Rangierfahrt auf der Riedbahn.
Die Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau
Walter Kuhl
Rangierfahrt auf der Riedbahn.
Rangierfahrt
auf der Riedbahn.
Hauptbahnhof.
Hauptbahnhof.
Kriegskarte von Wilhelm Gerling.
Kriegsbeute.
Wasserturm.
Wasserturm.
Neuer Hauptbahnhof.
Hauptahnhof 1912.

Die Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau

Erbeutete Geschütze und doch kein Sieg

Das Leibgarde-Regiment 115

1869 wurde die Riedbahn zwischen Darmstadt und Worms eröffnet. Die heutige Riedbahn mit ihrem Haupt­verlauf von Mannheim nach Frankfurt wurde erst zehn Jahre später errichtet. Dokumentiert wird auf meinen Riedbahn-Seiten vor allem der Strecken­abschnitt zwischen Darmstadt und Goddelau.

Das 1. Großgerzoglich Hessische Infanterie (Leibgarde)-Regiment Nr. 115 zog als Teil der kaiserlich-deutschen Armee im August 1914 in den Krieg und marschierte hierbei völkerrechts­widrig in das neutrale Belgien ein. Dieser Einmarsch war Teil des Schlieffen-Plans, um die französischen Verteidingungs­stellungen zu umgehen und anschließend den Feind im Rücken vernichtend zu schlagen. Der Plan ging schief, weil sich die belgischen Truppen unvorher­gesehener­maßen erbittert wehrten und dadurch den eng gestrafften Zeitplan der preußischen Strategen empfindlich störten. In der Folge waren die deutschen Truppen nicht wählerisch in der Wahl der Mittel, massakrierten mal belgische Zivilistinnen und Zivilisten oder zerstörten die berühmte Bibliothek von Leuven/Louvain. Anschließend ging es nach Frankreich, dessen nördliche Landstriche nach allen Mitteln deutscher Kriegskunst verwüstet wurden.

Stolz wie Ludwig präsentierten die hessischen Besatzer anschließend ihre Kriegsbeute. Der Darmstädter Fotograf Heinrich Hohmann nahm diese Show zum Anlaß, ein paar Bilder herzustellen, die er als Ansichtskarte zur Hebung der Moral unters Volk brachte.

Wie aus meiner Darstellung unschwer herauszulesen ist, finde ich Militärs, Militarismus und Krieg einfach nur widerwärtig. Das sehen die krieegsgeilen (bellizistischen) deutschen Eliten der 2020er Jahre vollkommen anders. Sie rüsten zum nächsten Gefecht.


Kriegskarten

Am 2. September 1914 verkündete die „Darmstädter Zeitung:“

Neue Trophäen. Gestern abend ist abermals ein Transport von erbeuteten französischen Geschützen auf dem hiesigen Güterbahnhof eingetroffen und nach dem Artilleriedepot überführt worden. Es waren im ganzen 18 Geschütze, einige Maschinengewehre und Wagen.

Die Firma H. Hohmann bringt heute vier Postkarten heraus, die eine schöne Erinnerung an die herrlichen Siege unserer tapferen 115er bilden werden. Es sind dies Abbildungen der von unseren 115ern erbeuteten französischen Geschütze, Aufnahmen auf dem Bahn­transport nach Darmstadt und vor dem Denkmal Ludwigs IV., wo jene Aufstellung gefunden haben. Unseren Soldaten im Felde werden diese Karten besondere Freude machen. Sie sind in allen Papier­geschäften und Buch­handlungen zu haben.“

Ansichtskarte erbeutetes Geschütz.

Bild 1: Ansichtskarte mit durch das Regiment Nr. 115 erbeutetem Geschütz.

