Denkzeichen. Gedenkort Güter­bahnhof Darmstadt.

Die Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau

Das Ende von Weimar, die Nazis und der Vernichtungskrieg

Dokumentation

1869 wurde die Riedbahn zwischen Darmstadt und Worms eröffnet. Die heutige Riedbahn mit ihrem Hauptverlauf von Mannheim nach Frankfurt wurde erst zehn Jahre später errichtet. Dokumentiert wird auf meinen Riedbahn-Seiten der Strecken­abschnitt zwischen Darmstadt und Goddelau.

Nachdem die letzten französischen Truppen Deutschland geräumt hatten, brachen sich allerlei Emotionen Bahn. Darmstadt wurde Nazistadt, während die Arbeitervororte etwas widerspenstiger blieben. Darmstadt entschied sich im März 1933 eindeutiger als der Reichs­durchschnitt für die Nazis. Schnöde wirtschaftliche Interessen trieben den ohnehin vorhandenen Antisemitismus voran. Die Technische Hochschule, das Landestheater, staatliche und städtische Behörden und andere Einrichtungen wurden umgehend von Jüdinnen und Juden und anderen, die man und frau für solche hielt, gesäubert. Die Stellen wurden von interessierten nichtjüdischen Deutschen eingenommen. Geschäfte und Unternehmen wurden „arisiert“, auch hier gab es handfeste materielle Interessen. Schikanen aller Art nahmen zu und in der Reichs­pogromnacht wurden die beiden Darmst­ädter Synagogen zerstört. Vom Darmstädter Güter­bahnhof gingen die Todes­transporte nach Auschwitz und anderen Orten.

1944 und 1945 kehrte der „totale Krieg“ nach Darmstadt zurück. Tausende starben im Flammenmeer, und es waren nicht immer diejenigen, welche 1933 begeistert für das Nazipack gestimmt hatten. Die Darmstädter Altstadt war zerstört, aber auch in Goddelau, Wolfskehlen und Griesheim fielen Bomben. Mit den US-amerikanischen Besatzungs­truppen kam die Befreiung von den Nazis, wenn auch manche ihrer Schergen im Wirtschafts­wunderland unbehelligt als Politiker, Ärzte und Juristen nunmehr unter demokratischem Deckmantel ihr Unwesen treiben durften.

Ich danke an dieser Stelle Klaus Hopf, Wolfgang Löckel und Ines Wagemann vom Stadtarchiv Griesheim, die mich bei der nun folgenden Darstellung auf unterschiedliche Weise unterstützt haben.


Dieses Kapitel über die Nazizeit ist die Fortsetzung des Kapitels über die das Ende der französischen Besatzung von 1925 bis 1930.

Prolog: Ein Zeppelin, viele Nazis und die Abwicklung der Weimarer Republik

Nachdem die französischen Besatzungs­soldaten zum 30. Juni 1930 Griesheim und das besetzte Gebiet westlich des Rheins geräumt hatten, erhofften sich die Griesheimer bessere Zeiten. Zum Aufschwung der örtlichen Wirtschaft sollte der Ausbau des Fluggeländes auf dem Griesheimer Sand zu einem richtigen Flughafen beitragen. Als Teil der Mobilmachung zum Erreichen dieses Ziels diente die publikums­wirksame Landung eines Zeppelins im August 1930.

Am 20. Juli 1930 überflog das Luftschiff ‚Graf Zeppelin“ bei einem Flug von der Pfalz nach Frankfurt auch den Griesheimer Sand, wohl um sich für die geplante Landung zu orientieren. Derweil wurde auf dem westlichen Teil des Truppenübungsplatzes gezielt nach Blindgängern aus dem Zielschießen der Kaiserzeit bzw. der französischen Armee gesucht. Die Suche ist noch nicht abgeschlossen, betrifft aber den Menschen­auflauf nicht. Die noch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg herrührenden Wellblech­baracken auf dem Truppen­übungsplatz, im Soldatenjargon auch „Wellblech­hausen“ genannt, werden abgerissen. Neben weitschweifigen Instruktionen für Fußgänger, Radfahrerinnen und Autofahrer zwecks Zugang zum abgesperrten Übungsplatz gibt es auch Informationen zu den von der Reichsbahn bereitgestellten Sonderzügen. Demnach verkehren: [1]

Weiterhin sollten Pendelzüge als Zubringer von und zur Riedbahn zwischen Griesheim und Goddelau-Erfelden verkehren. – Eine ungeheure Menschenmenge sollte sich an einem schönen Sommertag auf dem Griesheimer Sand eingefunden haben, als am Mittag die Meldung durchgegeben wurde, aufgrund widriger Winde habe das Luftschiff in Friedrichshafen nicht aufsteigen können. Der Zugang zum Übungsplatz wurde nunmehr auch ohne Eintrittskarte gewährt und die Geschäftsleute, die wohl hohe Konzessions­abgaben entrichten mußten, kamen nicht auf ihre Kosten. Anstelle der erwarteten hunderttausend Besucherinnen und Besucher kam nur die Hälfte. Bei den örtlichen Gastwirten hingegen wurde dem Alkohol gut zugesprochen, sie waren es zufrieden. Am folgenden Montagmorgen konnte das Luftschiff früh um 7.30 Uhr ablegen und erreichte den Griesheimer Sand von Osten her kommend um 16.00 Uhr, drehte eine Schleife Richtung Mainz und enttäuschte das Publikum erneut. Aufgrund aufziehenden Gewitterregens wurde die Landung erneut verschoben und eine weitere Schleife eingelegt, ehe das Luftschiff gegen 18.25 Uhr zur Landung ansetzen konnte. Schon eine Viertelstunde später hob es erneut ab und entschwand Richtung Friedrichshafen. Zehntausende sollen dem Schauspiel zugesehen haben. Unbemerkt blieben mehrere blinde Passagiere, wohl einige „höhere Herrschaften“ samt Gemahlin, die einige unbemerkte Augenblicke benutzten, um sich in die Aussichtsgondel einzuschmuggeln. Für den Verfassungstag am 11. August war eine erneute Landung geplant. [2]

Am 11. August erschien „Graf Zeppelin“ morgens um 8.20 Uhr. Wiederum sollten sich Tausende Schaulustige eingefunden haben. Nach Übernahme von etwa dreißig Passagieren aus Darmstadt startete das Luftschiff zu einem mehrstündigen Rundflug und kehrte am Nachmittag zu einem kurzen Zwischenstopp zurück. Diesmal befanden sich rund 40.000 Menschen auf dem Griesheimer Sand. Die für den 3. August gelösten Eintrittskarten behielten ihre Gültigkeit. Um 16.10 Uhr entschwand der Zeppelin Richtung Friedrichshafen. Beide Landungen liefen reibungslos ab. [3]

Nazipropaganda.
Abbildung 1: Düstere Zeiten kündigen sich an. Aufruf zu einer Nazi-Versammlung im Neuen Griesheimer Anzeiger vom 25. Oktober 1930.

Zum Herbstbeginn erhöht die Reichsbahn die Fahrpreise.

„Infolge Erhöhung der Personentarife zum 1. September 1930 verlieren fast alle auf den Fahrkarten aufgedruckten Preise ihre Gültigkeit. Die Karten werden aufgebraucht; der gültige Fahrpreis kann jedoch aus den Kilometer­angaben der Fahrkarten in Verbindung mit den Aushang­preistafeln berechnet werde. Fahrkrten mit den neuen ab 1. Sept. gültigen Preisen sind daran kenntlich, daß sie entweder die Kennzeichen der Schalter­druck­maschinen (Lokomotive oder Reichsadler) oder einen Stern neben der Preisangabe tragen.“ [4]

Je mehr Kraft­fahrzeuge unterwegs sind, desto häufiger geschieht es, daß sie an Bahnübergängen mit Lokomotiven oder Triebwagen kollidieren. Abhilfe war angeraten, aber auch teuer.

Verkehrssicherung bei ungesicherten Bahnübergängen.

In dreijähriger Arbeit hat der Offenbacher Polzeihaupt­wachtmeister Schwerer eine Erfindung fertig­gestellt und zum Reichspatent angemeldet, die der Verkehrs­sicherung bei unbeschrankten Bahnüber­gängen dient. Die Erfindung wurde vor Vertretern des Kreisamtes, der Industrie und Handelskammer, der Presse usw. durch die ausführende Firma Michael Loos Söhne auf der Industrie- und Hafenbahn am Bahnübergang Sprendlinger Landstraße 167 praktisch gezeigt. Sie funktionierte überraschend gut. Ueber die Konstruktion schreibt die Offenbacher Zeitung: In einer bestimmten Entfernung vom Bahn­übergang ist an einer Eisenbahn­schiene die durch Laschen verschränkt ist seitlich eine dünne federnde Stahlschiene so groß wie ein mittleres Sägeblatt. Rollt der Radkranz der Lokomotive oder der Wagen über diese Stelle, dann wird die federnde Stahlschiene an die Schiene gedrückt und zwar auf einen Bolzen, der auf der anderen Seite der Schiene in einen schmiede­eisernen Kasten führt und dort die elektrische Schaltung auslöst. Der elektrische Strom setzt dann sofort automatisch die vor dem Bahn­übergang aufgestellte Signal­einrichtung (am Tag) lautes Boschhorn, (nachts) Boschhorn und elektrische Scheinwerfer (in verschiedenen Farben) in Tätigkeit und dieses Signal wird so lange in ganz kurzen Zwischen­räumen gegeben, bis der Zug über die Landstraße hinweg gefahren und auf der anderen Seite in derselben Entfernung das Signal wieder auslöst. [5]

Doch was nutzen Boschhörner, wenn Autofahrer sich nicht um den Zugverkehr scheren?

„Kurz bevor der Rheingoldzug den Bahnübergang an der Darmstädter Chaussee bei Gernsheim passierte, kam von Darmstadt her ein Lastauto in voller Fahrt gegen die Schranke gefahren. Auf Zuruf des Weichenstellers riß der Wagenlenker das Auto zur Seite, zertrümmerte die Barriere und fuhr gegen einen Stein. Während der Chauffeur mit dem Schrecken davonkam, erlitten die beiden Wageninsassen schwere Verletzungen. Das Lastauto mußte abgeschleppt werden.“ [6]

Nicht überall waren Behörden und Gerichte auf dem rechten Auge blind.

Zwangsauflösung einer Ortsgruppe der national­sozialistischen Partei in Dolgesheim.

Darmstadt, 17. August.  Amtlich wird mitgeteilt:

Die Vorgänge in Dolgesheim (Rheinhessen) gaben dem Kreisdirektor von Oppenheim Veranlassung, auf Grund des § 2 des Reichs­vereinsgesetzes die Ortsgruppe Dolgesheim der National­sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei mit allen ihren Einrichtungen aufzulöen, weil aus ihrem Verhalten hervorgeht, daß ihr Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft.

Den Anstoß zur Auflösung der Ortsgruppe Dolgesheim haben die Vorgänge in der Nacht vom 9. zum 10. August gegeben. Damals wurde das Haus eines Reichsbanner­führers, der inzwischen wegen der andauernden Ausschreitungen der National­sozialisten nach Worms verzogen ist, regelrecht belagert und teilweise demoliert. Die Untersuchung hat ergeben, daß hier der Tatbestand des Landfriedens­bruches vorliegt, zu dem sich die betreffenden Mitglieder der Ortsgruppe Dolgesheim gemeinsam verabredet hatten.“ [7]

Das heißt jedoch nicht, daß nationalistisches Gedankengut abgelehnt würde, ganz im Gegenteil!

Kauft nur deutsche Ware! heißt es jetzt um so dringlicher, wo Holland zum Kampf gegen deutsche Waren rüstet. Wir dürfen daher nur deutsche Butter, deutsche Käse, deutsches Obst und Gemüse und deutsche Eier kaufen. Das ist die Pflicht der Selbsterhaltung.“ [8]

Mit Folgen.

„Auf dem Güterbahnhof in Frankfurt entstand in einem Waggon, der etwa 290.000 holländische Eier enthielt, Feuer. Die Waggonladung wurde fast vollständig vernichtet. Es wird vermutet, daß der Brand durch Rauchen der Ladearbeiter hervorgerufen wurde.“ [9]

Am 14. September 1930 wurden Wahlen zum Reichstag abgehalten. Im Deutschen Reich erhielten die Sozialdemokraten 24,5% der Stimmen, die Kommunisten 13,1% und die Nazis 18,3%, bei einer Wahlbeteiligung von 82%. Im Arbeiter- und Bauerndorf Griesheim wählten bei einer hohen Wahl­beteiligung von rund 90%: Sozialdemokraten 2232 Stimmen (1928: 2273) gleich 48,4%, Kommunisten 687 (298) gleich 14,9%, NSDAP 503 (10) gleich 10,9%. Abgegebene Stimmen: 4655 gegenüber 4015 zwei Jahre zuvor. Die bürgerlichen Parteien erhielten gerade einmal ein Viertel aller Stimmen. Hier deutete sich schon an, daß es den Nationalsozialisten trotz Repression und williger Helferinnen und Helfer vor Ort nicht leicht fallen würde, die hergebrachten sozialen Strukturen Griesheims zu durchdringen. [10]

Die relative Stärke der Kommunistinnen und Kommunisten zeigte sich Ende 1930 bei der Behandlung eines Tagesordnungs­punktes des Griesheimer Gemeinderats. Die vom Gemeinderat beauftragte Erwerbs­losenkommission hatte den Antrag gestellt, Erwerbslosen eine halbwegs ausreichende Winterbeihilfe zu gewähren. Aufgrund des zu erwartenden öffentlichen Interesses fand die Sitzung am 28. November im großen Saal „Zum grünen Laub“ statt. Es kamen 1.300 Männer und Frauen. Damit wäre das im schlechten baulichen Zustand befindliche Griesheimer Rathaus vollkommen überfordert gewesen. Als der kommunistische Gemeinderat Georg Löffler das Wort ergriff und dabei einen Schwenker nach Erzhausen unternahm, wohl um eine falsche Behauptung des Versammlungs­leiters richtig­zustellen, wurde er zur Ordnung gerufen. Als sich dann noch die Zuhörerinnen und Zuhörer mit Löffler solidarisierten, machte der Versammlungs­leiter von seinem Hausrecht Gebrauch und verwies einen Zwischenrufer des Saales. Als dieser aber nicht Folge leistete, wurde die Sitzung geschlossen. Nebenbei wurde bekannt, daß Griesheim mit etwas mehr als einer Million Reichsmark verschuldet sei. An Zinsen und Tilgung seien 60.909 Mark aufzubringen, was in etwa dem Betrag entsprach, der für die beantragte Winterbeihilfe angesetzt war. Am 4. Dezember fand eine weitere Gemeinderats­sitzung statt, diesmal im Rathaus und unter weitgehendem Ausschluß der Öffent­lichkeit. Auch diese Sitzung wurde abgebrochen. Tags darauf wurde die Erwerbslosen­beihilfe in einer Dringlichkeits­sitzung des Gemeinderats abgehandelt. Die bürgerlichen Fraktionen verkündeten ihre Ablehnung, wenn nicht zur Deckung eine Bürgersteuer eingeführt werde. Das wurde abgelehnt, anschließend der Antrag der Erwerbslosen­kommission geradezu abgeschmettet. Dennoch wurde eine Beihilfe in weitaus geringerer Höhe beschlossen. [11]

