Signal in Griesheim. Formsignal in Griesheim.

Die Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau

Unfallstatistik 1893 bis 1896

Dokumentation

1869 wurde die Riedbahn zwischen Darmstadt und Worms eröffnet. Die heutige Riedbahn mit ihrem Hauptverlauf von Mannheim nach Frankfurt wurde erst zehn Jahre später errichtet. Dokumentiert wird auf meinen Riedbahn-Seiten der Streckenabschnitt zwischen Darmstadt und Goddelau.

Unfälle gehören seit Anbeginn des Eisenbahn­betriebs zu diesem dazu. Sie sind zwar auch auf „menschliches Versagen“ zurückzu­führen, jedoch in erster Linie den Arbeits- und Betriebs­bedingungen geschuldet. Gerade in den Anfangsjahren der Eisenbahn schauten die meist privaten Gesellschaften vor allem auf ihre Dividende. Die Sicherheit der Bediensteten, der Fahrgäste und auch Dritter, die zufällig den Weg eines Zuges kreuzten, war zweitrangig. Das Beispiel der Privatisierung der britischen Eisenbahnen mag diesen Sachverhalt nochmals verdeutlichen: die Zahl der Unfälle und der Toten stieg drastisch an.


Unachtsamkeit des Personals wird der Grund für jenen morgendlichen Auffahrunfall gewesen sein, der sich am 29. August 1871 am nördlichen Ende des Kopfbahnhofes ereignet hat.

„Gestern Morgen stieß auf der Hessischen Ludwigsbahn der erste, um ½6 Uhr abgehende Personenzug innerhalb des Rayons des hiesigen Bahnhofs auf einen ruhig im Geleise stehenden Güterzug. Einige Personen in jenem Zuge erlitten Contusionen, die übrigen Passagieren kamen mit dem, übrigens nicht geringen, Schrecken davon. Der Zug verspätete sich in Folge dieses Unfalls um etwa zwei Stunden.“

Der erste Zug wäre der um 5.15 Uhr abgehende Personenzug der Riedbahn nach Rosengarten gewesen, gefolgt um 5.20 Uhr vom Personenzug von Aschaffenburg über Darmstadt nach Mainz.


Die Specialdirection der Hessische Ludwigsbahn hatte dem Großherzoglichen Regierungs-Commissär monatlich einen Bericht mitsamt Statistik über die Unfälle auf den Gleisen und Bahnhöfen abzuliefern. Neben Arbeitsunfällen werden hier betriebsbedingte Vorkommnisse, Unfälle an Bahnübergängen, aber auch Zugunglücke aufgeführt. Für den Zeitraum von November 1893 bis Dezember 1896 wurden 281 Ereignisse im gesamten Netz der Hessischen Ludwigsbahn aufgeführt.

 Jan.Feb.MärzAprilMaiJuniJuliAug.Sep.Okt.Nov.Dez.
1893          1712
18941811136612105971413
1895111317333435484
1896326526222947

Auffällig ist in deser Tabelle der von der Hessischen Ludwigsbahn berichteten Eisenbahn­unfälle der Rückgang der gemeldeten Ereignisse ab April 1895. Dieser ist vermutlich durch eine nochmalige Erläuterung der Vorschriften hinsichtlich der statistischen Erfassung der Eisenbahn­unfälle durch das Reichs­eisenbahnamt in Berlin zurückzuführen.

Aus den 281 gemeldeten Ereignissen seien nachfolgend diejenigen aufgeführt, die mit der Riedbahn in Verbindung stehen. In den Bahnhöfen Worms und Darmstadt ist die Zuordnung nicht eindeutig, da hier auch andere Bahnstrecken einmündeten.

Am 9. November 1893 gab es am Abend einen tödlichen Unfall auf der Strecke zwischen Griesheim und Darmstadt am Bahn­übergang Riedbahn­straße bzw. Mainzer Straße im heutigen Weiterstädter Stadtteil Riedbahn:

„Am 9. November l[aufenden] J[ahres] Nachmittags 930 Uhr wurde der Bahnwärter Ludwig H. auf der freien Strecke zwischen den Stationen Griesheim im Ried u[nd] Darmstadt getötet.

Der g[enannte] H. hatte Wärterdienst am Uebergang No. 84 der Riedbahn in der Gemarkung Weiterstadt. Anscheinend hatte sich der g[enannte] H. bei dem Schließen der Schlagbäume verspätet und wollte noch kurz vor dem Güterzug No 597 die Gleise überschreiten, um den jenseitigen Schlagbaum niederzulassen. Die Locomotive des genannten Zuges faßte den g[enannten] H. im Rücken, schleifte ihn eine Strecke und verletzte ihn so schwer, daß der Tod sofort eintrat.

