Rangierfahrt auf der Riedbahn.
Die Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau
Walter Kuhl
Rangierfahrt auf der alten Riedbahn.
Rangierfahrt auf der Riedbahn.
Überwerfung am Wöhlerweg.
Überwerfung am Wöhlerweg.
An der Hammelstrift.
An der Hammelstrift.
An der Bergschneise.
Viadukt an der Bergschneise.
Bahnhof Riedstadt-Goddelau.
Bahnhof Goddelau.

Die Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau

Im Weigands­busch bei Griesheim

Erkundungen auf der alten Riedbahntrasse, Teil 6

1869 wurde die Riedbahn zwischen Darm­stadt und Worms eröffnet. Die heutige Riedbahn mit ihrem Haupt­verlauf von Mannheim nach Frankfurt wurde erst zehn Jahre später errichtet. Doku­mentiert wird auf meinen Riedbahn-Seiten der Strecken­abschnitt zwischen Darm­stadt und Goddelau. Die Geschichte der Riedbahn wird an anderer Stelle meiner Webseite ausführ­lich abgehandelt.

Zwischen Weiterstadt und Griesheim liegt noch eine Menge Schotter im Wald. Und wer genauer hinschaut, kann einige markante Weg­weiser entdecken. Diese Seite behandelt den Abschnitt zwischen der Küchen­meister­schneise bei Kilo­meter 55 und dem Kreisel am Gries­heimer Nordring bei etwa Kilo­meter 52,5. Virtuell durch­fahren wir hier einen Bereich, der Weigands­busch genannt wird und in dem vor rund zwei­tausend Jahren ein Mord geschah. 

Karte Weigandsbusch.

Abbildung 1: Karte zum hier be­handelten Strecken­abschnitt. (1) Küchen­meister­schneise, (2) Dorn­heimer Weg, (3) Markierungs­stein, (4) Brauns­hardter Haus­schneise, (5) Ort der Plünde­rung 1945, (6) Straße nach Mainz, (7) Brunnen­schneise.

Meine eigenen Aufnahmen entstanden zwischen 2008 und 2013. Heute kann es an einzelnen Orten schon wieder ganz anders aussehen.

Ich danke Alfred Brosch, Jörn Schramm und der Verwandt­schaft der im Bahn­haus 81 gelebt habenden Familie für die Über­lassung ihrer Aufnahmen, sowie dem Kataster­amt Darmstadt für die Fotokopie der Ver­messung von 1940.


An der Küchen­meisterschneise

Während die kleine Brücke über den Darmbach etwa bei Kilo­meter 55,5 im Verlauf des Jahres 2012 abgetragen wurde, ist das Schotter­bett bis Griesheim noch erstaun­lich intakt. Anhand des spärlichen Bewuchses auf dem Schotter­bett läßt sich sogar sagen, welches Gleis länger mit giftigen Chemikalien unkraut­frei gehalten wurde. Bei Kilo­meter 55 setzen wir die Erkundung fort, die nunmehr – mit zwei Aus­nahmen an einem Graben und durch den Nordring – allenfalls durch Brombeer­ranken behindert wird.

Die Küchenmeister­schneise schneidet die Bahn­trasse diagonal. Obwohl zwischen den Posten 82 (Pallas­wiese) und 83 (Dorn­heimer Weg) kein bewachter Über­gang vor­gesehen war, muß es eine unbüro­kratische Möglich­keit gegeben haben, die Gleise für Forst­arbeiten zu queren. Eine einfache hölzerne Barriere steht noch heute. Zudem wurde dieser Übergang auf beiden Seiten durch ein auf­wendiges Mauer­werk für die Ent­wässerung der Pallas­wiesen unter­quert. Ob die beiden Entwässerungs­gräben mit­einander verbunden waren bzw. sind, kann ich nicht sagen.

Kilometerstein.

Bild 2: Als ich im April 2013 vorbei­schaute, bewachte der Kilometer­stein 55 den Wild­wuchs an der Küchen­meister­schneise.

Barriere.

