Die Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau
Das Anschlußgleis ins Nathan Hale Depot
Hundert Jahre Militär und Militarismus in Darmstadt
1869 wurde die Riedbahn zwischen Darmstadt und Worms eröffnet. Die heutige Riedbahn mit ihrem Hauptverlauf von Mannheim nach Frankfurt wurde erst zehn Jahre später errichtet. Dokumentiert wird auf meinen Riedbahn-Seiten vor allem der Streckenabschnitt zwischen Darmstadt und Goddelau.
Auf dieser Seite machen wir einen Abstecher in den Südwesten des Darmstädter Hauptbahnhofs. Hier verkehrten einst nur Güterzüge zur Aufrechterhaltung der wertebasierten tödlichen Weltordnung Deutschlands und der USA, sowie zu einem Vertragspartner von VW, Audi und Porsche.
Zum Nathan Hale Depot und seinen Nazi-Vorgänger siehe den Beitrag auf der Webseite der DFG-VK Darmstadt. Das Gelände wurde allerdings schon seit 1912/1914 militärisch genutzt.
Militärische Planspiele
Am 3. Dezember 1914 erhielt die Garnisonsverwaltung Darmstadt formal die Erlaubnis, ein Anschlußgleis vom Hauptbahnhof aus zu verlegen. Welche Bauten damit angebunden wurden, läßt sich mangels aussagekräftigen Plänen nicht sagen. Am 28. August 1917 wurde die Genehmigung erteilt, von dort ein Gleis zum Truppenübungsplatz auf dem Griesheimer Sand zu verlegen. Die so kriegswichtige Angelegensheit verzögerte sich um ein Jahr. Die Nimbys fürchteten mehr um ihren Waldbestand als um den Endsieg, wenn eine funkensprühende Dampflokomotive des Weges kam. Es wurde der Einsatz einer feuerlosen Maschine aus dem Bestand der HEAG erwogen. Zudem sollte der Gleisanschluß nunmehr bis in das Kriegsgefangenenlager verlängert werden. Das Gleis wurde noch rechtzeitig zu Kriegsende fertig. Bald darauf besetzten französische Truppen das Terrain und befahlen, den Oberbau dieses Gleisanschlusses zu entfernen. Beim Bau der Autobahn 1934 wurde die Gleistrasse zerschnitten.

Abbildung 1: Dieser Stadtplan von 1941 zeigt erstmals die Gleiszuführung zum Heeresverpflegungsamt in der Bildmitte Das gesamte Areal ist Ausdruck der Remilitarisierung Darmstadts nach dem Abzug der französischen Truppen 1930. Der Bahnkörper zum Griesheimer Sand ist noch eingetragen. Der vollständige Verkehrsplan ist auf der Webseite von Kristof Doffing zu finden.

Bild 2: Dieses Luftbild der US Army soll von 1950 stammen. Am nördlichen Rand der Kelley Barracks stehen die Hochbauten der Heeresverproviantierung auf dem Gelände des Nathan Hale Depots. Leidlich erkennbar ist auch die Gleiszuführung am rechten Bildrand.

Abbildung 3: Leider nur schlecht reproduzierbarer Gleisanschlußplan der Bundesvermögensverwaltung mit den Mitanschließern US Army und Bäuerliche Hauptgenossenschaft. Im Plan rechts zweigt das Nebengleis zum Autohaus Wiest und Söhne ab. Lageplan von 1960.

Abbildung 4: Gleisanschlußplan von 1956 für das an der Riedstraße neu errichtete Autohaus Wiest. Die Bedienung wurde 1973 aufgegeben.

Abbildung 5: Gleisanschlußplan von 1989 für das Nathan Hale Depot.
2003/04 wurde das durch schwere Militärtransporte verschliessene Zufahrtsgleis mitsamt der Weiche an der Hilpertstraße vollständig erneuert. Umso erstaunlicher ist es, daß hierbei jahrzehntealte Schienen und Schwellen eingebaut wurden.
Die US Army verließ das Gelände 2008. Dies bot der Stadt Darmstadt die Möglichkeit, Gewerbeflächen zu entwickeln. Dabei nahm die Stadt unter grüner Führung keine Rücksicht auf eine vernünftige Stadtentwicklung und Verkehrsplanung, sondern erlaubte dem Unternehmen Döhler, sich mitten auf der Konversionsfläche einzupflanzen. Wenn sogenannte Investoren pfeifen, dann schlagen die Stadtoberen die Hacken zusammen. Als Ergebnis ist neben potthälichen Industriebauten eine riesige, geradezu verschwenderische Parkierungsfläche entstanden, auf der Automobile jeglicher Luxusklasse jede Menge Ressourcen verbrauchen dürfen.
Einige Schienenreste
Der Gleisanschluß beginnt an der Rheinstraßenbrücke mit dem nach Süden führenden Ausziehgleis an der Westseite der Main-Neckar-Eisenbahn. Er zweigt leicht nach Südwesten ab und steigt an, um auf Höhe der nächsten Brücke über die Eisenbahn die Hilpertstraße höhengleich queren zu können. Zuvor jedoch gibt eine Weiche mit eigenem Ausziehgleis und einem Prellbock Flankenschutz. An der Südseite der Hilpertstraße steht ein Zugangstor. Hier begann das militärische Gebiet. Nach Südwesten geschwungen geht es zu den Gleisen der Militäreinrichtung, während an der östlichen Flanke ein Stichgleis zum Autohaus Wiest abgeht. Dieses quert die nachfolgende Straße (Scheppallee) und endete auf dem Firmengelände. Dies war der Stand der Dinge 2016, als ich Darmstadt verlassen habe. Ob das heute noch genauso aussieht, entzieht sich meiner Kenntnis.