Das Personal des Zuges No 597 hat den Unfall nicht bemerkt. Der g[enannte] H. ist erst nach Passiren des Zuges von seiner Frau und seiner Schwester im Gleise liegend aufgefunden worden. Die Staatsanwaltschaft hat Anzeige erhalten, das Verfahren indessen eingestellt, da ein Anhalt für eine strafbare Handlung nicht vorgelegen hat.“

Am 22. November 1893 entgleiste ein Wagen bei der Einfahrt in den Darmstädter Bahnhof, als eine Weiche umgestellt wurde, über die dieser Wagen gerade fuhr:

„Am 22. November l[aufenden] J[ahres] Nachmittags 532 Uhr entgleiste bei der Einfahrt des Personenzuges No 209 in den Bahnhof Darmstadt der Wagen Bromberg No 16881 auf der Weiche No 60 mit beiden Achsen.

Personen sind nicht verletzt worden, auch kam eine Betriebsstörung nicht vor.

Der Schaden an der Weiche ist unbedeutend. Auch der Wagen ist nicht erheblich beschädigt worden. Der Unfall ist dadurch verursacht worden, daß der Hülfswärter Georg Andreas B., welcher auf dem Stellwerk der Südgruppe Dienst gethan hat, für eine Rangirmaschine die Weiche No 37/40 stellen wollte, sich in den Weichenhebeln vergriff und die Weiche No 60 unter dem einfahrenden Zuge umlegte.

Der g[enannte] B. ist in eine angemessene Geldstrafe genommen worden.“

Was auch immer „angemessen“ sein mag, wenn nach einem womöglich langen Arbeitstag die Konzentration nachläßt.

Am 28. November 1893 ereignete sich in Worms ein Arbeitsunfall, der für die damaligen Verhältnisse durchaus als „normal“ bezeichnet werden muß. Charakteristisch ist hierbei die Formulierung „X beschädigte sich“, die darauf hinweist, daß nicht etwa die betriebliche Sicherheit das Problem darstellt, sondern selbst­verschuldete Unachtsamkeit eines Bediensteten vorliegt:

„Am 28. November l[aufenden] J[ahres] Nachmittags 930 Uhr beschädigte sich der Rangirobmann Konrad N. in der Station Worms-Hafen. Der g[enannte] N. war, auf dem Laufbrett der Trajektmaschine stehend, mit dieser u[nd] drei anhängenden aus der Nähe ausgezogenen Wagen vorgefahren, um letztern in das zweite Gleis abstoßen zu lassen. Bei dem Aushängen der Kupplung zwischen Maschine und Wagen gerieth der g[enannte] N. mit dem linken Zeigefinger zwischen Kuppelbügel und Zughaken.

Der g[enannte] N. erlitt eine Quetschung des linken Zeigefingers und ist bis einschließlich den 10. Dezember l[aufenden] J[ahres] dienstunfähig gewesen.“

Mich würde hier interessieren, ob er für die zwei Wochen Arbeitsunfähigkeit einen Verdienstausfall erlitten hat.

Am 1. Dezember 1893 fuhr vor der Station Gernsheim ein aus Mannheim kommender Schnellzug auf einen im Bahnhof stehenden Güterzug auf. Der Unfallhergang wird auf einer eigenen Seite geschildert.

Am 30. Dezember 1893 „beschädigte sich“ der Stationsverwalter Wilhelm N. in Wolfskehlen bei der Abfertigung des Personenzugs No. 207. Beim Verlassen seines Büros kantete er mit dem rechten Fuß um und verrenkte sich das rechte Fußgelenk. Er war deshalb eine Woche dienstunfähig.

Drei Stunden später „beschädigte sich“ der Stationsdiener Georg K. beim Transport eines Tabakballens:

„Am 30ten Dezember v[origen] J[ahre]s Nachmittags 500 Uhr beschädigte sich der Stationsdiener Georg K. in der Station Goddelau-Erfelden.

Der g[enannte] K. und der Hülfswärter Kr. trugen einen Ballen Tabak aus dem Zuge No. 165 an den Zug No. 209. Der g[enannte] K. trug auf der linken, der g[enannte] Kr. auf der rechten Schulter. Bei dem Absetzen am Packwagen des Zugs No. 209 bückte sich der g[enannte] K., während der g[enannte] Kr. den Wagenthüre­halter heben mußte. Dabei bekam der Ballen das Uebergewicht und drückte den g[enannten] K. mit dem Gesicht gegen den Thürrahmen.

