Güterschuppen in Biblis. Güterschuppen in Biblis.

Die Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau

Schnelltriebwagen in den 50er Jahren

Dokumentation

1869 wurde die Riedbahn zwischen Darmstadt und Worms eröffnet. Die heutige Riedbahn mit ihrem Hauptverlauf von Mannheim nach Frankfurt wurde erst zehn Jahre später errichtet. Dokumentiert wird auf meinen Riedbahn-Seiten eigentlich der Streckenabschnitt zwischen Darmstadt und Goddelau, aber für diese Seite mache ich eine Ausnahme.

1953 verfügte die Deutsche Bundesbahn über genügend neue oder aufgearbeitete Lokomotiven, Trieb- und Personenwagen, um mit neuen, differenzierten Zuggattungen und Zügen die Verkehrsbedürfnisse zu befriedigen. Nebenher galt es, konkurrenzfähig gegenüber der automobilen individuellen, schnellen Fortbewegung zu bleiben. Zu diesen neuen Zuggattungen zählten Städteschnell­verbindungen, die auch mit Vorkriegs­triebwagen als Städte­schnellverkehrs­triebwagen durchgeführt werden konnten.

Mitte der 1950er Jahre probierte Helmut Brechenser seine neue Fotokamera aus. Sein Studienobjekt war der täglich vorbeiflitzende Fernschnellzug „Rheinblitz“.


Mit Flügelzügen durchs hessische Ried

Mit Beginn des Sommerfahrplans am 17. Mai 1953 erlebte eine neue Verbindung von Mannheim über Biblis nach Darmstadt ihre Premiere. Mit welchem Wagenmaterial sie verkehrte, muß derzeit offen bleiben. im Sommer 1954 wurden aus diesen Schnell­triebwagen ganz normale Eiltriebwagen, die im Winter 1955/56 nur noch Eilzüge hießen, aber mit Triebwagen­zügen durchgeführt wurden. Im Sommer 1960 wurden die hier vorgestellten Triebwagen­fahrten durch lokbespannte Züge ersetzt, gleichzeitig wurden aus Eilzügen Personenzüge, auch wenn sie weiterhin nicht an jeder Station anhielten. Als Ende September 1970 der Personenverkehr auf dem Riedbahnstück zwischen Darmstadt und Goddelau-Erfelden eingestellt wurde, war aus der ehemaligen Schnell­verbindung ein Nahschnell­verkehrszug geworden, der an fast jeder Station hielt, aber dennoch schneller lief als die 1953 eingeführte Triebwagenzüge.

Die hier vorgestellte Schnelltriebwagenverbindung mit den Zugnummern 735 und 737 läßt sich in vier Phasen einteilen.

FahrplanperiodeSo 53Wi 53So 54Wi 54So 55Wi 55So 56Wi 5657/5858/5959/60
ZugnummerST 735ST 735ET 735/7ET 735/7ET 735/7E 735E 737E 737E 2683E 2683E 2683
Verkehrstagewwtgltgltgl/wwwwwww
Karlsruhe    9.279.27     
Ludwigshafen        ?10.0710.0510.17
Mannheim10.1810.1810.1810.1810.2910.2910.1810.1810.1810.1510.30
Mannheim-Waldhof10.3010.3010.3010.3010.4010.4010.2910.2910.2910.2610.40
Lampertheim10.3910.3910.3010.3010.4810.4810.3710.3710.3710.3410.49
Bürstadt10.4610.4610.4610.4610.5510.5510.4410.4410.4410.4110.55
Biblis10.5410.5510.5510.5511.0211.0210.5210.5210.5210.4911.02
Gernsheim11.0411.0511.0511.0511.1211.1211.0211.0211.0210.5911.11
Goddelau-Erfelden11.1411.1611.1511.1511.2311.2311.1211.1211.1211.0911.20
ZugnummerST 735ST 735ET 737ET 737ET 737      
Verkehrstagewwtgltglw      
Goddelau-Erfelden11.1511.1611.2011.2011.28      
Darmstadt11.3311.3411.3711.3711.45      
Zugnummer  ET 735ET 735ET 735E 735E 737E 737E 2683E 2683E 2683
Verkehrstage  tgltgltglwwwwww
Goddelau-Erfelden  11.1711.1711.2511.2511.1311.1311.1311.1011.21
Groß Gerau-Dornberg  11.2811.2811.3611.3611.2411.2411.2411.2011.31
Frankfurt  11.5911.5912.0612.0611.5411.5411.5411.5111.58
Auszug Fahrplan 1955.

