Rangierfahrt auf der Riedbahn.
Die Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau
Walter Kuhl
Rangierfahrt auf der Riedbahn.
Auf der Riedbahn.
Bahnhof Stockstadt.
Stockstadt (Rhein).
Bahnhof Biebesheim.
Biebesheim.
Bahnhof Groß-Rohrheim.
Groß-Rohrheim.
Bahnhof Biblis.
Biblis.

Die Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau

Die Gleisanschlüsse in Gernsheim

Westlich und östlich der Riedbahn

Der Bahnhof in Gernsheim wurde als Teil der Eisenbahn­verbindung von Darmstadt nach Worms 1869 eröffnet. Das sogenannte „definitive“ Stations­gebäude wurde 1874 bis 1876 gebaut und dürfte 1875 für den Publikums­verkehr geöffnet worden sein. Von Anfang an gab es ein Stichgleis zum Gernsheimer Hafen, der spätestens seit seinem Ausbau 1858 für die Versorgung der Landes­hauptstadt Darmstadt von großer Bedeutung war. Im Laufe der Jahre kamen weitere Anschließer mit eigenen Gleisanlagen dazu.

Die hier verwendeten Dienst­anweisungen und Gleispläne entstammen dem Archiv des Eisenbahn­museums Darmstadt-Kranichstein. Diesem wie auch Franz Peter Flach, Jörn Schramm, Tilmann Wittig und dem Merck-Archiv danke ich für ihre Unterstützung.

»»  Die Übersichtseite zu den Darstellungen der Riedbahn und ihrer Umgebung.

»»  Bahnhof Gernsheim auf OpenStreetMap.


Nur eine Überschrift.

Die Anschlußgleise rund um den Gernsheiner Bahnhof lassen sich in drei Komplexe aufteilen. Da wären zunächst die Anschlüsse in der Nähe des Empfangs­gebäudes, die Anschlüsse entlang der Hafenbahn und die Anschlüsse westlich und östlich der Riedbahn im Norden von Gernsheim.

Innerhalb der Bahnhofs­anlagen befanden sich auf der Ostseite die Gleis­anlagen der Holz­handlung Bauer und der Papiersackfabrik Behn.

Die Hafenbahn bediente früher die Malzfabrik und heute das Tanklager von Solvadis. Davon abzweigend, zum Teil auf der ursprüng­lichen Trasse der Hafenbahn, lagen mehrere Zustell- und Abholgleise von Betrieben entlang der Biebesheim – Gernsheimer Straße.

Nördlich von Gernsheim befanden bzw. befinden sich westlich der Riedbahn neben dem Gleis­anschliß der Süddeutschen Chemischen Werke noch die umfang­reichen Gleis­anlagen des Silinwerks van Baerle, der ehemaligen Zuckerfabrik, sowie von Merck. Auf der Ostseite gab es den Anschluß der Gewerk­schaft Elwerath und neu hinzu­gekommen ist ein zweiter Anschluß von Merck[1]

Die Gleisanschlüsse werden, beginnend auf der Ostseite der Riedbahn, im Uhrzeiger­sinn vorgestellt.

Übersichtsgrafik.

Abbildung 1: Übersicht auf die ungefähre Lage der einzelnen Gleis­anschlüsse und ihrer Anlieger.

»»  Aufnahmen zum heutigen Güterverkehr in Gernsheim und Biebesheim gibt es im sechsten Teil meiner Reihe Güterzüge rund um Darmstadt.

Die Bauberichte der Hessischen Ludwigsbahn geben nur einen kleinen Einblick in den Fortgang der baulichen Erweiterungen, liefern dennoch einige wichtige Daten. [2]

Die Hessische Ludwigsbahn berichtet ihren Aktionären.

1869: „Von der Station Gernsheim nach dem Hafen bis zur Straße von Gernsheim nach Biebesheim und nach der dortigen Kartoffel­mehl-Fabrik erfolgte nach besonderer Vereinbarung die Anlage eigener Geleise.“ [3]

1874: „In der Station Wolfskehlen wurde eine Brückenwaage aufgestellt und in der Station Gernsheim mit Erbauung eines definitiven Stations­gebäudes begonnen.“ [4]

1875: „Das definitive Stations­gebäude zu Gernsheim ist bis auf einige kleinere Arbeiten vollendet.“ [5]

1876: „Das Stations­gebäude zu Gernsheim ist vollendet worden.“ [6]

1877: „Ein Theil des Geleises der Hafenbahn zu Gernsheim wurde nebst mehreren Weichen­verbindungen an den Hafen als entbehrlich entfernt.“ [7]

1881: „In dem Hafen zu Gernsheim wurde eine halbe englische Weiche eingelegt.“ [8]

1890: „An dem Gernsheimer Hafen fand eine Aenderung an der Gleisanlage statt.“ [9]

1893: „Nördlich der Station Gernsheim ist zwischen km 37,3 und 37,4 ein aus dem westlichen Hauptgleis abzweigendes Anschluß­gleis nach der chemischen Fabrik, vorm[als] Hofmann & Schoetensack, gelegt und in Betrieb genommen worden. Ein aus dem Hauptgleise der Gernsheimer Hafenbahn nach der Malzfabrik zu Gernsheim abzweigendes Anschluß­gleise kam zur Ausführung.“ [10]

Merck (Ostseite)

Auf dem freien Feld auf der Ostseite der Riedbahn errichtete Merck [wann ???] ein Tanklager. Der Gleis­anschluß liegt in Fort­setzung des vormaligen Anschluß­gleises der Gewerk­schaft Elwerath (siehe unten) und kreuzt den am früheren Bahnüber­gang Nr. 48 gelegenen Feldweg. Das Gleis verläuft eine Strecke lang geradeaus mit einem Abzweig (Abstellgleis, stumpf) auf halber Höhe, biegt dann nach rechts ab und verzweigt vor der Zapfstelle auf zwei Gleise. Ab und an steht ein Kesselwagen an der Füll­station und ebenso ab und an parken einer oder zwei Kesselwagen auf dem Abstellgleis. Die Übergabe aus Mainz-Bischofsheim, die auch in Goddelau, Biebesheim und auf der Gernsheimer Hafenbahn morgens und/oder nachmittags zugange ist, stellt hier Kesselwagen zu oder holt sie ab. Im September 2016 konnte ich eine solche Übergabe abpassen.

Werkstor Merck Ostseite.

Bild 2: Gleisanschluß Merck auf der Ostseite der Riedbahn, Aufnahme vom Juli 2013.

Die Gewerkschaft Elwerath

Übersicht.

»»  Ungefähre Lage des Werkstores der Gewerkschaft Elwerath.

Eine Kurzgeschichte der Gewerkschaft Elwerath findet sich auf der Webseite der Deutschen Wissenschaftlichen Gesellschaft für Erdöl, Erdgas und Kohle e. V. als [pdf].

Anschluß Gewerkschaft Elwerath.

Abbildung 3: Gleisanschluß der Gewerk­schaft Elwerath auf einem Bundes­bahn-Lageplan von 1958.

