1869 wurde die Riedbahn zwischen Darmstadt und Worms eröffnet. Die heutige Riedbahn mit ihrem Hauptverlauf von Mannheim nach Frankfurt wurde erst zehn Jahre später errichtet. Dokumentiert wird auf meinen Riedbahn-Seiten der Streckenabschnitt zwischen Darmstadt und Goddelau.
Nördlich der Riedbahn befand sich auf Weiterstädter Gemarkung ein Dragoner-Exerzierplatz. Vorwiegend wurde das Gelände für Reitmanöver genutzt. Zur Belustigung des Publikums fand auch einmal ein Wettkampf statt. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges kam auf der anderen Seite der Bahnstrecke 1912 (oder erst 1914 ?) eine Zeppelinhalle hinzu, die jedoch mit Beginn der französischen Besatzung 1920 wieder abgerissen werden mußte. Der Exerzierplatz hatte zudem seine Existenzberechtigung verloren. Ein Versuch der IG Farben, auf dem sandigen und für die Landwirtschaft eher ungeeigneten Boden Yucca-Pflanzen auszuwildern, scheiterte. Als die Stadt Darmstadt ihre Abwässer loswerden wollte und ihr Kanalsystem deswegen 1940 an die Weiterstädter Grenzen ausdehnte, ermöglichten damit verbundene und gewiß auch chemisch belastete Bewässerung und Düngemittel die intensivere Nutzung des Bodens. Zehn Hektar des Geländes wurden mit Obstbäumen bepflanzt und mittendrin wurde der Rouvenhof errichtet, der somit neueren Datums ist.
Das Gelände in unmittelbarer Nähe der Autobahn war für die in Darmstadt ansässige Firma Röhm und Haas attraktiv genug, dort Ende der 1960er Jahre ein Zweigwerk mit Industriegleisanschluß anzusiedeln. Das Industriegleis wird bis heute ein- oder zweimal wöchentlich durch die Deutsche Bahn angedient, die dorthin ein bis drei Kesselwagen abliefert oder selbige wieder abholt. Zwei dieser Fuhren sind auf einer eigenen Bilderseite dokumentiert.
Diese Unterseite meiner Riedbahnseiten soll dieses militärisch, später landwirtschaftlich und schließlich industriell genutzte Gelände nicht ausführlich dokumentieren. Derartige Exkurse würden die Riedbahnseiten unnötig aufblähen. Das eine oder andere Bild soll jedoch eine Vorstellung davon vermitteln, wie es an der Grenze zwischen Darmstadt und Weiterstadt einst ausgesehen hat. Mit Ausnahme der Annonce in der „Darmstädter Zeitung“ vom 19. Juni 1875 entstammen die Bilder dem Konzernarchiv der Evonik Industries AG, das sie für diese Dokumentation freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.
Auf das Urheberrecht sei bei diesen historischen Aufnahmen ausdrücklich verwiesen.
»» Der Exerzierplatz befand sich nordwestlich des auf dem Lageplan von 1906 mit der Sigle [⇒ D4] eingezeichneten heutigen Gleisendes.
Beginnen wir mit einer kleinen Annonce aus der „Darmstädter Zeitung“ am Tag vor dem großen Ereignis am 20. Juni 1875, einem Sonntag. Es muß eine Veranstaltung gewesen sein, zu der ein gutbürgerliches Publikum zugelassen war. Da selbigem der Fußmarsch von der Innenstadt an die Peripherie wohl nicht zuzumuten war, die Straßen und Wege wohl staubig und schmutzig waren, und das Ganze womöglich auch noch – wie wir heute sagen würden – Eventcharakter besaß, wurde die damals einzig mögliche Lösung gewählt, größere Menschenmassen von A nach B zu transportieren: per Zug.
