstellung für das Großherzogthum Hessen.

In diesem Herbste werden es 25 Jahre, daß der Großherzogliche Gewerbverein durch eine im Regierungsblatt erschienene Bekanntmachung des vormaligen grißh. Ministeriums des Innern und der Justiz, vom 12. August 1836, gegründet wurde. Die bevorstehende Feier des 25jährigen Jubiläums des Landes­gewerbvereins gab zunächst die Veranlassung, hiermit eine Ausstellung von inländischen Gewerbs­erzeugnissen zu verbinden. Solche Lokal­ausstellungen einzelner Länder und größerer Bezirke sind indeß keine bloße Schau­ausstellungen, sie können zur Enrwicklung des Gewerbwesens wesentlich beitragen, wenn sie sachgemäß arrangirt und geleitet werden. In den Statuten des Großh. Gewerbvereins ist dieß ausdrücklich anerkannt, indem dort als ein Mittel, dessen sich der Verein zur Errichtung seiner vorgeschriebenen Zwecke zu bedienen hat, auch die Veranstaltung öffentlicher Ausstellungen von Gegenständen der inländischen industrie bezeichnet wird.

Es war früher die Absicht, Lokalausstellungen für das Großherzogthum Hessen alle 3 Jahre zu wiederholen, es wurde auch der ¦ Anfang hierzu gemacht und 3 solcher Ausstellungen sind abgehalten worden. Die erste Ausstellung wurde im Jahr 1837 in Darmstadt veranstaltet, sie zählte 106 Aussteller; bei der zweiten im Jahre 1839 ebenfalls in Darmstadt abgehaltenen Ausstellung waren 119 Gewerb­treibende vertreten. Die dritte, in den Monaten September und October 1842 in Mainz veranstaltete Ausstellung erstreckte sich bekanntlich nicht ausschließlich auf die Industrie des Großherzogtums Hessen, sondern auf sämmtliche deutsche Staaten und ist daher als die erste allgemeine deutsche Gewerbe­ausstellung zu betrachten. Das Großherzogthum Hessen war hierbei durch 222 Aussteller vertreten.

Noch soll nicht unerwähnt bleiben, daß im Jahr 1845 der Lokal­gewerbverein in Mainz, bei Gelegenheit des daselbst von den Lokalsectionen des Landes veranstalteten Gewerbefestes, eine Ausstellung von Gewerbs­erzeugnissen in der neuen Anlage daselbst, und der Lokal­gewerbverein in Offenbach im Jahr 1846, bei der gleichen Veranlassung, eine Ausstellung Offenbacher Fabrikate im dortigen Lagerhazs­gebäude abhielten.

Nach dem Jahr 1842, wo die letzte vom Landes­gewerbverein (in Mainz) veranstaltete Gewerbe­ausstellung stattfand, unterblieb due regelmäßige Wiederholung von Ausstellungen für das Großherzogthum Hessenm weil größere allgemein deutsche oder internationale Gewerbe­ausstellungen in Berlin (1844), in Leipzig (1845), in London (1851), München (1854) und Paris (1855) abgehalten wurden, bei welchen wenigstens die Großindustrie des Großherzogthums Hessen würdig vertreten war.

Niemand wird den großen Nutzen solcher allgemeiner Ausstellungen bestreiten wollen; diselben haben sich als ein mächtiger Hebel zur Förderung der Gewerbe­thätigkeit überhaupt erwiesen, sie gaben den Fortschritt lebendig angeregt, eine Masse von Vorurtheilen und Schranken in dem internationalen Verkehr entweder direkt beseitigt, oder deren Beseitigung hervorgerufen; sie haben endlich neue Absatzwege für die Gewerb­erzeugnisse eröffnet. Die Erfahrung hat aber auch gelehrt, daß solche großartige Ausstellungen die Lokalgewerb­ausstellungen nicht überflüssig machen. Nicht Jedem sind die Mittel und die Zeit gegeben solch' große, an entlegenen Orten abgehaltene Ausstellungen zu besuchen, oder zu beschicken. Für die Hroß- wie Kleinindustrie ist es von Werth, daß auch das consumirende Publikum seiner nächsten Nähe ihre Erzeugnisse kennen und ürdigen lernt, daß die Bedeutung der gesammten Industrie des Landes zeitweise in einem klaren übersichtlichen Bild dem grßen Publikum vor Augen geführt wird. Bei der Leichtigkeit des Reisens und dem Interesse, das solche Ausstellungen bieten, werden indeß auch Interessenten aus weitreren Kreisen herbeigeführt. In den letzten Jahren haben Gewerbe­ausstellungen in Württemberg (Cannstadt), Hannover, Schlesien (Breslau), Thüringen (Weimar), in der Theinpfalz (Kaiserslautern) i. s. w. stattgefunden, welche sich eines sehr zahlreichen Besuchs erfreuten. So hoffen auch wir, daß die im Herbst dieses Jahres bon dem Großh. Gewerbverein zu veranstaltende Ausstellung ebensowohl von Seiten der Fabrikanten und Gewerb­treibenden eine rege Betheiligung, als von Seiten des Publikums einen lebhaften Besuch finden wird.

Quelle: Gewerbeblatt für das Großherzogthum Hessen. Zeitschrift des Landesgewerbvereins. Nº 1. Januar. 1861. Seite 2–3.

Derartige Ausstellungen waren Leistungsschau, Marketing, Volks­belustigung und durchaus auch Standort­bestimmung in einem. Der lokale Charakter dieser speziellen Ausstellung spiegelt sich in der Resonanz der Aussteller wieder, die vorwiegend aus Darmstadt und der näheren Umgebung kamen. Ein wichtiger Bestandteil derartiger Unternehmungen ist die Preisvergabe. Es wäre verfehlt, hier an so etwas Hehres wie Bestenauslese zu denken, bei der nur die innovativsten, leistungsfähigsten oder schönsten Exemplare prämiert würden. Dafür ist die Anzahl der vergebenen Auszeichnungen, nämlich 242, einfach zu groß. Die in mehrere Kategorien abgestufte Auszeichnungs­flut diente vielmehr Marketingzwecken. Wenn so ziemlich jeder Aussteller eine Medaille oder ein Diplom erhalten konnte, war das Bestreben groß, sich an der Ausstellung zu beteiligen. Anschließend nämlich konnte mit der Prämie auf Kundenfang gegangen werden, und so nimmt es kein Wunder, daß die Briefköpfe so manch Darmstädter Fabriken mit einer breiten Palette verschieden­artigster Medaillen aus Gold, Silber, Bronze oder anderem Lametta versehen waren. Ein besonderes Alleinstellungs­merkmal ist aus derartigen Preisen folglich nicht zu entnehmen. Dies war kein auf Darmstadt beschränktes Phänomen. Wir werden noch sehen, daß es auch bei den Weltausstellungen in London, Paris und Wien ähnlich zuging. Dem Darmstädter Gewerbeblatt können wir hierzu entnehmen, wie sich die Marketinginstanz, also der Gewerbeverein, diese Preisflut schöngeredet hat und wie er bei seiner Prämien­auswahl vorgegangen ist.

Im Gewerbeblatt wird der Vorgang ausführlich dokumentiert, so daß es sich anbietet, dessen Ausführungen weitgehend zu übernehmen. Einerseits wird nämlich Wert auf eine strikte, geradezu penible Durchführung eines Verfahrens gelegt, andererseits bleibt so gut wie kein Aussteller von einer Auszeichnung unbehelligt. Den Spagat zwischen leistungsgerechtem Anspruch und marketingorientierter Ausführung zu meistern, war eine ganz eigene Kunst, die wir nunmehr nachvollziehen können. [11]

Vorbereitungen für die diesjährige Gewerbeausstellung.

Nachdem der Ausschuß des Großherzoglichen Gewerbevereins in seiner Sitzung vom 3. März 1860 den Antrag seines Präsidenten, im Herbst 1861 eine Ausstellung von Gewerbserzeugnissen aus dem Großherzogthum Hessen zu veranstalten, beigestimmt, und der Entwurf des Programms für diese Ausstellung in der General­versammlung der Gewerbvereins­mitglieder vom 19. Juli 1860 genehmigt worden war, handelte es sich zunächst darum, ein geeignetes Lokal für die Ausstellung zu finden und Fürsorge für Deckung der Kosten zu treffen. Nach reiflicher Erwägung aller Verhältnisse erschien das Gebäude der höheren Gewerb- und Realschule dahier, mit seinen Hofräumen und der Turnhalle, für den beabsichtigten Gebrauch am zweckmäßigsten. Es erschien weiter wünschenswerth, vor der Nachsuchung um Genehmigung der Ausstellung und Benutzung dieser Lokalitäten bei Großherzoglichem Ministerium, zunächst bei Großherzoglicher Gewerbschul-Direktion und bei dem hiesigen Stadtvorstand anzufragen, ob von diesen Seiten ein Anstand gegen die beabsichtigte Benützung der bemerkten Lokalitäten erhoben werden würde. Bei der dießhalbigen Communication mit den genannten Behörden kam man den Wünschen des Gewerbvereins-Präsidenten sehr bereitwillig entgegen. Sowohl die Direktion der höheren Gewerb- und Realschule, als wie der löbliche Stadtvorstand genehmigten anstandslos die Benützung der während der Herbstferien in der Gewerbschule disponiblen Räume des Hauptgebäudes, sowie der Turnhalle und der angrenzenden Hofräume. Hiernach wurde Großherzoglichem Ministerium ausführliche Vorlage über den Gegenstand gemacht und an diese höchste Staatsbehörde die Bitte gerichtet: 1) die höchste Ge¦nehmigung zur Veranstaltung einer Ausstellung inländischer Gewerbserzeugnisse im Herbst 1861 zu ertheilen und die Benutzung der disponiblen Räumlichkeiten in dem Gebäude der höheren Gewerb- und Realschule zu gestatten; 2) die Zusicherung zu ertheilen, daß ein etwa entstehendes Deficit in den Einnahmen aus dieser Ausstellung bis zum Betrag von fl. 1000 von Großherzoglichem Ministerium auf einen anderen Fonds übernommen werden wird. Mit höchsten Rescript vom 16. November v[origen] J[ahres] wurde vom Großherzoglichen Ministerium die Genehmigung ad 1, sowie mit Allerhöchster Ermächtigung die gewünschte Zusicherung ertheilt, daß ein etwa entstehendes Deficit in den Einnahmen aus der Ausstellung gegen die damit verbundenen Ausgaben bis zum Betrage von fl. 1000 auf dem Fonds für öffentliche und gemeinnützige Zwecke übernommen werden soll. Durch diese Allerhöchste Gnade ist das Unternehmen nunmehr als gesichert zu betrachten und es konnten die öffentlichen Einladungen an die inländischen Industriellen zur Betheiligung an der Ausstellung ergehen. Diese Einladungen sind von dem Großh. Gewerbvereins-Präsidenten durch das Gewerbeblatt und durch Vermittlung der Großh. Kreisämter durch sämmtliche Kreisblätter ergangen. Die Vorstände der Local­gewerbvereine wurden in besonderen Schreiben ersucht, die Angelegenheit nach Möglichkeit zu fördern, und es steht, erhalttenen Mittheilungen zu Folge, eine lebhafte Betheiligung der Gewerbtreibenden zu erwarten.

