Die Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau
Vom Ludwigsbahnhof zum Exerzierplatz
Erkundungen auf der alten Riedbahntrasse, Teil 1
1869 wurde die Riedbahn zwischen Darmstadt und Worms eröffnet. Die heutige Riedbahn mit ihrem Hauptverlauf von Mannheim nach Frankfurt wurde erst zehn Jahre später errichtet. Dokumentiert wird auf meinen Riedbahn-Seiten der Streckenabschnitt zwischen Darmstadt und Goddelau.
Von 1869 bis 1912 verkehrte die Riedbahn vom Bahnhofskomplex am heutigen Steubenplatz aus. Die „Alten Bahnhöfe“ – später auch einfach „Hauptbahnhof“ genannt – und die ursprünglichen Gleisanlagen sind weitgehend verschwunden. Manches läßt sich jedoch rekonstruieren. Auf dieser Seite wird die alte Streckenführung bis zu den Schotterresten im nach der Eisenbahn benannten Weiterstädter Stadtteil verfolgt; also etwa bis zur Einfahrt in das Evonik/Röhm-Werk.
Nach 1912 wurden Teile dieser Strecke umgewidmet. Zwischen der Blockstelle Löcherwiese und der Landwehrstraße blieb das Gleis liegen, diente jedoch anderen Zwecken. Hierüber wurden die Übergaben für das Industriestammgleis entlang der Kasinostraße, für die Bahnbedarf A.-G. (aus der später die Bahnbedarf-Rodberg GmbH hervorging), die städtische Gasfabrik, das sogenannte Mahr'sche Gleis und noch einiges mehr abgewickelt – und das Ausbesserungswerk auf der „Knell“. Deswegen sind Überschneidungen mit der Darstellung zum Industriestammgleis „G“ zwangsläufig unvermeidlich.
Die Fundstellen zu dieser Seite sind auf zwei unterschiedlich aufgebauten Plänen zu finden.
- »» In einem Stadtplan von Darmstadt.
- »» In einem Lageplan von 1906 eingezeichnet.
Der Ludwigsbahnhof
1858 eröffnete die Hessische Ludwigsbahn ihre West-Ost-Verbindung von Mainz nach Aschaffenburg über Darmstadt, die sogenannte Main-Rhein-Bahn. Diese Strecke war Teil einer neuen linksrheinischen und linksmainischen Schienenverbindung aus dem Rheinland nach Bayern.
Daß diese Strecke über Darmstadt verlief, lag an der Kurzsichtigkeit des Frankfurter Bürgertums. Der Magistrat der Stadt Frankfurt hatte sich geweigert, der Hessischen Ludwigsbahn die Durchfahrt über ihr Territorium zu erlauben. Die Konzession zum Streckenbau auf hessischem Gebiet wurde 1856 erteilt. Zunächst wurde am 1. August 1858 das westliche Teilstück zwischen Gustavsburg auf der rechten Rheinseite und Darmstadt, am 18. November 1858 dann auch das östliche Teilstück zwischen Darmstadt und Aschaffenburg freigegeben. Die Brücke über den Rhein zwischen Gustavsburg und Mainz hingegen konnte erst 1862 fertig gestellt werden. Bis dahin mußten die Reisenden ein Trajektboot benutzen. Sowohl in Darmstadt als auch in Aschaffenburg nutzte die Hessische Ludwigsbahn kostensparend die vorhandenen Bahnanlagen mit.
Abbildung 1: Die beiden alten Bahnhöfe 1898. Links der Bahnhof der Main-Neckar-Bahn, im Hintergrund der Ludwigsbahnhof. Ansichtskarte von Louis Glaser, Leipzig, Nr. 7619.
Abbildung 2: Der Ludwigsbahnhof auf einer wohl nach 1900 hergestellten Ansichtskarte.
Abbildung 3: Das Bahnunterhaltungspersonal der Hessischen Ludwigsbahn auf dem Gemeinschaftsbahnhof in Darmstadt. Es handelt sich um eine sorgfältig komponierte Aufnahme von 1867. Zu erkennen sind die weißen Hinweistafeln für die Züge in Richtung Mainz und Aschaffenburg, sowie am rechten Bildrand im Hintergrund die Fahrtrichtungsanzeige nach Frankfurt und Heidelberg auf dem Bahnsteig der Main-Neckar-Eisenbahn.
Die Einleitung der Main-Rhein-Bahn an den schon bestehenden Bahnhof [⇒ L2] der Main-Neckar-Bahn in Darmstadt wurde so konzipiert, daß der östliche Ast aus Aschaffenburg von Kranichstein aus in gerader Linie von Nordosten her den Bahnhof erreichte. Dies war schon deshalb geboten, weil sich die vorhandene Bahnhofsstation auf der östlichen, der Stadt zugeneigten Seite des Bahnhofsgeländes befand, während Lokschuppen, Werkstätten und andere Bahnhofsgebäude der Main-Neckar-Bahn auf der Westseite der 1846 fertig gestellten Gleisanlagen lagen. Der westliche Ast der Main-Rhein-Bahn mußte daher die Main-Neckar-Bahn weiter nördlich unterqueren, verlief dann in weitem Bogen nach Süden und vereinigte sich kurz vor dem Bahnhof mit dem östlichen Streckenast. Von diesem Gleisbogen sind heute nur noch einige wenige Reste zu sehen.
Die Anlage der Bahnanlagen der Hessischen Ludwigsbahn an der Nordostseite des Main-Neckar-Bahnhofs war nicht unumstritten, wie eine zeitgenössische Invektive verrät. Als die Hessische Ludwigsbahn 1868 dann die Konzession für den Bau der Riedbahn von Darmstadt nach Worms erhielt, gab es den aufwendigen Ludwigsbahnhof [⇒ L1] noch nicht. Dieser wurde erst in den Jahren 1873–1875 gebaut, weil das gestiegene Verkehrsaufkommen mit den wenigen Gleisen an der nördlichen Stirnseite des Main-Neckar-Bahnhofs nicht mehr zu bewältigen war. Bis dahin hatte die Hessische Ludwigsbahn das Gelände von der Main-Neckar-Bahn gepachtet und mit einem einfachen Bahnsteig ausgestattet, um den teuren Bau eines eigenen Empfangsgebäudes zu umgehen. Ein kleiner Pavillon diente als Stationsgebäude. Als 1870/71 der Zugverkehr des westlichen Zweigs der Odenwaldbahn über Wiebelsbach-Heubach bis nach Erbach dazukam, wurde die betriebliche Enge einer Anlage mit nur einem Bahnsteig und vier Betriebsgleisen unerträglich. Die nachfolgende Planskizze des unteren Stockwerks des neuen Ludwigsbahnhofs zeigt die Erweiterung der Bahnhofsanlage. Hinzuweisen ist auf die Privattoilette (im Plan mit „p“ bezeichnet) des Großherzogs und anderer Herrschaften.