Bild 3: Die Barriere im Februar 2010.

Durchlaß.

Bild 4: Der Durchlaß auf der Gehaborner Seite im Februar 2010.

Durchlaß.

Bild 5: Zusätzlich waren hier Betonsteine unbekannter Herkunft abgeladen. Möglicher­weise ent­stammen sie dem Fundament des Vorsignals für die Block­stelle Pallas­wiese. Aufnahme vom April 2013.

Durchlaß.

Bild 6: Der Durchlaß entlang des Weges nach Griesheim im März 2013.

Fünf Jahre vor der Demontage der Strecke führte die DGEG am 3. Mai 1986 von Heidel­berg aus eine Sonder­fahrt über mehrere Neben­strecken mit den vier Schienen­bussen 798 622 + 998 314 + 998 719 + 798 625 durch, unter anderem auch nach Griesheim. 

Schienenbusfahrt 1996.

Bild 7: Auf dem Rückweg fing Jörn Schramm die roten Brummer an der Küchen­meister­schneise ab. In der Ver­längerung der Baumreihe am rechten Bildrand befindet sich das Hofgut Gehaborn.

Perigenes und sein Grabstein

Unter dem römischen Kaiser Vespasian (regierte 69 bis 79) fielen die Truppen des Imperiums erneut in das Gebiet östlich des Ober­rheins ein. Diesmal um zu bleiben. Sie errichteten beim heutigen Groß-Gerau ein Militär­lager, das einige Jahr­zehnte bestehen sollte. Ihre Eroberung sicherten die Besatzer durch mit einem Stein­belag versehene Straßen. Es wird in der Forschung ange­nommen, daß es eine solche von Groß-Gerau nach Dieburg, dem Hauptort der Civitas Auderiensium, gegeben hat. Spuren oder Hinweise auf eine solche Straße gibt es jedoch nicht. Wenn es sie gegeben hat, wurde sie im Laufe der Jahr­hunderte durch Ackerbau syste­matisch unter­gepflügt. So ist es bislang nur eine Ver­mutung, daß diese Straße etwa von Büttelborn kommend in der Nähe des Hofguts Gehaborn Richtung Darm­stadt-Bessungen verlief. Das Hofgut selbst bestand zur Römer­zeit noch nicht. 

Hofgut Gehaborn.

Bild 8: Das Hofgut Gehaborn von der Küchen­meister­schneise aus gesehen. Aufnahme vom Dezember 2012.

Während des Baus der Riedbahn wurde 1868 oder 1869 südlich des Hofguts Gehaborn ein römischer Grab­stein gefunden. Der Fund wird wohl zunächst achtlos zur Seite geworfen worden sein. Als die Kunde davon archä­ologisch interes­sierte Kreise erreichte, konnte die genaue Stelle wohl nicht mehr benannt werden und deshalb wird sie in der ein­schlägigen Literatur auch nicht ange­geben . In einer Mitteilung von K. Klein aus Mainz für die „Archäologische Zeitung“: heißt es: „In den ersten Tagen des Februar wurde in einem Walde bei Darmstadt folgende Inschrift gefunden“ – und weiter, daß hier ein Clodius Perigenes aus dem kam­panischen Städt­chen Teanum Sidicinum (heute: Teano) von Räubern erschlagen worden sei . Nach den Umständen dieser Mitteilung müßte der Fund wohl auf Februar 1869 datiert werden. Der Bruder dieses Perigenes, ein Publius Clodius Secundus, stiftete den Grabstein, der sich heute im Hessischen Landes­museum in Darm­stadt befindet.

Clodius Perigenes wird, so wird vermutet, „wohl geschäft­lich“ unterwegs gewesen sein und hierbei vielleicht die nur vermutete Römer­straße benutzt haben. Insofern wäre die Kenntnis von der Fundstelle hilfreich, denn eine solche Grabstele ergibt nur dann einen Sinn, wenn sie für spätere Durch­reisende gut sichtbar am Straßen­rand aufgestellt wurde. So läßt sich nur spekulieren, daß der Fundort irgendwo zwischen der Küchen­meister­schneise und der Brauns­hardter Haus­schneise zu suchen ist. 