Tags darauf machte sich dieselbe Zeitung Sorgen um den gedeihlichen Umgang mit den (nicht nur) auf dem Griesheimer Sand eingelieferten Kriegs­gefangenen:

„Als vor zwei Wochen die ersten Kriegsg­efangenen eintrafen, da war die Presse genötigt, die Würde­losigkeit gewisser ehr- und pflicht­vergessener Frauen zu brandmarken, die sich in der Verschwendung von Liebesgaben an unsere Feinde nicht genug tun konnten. Mancherorts bereiteten ja die Gefangenen selbst diesen Entarteten eine unerwartete, aber wohl­verdiente Abfuhr, indem sie ihnen die dargereichten Gaben aus der Hand schlugen. Geeignete amtliche Maßnahmen haben nunmehr die Gefahr der Wieder­holung solcher schandbaren Ungehörig­keiten endgültig gebannt. Inzwischen ist die Zahl der Gefangenen erheblich gewachsen; das erste Hundert­tausend dürfte bereits voll sein. So erwünscht uns die Gefangenen einerseits sind, so leicht kann ein Ueberfluß an dieser Siegesbeute zur Landplage werden, wenn ihre Einordnung in unser Wirtschafts­leben nicht auf eine für beide Teile vorteilhafte Weise gelingt.“

In Griesheim war die „Landplage“ anfänglich eine Volks­belustigung. Die Massen strömten zum neu eingerichteten Gefangenen­lager, um die abgelieferten feindlichen Soldaten regelrecht zu begaffen. Es herrscht Volksfest­stimmung. Diese wich, als offenbar wurde, daß sich der Krieg in die Länge ziehen würde, und die „vorteilhafte Weise“ vor allem den Betrieben und ihren Eigentümern zugute kam, die sich vor lauter Rüstungs­aufträgen nicht retten konnten. In Darmstadt beispiels­weise die Fabriken von Goebel und Schenck, Alter und Venuleth & Ellenbeger.

»»  Zum Kriegs­gefangenenlager auf dem Griesheimer Sand siehe meine Darstellung Eingebunden in die Kriegs­logistik.

Nüchterner liest sich da schon die Eingangs­bilanz vom 3. September 1914; der versteckte Hinweis besteht im Aufruf zur neuerlichen Volksbelustigung.

„Einbringen belgischer Kriegsbeute. Heute nachmittag 2 Uhr 50 Min. treffen auf dem hiesigen Güter­bahnhof aus Belgien 23 Geschütze und 120 Protzen ein.“

Doch was hat das 115. Regiment mit meiner Darstellung zur Riedbahn zu tun? Nun, als die Truppen in den Krieg zogen, blieben einige Reservisten zurück, die im „1. Ersatz-Bataillon InfRgt 115“ zusammen­gezogen wurden. Selbiges Ersatz­regiment wurde im 1912 aufge­gebenen Ludwigs­bahnhof untergebracht, wie eine Ansichts­karte belegt.

Ansichtskarte Ludwigsbahnhof.

Bild 2: Ansichtskarte mit dem ehemaligen Ludwigs­bahnhof als Unterkunft des Ersatz­bataillons des II. Infanterie­regiments Nr. 115; Kunstverlag Lautz.

Überhaupt blühte zu Kriegsbeginn das Ansichts­kartengewerbe. So gab ein findiger Darmstädter Fotograf sogenannte „Kriegskarten“ heraus, die wahlweise mit abreisenden Truppen, mehr oder weniger zerlumpten Kriegs­gefangenen, fürsorg­lichen Landes­müttern oder anderen Kriegs­devotionalien versehen waren. Eine dieser von Wilhelm Gerling verlegten Karten zeigt das Regiment Nr. 115, wie es an der Südseite des Güter­bahnhofs die Rampe vom Dornheimer Weg herunter marschiert, um (vermutlich) auf Gleis 1 verladen zu werden. Während die Kapelle lustige Soldaten­lieder spielt, dürften sich die Soldaten mit ihren Tornistern schon einmal vorsorglich gefragt haben, ob sie lebend das Ende der anstehenden brutalen Metzelei erleben würden. Die mir bekannten Exemplare dieser Kriegskarten sind fotografisch interessanter als die hier gezeigte von Heinrich Hohmann.

