Rangierfahrt auf der Riedbahn.
Die Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau
Walter Kuhl
Rangierfahrt auf der Riedbahn.
Rangierfahrt
auf der Riedbahn.
Zeilhard.
Zeilhard.
Rheinbrücke bei Worms.
Rheinbrücke
bei Worms.
Baustelle Pfungstadtbahn.
Wiederaufbau der
Pfungstadtbahn.
Gitterbrücke.
Gitterbrücke im
Norden Darmstadts.

Die Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau

Eisenbahn­trajekte über Rhein und Bodensee

Eine Abhandlung von Hans Schlieper

1869 wurde die Riedbahn zwischen Darmstadt und Worms eröffnet. Die heutige Riedbahn mit ihrem Haupt­verlauf von Mannheim nach Frankfurt wurde erst zehn Jahre später errichtet. Dokumentiert wird auf meinen Riedbahn-Seiten vor allem der Strecken­abschnitt zwischen Darmstadt und Goddelau.

Am 21. Dezember 2009 besprach ich für die Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt in meiner Sendung Mit allen Wassern gewaschen im Nachmittags­programm von Radio Darmstadt das im Alba-Verlag erschienene Büchlein von Hans Schlieper.


Die Besprechung

Die Geschichte der Eisenbahn begann in Südhessen in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts. Mit der Eröffnung der Main-Neckar-Bahn im Jahr 1846 zog der Dampfgeruch der großen weiten Welt in die noch recht beschauliche Residenzstadt ein. Die zunächst nur eingleisig gebaute Nord-Süd-Verbindung erwies sich alsbald als Goldgrube. So war es wenig verwunderlich, daß auch andernorts Gesellschaften entstanden, die im Personen- und vor allem im Güterverkehr ein profitables Ein- und Auskommen sahen. Mainz, das damals mitsamt des links­rheinischen Rheinhessen zum Groß­herzogtum Hessen gehörte, war zunächst noch vom technisch modernen Fernverkehr ausgeschlossen.

Dort gründete sich die Hessische Ludwigs-Eisenbahn­gesellschaft und baute zunächst eine Eisenbahn nach Worms und darüber hinaus zur pfälzischen Landesgrenze. Unter Umgehung Frankfurts wurde alsbald eine zweite Magistrale errichtet, die Ende der 1850er Jahre von Bingen an der preußischen Grenze über Mainz und Darmstadt nach Aschaffenburg in Bayern führte. Bis Anfang der 1870er Jahre mußten alle Personen- und Güterzüge dieser Bahnstrecke in Darmstadt Kopf machen [1]. Dabei besaß die Hessische Ludwigsbahn in Darmstadt zunächst kein eigenes Bahnhofsgebäude, sondern nutzte die Anlagen der Main-Neckar-Bahn auf Pachtbasis mit.

Erst als die vier Gleise des einen Empfangs­bahnsteigs mit weiteren Zuglinien ins Ried und in den Odenwald überfordert waren, wurde ein eigenes repräsentatives Bahnhofs­gebäude unvermeidlich. Dieses stand dort, wo heute das Landessozial­gericht am Steubenplatz zu finden ist. Mit der Eröffnung des heutigen Hauptbahnhofs 1912 wurde der Bahnhof geschlossen, das Gebäude wurde kriegszerstört 1955 abgerissen. Die 1869 eröffnete Eisenbahn ins Ried endete jedoch nicht in Worms, wie dies in der großherzoglichen Konzession festgelegt war, sondern auf der rechten Rheinseite, also am entgegengesetzten Ufer, beim kleinen Flecken Rosengarten. Die zweigleisige Eisenbahn­brücke über den Rhein bei Worms entstand erst 1900, nachdem die Hessische Ludwigsbahn verstaatlicht worden war. Militärische Gründe erforderten den Brückenbau genauso energisch wie die unzureichende Abwicklung des Verkehrs über den Rhein in den drei Jahrzehnten zuvor.

Die Hessische Ludwigsbahn hatte 1869, um sich den Bau der teuren Brücke zu ersparen und – damit einhergehend – die Dividende seiner Aktionäre zu sichern, ein sogenanntes Eisenbahntrajekt eingerichtet. Mittels Dampfschiffen und Ponten wurden die Güterwagen und Passagiere über den Rhein geschippert. Zudem bestand seit 1855 eine Schiffsbrücke über den Rhein, über welche die Passagiere zu Fuß das andere Ufer erreichen konnten. Diese Schiffsbrücke mußte jedoch jedesmal aufgelöst werden, wenn ein Schiff rheinaufwärts oder rheinabwärts segelte oder dampfte. Diese nur begrenzt sinnvolle Einrichtung entsprach jedoch lange Zeit dem Stand der Technik, sie war gar nicht so ungewöhnlich. Hans Schlieper hat hierzu im Herbst 2009 im Verlag Alba Publikation einen 132 Seiten umfassenden Band herausgebracht, welcher die „Eisenbahn­trajekte über Rhein und Bodensee“ beschreibt.