Perigenes-Stele.

Bild 9: Die Perigenes-Stele im Hessischen Landes­museum Darm­stadt.

Der Darm­städter Schrift­steller Gottfried Schwab nutzte die spär­lichen Informa­tionen auf diesem Grabstein für seine Ende des 19. Jahr­hunderts gechriebene „Geschichte aus dem Dekumaten­lande“. 

Am Dornheimer Weg

Rund 300 Meter süd­westlich der Küchen­meister­schneise kreuzte die Bahn­strecke am Posten 81 den Dorn­heimer Weg . Gegen 2010 befand sich dort ein sandiger Parkplatz. Wir bewegen uns im Wald zwischen Darm­stadt und Gries­heim schon auf Gries­heimer Gemarkung. Die Eisen­bahner, die hier im 19. Jahr­hundert Dienst taten, konnten froh sein, wenn sie ihr karges Ein­kommen mit einem eigenen Gemüse­beet auf­bessern konnten. Der Bahn­wärter von Posten 79 verkaufte hingegen in den 1950er Jahren Erfrischungs­getränke.

Die ab der Küchen­meister­schneise durch ein Waldgebiet verkehrende Riedbahn besaß beidseitig einen breiten Schutzstreifen. Kleinere Wald­brände waren in der Nach­kriegszeit im Weigands­busch keine Seltenheit. Aus diesem Grund befindet sich noch heute, wo keine Dampf­lokomotive mehr die Funken fliegen läßt, am einsitigen Bahn­übergang an der Brauns­hardter Haus­schneise ein Hydrant.

Dornheimer Weg.

Bild 10: Der Dorn­heimer Weg kurz vor der Riedbahn, heute für Autos ohne jede Barriere. Aufnahme vom Mai 2010.

Dornheimer Weg.

Bild 11: Der Waldpark­platz an der Kreuzung des Dorn­heimer Weges mit der Riedbahn im Juni 2008.

Am Rand des südlichen Schutzstreifens verläuft ein Waldweg, der immer wieder die Sicht auf das Schotterbett der Riedbahn ermöglicht. Wer die zwei Kilometer bis Griesheim aufmerksam den Schotter begeht, wird nicht nur auf umgefallene Bäumchen und Brombeer­dornen stoßen. Mal liegt eine Schwelle, mal ein Eisen- oder Betonteil auf und neben dem Schotter und gibt Rätsel zur Verwendung auf. Wer den Weg mit dem Fahrrad entlang­fährt, sollte am Dornheimer Weg vorsichtig sein. Von der Straße her ist dieser Weg nicht einsehbar. Die Barrieren an beiden Seiten des Weges sind für den Rad­verkehr unprak­tisch und werden einfach umfahren. Das hindert die Brennesseln nicht daran, sich dort breit­zumachen.

Das Bahnhaus am Dornheimer Weg

Das Bahnhaus stand auf einem Grund­stück, das laut bahn­eigenem Liegenschafts­buch 502 qm groß war. Eine externe Strom­versorgung gab es nicht. Frisch­wasser mußte aus einem Brunnen geschöpft werden. Spätestens mit der Prosperität nach dem Zweiten Welt­krieg und den hierdurch neu gesetzten Standards wurde eine solche Wohn­weise unzeit­gemäß. Von einer Idylle im Grünen mag ich da nicht reden.

Vom Bahnhaus 81 sind einige Bilder aus einem Familien­album erhalten, die ausge­sprochen zeigens­wert sind. 

Bahnhaus 81.

Bild 12: Das Bahnhaus am Dorn­heimer Weg 1968.

Bahnhaus 81.

Bild 13: Das Bahnhaus am Dorn­heimer Weg noch ohne Wärterbude im Winter 1962.

Bahnhaus 81.

Bild 14: Das Bahnhaus am Dorn­heimer Weg mit dem Neben­gebäude (Stall) im Sommer 1962.