Abbildung 4: Skizze des Erdgeschosses des Ludwigsbahnhofs, angefertigt 1875. Quelle: Skizzenbuch des Mittelrheinischen Architecten- und Ingenieur-Vereins [online ulb darmstadt].
Abbilung 5: Ausschnitt aus einer Darmstädter Stadtansicht von 1902 von C. Grote [online ulb darmstadt]. Der Ludwigsbahnhof mit seinen vier Bahnsteigen hat erneut seine Kapazitätsgrenze erreicht. Am linken Bildrand sind Teile des Güterbahnhofs mit dem viergeschossigen gemeinsamen Lagerhaus von Stadt und Ludwigsbahn zu erkennen. Am rechten Bildrand unten befindet sich die Bahnsteighalle der Main-Neckar-Bahn.
Der Verlauf der Gleise der Riedbahn vom Ludwigsbahnhof bis zum Exerzierplatz läßt sich geradezu minutiös auf den städtischen Flurkarten von 1904 und den Folgejahren nachvollziehen. Da sie großformatig auf der Webseite von Kristof Doffing anzuschauen sind, verzichte ich hier auf eine Einbindung.
- »» Der Hauptbahnhof.
- »» Die Lokomotivhalle der Hessischen Ludwigsbahn.
- »» Die Wagenreparaturwerkstätte auf der „Knell“.
- »» Das Löcherfeld.
- »» Die Blockstelle Hammelstrift und die Täubcheshöhle.
- »» Vorbei an der Kreiskadaververwertungsanstalt zum Bahnwärterhaus 85.
- »» Ein kleines Zwischenstück.
- »» Am Kavallerie-Exerzierplatz.
Auf dem Weg zur „Knell“
Wir können uns den Streckenverlauf anhand eines modernen Darmstädter Stadtplans in etwa so vorstellen: Vom Main-Neckar-Bahnhof bzw. östlich daneben vom Ludwigsbahnhof aus machte die Bahn einen leichten Knick nach rechts, überquerte die Bismarckstraße etwa zwischen Feuerwehrhaus und der Einmündung der Dolivostraße, verlief anschließend am westlichen Rand der Dolivostraße bis zu der Stelle, wo sie die Julius-Reiber-Straße quert – die frühere Lagerhausstraße. Von dort über das Gelände mit den heutigen Büroflächen, anschließend vorbei an dem großen Hallenbau – oder sogar mittendurch, denn die sogenannte „Zeppelinhalle“ [⇒ L8] stand ja bis 1912 noch nicht an ihrem heutigen Platz. Etwa bei der Einfahrt zum Schenck Technologiepark wurde die Landwehrstraße gequert.
Bild 6: Ehemalige Industriegleise an der sogenannten Zeppelinhalle. Aufnahme vom März 2011.
Die in der Landwehrstraße heute noch vorhandenen Gleisreste gehören nicht zu den Gleisen der Hessischen Ludwigsbahn. Vielmehr sind sie einerseits auf das städtische Industriestammgleis „C“ zurückzuführen, das ursprünglich 1894 von der Main-Neckar-Bahn her eingefädelt wurde. Der Gleisbogen in das Schenck-Gelände wurde wohl erst 1912 hergestellt. Andere Gleisreste gehören zum Industriekomplex der Bahnbedarf A.-G., die hier 1923 die beiden aus dem Material einer ehemaligen Luftschiffhalle zusammenmontierten Werkhallen errichten ließ.
Zwischen Landwehr- und Pallaswiesenstraße befand sich nach 1912 neben dem Industriestammgleis eine Rangieranlage mit mehreren Abzweigen zu einzelnen Industriebetrieben entlang der Kasinostraße. Das Gütergleis entlang der Kasinostraße endete auf dem Gelände des Samengroßhandels der Firmen Appel bzw. später Nungesser [⇒ M1]. Die Anlieferungsrampe direkt südlich der Julius-Reiber-Straße, heute Teil des Nazar-Centers, ist noch zu erkennen, obwohl das Gebäude nach 2010 umgebaut wurde und die Rampe heute der Verköstigung des zahlenden Publikums neben der lauten Straße dient.
»» Dem Industriestammgleis von der Landwehrstraße über die Pallaswiesenstraße und dann westlich der „Knell“ habe ich den Buchstaben „G“ gegeben. Es wird auf dieser Webseite gesondert vorgestellt.
»» Dem Industriestammgleis entlamg der Kasinostraße habe ich den Buchstaben „H“ gegeben. Auch dieses wird auf dieser Webseite gesondert vorgestellt.
Die Reste der ursprünglichen Riedbahntrasse westlich der Kasinostraße sind auf Luftbildern noch zu erahnen. An den breiten Bahnübergang über die Pallaswiesenstraße [⇒ J1] erinnern nur noch einige Abdrücke im Straßenasphalt. Auch die Aufhängung für die Verkehrsampeln an der Kreuzung der Pallaswiesen- mit der Kasinostraße gehörte ursprünglich zum Bahnübergang und unterstützte die für den Bahnbetrieb notwendigen Rotlichtphasen. Der Bahnübergang wurde im Sommer 2003 beseitigt, die Gleise abgebaut und die Straße asphaltiert.
Bild 7: Der Bahnübergang über die Pallaswiesenstraße nach dessen Beseitigung. Spuren im Asphalt und Lücken in der nachfolgenden Bebauung weisen der Spurensuche nach der Riedbahn den Weg. Aufnahme vom Juni 2008; fünfzehn Jahre später kann es da schon wieder anders aussehen.