Tabelle 1: Wahlergebnisse in Griesheim zwischen 1931 und 1933 [12]. Bei den beiden Wahlgängen der Wahl zum Reichspräsidenten stand die SPD hinter Hindenburg, der anschließend keine Hemmungen hatte, seine Unterstützer abzuservieren.
DatumWahlWahlberechtigtegültige StimmenKPDSPDNSDAPandere
13.11.1927Landtag4756330132180501464
15.11.1931Landtag53124592107817951081638
13.03.1932Reichspräsident54314498984010872427
10.04.1932Reichspräsident54004402585012502567
19.06.1932Landtag5400418583517221205423
31.07.1932Reichstag5422474381421441539246
06.11.1932Reichstag5603467494819341450342
05.03.1933Reichstag5606506388220401875266

Griesheim wählte mehrheitlich links. Bürgerliche Parteien spielten schon 1930 keine Rolle mehr. Soweit es in Griesheim Anhängerinnen und Anhänger dieser bürgerlichen Parteien gegeben haben mag, sind sie zum Ende der Weimarer Republik zum großen Teil zu den Nazis übergelaufen. Allerdings ist es nun nicht gerade so gewesen, daß selbige bürgerliche Parteien übermäßig progressiv gewesen sind. Sie wurden einfach nur überflüssig; denn um die umtriebigen Arbeiterinnen und Arbeiter zu bändigen, gab es für die herrschenden Eliten im Grunde nur zwei Optionen: eine Militär­diktatur oder das faschistische Regime. Nachdem die mit der Entmachtung des Parlaments verbundene Notverordnungs-Politik von Heinrich Brüning, Franz von Papen und Kurt von Schleicher gescheitert war, traf das deutsche Großkapital Anfang 1933 endgültig seine Wahl. Reichspräsident Paul von Hindenburg sah in Adolf Hitler den Vollstrecker seiner anti­demokratischen nationalen Agenda und stimmte zu. Kurz vor der Reichstags­wahl am 5. März 1933 inszenierten die Nazis den Brand des Reichstages und schalteten zunächst die Kommunisten aus. Bemerkenswert ist, daß diese in Griesheim dennoch ihre Stimmenzahl halten konnten und nur wenige zur SPD überwechselten. Die Nazis konnten hier offensichtlich die zuvor absentistischen Gruppen, also eine zuvor an der Wahlurne schweigende Minderheit, mobilisieren. [13]

»»  Wie die Nazis die erfolgreiche „Machtergreifung“ in Griesheim gesehen haben, stand am 6. März 1934 im Neuen Griesheimer Anzeiger: Zum Dokument.

Danach ging es Schlag auf Schlag. Die Nazis, die schon die SA zur Hilfspolizei ernannt hatten, besaßen nicht nur das staatliche Gewaltmonopol, sondern auch das der Straße. Neben ersten Boykottaktionen gegen jüdische Geschäftsleute richtete sich ihr Angriff im Sinne ihrer Auftraggeber vor allem gegen die Arbeiterinnen- und Arbeiter­bewegung. Mit Hilfe des katholischen Zentrums wurde am 23. März im Reichstag das Ermächtigungs­gesetz als legitimatorischer Mantel für die nachfolgende Repression gegen Kommunistinnen und Sozial­demokraten beschlossen. Immerhin hatten Letztere noch den Mut, ihrem eigenen Untergang zu widersprechen, aber sie erwähnten hierbei zu ihrer Schande mit keinem Wort die schon angelaufene Verfolgung der gewählten Reichstags­abgeordneten der KPD.

Die Gleichschaltung aller Lebensbereiche nahm ihren Lauf. In Griesheim übernahm die lokale SA gleich nach der Wahl die dortige Polizei und führte erste Kontrollen durch. Im April fand eine formale Nachwahl für den Gemeinderat statt, der nunmehr aus acht Sozialdemokraten und sieben Nazis bestand, plus dem der neuen Ordnung verpflichteten alten Bürgermeister Feldmann und seinem Beigeordneten. Die SPD-Vertreter erschienen noch zur konstituierenden Sitzung des neu„gewählten“ Gremiums und ließen sich anschließend nicht mehr blicken. Am 22. Juni wurde die SPD ohnehin verboten [14]. Der Griesheimer Zeitung ist recht anschaulich die anschließende Durchdringung und Mobilmachung aller Lebensbereiche zu entnehmen. Immer wiederkehrend gab es Meldungen über die Verhaftung von Kassierern oder Vorständen vor allem von Organisationen der Arbeiterinnen- und Arbeiter­bewegung. Wo die „Schutzhaft“ nicht offen politisch kommuniziert wurde, wurden Vermögens­delikte wie Unterschlagungen oder unsauber geführte Kassen angeführt. Diese Häufung derartiger Vorwürfe läßt nur den Schluß zu, daß hier Vorwände gesucht wurden, die aber auch gleichzeitig die Institutionen der werktätigen Menschen gezielt als korrupt delegitimieren sollten. Wo unliebsame, meist jüdische Geschäftsleute betroffen waren, kamen auch angebliche Devisenvergehen oder andere Schiebereien des „raffenden Kapitals“ hinzu. [15]

Wenn sich die Gefangenen des neuen Regimes nicht selbstmordeten, wurden die in Konzentrations­lagern wie in Osthofen gequält, in den Felsenkellern entlang der Dieburger Straße in Darmstadt von der SA mißhandelt oder auf der Flucht erschossen. Dieses schon bei der Niederschlagung der November­revolution bewährte Verfahren ist, wie überall auf der Welt, nur ein Euphemismus für eine gezielte Liquidation.

Nicht wählen zu gehen, war durchaus nicht ungefährlich. Am 12. November 1933 fand als Abrundung der Machtübernahme eine erneute Reichtstagswahl, verbunden mit einer Volksabstimmung über das neue Regime, statt. Reichsweit beteiligten sich hieran 95,2% bzw. 96,3% der Wahlberechtigten. Immerhin wagten es mehr als 3,3 Millionen Männer und Frauen, anstelle der NSDAP ungültig zu wählen (7,8%) und mehr als 2,8 Millionen lehnten das Plebiszit ab oder stimmten ungültig (6,5%). Die Ablehnung der Nazis war wie zu erwarten in Griesheim deutlich höher. Bei 5947 Stimmberechtigten nahmen am nicht wirklich freiwilligen und freien Urnengang 5710 Frauen und Männer teil. 774 von ihnen, also 13,5%, stimmten ungültig und damit gegen die Nazis; 674, also 11,8%, verweigerten die Zustimmung bei der Volksabstimmung über das Nazi-Programm. Es spricht vieles dafür, daß es sich hierbei vorwiegend um Kommunistinnen und Kommunisten gehandelt hat. Diese reichsweit weit über­durchschnittliche Ablehnung des neuen Regimes führte zu einer empörten „kritische[n] Betrachtung des Wahlergebnisses“ auf der ersten Seite der Lokalzeitung. Den Volksfeinden wurde die wohl erprügelte begeisterte Zustimmung im Konzentrations­lager Osthofen vor Augen geführt.

„Sieh, Dir lieber Leser, einmal daraufhin das Abstimmungs­ergebnis der Insassen des Osthofener Konzentrations­lagers an. Von 89 Wahlberechtigten stimmten 88 ab, davon 77 mit Ja und nur 6 mit Nein bei 5 Stimm­enthaltungen. Damit hat sogar das Konzentrations­lager den Reichs­durchschnitt erreicht. Merkwürdiger­weise haben sich aber 79, also noch 2 Insassen mehr für die NSDAP entschieden. Das ist ein glänzendes Ergebnis und beweist, daß der Deutsche in seinem Innern eben das ist, was Adolf Hitler in ihm sieht. Sobald er von seinen seitherigen Verführern getrennt und damit deren unheilvollem Einfluß entzogen ist, besinnt er sich auf sein Deutschtum und handelt darnach. Es ist in diesem Zusammenhang nicht uninteressant, einmal das Wahlergebnis in Griesheim kritisch zu beleuchten.“

Während in Griesheim nur mit dem KZ gedroht wurde, schritt der Mob in Bensheim zur Tat.

„Weil sie am Sonntag nicht gewählt haben, demonstrierte in Bensheim eine Menschenmenge vor den Wohnungen des früheren Krankenkassen­geschäftsführer[s] Franz Fertig und des Arbeiters Eitling, sodaß beide in Schutzhaft genommen werden mußten.“ [16]

Ehemaliges KZ Osthofen.

Bild 2: Gebäude­komplex des ehemaligen Konzentrations­lagers Osthofen. Zuvor war hierin eine Papierfabrik in jüdischer Hand untergebracht und ab 1936 eine „arisierte“ Möbelfabrik. Aufnahme vom Juli 2014. [17]

Nach diesem notwendigen historischen Exkurs zur Lage der Nation können wir uns nunmehr den betrieblichen Angelegenheiten zuwenden.

Von Fuhrwerken und Zählstellen

Das Arbeiten auf dem Darmstädter Hauptbahnhof war nicht ungefährlich. Ein- und ausfahrende Züge sowie Rangier­abteilungen konnten schnell dazu führen, die Übersicht zu verlieren. Ein Unfallbericht aus dem Januar 1931 mag dies belegen.

„Schwerer Unfall auf dem Hauptbahnhof zu Darmstadt. Am Dienstag abend [13. Januar, WK] ereignete sich auf dem Hauptbahnhof ein schwerer Unfall, dessen Opfer ein im Dienst ergrauter Eisenbahn­beamter wurde. Als der Zug Nr. 670 der Strecke Groß Gerau – Goddelau um 8.30 Uhr im Hauptbahnhof eingelaufen war, verließ der in der Bismarck­straße 119 wohnhafte, 60 Jahre alte, verheiratete Oberbahn­schaffner Philipp Küchler seinen Dienst, um sich nach Hause zu begeben. Dabei überschritt er das Gleis 9 über den (unter den Bahnsteig­treppen gelegenen) südlichen Karrenweg, der dem Transport der Postkarren dient. Inzwischen war die Lokomotive des Zuges in Fahrt auf Gleis 9. Hierbei wurde Oberbahn­schaffner Küchler von der Maschine erfaßt und überfahren. Durch Eindrücken der Schädeldecke und mehrfache Brüche des rechten Beines wurde der Verunglückte so schwer verletzt, daß der Tod auf der Stelle eintrat. Der Verunglückte erfreute sich bei seinen Kollegen sowohl, als beim reisenden Publikum allgemeiner Beliebtheit.“ [18]

Der Bahnhof von Goddelau-Erfelden war während des Ersten Weltkrieges ein logistisch wichtiger Trennungs- bzw. Zusammenführungs­bahnhof. Nach dem Ende der französischen Besatzung zum 30. Juni 1930 konnte das Deutsche Reich über das Gelände wieder frei verfügen.

„Der Reichsfiskus verkaufte an die Gemeinde 6,25 Hektar (25 hessische Morgen) Gelände des früheren Kriegs-Sammelbahnhofs Goddelau-Erfelden zum Preise von 2400 Mk. Es handelt sich um für landwirtschaftliche Zwecke nicht erträglichen Sandboden. Der Fiskus stellte die Bedingung, daß er im Fall des Weiterverkaufs des Geländes durch die Gemeinde mit 50 Prozent an dem etwaigen Gewinn beteiligt wird.“ [19]

Auf dem Gelände sollte sich später Krupp ansiedeln und für den Zweiten Weltkrieg Rüstungsgüter montieren. – Der in Griesheim ansässige Frankfurter Marktverein gibt bekannt, daß ab dem 21. April 1931 wieder der Triebwagen von Griesheim zur Markthalle in Frankfurt-Ost gefahren wird, und zwar an allen Wochentagen (gemeint: Werktagen) außer Montag. Die Abfahrtszeit ist um 3.30 Uhr. Die Fahrkarten werden beim Einladen des Marktgutes ausgegeben. Der Triebwagen verkehrt bis zum 7. November. [20]

Die HEAG verlegt ab dem 1. Mai 1931 ihre Abfahrtszeiten für die Linie 9 von Griesheim zum Darmstädter Markt um fünf Minuten vor. Abfahrt in Griesheim ist nunmehr zur Minute 12 und 42, am Marktplatz zur Minute 10 und 40 [21]. – Die schon seit längerem geplante Straßenbahn­verlängerung von Eberstadt über Seeheim nach Jugenheim steht abermals in Frage.

„Mit Inkrafttreten des neuen Sommer­fahrplanes wird die Reichsbahn in Verbindung mit der Reichspost eine Omnibuslinie Darmstadt – Seeheim – Jugenheim – Bensheim eröffnen. Es wird dabei in erster Linie dem Arbeiter-, Angestellten- und Schülerverkehr Rechnung getragen werden und außerdem soll an Sonntagen ein verstärkter Betrieb für die Ausflügler vorgesehen sein. In Bensheim ist Anschlüssen an die Eilzüge und an die Strecke nach Lindenfels Rechnung getragen. Dagegen soll der Bahnverkehr Bickenbach – Jugenheim – Seeheim eingeschränkt werden, da ausreichender Ersatz durch die Omnibuslinie gewährleistet ist. – Diese neue Omnibuslinie hat dem Straßenbahn­projekt an die Bergstraße einen neuen Stoß versetzt. Die Heag macht keinen Hehl daraus, daß das Projekt erneut in Frage gestellt ist. Sie hat erklären lassen, daß die bisherigen Abmachungen mit den Garantiegemeinden hinfällig geworden seien und daß neue Verhandlungen unter Berücksichtigung der jetzt geschaffenen Situation erforderlich seien. Das Straßenbahn­projekt soll zwar nicht fallen gelassen, wohl aber zurückgestellt werden.“

Während die HEAG am Streckenbau knausert, den Arbeitern weniger Lohn zahlt und die Gemeinden bluten lassen will, schüttet sie ihren darbenden Aktionären mitten in der Wirtschafts­krise eine fette Dividende von zehn Prozent aus. Auf einer Aufsichtsrats­sitzung wird der Streckenausbau bis nach Zwingenberg angedacht. Zudem erhält sie die Konzession zum zunächst eingleisigen Weiterbau der Linie 2 vom Böllenfalltor über Traisa und Nieder-Ramstadt nach Ober-Ramstadt. Die Konzession verfällt nach zwei Jahren, die Strecke wird nie gebaut und heute stehen daher die Gelenkbusse im Stau. [22]

Am 29. Juni 1931 entgleisen frühmorgens um 4.06 Uhr die Lokomotive und der Packwagen des Güterzuges 8961 bei der Einfahrt in den Bahnhof Nieder-Ramstadt. Am 2. Juli zertrümmerte am Nachmittag eine sich auf Probefahrt befindliche Lokomotive auf einem unbewachten Feldweg­übergang des Werkstättengleises ein Fuhrwerk. Am Abend des folgenden Tages erwischte es ein Fuhrwerk an beschrankten Bahnübergang neben dem Gernsheimer Bahnhof. Ein Güterzug hatte einen hinten herausragenden Ernterechen erfaßt und damit den Wagen zum Kippen gebracht. Am 18. August zog ein derart heftiges Unwetter über das Ried, daß es zu weitläufigen Überschwemmungen kam. Der Sandbachdamm bei Eschollbrücken drohte auf der Seite zum Dorf hin zu brechen, so daß zur Entlastung ein Loch in die andere Seite gesprengt wurde. Die Wassermassen suchten sich ihren Weg bis nahe an die Griesheimer Bebauung. Dabei wurde das Bahnwärterhaus Nummer 70 an der Wolfskehler Chaussee unter Wasser gesetzt. Auch die etwas höher gelegene Riedbahn wäre an der Kreuzung mit der Chaussee gefährdet gewesen, gäbe es hier nicht einen Wasser­durchlaß. Diese Flut gab den letzten Anstoß, das Ried mit einem Kanalsystem zu entwässern. Die daraus resultierende Arbeits­beschaffungs­maßnahme wurde noch in den letzten Zuckungen der Weimarer Republik in die Wege geleitet und dann durch die Deutsche Arbeitsfront vollendet. Ebenfalls im August stellt die Süddeutsche Eisenbahn­gesellschaft den Personen­verkehr zwischen Beerfelden und Hetzbach auf der Schiene ein. Statt dessen verkehrt ein Autobus, in dem 36 bis 40 Personen mitfahren können. [23]

„Güterwagendieb auf der Flucht erschossen.