Katasterplan zu Bahnhaus 81.

Abbildung 15: Im April 1940 wurde das Bahn­grundstück ver­messen. Auf Parzelle 6 steht das Bahnhaus, Parzelle 7 ist die Bahn­trasse und links ist mit längeren Strichen der Dorn­heimer Weg einge­tragen. Quelle: Kataster­amt Darmstadt.

Das Bahnhaus war ein Typenbau der Hessischen Ludwigs­bahn von 1872 (Bau­beginn) bzw. 1873 (Fertig­stellung). Für den Bau veran­schlagte die Gesell­schaft 3.209 Gulden und neun Kreuzer. Im Gegensatz zu den BahnhäUser 83 und 84 weiter östlich ist hier der Treppen­aufgang links, weil sich dort auch der Bahn­übergang befunden hat. 

Seit 1960, vielleicht aber auch schon in den Vor­jahren, war der Bahnüber­gang aus Rationalisierungs­gründen, hier: Ein­sparung von Personal, zu bestimmten Zeiten in den Abend- und Nacht­stunden voll­ständig geschlossen. Unter den amtlichen Mitteilungen finden wir beispiels­weise im „Gries­heimer Anzeiger“ am 29. Oktober 1960 folgenden Hinweis:

„Die Bundesbahn teilt mit, daß der Bahnüber­gang Nr. 81 (Dorn­heimer Weg) auf der Strecke Darm­stadt – Goddelau ab 1. November bis voraus­sicht­lich Ende Februar 1961 täglich nur noch in der Zeit von 6.00 Uhr bis 20.00 Uhr besetzt ist.“

Rechtzeitig vor Monatsende teilt der Gries­heimer Bürger­meister Georg Bohl am 24. Februar 1961 mit, daß der Posten an diesem schienen­gleichen Bahnüber­gang in der Zeit von März bis Oktober 1961 „wieder“ von 5.00 Uhr bis 22.00 Uhr besetzt sei. Dieses Wechsel­spiel wieder­holte sich in den folgenden Jahren. Wer abends oder nachts aus Darm­stadts Wald­kolonie über Gehaborn nach Weiter­stadt fahren wollte, mußte einen anderen Weg wählen. Zu den Weihnachts­tagen 1967 sowie zu Silvester und Neujahr wenige Tage später wurde der Bahnüber­gang komplett geschlossen. Fuß­gänger­innen konnten weiterhin die Dreh­kreuze benutzen, während Straßen­fahrzeuge auf den Bahnüber­gang Pallas­wiese (Posten 82) verwiesen wurden.

Obwohl das Silvester­besäufnis schon etwas zurücklag, verfing sich am Dienstag­morgen des 2. Januar 1962 um 7.20 Uhr, so der „Griesheimer Anzeiger“ vier Tage darauf, ein Fahrzeug in der Bahn­schranke. Der Sach­schaden soll 800 DM betragen haben. Am Mittwoch­nachmittag des 3. April 1963 endete gegen 17.40 Uhr eine Fahrt mit Trunken­heit am Steuer ebenfalls an einer Bahn­schranke am Dorn­heimer Weg, wie die Zeitung drei Tage später vermeldete.

An der Braunshardter Hausschneise

Etwa zwanzig Schritte vom Kilometer­stein 54,4 entfernt liegt auf der Nord­seite der Schotterpiste ein Stein mit aufgesetzter Halbkugel. Möglicher­weise handelte es sich um eine Markierung, um Ver­schiebungen im Gleisbett abmessen zu können. Ein weiteres derartiges Exemplar ist mir nicht begegnet. 