Abbildung 1: Auszug aus dem Sommerfahrplan 1955 mit den zwischen Mannheim und Goddelau-Erfelden vereinten Trieb­wagen 735 und 737. Diese Angabe ist der einzige sichere Beleg für eine Flügelung des Zuges.

Offene Fragen:

Zugbildung.
Abbildung 2: Ausschnitt aus dem Zugbildungsplan der BD Frankfurt (Main) für Leistungen des Bw Darmstadt im Winter­halbjahr 1959/60. Quelle: Sammlung Ronald Krug.

Für den Winterfahrplan 1959/60 läßt sich ein Teil der Fragen beantworten. Der Zugbildungsplan für den Umlauf 11126 läßt einen VT 60 mit Steuerwagen VS 145 von Darmstadt über Frankfurt, Kaiserslautern, Kusel, wieder Kaiserslautern, Frankfurt und Wiesbaden nach Frankfurt reisen, ehe am zweiten Tag morgens Frankfurt Richtung Ludwigshafen verlassen wird. Hiervon die Rückleistung ist der Et 2683. Weiter geht es nach Darmstadt und von dort zweimal im Pendel nach Wiesbden und zurück. – Sonntags wird abweichend gefahren, unter anderem nach Aschaffenburg.

Im Oktober 1959 besaß das Bw Darmstadt sechs VT 60 mit den Nummern 60 509, 60 510, 60 512, 60 517, 60 519 und 60 526. 60 518 war z-gestellt. Die zugehörigen VS 145 bestanden aus 145 082, 145 158, 145 198, 145 251, 145 252, 145 263, 145 265 und 145 372. Zwei weitere, 145 228 und 145 411, waren z-gestellt.

Diese Trieb- und Steuerwagen wurden pärchenweise verwendet. Für den Oktober 1959 lassen sich folgende Zuordnungen belegen: 60 509 mit 145 265, 60 510 mit 145 158, 60 512 mit 145 251, 60 517 mit 145 198, ab 9. Oktober mit 145 252, 60 519 mit 145 263 und 60 526 mit 145 372. Welche beiden Pärchen den Umlauf 11126 bestückten, läßt sich hingegen nicht rekonstruieren. VS 145 082 war an VT 30 001 gekuppelt.

Auch im Sommerfahrplan 1958 war ein VT 60/VS 145-Pärchen als Eilzug von Ludwigshafen nach Frankfurt unterwegs, siehe hier.


Ein Rheinblitz bei Biblis

Schon in den 1930er Jahren des Nationalsozialismus bemühte sich die Deutsche Reichsbahn darum, zahlungskräftigen Kunden und Kundinnen, meist Geschäftsreisende, zügige umsteigefreie Verbindungen aus der „Provinz“ nach Berlin anzubieten. Das Konzept, mit Diesel­triebwagen weite Entfernungen schnell zu überbrücken, erschien attraktiv. Es zeigte sich jedoch, daß dieses Konzept schnell an Grenzen stieß. Erstens gab es kein flächendeckendes, aufeinander abgestimmtes Netz, das auch andere Relationen als die nach Berlin mit einschloß. Und zweitens verfügte die Reichsbahn über nicht genügend Triebwagen­einheiten, um dem steigenden Bedarf Rechnung zu tragen. Noch war das Automobil keine unmittelbare Konkurrenz, denn der Bau von Autobahnen hatte gerade erst begonnen. Der Marsch in den Zweiten Weltkrieg beendete 1939 dieses durchaus interessante Kapitel der deutschen Eisenbahn­geschichte abrupt. Die Triebwagen wurden entweder abgestellt oder der besonderen Verwendung höhrer Nazichargen unterstellt.