Das Gelände der Gewerk­schaft Elwerath und die damit einher­gehenden Gleis­anlagen werden nach und nach durch ein Gewerbe­gebiet im Anschluß an die Kläranlage überbaut. Der frühere Gleis­anschluß bestand aus zwei Gleisen und diente vornehm­lich der Abfuhr des hier geförderten Erdöls. Im süd­hessischen Ried wurde in der 2. Hälfte des 20. Jahr­hunderts in kleineren Mengen Erdöl gefördert, was sich angesichts des recht preis­günstigen Angebots auf dem Weltmarkt nicht als rentabel durchhalten ließ. Seit 2018 wird zwischen Goddelau und Stockstadt wieder in kleineren Mengen hoch­wertiges Öl gefördert; hier reicht die Abfuhr durch einige (automobile) Tankwagen pro Woche.

Gleis 2 diente zur Verladung von Bohrwerk­zeugen und Förder­geräten, während auf Gleis 1 das Erdöl verladen wurde. An der Verlade­anlage konnten vier Waggons gleichzeitig befüllt werden, hinter der Anlage konnten vier weitere Waggons abgestellt werden. Aufgrund der Feuer­gefähr­lichkeit des ganzen Vorgangs durften Dampf­lokomotiven nur bis zu einem entsprechenden Schild direkt hinter der internen Weiche fahren. Der weitere Verschub der Kessel­waggons oblag dann dem Anschließer mit einem Verschiebe­gerät oder einer Zugmaschine. Beide Gleise endeten an einem Prellbock.

Auf dem Zufahrtsgleis zur Zuckerfabrik.

Bild 4: Ein Güterzug mit nicht identifizier­barer Lokomotive auf dem Weg nach Norden. Der Fotograf stand, irgendwann zwischen 1955 und 1965, auf dem Zufahrts­gleis zur Zuckerfabrik und somit auch zu Merck. Die Mauer gehört zum Grundstück des Silinwerks van Baerle, wie auch der Abzweig, der vor dem Einfahrts­signal von Gernsheim zu erspähen ist. Ein unschein­bares Detail hat dazu geführt, dieses Bild gerade hier zu zeigen: Links neben der Lok steht das Andreas­kreuz, das auf dem vorigen Lageplan unterhalb des Kilometers 37,3 eingezeichnet ist. Quelle: Merck-Archiv, Bestand Y-01/gern-3093. Mit freundlicher Genehmigung.

Das Rangier­personal stellte der Bahnhof Gernsheim. Die Bedienungs­fahrten wurden in Gleis 4 im Bahnhofs­gelände zusammen­gestellt. Die Kessel­waggons wurden nördlich aufgestellt, südlich dahinter die Geräte­waggons. Diese Einheit wurde geschoben. Vor der Abfahrt waren im Stellwerk Gm die Schlüssel für die beiden Gleis­sperren abzuholen. Die Fahrt ging über die Bahnhofs­weichen 18, 19, 21, 22 und 23 nach Gleis 9. Vor der Weiche 28 war anzuhalten. Es wurden dann die Gleis­sperren aufgeschlossen und der zu querende Feldweg gesichert. Daß die Tore zum Werks­gelände geöffnet und gesichert sein mußten, versteht sich von selbst, wird aber in der Dienst­anweisung ausdrück­lich betont.

Waren gleichzeitig Waggons abzuholen und anzuliefern, wurden zunächst die im Werks­gelände stehenden Waggons heraus­gezogen. Das Abstoßen oder Laufen­lassen von Waggons war ausdrück­lich untersagt. [11]

Die Papiersackfabrik Behn

Übersicht.

»»  Ungefähre Lage des Werkstores der Papiersackfabrik Behn.

Das Gelände der ehemaligen Papier­sackfabrik Behn war Mitte der 2010er Jahre eine wüste Landschaft. Die darauf stehenden Bauten wurden abgetragen, das Material wider­rechtlich zusammen­geschoben und auf einem großen Schutthügel direkt an den Gleisanlagen gelagert. Dabei ging das Habitat der dort siedelnden und auf der Roten Liste der gefährdeten Arten stehenden Zaun­eidechse verloren. Ansichten, wie die Fabrik einmal ausgesehen hat – vielleicht kann mir ja eine oder jemand aus Gernsheim eine Fotografie zukommen lassen …

Das Gelände wurde an eine Institution verkauft, die landläufig „Investor“ genannt wird. Auch Investoren stehen auf einer Art roten Liste der gefährdeten Arten und man bzw. frau darf sie daher nicht vergraulen: es handelt sich um scheue Rehe. Doch das Gebaren dieses scheuen Rehs ging selbst dem CDU-geführten Stadtrat von Gernsheim zu weit, und so verzichtete die Stadt auf ihr Vorkaufs­recht. Da es keinen gültigen Bebauungs­plan für das Areal gibt, hat der Investor derzeit schlechte Karten. Wie er seine Millionen-Investition wieder herein­holen will, ist sein Geheimnis.

Anschluß Behn.

Abbildung 5: Gleis­anschluß der Papier­sackfabrik Behn (unten Mitte) auf einem Bundesbahn-Lageplan von 1954 mit Fortschrei­bung Stand März 1973.

Anschluß Behn.

Bild 6: Der Gleis­anschluß vom Schutt­hügel herab gesehen. Das Bild zeigt fast schon eine Idylle, mittendrin eine weiße Fläche. Dort stand das Fabrik­gebäude. Aufnahme vom September 2016.

Die Papiersack­fabrik wurde 1919 von Erwin Behn in Krefeld gegründet. Das Unternehmen besaß im Laufe der Zeit mehrere Zweigwerke. Behn starb 1959. Viel läßt sich anhand der spärlichen Fundstellen im Internet nicht sagen. Nicht einmal, wann Behn in Gernsheim dicht gemacht hat. Das Genehmigungs­verfahren für den Gleis­anschluß in Gernsheim lief 1957/58, die bahn- und landes­polizeiliche Abnahme erfolgte am 13. Mai 1958. [12]

Der Holzhandel Bauer

Das Genehmigungs­verfahren für den Gleis­anschluß der Holz­handlung Heinrich A. Bauer in Gernsheim lief 1944 und 1950. Der Anschluß selbst wurde 1946 ohne landes­polizeiliche Abnahme in Betrieb genommen. Die zugehörigen Pläne waren noch am 23. Februar 1944 von der Finanz­verwaltung der NS-Landes­regierung genehmigt worden. Da die Anlagen seit 1946 mehrfach bahnseitig geprüft worden waren, wurde 1950 auf eine landes­polizeiliche Abnahme verzichtet.

Anschluß Bauer.

Abbildung 7: Gleisanschluß des Holz­handels Bauer auf einem Bundesbahn-Lageplan von 1955.

Anschluß Bauer bzw. Bundeswehr.

Abbildung 8: Acht Jahre später nutzt die Bundeswehr den Gleis­anschluß für ein Ersatzteil­behelfslager. Der Bundesbahn-Lageplan von 1963 weist kleine Veränderungen auf.

Das Rangier­personal des Bahnhofs Gernsheim stellt auch hier die Wagen zu. Die Weiche 15 am Lade­gleis 7 ist hand­bedient und nicht verschlossen, wird also nicht über die nahe­gelegenen Stellwerke gesteuert. Die zuzustellenden Wagen werden über die Weichen 18 (am rechten Bildrand), 17, 16 und besagte Hand­weiche 15 bis zur Rangier­grenze geschoben; danach hat der Holzhandel für den weiteren Verschub zu sorgen. Das Abstoßen und Ablaufen­lassen ist auch hier untersagt. 1963 dient der Anschluß „in der Hauptsache dem Be- und Entladen von militärischen Nachschub­gütern“. Aufgrund der Brandgefahr durften die Bedienungs­fahrten nur mit einer Kleinlok durchgeführt werden. [13]

Discounter.