Etwa einhundert Meter weiter westlich querte die Brauns­hardter Haus­schneise die Bahn­strecke. Der zugehörige Posten 80 war nicht besetzt; es gab es eine Schranke, die vom Wärter am Bahnhaus 81 zu öffnen und schließen war. Der erste Rationalisierungs­schritt kam 1956. Es wurde eine Anruf­schranke eingerichtet, die nur dann geöffnet wurde, wenn land- oder forst­wirtschaftliche Fahr­zeuge hindurch wollten. Einzelne Passanten werden wohl eher vorsichtig nach links und rechts geschaut haben, bevor sie einfach weiter­gegangen sind. Denn sie hatten sich mittels eines Hebels beim Schranken­wärter an Posten 79 zu melden und laut und deutlich sein (oder ihr) Begehr zu ver­künden. War kein Zug in Sicht, gingen die Schranken hoch. Nach Querung der Gleise war der Schranken­wärter durch lauten Zuruf davon zu informieren, daß die Gleise wieder frei waren.

Markierungsstein.

Bild 16: Der Markierungs­stein im Mai 2010.

Absperrung.

Bild 17: Absperrung beidseitig der Strecke an der Brauns­hardter Haus­schneise im April 2009.

Posten 80.

Bild 18: Gerhard Schreiner foto­grafierte den Bahn­übergang zwischen 1956 und 1960. Links vor dem Übergang steht die Sprech­säule.

Doch auch dies war noch zu ver­einfachen. Erst dachte die Bundes­bahn an eine Blink­lichtanlage. Aber da diese viel zu kostspielig für solch einen einfachen Waldweg gewesen wäre, wurde der Bahn­übergang Ende 1960 ganz dicht gemacht. Zur Begrün­dung wurde auf den nahe gelegenen Übergang am Dorn­heimer Weg verwiesen. Der war jedoch seit 1961 nur noch einge­schränkt nutzbar. Um die Gries­heimer und Weiter­städter Beschwerden zu beschwich­tigen, setzte die Bundes­bahn am Bahn­übergang einen Hydranten, der noch heute zu besichtigen ist. Seitdem stehen hier Absperr­stangen, was zu dem Kuriosum geführt haben mag, daß die Haus­schneise nach Ein­stellung des durchgehenden Personen- und Güter­verkehrs um diese Absperrung herum geführt wurde. 

Der konsequent letzte Schritt war dann …

Der Abbau des Gries­heimer Gleis­stummels 1991

Der zunehmende inner­städtische Verkehr auf der Bundes­straße 26 (Wilhelm-Leuschner-Straße) und die Erschlie­ßung des nörd­lichen Gries­heimer Gewerbe­gebietes erforderte in der auto­gerechten Denke der 1980er Jahre den Bau einer nörd­lichen Umgehungs­straße. Dieser Nordring sollte an der Flughafen­straße von der Haupt­straße abgehen und zunächst parallel zur Autobahn nach Nord­westen bis hin zur Riedbahn verlaufen, diese queren, um alsdann in westlicher Richtung bis zur Verbindungs­straße nach Büttel­born zu führen. Als kosten­trächtiges Hindernis dieser Erschließungs­maßnahme stellte sich ein zu errich­tender Bahnüber­gang heraus. Um den Bau desselben zu ver­meiden, bedurfte es der kompletten Stille­gung der noch vor­handenen Güter­strecke. Die Diskussion darum ist auf der Gries­heimer Bahnhofs­seite ausführ­licher dargestellt.

Mit den Abbau­arbeiten wurde im Sommer 1991 begonnen. Im Spät­herbst wurden der Rückbau östlich des noch zu planierenden Nordrings fort­gesetzt. Alfred Brosch doku­mentierte den Fort­schritt der Maß­nahme am 28, November 1991 in Höhe des Kilometer­steins 54,0. Ende November ist es am späteren Nach­mittag schon recht duster.

Schotter.

Bild 19: Die Schienen wurden schon abgetragen.

Abgeflext.

Bild 20: Hier gibt es noch einiges zu tun.

Abrißbagger.

Bild 21: Der Bagger wartet darauf, loslegen zu können.

Schweißarbeiten.

Bild 22: Schweißarbeiten am Gleis. Im Hinter­grund die Autobahn­brücke und der Abrißbagger.