In der Nacht zum Montag bemerkte gegen 3½ Uhr ein Bahnpolizist im Güterbahnhof Darmstadt daß ein Mann aus einem Güterwagen eine schwere Kuste stahl. Er verfolgte mit seinem Fahrrad den Täter der die Kiste abwarf und in der Richtung Kirschenallee flüchtete. Als der Dieb über einen hohen Bretterzaun klettern wollte, schoß der Beamte – nach mehrmaligem Anruf und einem vorherigen Schreckschuß – in der Dunkelheit in der Richtung des Täters, der durch einen Herzschuß getötet wurde. Es handelt sich um den 27jährigen Arbeitslosen Ludwig K**** aus Darmstadt. Die weggeworfene Kiste enthielt eine Nähmaschine. Bei einer Haussuchung in Wohnung K****s wurden Gegenstände gefunden die wahrscheinlich ebenfalls von Diebstählen herrühren.“ [24]

Mit Beginn des Winterfahrplans am 4. Oktober 1931 wird, wie angekündigt, der Personenverkehr auf der Stichstrecke von Bickenbach nach Seeheim eingestellt und durch Kraftpostbusse ersetzt. [25]

„Personenzug 2842 Darmstadt – Worms wird zur Vermeidung des längeren Aufenthaltes in Gernsheim, der durch die Ueberholung der Luxuszüge L 20 und L 220 bedingt war, ab 5. Januar 1932 wie folgt durchgeführt: Darmstadt Hbf. ab 19.38, Griesheim b. D, ab 19[.]50, Wolfskehlen ab 19.55, Goddelau-Erfelden ab 20.00, Stockstadt (Rhn.) ab 20.05, Biebesheim ab 20.10, Gernsheim ab 20.15, Groß-Rohrheim ab 20.21, Biblis ab 20.31, Hofheim (Ried) ab 20.37, Worms-Brücke ab 20.42, Worms an 20.48.“ [26]

Zum Jahresbeginn 1932 führte die Deutsche Reichsbahn Netzkarten ein. Am 2. Januar fuhr wieder einmal ein Trottel gegen eine Bahnschranke, vermutlich am Posten 70 zwischen Wolfskehlen und Griesheim. Als Grund für die Trottelei gab er an, keine Sicht gehabt zu haben, weil die Scheibe zugefroren war. Am 1. Februar sollte in Griesheim eine Protest­versammlung gegen die HEAG stattfinden. [27]

Zeitungsausschnitt.

Abbildung 3: Aufruf zu einer Protest­versammlung gegen die HEAG im Neuen Griesheimer Anzeiger vom 30. Januar 1932.

Einen halben Monat später sahen sich die Gemeinde Griesheim und die HEAG vor Gericht wieder.

„Prozeßsache der Gemeinde Griesheim gegen die Heag.

Wie allgemein bekannt, führt die Gemeinde Griesheim gegen die Heag einen Prozeß wegen Herauszahlung der aus dem für die Gemeinde genehmigt gewesenen Zuschlagstarif (5 Pfg. Tarif) sich ergebenen Einnahmen, die sich für die Jahre 1927, 1928 und 1929 auf insgesamt 65.708,40 Mk. belaufen. Dieser Prozeß ist am 1. Juni 1930 von der 1. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt zu Ungunsten der Gemeinde Griesheim entschieden worden. Da nach dem klaren Wortlaut der mit der Heag vor Inbetriebsetzung der elektrischen Straßenbahn getroffenen Abmachungen und nach dem eigenen Zugeständnis der Heag die Erträgnisse aus dem Zuschlagtarif einzig und allein der Gemeinde Griesheim, für die ja der Zuschlagstarif von dem Regierungs­kommissar bei den hess. Nebenbahnen im Privatbetrieb auch tatsächlich genehmigt war, zustehen, hat die Gemeinde Griesheim gegen das abweisende Urteil des Landgerichts Berufung an das Oberlandes­gericht verfolgt.

Mittlerweile haben zwischen der Gemeinde Griesheim und der Heag mehrere Vergleichs­verhandlungen stattgefunden, die, obwohl Herr Direktor Bohnenberger von der Heag die berechtigten Ansprüche der Gemeinde sogar gelegentlich eines Gütetermins bei dem Herrn Minister des Innern unumwunden anerkannte, merkwürdiger­weise von dem Aufsichtsrat der Heag jedesmal abgelehnt wurden. Diese ablehenende Haltung des Heag-Aufsichtsrats erscheint umso befremdlicher, da die gemachten Vergleichs­vorschläge der Heag gegenüber ein außer­ordentliches Entgegen­kommen darstellten. So kam es nun, daß am Dienstag, 16. Februar ds. Js. Termin vor dem 1. Zivilsenat des Oberlandes­gerichts in Darmstadt anstand. In diesem Termin, in dem der Vertreter der Gemeinde, Herr Rechtsanwalt Dr. Vollbracht in Darmstadt, sich eingehend darüber beklagte, daß die von ihm in der ersten Instanz gestellten Beweisanträge in keiner Weise gewürdigt worden sind, wurde durch diesen dem Heagdirektor Bohnenberger über zwei wichtige Punkte der Eid zugeschoben. Der gegnerische Anwalt widersprach der Notwendigkeit dieser Eides­zuschiebungen, nahm die beiden Eide jedoch vorsorglich an. Hierauf erging Gerichtsbeschluß, nach dem die Verkündigung der Entscheidung am 1. März ds. Js. erfolgt.“ [28]

Annonce der HEAG.
Abbildung 4: Annonce der HEAG zur Verlegung einer Zählstelle an die Festhalle im Neuen Griesheimer Anzeiger vom 1. Dezember 1932.

Am Nachmittag des 17. März 1932 brannte zum dritten Mal in kürzerer Zeit ein Waldstück in der Nähe des Bahnhauses 81 der Riedbahn zwischen Darmstadt und Griesheim. Funkenflug der Eisenbahn oder weggeworfene Zigarettenkippen wurden als Ursache vermutet. Mit der Einführung des Sommer­fahrplans werden die Stationen Bickenbach, Zwingenberg und Auerbach nicht mehr den Namenszusatz „(Hessen)“ führen, sondern „(Bergstraße)“. Die Griesheimer Zeitung spekuliert über eine Straßenbahn von Eberstadt nach Ober-Ramstadt; aus dem Text geht jedoch hervor, daß es sich um den beabsichtigten Bau einer Hoch­spannungs­leitung der HEAG handelt. Die Griesheimer Erzeuger­gemeinschaft „Frankfurter Marktverein“ weist darauf hin, daß für Mittwoch, den 4. Mai, die Erzeugnisse für den Freitags­markt in Frankfurt verladen werden. Die Mitglieder müssen ihre Produkte bis Dienstagabend anmelden. Auch für den Montag­nachmittag darauf wurde eine Verladung angezeigt. Dabei handelte es sich nicht um kleine Mengen. Die Griesheimer Bäuerinnen und Bauern brachten etwa 8.000 Tonnen Gemüse pro Jahr zur Großmarkt­halle im Frankfurter Osten. Am 10. und 11. Mai werden aus Ausfluß der Brüning'schen Deflations­politik 300 Arbeiter in den beiden Eisenbahn­werkstätten in Darmstadt entlassen. Am 18. Mai entgleiste ein Straßenbahn­wagen beim Stadthaus in der Rheinstraße und stellte sich quer. [29]

Seit Jahren verkehrt eine Autobuslinie von Darmstadt über Griesheim, Wolfskehlen, Leeheim und Geinsheim an den Kornsand. Dort wird der Rhen überquert und auf der anderen Seite wartet dann ein Anschlußbus nach Oppenheim. Die Kraftpost versucht hierbei, auf dem Strecken­abschnitt von Darmstadt nach Griesheim der Straßenbahn Konkurrenz zu machen, und paßt ihren Fahrpreis von vormals 35 Pfennigen an den Tarif der HEAG an. Diese wiederum hat um 26. Januar 1933 am östlichen Ortsrand Griesheims an der Krummen Gewann eine neue Haltestelle eingerichtet.

„Wie uns vom Verein Darmstadt Rhein e. V. mitgeteilt wird, gelten mit Wirkung vom 1. Februar ab die Rückfahr­scheine der Kraftpost­linie Darmstadt – Kornsand (rechts­rheinisches Ufer gegenüber Oppenheim-Nierstein) für die Strecke Darmstadt – Kornsand zum Preise von 2,80 Mk. ohne Aufzahlung für die Beförderung auf der anschließenden links­rheinischen Kraftpost­strecke von der Fähre bis zur Stadt Oppenheim (Haltestelle Post oder Apotheke). Die Kosten für das Uebersetzen über den Rhein haben die Reisenden nach wie vor selbst zu tragen. Auch auf der links­rheinischen Strecke werden Rückfahr­scheine Oppenheim – Darmstadt mit entsprechender Gültigkeit ausgegeben. Durch diese Neuerung ist einem mehrfach geäußerten Wunsch durch die Post­verwaltung in dankenswerter Weise entsprochen worden.“

„Die Fliegende Brücke ist wegen Eisgang des Rheines in den Oppenheimer Hafen verbracht worden. Leichte Autos, leichte Fuhrwerke und Personen werden durch Ruderbetrieb übergesetzt, doch wird die dreifache Gebühr als sonst erhoben. – Auch die Rheinbrücke bei Guntersblum ist während des Treibeises im Hafen verankert worden.“ [30]

Sommerfahrplan 1933.

Abbildung 5: Sommerfahrplan 1933 im Neuen Griesheimer Anzeiger vom 13. Mai 1933.

Die Kraftpostlinie von Darmstadt zum Kornsand verkehrte dreimal täglich: Darmstadt ab 7.20, 11.45 und 18.25 Uhr, Kornsand ab 8.20, 13.35 und 19.45 Uhr, bei einer Fahrtzeit von 55 Minuten. Die Straßenbahn­linie 9 fuhr in Griesheim von 5.42 halbstündlich bis 20.42 Uhr, und dann noch um 21.42 und um 22.42 Uhr ab; in der Gegenrichtung ab dem Darmstädter Marktplatz von 5.40 halbstündlich bis 21.10 Uhr, und dann noch um 22.10 und um 23.10 Uhr. Ab dem 13. Dezember 1933 wurden „auf Wunsch der Theaterbesucher“ die Spätkurse angepaßt. Die letzten Straßenbahnen fuhren demnach Griesheim ab 21.42 Uhr, Darmstadt an 22.07 Uhr, Darmstadt ab 22.30 Uhr, Griesheim an 22.55 Uhr, Griesheim ab 22.57 Uhr, Darmstadt an 23.22 Uhr, Darmstadt ab 23.23 Uhr, Griesheim an 23.48 Uhr. Des galt nur an Werktagen; sonntags bieb es bei den früheren Abfahrtszeiten. [31]

Zu diesem Zeitpunkt war das Landestheater von demokratischem und jüdischem Einfluß gesäubert und spielte seine völkisch-nationale Melodie. [32]

Unter Braunhemden

Am Abend des 27. Mai 1933 wurde im Gasthaus „Zum Rebstock“ der Griesheimer Eisenbahn-Verein unter nazistischer Ägide reanimiert. „Die ganze Veranstaltung war vom neuen Geiste, der nationalen Erhebung, getragen.“ Weder fehlte das Bild des Führers noch der nationale Mißklang einer SA-Kapelle. „Dem verdienstvollen Ober-Bahnhofs­vorsteher Funk wurde die Ehren­führerschaft übertragen.“ Am 6. August unternahm der Verein mit rund 800 Teilnehmenden einen Ausflug in den Taunus nach Homburg und Friedrichsdorf, Abfahrt 6.45 Uhr am Griesheimer Bahnhof. Nach der mittäglichen Einnahme von Speis und Trank brach „der unverwüstliche Humor der Teilnehmer durch“. Weder fehlten die Heilsrufe auf den Führer noch das Absingen des Horst-Wessel-Liedes. Um 20.17 Uhr erreichte der Sonderzug seinen Ausgangspunkt. [33]

Mitte Juni entgleiste nach einem Unwetter am frühen Morgen die Lokomotive eines Personenzuges auf der Strecke von Dexheim nach Köngernheim. Am Abend des 7. Juli wurde ein Heuwagen auf einem Bahn­übergang am Bessunger Forsthaus von einer Lokomotive zertrümmert. [34]

Eine neue Station auf der Strecke Darmstadt – Mainz geplant. Zur Zeit schweben mit der Reichsbahn Verhandlungen zur Errichtung einer Haltestelle am „Schönauer Hof“ auf der Strecke Mainz – Darmstadt. Man will dadurch nicht nur die Riedorte Bauschheim, Trebur und Astheim näher an den Eisenbahn­verkehr heranbringen, sondern auch den Eisenbahn­verkehr Darmstadt – Groß-Gerau – Rüsselsheim und umgekehrt, der den Umweg über Bischofsheim macht, verkürzen und verbilligen.“ [35]

Reichsbahn Sonderfahrt.
Abbildung 6: Ankündigung einer Sonderfahrt der Reichsbahn im Neuen Griesheimer Anzeiger vom 7. September 1933.

Am 10. September stellte die Reichsbahn einen Sonderzug für eine Ausflugsfahrt in die pfälzische Weinanbauregion rund um Bad Dürkheim bereit. Dort wurden sie von „Gesellschafts­kraftwagen“ für Ausflüge in die Umgebung abgeholt. Als weitere Attraktion wurde den Gemüse­anbauerinnen aus Griesheim ein „Volks- und Weinbaufest auf den ausgedehnten Wurstmarkt­wiesen“ angeboten. Welche Nazifolklore dort abgespielt wurde, verrät Griesheims Lokalzeitung hingegen nicht. [36]

Das neue Regime brüstet sich damit, Arbeit zu schaffen. Zwar waren die ersten Arbeits­beschaffungs­maßnahmen noch 1932 angelaufen, doch tut dies der Propaganda keinen Abbruch. Ob und inwieweit das hier vorgestellte Vorhaben umgesetzt worden ist, müßte noch aus anderen Quellen erforscht werden.