Bild 9: Dort, wo sich einst der Holzhandel Bauer befunden haben muß, steht heute der lange Schuppen eines Lebensmittel­discounters. Überhaupt verändert sich die einstige Bahn­landschaft immer mehr in eine Kommerz­meile. Aufnahme vom September 2016 mit Blick vom Schutthügel Richtung Südost.

Holzverladung.

Bild 10: Holz­verladung am Ladegleis des Bahnhofs Gernsheim. Längst gibt es den Gleis­anschluß des Holz­handels Bauer nicht mehr, doch weiterhin wird hier Holz aus der näheren Umgebung verladen. Aufnahme vom März 2014.

Die Hafenbahn

Der Gernsheimer Hafen war Mitte des 19. Jahr­hunderts ein wichtiger Umschlag­platz für die Waren­lieferungen der Hauptstadt des Groß­herzogtums Hessen. Schiffs­ladungen mit Kohle und anderen Materialien wurden hier gelöscht und mit Lastkarren auf der Straße nach Darmstadt trans­portiert. Mit dem Bau der Riedbahn gelangten 1869 die Güter auf die Schiene. Folge­richtig wurde mit der Anlage des Gernsheimer Bahnhofs auch eine Zweigbahn ins Hafen­gelände angelegt. Älteren Landkarten zufolge muß die Gleistrasse ursprüng­lich anders als heute verlaufen sein. [14]

Gernsheim 1887.

Abbildung 11: Gernsheim und die Hafenbahn auf der. Detaillierten Karte von Darmstadt und Südhessen, datiert 1887 mit einzelnen Nach­trägen 1891, [karte auf der webseite von kristof doffing]. Kristof Doffing hat dort den hier gezeigten Karten­ausschnitt zu Gernsheim mit Open­StreetMap verknüpft.

Zwischen 1893 und 1899 wurde der Hafen­komplex grundlegend neugestaltet wodurch die Hafenbahn ihre heutige Lage erhielt. Ursprüng­lich verlief die Hafenbahn in Höhe der Malzfabrik zunächst ein Stückchen auf der Westseite der Straße von Biebesheim nach Süden, um in Höhe der Bahnhof­straße (heute Schiller­straße) zum Rhein abzuknicken. Weiterhin gab es eine nördliche Verlänge­rung zum Rheinufer, die auch dann beibe­halten wurde, als die Hafenbahn verlegt worden war. Die Gleise kreuzten sich dann. Später führte das Silinwerk van Baerle ein Gleis über die Straße nach Biebesheim (siehe unten), um ebenfalls direkt an den Rhein anzudocken. Dieses Gleis scheint jedoch zu keiner Zeit eine direkte Verbin­dung zu dem Gleis entlang der Straße gehabt zu haben.

Hafenbahn Plan.

Abbildung 12: Die Gernsheimer Hafenbahn zwischen dem Abzweig an der Riedbahn und der (ehemaligen) Bundes­straße 44 auf einem Bundesbahn-Lageplan von 1973. Der Bahn­übergang Nr. 47 am Stellwerk „Gn“ (Gernsheim Nord) ist noch nicht durch eine Über­führung ersetzt. Kurz vor der Haupt­straße zweigen zwei Gleise nach links ab, während die Hafenbahn die Straße nunmehr geradeaus quert. Das eine führt zur Malzfabrik, das andere wurde Jahrzehnte früher noch über die Straße einige hundert Meter weit nach Süden geführt. Dieses Gleis lag im Planum der ersten Hafenbahn. Zwischen Straße und dem einge­zeichnten Kohlenlager querte ein Gleis die Hafenbahn und verzweigte sich nach Norden.

Gernsheim Stellwerk Gn.

Bild 13: Nunmehr ist die auf dem obigen Hafenbahn-Plan eingezeichnete Über­führung über die Riedbahn fertiggestellt und der Bahn­übergang wurde geschlossen. Dennoch vermittelt diese Aufnahme aus dem Sommer 1976 eine Ahnung von der Situation mit der ebenerdigen Straßen­kreuzung. Während den Fotografen natür­lich die 194 179 interessiert hat, habe ich das Motiv des mechani­schen Stellwerks „Gn“ wegen ausgewählt. Das Stellwerk wurde 1982 außer Dienst gesetzt. Aufnahme: Jörn Schramm.

Hafenbahn Weichen.

Bild 14: Am Ende der Gleiskurve, die vom Gernsheimer Bahnhof herführt, verzweigt sich das Gleis. Das linke Gleis biegt ab zur Malzfabrik. Das mittlere, ebenfalls gebogene und angesichts jahrzehnte­langen Nicht­gebrauchs verrostete Gleis entspricht der Trasse der ersten Linien­führung der Hafenbahn entlang der Straße nach Süden. Das rechte Gleis führt uns ins Hafen­gelände. Aufnahme vom August 2009.

Hafenbahn Bagger.

Bild 15: Im Vorgriff auf den Umbau der Gleis­anlagen im Gernsheimer Hafen wurde 2015 mit der Erneuerung des Bahnüber­gangs begonnen. Aufnahme vom April 2015.

Hafenbahn Einfahrt Hafen.

Bild 16: Das Gleis verläuft eine Strecke lang geradeaus und biegt vor der Baumreihe nach links zu den Hafen­gleisen ab. Dort stand ein kleiner Lok­schuppen, in dem zuletzt ein Zweiwege­unimog eingesperrt war. Auf der linken Seite der Hafen­straße befindet sich das Tanklager von Solvadis, dessen Anschluß­gleis rückwärts Richtung Hafen hinaus­geführt war. Aufnahme vom August 2009.

Hafenbahn vor dem Hafen.

Bild 17: Das hintere Gleis kommt vom Tanklager, das vordere vom Bahnhof und beide enden in der Hafen­anlage. Rechts der schon angesprochene Schuppen, daneben ein Stapel Beton­schwellen. Aufnahme vom August 2009.

Gernsheim Hafen Lok.

Bild 18: Im Februar 1988 fand Jörn Schramm bei reichlich trübem Wetter dieses Kleinod an Lok vor. Diese Deutz OMZ122 steht nach ihrer Ausmusterung in Gernsheim 1995 nunmehr seit mehr als zwanzig Jahren im Eisenbahn­museum Darmstadt-Kranich­stein, und ist immer noch fahrtüchtig.

Gernsheim Hafen Lok.

Bild 19: In den 1990er Jahren verfügte die Hafenbahn über eine weitere Lokomotive aus dem Hause Krupp mit der Fabrik­nummer 4139, Baujahr 1961. Sie gelangte über das Eisenbahn­museum in Darmstadt-Kranichstein 1995 zur Hafenbahn und wurde zwei Jahre später im September von Jörn Schramm abgelichtet.

Gernsheim Hafen.

Bild 20: Der Hafen vom südlichen Ende aus gesehen. Aufnahme vom August 2009.