Mehr als dreißig Jahre später kommen die Griesheimer Grünen auf die Idee, daß ein Gleis­anschluß für Griesheim vielleicht doch eine gute Idee wäre. Im Oktober 2022 beantragen sie in der lokalen Stadt­verordneten­versammlung den Magistrat damit zu beauftragen, in den Regional­plan Südhessen eine sogenannte Freihalte­trasse von der Berg­schneise bis in den Norden Gries­heims aufnehmen zu lassen. 

Lärm

Auf den Fotografien von Alfred Brosch war die sich nahende Autobahn schon zu erahnen. Bis Mitte der 1950er Jahre ging es noch ein wenig idyllischer zu. Eine im 19. Jahr­hundert gebaute Chaussee kreuzte am Posten 79 die Riedbahn. In mehreren Etappen wurde diese in den folgenden zehn Jahren zu einer brachialen Verkehrs­schneise umgabaut. Beim Ausbau zur Autobahn (heute A 67) wurde die Riedbahn sogar noch als zu elektrifizierende Strecke eingeplant. Davon zeugt ein großes Loch am nahe gelegenen Nordring, der in einer weiteren Ausbau­stufe seit den 1990er Jahren den Erholungs­wert dieses Waldstücks radikal senkt. Weniger bekannt ist, daß auf der Riedbahn zwischen der Brauns­hardter Haus­schneise und dem Posten 79 in den letzten Wochen des Zweiten Welt­krieges der letzte vor der US Army entflohene Zug bei Griesheim stehen blieb und von der dortigen Bevöl­kerung systematisch ausge­plündert worden ist. Die US-Fotografin und Kriegs­reporterin Margaret Bourke-White hat der Nachwelt hiervon einige Aufnahmen über­liefert.

Riedbahntrasse.

Bild 23: Der Schau­platz dieser Plünder­aktion. Aufnahme vom Juni 2008.

Die Bewohnerinnen und Bewohner Griesheims müssen sich schon ziemlich sicher gewesen sein, daß die unbarm­herzige Nazi-Justiz ihnen nichts mehr anhaben würde. Der letzte Zug verließ in der Nacht vom 22. zum 23. März 1945 den Bahnhof von Goddelau-Erfelden. Seine Waggons waren voller Textilien, Spitituosen und Lebens­mittel. Vermutlich wurde er bald darauf von den vor­rückenden US-amerika­nischen Truppen beschossen; jedenfalls blieb er im Wald liegen. Ein Augen­zeuge berichtete, sein Vater habe hiervon erfahren und so seien sie zu zweit losge­laufen. Doch als sie den Zug erreicht hätten, sei schon gar nichts mehr zu holen gewesen. Am 25. März 1945 mar­schierten die alliierten Soldaten in Darm­stadt ein. Margaret Bourke-White folgte den vorrückenden Truppen­verbänden der US Army in das besetzte Deutsch­land. Auf dem Weg in das eroberte Frank­furt kam sie durch den Weigangs­busch am Posten 79 und foto­grafierte die noch laufende und von den Militärs geduldete Plünde­rung, verlegte den Ort des Geschehens jedoch mangels Orts­kenntnis nach Erzhausen. 

»»  Zu den Geschehnissen im März 1945 siehe ausführl­icher meine Geschichts-Unter­seite zur Riedbahn in den Jahren ab 1945.

Materiallager.

Bild 24: Kurz vor Erreichen der Autobahn­unter­führung steht nörd­lich der Bahn­trasse ein sich selbst über­lassener Beton­bunker, der Material und Gerät­schaften zum Unter­halt der Riedbahn ent­halten haben soll. Aufnahme vom März 2011.

Unterd der Autobahn A 67.

Bild 25: Vorleistung für eine zwei­gleisige elektrifi­zierte Riedbahn mit je einem Wirtschafts­weg auf beiden Seiten. Aufnahme vom Juni 2008.