Von Wilhelm Gerling gibt es fast einhundert dieser Kriegskarten, die vermutlich solange gepflegt wurden, wie Aussicht auf ein „erfolgreiches“ Ende dieses Krieges bestand. Doch es kam anders. Mit dem Scheitern der Offensive im Spätsommer 1914 war nicht mehr daran zu denken, daß Deutschland in einer militärischen Entscheidungs­schlacht würde gewinnen können. So trat die Abnutzung des „Feindes“ in den Vordergrund, in der Hoffnung, daß selbiger vor den Anstrengungen, den Ver­wüstungen und dem Blutzoll eher kapitulieren würde als das deutsche Reich. Das Eintreten des USA in den Krieg änderte die Kräfte­verhältnisse nachhaltig, so daß es nur noch eine Frage der Zeit war, wann das Deutsche Reich kapitulieren mußte. Hindenburg und Ludendorff entzogen sich ihrer Verant­wortung und schufen mit der Dolch­stoßlegende eine Grundlage für den Marsch der Nazis von München nach Berlin. – 1914 jedoch sah die Welt noch rosig aus und mit geziemendem Protokoll veranschiedeten Groß­herzogin Eleonore und Groß­herzog Ernst Ludwig im Darmstädter Haupt­bahnhof die 115er-Ersatz­truppen, die bald darauf an der Front verheizt wurden.

Ansichtskarte Hauptbahnhof.

Bild 3: Ansichtskarte der Verab­schiedung der Ersatz­truppen für die 115er. Kriegskarte von Wilhelm Gerling Nr. 55.

Die Ehre der 115er

Auch geschlagene Truppen erhalten ihre Denkmäler. Auf der Nordseite des Darmstädter Residenz­schlosses befindet sich ein Denkmal, das die Heldentaten der Krieger­truppe auflistet. Nicht genug damit, wird auch noch der aus den 115ern hervor­gegangenen Infanterie­regimentern 226 und 485 gedacht, die an der Maginotlinie und der Ukraine, bei Stalingrad und in Polen, vor Moskau und in Nord­frankreich dabei halfen, den Vernichtungs­feldzug der Nazis durch­zuführen.

Denkmal.

Bild 4: Das Denkmal für die gefallenen 115er, deren Ehre gepriesen wird. Unnötig zu erwähnen, daß auch hiervon zwischen den beiden Weltkriegen eine Reihe von Ansichts­karten verbreitet wurden, die bis heute in Onlineshops und Antiqua­riaten rege Verbreitung finden. – Vermutlich fehlt mir jedes Verständnis für einen Ehrbegriff, der das Leben Anderer negiert. Ein Denkmal für die von den 115ern in West und Ost Getöteten wäre in der Stadt der Wissenschaft und Künste wohl angemessener, aber darauf können wir in einer Stadt, die sich so lange erfolgreich zu ihrer Hindenburg­straße bekannt hat, lange warten.

Das Leibgardisten­denkmal wurde 1928 eingeweiht. Die Herrichtung benötigte aus ver­schiedenerlei Gründen sieben Jahre; über die vorbereitete Grund­steinlegung schreibt der „Neue Griesheimer Anzeiger“ am 12. Januar 1921, wohl in Übernahme eines Berichts einer Darmstädter Zeitung:

„Darmstadt, 8. Jan.  Aus Anlaß der Dreihundert­jahrfeier des früheren Leibgarde-Infanterie-Regiments Nr. 115 am 13. März soll der Grundstein zu einem Denbkmal für die Gefallenen des Regiments gelegt werden. Das Denkmal soll im Herrngarten am Eingang zwischen Theater und Museum errichtet werden.“

„Die Gedenkfeier der 115er in Darmstadt.