Der g[enannte] K. erlitt eine Rißwunde am linken Augenlid und ist noch arbeitsunfähig.“

Das wird dann eine größere Rißwunde gewesen sein, denn der monatliche Bericht ging dem Regierungs-Comissär in der Regel am 15. des Folgemonats zu.

Am 18. Januar 1894 erlitt der Rangierer K. in der Station Rosengarten nachmittags gegen 16.00 Uhr eine Daumenquetschung, als er die Türe eines Waggons schließen wollte.

Eine Stunde später, also bei beginnender Dunkelheit, wurde der Felschütz K. in angetrunkenem Zustand zwischen den Stationen Groß-Rohrheim und Biblis von einem Schnellzug erfaßt und getötet. Dieser war zuvor in Biblis von zwei Stationsbediensteten von den Gleisanlagen verscheucht worden, als er sich zu Fuß auf dem Gleisdamm nach Hause begeben wollte. Offensichtlich hat er sich dann außerhalb der Stationsanlagen wieder auf das Gleis begeben. Ein Bahnwärter fand ihn auf der Böschung und veranlaßte, daß er nach Groß-Rohrheim gebracht wurde. Dort starb er.

Am 31. Januar 1894 stolperte der Lokomotivführer Karl A. in einem Werkstattkanal unterhalb seiner Lok über ein Stück Holz und erlitt hierdurch einen Bänderschaden am Kniegelenk.

Am 9. April 1894 rutschte der Arbeiter Adam S. auf einer fettigen Stelle einer Drehscheibe aus und zog sich eine Kontraktion des rechten Kniegelenks zu. Er war auf dem Weg zum Gepäckwagen des Zuges No. 207, um das Gepäck in Empfang zu nehmen.

Einen etwas skurrilen Unfall erlebte am 16. April 1893 den Hülfs-Conducteur O. auf freier Strecke zwischen den Stationen Gernsheim und Biebesheim. Vermutlich, um sich bei der Fahrkarten­kontrolle in den damaligen Abteilwagen von Abteil zu Abteil zu hangeln, öffente er die Wagentüre auf der linken Seite. Das war insofern ungeschickt, als er hierdurch auf der doppelgleisigen Strecke dem aus Biebesheim kommenden Zug No. 212 begegnete. Die geöffnete Türe schlug gegen einen Gegenstand am Zug des anderen Gleises und brach dem Conducteur den rechten Daumen und quetschte seinen rechten Handrücken. Dieser Unfall mag vielleicht nicht einmal atypisch gewesen sein, denn die Unfallgefahr beim Übergang von einem Abteil zum nächsten lag relativ hoch.

Am 13. Mai 1894 starb auf den Darmstädter Bahnanlagen am Mittag ein Bediensteter beim Überqueren der Gleise:

„Am 13. Mai d[ieses] J[ahre]s Vormittags 1156 Uhr verunglückte der Hülfswagenwärter Jakob Sch. im Bahnhofe Darmstadt.

Der g[enannte] Sch. wollte sich, nachdem er die Zugleine von den Personenwagen des Zuges No. 205 abgezogen hatte, vom achten Gleise aus nach dem einfahrenden Zuge No. 70 begeben, blieb aber an einer Schiene des siebenten Gleises hängen, fiel zu Boden und wurde von der Maschine des Zuges No. 594, welche den Packwagen des Zuges No. 205 im siebenten Gleise zu holen hatte, überfahren. Obgleich der Führer der erwähnten Maschine langsam gefahren ist und auf Zuruf sofort hielt, wurde der g[enannte] Sch. dennoch so schwer verletzt, daß er auf dem Transport nach dem Krankenhause starb.

An dem Unfall trägt der g[enannte] Sch. insofern die Schuld, als er kurz vor der Maschine das Gleis überschreiten wollte, obwohl ihm bekannt sein mußte, daß die betreffende Fahrt täglich gemacht wird.

Ein Verschulden Dritter ist ausgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft hat Anzeige erhalten.

Das Verfahren ist mangels strafbarer Handlung eingestellt worden.“

Am 3. Juni 1894 erlitt der Stationsarbeiter Wilhelm L. vormittags um 9.50 Uhr im Bahnhof Rosengarten eine Kontraktion der rechten Kniescheibe:

„Der g[enannte] L. versah bei Zug No. 204 den Gepäckdienst und verließ nach Ankunft des Zuges zu Rosengarten den Packwagen. Dabei stieß der g[enannte] L. mit dem rechten Knie gegen das Rad eines Gepäckkarrens, welchen die Arbeiter zur Aufnahme des Gepäcks bereit gestellt hatten.“

Immerhin war die Verletzung so schlimm, daß er eine Woche lang dienstunfähig war.