Die Gleisanlagen der Hafenbahn werden umgebaut, um die Lade­kapazität zu steigern. Es war geplant, die Arbeiten Ende 2018 abzuschließen. Die Kosten von geplant 35 Millionen Euro werden zu mehr als der Hälfte aus Förder­mitteln des Bundes bestritten, den Rest steuert die private Hafenbetriebs­gesellschaft bei. Deren Anteile halten zu 88 Prozent das Betonbau­unternehmen Waibel, zu 10 Prozent die Stadt Gernsheimn und zu 2 Prozent der Landkreis Groß-Gerau. Die Stadt Darmstadt hat vor einigen Jahren ihren 16 prozentigen Anteil am Hafen verkauft. Daß auch das Tanklager von Solvadis ausgebaut werden soll, stößt bei der Gernsheimer Bevölkerung nicht gerade auf Freude.

Im Oktober 2021 schaute ich nach fünf­jähriger Pause kurz im Hafen von Gernsheim vorbei.

Gleisanlagen.

Bild21: Die beiden Güter­gleise zum Hafenbecken.

Gleisanlagen.

Bild22: Der umgebaute Anschluß Solvadis.

Die Malzfabrik

Die Malzfabrik wurde vom Unternehmen des Jakob Feitel aus Ludwigs­hafen 1888 errichtet. Ein eigener Gleis­anschluß wurde – wohl im Zuge des Umbaus des Hafens und der Hafenbahn – 1893 angelegt.

Ehemaliger Anschluß Malzfabrik.

Bild 23: Das Gleis des früheren Güter­anschlusses der Malzfabrik liegt noch.

Anlieferung Malzfabrik.

Bild 24: Franz Peter Flach konnte 2008 ein Zweiwege­fahrzeug mit Bitburger Kennzeichen beobachten, das eine Ladung Malz­rohstoff vorgezogen hatte.

Die Fabrik soll zweimal, einmal um 1900 und später 1969, abgebrannt sein.

Die Gleisanlagen westlich der Straße

Zwischen 1893 und 1899 wurde das Hafenbecken mitsamt der Hafen­anlage umgebaut und somit auch die Hafenbahn neu verlegt. Das Gleisstück entlang der Straße von Biebesheim nach Gernsheim und erst recht das zum Rhein hin abknickende Gleis wurden über­flüssig. Für das Gleis entlang der Straße fand sich ein neuer Verwendungs­zweck, mehr noch, es wurden hier mehrere neue Gleise parallel verlegt. Diese Gleise dienten dem Rangier­verkehr zu den Zustell- und Abhol­gleisen nördlich der Hafenbahn.

Gernsheim 1944.

Abbildung 25: Gernsheim auf einem Meßtisch­blatt von 1944, mit US-Bearbeitung Stand 1952 [quelle]. Die Angaben sind unvoll­ständig und informativ zugleich. Die Hafenbahn wird entlang der Haupt­straße von einem in der Achse Nord-Süd verlaufenden Gleis gekreuzt. Der nördliche Teil wird später als die Nungesser'sche Gleis­anlage bezeichnet werden. Oberhalb der Hafenbahn biegt ein weiteres Gleis links von der Riedbahn ab, das zu den Süd­deutschen Chemischen Werken geführt hat. Die Trasse dieses Abzweigs ist selbst heute noch auf Luftbildern auszumachen, auch wenn hier Grün statt Schotter dominiert. Die Zufahrt zum Silinwerk van Baerle – das Fabrik­gelände ist auf dem Plan zwischen dem Landeplatz am Rhein nahe Strom­kilometer 463 und der Höhe 88,5 unterhalb des Bahnwärter­hauses eingezeichnet – ist nicht eingetragen, wohl aber weiter nördlich das Anschluß­gleis zur Zuckerfabrik. Die Malzfabrik ist ebenso gleislos, aber das ist eine läßliche Sünde.

Am 5. August 1902 erließ das Groß­herzogliche Kreisamt Groß-Gerau eine Polizei­verordnung betreffend den Betrieb der Anschluß­anlage der Gernsheimer Kunststein­fabrik (wohl eine Ziegelfabrik) und der Firma L. Debus Nachfolger im Hafengebiet zu Gernsheim. Da hierin nur allgemeine Verhaltens­regeln aufgestellt wurden, die Anlage selbst aber nicht näher erklärt wird, bleibt vorerst unklar, ob damit die Gleis­anlage westlich der Straße und nördlich der Hafenbahn gemeint ist oder ob es sich um einen über die Straße auf die Ostseite gewendeten Gleis­anschluß gehandelt hat.

Ludwig Debus betrieb seit etwa 1882 auf dem freien Feld auf der Ostseite der Straße nach Biebesheim eine Feldbrand­ziegelei. Sein Schwieger­sohn Georg Nungesser übernahm später das Geschäft. 1904/05 ließ er die Kai­anlagen an der Westseite der Straße erbauen. Nungesser leitete das Unternehmen 45 Jahre und starb 1933. Für den Bau des Westwalls lieferte das Unternehmen 1938 Kies und Sand. Weiterhin wurde mit festen Brenn­stoffen gehandelt, 1957 kam Heizöl hinzu. So entstand das erste Tanklager. Nachdem zunächst BP und der Stumm-Konzern Firmen­anteile erworben hatten, wurde 1974 Raab Karcher alleiniger Eigen­tümer. Im Hafenbahn-Plan ist das Unternehmen daher als Georg Nungesser eingezeichnet. Möglicher­weise war das Unternehmen auch durch ein normal- oder schmal­spuriges Gleis mit der Anlage westlich der Straße verbunden; Genaueres läßt sich derzeit nicht sagen. [15]

Hafenbahn Bahnübergang.

Bild 26: Zwischen der (heutigen) Hafenbahn und der Malzfabrik kreuzte das ehemalige Hafen­bahngleis die Straße und schlängelte sich links an den schwach erahnbaren Containern vorbei ins nachfolgende Gebüsch. Beides war selbstredend um 1870 noch nicht vorhanden. Blick­richtung nach Süden, Aufnahme vom August 2009.

Hafenbahn Bahnübergang.

Bild 27: Das Gegenstück Richtung Norden zeigt auf der linken Seite die Sand- und Kiesabfüll­anlage des Betonbau­unternehmens Waibel. Dort verliefen am Straßen­rand die beiden Aufstell­gleise der Nungesser'schen Gleis­anlage. Die Nungesser'sche Fabrik ist rechts in Höhe der beiden ersten Silos zu denken. Aufnahme vom September 2015.

Hafenbahn Kesselwagen.

Bild 28: Am 19. Mai 2014 lieferte 294 899 zunächst sieben Rungenwagen mit Beton­platten aus der Tschechischen Republik aif dem Hafengleis ab, um anschließend diesen Kesselwagen für Merck zuzustellen. Das mag hier schmückendes Beiwerk sein. Denn im Grunde befinden wir uns hier auf der ehemaligen Gleistrasse des Nord-Süd verlaufenden Anschluß­gleises, welches einst links vom linken Andreaskreuz die Hafenbahn gekreuzt hat. Zwischen den beiden rechten Andreas­kreuzen dürfte sich die Gleiskurve der ursprüng­lichen Hafenbahn über die Straße gezogen haben; am rechten Bildrand der Abzweig hiervon zur Malzfabrik.