Reichsbahn schafft Arbeit. Die Reichsbahn­direktion beabsichtigt im Rahmen des Arbeits­beschaffungs­programms südlich des Bahnüber­ganges nach Crumstadt die sehr unübersichtliche Kurve gerade zu legen, um damit Verkehrs­sicherheit und schnellere Geschwindigkeit im Fahrverkehr zu schaffen. Es haben bereits Verhandlungen mit den Anliegern stattgefunden.“ [37]

Der Bau der Autobahn bei Griesheim und Arheilgen

Hitler und die Nationalsozialisten erbten und okkupierten zwei noch während der Spätphase der Weimarer Republik geplante bzw. begonnene Projekte: den Autobahnbau von Frankfurt aus nach Süden und die Arbeits­beschaffungs­maßnahmen zur Senkung der nicht nur infolge der Weltwirtschafts­krise, sondern auch aufgrund der Brüning'schen Wirtschafts­politik drastisch gestiegenen Arbeits­losigkeit. Nach dem propagandistisch aufgemotzten ersten Spatenstich durch dern obersten Führer am 23. September 1933 wurde der Bau der Autobahn bei Darmstadt angegangen. Zum Neubau der Brücke der Chaussee von Darmstadt nach Mainz bzw. Griesheim mußte eine Behelfs­überquerung angelegt werden. Hierzu wurde auch die Straßenbahn nach Griesheim durch den Wald umgeleitet. Mit den ersten Abholzungen und Erdarbeiten wurde am 9. Oktober begonnen. Am 15. November wurde die Gleisverlegung durchgeführt und hierfür der Straßenbahn­betrieb zwischen acht Uhr am Morgen und halb sechs am Nachmittag eingestellt. Zwischen der Haltestelle Waldfriedhof und Griesheim verkehrte ein Ersatzbus. Von den Bauarbeiten an der Autobahn profitierten auch lokale Griesheimer Unternehmer. Obwohl als Arbeits­beschaffungs­maßnahme und damit mit viel Muskelkraft gedacht, konnte beim Bau doch nicht ganz auf Maschinenkraft verzichtet werden.

Baustellenfoto.
Abbildung 7: Das Bild soll den Arbeitsplatz etwa dort zeigen, wo der erste Spatenstich erfolgt war. Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger vom 26. September 1933.

„Eine schwere Feldbahn­lokomotive, welche auf der Baustelle der Autobahn Verwendung findet, wurde am Dienstag mittag, auf einem besonderen Fahrgestell aufmontiert, von zwei Zugmaschinen gezogen, von Wolfskehlen kommend, durch unseren Ort nach der Baustelle gefahren. Infolge ihres beträchtlichen Gewichts brach das Fahrgestell bei der Einfahrt in die neuhergerichtete Umleitungs­straße ein und mußte das Koloß mit Winden mühsam wieder gehoben werden. Zahlreiche Spaziergänger finden sich täglich an der Baustelle ein und verfolgen den schnellen Fortgang der interessanten Arbeiten.“ [38]

Dabei gab es durchaus findige Menschen, die das abgelagerte Material ganz gut selbst gebrauchen konnten.

Schienengleise gestohlen. Am Mittwoch [28.3.] wurden von einer Baustelle, unweit der Blockstelle Pallaswiese der Riedbahn, direkt am Waldrand, etwa 25 Meter Schienengleise für eine Rollbahn gestohlen. Nach den bisherigen Feststellungen sind die Geleise gegen 18 Uhr mit einem Zweispänner-Pferdefuhrwerk abgefahren worden. Wer hat Beobachtungen gemacht?“ [39]

Die Autobahnbaustellen müssen mit Feldbahngleisen an den Bahnhof in Arheilgen angebunden gewesen sein. Darauf lassen zwei Unfallmeldungen vom November 1934 schließen.

Tödlicher Unfall an einer Baustelle der Reichsautobahn. Am Samstag [3.11.] abend gegen 18.30 Uhr ereignete sich auf dem Zufahrtsgleis Bahnhof Arheilgen zur Baustelle an der Gräfenhäuser Straße ein Zusammenstoß zwischen einem Leerzug und einer Lokomotive der Feldbahn. Hierbei trug der 54jährige Julius Schneider aus Weiterstadt so erhebliche innere Verletzungen davon, daß er am Montag an deren Folgen im Städtischen Krankenhaus Darmstadt verstarb. Die Ermittlungen über die Schuldfrage sind im Gang.“

Tödlicher Unfall auf einer Baustelle der Reichsautobahn. Am Donnerstag [8.11.] gegen Mitternacht ereignete sich auf der Baustelle der Autobahn an der Weiterstädter Straße ein tödlicher Unfall. Ein Zug der Feldbahn war infolge einer falschen Weichenstellung rückwärts in ein totes Schienengleis eingefahren, wodurch am Ende des Gleises die ersten Kippwagen entgleisten. Der als Bremser auf einem dieser Kippwagen stehende 47jährige Heizer Heinrich Dauber aus Arheilgen wurde so unglücklich zwischen zwei Kippwagen eingeklemmt, daß der Tod schon während des Transportes nach dem Stadt­krankenhaus Darmstadt eintraf. Die Ermittlungen über die Schuldfrage sind noch nicht abgeschlossen.“ [40]

Derartige tödliche Unfälle waren auf den Baustellen der neuen Reichs­autobahn wohl an der Tagesordnung. Nur einen Monat nach den beiden Feldbahn­unfällen explodierte eine große Beleuchtungs-Acetylenlampe zwischen dem Weiterstädter Weg und der Eisenbahn­unterführung der Strecke von Darmstadt nach Mainz und tötete einen Arbeiter. [41]

Im November 1934 war die Straßenüberführung zwischen Darmstadt und Griesheim fertiggestellt, auch die Straßenbahn fuhr wieder auf gewohntem Gleis. [42]

Am 19. Mai 1935 war es dann soweit: der Führer heimste die Lorbeeren für die Schufterei der Arbeiter auf der Baustelle ein. Zur Eröffnung der Autobahn stellte die Reichsbahn 245 Sonderzüge, die 116.000 Menschen beförderten. Ähnlich aufwendig war der Transport für das Reichsbahn­sportfest in Frankfurt am 26. Mai 1935 (80 Züge, 34.000 Personen) und den Gauparteitag am 2. Juni 1935 in Darmstadt (133 Züge, 75.000 Personen). [43]

Baustelle.

Bild 8: Achtzig Jahre später wiederholt sich die Szenerie. Für eine Verbreiterung der Autobahn auf insgesamt zwölf Spuren muß wiederum die Straßenbahn mittels einer eingleisigen Behelfsbrücke umgeleitet werden. Aufnahme vom Oktober 2013.

Am 1. Oktober 1933 stießen auf der eingleisigen Nebenbahn­strecke von Reinheim nach Reichelsheim eine Lokomotive und ein Triebwagen zusammen.

„Auf der Nebenbahn­strecke Reinheim – Reichelsheim ereignete sich am Sonntag gegen 10 Uhr ein Eisenbahn­unglück. Der auf der Strecke verkehrende Triebwagen erlitt hinter Fränkisch-Crumbach einen Motordefekt und mußte halten. In Reichelsheim war inzwischen eine Lokomotive bestellt und in Fahrt gesetzt worden. Nach Beseitigung des Triebwagen­defekts setzte dieser seinen Weg fort, was dem Fahrdienst­leiter nach Reichelsheim gemeldet wurde. Es war jedoch nicht mehr möglich, die Lokomotive unterwegs anzuhalten, da die einzige auf der Strecke liegende Zwischen­station telefonisch nicht zu erreichen war, weil sich der Beamte dieser Station in dieser Zeit außerhalb des Dienstraumes befand. Es kam dann zu einem Zusammenstoß zwischen dem Trienbwagen und der Lokomotive. Während der Führer des Triebwagens abspringen konnte, wurde der Lokomotiv­führer aus seinem Stand geschleudert und schwer verletzt. Unter den Fahrgästen, die den Zusammenstoß kommen sahen, entstand eine Panik, da nach dem Zusammenstoß der Benzintank des Triebwagens Feuer fing. Von den 25 Insassen des Triebwagens erlitten neun Personen schwere Verletzungen uind mußten in das Stadt­krankenhaus nach Darmstadt transportiert werden. Lebensgefahr besteht jedoch bei den Verletzten nicht. Der Triebwagen brannte bis auf die Räder nieder. Die Landes­kriminalpolizei weilte an der Unfallstelle, die wegen des zerstörten Telefonkabels ohne Verbindung war.“

„Ueber die Ursache des Eisenbahn­unglücks, das sich am Sonntag im Gersprenztal ereignete, hören wir von der Polizei­pressestelle noch folgendes: Der Triebwagen mußte wegen Versagens des Motors etwa 150 Meter hinter Kainsbach halten. Der Zugführer beantragte beim Fahrdienst­leiter in Nieder-Kainsbach Abschleppung und forderte in Reichelsheim eine Lokomotive an. Diese ging ab, ohne vorausgemeldet zu sein. Inzwischen war aber der Triebwagen wieder fahrbereit geworden und fuhr ab, da dem Zugführer auf Erkundigungen hin bedeutet wurde, daß die Lokomotive wohl angefordert, aber ihre Abfahrt noch nicht gemeldet sei. Der Fahrdienst­leiter hatte deshalb gegen die Abfahrt des Triebwagens keinen Einwand zu erheben; er hätte aber den Zug erst in Reichelsheim anmelden müssen. Der Unfall wurde durch den starken Nebel und die schlechte Sicht in der Kurve begünstigt. Von den 16 Verletzten sind noch drei Darmstädter Mädchen im Stadt­krankenhaus.“

Gerichtliches Nachspiel zum Eisenbahn­unglück bei Reichelsheim.  Am 1. Oktober 1933 ereignete sich auf der von der Süddeutschen Eisenbahn­gesellschaft betriebenen eingleisigen Nebenstrecke Reichelsheim – Reinheim (Odw.) ein folgenschweres Unglück. In der Nähe des Bahnhofs Nieder-Kainsbach war ein Triebwagen infolge Benzin­zufuhrmangels liegen geblieben. Darauf forderte der Bahnhofs­verwalter K***** eine Hilfslokomotive zum Abschleppen an, die auch alsbald abgelassen wurde. Mittlerweile war der Triebwagen wieder fahrttüchtig geworden und fuhr weiter. Bei Ober-Gersprenz stießen Hilfslokomotive und Triebwagen zusammen. Dabei brannte der Triebwagen bis auf das Gestell aus. Auch das Gepäck der Passagiere verbrannte. Von 25 Fahrgästen wurden 18 mehr oder minder schwer verletzt. Das Landgericht Darmstadt sprach am 11. Mai 1934 von den fünf beteiligten Eisenbahn­beamten drei frei, dagegen wurden K***** und der Betriebsassistent Q**** wegen fahrlässiger Transport­gefährdung nach § 316 Abs. 2 StGB zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Diese Entscheidung wurde sowohl von den beiden Verurteilten, die ihre Freisprechung erstrebten, als auch von der Staats­anwaltschaft angegriffen, die eine Beurteilung der beiden Beamten aus den straf­verschärfenden Bestimmungen des § 316 Abs. 1 und wegen fahrlässiger Körper­verletzung sowie Aufhebung des freisprechenden Urteils beantragte. Während das Rechtsmittel der Angeklagten verworfen wurde, hob das Reichsgericht antragsgemäß das angefochtene Urteil in dem angegebenen Umfange auf. Die Angeklagten werden also in der neuerlichen Verhandlung mit einer Bestrafung bezw. höheren Strafe zu rechnen haben.“

Das Eisenbahnunglück bei Reichelsheim in 2. Instanz.  Das schwere Eisenbahn­unglück am 1. Oktober 1933 zwischen Reichelsheim und Nieder-Kainsbach, wo eine Lokomotive auf einen Triebwagen auffuhr, dieser in Flammen aufging und 5 Personen schwer und 12 leicht verletzt wurden, beschäftigte die Große Strafkammer in zweiter Instanz. Bei dem Fahrdienst­leiter von Nieder-Kainsbach blieb es bei der Gefängnis­strafe von neun Monaten. Auch den Fahrdienst­leiter von Reichelsheim und den Schaffner des Triebwagens hielt die Strafkammer für schuldig; da ihre Strafen aber unter sechs Monaten liegen würden, trat Amnestierung ein. Der Trieb­wagenführer wurde wie in erster Instanz freigesprochen.“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger, 3. und 5. Oktober 1933 sowie 5. Februar und 13. April 1935.

Die 1930 eingerichtete (und vermutlich überarbeitete) Signalanlage an der Hauptstraße in Sprendlingen hat sich bewährt.

„Seitdem an dem, früher durch seine schweren Verkehrs­unfälle berüchtigten, Bahnübergang der Nebenstrecke Bu[ch]schlag – Sprendlingen – Ober-Roden über die Fernverkehrs­straße Frankfurt – Darmstadt ein elektrisches Warnlicht­signal angebracht ist, hat sich dort kein Unfall mehr ereignet. Ueber ein Jahr also hat sich diese neuzeitliche Ueberweg­sicherung bewährt. Nach einer erneuten landes­polizeilichen Begutachtung bestehen nun, wie das Staats­presseamt mitteilt, keine Bedenken mehr, die an der Kreuzung bisher vorgeschriebene geringe Zuggeschwindig­keit von 15 auf 40 Km. in der Stunde zu erhöhen, was ab 16. Oktober in Kraft treten soll. Der durch den annähernden Zug betätigte Stromschließer zum Einschalten des roten Warnlichts wird dieser höheren Geschwindig­keit entsprechend von der Straßenkreuzung weiter ab[ge]rückt, so daß das Rotlicht stets rechtzeitig wahrgenommen werden kann.“ [44]

Für die Zuckerrüben­kampagne im Herbst werden für die Landwirte der Riedgemeinden folgende Abladestellen vorgesehen: Gernsheim, Biebesheim, Crumstadt und Klein-Rohrheim auf dem Fabrikhof des Zuckerrüben­kontors Worms, damit ist wohl die im Juni 1931 stillgelegte Zuckerfabrik mit eigenem Gleisanschluß gemeint; Pfungstadt, Eich, Hahn und Eschollbrücken am Bahnhof Pfungstadt. [45] – Ab dem 1. November wird die Straßenbahn­fahrt von Griesheim nach Darmstadt billiger.