Wirtschaftsbosse und höhere Bürokraten benötigten auch in der jungen Bundesrepublik Deutschland schnelle Reise­möglichkeiten. Die Ausrichtung auf Berlin entfiel, stattdessen waren vorzugsweise Nord-Süd-Verbindungen gefragt. Vor dem Neubau der Dieseltrieb­wagen der Baureihe VT 08 blieb der Deutschen Bundesbahn nichts anderes übrig, als auf die Diesel­triebwagen der 1930er Jahre zurückzugreifen. Einige von ihnen waren kriegszerstört oder abhanden gekommen, andere nicht ganz freiwillig an die alliierten Kommandanturen abgeordnet. Dennoch waren eine Handvoll Triebwagen vorhanden, die aufgearbeitet und dem gehobenen Reiseverkehr zur Verfügung gestellt werden konnten. Das gemeine Fußvolk hingegen durfte sich mit abgewirtschafteten Länder­bahnwagen, Donnerbüchsen und anderen Notlösungen zufrieden geben. Aus heutiger Sicht mag man und frau es kaum glauben, aber die ersten Schienenbusse verströmten geradezu Begeisterung und führten zu Volksaufläufen. Sie waren zwar unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten möglichst einfach und billig zusammengebaut, aber gleichzeitig das modernste Wagenmaterial, was die Bahn ihrer Laufkundschaft zu bieten hatte.

Schon bald nach Kriegsende wurden für privilegierte Deutsche, und dazu gehörten Wirtschaftsbosse, Bürokraten und Politiker, sogenannte Dienst-D-Züge eingerichtet, die frühmorgens von A nach B fuhren und abends aus B nach A zurückkamen, also Eintagsreisen zu Besprechungen und Konferenzen ermöglichten. Nach der Währungsreform wurde es dann möglich, die Kontingentierung der Züge aufzuheben und mit einem bescheidenen Triebwagenpark erste Fernschnellzüge innerhalb der westlichen drei Besatzungszonen anzubieten. Die Fahrzeiten waren auf die Schnelltriebwagen abgestimmt, doch diese fielen nach langen Jahren des Verschleißes bei mangelnder Wartung häufiger aus. Dampfgeführte Ersatzzüge kamen daher nicht selten Stunden später im Zielbahnhof an.

1951 konnte die Bundesbahn daran gehen, ein tatsächliches Netz mit zunächst fünfzehn schnellfahrenden Zügen aufzubauen. Der Schwerpunkt dieses Netzes lag in der Relation Rhein/Ruhr – Rhein/Main. Aufgrund einer Umfrage unter ihren Fahrgästen ging die Bundesbahn im Jahr darauf daran, einzelnen Zügen besondere Namen zuzuweisen. So erhielten die mit Triebwagen bedienten Fernschnellzüge 7 und 8 von Basel ins Ruhrgebiet den Namen „Rheinblitz“. Aus logistischen Gründen wurden selbige mit weiteren Fernschnell­triebwagen aus dem Ruhrgebiet und dem Rheinland nach Frankfurt, Stuttgart, Nürnberg und München zusammen­gekuppelt. Hieraus entstand die sogenannte „Rheinblitz-Gruppe“, die einige Jahre lang mit vier Einheiten unterschiedlicher Bauart linksrheinisch von Köln nach Mainz unterwegs war.

Eines Tages Mitte der 1950er Jahre probierte Helmut Brechenser seine neue Fotokamera aus. Als Versuchsobjekt wählte er einen der schnellen Züge, die durch seine Heimatgemeinde fuhren. Neben dem Fernschnellzug „Helvetia“ von Hamburg in die Schweiz war dies der „Rheinblitz“. An der am südlichen Ende des Bibliser Bahnhofs gelegenen Kurve, die auch heute noch von ICEs und TGVs mit verminderter Geschwindigkeit durchfahren werden muß, befindet sich ein Bahnübergang am Posten 31. Mit der Sonne im Rücken hat er der Nachwelt folgendes Bild hinterlassen.

Rheinblitz bei Biblis.

F-Zug „Rheinblitz“ in der Bibliser Kurve, Mitte der 50er Jahre aufgenommen von Helmut Brechenser.