Die Großh. Handelskammer in Worms richtete ein Schreiben an den Verein, worin darauf aufmerksam gemacht wurde, daß die Erklärung der Betheiligung an der Ausstellung von Seiten vieler Fabrikanten erst dann erfolgen dürfte, wenn denselben bekannt geworden sein wird, wie das Preisgericht gebildet ist und ob und welche Preismedaillen vertheilt werden. Es wurde darauf erwiedert, daß in dieser Beziehung noch kein definitiver Entschluß gefaßt sei, daß man es für angemessen gehalten habe, vorerst verschiedene Ansichten über diese Fragen zu hören. – Bekanntlich legte man bei den letzten größeren Gewerbe­ausstellungen bei der Beurtheilung der Gegenstände und Vertheilung von Medaillen, nicht bloß darauf Gewicht, ob das Fabrikat neu sei oder sich durch vorzügliche Ausführung auszeichne, sondern man erweiterte die Gesichtspunkte der Beurtheilung und zog ferner in Betracht, welche Ausdehnung das betreffende Etablissement besitzt, wie lange es besteht, was es zur Heranbildung der Arbeiter gethan hat u. s. w. u. s. w. – Unter dem Ersuchen an die Großh. Handelskammer in Worms, die Ausstellung nach Möglichkeit zu fördern, wurde um Mittheilung deren Ansichten über die Beurtheilung der ausgestellten Gegenstände und die Vergebung von Preismedaillen gebeten. In gleicher Weise wurde an die Großh. Handelskammern in Mainz und Offenbach die Bitte gerichtet, sich über denselben Gegenstand gutächtlich zu äußern. Alle drei Handelskammern haben sich entschieden für Verleihung von Preismedaillen ausgesprochen und zum Theil in sehr ausführlichen Gutachten die Gesichtspunkte, welche bei der Beurtheilung und Preisverleihung maßgebend sein dürften, erörtert. Nach diesen Verhandlungen wurde der Entwurf eines Plans für die Zusammensetzung der Beurtheilungs-Commission und deren Thätigkeit gefertigt, welcher in heutiger Sitzung dem verehrlichen Ausschuß zur Berathung und Beschlußfassung vorgelegt werden wird.

Quelle: Gewerbeblatt für das Großherzogthum Hessen. Zeitschrift des Landesgewerbvereins. Nº 10 u. 11. März. 1861. Seite 80–81.

Stadtplan Darmstadt von 1859.

Abbildung 09.03: Stadtplan von Darmstadt, datiert 1859, vollständig auf der Webseite von Kristof Doffing [online]. Die 1861er Gewerbe­ausstellung fand im und im Innenhof des mit dem Buchstaben „e“ bezeichneten Gebäude­komplexes am südöstlichen Rand der Altstadt statt. Quelle: Staatsarchiv Darmstadt, HStAD P 1 No. 986/1-2.

Ausstellung von Gewerbserzeugnissen aus dem Großherzogthum Hessen, im Jahr 1861.

Das ausgegebene Programm für die Gewerbeausstellung bestimmt:

„Zur Prüfung der ausgestellten Gegenstände wird vom Großherzoglichen Gewerbverein eine Beurtheilungs-Commission ernannt. Nähere Bestimmungen darüber, welche Preis-Medaillen an die Aussteller vergeben werden, bleiben vorbehalten.“

Die Ausführung dieser Bestimmung erfolgt in nachstehender Weise.

Bildung der Beurtheilungs-Commission.

Für die Ausstellung der Gegenstände in dem Ausstellungs­gebäude, sowie zur Beurtheilung derselben, werden 11 Gruppen gebildet, in welche sämmtliche Ausstellungs-Gegenstände zu vertheilen sind. Die Anlage enthält die hiernach vorgenommene Klassifikation und Gruppenbildung der Ausstellungs-Gegenstände.

Für jede Gruppe werden drei Ausstellungs-Commissäre ernannt, wenn die Gruppe 10 und mehr Aussteller zählt. Ist die Gruppe durch weniger als 10 Aussteller vertreten, so wird sie mit einer verwandten Gruppe vereinigt.

Von den drei Beurtheilungs-Commissären, welche auf eine Gruppe, oder auf vereinigte Gruppen kommen, werden deren zwei durch freie Wahl der betheiligten Aussteller bestimmt und den dritten Commissär ernennt der Großh. Gewerbvereins-Präsident.

Die Wahl der Beurtheilungs-Commissäre durch die Aussteller selbst kann der Natur der Sache nach keine directe sein, sie erfolgt durch von denselben gewählte Wahlmänner in nachstehender Weise.

Nach Schluß des Anmeldetermins für die Betheiligung bei der Ausstellung stellt der Gewerbverein ein gruppenweise geordnetes Verzeichniß sämmtlicher Aussteller auf. Abdrucke dieses Verzeichnisses, nebst Stimmzetteln, werden sämmtlichen Ausstellern mitgetheilt. Jeder Aussteller bezeichnet auf seinem Stimmzettel 6 Wahlmänner, und sendet den ausgefüllten Stimmzettel, offen oder versiegelt, 4 Wochen vor der Eröffnung der Ausstellung an den Großherzoglichen Gewerbverein zurück. Die Zählung der Stimmen erfolgt durch eine von dem Gewerbvereins-Präsidenten ernannte Kommission von drei Mitgliedern auf dem Vereinsbureau. Das Resultat der Wahl wird den gewählten Wahlmännern mit dem Ersuchen bekannt gegeben, ihrerseits die Beurtheilungs-Commissäre, entweder durch schriftliche oder persönliche Abstimmung, zu wählen. Die Wahlhandlung erfolgt für jede Gruppe oder für vereinigte Gruppen einzeln.

Erst nachdem die betheiligten Aussteller die bemerkte Wahl ihrer Beurtheilungs-Commissäre vorgenommen haben, wird der Großherzogliche Gewerbvereins-Präsident seinerseits für jede einzelne Gruppe, oder für vereinigte Gruppen, je den dritten Beurtheilungs-Commissär ernennen.

Bei der Wahl der Beurtheilungs-Commissäre ist darauf zu sehen, daß anerkannte wissenschaftliche und praktische Autoritäten in den Gebieten der Chemie, Physik, Mechanik und allen Zweigen der Industrie ernannt werden.¦

Die Wahl kann auf jeden befähigten Inländer gelenkt werden, ohne Rücksicht darauf, ob derselbe Mitglied des Großherzoglichen Gewerbvereins ist oder nicht und ob er als Aussteller betheiligt ist oder nicht.

Das Amt eines Beurtheilungs-Commissärs ist ein Ehrenamt: Diäten und Reisekosten werden nicht vergütet.

Mitglieder der Beurtheilungs-Commission, welche selbst Aussteller sind, verzichten bezüglich solcher Gegenstände, bei deren Beurtheilung sie selbst mitwirken, auf die Preisbewerbung oder auf die Stelle eines Prüfungs-Commissärs.

Unter Zustimmung der Beurtheilungs-Commission können von dem Präsidenten des Gewerbvereins auswärtige namhafte Kenner einzelner Zweige der Industrie, welche die Ausstellung besuchen sollten, eingeladen werden, über specielle Abtheilungen der Ausstellung Gutachten abzugeben. Auch steht es der Commission zu, für die Beurtheilung einzelner Gegenstände, welche besondere und specielle Fachkenntnisse erheischen, und wenn diese in der Commission nicht vertreten sind, geeignete Persönlichkeiten mit Gutachten zu hören.

Der Großherzogliche Gewerbvereins-Präsident und der Gewerbvereins-Secretär haben das Recht, ebenso an allen Gruppen­berathungen wie an den Berathungen der Gesammt-Commission Theil zu nehmen; sie üben jedoch kein Stimmrecht aus.

Regelung der Geschäfte der Beurtheilungs-Commission.

Die gesammte Commission tritt am Tage nach der Eröffnung der Ausstellung unter dem Präsidium des Großherzoglichen Gewerbvereins-Präsidenten zusammen.

Die Commissäre der einzelnen Gruppen wählen unter sich ihre Referenten.

Der Großherzogliche Gewerbvereins-Präsident überweist den ernannten Referenten die von den einzelnen Ausstellern ihrer Gruppen gesammelten Materialien und Notizen über deren ausgestellte Gegenstände, Ausdehnung ihres Etablissements und Geschäfte u. s. w.

Geheimhaltung dieser Notizen und Geheimhaltung der Berathungen der Beurtheilungs-Commission wird vorausgesetzt.

Die Gruppen-Commissäre beginnen das Prüfungsgeschäft sofort nach der ersten Sitzung der Gesammt-Commission.

Das ganze Beurtheilungs-Geschäft muß jedenfalls innerhalb der nächsten 8 Tage beendigt sein. Ueber den Befund der Beurtheilung der Gegenstände jedes Ausstellers macht der Referent der betr. Gruppe kurze Aufzeichnungen.

Sind alle Gegenstände einer Gruppe genau vergleichen und geprüft, so einigen sich die betr. Gruppen-Commissäre über die in ihren resp. Gruppen zu erkennenden Auszeichnungen. Ein kurzer Bericht über den Befund der Beurtheilung, nebst den Vorschlägen für die Preisvertheilung, wird sodann dem Präsidenten der Commission (Präsidenten des Gewerbvereins) übergeben. Sind die in solcher Weise angefertigten Berichte für alle Gruppen abgegeben, so ladet der Vorsitzende die ganze Commission zu einem gemeinsamen Umgang und zur Beaugenscheinigung der gesammten Ausstellung ein. Hierbei können ¦ die einzelnen Beurtheilungs-Commissäre mündliche Erläuterungen und Bemerkungen zu den ihrer Beurtheilung unterstellten Fabrikaten geben.