Der weitere Verlauf der ehemaligen Bahntrasse wird durch einen kurzen Radweg markiert, der nach rund einhundert Metern auch schon wieder endet. Vielleicht war einmal vorgesehen, diesen Radweg auf der „Knell“ weiterzuführen, doch dann verließ den automobilaffinen Stadtplanerinnen und -planern der Mut. Dort, wo der Radweg hätte weiter entlang verlaufen können, wird dann doch lieber platzverschwenderisch herumgeparkt. Daß dies unter einer von den Grünen maßgeblich bestimmten Stadtregierung geschieht, ist kein Zufall, sondern so gewollt.
Das Wagenausbesserungswerk [⇒ J2] – zuletzt der Deutschen Bahn AG – wurde am 1. Juni 2000 geschlossen. Dis Stadt Darmstadt erwarb das Gelände 2002 und hatte hiermit hochfliegende Pläne. So sollte das Ausstellungsgelände auf dem Meßplatz von dort auf die Knell wandern, um auf dem Meßplatz Wohnungen und Büros bauen zu können. Als dann jedoch der Pharma- und Chemiekonzern Merck [⇒ F1] die Stadt Darmstadt auf die Seveso II-Richtlinie hinwies, war die Not groß. Sowohl der derzeitige Meßplatz als auch Teile der „Knell“ liegen zu nahe am Gelände des international operierenden Konzerns, um dort Wohnanlagen oder Geschäftsräume zu bauen. Neue Pläne mußten geschmiedet werden, um das Filetstück am Rande des Johannesviertels zu vermarkten.
Das Ausbesserungswerk
Errichtet wurde das Ausbesserungswerk auf der Knell durch die Hessische Ludwigsbahn 1872/73. Darmstadt entwickelte sich zu einem Verkehrsknotenpunkt dieser privaten Eisenbahngesellschaft. Das hier erbaute Zentralwagenwerk sollte die mit dem zunehmenden Verkehr und der damit verbundenen Werkstättenarbeit überlasteten Anlagen an der Zentrale in Mainz entlasten. Am 14. Februar 1873 wurde das Wagenwerk feierlich in Betrieb genommen. Während es heute eher unverständlich erscheinen mag, weshalb sich diese zentrale Wartungs- und Reparatureinrichtung abseits des Bahnverkehrs befindet, müssen zum besseren Verständnis die damaligen Verkehrswege berücksichtigt werden. Das Wagenwerk befand sich im Dreieck dreier wichtiger Verkehrswege. Westlich führten die Gleise der Main-Rhein-Bahn von und nach Mainz und der Riedbahn vorbei. Östlich wurde es begrenzt durch durch die Odenwaldbahn und die Strecke nach Aschaffenburg. Weiter nördlich lag das Gütergleis der sogenannten Verbindungsbahn. Der Abstand zu den damaligen Darmstädter Bahnhöfen betrug gerade einmal einen Kilometer. Das Wagenwerk der Hessischen Ludwigsbahn umfaßte noch nicht die Gesamtfläche des späteren Ausbesserungswerks, was hinsichtlich eines zukünftigen Flächenbedarfs Weitsicht beweist. In der Nähe, an der Kasinostraße, besaß die Hessische Ludwigsbahn mehere Wohngebäude für ihre Arbeiter.
„Die Stammbelegschaft, deren Stärke nicht mehr bekannt ist, wurde von der Werkstatt in Mainz übernommen. Es wurden Personen- und Güterwagen ausgebessert. Nach Einführung der Gasbeleuchtung in den Personenwagen wurde eine Ölgasanstalt errichtet, deren Kompressor durch einen Gasmotor angetrieben wurde. Das ständige Knallen dieses Gasmotors muß wohl die Belegschaft und Anwohner arg beeindruckt oder verdrossen haben, denn die Darmstädter nennen das Werk im Volksmund heute noch die ‚Knäll‘.“
Ob es wirklich so gewesen ist oder ob wir hier einer urban legend auf den Leim gehen, lasse ich einmal dahingestellt sein.
Abbildung 8: Skizze der Wagenreparaturwerkstätte von 1875 aus dem schon genannten Skizzenbuch, hier Blatt 14.
Diese Skizze der Wagenreparaturwerkstätte der Hessischen Ludwigsbahn zeigt den Standort schon gut bebaut. Allerdings fehlt – zumindest im Plan – der markante Wasserturm an der Frankfurter Straße, der beim Abriß des Ausbesserungswerks gleich mit entsorgt werden sollte, aber vom Denkmalschutz gerettet werden konnte. Das bedeutet nicht, daß dieses Industriedenkmal gepflegt worden wäre; vielmehr ließ man es einfach so vor sich hingammeln. Der neue Eigentümer, also die Stadt Darmstadt, wollte es liebend gerne loswerden, um die Sanierungskosten zu umgehen. Der auf der Knellfläche direkt nebenan residierende Stadtkonzern HEAG/HSE benötigt derlei altes Gemäuer nicht als seine Visitenkarte und knabbert ohnehin an seiner gigantischen Fehlinvestition eines Gasturbinenkraftwerks. Am oberen Skizzenrand erkennen wir die beiden Streckengleise nach Mainz sowie das einzelne Streckengleis der Riedbahn nach Worms.
Die Wagenreparaturwerkstätte der Hessischen Ludwigsbahn in zwei zeitgenössischen Beschreibungen
Das „Skizzenbuch des Mittelrheinischen Architecten- und Ingenieur-Vereins“, das anläßlich der zweiten Hauptversammlung des Vereins am 19. Juni 1875 in Darmstadt angelegt wurde, erklärt uns die Anlage:
„Die Werkstätten, deren Situation aus der Zeichnung hervorgeht, wurden im Jahre 1872 vom 1. Mai bis zum 15. Dec[ember] nach einem von Director Werder in Nürnberg und Bezirksingenieur Weiss gemeinschaftlich bearbeiteten Plan hergestellt. Die ersten Reparaturen konnten darin bereits im September vorgenommen werden.
Aufgabe war rationelle Aneinanderreihung der Werkstätteräume, die Möglichkeit der Vornahme von Reparaturen gleichzeitig an etwa 100 Wagen ausserhalb der eigentlichen Werkstätten in gedecktem Raume und bequemes Aus- und Einrangiren der Wagen. Es können 144 Wagen aufgestellt werden, ohne Rangirgeleise dazu zu benutzen und ausserdem in der Lackir- und Firniss-Werkstätte 28 Wagen.