An der sogenannten „Bibliser Kurve“ bei Kilometer 27,2 kam ihm vormittags kurz vor 10 Uhr einer der damaligen Starzüge der Deutschen Bundesbahn entgegen. An diesem sommerlichen Vormittag wurde der Mannheimer Flügel mit FT 8 nach Basel und FT 28 nach München aus zwei Einheiten der Baureihe SVT 06 „Köln“ gebildet. Hier sind beide Triebwagen­einheiten noch in einer Bundesbahn­lackierung gehalten, die je nach Autor hell-/dunkelblau, taubenblau/grau, hellblau/creme, grau/blau oder blau/beige genannt wird.

Bekannt ist, daß zwischen 1953 und 1956 im Zuge einer T3-Untersuchung die erste Nachkriegs­farbvariante zugunsten des sterileren Einheitsrots für Triebwagen verändert wurde. In der Theorie sollte es daher gelingen können, sowohl den genauen Zeitraum wie auch die Nummer der Triebwagen­einheit zu bestimmen; das geht aber nur, wenn das Datum der T3-Untersuchungen auch bekannt wäre. Mangels dieses Datums könnten als Behelf die in der Literatur zu den Schnellverkehrs­triebwagen gezeigten Fotografien herhalten, allein, die Datierung der Bilder wirft in Kombination mit der abgebildeten Farbvariante die Frage auf, ob die Fotografien richtig datiert wurden.

Beim VT 06 103 beispielsweise zeigt Kurz in seinem Buch über die „Fliegenden Züge“ auf Seite 133 eine rote Einheit, datiert auf den 9. Mai 1954. Auf Seite 135, datiert 1. September 1954, und Seite 134, datiert 14. Oktober 1956, ist dies genauso zu sehen. Doch auf Seite 128, datiert auf den 22. Oktober 1955, sehen wir denselben Triebwagen eindeutig im zweifarbigen Kleid. Wenn wir davon ausgehen, daß die Bundesbahner nicht nach Lust und Laune zwischen Rot und Blau/Grau/Creme gewechselt haben, dann ist mindestens eine dieser Angaben unzutreffend.

Selbiges läßt sich auch beim VT 06 104 beobachten, wobei hier die Aufnahmen aus mehreren Bänden zum Vergleich herangezogen werden können. Während mehrere dieser Autoren dem Triebwagen zwischen November 1953 und Juli 1955 ein rotes Farbkleid zuschreiben, vertreten Scherf/Ernst eine Minderheiten­position und schreiben, daß der Triebwagen im Mai 1955 zweifarbig abgelichtet wurde.

Weniger Probleme bereiten die Triebwagen VT 06 108 und VT 06 110, die seit Mai 1954 bzw. Mai 1953 der roten Farbvariante zugeschlagen werden. Seltsam hingegen ist es, wenn in ein-und-demselben Buch, nämlich dem von Scherf/Ernst, der VT 06 502 auf Seite 191 im Winter 1954 zweifarbig, auf Seite 200 am 23. April 1955 rot, aber auf derselben Seite im Sommer 1955 wieder zweifarbig daherkommt. Kurz wiederum schreibt in seinem Buch über die „Fliegenden Züge“, daß die beiden umgebauten SVT 06 501 und 502 bis 1956 ihr zweifarbiges Aussehen behalten haben. Nun ist den genannten Autoren kein Vorwurf daraus zu machen, daß ihnen Aufnahmen mit nicht von ihnen zu verantwortenden Daten vorgelegen haben. Aber weshalb hat keiner von ihnen diese Widersprüche thematisiert?

Zwar kann die Angabe des Bibliser Fotografen, das Bild sei Mitte der 50er Jahre entstanden, einen größeren Zeitraum bezeichnen. Aber schon die Unsicherheit, die den Bildlegenden der Fachliteratur zu entnehmen ist, läßt nur den Schluß zu, daß wir wohl nie erfahren werden, welche beiden Triebwagen der Bauart „Köln“ hier zu sehen sind.

Ganz unabhängig davon handelt es sich um ein, zumindest für die Riedbahn, seltenes Bilddokument.


Literatur


 
 
 
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