Die Stillegung der Riedbahn für den Personen­verkehr mit Ende des Sommer­fahrplans 1970 ließ im auto­vernarrten Hessen­land die Herzen der asphalt- und beton­hungrigen Planer höher schlagen. Ein ange­dachter Vor­läufer des späteren Nordrings benebelte das Gehirn eines unbekannten Schreibers. Manche Menschen benötigen weder Cannabis noch Alkohol, um zu hallu­zinieren.

„Allerdings ergibt sich hierdurch die Möglichkeit, den Belangen des immer dichter werdenden Straßen­verkehrs gerecht zu werden und eine neue nördliche Straßen­verbindung nach Darmstadt mit Anschluß nach Weiterstadt zu projektieren. Das Gelände des still­gelegten zweiten Gleises und des Parallelweges würde für die notwendige Straßenbreite ausreichen.“ 

Das Loch unter der Autorenn­bahn ist auf jeden Fall breit genug, um die grüne Vision eines erneuerten Güter­gleises nach Gries­heim zu verwirklichen.

Bis 1958 befand sich an dieser Stelle noch ein schienen­gleicher Bahnüber­gang mit einem Bahn­wärter­haus und Schranken­posten für die damals hier geführte Bundes­straße 26 von Mainz über Groß-Gerau nach Darmstadt. Doch schon wenige Jahre später wurde die Bundes­straße zur Autobahn ausgebaut (die heutige A67), nachdem Überlegungen, die Autobahn westlich an Griesheim vorbeizu­führen, verworfen worden waren. Im Juni 1963 wurde die Bundes­straße gesperrt und der Verkehr von Darmstadt in Richtung Mainz über Griesheim und Weiterstadt umgeleitet. Die Freigabe des Autobahn-Teilstücks vom Mönchhof-Dreieck bis zum Darmstädter Kreuz erfolgte in mehreren Teilstücken bis zum Sommer 1965.

Der Posten 79

Gerhard Schreiner, der Mitte der 1950er Jahre noch mit seinem Vater im Bahnhaus gewohnt hatte, nahm den Umbau bzw. Abbau des Bahn­übergangs mitsamt Bau der Schnell­straße zum Anlaß, den Vorgang foto­grafisch zu begleiten. Er selbst lebte bis etwa 1990 im nunmehr für die Eisen­bahn nutzlos gewordenen Bahnhaus, bevor dieses dem Bau des Nordrings weichen mußte. Seine Foto­grafien zum Posten 79 zeige ich auf mehreren eigenen Unterseiten.

Posten 79.

Bild 26: Der Vater von Gerhard Schreiner als Schranken­wärter Mitte der 1950er Jahre.

»»  Zur Startseite der Foto­grafien zur Geschichte des Postens 79.

Der Nordring unter­bricht seit Anfang der 1990er Jahre die Trasse der Riedbahn nach Gries­heim. Auf der Südseite dieser Trasse voller Schotter verläuft ein gern genutzter Wander- und Radweg. Der Wald ist jüngeren Datums und wurde wohl erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahr­hunderts angelegt. Was wollte man auch groß mit den Sand­dünen anfangen? An Spargel-Mono­kulturen war damals noch nicht zu denken. So ist dann auch die Brunnen­schneise, die auf den Waldweg führt, ein eher neuerer Wirtschafts­weg. Das Bahn­haus 78 bewachte einen 1925 verlegten Bahn­übergang. Es wurde 2012 durch einen Neubau ersetzt.

Schotter.

Bild 27: Ein Schotterbett, wie es auch an der Brunnen­schneise zu finden ist. Pflanzen haben auch dreizig Jahre nach Stillegung der Strecke keine echte Chance. Die chemische Keule wirkt. Nachhaltig. Aufnahme vom Juni 2008.

Bahnhaus.

Bild 28: Auch das Bahnhaus 78 war ein Typenbau der Hessischen Ludwigs­bahn. Aufnahme vom Mai 2010.

Von den Hektometer­steinen 55 bis 52,6 waren 2013 noch alle mit Ausnahme von 53,6 und 53 vorhanden.

Anmerkungen

Am Ende der angeklickten und eingefärbten Anmerkung geht es mit dem Return ( ⏎ ) zum Text zurück.