Die Reparaturhalle ist einstöckig (Höhe von Schienenoberkante bis zum Gebälk 5,08 m., von da bis zum Dachfirst 3,50 m.).
Die Umfangsmauern sind in Backstein-Rohbau ausgeführt, mit Ausnahme der Westseite, an welche sich künftig nothwendig werdende Erweiterungen anschliessen sollen und welche darum in Fachwerk geschlossen ist, ebenso wie die Vorbaue von den Schiebebühnen. – Das Dach ist mit Schiefer und Glas, die Kehlen mit verzinktem Eisenblech eingedeckt.
Der nutzbare Raum misst 19404 Quadratmeter. Die Baukosten (exkl. Bauplatz, Geleise und Maschinen) betrugen 29,375 ℳ pro Quadratmeter.“
Fünf Jahre später unternahm der Localgewerbeverein am 7. Juni 1880 einen Ausflug, der ihn zum Großherzoglichen Wintergarten, zur Mahr'schen Dampfholzschneiderei und zur Centralwerkstätte der Hessischen Ludwigsbahn führen sollte. Hier der Bericht:
„Es folgte nun die Besichtigung der Centralwerkstätte der Hess. Ludwigsbahn unter Führung der Herren Röder und Westenberger. Hier wurde zunächst den Theilnehmern ein Modell einer seitlichen Eisenbahnwagen-Kuppelung, sowie eine Vorrichtung zum allmählichen Heben von Eisenbahnwagen, beide Erfindungen des Herrn Röder, vorgeführt. Die erstere Construction ist trotz ihrer unzweifelhaften Vorzüge für die Sicherheit des Betriebs bis jetzt – wohl mit Rücksicht auf den Kostenpunkt – nicht zur allgemeinen Einführung gelangt, überhaupt ist bis jetzt von keiner deutschen Bahn ein System einer einheitlichen Kuppelung angenommen worden, so daß die Frage keineswegs als erledigt zu betrachten ist.
Ein Gang durch die sehr ausgedehnten, mit bestem Oberlicht, so wie Dampfheizung versehenen Räume des Werkstättengebäudes führte den Besuchern eine Reihe von Eisen- und Holzbearbeitungsmaschinen vor und erregten besonders unter letzteren einige neuere sinnreiche Maschinen durch ihre Construction und Leistungsfähigkeit die allgemeine Aufmerksamkeit. Die Arbeiten erstreckten sich auf die vollständige Reparatur und Erneuerung einzelner Bestandtheile der Eisenbahnwagen, so Abdrehen von Axen, Bandagen von Rädern, Puffern, Erneuerung der Axenbüchsen, der Eisentheile des Wagenuntergestells, der Holztheile des Wagenkastens, der Fußböden, Bänke, Polstersitze, Anstriche, Fenster etc.
Mit der Fabrik ist eine Gasanstalt verbunden, die den gesammten Gasbedarf für den Bahnhof Darmstadt der Hessischen Ludwigsbahn liefert. Ferner wurde vor einigen Jahren eine Pumpbrunnenanlage mit Reservoir errichtet, um insbesondere das zum Speisen der Locomotiven erforderliche Wasser zu liefern. Beide Anlagen wurden noch einer Besichtigung unterzogen und hierauf ein Gang nach dem Carlshofe angetreten, woselbst noch ein geselliges Zusammensein stattfand.“
Mit anderen Worten: die Herren hatten wieder einmal eine Gelegenheit gefunden, sich die feuchtfröhliche Kanne zu geben. So etwas nennt man dann „gesellig“.
»» Jörn Schramm, Andreas Burow und Peter Wöllert waren 2000 und 2003 am und im ehemaligen Ausbesserungswerk und dokumentierten den damaligen Stand des Vergessens.
Die Vermarktung der „Knell“
Zurück ins 21. Jahrhundert. Was tun, wenn Wohnen und Jahrmärkte nicht auf der Fläche zu realisieren sind?
Knell – ein Desaster für wen?
Im Februar 2006 beleuchteten Michael Siebert und Günther Lehmann in einer Presseerklärung für den damals noch existierenden WASG-Kreisverband Darmstadt Aspekte des Knell-Desasters:
„Das Scheitern des Knell-Projekts war für alle, die sich damit kritisch befasst haben, bereits im Jahre 2003 erkennbar, als Ex OB Benz den Weiterverkauf des gesamten ehemaligen Bundesbahn-Ausbesserungswerks im Stadtparlament durchsetzte. Die Stadt Darmstadt wurde am 24.4.2003 offiziell von der Firma Merck auf den Konflikt mit Produktionsanlagen in unmittelbarer Nachbarschaft hingewiesen, wie Stadtrat Wenzel eingestanden hat. Gleichwohl hat die rot-grüne Koalition drei Monate später den Weiterverkauf der Knell vor der parlamentarischen Sommerpause im Juli 2003 gegen alle bereits damals formulierte Kritik durchgepaukt und an einem Konzept festgehalten, das mit den Seveso-Richtlinien unverträglich ist.
Wie Stadtrat Wenzel auf eine kleine Anfrage des Stadtverordneten Michael Siebert Ende 2005 ebenfalls eingestehen musste, wurde dieser damals beschlossene Verkauf nie vollzogen. Darüber hat der Magistrat Stadtverordnetenversammlung und Öffentlichkeit zweieinhalb Jahre im unklaren gelassen und so den Eindruck gepäppelt, als sei das Knell-Projekt einer neuen Nutzung alter Industrieflächen durch HSE & Co. noch irgendwie zu retten.
Seitdem belastet das von der Bahn erworbene Areal die Stadt mit Finanzierungskosten und nach wie vor unbekannten Sanierungsrisiken. Obwohl die Stadt in der Pflicht steht, das Gelände nach dem Kauf unverzüglich von Altlasten zu befreien, wurde damit nicht einmal begonnen. Stattdessen hat man ein privates Unternehmen den auf dem Weltmarkt gefragten Stahl der Altbebauung ausschlachten lassen. Der Magistrat hat nicht einmal dafür gesorgt, dass die Ausschlachter auch den Bauschutt mitnehmen, der seitdem als weitere sichtbare und höchst symbolische Altlast das Gelände überlagert.“
Bild 9: Im März 2009 präsentierten sich weite Teile der Knell als großer Bauschutthaufen.