Bild 6: Rechts die beiden Hauptgleise der Main-Neckar-Bahn, daneben das Ausziehgleis, auf dem mitunter die Itinos der Vias wenden und abwarten, um wieder in den Odenwald zurückzukehren. Hiervon zweigt an der Brücke das hier besprochene Anschlußgleis ab. Aufnahme vom März 2013.

Bild 7: Das Anschlußgleis steigt nun Richtung Hilpertstraße an. Aufnahme vom März 2014.

Bild 8: Die Walzzeichen an den Eisenschwellen und Schienen verraten uns ihr Herstellungsdatum; vermutlich handelt es sich hier um eine Zweitverwertung. Erfaßt wurden Krupp 1935 (wie hier), Hoesch 1926, Thyssen 1940 oder GMW 1964 und ATH 1969. Aufnahme vom März 2014.

Bild 9: Kurz vor der Hilpertstraße zweigt das Ausziehgleis des Gleisanschlusses ab. Aufnahme vom August 2011.

Bild 10: Von diesem aus lassen sich leidlich gut Güterzüge ablichten. Aufnahme vom August 2011.

Bild 11: Das Ausziehgleis im August 2011.

Bild 12: Der zugehörige Prellbock im März 2013.

Bild 13: Der Weichenhebel des Ausziehgleises und das Kommunikationsmedium Telefon in der Box. Aufnahme ebenfalls vom März 2013.

Bild 14: Der derangierte Weichenhebel im März 2013.

Bild 15: Durch keinerlei technische Hilfsmittel gesicherter Bahnübergang an der Hilpertstraße. Aufnahme vom Januar 2016.

Bild 16: Zufahrt zum Militärgelände an der Hilpertstraße. Aufnahme vom Januar 2016.

Bild 17: Die Gleiskurve ins Depot belegt, daß der hier nach links abzweigende Anschluß Wiest schon früher aufgegeben worden sein muß. Aufnahme vom März 2014.

Bild 18: Das Hinweisschild auf das Nathan Hale Depot steht noch, aber die Präsenz der US Army ist schon seit sechs Jahren Geschichte. Aufnahme vom März 2014.

Bild 19: Links (nicht sichtbar) die Zufahrt zum Depot. Das Anschlußgleis gelangt durch das Tor im Hintergrund wieder aus dem Militärgelände heraus und überquert die Scheppallee. Normalerweise ist das Areal voin allerlei Stinkern zugeparkt. Die Schienen sind vom Tor bis zur Straße nur durch eine dünne Schicht Gras und Dreck bedeckt. Aufnahme an einem Sonntag März 2014.

Bild 20: Der Gleisanschluß querte die Scheppallee und endete auf dem Grünstreifen zwischen Autohaus und Riedstraße. Aufnahme vom März 2014.

Bild 21: Im März 2014 war der Abbau der alten Anlagen zugunsten des Ausbau des Döhlerwerks schon weit fortgeschritten. Eines der markanten Häuser stand jedoch noch.

Bild 22: Aber nicht mehr lange …

Bild 23: Ein weiteres dieser Speicherhäuser an der Zufahrt zum Depot im Gegenlicht. Aufnahme vom März 2014.
Anmerkungen
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- Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nº. 40 vom 14. Dezember 1914 und Nr. 21 vom 17. September 1917. Zum Gleis auf den Griesheimer Sand siehe meine Darstellung Eingebunden in die Kriegslogistik. ⏎
- Privatgleisanschluß Bundesvermögensamt Frankfurt (M), Mitbenutzer: Bäuerliche Hauptgenossenschaft und US Army. Aufgestellt Darmstadt Hbf am 28. Juni 1989. ⏎
- Vor einigen Jahren war hierzu noch ein Datenblatt auf der Webseite des Ingenieurbüros Krebs und Kiefer [www.kuk.de] zu finden: Instandsetzung von Gleisanschlüssen militärischer Anlagen in Darmstadt: Gleisanschluss Nathan Hale Depot. ⏎
- Michael Siebert hat die kritischen Punkte der Planungen für die Konversionsflächen in Darmstadts Westen in neun Thesen zusammengetragen. ⏎
- Erich Horvay : Giganten auf Schiene und Straße, in: Eisenbahn-Kurier 1/2005, Seite 59–65, Bild auf Seite 60. ⏎