Laut einem Lageplan über das Hafengebiet der Stadt Gernsheim am Rhein von 1923 existieren (weiterhin) der Gleis­anschluß zur Malzfabrik und das die Straße überquerende ehemalige Hafen­bahngleis. Dieses verläuft weiter nach Süden und verfächert sich zu vier parallel verlaufenden Gleisen. Eines davon führt nach Norden und kreuzt die Hafenbahn und verzweigt sich dort in mindestens zwei längere Gleise. Ein Lageplan der Eisenbahn­direktion Mainz zur Hafenbahn bei Gernsheim mit anliegenden Privat­anschluß­gleisen, ursprüng­lich datiert vom 29. September 1900 und 1920 mit neuen Einträgen versehen, nennt die beiden nördlich der Hafenbahn verlaufenden Gleise als im Eigentum des Herrn Georg Nungesser befindlich. Eines davon dient zu Abholung, eines zur Zustellung. Beide vereinigen sich nach etwa 400 Metern weiter nördlich und enden an einem Prellbock. Debus gehören demnach die beiden ersten Gebäude an der östlichen Straßen­seite nördlich der Hafenbahn, daran angrenzend befindet sich zurück­gesetzt die Fabrik von Georg Nungesser. Nach einem weiteren Lageplan vom 18. Dezember 1919 zu den Eigentums­verhältnissen am Hafen zu Gernsheim gehören die nördlichen Gleise hingegen zum Privatgleis­anschluß der L. Debus Nachf. [16]

Die Süddeutsche Chemische Werke

Übersicht.

»»  Ungefähre Lage des Gleisbogens zu den Süd­deutschen Chemischen Werken.

Ebenfalls östlich der Straße von Gernsheim nach Biebesheim, gleich im Anschluß an die Nungesser'sche Fabrik, lagen die Gebäude der Süd­deutschen Chemischen Werke. Diese besaßen einen schon 1869 errichteten Gleis­anschluß, der von der Riedbahn herkommend, nach Westen gebogen auf dem Werks­gelände geendet haben muß. Dies ist das schon erwähnte Gleis, das heute noch als Grün­streifen auf Luftbildern erscheint. Vermutlich nicht mehr lange, denn das Gelände zwischen Hafenbahn und Waibel bzw. Merck wird derzeit sukzessive dem Erdboden gleich­gemacht (2017 das Silinwerk van Baerle) und mit mehr oder weniger häßlichen quadrischen Zweckbauten zugepflastert.

Zunächst jedoch hatte 1857 der aus Neuwied stammende Friedrich Wahl hier eine Kartoffel­stärke- und Zuckerfabrik errichten lassen, auch Kartoffel­mehlfabrik genannt. Diese nahm am 14. Oktober 1857 ihre Tätig­keit auf. In der Rhein-Main-Ebene wurden damals über­wiegend Kartoffeln angebaut. Die häufig vorzu­findende Angabe, ein Küstriner Unternehmen habe hier 1864 eine Kartoffel­mehlfabrik errichtet, ist Rolf Reutters Forschungen zufolge unzutreffend.

„Es ist zu vermuten, daß Wahl auch zu den Initiatoren der Norddeutschen Kartoffel­mehlfabrik gehörte, deren Gernsheimer Filialbetrieb nach 1894 zu Gunsten besserer Produktions­standorte z. B. in Küstrun/Oder aufgegeben wurde.“

Friedrich Wahl übergab seine Konzession alsbald an die von ihm am 7. April 1857 in Mannheim mitbe­gründete Badische Kartoffel­mehlfabrik. Deren Grundkapital betrug 1863 eine Million Gulden. Während in den 1860er Jahren die Dampfkessel der Fabrik von Piedboeuf in Oberbilk bei Düssel­dorf stammten, ist dies für die beiden damaligen Dampf­maschinen aus den Akten nicht erkennbar. Im Juni 1888 brannte der nicht versicherte Langbau der Fabrik nach einem Blitz­einschlag ab. Die Badische Kartoffel­mehlfabrik firmiert Ende des Jahrhunderts als Norddeutsche Kartoffel­mehlfabrik. 1901 wurde die Fabrik geschlossen. Ende 1903 wurde die stillgelegte Fabrik an ein Konsortium Frankfurter und Mannheimer Interessenten für 100.000 Mark verkauft. Ein anderer Zeitungs­bericht spricht von 75.000 Mark. Die daraus hervor­gegangene Melasse-Kraftfutter-Gesellschaft Frankfurt soll die Fabrik schon 1904 an Vincenz Franz Huck aus Klotzsche (damals selbständig, heute Stadtteil von Dresden) für 125.000 Mark weitergegeben haben, doch heißt es 1909, sie habe das Anwesen für 95.000 Mark an die Süd­deutschen Chemischen Werke veräußert. Diese waren am 26. August 1909 vom Chemiker Otto Best und dem Maschinen­ingenieur Fritz Berg in Worms gegründet worden; Zweck des neuen Unter­nehmens war die Borax-Produktion. Wenige Wochen später verkauften beide ihre Einlagen an die Stauffer Chemical Company in San Francisco. In den letzten NS-Kriegs­jahren versuchten mehrere Wehr­betriebe, das angeblich herunter­gekommene Gelände zu erwerben; dazu scheint es aber nicht mehr gekommen zu sein. Von Interesse war hierbei auch das über die Reichs­straße führende Werks­gleis zu den Kaianlagen von Nungesser. Anfang der 1980er Jahre ging das Unter­nehmen an die Firma Brennag aus dem Veba-Konzern, die das Gelände an das Beton­unternehmen Waibel weiter veräußerte. Zwischen 1988 und 1993 wurden die Gebäude abgerissen. Die Dampf­maschine des Chemiewerks wurde gerettet und stand Ende des 20. Jahr­hunderts vor dem europäischen Stammhaus von Stauffer in Genf. [17]

Ob es sich um denselben Gleis­anschluß oder einen modifizierten handelt, ist mir nicht klar. Jedenfalls baute bzw. erweiterte eine Firma Paul Pracht, ein Frankfurter Unternehmen für Tief- und Eisen­betonbau, zwischen 1949 und 1951 ein Anschluß­gleis bzw. fügte ein zweites hinzu. Dieses Gleis zweigte bei Riedbahn­kilometer 36,9 vom Zufahrts­gleis zur Zuckerfabrik ab, an das auch das Silinwerk van Baerle und später Merck angebunden waren. Mit Schreiben vom 15. Januar 1951 teilt das Unter­nehmen Paul Pracht dem Land­ratsamt Groß-Gerau die Fertig­stellung des Gleis­anschlusses mit. Allerdings laufe derzeit ein Vergleichs­verfahren. Aus einem der Akte beilie­genden Lageplan ist ersichtlich, das eines der beiden Gleise an ein Kiessilo angebunden war. [18]

„Paul Pracht erwarb 1942 Gelände östlich der Süd­deutschen Chemischen Fabrik. Nach dem Kriege stellte man aus zermahlenem Schutt, unter Zusatz von Chemikalien, Kunststeine in verschiedenen Formen und Platten her. Aber auch er konnte sich gegen die Neuwieder Konkurrenz nicht behaupten. Die Produktion endete 1951.“ [19]

Die Gleisanlagen im Nordwesten

Die drei Unternehmen van Baerle, Zuckerfabrik und Merck wurden als ein Anschluß­gleis betrachtet. Der Hauptanschluß­inhaber war die Chemische Fabrik Merck, die beiden anderen Unternehmen wurden 1957 als Neben­anschließer geführt.