Die innovative Lösung für das Vermarktungsproblem bestand darin, die städtischen Eigentumsrechte finanziell gewinnbringend umzuschichten. Einen Teil des Geländes übernahm der Energiekonzern HSE, an dem die Stadt über die Heag Holding zu 53% beteiligt war.
Ein weiterer Teil der Knell wurde an den städtische Eigenbetrieb EAD zu einem Quadratmeterpreis zwischen 150 und 200 Euro abgegeben. Nur am Südzipfel fanden sich private sogenannte Investoren, um direkt nebeneinander zwei Supermärkte hinzustellen; einen für die nicht so betuchte Laufkundschaft und einen für die ökologischen Gutmenschen. Dazu gesellte sich ein Schnellimbiß und weiterer Platz wurde für das parkende Publikum verschwendet.
„Die Südspitze, ein rund 7000 Quadratmeter großes Teilstück, wurde 2004 für 1,4 Millionen Euro an einen Investor verkauft. Heute befinden sich dort die Lebensmittelmärkte Tegut, Plus sowie ein Burger-King-Restaurant.
Vor zwei Jahren kaufte die Heag Südhessische Energie AG (HSE) für rund drei Millionen Euro ein 15.262 Quadratmeter großes Teilstück entlang der Frankfurter Straße und errichtete darauf die neue HSE-Zentrale. Im vergangenen Jahr erwarb die HSE eine weitere, knapp 43.000 Quadratmeter große Fläche für 6,6 Millionen Euro, zahlbar in drei Raten (die letzte bis spätestens April 2011). Dort soll, wie berichtet, ein Gasturbinenkraftwerk entstehen; der Rest dient als Erweiterungsfläche.
Die nordwestliche Ecke des Knell-Geländes (42 560 Quadratmeter) geht für 2,7 Millionen Euro an den Eigenbetrieb Abfallbeseitigung Darmstadt (EAD), der von der Niersteiner Straße dorthin umziehen wird. Die neue EAD-Zentrale soll das erste Verwaltungsgebäude in Darmstadt werden, das in Passivbauweise errichtet wird.
Diese Einnahmen summieren sich auf 13,75 Millionen Euro. Die beiden Restflächen – die Nordostecke (29 252 Quadratmeter) und ein südliches Stück (9287 Quadratmeter) in Höhe des Müllheizkraftwerks – lassen sich nach Angaben des Magistrats aufgrund der Wirtschaftslage nicht kurzfristig zu einem angemessenen Kaufpreis vermarkten. Man sei aber aufgrund von Anfragen zuversichtlich, auch diese Flächen für zusammen 5,75 Millionen Euro verkaufen zu können, geht aus der Magistratsvorlage hervor. Das ergäbe zusammen Einnahmen von 19,5 Millionen Euro.
Die Gesamtinvestitionen von gut 18 Millionen Euro setzen sich zusammen aus dem Kaufpreis für das Knell-Gelände (8,2 Millionen), Entwicklungskosten (eine Million) sowie 8,8 Millionen bisher angefallene und künftige Sanierungskosten.“
Bild 10: Die HSE-Zentrale im Dezember 2013.
Bild 11: Das EAD-Verwaltungsgebäude im November 2012.
Bild 12: Eine teure Fehlinvestition – das Entega/HSE-Gasturbinenkraftwerk im November 2012. Links lugt der Wasserturm hervor.
Das 55 Millionen Euro teure Gasturbinenkraftwerk auf der Knell war eine große Fehlinvestition in die falsche Energietechnologie. Anstatt 2013 kommerziell Strom in der Spitzenlast zu erzeugen, brachte es das Kraftwerk nur auf einige wenige Betriebsstunden. Das Kraftwerk stellte sich als nicht wirtschaftlich darstellbar heraus. Verantwortlich für diese Fehlinvestition war das Management, bluten mußte die Belegschaft. Die Gewerkschaften IG Metall und ver.di mußten zähneknirschend einem Sanierungsplan zustimmen, der von den Beschäftigten Abstriche in Höhe von 30 Millionen Euro einforderte. Ver.di zeigte zunächst etwas mehr Rückgrat als die IG Metall und befand es als nicht zumutbar, daß die Beschäftigten auf ihr Weihnachtsgeld verzichten sollten, während die Stadt als Eignerin sich eine fürstliche Dividende genehmigte. Ob das Management sich einem ähnlichen Spardiktat unterworfen hat, ist nicht überliefert.
Bild 13: Die Deutsche Post DHL Zustellbasis ist im April 2014 noch im Bau. Sie wurde im Oktober 2014 in Betrieb genommen.
Bild 14: Der Wasserturm im März 2014.
Es brauchte seine Zeit, bis nach und nach die passenden Investoren das Gelände für sich entdeckten. Im August 2021 erfolgte der erste Spatenstich für das neue Isra Vision Hauptquartier rund um den historischen Wasserturm. Auf rund 15.000 Quadratmetern sollen Büro- und Laborräume sowie eine Montagehalle entstehen. Auf rund 14.000 Quadratmetern des Nordostzipfels ließ Merck (!) seit März 2022 für 70 Millionen Euro ein siebengeschossiges Learning Center erbauen.
Damit dürfte die Umwandlung des Eisenbahngeländes in ein Dienstleistungszentrum weitgehend abgeschlossen sein.
Entlang der Knell
Mit der 1912 erfolgten Verlagerung des Hauptbahnhofs nach Westen waren von den drei Gleisen, die den Westrand der Knell berührten, zwei zuviel. Die Gleiskurve wurde daher abgespeckt. Auf dem übrig gebliebenen Gleis wurden Güterzüge zu den Industriestammgleisen und schadhafte Waggons ins Ausbesserungswerk gefahren. Damit war spätestens 2003 Schluß, als der Bahnübergang an der Pallaswiesenstraße aufgegeben wurde. Die Museumsbahn aus Kranichstein holte im März 2003 Gleisjoche auf dem Gelände des Ausbesserungswerks ab; das könnte die letzte Nutzung gewesen sein.