Weit über 10.000 ehemalige Leib­gardisten waren dem Ruf gefolgt, sich zur Feier der vor 300 Jahren erfolgten Gründung des Leibgarde-Regiments (1. Großh. Hess.) Nr. 115 und zur Grund­steinlegung des Denkmals für die gefallenen Regiments­angehörigen in der alten Garnison ein Stelldichein zu geben. Aus Nord und Süd, Ost und West waren sie herbeigeeilt. Darmstadt prankte im Schmuck hessischer und deutscher Fahnen. Am Samstag abend fanden Begrüßungsfeiern der bereits eingetroffenen 115er statt. Die Veranstaltungen am Sonntag [6.3., WK] waren vom Wetter begünstigt. Der über drei Kilometer lange Festzug mit mehreren Musik­kapellen bewegte sich in bester Ordnung vom kleinen Exerzier­platz durch die Stadt nach dem Herrngarten, wo das Denkmal einen würdigen Platz finden soll. Als um 12 Uhr – das Glocken­spiel auf dem Schloß ließ gerade seine Weisen hören und von allen Kirchen läuteten die Glocken – der ehemalige Groß­herzog Ernst Ludwig auf dem Platz erschien, wurde er mit tausend­stimmigen Hurra- und Hochrufen begrüßt. Die Grund­steinlegung nahm einen feierlichen Verlauf. Nachdem die Musik „Wir treten zum Beten“ gespielt, hielten drei Geistliche, Pfarrer Noack für die Evangelischen, Pfarrer Hetzner für die Katholischen und Rabbiner Dr. Italiener für die Israeliten Gedächtnis­ansprachen. In seiner Festrede gedachte General d. Inf. von Hutier zunächst der über 3000 Toten, die das Regiment im letzten Weltkrieg verloren, und gab dann einen Rückblick auf die ruhmvolle Geschichte des ältesten deutschen Regiments. Die Rede klang in ein Hoch auf Hessen und das deutsche Vaterland aus, dem sich der gemein­schaftliche Gesang von „Deutschland, Deutschland über Alles“ anschloß. Nach der Urkunden­verlesung wurde die Kapsel und ein lorbeer­geschmückter Sturmhelm in den Grundstein eingefügt. Die üblichen Hammer­schläge vollführten dann für die Offiziere, Unter­offiziere und Mannschaften, die im Weltkriege gekämpft haben: General v. Hutier, Post­assistent Heuß und Herr Gremm. Es folgte der Großherzog, der Traditionskompagnie im Reichswehr-Regt. 15, Major Müller-Hickler, General a. D. Metzler, Feldwebel Wenzlan, General v. Lyncker, General a. D. v. Neidhard, der Oberbürger­meister, Prof. Walbe, Bürger­meister Rahn für die Stadt Worms, die drei Geistlichen usw. Eine Abordnung ägyptischer Studenten legte einen Kranz an dem Grundstein nieder. An die Feier schloß sich ein Vorbei­marsch vor den Fahnen des Regiments, die am Museum aufgestellt waren. In den Stamm­lokalen der Kompagnien wurde sodann das gemein­schaftliche Mittagessen eingenommen. Am Essen der Leib­kompagnie im städtischen Saalbau nahm der der [sic!] ehemalige Großherzog teil und verbrachte hier noch einige gemütliche Stunden mit den früheren Regiments­angehörigen. Die gesamten Veran­staltungen nahmen einen ungestörten Verlauf.“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger vom 9. März 1921, auch hier wohl als Übernahme eines Artikels einer Darmstädter Zeitung.