In hierauf folgenden Sitzungen der Gesammt-Commission tragen die Referenten ihre Vorschläge für die Preisvertheilung vor. Diese Vorschläge unterliegen der Berathung und Genehmigung der Gesammt-Commission.

Gesichtspunkte für die Beurtheilung der ausgestellten Gegenstände.

Als besonders zu berücksichtigende Momente bei der Beirtheilung der Ausstellungs-Gegenstände sind hervorzuheben:

Diese Gesichtspunkte für die Beurtheilung der Ausstellungs­gegenstände sind vorzugsweise maßgebend; sie werden in der ersten Plenar-Sitzung der Commission besprochen und so erläutert, daß die Gruppen-Commissäre ihr Beurtheilungs­geschäft in gleichem Geiste erfassen und durchführen. Sollte von irgend einem Mitglied der Commission besonderer Werth auf noch einen weiteren Gesichtspunkt gelegt werden, so bleibt es dem Beschluß der Gesammt-Commission überlassen, denselben zu adoptiren und ebenmäßig zu berücksichtigen.

Preismedaillen und Belobungen.

Den von der Beurtheilungs-Commission würdig befundenen Ausstellern werden, je nach dem Maße ihrer Auszeichnung, größere oder kleinere Denkmünzen, oder öffentliche Belobungen verliehen.

Die Auszeichnungen, über welche die Commission zu erkennen hat, bestehen:

  1. In großen, vergoldeten, silbernen Mediallen.
    Dieselben werden nur in verhältnißmäßig geringer Anzahl vergeben, nach strenger Prüfung, und wenn entweder alle oben bemerkten Gesichtspunkte der Beurtheilung, oder die Mehrzahl derselben für Verleihung dieser Medaillen sprechen.
  2. In großen bronzenen Mediallen.
    Auch diese Medaille kann nur verliehen werden, wenn mehrere der oben bemerkten Gesichtspunkte dafür sprechen. ¦
  3. In kleinen bronzenen Mediallen.
    Dieselben bezeichnen zunächst die Leistung in der betr. Geschäftsbranche; sie werden für vorzügliche Fabrikate verliehen.
  4. Lobende Erwähnungen.
    Dieselben werden Ausstellern verliehen, welchen zwar nicht die kleine bronzene Medaille zuerkannt werden kann, die aber durch schätzbare Leistungen, Fleiß und Geschicklichkeit, Tüchtigkeit in Gründung des Geschäfts etc. sich hierzu empfehlen.

Quelle: Gewerbeblatt für das Großherzogthum Hessen. Zeitschrift des Landesgewerbvereins. Nº 10 u. 11. März. 1861. Seite 83–86.

Die Ausstellung wurde in elf Gruppen eingeteilt, wovon die hier interessierende Gruppe 3 die Maschinen und Werkzeuge umfaßte. Diese wiederum wurden unterteilt in die Untergruppen:

  1. Mechanische Triebwerke, Dampfmaschinen, Dampfkessel, Lokomobile, kalorische Maschinen, Gasmaschinen, Göpel, Lasthebungs­vorrichtungen, Fuhrwerke, Feuerspritzen etc.
  2. Gewerbsmaschinen und Werkzeugsmaschinen, Werkzeuge aller Art, Nähmaschinen.
  3. Maschinen und Geräthe für den Acker- und Gartenbau, landwirtschaftliche Hülfsmaschinen. [12]
Annonce zum Bau der Maschinenhalle.

Abbildung 09.04: Ausschreibung des Auf- und Abbaus der für die Ausstellung vorgesehenen Maschinenhalle durch den Großherzoglichen Gewerbverein in der Darmstädter Zeitung vom 28. Juni 1861. Scan vom Mikrofilm. Nunmehr [online].

Ausschuß-Sitzung des Großherzoglichen Gewerbvereins am 23. Februar 1861.

1) Der Präsident eröffnete die Sitzung, begrüßte den neu gewählten Ausschuß und widmete dem Andenken des mittlerweile verstorbenen langjährigen Ausschußmitglieds, Maschinen­fabrikanten Michael Aleiter von Mainz, einige ehrende Worte.

2) Der Sekretär verlas den Geschäftsbericht über die Wirksamkeit des Vereins seit der letzten Ausschußsitzung. (Siehe S. 76.)

3) Der Präsident bemerkte, unter Bezugnahme auf die im Geschäftsbericht erwähnten Vorbereitungen für die Gewerbe­ausstellung, daß es sich jetzt zunächst darum handle, einen Plan festzustellen, nach welchem die Beurtheilungs-Commission für diese Ausstellung zu bilden und bei Zuerkennung von Auszeichnungen zu verfahren ist. Der Präsident bemerkte ferner, daß, unter Berücksichtigung der bei anderen Gewerbe­ausstellungen gesammelten Erfahrungen und der von den Großherzogl. Handelskammern geäußerten Wünsche, von der Centralstelle ein solcher Plan ausgearbeitet wurde und fordert den Sekretär auf, denselben zu verlesen. (Siehe unten, S. 83.)

In der hierauf folgenden längeren Berathung wurden weder die Prinzipien des vorgelegten Plans, noch dessen Haupt­bestimmungen beanstandet. Derselbe gab nur zu einigen Fragen und Bemerkungen Veranlassung.

Herr Kupferdrucker Felsing warf die Frage auf, ob es Absicht sei, bei der bevorstehenden Gewerbeausstellung auch an solche Gewerbtreibende Medaillen zu vergeben, welche bereits bei früheren inländischen Gewerbe­ausstellungen und anderen Anlässen Vereinsmedaillen erhalten hatten?

Die allgemeine Ansicht sprach sich dahin aus, daß bei der bevorstehenden Ausstellung ohne Rücksicht auf die früheren Ausstellungen und sonstige durch den Verein an inländische Industrielle gewährte Aus¦zeichnungen zu verfahren sei, daß vielmehr alle inländischen Gewerbtreibenden in ganz gleicher Weise bei der Preisvertheilung in Concurrenz zu treten haben.

Herr Oberbaurath Dr. Müller wünschte in dem Plan für die Bildung der Beurtheilungs-Commission einen bestimmten Termin festgesetzt zu sehen, bis zu welchem die Aussteller ihre Stimmzettel für die Wahl der Wahlmänner abzugeben haben. Nach verschiedenen Bemerkungen hierüber wurde beschlossen, daß, dieser Ansicht entsprechend, die Aussteller ihre Stimmzettel vier Wochen vor der Eröffnung der Ausstellung abzugeben haben.

Auf die weitere Bemerkung des Herrn Dr. Müller, wie man einer Zersplitterung der Stimmen bei der Wahl der Wahlmänner durch die Aussteller, und bei der Wahl der Beurtheilungs-Commissäre, zu begegnen gedenke, wurde bemerkt, daß dies am einfachsten durch Vorschläge geschehe, welche in dieser Beziehung von den Wahlberechtigten unter sich gemacht würden.

Auf eine andere Vemerkung, daß drei Beurtheilungs-Commissäre für jede Gruppe nicht ausreichen dürften, da einzelne Gruppen sehr verschiedenartige Gegenstände umfassen, deren Beurtheilung specielle Fachkenntnisse erheischen, wurde auf die Bestimmung des Plans verwiesen, wonach die Beurtheilungs-Commissäre jeder Gruppe Fachleute zur Beurtheilung der einzelnen Gegenstände nach Bedürfniß zuziehen und mit Gutachten hören könnten. Eine weitere Vermehrung der eigentlichen Beurtheilungs-Commissäre sei nicht räthlich.

Herr Fabrikant Büchner warf die Frage auf, ob bei der bevorstehenden Ausstellung, wie dies bekanntlich bei der Londoner internationalen Ausstellung der Fall gewesen ist, auch Kaufleute Gewerbserzeugnisse ausstellen dürften, welche dieselben nicht in eigenen Etablissements verfertigt haben. Diese Frage veranlaßte eine längere Discussion, in welcher Herr Obermedicinalrath Dr. Winkler an einem speciellen Fall erläuterte, daß dies in manchen Fällen allerdings wünschenswerth sein könnte. – Die Mehrheit der Ausschußmitglieder sprach sich schließlich dahin aus, daß Kaufleuten, welche Gewerbserzeugnisse auf dem Wege des Handels aus dem In- und Ausland beziehen, das Recht der Ausstellung dieser Erzeugnisse nicht zustehe, daß dagegen in Fällen, wo ein Kaufmann nach seinen speciellen Angaben, nach eignem Plan und Erfindung, in inländischen Werkstätten Gewerbserzeugnisse herstellen läßt, so daß er als Fabrikant zu betrachten ist, demselben das Recht der Ausstellung zusstehen kann. Die Fälle, in welchen Zweifel hierüber entstehen können, dürften nicht zahlreich sein. und der Präsident bemerkte, daß wenn sich solche Fälle ergeben sollten, er dieselben dem Ausschuß zur Entscheidung vorlegen werde. Der Präsident bemerkte ferner, er halte es für räthlich, von vorne herein und öffentlich darauf aufmerksam zu machen, daß die Ausstellung nicht zur Vorführung von allerlei Künsteleien bestimmt sei, sondern, daß sie praktische Ziele verfolge. Ideen für Perpetuum mobile's, wie solche die erste allgemeine deutsche Ausstellung in Mainz enthalten hat, und dergleichen mehr, seien deßhalb von der Aufnahme auszuschließen. Dagegen sei vorzugsweise darauf zu sehen, daß gangbare Industrieerzeugnisse, wie solche im Handel und Wandel von Bedeutung ¦ sind, geliefert werden. Der Ausschuß war hiermit vollkommen einverstanden.