„Die Hessische Eisenbahn-AG. Darmstadt, teilt mit, daß ab 1. November ds. Js. der Tarifpunkt ohne Haltestellen zwischen Griesheim – Möller's Brauerei in Fortfall kommt. Es kostet demnach für die Folge der Fahrpreis von Griesheim (Hofmannstraße) nach dem Hauptbahnhof, der bisher 30 Pfg. betrug, 25 Pfg., ebenso der Fahrpreis von Griesheim (Hofmannstraße) – Schloß der bisher 35 Pfg. betrug, 30 Pfg. Diese Tarifermäßigung ist von der Hessischen Eisenbahn-AG. Darmstadt, mit Rücksicht auf die derzeitige Wirtschaftslage zum Vorteil der Griesheimer Bevölkerung eingeführt worden und es wird erwartet, daß hierdurch eine Verkehrs­belebung eintreten wird.“ [46]

Im Bahnhof Goddelau-Erfelden finden im Dezember 1933 Gleisumbau­arbeiten statt. Am 14. Dezember blieb bei Großentaft an der Strecke von Hünfeld Richtung Thüringen ein Triebwagen mit Anhänger in einer Schnee­verwehung stecken. Am 16. Dezember veranstaltete der Eisenbahn­verein seine Weihnachts­feier, zu der viele Kinder in Erwartung eines Geschenks erschienen waren. Doch anstelle des Nikolauses wurde zunächst ein strammer Marsch gespielt. Der Nikolaus kam später und brachte dem Verein eine Fahne mit. Zum Schluß wurde das Horst-Wessel-Lied intoniert. [47]

Zum 1. April 1934 hebt die HEAG das Rauchverbot in den Anhängerwagen der Straßenbahn auf. Bei einem aus Wolfskehlen kommenden Güterzug entgleisen am Abend des 14. April bei der Einfahrt in der Überholungs­gleis in Dornheim die letzten drei Wagen. Dabei wird der Schlußbremser des Zuges getötet. Tags darauf entgleist ein Personenzug zwischen Nidda und Schitten; als Grund werden auf die Schienen gelegte Steine vermutet. Im April tritt in Griesheim der Bahnhofs­vorsteher Funk in den Ruhestand. Er war 1916 von Worms nach Griesheim versetzt worden; nun zieht er mit seiner Frau zu ihrem Sohn nach Köln. Sein Nachfolger ist Reichsbahn­sekretär Martin. Mit Beginn des Sommer­fahrplans am 15. Mai werden die drei Busfahrten der Linie von Darmstadt an den Rhein bei Oppenheim abends um eine vierte ergänzt. Diese Maßnahme erfolgt „bis auf weiteres an Sonn- und Feiertagen“; die letzte derartige Fahrt wird am 29. Juli durchgeführt. Am 4. Juni prallt ein Bahnarbeiter mit seinem Motorrad gegen die geschlossene Schranke am Bahnübergang zwischen Groß- und Klein-Gerau. Er fliegt über die Schranke auf das Gleis und kann von Glück sagen, daß der sich nähernde Zug keine Einfahrts­erlaubnis hatte und daher rechtzeitig zum Stehen kam. Weniger Glück hatte ein Bahnwärter (Streckenläufer?) aus Stockstadt am 23. Juni, der zwischen Wolfskehlen und Goddelau von einem Personenzug überfahren wurde. [48]

Lokomotive entgleist und abgerutscht. Donnerstag nachmittag [am 6.9.] entgleiste vor dem Bahnhof Dieburg die Lokomotive des um 17.34 den Bahnhof Dieburg verlassenden Personenzuges 3625 beim Ausfahren, rutschte ab und grub sich mit den Rädern in die Böschung des Bahnkörpers ein. Der Packwagen stellte sich schief, die folgenden Personenwagen wurden nicht in Mitleiden­schaft gezogen. Niemand wurde verletzt. Die Fahrgäste wurden durch einen von Ober-Roden kommenden Hilfszug abgeholt und nach ihren Bestimmungsorten gebracht. Durch das Unglück war die Einfahrt in den Bahnhof Dieburg gesperrt, so daß der Streckenverkehr durch Pendelfahrten aufrecht­erhalten werden mußte. Nachdem die ganze Nacht emsig gearbeitet worden war, stand am nächsten Morgen um 9 Uhr die Lokomotive wieder auf dem Gleis. Von der Reichsbahn­direktion Mainz ist eine Kommission eingetroffen, um die Ursache der Entgleisung festzustellen.“ [49]

Die Rodgaubahn wird verbessert. Vielfach geäußerten Wünschen entsprechend treten mit Inkrafttreten des neuen Winter­fahrplanes auf der Rodgaubahn Dieburg – Oberroden – Offenbach einige Verbesserungen ein. Es wird vor allem die Stunden­geschwindigkeit der Züge durch­schnittlich von 50 auf 60 km. erhöht, so daß die Fahrzeit eine angenehme Verkürzung erfährt. Gleichzeitig werden die Uebergänge der Bahnlinie verbessert und die Signal­einrichtungen modernisiert. Maßnahmen, für die man der Reichsbahn­verwaltung in den interessierten Bevölkerungs­kreisen Anerkennung zollt.“ [50]

Am 14. September 1934 erfaßte auf der Altrheinbahn ein Wittfeld-Triebwagen einen Pkw an einem ungesicherten Bahn­übergang. Der Fahrer, ein Handwerks­meister aus Gimbsheim, geriet unter die Räder und verlor ein Bein. Am 2. Oktober wurde in Darmstadt an der Kreuzung der Nieder-Ramstädter- mit der Jahnstraße ein Fußgänger von einem Postwagen der elektrischen Straßenbahn erfaßt und getötet. In Biblis wollte Ende Oktober ein Bahnwärter schnell noch einige Radfahrer durchlassen und öffnete die Schranke, obwohl sich ein Zug näherte. Das nutzte der Fahrer eines Fuhrwerks, um ebenfalls noch ganz schnell auf die andere Seite zu gelangen. Sein Zugtier war allerdings zu langsam, so daß das Fuhrwerk von der Lokomotive des bremsenden Personenzuges getroffen wurde. Das Zugtier, eine Kuh, mußte anschließend geschlachtet werden. Am 1. November verirrte sich bei Michelstadt ein Fuhrwerk auf den Bahnkörper und wurde von einem entgegen­kommenden Personenzug zertrümmert. Das Pferd und der stark betrunkene Fuhrmann überlebten nicht. Am 3. November stieß an der Bergstraße bei Bickenbach auf einem unbeschrankten Bahn­übergang der Nebenbahn nach Seeheim ein Lastwagen mit der Lokomotive eines Zuges zusammen. Der Autofahrer blieb unverletzt, „[a]ber die Ladung, die aus Marmelade­eimern bestand, hatte beträchtlich gelitten.“ An der Unfallstelle hatte die Reichsbahn indes schon eine Blinklicht­anlage vorgesehen. Ebenfalls in Bickenbach, wollte am Abend des 27. November der Bahnhofs­vorsteher die Signallampen nachsehen. Er wurde am Stellwerk von einem Personenzug aus Darmstadt erfaßt und getötet. [51]

Reichsbahn Sonderfahrt.
Abbildung 9: Ankündigung einer Fahrt ins Blaue im Neuen Griesheimer Anzeiger vom 30. März 1935.

Kurz vor Jahresschluß wollte nur mal ganz schnell noch ein Motorradfahrer einen ungesicherten Bahnübergang der Altrheinbahn queren, allein der langsam heranrollende und laut heulende Triebwagen war schneller. Der Biker plumpste böse auf den Rücken und mußte vom Personal verarztet werden. Im Januar 1935 läßt der Frankfurter Oberbürger­meister das Stadion in Sportfeld umbenennen. Der arische Name Kampfbahn kam nicht in Betracht, da hiermit nur ein Teil der Anlagen gemeint wäre. Anfang Februar wird das ehemalige Stichgleis der Dampf­straßenbahn zum Truppen­übungsplatz auf dem Griesheimer Sand abgebaut. Es wird nicht mehr benötigt, da nicht bei Darmstadt, sondern bei Frankfurt der neue Großflughafen errichtet wird. Im Verlauf des Jahres sollen mindestens vierzehn Sonderzüge der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ an die Bergstraße kommen. Für den Mainzer Rosenmontag am 4. März ist das Programm ehrgeiziger. Die Reichsbahn kratzt alles zusammen, was fahrbereit ist, und das sind mehr als fünfzig Sonderzüge. Am Sonntag­nachmittag des 3. März fuhr ein Kraftwagen des Reichs­arbeitsdienstes auf die Lokomotive des Zuges 3573 von Seeheim nach Bickenbach. Der Lokführer hatte vor der Straße gehalten, seinen Warnpfiff abgegeben und war dann weitergefahren. Der Fahrer des Wagens hat das wohl nicht auf sich bezogen und damit dafür gesorgt, daß Oberfeld­meister R*** aus Wiesbaden schwer verletzt wurde. Der Zug konnte übrigens nach 25 Minuten weiterfahren. Während der eine Dösbaddel den Warnpfiff ignorierte, durchbrach am 13. März ein Fernlastzug eine Schranke bei Lorsch und wurde von der Lokomotive eines Personenzuges erwischt. Während den beiden Fahrern nichts Ernstliches geschah, wurden die geladenen Fässer mit Ölfarbe größtenteils zertrümmert. Autofahrer waren schon damals eine selten dämliche, ignorante und – und was die massenhaft überfahrenen Radfahrerinnen und Radfahrer betrifft – mörderische Spezies. Am 7. April soll von Darmstadt aus eine Fahrt ins Blaue stattfinden. Sie wird des schlechten Wetters wegen um eine Woche verschoben. [52]

Annonce zur Marktverladung.
Abbildung 10: Der Frankfurter Marktverein organisierte die Markt­beschickerinnen und Landwirte in Griesheim, die ihre Waren auf dem Frankfurter Großmarkt veräußerten. Hier wird annonciert, wann die für den Folgetag zu verkaufenden Waren in den oder die Güter­waggons verladen sein müssen. Der Zug 2843 fuhr um 19.07 Uhr ab; dem Fahrplan ist nicht zu entnehmen, daß eigens Zeit für das Ankuppeln einiger Güter­waggons eingeplant war. Annonce im Neuen Griesheimer Anzeiger vom 18. Juni 1935.

Am 29. April 1935 wird die Warnlicht­anlage an der Fernverkehrs­straße, die am Südrand von Bickenbach die Nebenbahn nach Seeheim kreuzt, eingeschaltet. Mit dem Bau der elektrischen Straßenbahn von Eberstadt nach Jugenheim soll demnächst begonnen werden. Mit der Eröffnung der Autobahn zwischen Frankfurt und Darmstadt am 19. Mai sollen Schnell­omnibusse der Eisenbahn Konkurrenz machen. Unter anderem soll ein Krupp-Stromlinien­omnibus für 23 Fahrgäste mit luftgekühltem 65 PS-Vergasermotor zum Einsatz kommen. Als Betreiber wurde die Reichsbahn verpflichtet. In den ersten Tagen wird diesen Omnibussen eine gute Ausnutzung attestiert; wohl der Reiz des Neuen. Am Bahn­übergang am Schönauer Hof bei Rüsselsheim durchbrach Ende Mai ein Motorrad­fahrer die Schranke, weil er von einem nicht abgeblendeten Auto auf der Gegenseite geblendet worden war und daher die Schranke nicht erkannte. Er wurde um Haaresbreite von einem Schnellzug aus Mainz nach Darmstadt verfehlt. Weniger Glück hatte am 22. Mai ein Bahnarbeiter, der mit seinem Fahrrad auf dem Heimweg war und bei Groß-Bieberau beim Queren des Gleises von einem Zug mitgeschleift wurde. Der Griesheimer Eisenbahn­verein fährt am 30. Juni mit etwa 500 Teilnehmenden nicht ins Blaue, sondern nach Münster am Stein. Im Juli werden zwischen Darmstadt und Bensheim Gleise erneuert oder zumindest der Oberbau verbessert. Am 11. August verkehrt ein Ausflugs­sonderzug von Griesheim mit erheblicher Fahrpreis­ermäßigung nach Bad Dürkheim und Neustadt an der Haardt. Abfahrt ist um 7.29 Uhr in Griesheim. Am 23. August ereignet sich trotz Warnblink­anlage ein schwerer Verkehrs­unfall bei Bickenbach. Der Kraftwagen eines Hoteldirektors aus Wiesbaden wurde von dessen Tochter gesteuert. Diese sah die am Bahn­übergang wartenden Fahrzeuge und beschloß, selbige zu überholen. Erst als sie den herannahenden Zug aus oder nach Jugenheim bemerkte, bremste sie, kam aber auf den Schienen zum Stehen und wurde von der Lokomotive getroffen. Die Fahrerin überlebte schwer verletzt, ihre Mutter wurde vom Puffer getroffen und verstarb, der Vater blieb unverletzt.

Unfall Bahnübergang Bickenbach.

Bild 11: Der Unfall vom 23. August 1935 brachte viele Schaulustige an den Ort des Geschehens. Die Warnblink­anlage ist gut zu erkennen. Quelle: Gemeindearchiv Bickenbach, mit freundlicher Genehmigung.

Wegen Gleisbau­arbeiten an der Riedbahn bei Griesheim wird der landwirt­schaftlich genutzte Bahn­übergang Nummer 72 am schwarzen Dämmchen am 13. und 14. September gesperrt. Am 4. Oktober entgleisen eine Lokomotive, der Pack- und drei Personenwagen beim Umsetzen auf dem Bahnhof Groß-Gerau-Dornberg. Zum Fahrplan­wechsel am 6. Oktober wird nach einjähriger Bauzeit das neue Stations­gebäude von Klein-Gerau im „Schwarz­waldstil“ in Betrieb genommen. Am Abend des 6. November entgleisen beim Einfahren (wohl aus Worms) in den Bibliser Bahnhof mehrere Wagen. Eine halbe Stunde später traf der Hilfszug zum Aufgleisen ein. Der um diese Zeit fällige Triebwagen (wohl der 2851 aus Worms) kam daher mit zweistündiger Verspätung an. Am 10. November ignorierte ein weiterer Dösbaddel die Warnlicht­anlage bei Bickenbach und krachte in einen Triebwagen. „Personen wurden nicht verletzt.“ Drei Tage später ging ein ähnlicher Unfall an der Strecke von Weinheim nach Viernheim nicht so glimpflich ab. Der Wagenlenker aus Ludwigshafen blieb unverletzt, eine Wageninsassin aus Mannheim wurde jedoch getötet. Eine weitere Insassin überlebte ihre Verletzung. Ende November oder Anfang Dezember wurde bei Gleisarbeiten auf der Riedbahn an der Bergschneise ein Arbeiter von einem aus Darmstadt kommenden Zug erfaßt und getötet. Er war einem nach Darmstadt fahrenden Zug ausgewichen und hatte in einer unüber­sichtlichen Kurve den Gegenzug nicht bemerkt. [53]

Zeitungsbericht.