Buchcover.
Buchansicht.

Nicht immer waren es einfache Profiterwägungen, aufgrund derer der Bau einer Brücke vermieden wurde. Zuweilen standen auch handfeste militärische Gründe einem Brückenbau entgegen. Das preußische Militär beispielsweise widersprach lange Zeit einem Eisenbahn­brückenbau im Rheinland, und selbst in Mainz konnte die heutige Südbrücke durch die Hessische Ludwigsbahn nur nach hartnäckigen Verhandlungen und unter Inkaufnahme kostspieliger militärischer Zusatzbauten durchgesetzt werden. Hier wirkten die Erfahrungen der Napoleonischen Eroberungskriege nach, für den Fall aller Fälle dem Feind keine Operationsbasis zu bieten.

Am Bodensee lagen die Verhältnisse ein wenig anders. Hier spielten militärische Überlegungen so gut wie keine Rolle. Wenn es dennoch zunächst keinen durchgehenden Eisenbahnverkehr rund um den Bodensee gab, so lagen hier typisch egoistische kapitalistische Interessen vor. Die diversen privaten Bahn­gesellschaften versuchten, den Güter­transport so lange wie möglich über eigene Gleise zu führen, um sich einen möglichst hohen Anteil an den Frachtgebühren zu sichern. Sie nahmen hierzu auch größere Umwege über ihr eigenes Streckennetz in Kauf, nur um die Übergabe an die nächste Bahn­gesellschaft möglichst hinauszuzögern. Da Züge mehrerer Gesellschaften am Bodensee endeten, vereinbarten einzelne dieser Gesellschaften quasi bilateral ein Trajekt über den See, um sich die hiermit erschundenen Kilometer und Fracht­gebühren zu teilen. Hierzu wurden spezielle Dampfschiffe erbaut, die zusätzlich mehrere Frachtflöße hinter sich her ziehen konnten.

Nicht ganz so kraß, aber durchaus ähnlich verhielt es sich am Rhein. Ehe eine Gesellschaft die Güter an eine andere übergab, baute sie lieber ein eigenes Trajekt. Vorbild waren britische Fähr­verbindungen über die zuweilen weit ins Landesinnere einschneidenden Buchten der Nordsee. Interessant hieran ist, daß keine einheitliche Lösung gefunden wurde, sondern jede Gesellschaft sozusagen das Rad neu erfand. Die Hessische Ludwigsbahn betrieb zwei Trajekte bei Mainz und Worms, sowie ein weiteres zusammen mit der Taunusbahn über den Rhein auf die Kasteler Seite. Das von ihr alleine betriebene Mainzer Trajekt war ein Provisorium und bestand auch nur vier Jahre von 1858 bis 1862. So lange benötigte die Gesellschaft, um die Brücke von Mainz nach Gustavsburg fertigzustellen, auf der der Verkehr nach Darmstadt und Frankfurt befördert werden konnte. Mit den Trajektbooten wurden weder Lokomotiven noch Personenwagen überführt, sondern nur Güterwagen. Passagiere mußten vom Bahnhof aus zu Fuß aufs Fährboot gelangen.

Wie müssen wir uns den Betriebsablauf vorstellen? Zuweilen wurden flache oder steile Rampen zum Fluß hinuntergebaut, auf denen die Güterwagen (und bei einigen Trajekten auch Personenwagen) zu den Fährschiffen oder Begleitbooten geschoben wurden. Es gab jedoch auch Hebevorrichtungen, ja richtige Hebetürme, mit denen die Wagen auf die Boote gesetzt wurden. So besaß das von der Hessischen Ludwigsbahn zusammen mit der Taunusbahn betriebene Trajekt aufgrund der Steilheit des Ufers und aus Gründen des Hochwasser­schutzes auf der Mainzer Seite eine Kaimauer mit einem Drehkran.

Hans Schlieper informiert über derartige Trajekte bei Kleve, Duisburg, Bonn, Koblenz, Rüdesheim, Mainz, Worms und Mannheim. Neben detaillierten technischen Beschreibungen erfahren wir auch Einzelheiten aus dem Betriebsablauf und können uns eine Vorstellung von den Umständen machen, die ein Trajektbetrieb aufwarf. Ausbaden mußten es die dort Beschäftigten, denn nicht immer ging alles glatt. So kam es durchaus vor, daß einzelne Güterwagen im Rhein oder Bodensee versanken, und 1876 verloren elf Fahrgäste durch die Explosion eines nicht gewarteten Kessels auf einem Fährdampfer zwischen Bingen und Rüdesheim ihr Leben. In der Regel war die Überfahrt jedoch ungefährlich, und die Transport­leistungen waren enorm. So schaffte es beispielsweise ein Trajekt bei Duisburg, in seinen Hochzeiten über 100.000 Waggons in einem Jahr überzusetzen, also rund 300 pro Tag.