Praktischerweise führte das Bahngleis der Strecke von Darmstadt nach Worms direkt am Exerzierplatz vorbei. Daher setzte die Hessische Ludwigsbahn für die Hin- und Rückfahrt jeweils zwei Züge ein, die am Ludwigsbahnhof begannen. Die geschäftstüchtige Bahngesellschaft erwartete, daß das vergnügungssüchtige Publikum reguläre Fahrkarten bis zur Station Griesheim löste. Bei zwei Sonderzügen dürfen wir wohl mehrere hundert Fahrgäste ansetzen.
Die beiden Züge zur Anreise fuhren um 15.30 Uhr und um 16.00 Uhr los und kamen laut Fahrplan sechs Minuten später am Exerzierplatz an. Ob es hier Holzbänke als Ausstieghilfe gegeben hat? Die Rückfahrt war für 18.53 und 19.13 Uhr vorgesehen, mit einer Fahrzeit von jeweils sieben Minuten. Die Fahrzeiten waren so gelegt, daß der reguläre Personenverkehr nicht behindert wurde.
Wenn wir die spärlichen Angaben derselben Zeitung zur Grundlage nehmen, dann hätten an besagtem Sonntag auf dem Kavallerie-Exerzierplatz ein Wettrennen des hessischen Reitervereins in Anwesenheit des russischen Zaren Alexander II. und des hessichen Großherzogs Ludwig III. stattfinden sollen. Dieses Spektakel fiel aufgrund Regens aus und sollte am darauf folgenden Mittwoch (23. Juni) nachgeholt werden. Für den 24. Juni 1875 war zudem für halb elf eine große Parade vor dem russischen Zaren vorgesehen. Gerüchteweise wird vermeldet, daß sogar die Anwesenheit des deutschen Kaisers erwartet wurde. Am 25. Juni 1875 berichtete die „Darmstädter Zeitung“ ausführlich über diese für machtbewußte Kreise gesellschaftlich wichtige und der Aufrechterhaltung einer privilegierten Ordnung von Gottes Gnaden dienenden Veranstaltung:
„Gestern am 23. d. Mts. fanden bei Darmstadt auf dem Cavallerie-Exercierplatz das diesjährige Rennen des hessischen Reitervereins statt.
Dieselben wurden von Sr. Majestät dem Kaiser von Rußland in der Uniform Allerhöchst Seines Königl. preußischen Ulanenregiments, des 1. Brandenburgischen Nr. 3, Seiner Kgl. Hoheit dem Großherzog in russischer Generalsuniform und der ganzen Großherzoglichen Familie, Ihre Gr. H. die Prinzen in ihren russischen Uniformen, mit Allerhöchst deren Gegenwart beehrt, und verliefen unter überaus zahlreicher Betheiligung des Publikums, welche die hessische Ludwigsbahn durch Gestellung von Extrazügen in entgegenkommendster Weise erleichtert hatte, zur allseitigen Befriedigung.
Es wurden 5 Rennen geritten.“
Die Rennen, die Preisstifter und Sieger wurden in diesem Bericht ausführlichst gewürdigt. Diese männliche Angeberei wurde ergänzt durch einen „reichen Damenflor“, welcher den Siegespfosten umsäumte. Diese frühe Form der Gesellschaftsnachrichten endete ganz und gar positiv; anders kann es ja auch in der Scheinwelt des Schönen und Guten nicht sein. Man und frau feiert sich eben gerne selbst auf Kosten der Untertanen.
„In huldvollster Weise traten die Allerhöchsten und hohen Herrschaften in den Pausen in die Unterhaltung ein, und gestaltete sich so das ganze Fest zu einem wahrhaft fröhlichen.“
Fast vier Jahrzehnte später wurde aus militärischem Spiel militaristischer Ernst. Am 14. März 1914 unterschrieb Großherzog Ernst Ludwig eine Verordnung, die es dem Reichsmilitärfiskus ermöglichte, ein Enteignungsverfahren zugunsten eines Militärluftschiffhafens auf der Gemarkung Weiterstadt einzuleiten. Am 2. Dezember 1914 gab das hessische Finanzministerium bekannt, der Darmstädter Garnisonsverwaltung gestattet zu haben, ein Anschlußgleis an die Riedbahn in der Gemarkung Weiterstadt zu legen. Da mir keine weiteren diesbezüglichen Unterlagen bekannt sind, muß derzeit offen bleiben, von wo nach wo das Gleis verlegt worden ist. Es wird, ebenso wie die Zeppelinhalle, da war es im Herbst 1920 bis Frühjahr 1921, bald nach dem Einmarsch französischer Truppen abgebaut worden sein.