Eine zur Jahrtausendwende noch angedachte Andienung des Müllheizkraftwerks mit einem eigens neu zu legenden Gleisanschluß hatte sich aufgrund von errechneten Investitionskosten von knapp 5 Millionen Euro recht bald wieder zerschlagen. Dabei kann diese Müllverbrennungsanlage ohnehin nur aufgrund eines eigens herbeigeführten Mülltourismus mit vielen, vielen Müllautos wirtschaftlich arbeiten.
Zwischen 2009 und 2011 wurde das Gleis zwischen der Pallaswiesenstraße und dem Carl-Schenck-Ring in mehreren Etappen abgetragen. Anfang 2009 fing der Abbau in der Mitte zwischen den beiden Straßen an, es folgte im Juni 2009 das nördliche Teilstück bis zum ehemaligen Bahnübergang 15 (Schenckalle) [⇒ J3]. Das Technikhäuschen des Bahnübergangs war im September 2009 verschwunden. Die beiden sogenannten Winkeltürme am Nordwestrand der Knell stehen unter Denkmalschutz und sind noch erhalten.
Bild 15: Das Müllheizkraftwerk neben der Knell im März 2014.
Bild 16: Im Juni 2009 wurde das Gleisstück an der Schenckalle neben einem der beiden Winkeltürme herausgerissen. Im Hintergrund wird an der HSE-Zentrale gebaut.
Der Bahnübergang selbst war im Juli 2004 durch Asphalt ersetzt worden.
„Da der Bü Schenckallee schon seit längeren mit einer La ‚30‘ für PKW und LKW versehen war, bot es sich daher an, am 24.7.2004 die Gleise herauszureißen und einen Lückenschluss mit Asphalt herzustellen. Bezeichnenderweise stand am 22.7. bereits ein Prellbock vor dem Bü und damit ca. 8m vor der Weichenspitze der Weiche, welche die Zufahrt zur Fa. Müksch ermöglicht. Es standen aber noch 2 E-Wagen vor dem Werkstor. Am Montag war der Lückenschluss erstellt und die Wagen aus dem Anschluss raus. Man muss also den Prellbock nochmals herunter gehoben haben.“
»» Das am westlichen Rand der Knell verlaufende Gleis wird ausführlich auf der Unterseite zum Industriestammgleis „G“ abgehandelt. Dort finden sich auch Aufnahmen aus den letzten Jahren der Nutzung dieses Gleises und von Rangierfahrten zum und vom Ausbesserungswerk.
»» Den Abbau des Gleises direkt an der Schenckallee habe ich im Juni 2009 fotografisch begleitet.
»» Weitere ausführliche Informationen zu den Winkeltürmen finden sich auf einer Webseite zu Luftschutztürmen. Das ist keine Militariaseite!
Der weitere Verlauf des auch 2023 noch vorhandenen Zuführgleises zur Knell zur einstigen Blockstelle Löcherwiese liegt nicht auf der vormaligen Trasse der Riedbahn.
An der Hammelstrift
Die drei Gleise der Riedbahn und der Main-Rhein-Bahn führten von der (damals noch nicht vorhandenen) Schenckallee parallel bis zur Blockstelle Hammelstrift. Die Trasse verlief zunächst etwas weiter östlich als die Reste des Gleises zur Löcherwiese, also über das Gelände der Schrebergartensiedlung, um schließlich in Höhe des Klärwerks des Chemie- und Pharmakonzerns Merck auf die Verbindungsbahn zu stoßen. Das Gelände ist dort vollkommen überbaut, so daß Spuren der Riedbahn nicht mehr aufzufinden sind.
Bild 17: Das Gleisende an der Schenckallee im November 2012. Frau und man beachte das gepflegte Ambiente. In den Sommermonaten sind Brombeerranken allgegenwärtig.
Bild 18: Der Prellbock des Gleises zur Löcherwiese. Die Riedbahn dürfte eher auf die rechts davon gelegene Hütte gestoßen sein. Aufnahme ebenfalls vom November 2012.
An der Hammelstrift trafen die drei parallelen Gleise auf die beiden von Kranichstein herrührenden Gleise der Verbindungsbahn. Sie wurden über verschiedene Weichenverbindungen zusammengeführt und wieder getrennt. Zwei Gleise gingen nach Worms, zwei weitere nach Mainz. Wobei dies nicht so ganz stimmt, denn die Riedbahn wurde zwischen der Hammelstrift und Goddelau erst 1901 vollständig zweigleisig ausgebaut. Auch die Verbindungsbahn war zeitweise nur eingleisig ausgeführt.
Die von Weiterstadt herführende Hammelstrift war ein wichtiger Verbindungsweg im Norden Darmstadts. Heute heißt nur noch eine Straße in Kranichstein nach ihr. Nachdem schon die Main-Neckar-Bahn die Hammelstrift gekreuzt hatte, wurde 1858 auch ein Bahnübergang für die Main-Rhein-Bahn erforderlich. Dieser wurde von einem Bahnwärter gesichert, für den auf dem freien Feld ein eigenes Haus mit Stall bzw. Schuppen errichtet wurde [⇒ E2].
Das Stellwerk [⇒ E1] kam um 1870 hinzu, um die diversen Ein- und Ausfädelungen zu steuern. In älteren Plänen wird dieses Stellwerk auch als „Haltestelle“ bezeichnet. Damit ist jedoch nicht gemeint, daß hier Personen ein- oder aussteigen konnten. Gehalten hat vor dem Signal allenfalls der eine oder andere Zug. Das gesamte Ensemble stand in den 2000er Jahren auf einem zu Merck gehörenden Grundstück. Das Gelände scheint zuletzt als Hundeabrichtungsplatz genutzt worden zu sein. Im Dezember 2010 wurden die drei Gebäude abgerissen.
Bild 19: Das zugemauerte Stellwerk Hammelstrift im Februar 2010.
Bild 20: Das Stellwerk von der Wegseite aus betrachtet. Aufnahme vom November 2008.
Bild 21: Das Stellwerk mit seinem stillen Örtchen im August 2008.
Bild 22: Das Bahnwärterhaus im August 2008.
