Die Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau
Rund um die Blockstelle Pallaswiese
Erkundungen auf der alten Riedbahntrasse, Teil 5
1869 wurde die Riedbahn zwischen Darmstadt und Worms eröffnet. Die heutige Riedbahn mit ihrem Hauptverlauf von Mannheim nach Frankfurt wurde erst zehn Jahre später errichtet. Dokumentiert wird auf meinen Riedbahn-Seiten der Streckenabschnitt zwischen Darmstadt und Goddelau. Die Geschichte der Riedbahn wird an anderer Stelle meiner Webseite ausführlich abgehandelt.
Zwischen dem Abzweig Bergschneise und dem nächstgelegenen Bahnhof in Griesheim befand sich die Blockstelle Pallaswiese. Diese Seite behandelt den Abschnitt zwischen dem nicht mehr vorhandenen Bahnwärterhaus 83 im Weiterstädter Stadtteil Riedbahn bei Kilometer 56 und der Küchenmeisterschneise bei Kilometer 55. Virtuell durchfahren wir hier die Pallaswiesen.
Die Pallaswiesen
Abbildung 1: Karte zum Erkundungsgebiet rund um die Blockstelle Pallaswiese zwischen dem Posten 83 und der Küchenmeisterschneise. Auch wenn die Pläne und Karten aus verschiedenen Jahrzehnten das suggerieren mögen: an der Küchenmeisterschneise befand sich kein (offizieller) und somit auch kein numerierter Bahnübergang.
Dem Amtsblatt der Eisenbahndirektion Mainz ist zu entnehmen, daß der Fahrdienstleiter der Blockstelle Pallaswiese am 6. September 1911 seinen Dienst aufgenommen haben muß. Im Zuge der Verlegung der beiden innerstädtisch gelegenen Bahnhöfe vom (heutigen) Darmstädter Steubenplatz zum neuen an der Peripherie der Stadt befindlichen Hauptbahnhof wurden auch die Gleisanlagen und Streckenführungen vollkommen umgekrempelt. Ein Teilaspekt dieser baulichen Veränderungen war die Einrichtung einer zusätzlichen Blockstelle im Feuchtgebiet der Pallaswiesen zwischen Darmstadt, Weiterstadt und Griesheim.
„Inbetriebnahme der Blockstelle Pallaswiese.
Am 6. d. M. ist die bei km 55,63 der Strecke Goddelau-Darmstadt zwischen Bahnhof Griesheim b. D. und Blockstelle Bergschneise belegene, neu errichtete Blockstelle ‚Pallaswiese‘ in Betrieb genommen worden; der telephonische Anruf ist auf . . – . festgesetzt.
Das Hauptsignal der Fahrrichtung Goddelau-Darmstadt steht bei km 55,595, das zugehörige Vorsignal bei km 55,190; das Hauptsignal der Fahrrichtung Darmstadt-Goddelau steht in km 55,660 und das zugehörige Vorsignal in km 56,260. Sämtliche Signale stehen rechts vom zugehörigen Gleis.“ [1]
Bild 2: Aufstellplattform des Blocksignals Richtung Griesheim. Ein Dreivierteljahrhundert nach dem Aufstellen des Blocksignals ist selbiges für den sporadischen eingleisigen Rangierbetrieb nach Griesheim überflüssig geworden. Aufnahme: Eva Lorenz, Juli 1988.
Bild 3: Nochmals zwanzig Jahre später nagt der Zahn der Zeit und wuchert das Gestrüpp. Aufnahme vom Mai 2008.
Während demnach in Richtung Darmstadt der Abstand zwischen Vorsignal und Blocksignal 405 Meter beträgt, ist er in Gegenrichtung rund 200 Meter länger. Dies mag mit dem leichten Gefälle Richtung Griesheim zusammenhängen, für das ein längerer Bremsweg eingeplant wurde.
Kurz vor der Unterführung der Riedbahn unter die (noch) achtspurige Bundesautobahn A5 findet sich in Fahrtrichtung Griesheim rechts der Überrest des in der amtlichen Mitteilung genannten Blocksignals bei Kilometer 55,66. Die Stellung des Flügels dürfte nach dem Bau der Reichsautobahn seit Mitte der 1930er Jahre von der Pallaswiese aus nicht mehr so leicht einzusehen gewesen sein.
Uwe Breitmeier (Bahnwelt Darmstadt-Kranichstein) war in seiner Jugend in Darmstadts Umgebung unterwegs, um die eine oder andere Lokomotive für die Nachwelt bildlich festzuhalten. Am 19. September 1969 wartete er auf eine 65er Dampflok just an diesem Signal, doch es war „nur“ eine ordinäre 50er [2]. Gezogen wurden die vier Umbauwagen nebst Packwagen von 50 473 auf der damals noch zweigleisigen Strecke Richtung Goddelau-Erfelden und weiter nach Worms. Es wird sich um den Personenzug 3612, Darmstadt ab 13.57 Uhr, gehandelt haben, der abweichend vom Buchfahrplan nicht mit einer Diesellok der Baureihe 211 bespannt war, sondern nach Maßgabe des Heftes „Dampfgeführte Reisezüge der DB“ mit einer 65er hätte daherkommen sollen. [3]
Bild 4: Personenzug mit 50 473 unterwegs nach Griesheim. Aufnahme: Uwe Breitmeier.