»» Die Luftschiffhalle neben dem Weiterstädter Exerzierplatz wird in einer eigenen Abhandlung näher vorgestellt.
Bild 2: Der Rouvenhof am 16. Februar 1966. Quelle: Evonik Industries AG, Konzernarchiv.
Bild 3: Der Rouvenhof am 16. Februar 1966. Quelle: Evonik Industries AG, Konzernarchiv.
Bild 4: Der Rouvenhof am 16. Februar 1966. Quelle: Evonik Industries AG, Konzernarchiv.
Bild 5: Der Rouvenhof am 16. Februar 1966. Quelle: Evonik Industries AG, Konzernarchiv.
Bild 6: Der Rouvenhof am 16. Februar 1966. Im Hintergrund der Funkturm an der Gräfenhäuser Straße. Quelle: Evonik Industries AG, Konzernarchiv.
Bild 7: Der Rouvenhof am 16. Februar 1966. Quelle: Evonik Industries AG, Konzernarchiv.
Bild 8: Der Rouvenhof am 16. Februar 1966. Im Hintergrund sind die Silhouetten der Wohnhäuser an der Riedbahn zu erkennen. Quelle: Evonik Industries AG, Konzernarchiv.
Bild 9: Der Rouvenhof am 16. Februar 1966. Aufgenommen vermutlich von der Nordostseite des Rouvenhofs. In der Gleiskurve zwischen Posten 84 und der Brücke über die Gräfenhäuser Straße befanden sich zwei größere Wasserbecken. Diese sind heute verschwunden. Blick nach Osten/Nordosten. Mitten durchs Bild führt auf einem kleinen Damm die Trasse der Riedbahn. Im Hintergrund sehen wir in der Bildmitte ein zwischenzeitlich längst abgerissenes Gebäude (eine Mühle ?) und weiter links davon die ehemalige Abdeckerei, sofern sie Mitte der 1960er Jahre noch als solche genutzt wurde. Quelle: Evonik Industries AG, Konzernarchiv.
Bild 10: Wie Sie sehen, sehen Sie nichts. Der 16. Februar 1966 scheint ein nebligtrüber Tag gewesen zu sein. Die Landstraße von Weiterstadt nach Darmstadt kreuzt die Riedbahn am Posten 84. Auffallend ist das Fehlen der heute vorhandenen Bäume hinter der Bahnstrecke. Der amtliche Darmstädter Stadtplan von 1966 hat hier folgerichtig Wiesen eingetragen, während in der 1971er Ausgabe schon Wald eingezeichnet ist. Quelle: Evonik Industries AG, Konzernarchiv.
Bild 11: Vermutlich hat sich der Fotograf leicht gedreht und zeigt uns nun die Einfahrt von der Mainzer Straße zum Rouvenhof. Quelle: Evonik Industries AG, Konzernarchiv.
Bild 12: Gleisarbeiten an der Werkseinfahrt am 27. Juni 1969. Die Bake am rechten Bildrand gehört zue Riedbahn. Leider wurde auch hier kein fahrender Zug fotografiert. Quelle: Evonik Industries AG, Konzernarchiv.
Bild 13: Das im Gegensatz zu heute weiter zurückversetzte Einfahrtstor im Sommer 1974. Quelle: Evonik Industries AG, Konzernarchiv.
Bild 14: Eine etwas akrobatische Kesselwagenfahrt im Juni 1977. Nicht zur Nachahmung empfohlen! Quelle: Evonik Industries AG, Konzernarchiv.
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