Die Gleisanschlüsse auf der Westseite 1957.

Abbildung 29: Die Gleis­anschlüsse auf der Westseite der Riedbahn auf einem Bundesbahn-Lageplan von 1957. Hierauf ist sogar der ehemalige Gleis­anschluß der Süd­deutschen Chemischen Werke bzw. Prahl angedeutet. Leider hat das Panorama-Programm beim Zusammen­setzen der Scans nicht ganz sauber gearbeitet.

Der Gleisanschluß war in der Verlänge­rung des Bahnhofs­gleises 11 mit dem Bahnhof Gernsheim verbunden. Das Unter­nehmen van Baerle verfügte über sechs Gleise und acht Weichen, eine Gleiswaage für 50 Tonnen und einen Lok­schuppen für die vorhandene Kleinlok. Die Zucker­fabrik verfügte über zwei Gleise, wobei das südlichere als Zustell- und Abhol­gleis diente, während das nördlichere Gleis durch den Lok­schuppen für die vorhandene Kleinlok hindurch gelegt war. Zur Anlage von Merck gehörten sieben Gleise, elf Weichen, eine Gleiswaage für 30 Tonnen und ein Lok­schuppen für die werks­eigene Kleinlok. Das bei Weiche 215 in nord­westliche Richtung abknickende Gleis war das Zustell- und Abholgleis.

Die Bedienungs­fahrt wurde im Bahnhofs­gleis 4 zusammen­gestellt. Zunächst kamen die Waggons für die Zuckerfabrik, dann die für Merck, anschlie­ßend die für van Baerle und geschoben wurde die Einheit von einer Bundesbahn­lokomotive. Die Bedienungs­fahrt durfte aufgrund des leichten Gefälles nur 24 Achsen ohne Wagen­bremse umfassen. Mehr Achsen waren möglich, mußten dann aber auch über entsprechende Hand­bremsen verfügen. Die Fahrt war beim Stellwerk „Gn“ fertigzumelden, das nach Zustimmung des Fahrdienst­leiters im Bahnhof Gernsheim die Überquerung der Hauptgleise freigeschaltet hat.

Die Zuführung erfolgt folge­richtig zunächst zum Zustell­gleis der Zuckerfabrik, dann zu dem von Merck. Die Abteilung setzt dann bis etwa Kilometer 37,4 zurück und löst die Lokomotive von den Waggons für van Baerle. Deren Werkslok holt diese Waggons, die auf der Verlänge­rung des Bahnhofs­gleises 13 stehen, ab. Umgekehrt wird bei der Abholung zunächst bei Merck vorbei­geschaut, dann bei der Zuckerfabrik. In der Zwischen­zeit hat van Baerle die abzuholenden Waggons auf Gleis 13 bei Kilometer 37,4 bereit­zustellen gehabt. Genau diese Stelle hat der Fotograf von Bild 4, wohl ohne es zu wissen, aufgesucht, als er den nach Norden dampfenden Güterzug ablichtete. Jedenfalls sollte die von Merck bzw. der Zuckerfabrik herkommende Bedienung­sfahrt an diese Wagen heran­geführt werden und sie aufnehmen. Das ist wohl so zu verstehen, daß die Bundesbahn-Lokomotive zwischen den jeweiligen Güter­waggon­abteilungen eingebunden war.

Die Gleishalb­messer waren teilweise recht eng; auf dem Gelände des Silinwerks van Baerle war deshalb sogar eine Deutschland­kurve eingebaut worden. Folge­richtig durften nur bestimmte Güter­waggons die Gleise befahren oder mußten entsprechend angepaßt werden. Ein 1961 nach­geschobenes Berichtigungs­blatt zur Dienst­anweisung von 1957 legte daher fest, daß folgende Wagen für van Baerle nicht zuge­führt werden durften: Offs 55, Offs 60, SSym 46, SSt mit dreiachsigen und mehr­achsigeren Dreh­gestellen. Bei van Baerle und Merck durften Offs 52, Offs 59, Btmms 51, Kk 06 und Kk 15 nur nach dem vorherigen Lockern der 4-Laschen­kuppling übergeben werden. Der Rangierleiter war für das Lockern und (bei der Abholung) für das Anziehen dieser Kupplungen verantwortlich. [20]

Die Werkloks.

Andreas Chrstopher schreibt 1982 für die Eisenbahn Illustrierte, die Gernsheimer Hafenbetriebs­gesellschaft verfüge über die Deutz-Diesellok B-d Deutz 36 831/1940. Das Silinwerk van Baerle besitze eine gelbe Schöma-Lok mit den Daten B-dh Schöma 2859/1966, Typ CFL 60 DHR, als Werkslokomotive Nummer 1. Merck hatte eine weitere Schöma mit der Loknummer 8: B-dh 2109/1959, Typ CFL 120 DBR. Eine aktualisierte Fassung von 1998 ist [online].

»»  Jens Mertes „Bahn Express“ liefert ausführ­liche Informationen zu den verschiedenen Werksloks aus den vergangenen 20 Jahren: Hafenbahn – Merck – van Baerle.

Eine Köf II, die 323 851-6, konnte Anfang 2015 zusammen mit einigen vor sich hinrostenden gut einhundert Jahre alten Kessel­waggons der Eisenbahn-Erlebniswelt in Horb zugeführt und der Nachwelt somit erhalten werden. Sie war 1993 von der Bundesbahn an das Silinwerk van Baerle verkauft worden.

Die Silinfabrik van Baerle

»»  Jörn Schramm hat 1998 und 1996 einige Bilder der Werks­anlagen und insbesondere des Fuhrparks aufgenommen, die er auf Drehscheibe Online veröffentlicht hat.

Um 1890 herum siedelt sich an der Nordseite der Kartoffel­mehlfabrik eine chemische Fabrik an. Sie produzierte eine breite Palette an Chemikalien, etwa Schwefel­säure, Salpeter­säure, Salzsäure und Chlor. Der Eintrag der Hessischen Ludwigsbahn für 1893 zur Anlage eines Anschluß­gleises zur Chemischen Fabrik, vorm[als] Hofmann & Schoetensack, bezieht sich auf dieses Unternehmen und nicht auf die späteren Süd­deutschen Chemischen Werke. Das Unter­nehmen selbst wurde 1877 mit Hauptsitz in Mannheim und einem weiteren Werk in Ludwigs­hafen gegründet. Aus gesundheitlichen Gründen zog sich Otto Schoetensack (1850–1912) bald aus dem Unter­nehmen zurück und zog 1883 nach Freiburg; er hatte sich am leicht­fertigen Umgang mit seiner eigenen Chemie „infiziert“. Die weiteren Eigentums­verhältnisse sind zunächst unklar.

Briefkopf.

Abbildungd 30: Briefkopf der Chemischen Fabriken Gernsheim-Heubruch auf einer Rechnung von 1911. Ob die abgebildeten Gleis­anlagen auf dem Fabrik­gelände im Detail so gestimmt haben, ist nicht gesichert.