Kurz nach dem Blocksignal unterquert die Riedbahn die Autobahn. Die Unterführung war ursprünglich breit genug für zwei Gleise angelegt worden. Mitte der 1970er Jahre wurden das zweite Streckengleis abgebaut und die Autobahn A5 auf vier Fahrstreifen plus Standspur pro Richtung erweitert. Hierbei wurde auch die Brücke erneuert und dabei die Durchführung schmaler angelegt. Auf den nachfolgenden Bildern von Claus Kosanke ist noch eine pfeilergestützte Unterfahrung zu erkennen.
Bild 5: Ästhetik der Autogesellschaft. Das Loch ermöglicht die Unterquerung der Autobahn A 5. Aufnahme vom Mai 2008.
Bild 6: An der ehemaligen Blockstelle Pallaswiese, im Hintergrund die Autobahn. Aufnahme: Eva Lorenz, April 1988.
Die für einen Straßenbahnbetrieb dennoch ausreichende Breite nahm die SPD-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung von Weiterstadt im Februar 2003 zum Anlaß, eine Untersuchung der Möglichkeit zu verlangen, die sich im Planungsstadium befindende Straßenbahnverbindung vom Darmstädter Hauptbahnhof nach Braunshardt teilweise über die alte Riedbahntrasse zu führen. Die schon vorhandene Unterführung könnte den Bau einer weiteren Brücke über die Autobahn A5 unnötig werden lassen.
Die Untersuchung kam zu dem Ergebnis, daß sich mit der Variante über die alte Riedbahntrasse zwar eine Million Euro an Baukosten einsparen ließen. Dem stünden jedoch eine rund 900 Meter längere Gleisstrecke entgegen, die den Unterhalt um etwa elf Prozent teurer werden lasse als der direkte Weg über eine noch zu errichtende Brücke. Zudem wäre die Straßenbahn durch den Umweg zwei Minuten länger unterwegs. Mit der Vorlage der Untersuchung im Oktober 2003 mit ihrem negativen Ergebnis war die Einbeziehung der alten Riedbahntrasse für die Nutzung durch eine Straßenbahnlinie vom Tisch. [4]
Seither wird eine Straßenbahn von Darmstadt nach Weiterstadt zwar immer wieder einmal aufgewärmt, aber keine und niemand unternimmt konkrete Schritte zu einer bedarfsgerechten Planung, von einer Umsetzung ganz zu schweigen. Nötig wäre sie schon, denn dem ausufernden Autoverkehr auf der Bundesstraße 42 wird keinerlei Einhalt geboten. Im Gegenteil. Die Stadt Weiterstadt erweitert nach und nach ihhr Gewerbegebiet im Süden der Straße, mußte sogar zweispurige Einbahnstraßen als großen Kreisverkehr einrichten; und ab und zu lockt das meist recht öde Einkaufszentrum Loop 5 derart große Massen an, daß Staus und Warteschlangen den Einkaufsbummel versüßen.
Claus Kosanke fotografiert die Blockstelle Pallaswiese.
Bild 7: Als die Einstellung des Personenverkehrs zwischen Darmstadt und Goddelau absehbar war, ging Claus Kosanke noch einmal auf die Fotopirsch. Vermutlich ging es ihm eher um Lokomotiven und Schienenbusse, aber ein schönes Ambiente gehört zu einem guten Bild einfach dazu. Hier bot sich die Blockstelle Pallaswiese mangels wirklich spannender Motive auf diesem Streckenabschnitt geradezu an. Im April 1970 traf er auf die Leerfahrt Lto 52968 von Worms nach Darmstadt. [5]
Bild 8: Klaus Kosanke muß noch ein zweites Mal im April 1970 zur Blockstelle gekommen sein. Vielleicht war beim ersten Mal der Personenzug 3614 nicht mit der im Heft „Dampfgeführte Reisezüge“ angekündigten Lokomotive der Baureihe 65 bespannt gewesen, mit etwas Pech sogar mit der regulären Diesellok der Baureihe 211. Doch wie bei Uwe Breitmeier erschien auch hier „nur eine 50er“ diesmal in Gestalt der 051 727, Darmstadt ab 13.57 Uhr, Pallaswiese durch 14.03 Uhr, Worms an 14.50 Uhr.
Bild 9: Zum Aufwärmen fertigte er eine weitere Aufnahme der Leerfahrt 52968 an. Es muß sich um diese Leerfahrt handeln, denn in beiden Fällen ist der Schienenbus gähnend leer.
Auch Uwe Breitmeier reizte das Motiv der Blockstelle.