Abbildung 12: Der Baubeginn der elektrischen Straßen­bahn an der Bergstraße von Eberstadt nach Jugenheim steht bevor. Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger vom 26. Oktober 1935. [54]

Die Straßenbahn nach Jugenheim sollte in zwei Abschnitten am 15. Mai 1936 (bis Seeheim) und am 25. Mai (bis Jugenheim) in Betrieb gehen. Entsprechend wurde die Kraft­omnibuslinie von Eberstadt nach Bensheim auf den Abschnitt zwischen Jugenheim und Bensheim zurückgezogen. [55]

Verdunkelung

Mitte Januar 1936 wird ein Zugschaffner in Reinheim bei der Zusammenstellung eines Güterzuges von einer Kupplung getroffen und mit mehreren Rippenbrüchen nach Darmstadt ins Krankenhaus eingeliefert. Im selben Monat scheute ein Pferd vor einem Bahn­übergang bei Bodenheim und rannte derart gegen die Schranke, daß diese hochschnellte. Das Pferd lief mit dem angehängten Wagen über die Gleise, während sich ein Schnellzug näherte. Der Schrankenwärter konnte noch Alarm geben, so daß der Zug zum Halten gebracht werden konnte. Anfang Februar wurden in Lampertheim ausgediente Eisenbahn­wagen, die zuvor als Elendsquartiere gedient hatten, dem Feuer übergeben. Am 22. März stieß am schon einschlägig bekannten Bahn­übergang in Bickenbach eine mit fünf Personen besetzte viersitzige Limousine aus Offenbach mit dem aus Seeheim kommenden Triebwagen S 3575 zusammen und wurde zusammen­gedrückt. Die Insassen wurden leicht verletzt, der Triebwagen entgleiste. Mitte April brach im Stellwerk Groß-Gerau-Dornberg vermutlich aufgrund glühender Asche der Befeuerung im Untergeschoß ein Feuer aus, das auch die Leitungen des Stellwerks erfaßte. [56]

Ausschnitt Meßtischblatt.

Abbildung 13: Der Ausschnitt aus dem Meß­tischblatt 6217 Zwingenberg zeigt den Verlauf der Nebenbahn von Bickenbach nach Jugenheim (und weiter nach Seeheim) mitsamt dem Bahn­übergang an der Reichs­straße 3 am südlichen Ortsausgang von Bickenbach. Stand: 1940/1953; Quelle: Public Domain, Courtesy Harold B. Lee Library, Brigham Young University.

1936 werden bei Crumstadt, Dornheim und zwischen Wolfskehlen und Griesheim an der Hitlermühle drei Lager für den Reichs­arbeits­dienst errichtet. Hier werden junge Männer und Arbeitslose zusammen­gezogen, vordergründig um die Entwässerung des Rieds durch Gräben und Kanäle zu ermöglichen und neue landwirt­schaftliche Flächen zu erschließen. Gleichzeitig handelt es sich um eine vormilitärische Einrichtung, um Disziplin, Kameradschaft und Treue zum Führer einzuüben. [57]

Die Marktbeschickerinnen und -beschicker für den Frankfurter Großmarkt fuhren im Sommer 1931 frühmorgens von Griesheim aus mit einem Triebwagen direkt bis zum Bahnhof Frankfurt Ost. Wie dies in den folgenden fünf Jahren gehandhabt wurde, ist unklar. Erst 1936 finden wir wieder einen Hinweis in Griesheims Lokalzeitung als Annonce des Vorstandes des Frankfurter Marktvereins:

„Wie geben unseren Mitgliedern hiermit bekannt, daß ab Mittwoch, den 17. Juni, die Autobusse Budesheim und Feldmann von jetzt ab pünktlich um 3.30 Uhr früh am Kaffee Sander nach Frankfurt abgehen. Wir bitten die Mitglieder sich rechtzeitig einzufinden, da auf später eintreffende keine Rücksicht mehr genommen wird.“ [58]

Am 28. Juni unternahm der Griesheimer Eisenbahn­verein einen Familien­ausflug nach Speyer, an dem etwa 500 Personen teilnahmen. Ende August geriet in Heppenheim beim Rangieren von Eisenbahn­wagen ein Arbeiter mit seinem Fuß in ein Doppelgleis, aus dem er sich nicht mehr befreien konnte. Er wurde von einem heranrollenden Güterwagen getötet. [59]

Tödlicher Verkehrsunfall [in Arheilgen] vor Gericht. An einem Abend Anfang August wurde an der Endhaltestelle der elektrischen Straßenbahn eine alte Frau aus Darmstadt, die die Straße überquerte, um einzusteigen, von einem Auto erfaßt und tödlich verletzt. Der Fahrer hatte sich am Freitag vor dem Schöffengericht Darmstadt zu verantworten. Strafmildernd wurden die ungünstigen Verkehrs­verhältnisse an dieser Stelle berücksichtigt, so daß das Gericht auf eine Geldstrafe von 300 RM, abzüglich 120 RM für die erlittene Untersuchungshaft, erkannte.“

Flakbatterie.
Abbildung 14: „Zum Reichs­parteitag eingetroffen. Die 5. Batterie des Flak-Regiments 10 traf auf dem Fürther Güter­bahnhof ein.“ Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger vom 8. September 1936.

Bei so viel Milde verwundert es dann nicht, daß Menschenleben auf Deutschlands Straßen nichts zählten und bis heute nichts zählen. Schon damals war es ein beliebter Automobilisten­sport, Radfahrerinnen und Radfahrer rücksichtslos umzunieten. Die Zeitungen waren regelmäßig gefüllt mit neuen Meldungen auf dem asphaltierten Schlachtfeld, und sie klangen wie eine Kriegs­bericht­erstattung. In einer Woche im August 1936 wurden auf Deutschlands Straßen 143 Tote und 4318 Verletzte registriert, und das war nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Begleitet wurden derartige abstumpfende Meldungen vom begeistert geschilderten Geschwindig­keitsrausch eines Bernd Rosemeyer, Rudolf Caracciola oder Hans Stuck. [60]

Der kommende Krieg wird auch sonst medial vorbereitet. Anfang September wird in Griesheims Lokalzeitung ein für Darmstadt bestimmtes „Merkblatt für die Verdunkelung von Wohngebäuden“ abgedruckt. Am 29. September und am 8. Oktober werden dann in Griesheim am Abend entsprechende Verdunkelungs­übungen abgehalten, die anschließend ausgiebig besprochen werden. [61]

Während die Reichsbahn ihren Winter­fahrplan zum 4. Oktober 1936 einführt, tritt der Fahrplan der HEAG erst am Donnerstag, 15. Oktober, in Kraft. Hierin wurden für die Straßenbahn­linie 9 vom Darmstädter Schloß zum Griesheimer Gemeindehaus einige kleine Anpassungen vorgenommen. Abfahrt in Griesheim ist nunmehr zu den Minuten 02 und 32, von 20.02 bis 23.02 Uhr nur noch stündlich. Die erste Straßenbahn fährt um 5.02 Uhr los. Die Abfahrt vom Schloß ist ab 5.30 Uhr halbstündlich bis 20.30 Uhr, danach stündlich bis 23.30 Uhr. Die letzte Straßenbahn wartet noch den Theaterschluß ab. Die Fahrtzeit beträgt in beiden Richtungen 25 Minuten, gekreuzt wird am Neuen Schießhaus (heutige Siedlung Tann). [62]

Am frühen Morgen des 5. Januar 1937 wurde an der Blockstelle Schönauer Hof ein vollbesetzter Bus mit Opelarbeitern von einem Leerzug erfaßt. Die Schranke war nicht geschlossen. Ein Arbeiter aus Gräfenhausen erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Zunächst hieß es, der Schrankenwärter habe aufgrund des dichten Verkehrs am Bahn­übergang – Schichtwechsel bei Opel – denselben ohne Gefährdung der pausenlos passierenden Fahrzeuge, Fahrräder und Fußgänger nicht schließen können. Diese Darstellung wurde offiziell dementiert. [63]

Am 17. Januar brach bei Weiskirchen eine Schafherde aus ihrem Pferch aus und verirrte sich auf den Bahnstrecke von Dieburg nach Offenbach. Ein Personenzug aus Reinheim fuhr in die Schafe. Insgesamt wurden samt Notschlachtungen 42 Schafe getötet. Am 12. Februar brach im Wagenwerk auf der „Knell“ im Raum für die Behandlung von Elektrokarren ein Feuer aus, das durch die Berufs­feuerwehr und die von Merck rasch gelöscht werden konnte. Vom 24. Februar werden fünf bis sechs Wochen lang die Gleise der Straßenbahn zwischen Waldfriedhof und Eisenbahn­brücke am Hauptbahnhof erneuert. Ab dem Frühjahr, so wird berichtet, wird die Reichsbahn etwa neunzig sogenannte Schnell­omnibusse beschaffen, um sich selbst auf den Reichs­autobahnen mit einer Dauer­geschwindigkeit von 100 Stunden­kilometern Konkurrenz zu machen. Am 12. April wurde auf einem unbewachten Bahn­übergang bei Nieder-Roden ein Fahrzeug von einem Personenzug erfaßt. Auch dieser Übergang scheint einschlägig bekannt gewesen zu sein. Drei Personen wurden aus dem Auto schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht. Mit dem Sommer­fahrplan ab dem 22. Mai fährt die Straßenbahn ab Griesheim wieder zu den Minuten 00 und 30 ab, ab Schloß zu den Minuten 28 und 58. An Markttagen verkehrt die erste Straßenbahn ab Griesheim schon um 4.30 Uhr. [64]

Am 11. Juli lenkte ein Autofahrer aus Eltville sein Fahrzeug bei starkem Regen an dem ebenfalls einschlägig bekannten Bahn­übergang bei Bickenbach gegen einen Triebwagen. Mitte August entgleiste in Stockstadt am Rhein ein durchfahrender Güterwagen. Dabei stürzte eine schwere Kiste, die eine nicht näher benannte Maschine enthielt, auf die Gleise. Am 25. August erwischte es einen mit Sandsteinen beladenen Lastzug auf dem unbeschrankten Bahn­übergang der Straße von Dieburg nach Gundernhausen. Die Lokomotive des um 10 Uhr von Groß-Zimmern abgehenden Zuges trennte den Motorwagen vom Anhänger und warf beide um. Anfang September ereignete sich auf dem Darmstädter Ostbahnhof ein tödlicher Rangierunfall. Irgendwann im Sommer verlor in Biebesheim ein Reserve­lokführer bei einem anderen Rangierunfall aufgrund falscher Weichenstellung ein Bein. [65]

Am 16. August wurde an der Gräfenhäuser Straße eine Großmarkthalle eröffnet. Ein großer Teil der Griesheimer Landwirtschafts­produkte wurde damit nicht mehr auf dem Marktplatz in Darmstadt verkauft. Zum 26. August hatte die HEAG deshalb zwei neue Autobuslinien eingerichtet, eine direkte Frühverbindung von Griesheim zur Markthalle und einen Pendel zwischen Markthalle und Marktplatz. Zunächst fuhr der Bus in Griesheim um 4.00 Uhr ab, mit dem Winterfahrplan ab dem 2. Oktober jedoch erst um 5.00 Uhr. Die erste frühe Straßenbahn­fahrt von Griesheim nach Darmstadt entfiel. Ab Mitte November wurden die Marktbusse ausgedünnt. [66]

Am 22. Oktober wurde in Goddelau ein Zugschaffner beim Rangieren im Nebel von einem Zug überfahren. Ebenfalls aus Goddelau wird berichtet:

Die Zuckerrüben­ernte hat im gesamten Anbaugebiet des Rieds ihren Höhepunkt erreicht. In langen Reihen stehen die Bauern­fuhrwerke an den Verladestellen. Im hiesigen Bahnhof kommen täglich durchschnittlich 240–280 Tonnen Rüben zur Verladung. Hier werden auch die Rüben der Gemarkung Erfelden angeliefert. Am Bahnhof Leeheim-Wolfskehlen werden die Rüben aus beiden Ortschaften verfrachtet. Jeden Tag verlassen etwa 15 Waggons den Bahnhof.“ [67]

Am 8. November rammte bei dichtem Nebel ein Lastwagen mit Anhänger einen Triebwagen der Altrheinbahn bei Guntersblum. Der Triebwagen stürzte um. Die beiden Insassen des Lastwagens überlebten den Zusammenstoß nicht. Der Bahnübergang verfügte weder über Schranken noch über eine Warnblinkanlage. Ab dem 13. November läßt die HEAG versuchsweise einen Spättriebwagen um Mitternacht ab Griesheim fahren, der eine halbe Stunde später vom Schloß zurückkehrt.

Zuviel Dampf drauf. Beim Rangieren auf dem Bickenbacher Bahnhof wurden einige Wagen mit solcher Wucht abgestoßen, daß sie den Prellbock überrannten. Ein Aborthäuschen und eine Gartenlaube, die dahinter standen, wurden plattgedrückt. Schließlich hielten die Wagen mit ihrem Ende genau vor dem Bahnhofsgebäude.“

Dieser Rangierunfall im November ging noch glimpflich ab. Am 2. Dezember stürzte das Richteisen für Heu- und Strohwaggons auf dem Guntersblumer Bahnhof um und traf einen Bahnarbeiter tödlich. Am 22. Dezember blieb ein Lastwagen infolge Glatteises auf dem Bahn­übergang zwischen Nierstein und Nackenheim liegen. Der Fahrer konnte noch rechtzeitig abspringen, der Lastwagen wurde von einem Personenzug von Worms nach Mainz zwanzig Meter mitgeschleift. [68]

Auch 1938 kam es an mehreren Bahnüber­gängen zu Unfällen. Am 4. Januar übersah ein Autofahrer auf der Straße von Dieburg nach Gundernhausen im Schneetreiben den aus Groß-Zimmern kommenden Zehn-Uhr-Zug. Sein Kraft­fahrzeug wurde gestreift, es überschlug sich und rollte die Böschung hinunter. Verletzt wurde niemand. Ende Oktober wurde ein Motorrad am Bickenbacher Übergang von einem Zug erfaßt und sein Fahrer getötet. [69]

„Verkehrsunfall am Bahnübergang an der Wolfskehler Chaussee. Am Donnerstag vormittag [27. Oktober, WK] gegen 8 Uhr fuhr vor dem Bahnübergang an der Wolfskehler Chaussee ein mit Milchkannen beladener Lastwagen, der in Richtung Wolfskehlen fuhr, den aus Richtung Wolfskehlen kommenden mit Kohlen schwer beladenen Lastwagen der hiesigen Kohlenhandlung H[einri]ch Höhl seitlich an. Der schwere Lastwagen, der in der Kurve zu weit nach links ausgeholt hatte, kam über dem Bahngleis neben dem Bahnwärter­häuschen zu stehen und zertrümmerte das Läutewerk, sowie die Bahnschranke. Zu Personenschaden kam es bei diesem Zusammenstoß nicht. Beide Lastwagen wurden schwer beschädigt und mußten abgeschleppt werden. Die Schuldfrage wird durch die Polizei geklärt.“

„Zusammenstoß zweier Lastwagen. Heute vormittag [7. November, WK] gegen ½9 Uhr sind auf dem Bahnübergang an der Wolfskehler Chaussee wiederum zwei Lastwagen, von denen der eine durch starkes Bremsen auf der schlüpfrigen Straße ins Rutschen kam, zusammengestoßen. Da beide schwerbeladenen Lastwagen durch den herrschenden Nebel langsam fuhren, entstand nur leichter Sachschaden. Beide Wagen konnten, nachdem die hiesige Polizei ihre Untersuchung über die Schuld des Zusammenstoßes abgeschlossen hatte, die Fahrt wieder fortsetzen.“ [70]

Der Belag der Straße von Griesheim nach Wolfskehlen bestand, wie das bei vielen Überlandstraßen üblich war, aus Kopfsteinpflaster. Während die vier Lastwagen sich am Posten 70 gegenseitig beharkten, hatte am 2. Dezember der Fahrer eines Autos am Posten 79 andere Probleme.