Später erscheinen als neue „Firma“ die Chemischen Fabriken Gernsheim-Heubruch. Diese werden 1904 mehrheitlich von der seit 1889 in Essen ansässigen Chemischen Fabrik Th. Goldschmidt erworben, die 1911 in eine Aktien­gesellschaft umgewandelt wird. Der Kauf erfolgte, weil beide Unter­nehmen Konkurrenten in der Fabrikation von Zinnsalz waren. Das Werk in Gernsheim wurde später stillgelegt. [21]

Die neue modische Webseite von van Baerle in der Schweiz ist, was die eigene Geschichte betrifft, geradezu schweigsam. Was interessiert auch der olle Plunder, wenn man und frau Lifestyle verkaufen kann. Das macht es jedoch schwierig, überhaupt halbwegs sinnvolle Informationen zusammen­zutragen. Es scheint jedenfalls so zu sein, daß die Ursprünge der Wasserglas­verarbeitung von van Baerle in Worms liegen, und zwar Ende des 19. Jahr­hunderts. Als Gründungs­datum wird auf verschiedenen Webseiten 1838 gehandelt; ob da der eine von der anderen nur abgeschrieben hat? 1929 oder 1930 erwarb das Unter­nehmen das Gelände für seinen Gernsheimer Standort. Dann wird auch das Anschluß­gleis reaktiviert worden sein. [22]

van Baerle.

Bild 31: Ansicht des Fabrik­geländes von Süden. Die Ähnlich­keiten zum Briefkopf der Chemischen Fabriken Gernsheim-Heubruch sind verblüffend. Aufnahme vom April 2015.

Gleisanschluß van Baerle 1957.

Abbildung 32: Der Gleis­anschluß des Silinwerks van Baerle auf dem Bundesbahn-Lageplan von 1957. Am Werkstor zwischen den Weichen 207 und 208 lese ich übrigens „Kalt f[ür] DB-Lok“. Da hat das Zeichen­büro offensicht­lich geschlampt. Kaum vorstellbar, daß die Anweisung gelautet haben soll, die Dampfloks der Deutschen Bundesbahn mögen bitte ihr Feuer löschen.

Der von den Nazis entfesselte Weltkrieg stellte die chemische Fabrik van Baerle vor neue Heraus­forderungen. Zum einen unterlag der Güter­transport vornehm­lich militärischen Erforder­nissen, zum anderen mußte mehr für den Krieg produziert werden. So lag der Ausweg auf die Rhein­schiffahrt nahe, zumal das Werk direkt am Rheinufer gelegen ist. Eine Kreuzung mit der Straße bestand offenbar schon seit 1890, damals seien Rollbahn­gleise für Rollbahn­züge gelegt worden; also eine Art Feldbahn. 1938/39 ließ van Baerle durch das Darmstädter, zwischen­zeitlich „arisierte“ Unternehmen Bahnbedarf-Rodberg A.-G. ein Stumpf­gleis über die Straße legen, das nunmehr durch einen verbesserten Gleis­anschluß an das Rheinufer ersetzt werden sollte [23]. Das Unternehmen schreibt daher am 4. November 1941 an den Landrat des Kreises Groß-Gerau, man sei 1930 nach Gernsheim gekommen, weil versprochen worden war, vor der Fabrik eine Schiffs­verladung mit Stapelung durch­führen zu können. Zuvor hatte das Hessische Straßen­bauamt Darmstadt am 3. Juli 1941 im Rahmen des Genehmigungs­verfahrens an den Landrat geschrieben, daß van Baerle aufgegeben werden solle, die an die Hafenbahn angeschlossene Nungesser'sche Gleis­anlage mit zu benutzen. In diesem Zusammen­hang solle auch das Nungesser'sche Gleis so umgebaut werden, daß es die Straße nicht mehr quere. Entweder war die Nungesser'sche Fabrik ebenso mit einem direkten Gleis­anschluß versehen oder aber das Straßen­bauamt wollte die ursprüng­liche Gleiskurve der Hafenbahn loswerden und das Nungesser'sche Gleis direkt (ohne die vorherige Kreuzung mit derselben) an die Hafenbahn angeschlossen wissen..

„Landespolizeiliche Genehmigung.

Unter Zurück­nahme der bisherigen Genehmigung zur Kreuzung der Reichs­straße 44 (Biebesheim – Gernsheim) durch ein Stumpfgleis Ihres Anschluß­gleises wird hiermit der anliegende neue Entwurf zur Errichtung eines vom Werkhof ausgehenden normal­spurigen Werkgleises nach den anliegenden, mit Genehmigungs­vermerk versehenen drei Plänen und der Baube­schreibung landes­polizeilich unter den nach­stehenden Bedingungen genehmigt. Das Werkgleis führt mit einer nach Süden gerichteten, die Reichs­straße kreuzenden Gleiskurve (Auflaufkurve) auf das Rheinufer­gelände und endet in zwei Stumpfgleisen (Abstell­gleisen) parallel zum Rheinstrom.

Bedingungen

1) Die Kreuzung der Gleisanlage mit der Reichs­straße darf nur mit werks­eigenen oder diesen gleichzu­stellenden Betriebs­mitteln befahren werden.

2) Nach Wiederkehr günstigerer Beschaffungs- und Arbeits­marktlage, spätestens aber 1 Jahr nach offizieller Beendigung des jetzigen Kriegs­zustandes ist die Gleis­anlage im Bereich der Straße auf Kosten des Eigentümers restlos zu beseitigen. Das etwa erforderliche Ersatz­fördermittel ist im Einvernehmen mit den beteiligten technischen Behörden auszu­wählen und rechtzeitig zu beschaffen.

3) Im Bereich der Straßen­kreuzung stehen der Bahn keinerlei Vorrechte, insbesondere kein Vorfahrts­recht gegenüber dem Straßen­verkehr, zu. Der Bahn­eigentümer darf daher keine Warnkreuze gemäß § 18 der für private Werkbahnen nicht gültigen Eisenbahn-Bau- und Betriebs­ordnung aufstellen. Für die übrigen Warn­zeiche[n] sowie für die Warnregeln beim Kreuzen der Straße sind die Bestimmungen der Straßen­verkehrsordnung und der besonders zu erlassenden Polizei­verordnung maßgebend. Hiernach ist insbesondere auch die Aufstellung von Ankündigungs­baken unzulässig.

4) Ein vom zuständigen Straßen­bauamt aufgestellter und die Einzel­heiten der technischen Ausge­staltung und der Unterhaltungs­pflicht an der Straßen­kreizung enthaltender Gestattungs­vertrag (Erlaubnis­schein) über die Sonder­nutzung an der Reichs­straße ist vom Bahneigen­tümer anzuerkennen.

5) Werden eigene Dampf­lokomotiven des Anschluß­inhabers bei der Bedienung des Werk­gleises verwendet, dann sind die ein­schlägigen Vorschriften der Verordnung, die Dampfkessel betr., vom 8. November 1909 (Reg.Bl.Nr.25) und späteren Ergänzungen bezw. Änderungen zu beachten. – Für andere Trieb­kräfte gelten die ein­schlägigen polizeilichen Bestimmungen.