Dem Fährbetrieb auf dem Bodensee machten eher Nebel und Stürme zu schaffen, während die Rheintrajekte ab und zu mit wandernden Sandbänken, Niedrig- und Hochwasser, sowie Eisgang zu kämpfen hatten. Nicht ungewöhnlich war, daß der Betrieb deshalb für mehrere Wochen ruhen mußte, was natürlich finanzielle Einbußen und Liefer­schwierigkeiten nach sich zog. Wenn der Autor zu Ende seines Bandes danach fragt, welches denn aufgrund der gewählten technischen Ausführung das beste Trajekt gewesen sei, dann liegt der Schluß nahe – eine Brücke.

Diese wiederum versuchte die Hessische Ludwigsbahn bei Worms zu vermeiden, und sie kam damit knapp drei Jahrzehnte bis zu ihrer Verstaatlichung 1897 durch. Die von ihr gewählte Trajektlösung war minimalistisch. Eine schräge Rampe führte die Wagen bis zum Wasserrand, wo sie mühsam auf Ponten gesetzt wurden. Ponten, manchmal wird auch von Schalden gesprochen, waren antriebslose Schwimmkörper, meist aus Holz, die entweder geschleppt oder, wie bei Worms, seitlich an den Dampfschiffen befestigt wurden. Ein zeitgenössisches Foto zeigt eine Entgleisung eines Wagens, der von einer solchen Ponte an Land gezogen werden sollte, und es bedurfte der Muskelkraft mehrerer Männer, um sie im Ufergewässer wieder auf das Gleis zu setzen. [2] Rosengarten war die Zwischen­station gleich dreier Bahnlinien, nämlich der (ursprünglichen) Riedbahn von Darmstadt nach Worms, der Nibelungenbahn (die damals noch nicht so hieß) aus Bensheim sowie einer Stichstrecke nach Lampertheim und Mannheim.

Wenn der Autor für das Trajekt Rosengarten von einer doch recht hohen Zugfrequenz von fünfzehn Zugpaaren pro Tag schreibt, dann müssen wir das in Relation zu den drei Verkehrs­verbindungen setzen. Allerdings war der Personenverkehr im 19. Jahrhundert auch eher den wohlhabenderen Schichten und Klassen vorbehalten und deshalb lange nicht so umfassend wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder später; Arbeiterinnen und Arbeiter gingen eher noch längere Strecken zu Fuß, weil sie sich lange Zeit dieses moderne Verkehrsmittel schlicht nicht leisten konnten.

Das Trajekt Rosengarten und seine Bauten waren aufgrund ihrer Lage direkt am Rheinufer extrem hochwasser­gefährdet, und in der Tat wurden die Bahnhofs­anlagen mehrfach unter Wasser gesetzt. Der Eisenbahn­betrieb war dann für mehrere Tage gestört und konnte nur notdürftig aufrecht erhalten werden. Beim großen Hochwasser im Dezember 1882 und Januar 1883 brachen gleich mehrere Deiche, so daß der Verkehr auf der Riedbahn, aber auch auf Strecke zwischen Darmstadt und Mainz längere Zeit unterbrochen war. Selbst der Bahnhof von Biblis stand unter Wasser. Dennoch änderte die Hessische Ludwigsbahn an diesem Zustand nichts. So etwas mag heute unvorstellbar sein, aber im 19. Jahrhundert wurde noch nicht jede Minute dreifach verplant, so daß der umständliche Übergang über den Rhein zwar unangenehm war, aber nicht wirklich genervt hat. Dieses Trajekt ließ sich die Hessische Ludwigsbahn mit einem Aufpreis über dem regulären Fahrpreis vergüten.

Da das Wormser Trajekt im Großherzogtum Hessen lag, war ein eigener Fürsten­pavillon für den Großherzog und seine Gäste unvermeidlich. Dieser wurde zwar kaum genutzt, doch hiermit zeigte die Bahn­gesellschaft ihre Ergebenheit, die sie sich natürlich an anderer Stelle gut bezahlen ließ. Mit der Einweihung der Eisenbahn­brücke 1900 endet die Geschichte dieses Trajekts. Im Jahr darauf wurden die Anlagen komplett entfernt, so daß heute nichts mehr daran erinnert.

Hans Schliepers Buch über die „Eisenbahntrajekte über Rhein und Bodensee“ ist eine brauchbare Übersicht über ein Stück Eisenbahn­geschichte, das nicht allzu bekannt ist. Seine weiterführenden Literatur­angaben befriedigen aufkommende Neugier. Die im Buch abgebildeten Pläne und Fotos verhelfen uns zu einem realistischen Bild der damaligen Zeit. Zwei kleinere Kritikpunkte hätte ich dennoch. Mir leuchtet nicht ein, weshalb wir auf den Seiten zum Trajekt Rosengarten eine moderne topografische Karte sehen, die uns nichts über das Trajekt verrät. Zudem schreibt er von einer „Hessische(n) Staatsbahn“, die es unter dieser Bezeichung nie, und 1890 schon gar nicht gegeben hat. [3]