1869 wurde die Riedbahn zwischen Darmstadt und Worms eröffnet. Die heutige Riedbahn mit ihrem Hauptverlauf von Mannheim nach Frankfurt wurde erst zehn Jahre später errichtet. Dokumentiert wird auf meinen Riedbahn-Seiten der Streckenabschnitt zwischen Darmstadt und Goddelau.
Als zwischen 1907 und 1912 der neue Darmstädter Hauptbahnhof als Musteranlage angelegt wurde, wurde zugleich die kaiserliche Post integriert. Das etwa einhundert Meter nördlich an der Ostseite des Hauptbahnhofs angelegte Postamt verfügte über einen eigenen Zugang zu den Bahnsteigen, um beim Be- und Entladen des Postguts nicht den allgemeinen Personenverkehr zu behindern. Die Postwagen liefen in der Regel an der Spitze des Zuges und die meisten Darmstadt verlassenden Züge entschwanden zunächst in nördlicher Richtung. Somit war auch diese Anlage recht praktisch eingerichtet. In den 1990er Jahren war der Poststeg einer erneuten Linienvereinfachung im Weg. Der Hochgeschwindigkeitsverkehr, auf den Darmstadt auch zwei Jahrzehnte später noch wartet und wohl auch weiterhin vergeblich warten wird, verlangt beschleunigte Ein- und Ausfahrten. Dabei hatte die Post kurz zuvor noch ihren gläsernen Anbau baulich mit dem Poststeg verbunden. Doch dann zogen auch hier die einem autistischem Profitstreben verpflichteten Betriebswirtschaftler ein. Sie bevorzugten Postverteilzentren auf der grünen Wiese und die Gummikonkurrenz; folglich stellten sie den Jahrzehnte bewährten nächtlichen Postversand mit der Bahn ein.
Die Aufnahmen aus dem letzten Bestandsjahr des Poststegs stammen von Jörn Schramm, der dieses Denkmanl der Baukultur noch ein letztes Mal im Bild festhalten wollte.
Bild 1: Aufnahme des vermutlich kurz zuvor fertiggestellten Postamts mitsamt Poststeg, vermutlich 1912 angefertigt. Während die Schienen im Bild schwer auszumachen sind, verraten die Oberleitungsmasten den angestrebten Straßenbahnbetrieb. Die beiden sichtbaren Rosetten zur Aufhängung des Fahrdrahtes, an der Vorderfront unterhalb des ersten Fensters und neben dem vierten Fenster von rechts, sind auch heute noch vorhanden. Durch die kleine Einfahrt rechts vom Postamt wurde Ende 1918 ein Schienengleis in den Innenhof gelegt, um die Pakete der Postämter am Hauptbahnhof, am Luisenplatz, an der Mathildenhöhe und in der Bessunger Hermannstraße mittels eigens umgebauter Straßenbahnwagen zu befördern [siehe]. Postkarten-Kunstverlag Wilhelm Gerling.
„Anlagen für den Postverkehr. Für die Zwecke des Postdienstes ist nördlich in rund 100 m Entfernung vom Empfangsgebäude und in der Längsausdehnung rechtwinklig dazu, so daß es den Platz vor dem Empfangsgebäude an der Nordseite abschließt, ein besonderes Poatamtsgebäude errichtet, welches die Schalter- und Diensträume, Packkammern, Karrenhalle usw. und eine Wohnung des Postdirektors enthält. Von dem Postgebäude führt dann quer über die Gleise ein besonderer eiserner Poststeg, der durch Aufzüge die Verbindung mit dem Postbahnsteig und seinen beiden Postgleisen und den übrigen Gepäckbahnsteigen vermittelt. Das Postamtsgebäude ist von der Postverwaltung selbst ausgeführt, während der Poststeg mit den Aufzügen, der Postbahnsteig mit seiner Überdachung und die Gleisanlagen von der Eisenbahnverwaltung auf Kosten der Reichspostverwaltung geschaffen sind.“ [1]
Bild 2: Achtzig Jahre später erreicht der von 111 095 gezogene Interregio 2475 am 7. März 1992 kurz nach 2 Uhr am Nachmittag den Darmstädter Hauptbahnhof auf Gleis 10. Die Interregiolinie 19 befuhr die Strecke von Kassel über die Main-Weser-Bahn bis Frankfurt und dann weiter über Heidelberg und Offenburg nach Konstanz. Sie wurde im Dezember 2002 eingestellt und durch eine IC-Linie ersetzt.
Bild 3: Fast zwei Jahre später zeigt diese am 16. Februar 1994 aufgenommene Seitenansicht die Verbindung von Bahnsteigen und Postamt. Es dürfte eine der letzten gezielt dem Poststeg gewidmeten Aufnahmen sein, die vor dem beginnenden Zerstörungswerk entstand. Links das Fahrdienstleiterstellwerk.
Bild 4: Am 10. Mai 1994 haben die Abrißarbeiten schon begonnen. Zurecht werden die Kulturbarbaren per Sprühdose als Denkmalmörder bezeichnet, aber was hilft's? Die hinter dem linken Turm hervorlugende Wagenmeisterei an der Dornheimer Weg-Brücke ereilt das gleiche Schicksal.
Bild 5: Zwei Tage später mit Blick vom Bahnsteig zwischen den Gleisen 11 und 12.
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