4) Der Präsident trug den Entwurf des Budgets pro 1861 vor und erläuterte die einzelnen Positionen desselben. Er sprach hierbei wiederholt sein Bedauern darüber aus, daß durch Herabsetzung des früheren Mitglieder­beitrags von 3 fl. auf 1 fl. 36 kr. die Mittel des Vereins so beschränkt worden seien, daß man sich auf größere Unternehmungen nicht mehr einlassen könne. Dies werde jetzt wieder besonders empfindlich gefühlt, wo die bevorstehende Gewerbe­ausstellung bedeutende Geldmittel erheische. Geroßherzogliches Ministerium habe zwar auf den dieserhalb gestellten Antrag eine Unterstützung für die Kosten der Gewerbe­ausstellung bis zum Betrag von 1000 fl. aus dem Fonds für öffentliche und gemeinnützige Zwecke bewilligt, man werde aber hiermit wahrscheinlich nicht ausreichen, und es sei deßhalb nothwendig, wenigstens die gleiche Summe von 1000 fl. auch im Budget des Gewerbvereins für die Ausstellung vorzusehen. Da alle anderen Rubriken des Voranschlags so gegriffen sind, daß daran nicht gespart werden kann, so bleibe nichts anderes übrig, als an den seitherigen Bezügen der höchst dotirten Lokalgewerb­vereine pro 1861 entsprechende Abzüge zu machen, um die Rubrik VIII auf 1000 fl. zu bringen. In Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse der einzelnen Lokalvereine seien daher an der seitherigen Dotation des Darmstädter Lokalvereins 260 fl., an der des Mainzer Vereins 100 fl., bei Offenbach 50 fl. und bei Gießen 30 fl. in Abzug gebracht worden.

Der Ausschuß ertheilte dieser Anordnung und dem aufgestellten Budget seine Genehmigung. Einige Ausschußmitgliieder sprachen sich zugleich dahin aus, daß später der Antrag wegen Erhöhung der Beiträge wiederholt an die Generalversammlung zu bringen sein dürfte.

[…]

Quelle: Gewerbeblatt für das Großherzogthum Hessen. Zeitschrift des Landesgewerbvereins. Nº 10 u. 11. März. 1861. Seite 73–76.

Annonce zur Ausstellungseröffnung.
Abbildung 09.05: Annonce des Groß­herzoglichen Gewerb­vereins zur Ausstellungs­eröffnung. Das hier erwähnte Festessen wird im Verlaufe des Tages sicherlich noch ein ordentliches Besäufnis nach sich gezogen haben. Das war (und ist unter Männern bis heute) so üblich. Quelle: Darmstädter Zeitung vom 3. September 1861, Scan vom Mikrofilm. Nunmehr [online].

Selbstverständlich berichtete die „Darmstädter Zeitung“ ausführlich über die Ausstellung und die dort zu besichtigenden Gegenstände und Maschinen. Dabei blieb sie auch am Stand der Darmstädter Maschinenfabrik stehen.

„Die Maschinenfabrik und Eisengießerei in Darmstadt zeigt uns in höchst gediegener Ausführung eine Locomobile von 6 Pferdestärken, welche zugleich die anderen Arbeitsmaschinen dieser Fabrik in Thätigkeit setzt, eine Paralleldrehbank, eine Stoßmaschine, eine Lochmaschine mit Scheere, 2 liegende Hochdruck­dampfmaschinen, eine Feilmaschine, verschiedene Schmiedestücke, Gußstücke, zwei Dampfkessel etc., sowie endlich eine sehr interessante Ausstellung von Geschossen für Kanonen nach dem preußischen, österreichischen und whitworth'schen System. Die gediegenen Leistungen dieses bedeutenden Etablissements sind bekannt, sowohl im Fach des eigentlichen Maschinenbau's als der Bau-Mechanik.“ [13]

Die hier anzutreffende Erwähnung von Kanonengeschossen ist einer der wenigen Hinweise, den ich bislang für eine Rüstungs­produktion dieses Unternehmens finden konnte. Der zugehörige Ausstellungskatalog [14] listet das Unternehmen in der dritten Gruppe „Werkzeuge und Maschinen“ unter der Nummer 76 mit nachfolgender, vom Unternehmen selbst eingereichter Beschreibung der ausgestellten Gegenstände mitsamt verlangten Preisen auf.

Leider werden in dem schmalen Heftchen mit dem Verzeichnis der Aussteller und ihrer Exponate keine näheren Beschreibungen oder gar bildliche Darstellungen gegeben. Das tat dem schaulustigen Publikum keinen Abbruch. Die Main-Neckar-Eisenbahn beförderte den Zuspruch durch vergünstigte Rückfahrkarten. Der Gewerbeverein organisierte kostenlose Vorträge zu den „interessanten Gegenständen“, so etwa zur kalorischen Maschine, etwas allgemeiner über das Eisen, oder über Nähmaschinen. Die Vorträge wurden im Lehrsaal des chemischen Laboratoriums abgehalten. Für den Nachmittag des 22. September, einem Sonntag, wurde die Zahl der Besucherinnen und Besucher mit 2.000 angegeben, „darunter sehr viele Fremde und Landleute“. [15]

Die Juroren benennt das Gewerbeblatt in seiner Septemberausgabe.

„Auszug aus dem Protokoll, die Berathungen der Beurtheilungs-Commission über die Vergebung der Preismedaillen betr.

In Folge des früher ausgegeben Programms (siehe Gewerbeblatt Nr. 10 u. 11 v. 1861) über die von dem Großherzogl. Gewerbverein veranstaltete Gewerbe­ausstellung waren für die verschiedenen Gruppen des Katalogs nachstehend verzeichnete Mitglieder für die Beurtheilungs-Commission gewählt worden:

Für die Gruppen I. und II. [Mineralien, Rohstoffe, Nahrungsmittel, WK] gemeinschaftlich, die Herren: Professor Dr. Moldenhauer in Darmstadt, Dr. Thiel, Lehrer der chemischen Technologie an der höheren Gewerbschule in Darmstadt, Jäger, Großh. Bergmeister in Dorheim, Karl Liebig, Materialist in Darmstadt, Dr. Büchner, Lehrer der Chemie an der höheren Gewerbschule in Darmstadt und Ritsert, Großh. Mundschenk in Darmstadt.

Für die Gruppe III. die Herren: Wernher, Direktor der Taunus-Eiisenbahn in Frankfurt a. M., Dr. Zeller, Großh. Regierungsrath in Darmstadt und Becker, Großh. Maschinenmeister an der Main-Neckar-Eisenbahn in Darmstadt.

Für die Gruppe IV. [Instrumente, WK] die Herren: Schleiermacher, Ministerialrath in Darmstadt, Hügel, Geh[eimer] Obersteuerrath in Darmstadt und List, Forte-Piano-Fabrikant in Darmstadt.

Für die Gruppe V. [Leder- und Pelzwaren, WK] die Herren: Joh. Müller jun., Gerbereibesitzer in Bensheim, Chr. Söder, Schuhmacher­meister in Darmstadt und Simon Wolff, Schuhfabrikant in Mainz (Letzterer wirkte jedoch bei Beurtheilung der Schuhwaaren, da er selbst Aussteller ist, nicht mit).

Für die Gruppe VI. [Textilien, WK] die Herren: Wilhelm Schwab, Kaufmann in Darmstadt, Louis Zöppritz, Kaufmann in Darmstadt, und Caspar Schlosser, Kaufmann in Darmstadt.

Für die Gruppe VII. [Metallwaren, Waffen, Juwelierarbeiten, WK] die Herren: Wernher, Direktor der Taunus-Eisenbahn in Frankfurt a. M., Rößler, Großh. Ober-Baurath in Darmstadt und Buschbaum, Mechaniker in Darmstadt.

Für die Gruppe VIII. [Stein-, Ton und Glaswaren, WK] die Herren: Schneider, Thonwaaren­fabrikant in Mainz, B. Harres, Großh. Baurath und Lehrer an der höheren Gewerbschule in Darmstadt und Louis, Stadtbau­meister in Darmstadt.

Für die Gruppe IX. [Holzarbeiten, WK] die Herren: Kratz, Hoftapezier in Darmstadt, Schröder, Lehrer an der höheren Gewerbschule in Darmstadt und Pfeiffer, Tapezier in Darmstadt.

Für die Gruppe X. [Papier, Tapeten, Drucke, WK] die Herren: Heinrich Felsing, Kupferstecher in Darmstadt, Pfnor, Großh. Kanzleirath in Darmstadt und Pfeiffer, Tapezier in Darmstadt.

Für die Gruupe XI. [Bildende Künste, WK] die Herren: Schleiermacher, Ministerialrath und Direktor des Großherzogl. Museums in Darmstadt, Professor Fesling, Kupferstecher in Darmstadt und B. Scholl, Hof-Bildhauer in Darmstadt.“ [16]

August Wernher, zu besagtem Zeitpunkt Direktor bei der Taunus-Eisenbahn, begegnete uns schon im dritten Kapitel als Direktor der Maschinenfabrik und Eisengießerei in den 1840er Jahren. Es ist nunmehr zwar nicht mehr dasselbe private Unternehmen wie anderthalb Jahrzehnte zuvor, aber es ist schon ein wenig pikant, wenn ein früherer Direktor über die Nachfolge-Aktien­gesellschaft seines ehemaligen Betriebes urteilen soll. Ob 1861 jemand darin ein Problem gesehen hat, ist nicht überliefert.

Reisebericht.

Abbildung 09.06: Anzeige der Verlängerung der Gewerbe­ausstellung bis zum 6. Oktober 1862 mit dem Hinweis verbunden, daß die beiden Darmstadt berührenden Eisenbahn­gesellschaften ermäßigte Fahrausweise zum Besuch der Ausstellung ausgeben. Quelle: Darmstädter Zeitung vom 26. September 1861, Scan vom Mikrofilm. Nunmehr [online].

Aus diesem Auszug aus dem Protokoll der Beratungen der Beurteilungs­kommission erfahren wir die vollständige Liste der Preisträger. Die versammelten Commissäre traten viermal zwischen dem 25. September und dem 5. Oktober 1861 zusammen, um „nach sorgfältiger Besichtigung und Prüfung“ ihren Medaillenregen auf die Aussteller darniederprasseln zu lassen. Es wurden nämlich zwölf große Medaillen aus vergoldetem Silber verliehen, 54 große bronzene Medaillen, 102 kleine bronzene Medaillen und 74 ehrenvolle Erwähnungen. Die zwölf Hauptpreisträger waren: die chemische Fabrik E. Merck Darmstadt (Katalognummer 19), Wilhelm Büchner, Betreiber der Ultramarin­fabrik in Pfungstadt bei Darmstadt (10), der Tabakfabrikant Carl Gräff aus Bingen (56), die Maschinenfabrik und Eisengießerei aus Darmstadt (76) [17], die Wagen­fabrikanten Gastell und Harig aus Mainz (383), der Hofmechanikus Georg Siener aus Darmstadt (103), J. Schröder als Inhaber eines polytechnischen Arbeitsinstituts in Darmstadt (123), die Lederfabrikanten Mayer, Michel und Denninger aus Mainz (126), der Hofhutfabrikant Heinrich Schuchardt aus Darmstadt (208) [18], J. W. Buderus Söhne als Hüttenbesitzer in Hirzenhain und Friedrichshütte (224, 225, 5 und 82), der Möbelfabrikant Wolfgang Knußmann aus Mainz (280 und 420), sowie der Tapetenfabrikant Felix Hochstätter aus Darmstadt (338).