„Auto überfährt Bahnschranke. Heute Freitag vormittag gegen ½10 Uhr überfuhr am Bahnübergang an der Groß-Gerauer Landstraße ein aus Richtung Mainz kommendes Auto, dessen Fahrer von der Sonne stark geblendet war und infolgedessen die Sperre nicht sah, die geschlossene Bahnschranke in ziemlich scharfem Tempo, als gerade der von Darmstadt kommende Zug herangefahren kam. Das Auto kam noch über die Geleise und fuhr in den Wald, wo es an einem starken Baum schwer beschädigt zum Stehen kam. Die Schrankenanlage wurde vollständig zertrümmert. Von den Autoinsassen ist wie durch ein Wunder niemand verletzt worden.“ [71]

Am 11. Januar 1938 stieß auf dem Groß-Gerauer Bahnhof ein planmäßiger, aber leerer Triebwagen mit einer Lokomotive zusammen. „Auf dem Bahnhof Nauheim bei Groß-Gerau löste sich der Kolben einer Güterzug­lokomotive und flog seitwärts weg, ohne jemand zu verletzen.“ Zum Rosenmontag in Mainz werden siebzig Sonderzüge gefahren, 32 mehr als im Vorjahr. Am 14. Mai wurde auf dem Griesheimer Bahnhof ein Zugschaffner aus Weiterstadt beim Rangieren getötet. Am 22. August wurden einem Bahnarbeiter in Zwingenberg beide Beine abgefahren. Gegen Mitternacht vom 30. September auf den 1. Oktober überfuhr ein Güterzug ein Haltesignal auf den Bahnhof Groß-Gerau-Dornberg und entgleiste. Wenige Minuten später kam der Schnell­triebwagen von Berlin nach Karlsruhe durch und streifte einige der Güterwagen, wodurch der Steuerwagen entgleiste. Nur der Triebwagen­führer erlitt leichte Verletzungen. Ende Oktober ging der Lokomotive des Frühzuges von Offenbach nach Dieburg bei Obertshausen „die Puste aus“. Die Arbeiter waren gezwungen, zu Fuß zu ihrer Arbeitsstelle zu gelangen. In der Nacht vom 22. zum 23. Dezember wurden beim Bahn­wärterhaus an der Wolfskehler Chaussee minus 23,6 Grad gemessen. [72]

Losmarschiert

In Darmstadt kollidierte im Juli 1938 ein aus Unterfranken stammender schwerer Lastwagen mit Anhänger mit einem Triebwagen der Linie 5. Schauplatz des Unfalls, bei dem die Straßenbahn aus den Schienen gehebelt und schwer beschädigt wurde, war die Kreuzung der Frankfurter mit der Pallas­wiesenstraße. Mehrere Reisende wurden verletzt. Mit dem Winter­fahrplan verkehrte seit dem 1. Oktober eine neue Buslinie E zum Haardtring und den dortigen Kasernen. Einen Monat, bevor die Synagogen in Brand gesteckt wurden, wurden Anfang Oktober aufgrund eines Reichserlasses vom 27. Juli alle jüdisch klingenden Straßennamen geändert. [73]

Bekanntmachung.
Abbildung 15: Bekanntmachung der HEAG zum Winterfahrplan 1938. Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger vom 29. September 1938.

Am 10. April fand eine Reichstagswahl statt, die mit einer Volks­abstimmung über den vollzogenen Anschluß Österreichs verbunden war. Als Zustimmung reichte ein Ja-Kreuz aus. Von den knapp 50 Millionen Stimm­berechtigten gingen nur rund 220.000 Frauen und Männer nicht zur Wahl; der soziale Druck zur Teilnahme ist offensichtlich. Bei einem unerwartet hohen Sieg der national­sozialistischen Liste mit 99% der Stimmen wagten es immerhin 452.170 Frauen und Männer, dem Regime ihre Zustimmung zu verweigern. Trotz zumindest offiziell geheimer Stimmabgabe dürfte den Machthabern und ihren lokalen Parteischergen klar gewesen sein, wer mit Nein gestimmt hatte. In Griesheim war dies immerhin noch auf 70 Stimmzetteln der Fall. Dazu gehörte angesichts von fünf Jahren politischer Verfolgung, sozialer Ausgrenzung, Einkerkerung, Konzentrations­lagern, Folter und Mord schon sehr viel Mut. Jüdinnen und Sinti, und die, die dazu gemacht worden waren, wurden erst gar nicht um ihre unverbindliche Meinungs­äußerung angefragt. [74]

Wohl am 2. Januar 1939 entgleiste in Darmstadt eine vom Schloß kommende Straßenbahn vor dem Monument und behinderte den Verkehr.

„Marienburg (Westerwald). Giftgase im Omnibus. 40 Arbeiter gasvergiftet. Als ein Omnibus, der täglich Grubenarbeiter von Bach (Ober­westerwald) nach dem Siegenerland fährt, in Altenseelbach ankam, mußte man feststellen, daß die Insassen sämtlich eine Gasvergiftung davongetragen hatten, die auf vom Motor ausströmenden Gasen zurückzuführen ist. Während die Arbeiter, die vorne im Wagen saßen, nicht so sehr davon betroffen waren, mußten vier Arbeiter, die im Wagen weiter hinten saßen, ins Krankenhaus gebracht werden. Der Arzt stellte bei allen Wagen­insassen leichtere oder schwerere Gasvergiftungen fest. Lebensgefahr besteht aber bei keinem der Erkrankten.“

Was hier wohl unfreiwillig geschah, sollte in den kommenden Jahren als Mordprogramm perfektioniert werden. [75]

Bei der laufenden Kriegsvorbereitung wird nichts dem Zufall überlassen. So beanstandet der Führer, daß die Musikcorps das Deutschland­lied zu schnell herunterdudeln. Als Weihelied habe es entsprechend getragen gespielt zu werden, und zwar mit Tempo 80.

Mitte Februar stand der aus Eberstadt kommende Zug bei der Einfahrt nach Pfungstadt vor einem Hindernis. Eine Rangier­lokomotive mit ihren Güterwagen versperrte vor einer defekten Weiche den Weg. Die Fahrgästinnen und Fahrgäste mußten das letzte Wegstück zu Fuß gehen. Zwischen Wersau und Groß-Bieberau stürzte der Schaffner eines Triebwagens beim Übergang vom Anhängerwagen ab und mußte vom zurücksetzenden Zug wieder eingesammelt werden. Die Verletzungen wurden als nicht lebensgefährlich bezeichnet. Am 9. Februar kam es zu einem Unfall an einem Bahnübergang bei Babenhausen. Ein aus Dieburg kommender Lkw-Fahrer sah im Nebel die geschlossene Schranke zu spät und drehte sich auf glatter Straße so, daß er auf den Gleisen zu stehen kam. Die beiden Fahrer versuchten den herankommenden Zug zu warnen, doch der Lokführer sah die beiden Männer im Nebel nicht und rauschte mit seiner Lokomotive, die dabei entgleiste, in den Lastkraftwagen. [76]

„Zwei Eisenbahnschranken überrannt. Vor dem heranbrausenden Zug hinüber. Der junge Helmuth R. aus Wiesbaden kam mit seinem Wagen im Dezember v. J. von dort und wollte vor den geschlossenen Schranken der Reichsbahn noch zwei vor ihm fahrende Autos überholen. In dem hellen Sonnenlicht sah er nur nicht, daß diese schon standen, weil eben die Schranke geschlossen worden war, was er ebenfalls nicht bemerkte. Als sein Wagen die erste Schranke durchbrach, sah er den Zug heranbrausen und tat in dieser Situation das einzige, was ihn retten konnte: er gab Gas und durchbrach auch die zweite Schranke. Das Schöffengericht Darmstadt erkannte denn auch an, daß der Angeklagte, dem im übrigen ein vorzügliches Zeugnis ausgestellt wird, damit große Geistes­gegenwart bewiesen und ein nicht übersehbares Unglück vermieden habe. Da er aber offenbar doch zu schnell gefahren ist, wurde er wegen fahrlässiger Transport­gefährdung mit einem Geldstrafe von 150RM belegt.“

Persilscheine gab es wohl schon vor dem Krieg. So viel Milde, womöglich von begeisterten Automobilisten erteilt, verführte am 11. Mai den Fahrer eines Personenautos aus Ober-Ramstadt, am selbigen Posten 79 der Riedbahn seinerseits den Schrankentest zu vollführen. Der Schrankenwärter lief daraufhin dem in Griesheim um 20.22 Uhr abgehenden Zug mit einer roten Laterne entgegen und konnte ihn hierdurch rechtzeitig zum Halten bringen. [77]

Ende Juni 1939 wurde wiederum ein Personenwagen bei Bickenbach von einem Triebwagen erwischt. Das Blinklicht hatte gewarnt. Am 4. Juli fuhr der aus Dornberg kommende Personenzug P 2917 im Bahnhof Groß-Gerau auf den Durchgangs­güterzug 6612 auf. Verletzt wurde keine und niemand. Am 16. Juli fuhr der Deutsche Reichs­kriegerbund mit einem Sonderzug von Griesheim nach Stuttgart. Am bei Diedelsheim gelegenen Wärterposten 12a mit der Kreuzung der Reichsstraße von Gondelsheim nach Bretten zertrümmerte er ein Kraftfahrzeug, dessen Fahrer das Stopsignal mißachtet hatte. Alle vier Insassen starben, der Sonderzug setzte seine Fahrt mit Verspätung fort. [78]

Personenzug von Lastzug aus den Gleisen gehoben. An dem unübersichtlichen schrankenlosen Bahnübergang der Bahn Offenbach – Dieburg, am Ortsausgang von Eppertshausen, kam es am Mittwoch­vormittag [am 2. August, WK] zu einem Zusammenstoß zwischen einem von Ober-Roden kommenden Personenzug und einem Darmstädter Lastzug, der mit Steinen beladen nach Urberach fahren wollte. Der Personenzug erfaßte den Anhänger und zertrümmerte ihn vollständig. Dabei wurde die Lokomotive aus dem Geleis gehoben und fuhr mit den anhängenden Wagen noch etwa 150 Meter weiter, wo sie schwer beschädigt stehen blieb. Personen kamen zum Glück nicht zu Schaden, wie auch die Wagen des Zuges und der vordere Lastwagen unbeschädigt blieben.“ [79]

Zur Vorbereitung auf den unmittelbar bevorstehenden Krieg gegen Polen übte die Freiwillige Feuerwehr Griesheims am 13. August 1939 den Umgang mit einem Bombenabwurf auf die Güterhalle und das Bahnhofsgebäude. Fünf Jahre später sollte dieses tatsächlich zerstört werden. Am 1. September wird eine neue Warnblink­anlage am Ostrand von Darmstadt an der Kreuzung der Reichsstraße 26 mit der Nebenbahn nach Groß-Zimmern in Betrieb genommen. Die Zeitung merkt an, daß andernorts trotz rotem Warnlicht noch versucht werde, über die Gleise zu gelangen, und das sei leichtsinnig und gefährlich. Züge können den Bahnübergang nunmehr mit 50 Stunden­kilometern durchfahren. Während ihre Ehemänner Polen verwüsten, werden ab Anfang September in Darmstadt bei der HEAG Frauen zu Schaffnerinnen ausgebildet. Am 16. September besuchte eine Windhose Dieburg und deckte die im Frühjahr an der Nebenbahn Dieburg – Offenbach errichtete zehn Meter lange Bahnhalle ab. Ab dem 3. Oktober verkehren die letzten Straßenbahnen von Griesheim nach Darmstadt um 22.30 Uhr und zurück um 23.01 Uhr. Ende September fuhr eine aus Darmstadt kommende Lokomotive ein querendes Fuhrwerk an der Fohlenweide bei Dieburg an. Während es hier nur Verletzte gab, endete am 24. Oktober die Autofahrt eines aus Mainz kommenden Rasers an der durchbrochenen Bahnschranke des Riedbahn-Postens 79 tödlich, als er von einem aus Darmstadt durchfahrenden Personenzug erwischt wurde. Ende Oktober stießen an zwei verschiedenen Tagen ein Lastkraft­wagen und ein Personenwagen an der Abzweigung von der Straße von Darmstadt nach Griesheim nach Groß-Gerau mit einer hier kreuzenden Straßenbahn zusammen. Im November geriet ein Rangierer in Kranichstein zwischen die Puffer und wurde dadurch getötet. [80]

Am 21. Januar 1940 soll der eher improvisierte und immer wieder neu angepaßte Eisenbahn­verkehr durch einen Kriegsfahrplan ersetzt werden, der „möglichst für die gesamte Zeit des Krieges beibehalten werden“ soll. [81]

Bomben auf polnische Städte.

Abbildung 16: „Feuertaufe“ – das Filmdokument vom Einsatz der Luftwaffe in Polen. „Diese Aufnahme von Warschau vermittelt uns die Furchtbarkeit, Wucht und Schärfe der deutschen Luftwaffe.“ Abgedruckt im Neuen Griesheimer Anzeiger am 9. April 1940.

1940 weitet das Naziregime seinen Krieg im Westen aus und bombardiert monatelang engische Städte wie London, Coventry, Birmingham oder Sheffield. Die diesbezüglichen Propaganda­erfolgs­meldungen, wie sich auch in Griesheims Lokalzeitung abgedruckt werden, vermitteln der Heimatfront einen Vorgeschmack auf das, was sie als Vergeltung zu erwarten hatte. Dagegen verblassen die Alltags­meldungen über Unfälle und andere Ereignisse, die mit der Eisenbahn und Straßenbahn in Darmstadt und Umgebung in Zusammenhang stehen. Einige seien dennoch hier aufgeführt.

Bekanntmachung.
Abbildung 17: Bekanntmachung der HEAG über das Rauchverbot in der Straßenbahn. Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger vom 2. März 1940.

Am 30. Dezember 1939 sprang der Motorwagen einer Straßenbahn nach Griesheim direkt hinter der Eisenbahn­brücke aus den Schienen und blockierte beide Gleise. Am 25. Februar 1940, einem Sonntag, ließ die Reichsbahn eine Reihe von Personenzügen ausfallen, um Lokomotiven und Personal dem Güterverkehr zur Verfügung zu stellen.