Am 6. Juni 1894 „beschädigte sich“ der Bremser Wam F. in Gernsheim, als er zwei Wagen von der Lokomotive abkuppelte und dabei in die Kupplung geriet. Er erlitt eine Quetschung am rechten Zeigefinger und war deshalb bis zum 17. Juni diesntunfähig.

Am 18. Juni 1894 stießen auf den Darmstädter Bahnanlagen mittags gegen halb eins zwei Lokomotiven zusammen:

„Am 18. Juni l[aufenden] J[ahre]s Nachmittags 1230 Uhr fand im Bahnhofe Darmstadt ein Zusammenstoß statt.

Am genannten Tage hatte der Zug No. 70 sechs Personenwagen gebracht, welche von der Perronmaschine (Führer W.) abgezogen wurden. Einer dieser Wagen wurde von Weiche No. 34 aus nach der Güterdrehscheibe gestoßen. Mit den übrigen fünf Wagen fuhr die Perronmaschine vor die Weiche No. 34, um von da die Wagen nach dem achten Gleise zu verbringen. Bei dieser Fahrt stieß die Rangiermaschine (Bischofsheim) mit der mit Material aus der Werkstätte kommenden Lokomotive ‚Mozart‘ (Führer B.) zusammen.

Beide Maschinen wurden erheblich beschädigt. Ein Personenwagen entgleiste mit einer Achse.

Personen sind nicht verletzt worden. Auch ist eine Betriebsstörung nicht eingetreten.

Die Schuld an dem Unfall trägt der Lokomotiv­führer B. von der Maschine ‚Mozart‘. Der g[enannte] B. fuhr mit großer Geschwindigkeit und bemerkte die Rangierabtheilung erst, als er dieselbe nahezu erreicht hatte, so daß Versuche, die Maschine zu stellen, einen Erfolg nicht mehr haben konnten. Der Führer der Rangiermaschine hatte bereits auf große Entfernung Notsignal gegeben und seine Rangierabtheilung bei dem Zusammenstoß nahezu gestellt.

Die Staatsanwaltschaft hat Anzeige erhalten.

Gerichtliche Untersuchung ist eingeleitet.“

Am 29. Juni 1894 verbrühte sich der Hülfsheizer Wendel K. nachmittags gegen 14.00 Uhr im Bahnhof Rosengarten. Er hatte den Kessel der Lokomotive „Flonheim“ mittels des Injektors der Lokomotive „Pfalz“ mit heißem Wasser gefüllt. Beim Aufschrauben flog die Trajektor­mutter ab. Das heiße Wasser ergoß sich über den linken Vorderarm.

Am 8. Juli 1894 bestieg der Gleisarbeiter Johann T. in Biblis morgens um halb fünf den Packwagen des Zuges No. 152, um sich nach Lampertheim zu begeben. Er hielt hierbei sich am Türrahmen des Wagens fest. In diesem Moment prallten Wagen auf den Packwagen, wodurch die Türe zuflog und die linke Hand quetschte. Er war zwei Wochen dienst­unfähig.

Am 12. Juli 1894 „beschädigte sich“ der Kohlenlader Johann L. morgens um acht Uhr in der Station Rosengarten. Er war im Kohlemagazin mit dem Aufschütten der Kohlen auf die Maschine No. 421 beschäftigt. Er fiel von der Verlade­pritsche, erlitt eine Quetschung des linken Handgelenks und war zehn Tage dienst­unfähig.

Am 21. Juli geriet die linke Hand des Güter­bahn­arbeiters Georg Wilhelm St. kurz vor Mittag beim Verladen mehrerer Fässer im Bahnhof Darmstadt zwischen die Bodendauben eines stehenden und eines darauf gesetzten Fasses. Er erlitt Quetsch­wunden an der linken Hand und war zwei Wochen dienst­unfähig.

Am 6. September 1894 starb der „Ackermann“ Heinrich L. beim Versuch, zwischen Wolfskehlen und Griesheim das Gleis zu überqueren:

„Am 6. September d[ieses] J[ahre]s Vormittags 652 Uhr wurde am Drehkreuz-Uebergang No. 73 in der Gemarkung Griesheim zwischen den Stationen Griesheim i/R und Wolfskehlen der Ackermann Heinrich L. der Vierte aus Griesheim vom Personenzug No. 200 überfahren und sofort getötet.