Johann Ludwig Buschbaum, der 1837 die Maschinenfabrik unter der Firma Buschbaum & Comp. mitbegründet hatte, erhielt die große bronzene Medaille (80). Seine Exponate umfaßten einige feinere Waagen, eine kleine Feuerspritze, eine Bohr- und eine Hobelmaschine, eine Prägemaschine für Zündhütchen aus eigener Konstruktion, eine Drehbank und einen magnetischen Schwimmer für Dampfkessel [19]. Der Enkel des bzw. eines anderen (stillen) Teilhabers von 1837, namens Hektor Rößler wie sein Großvater, erhielt keine Auszeichnung, was aber nicht an der Qualität seines ausgestellten Produkts gelegen haben wird. Er hatte unter der Katalognummer 85 eine Prägemaschine für Scheidemünzen vorgestellt und damit an das Erbe seines Großvaters angeknüpft.

„Die Gesammt-Beurtheilungs-Commission beschloß, die Großherzogl. Braun­kohlenwerke Dorheim und Salzhausen, die Großherzogl. Salinen Salzhausen und Theodorshalle, ferner die Großh. Münze (Aussteller Herr Münz-Assistent Rößler) und die Werkstätte der Main-Neckar-Eisenbahn dahier, welche sich bei der Gewerbe-Ausstellung betheiligt haben und für welche theilweise Preismedaillen wegen vorzüglicher Fabrikate und Produkte beantragt wurden, grundsätzlich bei der Preisvertheilung nicht zu berücksichtigen, die Preisvertheilung vielmehr nur auf die Privatindustrie zu beschränken.“ [20]

Was auf eine gewisse Weise durchaus nachvollziehbar erscheint. Nach der wirtschaftsliberalen Ideologie hat sich der Staat aus den Geschäften des Kapitals herauszuhalten. Staatliche Unternehmen zu belobigen und zu fördern, wäre demnach widersinnig.

Kreis und Speis

Schneiders Konstruktion.
Abbildung 09.07: Konstruktionszeichnung von Schneiders Dampf­maschine, Quelle: Poly­technisches Journal, Band 163 (1862), Seite 497, Lizenz: cc-BY-NC-ND 3.0.

Der im Unternehmen beschäftigte Konstrukteur Josph Schneider beschrieb 1862 im „Polytechnischen Journal“ eine schnell­drehende Dampfmaschine, wie sie etwa zum Betrieb von Kreissägen genutzt werden kann. Demnach habe Schneider eine solche Dampfmaschine auf einer Industrie­ausstellung in Cincinnati (Ohio, USA) in Gang gebracht. Bei der dortig 1858 abgehaltenen Industrie­ausstellung scheint er unter der Nummer 561 nur ein Modell vorgestellt zu haben; die Begeisterung der Jury war jedenfalls verhalten.

„This engine, from its novelty, would attract the attention of a Machinist. Whether it is original with the exhibitor we are not prepared to state. The ingenuity displayed in its arrangement and construction, would, in the opinion of your Committee, call for favorable attention from the Institute. We, howewer, consider it an impracticable machine to be used as a motive power.“ [21]

1861 sollte die Maschinenfabrik und Eisengießerei ihre beiden ersten Dampf­lokomotiven für den Bauunternehmer F. G. Ehlert in Neckarelz bauen. Der Schritt von der stehenden Dampfmaschine über die Lokomobile zur Dampflokomotive war durchaus naheliegend, auch wenn sich nicht viele Dampfmaschinen­hersteller dazu entschließen sollten. Denn hier ist nicht nur das Know-How des Dampf­maschinenbaus zu berücksichtigen, vielmehr erfordert die Konstruktion einer Dampf­lokomotive speziellere Kenntnisse des Antriebs, der Steuerung und der Schwerpunkt­belastung. Die Geschichte des Darmstädter Lokomotivbaus wird im zehnten Kapitel ausführlicher behandelt. Der nachfolgend wiedergegebene Text des Gewerbeblatts für das Großherzogthum Hessen bezieht sich jedoch nicht auf diese beiden Lokomotiven. Der hier genannte Maschinenmeister Becker arbeitete in der Zentralwerkstätte der Main-Neckar-Eisenbahn in Darmstadt.

Giffard's selbstthätige Speisevorrichtung für Dampfkessel.

In Nr. 40 des Gewerbeblatts von 1860 haben wir eine Beschreibung mit Abbildung der Giffard'schen Speisevorrichtung für Dampfkessel gegeben. Von einem inländischen Fabrikanten wurde kürzlich die Frage an uns gerichtet, wie sich diese Vorrichtung in der Praxis bewährt hat? Wir haben deßhalb die Herren Maschinenmeister Becker und Direktor Horstmann dahier ersucht, uns ihre Wahrnehmungen in dieser Hinsicht mitzutheilen. Die uns gütigst ertheilten Antworten theilen wir im Nachstehenden mit.

Herr Maschinenmeister Becker bemerkt:

Giffards Speisepumpe.
Abbildung 09.08: Giffards Speiseinjektor. Quelle: Poly­technisches Journal, Band 153, 1859, cc-BY-NC-SA 3.0 [online].

Wir haben an einer Locomotive einen Original-Apparat von Giffard seit etwa einem Jahr angebracht. Derselbe hat sich bis jetzt ganz gut bewährt, namentlich, wenn es sich um die Frage handelte, ob er überhaupt richtig und zuverlässig speist. Die normale Dampfspannung im Kessel betrug 75 Pfd. engl. = 5 Atmosphären. Beim Ingangsetzen des Apparats hob sich das Wasser im Kessel in 3 Minuten um 3 Zoll, was in dem vorliegenden Falle ein Quantum von 21 hess. Cubikfuß betrug. Einen Anstand gab es selten, und nur dann, wenn der Apparat nicht ganz in Ordnung, z. B. eine Stopfbüchse nicht mehr richtig gegliedert war; bei einiger Uebung läßt sich der Apparat sehr leicht handhaben. Das Wasser im Reservoir (hier der Tender) durfte bei obiger Dampfspannung nicht wärmer als 30° R. sein, konnte aber bei abnehmender Dampfspannung eine entsprechend höhere Temperatur enthalten; je kälter das Wasser war, desto leichter ging die Speisung vor sich, die Wirkung des Apparats ist nämlich dadurch bedingt, daß der Dampfstrahl in demselben durch das aufgesaugte Wasser condensirt wird. Ferner durfte das Niveau des Wassers in dem Reservoir nicht tiefer als 30 Zoll hess. unter der Mittelachse des horizontal liegenden Apparates stehen, weil dann die Speisung mangelhaft war, oder gar versagte. Bei aufrechter Stellung des Apparates würde man dementsprechend Sorge tragen müssen, daß das Wasser im Reservoir nicht tiefer als angegeben, unter die unterste Rohrmündung im Apparate sinkt. Bei geringerem Drucke im Kessel, als oben angegeben, durfte, unbeschadet der richtigen Speisung, das Wasserniveau im Reservoir entsprechend tiefer fallen. Im stehenden Zustand der Maschine waren alle hier genannten Verhältnisse etwas günstiger, als während der Fahrt, wobei jedenfalls das schwankende Wasser im Tender nachtheilig eingewirkt hat.

Bei Locomotiven ist man sehr häufig in der Lage, den sämmtlichen überflüssigen Dampf, statt ihn durch die Ventile unbenutzt in's Freie zu lassen, zum Vorwärmen des Wassers im Tender, selbst bis zu 65° R. verwenden zu können; bei einer Locomotive mit einem Giffard'schen Apparate statt der gewöhnlichen Pumpen kann nun dieser Vortheil nicht ausgebeutet werden, man muß hierbei häufig, namentlich beim Stationiren der Maschine, wenn das Wasser einmal bis zu 30° im Tender vorgewärmt ist, den überflüssigen Dampf unbenutzt entlassen.

Deßhalb ist es meiner Ansicht nach bei Locomotiven augenscheinlich nicht so gewiß, ob durch genannten Apparat überhaupt eine Kohlen­ersparniß herbeigeführt wird; Versuche, die dieß constatiren sollen, müssen in ausgedehnter Weise vorgenommen werden, da die verschiedenen Factoren, welche auf den Kohlenverbrauch einwirken, fast täglich verschieden sind. Aus der Theorie des Apparates aber eine Kohlenersparniß nachweisen zu wollen, halte ich für zu gewagt.

Anders ist es bei stehenden Maschinen, bei welchen man seltener in der Lage ist, auf eine zweckmäßige Verwendung des überflüssigen Dampfes denken zu müssen. Hier dürfte es zunächst darauf ankommen, ob der verbrauchte abgehende Dampf etwa zur Erwärmung einer benachbarten Localität benutzt werden soll, oder ob man ihn zum Vorwärmen des Speisewassers in dem Reservoir verwenden will. Ist der erstere Fall mit Vortheil anzuwenden, und müßte man außerdem zum Vorwärmen des Wassers, wie dieß häufig geschieht, noch ein besonderes Feuer unterhalten, dann ist der Giffard'sche Apparat zur Kesselspeisung unbedingt zu empfehlen, weil er kein warmes Wasser im Reservoir erfordert, da letzteres beim Passiren durch den Apparat eine Erhöhung der Temperatur um 20 bis 35° erfährt, und ferner eine nachtheilige Abkühlung des Kessels durch kaltes Wasser niemals erfolgen kann. Ein weiterer Vortheil des Apparates ist der, daß man ihn bei geringer Spannung im Kessel von etwa nur 12 bis 15 Pfd. noch zur Speisung verwenden kann, während sonst die Maschine und mit ihr die gewöhnliche Speisepumpe mit dieser Spannung nicht mehr in Gang zu bringen gewesen wäre.

Die Anlagekosten einer gewöhnlichen Speisepunpe zur Dampfmaschine incl. Bewegungs­mechanismus sind ungleich theurer, als ein Giffard'scher Apparat; ebenso ist die Unterhaltung der Pumpe kostspieliger.