Bild 10: Uwe Breitmeier, Mitbegründer des Eisenbahnmuseums Darmstadt-Kranichstein, schaute ebenfalls noch einmal vorbei, bevor der Personenverkehr eingestellt und die Blockstelle abgerissen wurde. Hier fotografierte er im Sommer 1970 einen nach Darmstadt fahrenden Personenzug.
Bild 11: Nach Goddelau oder weiter nach Worms kehrte der(selbe?) Zug als Wendezug mit einer V 100 und Steuerwagen zurück. Ich veröffentliche beide Aufnahmen mit seiner freundlichen Genehmigung.
Bild 12: Eine Sitzgelegenheit etwa an der Stelle der vorherigen Blockstelle. Aufnahme vom Dezember 2009.
Bild 13: Die Tafel, die einst an der Blockstelle Pallaswiese hing, befindet sich nunmehr in den Vereinsräumen der Eisenbahnmodellbaugruppe Darmstadt. Hersteller: Emaillierwerk Schulze & Wehrmann aus Elberfeld.
Anstatt das Häuschen einfach stehen zu lassen, entschied sich die Deutsche Bundesbahn auch hier für die radikale Entsorgung ihrer Vergangenheit. Wann der Abrißbagger vorbeischaute, ist nicht überliefert. Auf 1982 angefertigten Luftbildern sind keine Spuren dieser Blockstelle mehr zu erkennen. Allenfalls Archäologinnen mit ihrem ausgefallenen Instrumentarium traue ich noch zu, Überbleibsel aufzuspüren. So jedenfalls erscheinen für Radfahrerinnen und Gassigeher unvermutet zwei Gleisstümpfe. Vierzig Jahre nach Einstellung des Personenverkehrs und zwanzig Jahre nach der letzten Rangierfahrt nach Griesheim war es mehr beschaulich neben den Spargel- und Erdbeerfeldern. Dann wurde eine Bank aufgestellt, damit der Autobahnlärm von ein wenig Menschengeschnatter ergänzt wird. Die Autobahn A 5 verläuft im Bildhintergrund, und ganz links und damit jenseits der Autobahn erhebt sich das nicht mehr ganz so neue Einkaufszentrum auf der grünen Wiese, flankiert durch die markanten Flügel der Hochhäuser des Industriegebiets Riedbahn.
Bild 14: Zwei abgetrennte Gleise. Aufnahme vom Juni 2008.
An der Blockstelle Pallaswiese quert die Riedbahntrasse einen Feldweg, der durch den Posten 82 (km 55,627) abgesichert wurde. An diesem Bahnübergang hat sich niemand die Mühe gemacht, die Gleise zu entfernen; sie wurden einfach an den Seiten abgeflext oder abgeschweißt. Das ist weniger gut für die Fahrradfelgen. Etwa 2012 wurde die Stelle asphaltiert, was das Auffinden der darunter verborgenen Gleise erschwert. Ab hier verläuft die Trasse am Randes eines Naturschutzgebietes, etwas weiter südlich begleitet vom Darmbach. An dieser Stelle bin ich auf einer Radtour erstmals auf die Riedbahn gestoßen. Die abgetrennten Gleise haben nicht nur mich neugierig gemacht, welche Nebenbahn hier früher zweigleisig verkehrt haben könnte.
Da es sich um ein ehemaliges Sumpfgebiet handelt, durch das sich der Darmbach recht verästelt schlängelt, ist neben dem Feldweg, der die Bahntrasse an der Blockstelle quert, noch ein Durchlaß zu sehen.
Bild 15: Kleine Brücke über den Darmbach. Aufnahme vom Juni 2008.
Bevor der Darmbach in Richtung des Hofguts Gehaborn weiterfließt, wird er von der Riedbahn überquert. Der Zahn der Zeit hat seine Spuren hinterlassen und doch ist auch eine so unscheinbare Konstruktion nicht ganz ohne Reiz. Allerdings sollte man und frau nicht auf sie draufklettern; die Holzbalken zu beiden Seiten der Brücke stehen nicht ohne Grund da. Zudem war es eigentlich nur möglich, sich der Brücke vom Dornheimer Weg aus zu nähern, denn hier verläuft ein Schotterbett, auf dem auch heute noch kaum etwas wächst. Hier hat die Bundesbahn mit ihren Unkrautvernichtungsmitteln ganze Arbeit geleistet. Der Zugang von der ehemaligen Blockstelle her wird im Sommer durch Gestrüpp und Brennesseln verwehrt, ist im Winter jedoch möglich. 2012 wurde auch dieses Relikt, für den Schrotthandel gewinnbringend, entsorgt.
Bild 16: Stützmäuerchen an der Südseite des Bahndamms. Aufnahme vom Dezember 2009.
Hinter der Brücke wurde die Riedbahn ein kurzes Stück auf einem aufgeschütteten Damm geführt. Auf der Südseite ist das Stützmäuerchen noch erkennbar. Kurz darauf unterquert ein weiterer Kanal die an dieser Stelle etwa vierzehn Meter breite Trasse.