Diese pompös durchexerzierte Feier spiegelt das erwünschte Wieder­aufleben bzw. Weiter­bestehen militaristischen Glanzes wider. Der hier anwesende General von Hutier entwickelte während des Ersten Weltkriegs eine Angriffs­taktik, die eine Mischung aus Artillerie- und Giftgas­angriff beinhaltete; und nach der Niederlage gehörte er zu denen, welche die Dolch­stoßlegende pflegten. Eine demokratische Gesinnung, gar ein Bekenntnis zur Weimarer Republik war den Generälen fremd. Doch bis heute findet sich kaum eine oder jemand, die diesem ekelhaften militaristischen Spuk kritisch gegenüber­stehen. Daniel Baczyk, Redakteur des „Darmstädter Echo“, geht allerdings mehr auf die nach­folgenden Jahre ein, als die 115er und die aus ihnen hervor­gegangenen Regimenter im deutschen Vernichtungs­krieg an verschiedenen Fronten mitwirkten. Zu fragen ist jedoch, ob nicht schon die hessischen Truppen im deutsch-französischen und im Ersten Weltkrieg an Verbrechen beteiligt gewesen sind. Insofern kann und muß dieses Denkmal als Ausdruck imperia­listischer Gesinnung und kriegerischen Ethos betrachtet werden; etwas, was übrigens zum 100, Jahrestag des großen Völker­schlachtens wieder breite Öffent­lichkeit findet und positiv gewertet wird, etwa durch den Bundes­präsidenten Joachum Gauck. Auf der Webseite des Digitalen Archivs Hessen-Darmstadt, einer archiv­pädagogischen Veröffent­lichung des Hessischen Staats­archivs Darmstadt, finden wir zusätzlich zur im übrigen völlig unkritischen Darstellung dieses Denkmals folgende Aussage:

„In der Brust des Löwen stecken zwei abgebrochene Lanzen oder Pfeile, die rechte Pranke ist zum letzten Schlag erhoben. Das Denkmal wurde im hessischen Land­kalender von 1937 als Sinnbild für ‚das kämpfende, kraftvolle und heldenmütige Unterliegen‘ dargestellt.“

Vollkommen unkommentiert, als wenn 1937 eine derartige Aussage keinen Kontext besäße. Ganz abgesehen davon, daß das helden­mütige Unterliegen der Schlußakkord zum ganz und gar heldenhaften Überfall auf Belgien und Frankreich gewesen ist; also mit dem „Sinnbild“ dem früheren und geplanten Angriffs­verbrechen gehuldigt wird.

Nun waren die 115er nicht die einzigen, die aus der Schlappe von 1918 eine Gedenkfeier stilisierten. Am 2. April 1921 schreibt der „Neue Griesheimer Anzeiger“, auch hier wohl als Übernahme einer Darmstädter Zeitung:

„Am 6. April hätte das Groß­herzogliche Artilleriekorps, 1. Großh. Hess. Feld­artillerie-Rgt. Nr. 25 Darmstadt auf sein 130jähriges Bestehen zurückblicken können. Die verschiedenen Vereinigungen ehemaliger Regiments­angehöriger und der Feld- und Ersatz­formationen haben daher beschlossen, am 9. und 10. April eine Gedenk­feier zu veranstalten. Haupt­festtag ist der 10. April 1921. Diese soll in erster Linie den Gefallenen gewidmet sein, aber auch Gelegen­heit geben sich in treuer deutscher Kamerad­schaft zusammen­zufinden. Dazu sind aber große Geldmittel erforderlich, die durch freiwiliige Beiträge aller alten Kameraden und Freunde gewonnen werden sollen. Gebe jeder sein Scherflein!“ [Es folgen die Bank­verbindung und weitere Kontakt­daten, WK]

„Regiments-Gedächtnis­feier in Darmstadt.