Herr Direktor Horstmann bemerkt:

Auf Ihre Anfrage bemerke ich, daß sich die Injecteure als gute Reserve­speisvorrichtungen bewährt haben.

Wir liefern dieselben in Commission von Schäffer u. Budenberg in Magdeburg (Buckau):

Quelle: Gewerbeblatt für das Großherzogthum Hessen. Zeitschrift des Landes­gewerbvereins. Nº 9, Februar 1862, Seite 65–67.


»»  Weiterführende Links:

„To HENRI JACQUES GIFFARD, an eminent French mathematician and engineer, belongs the honor of having invented the simplest apparatus for feeding boilers that has ever been devised, utilizing in a novel and ingenious way the latent power of a discharging jet of steam.“ (Strickland L. Kneass, 1821–1884) [23]

Eine verbesserte Fassung des Giffard'schen Injektors entwickelte der österreichische Industrielle Alexander Friedmann (1836–1882). Seine Dampfstrahl­speisepunpe sollte tatsächlich zur Dampferzeugung im Lokomotivbau eingesetzt werden.

Von Zeit zu Zeit suchte die Maschinenfabrik auch außerhalb Darmstadts nach technisch versiertem Personal. Nach dem kurzen Gastspiel von Theodor Beck benötigte das Unternehmen einen Maschinen­konstrukteur. In einer Annonce im „Fränkischen Herold“ (Nürnberg) am 1. April 1862 [online bsb münchen] und nochmals tags darauf hieß es lapidar: „Die Maschinenfabrik und Eisengießerei Darmstadt sucht einen erfahrenen Constructeur für Werkzeuge und Fabrikeinrichtungen.“

Nichts ausgestellt in London

1862 fand in London ein halbes Jahr lang vom 1. Mai bis zum 1. November eine weitere Weltausstellung statt, zu der die Maschinenfabrik zunächst auch gemeldet hatte. Ausgestellt hat sie dort jedoch nicht, statt dessen nutzte sie geschickt den Ausstellungs­katalog der Zollvereins­staaten, um Werbung für die eigene Dampflokomotive und einen Dampfpflug zu machen.

Die deutsche Wirtschaft nahm die Ausstellung ernst und versuchte, sich bestmöglich zu präsentieren. Das Großherzogtum Hessen übernahm die Kosten für den Transport und die Ausstellungstische, aber auch für eigene Commissäre, um die Interessen der Aussteller zu vertreten. Insgesamt waren hierfür 9.040 Gulden vorgesehen. Da die Möglichkeiten zur Präsentation in den englischen Katalogen als nicht ausreichend oder zu kostspielig angesehen wurden, kamen die Zollvereins­staaten auf die Idee, einen eigenen Katalog auf Deutsch und Englisch herauszugeben. Als Erstauflage waren 5.000 deutsche und 2.500 englische Kataloge vorgesehen, weitere Auflagen sollten zu je 2.500 Exemplaren in beiden Sprachen erscheinen. Für die Aufnahme in den Annoncenteil lagen die Sätze bei der Erstauflage für eine ganze Seite bei fünfzehn Talern, bei weiteren Auflagen waren pro Seite fünf Taler fällig. Die Aussteller hatten die Wahl, ob sie im deutschen, englischen oder in beiden Katalogen annoncieren wollten, auch stand es ihnen frei, auf den Wiederabdruck bei weiteren Auflagen zu verzichten.

Die Ausstellung in London wurde von folgenden Darmstädter Unternehmen beschickt: E. Merck Darmstadt mit Chemikalien, Friedrich August Wenck mit Zigarren, G. Glöckner und Friedrich Schmitt (Schmidt) jeweils mit Seifen, Heinrich Keller (Sohn) mit Samen, Johannes Jordan und Sohn mit einer Dampf­röhrenpresse, Karl (Carl) Delp mit Waffen, Heinrich Schuchardt mit Hüten, die Gebrüder Wüst mit bunten Papieren, Maximilian Frommann und Wolfgang Reuter jeweils mit Spielkarten, Ferdinand Wirtz mit Landkarten, E. Hemmerde & Comp. mit Strohpapier, Fr. Lößer mit Zeichen­werkzeugen, J. Schröder mit Lehrmodellen und Nähmaschinen, und Felix Hochstätter mit Tapeten.

Angemeldet, aber nicht erschienen waren der Seifenfabrikant August Jakobi, G. Kühnst mit drei Pianos, die Maschinenfabrik und Eisengießerei, der Fotograf Sedi Herz, der Kaufmann Carl Netz mit Seiden, der Buchbinder Robert Deufel, Peter Thüring mit Holzschnitz­waren, L. C. Hebberling mit Korbwaren, W. Beyerle mit Lehrmitteln, Hofmaler Hartmann mit Ölgemälden, Philipp Diehl mit Schulschriften sowie Georg Siener mit Meßinstrumenten. [24]

Katalognummer 512.
Abbildung 09.09: Katalognummer 512 in der englischen Ausgabe des Zollvereins-Katalogs zur Welt­ausstellung in London 1862, page 36. Quelle: Digitalisat der BSB München.

Die Maschinenfabrik nutzte die beiden Katalogvarianten des Zollvereins auf unterschiedliche Weise. Während in der englischen Fassung die Maschinenfabrik mit den Herren Venator und Horstmann als Direktoren auftraten, fehlt diese Angabe in der deutschen Fassung. Statt dessen verweist die Maschinenfabrik im Anzeigenteil auf ihre beiden, nun ja, Zugpferde. Diese beiden ganzseitigen Annoncen wurden sicherlich in Hinblick auf den deutschen Markt aufgegeben. Aus dem Katalogteil hingegen geht hervor, was die Maschinenfabrik gedachte auszustellen, sofern sie jemals ernsthaft vorgehabt haben mag, sich vor Ort an der Ausstellung zu beteiligen.

„Eine lokomobile Dampfmaschine von 6 Pferdekräften mit Vorwärmer, Regulator und Blechverkleidung, 2000 fl.; eine Nuthen­stossmaschine mit vierfach verschiebbarem Support und 180 Millimeter Hub, 800 fl.“ [25]

Hierbei ist zu berücksichtigen, daß es 1861/62 nach den Angaben der Bank für Handel und Industrie Probleme mit der kaufmännischen Leitung des Unternehmens gab; insofern ist nicht ganz auszuschließen, daß die ursprüngliche Meldung zwar ernst gemeint war, dann aber aufgrund der internen Probleme nicht weiter verfolgt wurde.

Im Anzeigenteil bewarb das Unternehmen seine kleine Tender­lokomotive von 15 Pferdestärken, sowie einen Dampfpflug. Möglicherweise handelt es sich bei der Lokomotive um das Modell, das im Jahr zuvor an den Bauunternehmer Ehlert nach Neckarelz geliefert wirden war. Im Anzeigentext wurde ausgeführt, daß die beworbene Tenderlok mit vier gekuppelten niedrigen Rädern darauf ausgerichtet war, zehn Tonnen Gewicht mit einer Geschwindigkeit von sieben Stunden­kilometern für Kohle- und Erdtransporte zu ziehen. „Sie werden besonders beim Bau der Eisenbahndämme, zum Transport der Kohlenwagen aus den Gruben nach den Eisenbahn-Stationen und in den Bahnhöfen zum Ordnen der Züge verwendet.“ Für eine derartige Lokomotive wurden bei einer Spurweite von 900 mm 5.000 Gulden verlangt, für eine Normalspur­ausführung 500 Gulden mehr. Für die Variante mit einer Zugkraft von 20 Tonnen und einer Leistung von 30 Pferdestärken waren 8.500 Gulden zu entrichten.

Annonce der Lokomotive.

Abbildung 09.10: Annonce der Lokomotive in der deutschen Ausgabe des Zollvereins-Katalogs zur Weltausstellung 1862 in London, Seite LXVI. Quelle: Digitalisat der BSB München.

Ein ähnliches Modell, hier mit vier breiten schmiedeeisernen Rädern, wurde im Katalog als Dampfpflug angeboten. Dieser Dampfpflug habe, so der Prospekt,

„gegen die besten englischen Dampfpflüge von FOWLER den Vortheil, dass dabei die zeitraubende Aufstellung des Drahtzuges mit Anker, Rollwagen und Windapparat wegfällt und der Dampfpflug sogleich bei Ankunft auf dem Felde seine Arbeit beginnen kann.“

Als weitere, das Anlagekapital bestmöglich verwertende Vorteile werden genannt, daß diese leichte Lokomobile auf der Straße zum Transport von Lasten, aber auch als stehende Dampfmaschine für den Betrieb von Dreschmaschinen, Sägewerken und Mühlen verwenden lasse. Für den Einrichtungs­betrieb wurden 4.500 Gulden verlangt; die Ausführung zum Pflügen in beiden Richtungen, ohne umzudrehen, kostete zusätzliche 500 Gulden. [26]

Annonce des Dampfpflugs.

Abbildung 09.11: Annonce des Dampfpflugs in der deutschen Ausgabe des Zollvereins-Katalogs zur Weltausstellung 1862 in London, Seite LXVII. Quelle: Digitalisat der BSB München.

Die Annonce scheint zumindest teilweise ihren Zweck erfüllt zu haben. Mit Beginn der Weltausstellung wurde nicht nur in der Fachpresse über die Dampfpflüge der Darmstädter Maschinenfabrik gesprochen.

„Das Dampfpflügen macht Fortschritte! In der Maschinenfabrik und Eisengießerei zu Darmstadt wird bereits ein 3schariger Pflug mit einem leichten Locomotive von 8 Pferdekraft gebaut (ciurca 5000 fl.), womit man in 1 Stunde nahezu ¾ bayr[isches] Tagw[erk] pflügen kann. Das Locomotiv, mit sehr breiten Rädern versehen geht dem Pfluge voran, ist leicht wendbar und läßt zeitraubende Aufstellung des Drahtzuges mit Anker, Rollwagen und Windapparat des Fowler'schen Dampfpfluges ersparen.“ [27]

Viele dieser Dampfpflüge kann die Maschinenfabrik nicht verkauft haben. Ohnehin scheinen wirtschaftliche Hindernisse einer flächen­deckenden Einführung im Wege gestanden zu haben.