Der g[enannte] L. war allein, eine Sense auf dem Rücken aus dem Orte über den Bahnkörper nach dem Felde zu gegangen und wurde nach den Spuren, von der Maschine erfaßt, ehe er das Gleise vollständig überschritten hatte.

Nach dem Fahrberichte des Zuges 200 war das Wetter gut. Auch war es um fragliche Zeit schon genügend hell. An dem betr[effenden] Uebergang ist der Ausblick nach der 1,5 m über Terrain gelegenen Bahn durch nichts gehindert, die Bahn selbst liegt in gerader Strecke. Der Verunglückte soll nicht mehr genügend gesehen und gehört haben. Entweder hat er aus diesem Grunde das Herannahen des Zuges nicht bemerkt, oder aber demselben nicht die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt, oder geglaubt, vor dem Zuge noch über den Bahnkörper kommen zu können. Selbstmord scheint ausgeschlossen.

Die Staatsanwaltschaft hat Anzeige erhalten. Das Verfahren ist eingestellt worden, da nach den angestellten gerichtlichen Ermittlungen eine strafbare Handlung nicht vorliegt.“

Am 22. September 1894 wird ein Fuhrwerk, das ahnungslos die Strecke zwischen Rosengarten und Hofheim querte, angefahren:

„Am 22. September d[ieses] J[ahre]s Vormittags 613 Uhr wurde auf dem Uebergang No. 36 zwischen den Stationen Rosengarten und Hofheim i/R. ein Fuhrwerk überfahren.

Uebergang No. 36 hat Zugbarrieren, welche von Uebergang No. 35 aus bedient werden. An dem letzteren hatte der Bahnmeister Johann Wendel D. Dienst. Der g[enannte] D. will im Wärterhäuschen am Uebergang No. 35 gesessen und das Herannahen des fahrplanmäßigen Leerzugs No. 595ª zu spät bemerkt haben, so daß er den Uebergang No. 36 nicht mehr rechtzeitig schließen konnte. In Folge dessen gelangte ein Fuhrwerk des Landwirtes Johann G. aus Hofheim auf den Uebergang und wurde durch die Maschine des genannten Zuges bei Seite geschoben. Der hintere Theil des Wagens wurde stark beschädigt. Pferd und Fuhrmann haben Verletzungen nicht erlitten. Auch ist eine Betriebsstörung nicht eingetreten und das Zugmaterial nicht beschädigt worden.

Der Unfall ist von dem g[enannten] D. allein zu vertreten. Das Zug- und Lokomotivpersonal konnte das Fuhrwerk nicht kommen sehen, da der Ausblick auf den Weg, auf welchem dasselbe anfuhr, durch Bäume verdeckt war.“

Am 10. Oktober 1894 geschieht ein Arbeitsunfall, der wohl vermeidbar gewesen ist:

„Am 10. October l[aufenden] J[ahres] Nachmittags 500 Uhr beschädigte sich der Gleisarbeiter Valentin D. in der Station Rosengarten.

Von Station Rosengarten aus wurden durch den Vorarbeiter A. unter Beihülfe einiger Gleis-Arbeiter mittels Rollwagens Kohlen an die Bahnwärter der Strecke Rosengarten-Lampertheim vertheilt. Bei der Rückfahrt wurden mehrere verfügbar gewordene Zugschranken-Beschlagtheile zur Aufbewahrung im Magazin mitgenommen. Darunter ein eisernes Zugschranken-Rundgewicht. Als bei Ankunft zu Rosengarten der auf dem Rollwagen aufgesetzte Holzrahmen abgenommen wurde, fiel das Rundgewicht von dem stillstehenden Wagen zu Boden, kantete um und traf den g[enannten] D. an der linken Fußseite.

Der g[enannte] D. erlitt eine Quetschung des linken Fußes und ist bis einschließlich den 24. October l[aufenden] J[ahres] dienstunfähig gewesen.“

Am 4. November 1894 erlitt der Hülfsarbeiter Ernst B. eine Rückenprellung, als er abends um halb sieben auf Zug Nr. 210 zwischen den Stationen Griesheim und Wolfskehlen von einem zu einem anderen Wagen gelangen wollte. Er trat dabei daneben und fiel vom Zug.

Am 7. November 1894 zwängte sich der Hülfsarbeiter Konrad L. im Bahnhof Worms-Hafen abends um halb acht zwischen zwei Güterwagen und prallte hierbei mit seiner linken Backe gegen den Fußtritt eines Wagens. Er erlitt eine Quetschwunde und war zwei Wochen dienstunfähig.