Das von dem ehemaligen Garde-Dragoner-Regiment Nr. 23 veranstaltete kamerad­schaftliche Fest, verbunden mit der Gedächtnis­feier zu Ehren der gefallenen Kameraden des Regiments, das am Samstag und Sonntag daselbst stattfand, schloß sich den Feiern der 115 und der 25 er Artillerie würdig an. Sonntag vormittag brachten die Eisenbahn­züge noch zahlreiche Regiments­angehörige und wurde das Regiment im Kasernen­hof nach Schwadronen aufgestellt. Auch der ehemalige Großherzog war zu der Veranstaltung erschienen (als Inhaber des früheren Regiments). Der Ehren­präsident des Zentral­vorsta[n]des der Vereinigung ehemaliger 23 er Dragoner Generalmajor z. D. Freiher[r] v[on] Branden­stein hielt die Festrede. Die Kameraden vereinigten sich dann zu dem großen Festzug, der von zahlreichen Musik­kapellen, Fahnen Emblemen etc. unterbrochen wurde. Um vier Uhr fand der Festakt im total überfüllten Saalbau statt, wobei leider viele Kameraden keinen Platz finden konnten. Allen [B]eteiligten dürfte die hübsch verlaufene Feier in angenehmer Erinnerung bleiben sodaß der für das nächste Jahr vorgesehene Regiments­appell eine gleich große Besucherzahl finden wird.“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger vom 14. Mai 1921, auch hier wohl als Über­nahme eines Artikels einer Darmstädter Zeitung. Angesichts der mannig­faltigen Fehler im Artikel frage ich mich, ob der Setzer keine Lust hatte, diesen Quark abzudrucken.

Schon damals regte sich ein subtiler Widerstand gegen diesen militaristischen Spuk. So wurde am Krieger­denkmal auf dem Parade­platz Mitte April 1921 der Säbel und die Helmspitze des fechtenden Soldaten entfernt. Im Juni 1921 verurteilte das Schöffengericht vier Arbeiter, die in der Nacht vor der Jubiläums­feier der ehemaligen 115er die Ehrenpforte am Bahnhof abgesägt und das Rednerpodium am Paradeplatz entführt hatten, zu Geldstrafen.

Grundsteinlegung.

Bild 5: Grundstein­legung am 6. März 1921 auf dem Platz zwischen Landes­museum und (damaligem) Landestheater nach einer zeit­genössischen Ansichtskarte. Der Urheber ist nicht vermerkt; leider wurde das Bild am rechten Rand einge­schwärzt.

Sieben Jahre später sorgt dann jedes Regiment einzeln dafür, ein eigenes Denkmal irgendwo in die Stadt hinpflanzen zu dürfen. An eine zentrale, gemeinsame Feier denkt da ohnehin niemand mehr. Eifer­süchteleien, aber auch Geldnöte haben das Projekt jahrelang hinausgezögert. Doch dann ist es endlich soweit. Der ursprünglich am Südeingang zum Herrngarten vorgesehene Standort wurde aufgegeben, der gelegte Grundstein wohl still­schweigend an den neuen und heutigen Platz mit umgezogen. Als es dann aber so weit ist, wollen wieder viele Freundinnen und vor allem Freunde der militaristischen Erweckung eines bösen Spuks an der groß geplanten Sause teilnehmen.

„Zur Teilnahme an der Wiedersehens­feier und der Einweihungs­feierlichkeiten des Ehrenmals in Darmstadt für die Gefallenen des ehemaligen Hessischen Leibgarde-Infanterie-Regiments Nr. 115 vom 18.–20. Aug[ust] haben sich weit über 20.000 ehemalige Angehörige des Regiments angemeldet. Seit Wochen sind die einzelnen Festaus­schüsse an der Arbeit das Fest so auszugestalten, daß jeder Teilnehmer voll befriedigt und in dankbarem Gedenken an die Stunden echt kamerad­schaftlichen Erlebens von der Feststadt scheiden wird. Der Samstag ist dem Empfang der auswärtigen Gäste gewidmet. Durch eine Abordnung wird ein Kranz am Landes-Krieger­denkmal niedergelegt. Abends 8 Uhr ist Begrüßung in der Festhalle bei Konzert und sonstigen Darbietungen. Nach dem Empfang der auswärtigen Vereine am Sonntag früh findet um 9½ Uhr bataillons­weises Antreten statt und zwar 1. Bataillon Magdalenen­straße, Ballonplatz, 2. Bataillon Schloßgarten­straße, Schloß­gartenplatz, 3. Bataillon Frankfurter­straße, Mathilden­platz. Um 10¼ Uhr Abmarsch zur Denkmals­weihe statt [sic!]. Um 1 Uhr ist gemeinschaft­liches Mittagessen in den zugeteilten Lokalen. Um 2½ Uhr erfolgt die Aufstellung des Festzuges auf dem Meßplatz und Abmarsch zum Festplatz durch die Mühlstraße, Alexander­straße, Denkmal, Marktplatz, Ludwigstraße, Elisabethen­straße, Wilhelminen­straße, Rheinstraße. Auf dem Festplatz von 4 Uhr ab Konzert. Am Abend finden ausgewählte Vorführungen aller Art neben den Klängen der Militär-Kapellen statt. Den Schluß bildet eine bengalische Beleuchtung des ganzen Festplatzes und der Festhalle. Der Montag-Nachmittag soll mit Volks- und Kinderfest ausgefüllt werden. Um dem Fest einen würdigen Abschluß zu geben, findet abends 8 Uhr in der Festhalle ein Massen­konzert ehemaliger Militär­musiker statt. Daran schließt sich als Schlußeffekt ein großes Brillant­feuerwerk an. Um den hiesigen Festteilnehmern Gelegenheit zu geben an allen Veranstaltungen teilzunehmen fahren die letzten Wagen der Straßenbahn am Samstag nachts 1 Uhr, am Sonntag nachts 2 Uhr und am Montag nachts 12 Uhr vom Bahnhof Darmstadt aus ab.“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger vom 18. August 1928, auch hier wohl als Übernahme eines Artikels einer Darmstädter Zeitung.