Rauchverbot auf der Straßenbahn. Ab 1. März darf auch auf den Plattformen der Darmstädter Straßenbahn­wagen nicht mehr geraucht werden. Ebenso kommen die Raucherwagen in Wegfall. Begründet wird das Verbot mit der Gefahr für die Kleidung der Fahrgäste und der Luftver­schlechterung, bei Ueberfüllung der Wagen, ferner mit der Erschwerung des Dienstes für die Schaffnerinnen während der Verdunkelung und der überflüssigen Mehrarbeit, die das Beseitigen der Asche und Stummel verursacht.“

In Gegenwart des Gauleiters und Reichs­statthalters Jakob Sprenger wurde am 17. März im Helia-Theater der 1938 und 1939 gedrehte Kultur- und Werbefilm „Darmstadt, die Großstadt im Walde“ uraufgeführt. [82]

Am 15. April tritt bei der HEAG der Sommerfahrplan in Kraft. Die Linie 7 wird wieder „wie früher“ bis zum Oberwaldhaus durchgebunden. Ende April sucht das Unternehmen Männer über 45 als Straßenbahnfahrer und Schaffner auf der Linie 9 nach Griesheim. Frauen, wenn sie nicht unter 18 sind, werden als Schaffnerinnen gesucht. Da privater Autoverkehr so gut wie nicht mehr möglich ist und die Reichsbahn zugunsten kriegswichtiger Transporte gerade zu Pfingsten ihren Personenverkehr erheblich einschränkt, werden die Straßenbahnen gerade von Ausflüglerinnen und Wanderern mehr belastet als zuvor.

„Der Verkehr im Straßenbahn­betrieb, hauptsächlich auf der Vorortlinie nach der Bergstraße, ist derart gestiegen, daß der Betrieb an der Grenze der Leistungs­fähigkeit angekommen ist und nicht weiter gesteigert werden kann. Eine Gewähr für die Beförderung, auch Weiterfahrt auf Umsteig­fahrscheine, kann daher nicht mehr übernommen werden.“

Anfang Juli geht der Omnibusverkehr an der Bergstraße zwischen Bensheim und Seeheim von der Reichspost auf die Reichsbahn über, mit dem Bahnhof Jugenheim als betriebsführende Dienststelle. Zum 2. Dezember 1940 hebt die HEAG auf der Linie 9 die Haltestelle Kavallerie­kaserne auf und richtet statt dessen an der Mittelschneise die Haltestelle Rabenaustraße ein. Wenige Tage zuvor war Griesheim für judenfrei erklärt worden.

Im März fuhr in Hergershausen ein Personenzug auf einen gerade abfahrenden Güterzug auf. Der stellvertretende Fahrdienstleiter und ein Weichensteller wurden wegen fahrlässiger Transport­gefährdung angeklagt und im Juni von einer Darmstädter Strafkammer zu einer Geldstrafe von jeweils 150 Mark verurteilt. Im November kam in Mörfelden ein Schaffner ums Leben, als er die Schlußleuchten eines Zuges abhängte. In Eberstadt wurde ebenfalls bei Dunkelheit ein Bahnhofsarbeiter beim Überschreiten der Gleise überfahren.

Etwa zur selben Zeit wurde in Wörrstadt ein fünfzehnjähriges Mädchen aus Gabsheim zu sieben Monaten Gefängnis „wegen unerlaubten Verkehrs mit einem Kriegs­gefangenen“ verurteilt, wovon sie vier Monate sofort abzusitzen hatte. [83]

Das deutsche Mordprogramm wird abgewickelt

1939 mußte unter den Bedingungen der Kriegs­wirtschaft die Bekohlung der Lokomotiven im Bw Darmstadt neu organisiert werden. Zwangsarbeit war offensichtlich nicht zufriedenstellend.

„Bei dem augenblicklichen Mangel an Arbeitskräften läßt sich die Forderung nach Entleerung der Wagen fast überhaupt nicht, jedenfalls aber nur unter ganz erheblichem Kostenaufwand für Unternehmerarbeiter erfüllen. So wurden von dem Maschinenamt Darmstadt allein in den Monaten Januar und Februar dieses Jahres für das Entladen von Kohlen durch Unternehmer rd 7500.– RM verausgabt, nachdem der im Vorjahr versuchte Einsatz von Juden und Strafgefangenen zum Ausladen der Kohlen nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat.“ [84]

Im März 1942, September 1942 und Februar 1943 wurden in mehreren Transporten hessische Jüdinnen und Juden vom Darmstädter Güterbahnhof aus mit der Reichsbahn nach Piaski bei Lublin und nach Theresienstadt verschleppt. Darunter waren auch Darmstädter Bürgerinnen und Bürger wie zum Beispiel Benny und Thekla Bär. Beide starben bald nach ihrer Ankunft in Theresienstadt aufgrund der katastrophalen Zustände dieses Konzentrations­lagers, wenn sie nicht direkt ermordet wurden.

Stolpersteine.

Bild 18: Stolpersteine für Benny und Thekla Baer in der Darmstädter Landwehrstraße, verlegt am 5. April 2006.

Dieser zweite Massentransport ging am 27. September 1942 mit der Zugnummer Da 120 ab und deportierte 1.288 Personen, darunter acht Kinder, doch die meisten von ihnen waren ältere Menschen, die beispielsweise in Darmstadt aus dem jüdischen Altenheim in der Eschollbrücker Straße herausgerissen worden waren. [85]

Diese Angaben passen jedoch nicht ganz zur bürokratischen Vorbereitung in Form eines Umlaufplans von zwanzig drittklassigen C-Wagen, die aus Frankfurt gestellt wurden und von August bis Oktober 1942 abwechselnd mehrere Städte heimsuchten. Demnach war wohl ursprünglich für den 6. Oktober eine weitere Deportation von Darmstadt nach Theresienstadt vorgesehen gewesen.

Umlaufplan.

Abbildung 19: Auszug aus dem Wagenumlaufplan 122 Frankfurt.

Am 25. März 1942 wurden 1000 Jüdinnen und Juden, allesamt jünger als 65 Jahre, in das Durchgangslager Piaski bei Lublin deportiert.

Drei Tage nach der Deportation nach Theresienstadt war mit Fahrplan­anordnung 1195 und Zugnummer P Da 84 für den 30. September 1942 eine dritte Deportation zum Durchgangs­lager Izbica im Bezirk Lublin vorgesehen. Auf einem mir vorliegenden Dokument ist vermerkt, daß dafür der Ausfall des Zuges vom 21. August mit Fahrplan­anordnung 1177 eingetreten ist. Möglicher­weise wollten die Nazis und ihre Schergen in Darmstadt ihre Aktion gebündelt durchführen. Der Transport mußte jedoch in den Bezirk Warschau umgeleitet werden, vermutlich weil sich die Reparaturen an einer Bahnlinie zum Vernichtungs­lager Sobibor länger als erwartet hinzogen. Statt dessen wurden die aus Darmstadt kommenden jüdinnen und Juden nach Treblinka gebracht.

Am 10. Februar 1943 wurde eine weitere Verschleppung von Jüdinnen und Juden nach Theresienstadt organisiert. Insgesamt wurden hiermit etwa 4.000 Menschen in den Tod geschickt. Diejenigen, die im März und September 1942 abtransportiert wurden, waren zuvor in die Justus-Liebig-Oberschule verbracht worden, wo verschiedene Ämter einquartiert wurden, um die zu Deportierenden durch unmittelbaren Zwang oder inquisitorisches Befragen ihrer Wertgegenstände und ihres Vermögens zu berauben. Sie blieben dort bis zum Abtransport kaserniert. Zu diesem Zweck war die Schule vom 14. September bis zum 2. Oktober für den Schulbetrieb geschlossen worden. [86]

Am 15. März 1943 wurden auch die Darmstädter Sintezze und Sinti zum Güter­bahnhof verschleppt und von dort mit der Reichsbahn nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Die wenigen Überlebenden, die 1945 und danach nach Darmstadt zurückkehrten, wurden weiterhin schikanös behandelt und in eine Baracken­siedlung am Rande der Stadt abgedrängt. [87]

Das Finale: Das Regime setzt auf totalen Krieg bis zum Ende

Der Krieg wurde ab 1933 auch von der Reichsbahndirektion Mainz vorbereitet. Gasmasken wurden ausgegeben und der Luftschutz erprobt. Im Krieg selbst sollte der Gegner getäuscht werden.

Scheinanlagen, die Bahnanlagen mit bewegten Fahrzeugen, Signalen usw vortäuschen sollten, waren an etwa 20 Stellen im ehem. Dir. Bezirk vom Luftgaukommando angelegt, z. B. war auf der Altrhein­halbinsel Kühkopf bei Guntersblum/Goddelau der Verschiebebf Mainz-Bischofsheim nachgeahmt. Auf diese Scheinanlage sind etwa 30 mal Bomben abgeworfen worden, auch andere Scheinanlagen sind mehrfach nachts angegriffen worden. Ab 1943 mit der Zunahme der Tagesangriffe und Einführung der Radargeräte hörten die Angriffe auf, als die Gegner die Anlagen erkannt hatten.“

Rangier- und andere Aufgaben des Verschiebe­bahnhofs Mainz-Bischofsheim wurden im Verlauf des Krieges nach Goddelau-Erfelden, Wiesbaden Ost und Darmstadt-Kranichstein verlagert. Mit Kriegsende (in Darmstadt März 1945) waren die beiden Bahnbetriebswerke am Darmstädter Hauptbahnhof und in Kranichstein stark zerstört, aber noch arbeitsfähig, das Betriebs­wagenwerk hingegen war „weniger beschädigt“. [88]

Auch die Bahnanlagen von Goddelau, Wolfskehlen und Griesheim waten mehrfach das Ziel alliierter Bomberverbände. Dabei wurden die Bahnhofsgebäude von Wolfskehlen und Griesheim zerstört. Während der Bahnhof von Wolfskehlen wohl keinerlei strategische Bedeutung besessen hat, befand sich auf dem Griesheimer Bahnhof eine Culemeyer-Anlage, mit der Tankwagen für die Flugzeugverbände auf dem Griesheimer Sand verladen wurden.

„Auf dem Griesheimer Bahnhof waren manchmal Flakzüge stationiert, die ebenso wie die zeitweise nördlich der Riedbahn in Stellung liegenden Flakgeschütze die feindlichen Verbände beschossen.“

In der Nacht auf den 26. August 1944 wurde Griesheim durch einen Bombenangriff großteils zerstört; militärische Ziele waren hier nicht erkennbar. Der Angriff galt wohl Darmstadt, konnte aber nicht wie geplant durchgeführt werden, weshalb die Bomben Ortschaften der Umgebung heimsuchten. Zwei Wochen später wurde der Angriff auf Darmstadt wiederholt. Jagdbomber sollten auch in der Folgezeit über Griesheim auftauchen. Zivilistinnen beschießen und Lokomotiven auf dem Bahnhof zerstören. Das nach dem Angriff im August wieder aufgebaute Bahnhofs­gebäude wurde nun endgültig unbraucbar geschossen. Noch in der Nacht vor der Besetzung Griesheims am 24. März 1945 hielt auf dem Bahnhof ein Flakzug, um den bei Oppenheim errichteten Brückenkopf zu beschießen. [89]

„Bf Darmstadt Hbf

Nach früheren kleinen kam am 13.9.1944 ein schwerer Luftangriff fliegender Festungen gegen 10 Uhr vorm. von 1 Stunde Dauer. Alle Gleise schwer beschädigt, 2 Güterhallen abgebrannt, Eilguthalle und 2 Lokschuppen schwer beschädigt, Triebwagen­schuppen in Trümmer, alle übrigen Gebäude stark beschädigt, ebenso 2 Rangier­stellwerke.

Nach Einsatz von Arbeitstrupps, wie bei Ludwigshafen geschildert, 1 Gleis Richtung Darmstadt – Frankfurt frei am Abend 21 Uhr. Noch mehrere Tage dauerte es, bis nach allen Richtungen der Zugverkehr voll laufen konnte.

In der Nacht vom 10./11. September 1944 war bei dem schweren Angriff auf die Stadt Darmstadt ein Munitionszug in das Anschlußgleis des Mil Prov Lagers geschoben worden. Er wurde von Bomben getroffen und alle Wagen gingen nach und nach in die Luft.

Am 15.9.1944 wieder bei Tage folgte ein weiterer Luftangriff auf alle Kreuzungs­bauwerke nördl und östl des Bahnhofs Darmstadt und die Gleise der Richtungen Mainz, Worms, Aschaffenburg und Odenwald. Es wurden 350 Bomben­trichter gezählt. Der Ersatz der beschädigten Brücken durch Behelfsbrücken und die Ausbesserungs­arbeiten dauerten 4 Tage, bis der Betrieb wieder richtig in Gang kam.“

Quelle: Deutsche Bundesbahn, Bundesbahn­direktion Mainz, 35 : Die Leistungen der Deutschen Reichsbahn im Bezirk der früheren Rbd Mainz während des 2. Weltkriegs. Mainz, im März 1955. Ms., Seite 16.

Darmstadt Mai 1945.

Bild 20: Die Bahnanlagen nördlich des Darmstädter Hauptbahnhofs, aufgenommen zwischen dem 7. und dem 9. Mai 1945. Am rechten Bildrand die beiden Ringlok­schuppen des Bahn­betriebswerks, am unteren Bildrand die Anlagen des Lokomotiv-Ausbesserungs­werks, in der Bildmitte das Gleislager, darüber die Pallas­wiesenstraße. Am oberen Bildrand verschwindet nach links das Werkstättengleis, während rechts die Gleise nach Mainz, Frankfurt, Aschaffenburg und in den Odenwald abgehen. Am linken oberen Bildrand ist die Trasse der Riedbahn Richtung Goddelau zu erahnen. Quelle: Markus Lenz : „Die Trolley Mission der US-amerikanischen Luftwaffe“, 2. Auflage, Frankfurt am Main. Die zugehörige Webseite zur Trolley Mission [online].

Die alliierten Bombenangriffe erreichten nicht das, was sie vorgaben erreichen zu wollen. Die Bevölkerung wurde zwar zermürbt, aber sie gab nicht auf. Die Infrastruktur war gestört, aber die Räder rollten weiter, wenn auch nicht mehr bis zum Sieg. Mit verschärftem Terror auch gegen die eigenen arischen Untertanen und mit einem Rückzug der verbrannten Erde hielten sich die Nazis bis in die allerletzten Stunden an der Macht; und ein Marinerichter, der bis zum Schluß seine Todesurteile fällte, konnte anschließend demokratisch maskiert Minister­präsident des Bundeslandes werden, in dem Männer alles können, nur kein Hochdeutsch. Innerhalb Deutschlands gab es keine organisierte Kraft, um dem Grauen eine Ende zu bereiten; das Ende mußte von außen kommen. [90]

In der Nacht vom 22. zum 23. März 1945 verließ angesichts der vorrückenden US-Truppen der letzte Zug den Bahnhof von Goddelau-Erfelden in Richtung Darmstadt. Er sollte sein Ziel nicht mehr erreichen und verendete im Wald zwischen Griesheim und der Blockstelle Pallaswiese.

Die Geschichte der Riedbahn wird fortgesetzt mit dem Kapitel zu den ersten Nachkriegsjahren ab 1945. Ein Plündertrupp verläßt Griesheim, die Rheinbrücke bei Worms ist zerstört, während der Wiederaufbau langsam anläuft.


Literatur

Anmerkungen

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