Tags darauf entgleisten bei der Ausfahrt aus demselben Bahnhof abends um 21.20 Uhr der Packwagen, zwei Personenwagen und ein Güterwagen des gemischten Zuges No. 193, der von Mannheim über Lampertheim nach Worms gefahren wurde. Beim Rangieren wurde eine Weiche aufgeschnitten, so daß die Wagen, die sich oberhalb der Weiche befanden, bei Anfahrt des Zuges in ein anderes Gleis gelenkt wurden als die Wagen unterhalb der Weiche. Verletzte gab es keine. Der Vorfall wurde einem Weichenwärter, einem Wagenwärter, dem Zugführer, einem Rangierer und dem Rangiermeister angelastet, weil sie darauf hätten achten müssen. Die eingeschaltete Staatsanwaltschaft befand sich nicht als zuständig.

Am 14. November 1894 klemmte sich der Weichenwärter Georg M. in der Station Gernsheim abends um halb acht beim Rangieren von Zug Nr. 210 die linke Hand in die Kupplung ein. Er erlitt eine Prellung. Einen Monat später wird er immer noch als dienstunfähig betrachtet.

Am 25. November 1894 zog sich der Wagenwärter Jakob B. morgens gegen zehn Uhr eine Brandwunde zu, als einen Packwagen und einen personenwagen voneinander trennen wollte. Beim Abschrauben des Heizschlauchs strömte Dampf aus, der ihn am linken Vorderarm verbrühte. Mitte Dezember galt er noch als dienstunfähig.

Am 10. Dezember 1894 wurden im Bahnhof Rosengarten vormittags gegen halb zehn Schweine mittels eines Karrens in einen Güterwagen verfrachtet. Der Wagenwärter Heinrich F. stellte sich auf den Karren, um die Schwine anzutreiben. Dabei verlor er die Kontrolle über den Karren und fiel zu Boden. Er erlitt eine Prellung und war bis zum Jahresende dienstunfähig.

Am 28. Januar 1895 verbrühte sich der Hülfsheizer Jakob H. im Bahnhof Rosengarten vormittags gegen zehn Uhr. Er wollte bei einem Dampfwagen ein Siederohr zuschlagen, hierbei flog der Rohrstöpsel heraus. Das heiße Wasser ergoß sich über seine linke Hand. Mitte Februar war er noch dienstunfähig.

Eine Stunde später glitt im Bahnhof Worms der Rangierer Konrad Sch. auf dem Trittbrett eines Wagens aus und verwundete seinen Unterschenkel durch das Anstoßen an das Trittbrett. Auch er war Mitte Februar noch dienst­unfähig.

Am 9. März 1895 fand morgens kurz vor acht Uhr eine Flankenfahrt im Bahnhof Biblis statt. Die genaueren Umstände sind auf einer eigenen Seite nachzulesen.

Am 18. März 1895 fiel während der Zugfahrt einem Schaffner die Dienstmütze vom Kopf:

„Am 18. März d[ieses] J[ahre]s Nachmittags 620 Uhr beschädigte sich Hülfs­conducteur Ernst Ludwig B. im Bahnhofe Darmstadt.

Der g[enannte] B., welcher bei Zug No. 210 Personen­dienst hatte, wollte sich bei Ausfahrt dieses Zuges nach Beendigung der Fahrkarten­prüfung in den Packwagen begeben. Auf dem Wege dahin fiel dem g[enannten] B. die Mütze vom Kopfe. Da der Zug noch in langsamer Bewegung war, sprang der g[enannte] B. vom Trittbrett ab, um die Mütze aufzuheben. Beim Wieder­aufspringen stieß der g[enannte] B. gegen eine Thüre, verwundete sich am Kopfe und erlitt eine Gehirn­erschütterung.

Der g[enannte] B. ist noch dienstunfähig.“

Riedbahngleis.
Bild 1: Riedbahngleis mit Lücke, aber keine Unfallgefahr.

Am 20. März 1895 erlitt der Wagenwärter Ludwig Sch. in der Station Goddelau-Erfelden abends gegen halb acht eine Quetschung des linken kleinen Fingers. Beim Rangieren von Güterzug Nr. 573 kuppelte er die Wagen zusammen. Beim Aufprall eines Güterwagens erhielt er einen Stoß und versuchte sich festzuhalten. Er „geriet mit der linken Hand zwischen die Kopfschwelle, sowie den Ansatz der Zugstange eines Wagens“. Mitte April war er noch dienst­unfähig.