  1. Die Vorliebe der Deutschen für obskure Tatorte, Kommis­sarinnen und hane­büchen konstruierte Verbrechen ist schier uner­sättlich. Hier jedoch liegt ein echter Cold Case vor. Kommissar Dumm­bach, ermitteln Sie! [Für die Aus­wärtigen: Dummbach ist eine Figur aus dem Datterich.]   
  2. Karl Aßmann foto­grafierte diesen Schienen­bus an einigen anderen Stellen, unter anderem am Ortsrand von Griesheim. Volker Blees hat auf Drehscheibe Online weitere Bilder dieser Fahrt beige­steuert.   
  3. Thomas Maurer : Das nördliche Hessische Ried in römischer Zeit [2011], Seite 107.   
  4. So reime ich mir die nur vagen Angaben zum Fund zusammen.   
  5. Archäologische Zeitung, Neue Folge Zweiter Band, 27. Jahrgang [1869], Seite 30.   
  6. CIL XIII 6429. Den Hinweis auf den Grab­stein verdanke ich Werner Krone. Dietwulf Baatz nennt 1868, Ludwig Buch­hold 1869 als Fundjahr.   
  7. Gottfried Schwab : Tisiphone: eine Geschichte aus dem Dekumaten­lande [1888].   
  8. Auf einem 2011 noch online vor­handenen Kreis­plan des Land­kreises Darm­stadt-Dieburg waren noch zwei Gebäude als „Bahnhaus 81“ an der Nordost­seite der Kreuzung einge­zeichnet, obwohl selbiges längst nicht mehr vorhanden gewesen ist. Dies mag als Hinweis darauf zu betrachten sein, älteren Plänen nicht unbesehen zu glauben.   
  9. Die drei Fotografien liegen mir in nur geringer Auflösung und Größe vor. Sie wurden für diese Seite hoch­gerechnet und nach­bearbeitet.   
  10. Ausschreibung in der Darm­städter Zeitung vom 24. Juli 1872 [online ulb darmstadt]. Geschäfts­bericht der Hessischen Ludwigs­bahn für 1872 auf Seite 14 und für 1873 auf Seite 15. Die Fertig­stellung kann bis zum April 1874 gedauert haben, denn da ging der Geschäfts­bericht für 1873 in Druck.   
  11. Es könnte sich um einen Vermarkungs­stein nach den Oberbau­vorschriften der jeweiligen Bahn­direktion gehandelt hat. Damit lassen sich „Wanderungen“ des Oberbaus durch Erschüt­terungen beim Fah­betrieb nach­messen und über­prüfen. Siehe hierzu die Oberbau­vorschriften der DV 820.   
  12. Zu den Vorgängen um die Brauns­hardter Haus­schneise siehe Gries­heimer Anzeiger vom 14. Januar 1956 und vom 1. Oktober 1960.   
  13. Der Antrag als PDF. Siehe auch die Presse­information 2-23 von Bündnis 90/Die Grünen vom 22. Januar 2023. Schauen wir einmal, was die Autolobby davon hält.   
  14. Aus Urheberrechts­gründen kann das Foto hier nicht wieder­gegeben werden, aber ein Link auf das Bild. Karl Knapp erzählt die Geschichte dieser Plünderung in einem 2020 veröffent­lichten Artikel aus­führlich: „Es Ziggelsche“ – Ein Glücks­fall für Griesheim, in: Gries­heimer Anzeiger vom 18. April 2020, Seite 8. Anzumerken ist, daß die Aufnahmen von Margaret Bourke-White den nach Darm­stadt strebenden Zug auf dem nördlichen Strecken­gleis zeigen. Handelt es sich hier viel­leicht um einen anderen Zug als den aus Goddelau?   
  15. Griesheimer Anzeiger vom 18. Juli 1970.   
  16. Auszugsweise auch als: Margaret Bourke-White : Deutsch­land, April 1945; in: Moritz Neumann : 1945 nach­getragen [1995].