Bild 23: Zum Bahnwärterhaus gehörte ein Stall bzw. Schuppen.
Bild 24: Das Bahnwärterhaus mit seinem Stall bahnseitig. Aufnahme vom März 2009.
Der weitere Verlauf der Riedbahn ist mehr zu erahnen als zu erkennen. Im Boden lassen sich wohl nur noch wenige Spuren finden. Ob der Schotter im Waldstück zwischen Hammelstrift und Exerzierplatz nach 1912 vollständig abgetragen wurde, muß offen bleiben. An der Verbindungskurve der Main-Rhein-Bahn von der Stockschneise zum Hauptbahnhof bin ich jedenfalls auf einen solchen Rest gestoßen.
Zwischen Hammelstrift und Exerzierplatz
Die alte Riedbahntrasse war dem gegen 1910 aufgeschütteten Damm für die Zuführung der Main-Neckar-Bahn zum neuen Hauptbahnhof im Weg. Es scheint, als habe man schon vor Baubeginn des Viaduktes über die Main-Rhein-Bahn an der Bergschneise [⇒ E3] die Riedbahn über die neue Trasse von der Bergschneise zum Exerzierplatz geleitet. Der Feld-, Wald- und Wiesenweg Hammelstrift hingegen erhielt einen Durchlaß unter den neuen Bahndamm [⇒ E4].
Das gegen 1910 errichtete Viadukt wurde ein Jahrhundert später durch eine Spannbetonbrücke ersetzt. 2009/10 machten die Bauarbeiten sowohl der Brücke wie auch dem etwa zweihundert Meter entfernten Durchlaß der alten Hammelstrift den Garaus. Dieser Durchlaß war ohnehin obsolet geworden, nachdem 1999 direkt neben der Bahnstrecke eine Umgehungsstraße (B3 neu) gebaut wordenm war, die keine Rücksicht auf den Verlauf der Hammelstrift genommen hatte. Den Umgang mit dem Durchlaß und sein Verschwinden habe ich auf einer eigenen Unterseite der Riedbahnseiten fotografisch festgehalten.
Bild 25: Der Durchlaß für die Hammelstrift unter der Main-Neckar-Bahn im März 2009.
Bild 26: Jenseits des Durchlasses und jenseits der Bundesstraß könnte eine Schneise im Wald den Verlauf der Riedbahn markieren. Aufnahme vom Februar 2014.
Die Trasse führte durch das Wäldchen hinter der Bundesstraße, querte (virtuell, nicht tatsächlich) den Bahnübergang 41a der Main-Rhein-Bahn [⇒ E8] und verlief weiter durch das Betonwerk an der alten Gräfenhäuser Straße . Dort befand sich ein Bahnübergang mit Bahnhaus (wohl Nummer 85) [⇒ D6]. Zwischen der vierspurigen Schnellstraße und der Weiterstädter Straße an der Grenze von Darmstadt zu Weiterstadt verläuft ein Waldweg. Auf dessen Weiterstädter Seite befand sich die Riedbahntrasse. Der Wald ist übrigens erst im vergangenen halben Jahrhundert gewuchert, vorher befanden sich dort Wiesen. Die Trasse querte, ebenfalls nur virtuell, das Werkstättengleis [⇒ D3] zum Lokwerk am Dornheimer Weg. Etwa am Werkstor von Evonik/Röhm beim Riedbahnkilometer 57,4 [⇒ D4] wurde um 1910 die neue Riedbahntrasse zum neuen Hauptbahnhof von der alten Trasse, die wir gerade bereist haben, abgezweigt. Hier endet auch die Spurensuche auf dieser Seite.
Bild 27: In der Nähe des Bahnübergangs Am Weselacker liegen diese Schotterreste. Aufnahme vom März 2009.
Bild 28: Der Bahnübergang 41a. Die hochgewachsene Birke markiert den ungefähren Fundort des Schotters. Aufnahme vom März 2009.
Bild 29: Möglicherweise derselbe Bahnübergang 41a, aber durch einen Schrankenposten abgesichert. Die Aufnahme soll etwa 1930 entstanden sein. Quelle: Sammlung Eva Lorenz.
Bild 30: Vor dem Betonwerk stand um 1900 an der Gräfenhäuser Straße die Kreiskadaververwertungsanstalt. Ob es dasselbe Gebäude, nur modernisiert, ist, kann ich nicht sagen. Hinter dem Gebäude verlief die Riedbahn. Aufnahme vom März 2015.
Bild 31: Kein Meisterwerk der Fotografie. Blick in das Betonwerk. Die innerbetriebliche Straße markiert den ungefähren Verlauf der Riedbahn. Aufnahme vom August 2008.
Bild 32: Wenn wir den Waldweg entlang gehen, stoßen wir auf eine Lücke im Wäldchen. Hier verlief das Werkstättengleis. Der Prellbock wurde um 1955/1960 als Gleisabschluß hingestellt, nachdem das Lokwerk der Remilitarisierung Westdeutschlands weichen mußte. Aufnahme vom November 2008.
Bild 33: Blick vom (gedachten) Werkstättengleis nach Südwesten hin zur Weiterstädter bzw. Riedbahnstraße. Dort, wo die Baumstämme lagern, dampften einst die Züge auf der Riedbahn. Aufnahme vom März 2014.
Bild 34: Kesselwaggon am Werkstor von Evonik/Röhm. Aufnahme vom März 2009.
Der Kesselwaggon ist auch schon wieder Geschichte. Seit Frühjahr 2020 hat keine Lokomotive mehr Waggons zugestellt oder abgeholt.
Historisches zum Umfeld
Das Gelände, auf das in den 1960 Jahren das Darmstädter Unternehmen Röhm und Haas (irgendwann im Evonik-Konzern gelandet und inzwischen teilweise wieder ausgegliedert) einen Zweigbetrieb errichtete, hat eine Vorgeschichte:
- Vom Exerzierplatz zum Werksgelände. Zunächst befand sich hier der großherzogliche Kavallerie-Exerzierplatz. Zu speziellen, dem adligen Offizierskorps vorbehaltenen Turnieren wurde die Darmstädter Bevölkerung mit Sonderzügen zur Voiksbelustigung herbeigeschafft. Ab den 1920er Jahren nutzte der neu errichtete Rouvenhof das weitläufige Gelände.