Siehe hierzu auch einen älteren Artikel zu Zugvorrichtungen.

Am 25. März 1895 glitt der Hülfsheizer Wilhelm A. beim Schmieren der Lokomotive No. 71 nachts gegen ein Uhr im Bahnhof Rosengarten beim Überschreiten eines Kanals aus. Er prellte sich das rechte Kniegelenk und war bis zum 28. März dienstunfähig.

Am 28. März 1895 war der Bahnwärter Johannes K. zwischen Darmstadt und Griesheim mit dem Anziehen loser Schwellenschrauben beschäftigt. Hierbei glitt ihm der Schraubenschlüssel ab. Er fiel dadurch zu Boden und schlug mit dem linken Handrücken auf einen Schraubenbolzen auf. Mitte April war er noch dienstunfähig.

Am 8. Juli 1895 führte Übereifer zu einem Rippenanriß und zu Dienstunfähigkeit:

„Am 8. Juli d[ieses] J[ahres]s Nachmittags 950 Uhr beschädigte sich der Gepäckexpedient Franz Gustav R. im Bahnhofe Darmstadt.

Der g[enannte] R. hatte als Ablöser eines Bahnhofsassistenten die Abfertigung des Zuges No. 83 zu besorgen. Nachdem die Maschine und der Packwagen des Zuges No. 83 gedreht waren, sollte ein auf der Drehscheibe stehender Personenwagen auf Zug No. 83 gedrückt werden. Um diese Arbeit möglichst zu beschläunigen, legte der g[enannte] R. selbst mit Hand an, indem er sich mit dem rechten Arm gegen den Wagen stemmte. Durch die Anstrengung beim Drücken zog sich der g[enannte] R. eine Infraction der rechten dritten Rippe zu.“

Am 7. September 1895 fand auf freier Strecke ein Verkehrsunfall aufgrund einer nicht geschlossenen Bahnschranke statt:

„Am 7. September l[aufenden] J[ahre]s Vormittags 436 Uhr hat der Bauzug No. 592ª bei Uebergang No 84 in der Gemarkung Weiterstadt zwischen den Stationen Darmstadt und Griesheim i/R. zwei Wagen überfahren, welche in der Richtung nach Darmstadt den Uebergang passirten. Die beiden Wagen waren aneinander gehängt und mit zwei Pferden bespannt. Der Fuhrmann Georg R. aus Worfelden wurde getötet. Der ebenfalls auf dem Wagen sitzende Neffe des g[enannten] R., Jakob K. von Worfelden, wurde nur leicht verletzt. Die beiden Pferde wurden getötet, die Wagen in den Bahngraben nächst dem Uebergang geschleudert und beschädigt.

An dem Zuge sind Beschädigungen nicht vorgekommen. Auch Betriebsstörungen sind, abgesehen von einer Verspätung von 12 Minuten nicht eingetreten.

Die Schuldfrage anbelangend, so hatte bei genanntem Zuge die 25 Jahre alte Barrierenwärterin Johannette Sch. den Uebergang No. 84 zu bewachen. Die Sch. gesteht zu, mit häuslichen Arbeiten beschäftigt gewesen und das Schließen der Schranken des Uebergangs versäumt zu haben. Die Sch. hatte täglich von 426 Uhr bis 915 Uhr Vormittags Zugschranken­dienst am Uebergang No. 84 zu versehen und war während der übrigen Zeit des Tages zum Bahndienst nicht herangezogen. Die Insassen des Wagens scheinen geschlafen zu haben, da sie sonst den herannahenden Zug bemerkt haben müßten. Der Führer K. vom Zuge No. 592ª hat bei der noch herrschenden Dämmerung das Fuhrwerk erst etwa 30 m. vor dem Uebergang bemerkt. Auch ist es demselben nicht wohl möglich gewesen, auf eine größere Entfernung zu sehen, daß der Uebergang nicht geschlossen gewesen ist.

Der Führer hat sofort Haltesignal gegeben, den Unfall jedoch nicht verhüten können. Mit Rücksicht auf das Gefälle von 1/250, die Größe des Zuges von /: 16 Achsen :/ und der Umstand, daß letzterer nur von Hand bediente Lampen hatte, ist anzunehmen, daß der Führer auch nicht zu rasch gefahren ist. Denselben dürfte daher ein Verschulden nicht treffen.

Die Staats­anwaltschaft hat Anzeige erhalten. Gerichtliche Untersuchung ist eingeleitet.“

Am 23. Januar 1896 glitt der Wagenwärter Heinrich H. bei der Abfahrt des Zuges Nr. 210 aus dem Bahnhof Darmstadt gegen 18.15 Uhr beim Öffnen einer Wagentüre aus. Dabei fiel er vom Zug und verletzte sich am Kopf und der linken Hand. Am 10. Februar trat er seinen Dienst wieder an.