„Denkmalsweihe und Wieder­sehensfeier der ehem. 115er.

Die Denkmals­einweihung und Wiedersehens­feier des ehem. Leibgarde-Inf-Reg. 115 hatte am gestrigen Sonntag Tausende und Aber­tausende ehem. Angehöriger dieses Regiments und verwandter Formationen nach Darmstadt gebracht. Die Bevölkerung nahm an der Feier lebhaften Anteil und hatte die Gebäude hübsch geschmückt. Ueberall grüßten Fahnen und besonders die Stammlokale der einzelnen Kompagnien hatten herzliche Willkommens­grüße für ihre einstigen Gäste angebracht. Der Samstag brachte nach Kranz­niederlegungen am Landes-Krieger­denkmal einen Begrüßungs­abend, der die große Festhalle bis auf das letzte Plätzchen füllte und unter musikalischen und turnerischen Darbietungen fanden sich die früheren Kameraden zu gemeinsamer Wieder­erweckung einstiger enger Banden. Reichs­präsident von Hindenburg hatte ein Handschreiben an den Bund ehem. Leibgardisten gerichtet, in dem er zum Ausdruck brachte, daß das neue Denkmal nicht nur ein Wahrzeichen alter ruhmreicher Erinnerungen sein möge, sondern auch ein Mahner die Treue zum Vaterlande nie zu vergessen. Bürger­meister Müller begrüßte die Versammelten im Namen der Stadt.