„(Das Dampfpflügen), welches im verflossenen Jahre namentlich in Nord­deutschland öfters probirt wurde (es liegen 5 Berichte vor) hat das Endergebniß gehabt, daß gemeine Pflugarbeit zu 4 bis 6 Zoll Tiefe, wie sie unsere Pferde und Ochsen verrichten, sich durch Dampfpflügen zur Zeit nicht rentirt. Es käme das bayerische Tagwerk zu pflügen auf 7 bis 9 fl. zu stehen. – Wenn man aber ebenes und steinfreies, tiefgründiges und schweres Land ohne Gräben etc. hat und will tief, selbst bis 1½ Fuß tief pflügen, dann rentirt sich der Dampfpflug, der mit Lokomobile 12-15.000 fl. kostet.“ [28]

Während die Maschinenfabrik zu Hause blieb, scheint die Veranstaltung für die ausstellenden hessischen Unternehmen zumindest beim Einheimsen der Preise ein voller Erfolg gewesen zu sein. Die große Ausbeute läßt allerdings die Frage zu, ob das Preisgericht geradezu verschwenderisch mit der Prämierung von Waren aus dem Großherzogtum umgegangen ist. Von den einhundert erschienenen Ausstellern erhielten 48 eine Medaille und 23 eine ehrenvolle Erwähnung, was einer Preisquote von 71 % entspricht. Daß das Unternehmen Merck zu den Preisträgern gehört hat, war zu erwarten gewesen, denn das Preisgericht begeisterte die umfassende und bewundernswerte Reihe von organisch-chemischen Produkten. Der Tabakfabrikant Wenck erhielt seine Medaille für die ausgezeichnete Fabrikation von Zigarren und Tabak, welche angeblich einen wohltätigen Einfluß auf die Arbeiterklassen ausübe. Andere mit Medaillen prämierte Darmstädter waren G. Glöckner für seine Seifen, Jordan und Sohn für die Presse, Schuchardt für seine Filzhüte, Frommann und Reuter für die Wohlfeilheit ihrer Spielkarten, die Gebrüder Wüst für die Nettigkeit in der Ausführung von Fantasie- und marmorierten Papieren, Schröder für seine Unterrichts­materialien, und Hochstätter für die Billigkeit bei der Herstellung seiner Tapeten. Nur zu einer ehrenvollen Erwähnung reichte es bei Schmidt für seine Seifen. [29]

Wenn frau oder man bedenkt, daß der finanzielle Einsatz der Maschinenfabrik vielleicht nur dreißig Taler betragen hat, plus eventuell Kosten der grafischen Umsetzung und der Aufnahme in den Textteil des Katalogs, und daß sie sich hierfür nur anmelden, aber nicht ausstellen mußte, dann handelte es sich auch ohne Preismedaille um eine geschickte Marketingaktion. Ob sich hieraus aber auch neue Aufträge ergeben haben, ist eine andere Frage. Jedenfalls hatte das Unternehmen einmal kurz auf sich aufmerksam gemacht.

Es ist vielleicht kein Zufall, daß die Maschinenfabrik ihren Dampfpflug dem zollvereins­deutschen Publikum vorgestellt hat. Wenn die zugrunde liegende Information stimmt, dann wurde im Großherzogtum Hessen der erste Dampfpflug erst ein Jahrzehnt später, nämlich 1873 eingesetzt, und zwar im Rheinfelder Hof bei Wallerstädten im Kreis Groß-Gerau und im Hofgut Haina (Hayna) in der Nähe von Leeheim im hessischen Ried. [30]

Handelsfragen

1860 versammelten sich Vertreter deutscher Gasanstalten in Nürnberg und initiierten eine Bewegung mit dem Ziel, den Bezug von Steinkohlen zu verbilligen. Dieses Anliegen wurde von Industriellen auch anderer Branchen geteilt, die alle von niedrigeren Transport­kosten profitieren würden. Daraus entstand eine Erklärung, die per Unterschriften­sammlung politisches Gewicht erhalten sollte. Diese Unterschriften wurden 1861 in mehreren Ausgaben des Journals für Gasbeleuchtung veröffentlicht. In Darmstadt wurde die Erklärung natürlich von der Actien­gesellschaft für Gasbeleuchtung unterstützt, aber auch von der Bank für Handel und Industrie, der Blumenthal'schen Maschinenfabrik, verschiedenen Dampfmaschinen­besitzern und Maschinenfabriikanten, und nicht zuletzt von der Maschinenfabrik und Eisengießerei[31]

Erklärung zum Einpfennigtarif.
Abbildung 09.12: Erklärung zum Einpfennigtarif vom März 1861 [online bsb münchen].

Mit dieser Erklärung vom März 1861 wurde ein Transporttarif für Kohle von einem Pfennig (360 Pfennige ergaben einen Thaler) pro Zentner und preußischer Meile von 7.428 Metern gefordert.

Erstmals wurden 1848/49 Kohlen zu einem Einpfennigtarif transportiert, um Kohlen aus Oberschlesien nach Berlin zu bringen. Die privaten Eisenbahn­gesellschaften waren aber nur auf massiven Druck hin bereit, ihre Tarife zu senken. Der Kohlen­transport macte zunächst nur einen geringen Anteil am Umsatz aus, konnte dann aber auf ein Viertel oder mehr der Einnahmen gesteigert werden.

„Der Einpfennigtarif war in den 1860er und 1870er Jahren durchaus noch umstritten. Er war keineswegs überall eingeführt und in den 1870er Jahren erhöhten sogar einige Bahnen ihre Tarife für Kohlefrachten.“

„Die vor allem von der preußischen Regierung und den Zechen­eigentümern geforderte Tarifsenkung stieß bei den privaten Eisenbahn­gesellschaften zunächst auf wenig Gegenliebe, befürchteten sie doch einen beträchtlichen Einnahmeausfall. Die Eisenbahn­gesellschaften bemerkten erst nach und nach, daß ihrem gesenkten Preis eine deutlich über­proportionale Nachfrage­steigerung nach Kohletransporten gegenüberstand, durch die sich ihre Gewinne beträchtlich erhöhen ließen.“ [32]

1862 schlossen der Zollverein und Frankreich einen Handelsvertrag ab, der auf ein Sinken bestimmter Zölle zur Förderung des gegenseitigen Handels ausgerichtet war. Naturgemäß gab es auf beiden Seiten Befürworter protektionistischer Maßnahmen, aber auch Industriezweige, die sich durch Freihandels­maßregeln billigere Rohstoffimporte und bessere Exportchancen ausrechneten, wie etwa der Darmstädter Maschinenbau. Derlei wurde auch in der Großherzoglich Hessischen Handelskammer zu Darmstadt diskutiert. Die folgende Stellungnahme ist im ersten Jahresbericht dieser Handelskammer für das Jahr 1862 enthalten.

„Ein Vertreter der Maschinenfabrikation hatte gegen die Ermäßigung der diesseitigen Eingangszölle für Maschinen ein Bedenken irgend einer Art nicht vorzubringen und begrüßte die Herabsetzung der französischen Maschinenzölle als sehr erwünscht, gleichwie den Artikel 22 des Vertrags, welcher die Einführenden von der Verpflichtung befreit, über jegliche einzubringende Maschine etc. ein Modell oder eine Zeichnung vorzulegen. Dieser Sachverständige drückte jedoch den Wunsch aus, daß eine vollständige Gegenseitigkeit vereinbart und die Locomobilen, welche in der neueren Zeit bei einem großen Theile der landwirth­schaftlichen Maschinen gebraucht werden, nach dem Satze der letzteren in Frankreich verzollbar wären.

Auch der Vertreter der hiesigen Actiengesellschaft ‚Maschinenfabrik und Eisengießerei Darmstadt‘ drückte seine Ueberzeugung dahin aus, daß der Tarifsatz für Maschinen in dem mit Frankreich abzuschließenden Zollvertrag auf die Maschinen­fabrikation in Deutschland einen nachtheiligen Einfluß nicht üben werde; denn, wenngleich Maschinen, bei welchen nach dem Gewichte die überwiegenden Bestandtheile aus Gußeisen gebildet seien, am Meisten vorkämen, und der Eingangszoll für solche Maschinen in Frankreich um Etwas höher angesetzt sei als nach den Staaten des Zollvereins, so würde man in Deutschland von der Concurrenz doch wenig zu fürchten haben; Maschinen, welche jetzt noch vorzugsweise eingeschickt würden seien solche, die man in den Vereinsstaaten noch nicht angefertigt habe oder solche, die man bis jetzt ihrer größeren Vollkommenheit wegen von England bezogen habe. ‚Die Maschinen­fabrikation,‘ fügte dieser Sachverständige bei ‚wird sich aber in Deutschland bei dem Bestreben stets verbesserte Arbeiten zu liefern, auch zu dem vorgesehenen Zollsatz immer mehr heben können und gewiß heben‘ und es wird als wesentliche Vorbedingung des wahren Aufschwungs der vereinsländischen Industrie in einer Reihe von Punkten gerade noch eine Ermäßigung der vereinsländischen Einfuhrzölle unter die Sätze des neuen Tarifs bezeichnet.“ [33]

Die Aktie stürzt ab

Wir verließen weiter oben die Geschäftsbilanz der Maschinenfabrik zum 30. Juni 1861, als die Darmstädter Bank Probleme im Unternehmen konstatierte, die nicht nur auf die allgemeine Lage zurückzuführen waren, sondern auch auf das Fehlen einer kaufmännischen Leitung. Es sollte noch schlimmer kommen. Denn der Geschäftsbericht der Bank für 1862 vermeldet:

„Auch die Maschinenfabrik zu Heilbronn hat Angesichts der gedrückten Lage dieses ganzen Industriezweiges noch verhälthnißmäßig günstige Resultate ergeben, während von der Maschinenfabrik Darmstadt durch die im Werden begriffene Neugestaltung der oberen commerciellen Leitung eine gründliche Besserung ihrer finanziellen Resultate, welche, bei aller Anerkennung der Vorzüglichkeit ihrer Fabricate, sehr unbefriedigend gewesen sind, erwartet wird.“ [34]

Besserung scheint jedoch keine in Sicht gewesen zu sein, wie es dem Geschäftsbericht der Bank für 1863 zu entnehmen ist.