- Die Luftschiffhalle in Weiterstadt stand zwischen 1914 und 1921 am Rande des Weiterstädter Exerzierplatzes. Die riesige Halle mußte auf Geheiß der französischen Besatzungsbehörden abgetragen werden. Sie könnte einen Gleisanschluß an die Riedbahn besessen haben.
Anmerkungen
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- Die Datierung des Zeitpunkts der Aufnahme ist ohne Einsicht in wohl nicht mehr vorhandene Firmenunterlagen schwierig. Hilfreich sind hier die diversen Verkaufsangebote der Onlinehändler. Von der hier vorliegenden Ansichtskarte sind mehrere Varianten bekannt, die alle die Schülergruppe im Vordergrund und einen Straßenbahnwagen im Hintergrund zeigen. Daraus läßt sich als ehestes Aufnahmejahr 1897 entnehmen. Der früheste mir bekannte Poststempel einer derartigen Ansichtskarte trägt das Datum 10. Februar 1899. Da die Bäume über ihr – allerdings nachkoloriertes – Blattwerk verfügen, kann die Aufnahme nicht mehr im November oder Dezember 1897 und auch nicht im Januar oder Februar 1899 entstanden sein. Die Schüler und anderen Passanten sind wohl hinein montiert worden. Zu diesem Zweck verfügten die Bildverlage über passende Schablonen. ⏎
- Die mir vorliegende Ansichtskarte ist mit „Hauptbahnhof“ bedruckt. Seit wann die beiden alten Bahnhöfe als Hauptbahnhof bezeichnet wurden, kann ich nicht sagen, auch wenn ich vermute, daß dies ab 1902 der Fall war. Ab Ende 1902 waren die vorherige Hessische Ludwigsbahn und die Main-Neckar-Eisenbahn unter dem Dach der preußisch-hessischen Eisenbahngemeinschaft vereinigt. ⏎
- Diese Fotografie entstammt dem von K. Kreck herausgegebenen Jubiläumsband „40 Jahre Reichsbahndirektion Mainz 1897–1937“, Seite 12; als Sonderdruck aus „Die Reichsbahn“, Amtliches Nachrichtenblatt der Deutschen Reichsbahn und der Gesellschaft Reichsautobahnen, Heft 12/13 vom 24. und 31. März 1937. Der Band ist nunmehr [online ulb darmstadt]. ⏎
- Die Aussage zu den wenigen Gleisresten stimmte noch 2008, als dieser Text in der ersten Fassung geschrieben wurde. Seither wurde der Gleisbogen entlang der „Knell“ vollständig abgebaut. Der ansonsten so informative 2. Teilband über die Eisenbahnen in Hessen verzichtet auf die Darstellung dieser historischen Streckenführung. ⏎
- Deutsche Bundesbahn (Hg.) : 100 Jahre Ausbesserungswerk Darmstadt 1873–1973, Seite 16. ⏎
- Darmstädter Zeitung vom 8. Juni 1880 [online ulb darmstadt]. Ähnlich der Bericht im Darmstädter Tagblatt vom 9. Juni 1880 [online ulb darmstadt]. ⏎
- Ab und an finden sich im Internet weitere Fotografien vom Durchstöbern dieses lost place. Sie kommen und gehen und werden hier daher nicht verlinkt. ⏎
- Presseerklärung des WASG-Kreisverbandes Darmstadt vom 24. Februar 2006. Siehe auch Peter Zitzmann : Neue Unklarheiten über Nutzung des Knell-Geländes, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, online am 23. Juli 2003. ⏎
- Den Umschichtungen innerhalb der Darmstädter Stadtwirtschaft zu folgen, ist gar nicht so einfach. 2003 wurde die HSE als Zusammenschluß von HEAG (Hessische Elektrizitäts AG) und Südhessischer Gas und Wasser AG gegründet. e.on hielt eine 40%ige Beteiligung, welche 2012 für 280 Millionen Euro an die Stadt Darmstadt abgegeben wurde. 2015 wurde die HSE in Entega umbenannt. Wenn ich also im Text von einer HSE schreibe, ist das Schnee von gestern. Die HEAG ist nunmehr Holding der Stadtwirtschaft, bei der die Stadt Darmstadt mit 94,99% beteiligt ist, den Rest hält die Stadt- und Kreissparkasse Darmstadt. ⏎
- Die Knell bringt der Stadt Darmstadt Geld ein“, in: Darmstädter Echo, online am 3. März 2010. ⏎
- Stillstand Tarifverhandlungen HEAG, Pressemitteilung von ver.di vom 23. September 2014. Tauziehen um HSE-Sanierung, in: Darmstädter Echo, online am 24. September 2014. HSE-Sanierung: Auch Verdi stimmt zu, in: Darmstädter Echo, online am 7. November 2014. ⏎
- Spatenstich für das neue Headquarter: Aufbruchstimmung bei ISRA VISION, Presse News vom 10. August 2021 [online als pdf]. Merck investiert 70 Millionen € in neues Learning Center am Standort Darmstadt, Pressemitteilung vom 16. März 2022 [online]. ⏎
- Forumsbeitrag auf Drehscheibe Online vom 6. März 2003 [online]. Pressemitteilung der Stadt Darmstadt vom 16. Juli 2003: Bahnübergang in der Pallaswiesenstraße wird durch Asphalt ersetzt. ⏎
- Große Anfrage Die Linke Darmstadt vom 4. September 2006, „Kündigung des Gleisanschlussvertrages für den Bereich Sensfelder Weg“, und Antwort des Stadtrats Dieter Wenzel vom 5. Oktober 2006. ⏎
- Industriestammgleis Darmstadt-Nordwest, in: Drehscheibe 179, November 2004, Seite 80, Rechtschreibung stillschweigend verbessert. ⏎
- Im globalisierten Kapitalismus sind Beteiligungen, Besitzverhältnisse oder auch einfach nur Firmennamen recht schnellebig. Mit Wirkung zum 11. Dezember 2009 firmierte das Baustoffunternehmen Hünnebeck als Harsco Infrastructure, nachdem die Hünnebeck-Gruppe schon 2005 von Harsco geschluckt worden war. Morgen kann dies schon wieder ganz anders sein. ⏎