Am 10. März 1896 überfuhr ein aus Goddelau kommendes Fuhrwerk nördlich von Goddelau die geschlossene Schranke eines gut beleuchteten Bahnübergangs und rannte in den nach Darmstadt fahrenden Schnellzug Nr. 215. Der Führer des Fuhrwerks, der Metzger H. aus Griesheim, soll angetrunken gewesen sein und will noch vor dem Aufprall abgesprungen sein. Er blieb unverletzt, während das Pferd getötet wurde.

Am 21. Juli 1896 riß sich der Bremser Adam K. in der Station Rosengarten um halb vier am Nachmittag einen Fingernagel aus, als er bei einer Lokomotive Holz unter das Rad schieben wollte. Das Holz splitterte. „Der Unfall wurde durch eigene Unvorsichtigkeit verschuldet.“

Am 17. August gegen sechs Uhr abends erlitt der Gleisarbeiter Adam O. auf dem Weg von der Ölgasanstalt ins Darmstädter Empfangsgebäude einen Bruch des rechten Speichenknochens. Er hatte sich unterwegs auf einen haltenden Packwagen gesetzt und ließ sich von diesem mitnehmen. Die Bremse des Packwagens versagte jedoch, so daß der Wagen auf einen im Bahnhof stehenden Postwagen auffuhr. Dabei fiel O. zu Boden und zog sich den Bruch zu. „Ein Verschulden Dritter liegt nicht vor.“


Die seitens der Hessischen Ludwigsbahn ausgewiesenen Eisenbahn­unfälle scheinen im Vergleich zu anderen Betreibern verhältnis­mäßig hoch gewesen zu sein. Die Hessische Ludwigsbahn argumentierte in diesem Zusammen­hang damit, daß anderen Eisenbahn­gesellschaften die Statistiken laxer führen würden. Dieser Behauptung wollte das Reichs­eisenbahnamt auf den Grund gehen und forderte deshalb am 11. April 1894 beim hessischen Staats­ministerium weitere Unterlagen an.

„Die Hessische Ludwigs-Eisenbahn­gesellschaft hat vorgetragen, daß ihre Bahn in den monatlichen Nach­weisungen der Unfälle beim Eisenbahn­betriebe regelmäßig weit höher rangire, als es bei den Vorsichts­maßregeln die von ihr zur Verhütung von Unfällen getroffen würden, zu erwarten sei. Sie könne dieses Mißverhältniß nur dadurch erklären, daß die Unfälle nicht überall in derselben Weise gemeldet würden und daß es andere Verwaltungen unterließen, weniger schwere Unfälle zu rapportiren. Eine Vergleichung der Unfall­berichte anderer Eisenbahn­verwaltungen mit denen der Hessischen Ludwigsbahn scheint die Vermuthung der letzteren nicht zu bestätigen. Ein bestimmtes Urtheil läßt sich indessen aus dem hier vorliegenden Material nicht gewinnen, es könnte vielmehr nur aus einer Vergleichung der Unfall­berichte mit den nach § 52 des Unfall­versicherungs­gesetzes vom 6. Juli 1884 zu führenden Verzeichnissen geschöpft werden.

Da dem Reichs-Eisenbahn-Amte daran gelegen ist, die Grund­losigkeit der von der Hessischen Ludwigs-Eisenbahn­gesellschaft ausge­sprochenen Vermuthung bestimmt nachzuweisen, so gestattet es sich das Großherzogliche Staats­ministerium ergebenst zu ersuchen, die Groß­herzogliche Direktion der Ober­hessischen Eisenbahnen sehr gefällig beauftragen zu wollen, dem Reichs-Eisenbahn-Amte die nach § 52 des Unfall­versicherungs­gesetzes zu führenden Verzeichnisse für das Betriebsjahr 1892/93 einzusenden.“

Leider wird der Fortgang dieser Geschichte in der betreffenden Akte nicht weiter verfolgt. Allerdings hat das Reichs­eisenbahnamt 1895 per Rundschreiben an alle Gesellschaften noch einmal erläutert, wie die statistischen Nachweise der Unfälle auf den jeweiligen Bahnen zu führen seien. Es ist nicht auszuschließen, daß hiermit versucht wurde, eine gewisse Standardisierung beim Erstellen dieser Statistiken zu erreichen.


Literatur


 
 
 
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