Am Sonntag Vormittag fand um 11 Uhr in Anwesen­heit des ehem. Großherzogs und seiner beiden Söhne, einer Anzahl frührerer höherer Offiziere in Uniform und als Vertreter der Stadt Oberbürger­meister Dr. Glässing die Weihe des Denkmals statt, das an der zurück­gesetzten Schloßmauer aufgestellt ist. Die Angehörigen des Regiments unter Vorantritt der Feldkriegs­zeichen und der Fahnen der Vereine und Formationen nahmen um das Denkmal Aufstellung und während der Gedächtnis­reden kreiste ein Flieger in der Luft und die Glocken der Kirchen läuteten zum Gedächtnis der Toten. Freih. v. Preuschen [1] als Vorsitzender des Vereins ehem. Leibgardisten hielt die Fest­ansprache, hinweisend auf die großen Taten derer, denen das Denkmal als äußeres Symbol gewidmet sein soll, daß die Pflicht der Dankbarkeit gegenüber den Gefallenen keinen Unterschied der politischen Parteien kennen sollte und dürfte. Wenn irgendwann müsse hier das Vaterland über den Parteien stehen. Sein dreifaches Hurra auf das deutsche Vaterland fand brausenden Widerhall. Die etwa 10.000 Teilnehmer und Zuschauer sangen dann das Deutschland­lied. Nach Gedächtnis­reden der Geistlichen der Evangelischen, katholischen und jüdischen Kirche [sic!] übergab General v. Preuschen das Denkmal der Stadt Darmstadt und Oberbürger­meister Dr. Glässing gelobte, das Denkmal in Schutz und Schirm der Stadt zu übernehmen, in treuem Gedenken an die Kämpfer, die ihre Kraft und ihr Leben einsetzten, das Vaterland vor feindlichem Einbruche zu bewahren. Dann schloß sich ein Heer von Kranz­niederlegungen an, zuvorderst der ehem. Großherzog mit den Worten „Treue um Treue, daß wir ihrer nie vergessen“. Wohl über 50 Kränze, meist aus Lorbeer, wurden mit entsprechenden Gedenkworten am Sockel des Denkmals niedergelegt. Dann folgte der Vorbeimarsch des Regiments am Denkmal und der Abmarsch in die Lokale. An allen Ecken und Enden spielten die Photographen und hielten die denkwürdigen Momente auf der Platte oder im Film fest. – Das Denkmal stammt von dem Mitglied der Darmstädter Künstler­kolonie Professor Jobst. Es ist ein aus sächsischen Porphyr gehauener Steinsockel, der zahlreiche Inschriften trägt. Auf dem Sockel ruht ein sterbender Löwe mit zwei Todespfeilen in Brust und Hals, die rechte Pranke zum letzten Schlage erhebend. Die Symbolik dieses in der letzten Abwehr sterbenden Löwen wurde in den Fest­ansprachen mehrfach ausgedeutet. Aufgebracht wurden die Mittel durch Bausteine und durch einen namhaften Zuschuß der Stadt Darmstadt.

Der Sonntag Nachmittag brachte den Festzug, an dem sich wohl alle ehem. Angehörigen des Regimentes beteiligten. Ein Kanonen­schuß mahnte zum Gedenken der Toten. Der Festzug hielt und die Musik intonierte 2 Strophen des Liedes „Ich hatt einen Kameraden“. Dann setzte sich der Zug wieder in Bewegung nach dem Festplatz, wo sich bald ein reges Leben und Treiben sich entwickelte und die ehem. Kameraden wiederzusammen­führte. – Am Abend wickelte sich wie am Samstag Abend ein Fest­programm in der Festhalle ab, dessen Abschluß eine bengalische Beleuchtung der Festhalle und des Festplatzes bildete. Heute Montag wird ein Volksfest und Kinderfest und am Abend ein Feuerwerk den Abschluß des Festes bilden. – Während der Denkmals­einweihung waren nicht weniger als 38 Ohnmachts- und Krämpfe­anfälle zu verzeichnen. Die freiwillige Sanitätskolonne konnte in allen Fällen sofort helfend eingreifen.“

Quelle: Neuer Griesheimer Anzeiger vom 21. August 1928. – Dazu auch die Darstellung im [Digitalen Archiv Darmstadt].

Das ganze militaristische Brimborium endet in einem Abmarsch in die Lokale, die sich zuvor mit entsprechenen Bannern in Erinnerung gebracht hatten. Zu mehr als Saufen, Kämpfen und langweiligen Reden Zuhören scheint eine bestimmte Spezies Mann nicht in der Lage zu sein, und das gilt es würdevoll zu zelebrieren.

»»  Fred Kautz hat sich das Leibgardisten­regiment Nr. 115 und das ihm gewidmete Denkmal genauer angeschaut und hat hierbei eine kriegs­lüsterne Traditions­linie vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und die Vernichtungs­feldzüge der Nazi/Wehrmacht bis hin zur jungen Bundes­republik gefunden. Seine Darstellung Der Tanz um den bronzenen Löwen ist im November 2014 im Internet publiziert worden.