„Der Abschluß der Darmstädter Maschinenfabrik, welche eine allem Anscheine nach glückliche Folgen verbürgende Reorganisation erfahren hat, pro 1863, ist – eben in Folge dieses Verhältnisses – ausgesetzt worden […]“ [35]

id="A37">Während sich für das Geschäftsjahr 1861/62 bislang keine Geschäftszahlen ermitteln lassen, liegen die Verhältnisse für 1862/63 anders. Es wurden derart hohe Verluste eingefahren, daß die Bank einspringen mußte. Sie drängte folgerichtig auf eine entsprechende Erhöhung des Aktienkapitaks, um nicht mit den Schulden des Unternehmens belastet zu sein. Der Geschäftsbericht der Maschinenfabrik und Eisengießerei, der auf der XIX. General­versammlung 1876 vorgelegt wurde, nennt als Verlustziffer 190.714,28 Mark, die seit 1863 als Aktiva in der Bilanz mitgeschleppt worden waren. Dies entspräche bei einem Umrechnungskurs von 1,71 Mark auf einen Gulden einem Verlust von 111.528,81 Gulden, beim exakten Währungs­verhältnis von 12 Mark auf 7 Gulden jedoch 111.249,99 Gulden. Wie auch immer, etwa die Hälfte des eingezahlten Aktienkapitals war damit aufgebraucht. Frisches Geld mußte her. Dies scheint ein schwieriger Prozeß gewesen zu sein, bei dem die Interessen der Bank von denen der übrigen Aktionäre divergierten. [36]

Deckblatt der Statuten.
Abbildung 09.13: Deckblatt der Statuten der Maschinenfabrik und Eisengießerei von 1863.

Aus den erhaltenen internen Protokollen der Bank läßt sich herauslesen, daß die Aktionäre kein Geld zuschießen wollten, bevor nicht die kaufmännische Leitung gesichert war, gleichzeitig aber sich keine kompetente Persönlichkeit finden ließ, die ein – ohne frisches Geld – vor dem Bankrott stehendes Unternehmen leiten wollte. Erschwert wurde der Findungsprozeß dadurch, daß es offensichtlich einen – namentlich nicht genannten – Interessenten gab, der sich mit 40.000 bis 45.000 Gulden beteiligen wollte. Aber die bisherigen Aktionäre wollten wohl keinen Fremden mit derartiger Kapitalstärke ins Unternehmen holen und damit ihren eigenen Einfluß schwächen. [37]

Der Selbstfindungsprozeß verlief öffentlich sichtbar in zweieinhalb Akten ab. Zunächst trafen sich die Aktionäre zu ihrer fünften ordentlichen General­versammlung am 19. November 1862 in den Räumen der Gasfabrik (Aktien­gesellschaft für Gasbeleuchtung). Als Tagesordnungs­punkt 4 ist lapidar die Beratung und Beschlußfassung „über Vorschläge zur Beschaffung weiterer Betriebsmittel“ vermerkt [38]. Diese Versammlung wurde vertagt und fortgesetzt am 17. Dezember 1862:

„In der Versammlung wird über den Erfolg der beschlossenen Emission von Prioritäts-Actien berichtet und eventuell die bereits principiell beschlossene Abänderung der Statuten berathen werden. Die speziellen Abänderungs­anträge werden jedem angemeldeten Actionär gegen Vorzeigung seiner Legitimations­karte vom 9. December ab im Geschäftslokal der Gesellschaft behändigt werden.“ [39]

Vermutlich kam es in dieser Fortsetzung der ordentlichen General­versammlung zur Vorstellung und Ablehnung des Unbekannten, der mit mindestens 40.000 Gulden einsteigen wollte [40]. Da die Versammlung wohl in Bezug auf die finanzielle Konsolidierung ohne Ergebnis abgelaufen war, mußte eine weitere, diesmal außerordentliche General­versammlung einberufen werden. Die Einladung für diese am 7. Mai 1863 stattfindende Versammlung war folgenden Inhalts:

„Tagesordnung

Bei diesem neuen kaufmännischen Leiter wird es sich um Ludwig Weber gehandelt haben, der das Unternehmen auch noch während der Liquidationsphase ab 1879 leiten wird. Aus einem internen Bericht der Bank vom 28. April 1863 wird deutlich, daß die Maschinenfabrik wohl ihr Konto deutlich überzogen hatte und demnach die nicht begebenen Aktien auch als eine Art Sicherung für die Forderungen der Bank angesehen wurden. Die gezeichneten Aktien in Höhe von 44.000 Gulden wurden mit dem Kontokorrent­kredit verrechnet. Damit sicherte sich die Bank eine Sperrminorität von mindestens 25 % der Aktien.

„Die Angelegenheiten der Maschinenfabrik und Eisengießerei werden wahrscheinlich in aller Kürze in der in unserer Revisions­commission spezieller besprochenen Weise regulirt. Ein vorläufiger Contract mit einem neuen Dirigenten ist abgeschlossen und es sind inclusive unserer Zeichnung von f. 44.000 im Ganzen f. 100.000 prioritirte Actien gezeichnet, während uns weitere f. 50.000 zur commissions­weisen Begebung im Grunde bleiben und als Deckung für unsere restliche Forderung – welche sich übrigens durch die Einzahlung reduziren wird – dienen; es muß nunmehr die durchzuführende Statuten­änderung (mit Rücksicht auf das Handels­gesetzbuch) noch von der General­versammlung beschlossen werden.“ [42]

Immerhin zeigen die daraufhin beschlossenen neuen Statuten die Lösung des Problems auf. In der Präambel heißt es hierzu:

„Nachdem die General­versammlung der Actionäre der Maschinenfabrik und Eisengießerei Darmstadt vom 19. November 1862 und vom 7. Mai 1863 mit Einstimmigkeit beschlossen hat, den bis zum 30. Juni 1862 entstandenen Geschäfts­verlust durch Beschaffung eines neuen gegen die alten Actien bei Vertheilung der Geschäfts­erträgnisse bevorzugten Actienkapitals auszugleichen und einen mit Einschluß dieses Verlusts bis zur Hälfte des Betrags des alten Actienkapitals herabgesetzten Werthanschlag der Gesellschafts­activa zur Grundlage des ferneren Geschäfts­betriebs zu machen, sind mit Rücksicht auf diese Beschlüsse, sowie auf die inzwischen eingetretene Geltung des allgemeinen deutschen Handels­gesetzbuchs die Statuten der Gesellschaft vorbehaltlich der landes­herrlichen Genehmigung in nachfolgender Fassung festgestellt worden.“ [43]

Das Aktienkapital der Gesellschaft bestand nunmehr aus Stammaktien im Wert von 250.000 Gulden und Prioritätsaktien im Wert von 150.000 Gulden. Die Genehmigung der neuen Statuten durch das großherzogliche Ministerium des Innern erfolgte am 6. Juni 1863.

Subskription der Prioritätsaktien

Abbildung 09.14: Annonce zur Zeichnung der Prioritäts­aktien, die in den Räumen der Bank für Handel und Industrie bis zum 16. Dezember 1862 zu erfolgen hatte. Der Erfolg dieser Emission war Gegenstand der fortgesetzten Generral­versammlung am Tag darauf. Quelle: Darmstädter Zeitung vom 4. Dezember 1862, Scan vom Mikrofilm. Nunmehr [online].

Die neuen Statuten unterschieden in § 34 beim Dividendenbezug zwischen den alten und den neuen Aktien. Die neuen Prioritätsaktien wurden bei der Dividende grund­sätzlich bevorzugt berücksichtigt, während die Halter der Stammaktien nur mit der halben Dividende bedacht wurden. Sofern ausreichende Gewinne erwirtschaftet wurden, sollten daraus Stammaktien ausgelost werden, deren Eigentümer den vollen Nennbetrag ausgezahlt erhielten. Dieses Prozedere sollte solange durchgehalten werden, bis die Hälfte der Stammaktien amortisiert war, so daß nunmehr die andere Hälfte wieder in den vollen Dividendenbezug überging; doch soweit ist es bis zum Beschluß zur Selbst­auflösung des Unternehmens Ende 1878 nicht mehr gekommen. Zudem wurde festgehalten, daß die Mitglieder des Aufsichtsrates nach § 13 über mindestens vier Aktien verfügen mußten und in § 29, wie das Stimmrecht auf den General­versammlungen geregelt wurde. Auf je vier Aktien wird eine Stimme erteilt mit dem möglichen Maximum von zwanzig Stimmen. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß hierbei zwischen Stamm- und Prioritätsaktien unterschieden wurde. Nur im Falle der Auflösung der Gesellschaft zählte nach § 37 jede Aktie ohne Begrenzung.

Von den neuen Aktien besaß die Bank nunmehr etwa ein Drittel im Nennwert von 43.000 Gulden. Auf die Veröffentlichung einer Geschäftsbilanz für das Geschäftsjahr 1862/63 wurde verzichtet [44]. Die Darmstädter Handelskammer nahm diese zurückhaltende Art der Maschinenfabrik leicht verwundert zur Kenntnis:

„Von der Actiengesellschaft: ‚Maschinenfabrik und Eisengießerei Darmstadt‘, (Actienkapitel fl. 400.000) welche in 1863 eine Reorganisation erfuhr, ist weder in der Oeffentlichkeit eine Bilanz und Geschäftsbericht erschienen, noch uns eine nähere Mittheilung gegeben.“ [45]

Im Grunde genommen war hiermit ein Neuanfang gegeben. Doch die Abhängigkeit von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage blieb bestehen.

Am 9. November 1863 stirbt Hektor Rößler sen. im Alter von 84 Jahren. Es war seine mechanische Werkstätte, die den Grundstein zur späteren Maschinenfabrik legen sollte. Mit seinem Tod geht ein Stück des alten Darmstadt verloren, das die Pioniere der Ingenieurskunst sah. Der Nekrolog auf ihn in der „Darmstädter Zeitung“ im Monat darauf ist gleichermaßen konventionell wie er auch darauf verweist, daß der Name Rößler untrennbar mit der Industrialisierung Darmstadts verbunden gewesen ist. So wird noch im September 1861 ein „noch sehr gut erhaltener Rößler'scher Compensations Theodolit mit Höhenkreis“ zum Verkauf angeboten. [46]

Nunmehr werden neue Namen und Gesichter den Darmstädter Maschinenbau prägen: Göbel, Rodberg, Venuleth, Schenck, um nur einige der wichtigen zu nennen. Irgendwie dazwischen hängt die nunmehr zur Aktien­gesellschaft umgewandelte Maschinenfabrik. Ihre erste schwere Krise hat sie gerade noch überlebt. Doch wie geht es weiter?

Die Geschichte der Maschinenfabrik und Eisengießerei wird fortgesetzt in Kapitel 10 mit dem Bau der ersten Dampflokomotiven in den 1860er Jahren.

Quellen- und Literaturverzeichnis.


Anmerkungen

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