6) Die Führung von Dampf­lokomotiven und anderen mechanischen Trieb­kräften darf nur solchen Personen über­tragen werden, die mindestens 21 Jahre alt sind und die Befähigung zur selb­ständigen Führung solcher Trieb­kräfte nachge­wiesen haben. Die Führer eigener Lokomotiven oder Trieb­kräften des Anschluß­inhabers sind dem zuständigen Landrat zu benennen; dieser kann die Vorlage des Befähigungs­nachweises verlangen.

7) Im übrigen sind die einschlägigen eisenbahnbau- und betriebs­technischen Vorschriften zu beachten.

8) Das Ergebnis der eisenbahn­technischen Abnahme der fertig­gestellten Anlage ist mir mitzuteilen, damit die landes­polizeiliche Abnahme stattfinden kann. Die Genehmigung zur Inbetrieb­nahme wird alsdann – sofern sie nicht bereits von dem Herrn Reichs­bevollmächtigten für Bahn­aufsicht auf Grund der eisenbahn­technischen Abnahme erteilt worden ist – von mir ausgesprochen.

9) Der Betrieb ist nach der von dem Landrat in Groß-Gerau zu erlassenen Polizei­verordnung zu führen.

Bei der Aushändigung dieser Genehmigungs­urkunde nebst Anlagen durch den Herrn Landrat in Groß-Gerau haben Sie auf Grund des hessischen Verwaltungs­gebühren­gesetzes vom 20. Juni 1936, gemäß Nr. 19 Ziffer 5b) des Verwaltungs­gebühren­verzeichnisses eine Verwaltungs­gebühr von 10,-- RM an das Land­ratsamt in Groß-Gerau zu entrichten, das den Gebühren­betrag in Gebühren­marken auf dem genehmigten Lageplan bei dem landes­polizeilichen Genehmigungs­vermerk oder auf der Genehmigungs­verfügung verwendet.“

Quelle: Schreiben der Abteilung IV der Finanz­verwaltung der Hessischen Landes­regierung an die Firma van Baerle vom 30. September 1942. Die in der Genehmigung erwähnten Pläne lagen der Akte nicht bei und sind evtl. ausge­sondert worden. Die zugehörige Polizei­verordnung wurde am 14. November 1942 erlassen. Ein Betrieb bei Dunkelheit war demnach nicht gestattet.

van Baerle.

Bild 33: Die beiden „Hintereingänge“ des Silinwerkes. Aufnahme vom April 2015.

van Baerle Werklok.

Bild 34: Im Februar 1988 hielt Jörn Schramm vermutlich solch eine in der Dienst­anweisung aufgeführte Zustellung auf das Gleis 13 bei Kilometer 37,4 im Bild fest, denn wir sehen rechts die bereit gestellten Waggons. Das Bild entstand an einem Wochenende, so daß die gelbe Werklok wohl erst am darauf folgenden Montag ausgerückt sein dürfte. Es kann natürlich auch sein, daß die Werklok von van Baerle die beiden Waggons am Freitag schon für die frühe Übergabe am Montag­morgen (und da Februar war, wohl noch in der Nacht) hingestellt hat.

van Baerle Köf.

Bild 35: Oder war es die werkseigene Köf, die aus dem zweiten Werkstor herauslugt? Selbige müßte einmal auf den „Namen“ 323 528-0 gehört haben. Aufnahme: Jörn Schramm.

van Baerle Kesselwagen.

Bild 36: Wo Jörn Schramm noch Werkloks erspähen konnte, blieb mir ein einsamer, vor sich hinrostender Kesselwagen, der jedoch, wie ich im Laufe der Jahre fest­stellen konnte, auch mal hin und her geschoben wurde. Aufnahme vom Juli 2013.

van Baerle Werksgleis.

Bild 37: Das von Weiche 208 abzweigende Gleis lief durch das Werks­gelände zur Straße nach Biebesheim hin. Das Werks­gelände ist verlassen, so daß ein Blick durch das Werkstor nur noch Tristesse hervor­bringt. Jörn Schramm hatte bei einer Erkundungs­tour eine Deutschland­kurve entdeckt (das Unternehmen hieß „Deutschland“), aber vermutlich lag sie nicht am Ende dieses Gleisstrangs, sondern an einem Nachbar­gleis. Aufnahme vom Mai 2016.

van Baerle Gleiskurve.

Bild 38: Das Motiv der Gleiskurve zwischen Werk und Rhein scheint beliebt zu sein. Zu erkennen ist, daß es 70 Jahre nach der Genehmigung dieses Gleis­anschlusses doch noch Andreas­kreuze, ja sogar Warnblink­lichter gegeben hat. Auch wenn sie schon seit Jahren keine Bedeutung mehr gehabt haben dürften. Aufnahme vom Mai 2016.

Anlieferung van Baerle.

Bild 39: 1987 war eine der werks­eigenen Köfs damit beschäftigt, zwei befüllte Waggons ins Werk zu ziehen. Aufnahme: Franz Peter Flach.

van Baerle Ladekran.

Bild 40: Unter diesem Ladekran verläuft das Gleis weiter an der Verlade­stelle den Rhein entlang. Die Wolken verhindern das hier unpraktische Gegenlicht. Aufnahme vom Mai 2015.

van Baerle Verladegleis.

Bild 41: Das Verladegleis verläuft ein längeres Stück geradeaus, bevor es in einer Kurve auf ein weiteres Tor trifft. Dahinter befand sich der Werks­parkplatz von van Baerle. Möglicher­weise endete das Ladegleis einst dorten. Der zum angenehmen Parken ausgebreitete Schotter verhinderte eine nähere Unter­suchung. Im Hinter­grund die Silhouette der Malzfabrik. Aufnahme vom Mai 2016.

van Baerle Parkplatz.

Bild 42: Die Tafel auf dem Parkplatz deutet es schonungslos an: das Silinwerk van Baerle in Gernsheim ist am Ende. Aufnahme vom Juni 2015.

Ende August 2014 kam es recht über­raschend zum Ende der Produktion in Gernsheim. Drei Jahre lag das Gelände brach, ehe ein neuer „Investor“ beschloß, tabula rasa zu machen, um auf dem wegge­räumten Schutt der Vergangen­heit ein Logistik­zentrum zu errichten. Selbst die Krananlage am Rheinufer wird abgebrochen. Dabei wird durchaus mit der Nähe der Hafenbahn und dem eigenen Gleis­anschluß spekuliert. Der sogenannte Logistik Park Gernsheim soll das Grundstück von etwa 100.000 Quadrat­metern etwa zur Hälfte mit zwei großen Hallen zupflastern. Die Fertig­stellung wird für das erste Quartal 2018 angestrebt. Ob sich für diese Art Logistik neue Kunden erwärmen lassen, bleibt abzuwarten. Gernsheim und Biebesheim entwickeln sich ohnehin immer mehr zum El Dorado für Quader­bauer. Vielleicht sollte Gernsheim zur Förderung der Gewerbesteuer­einnahmen seinen historischen Ortskern als Quader präsentieren und seine Fisch­brötchen auf dem Fischerfest nur noch in handlichen Logistik­boxen vertreiben.

Die Zuckerfabrik Gernsheim

Die Rheinische Zuckerfabrik Gernsheim wurde 1897 gegründet und 1902 von der Zuckerfabrik Frankenthal über­nommen, die damit ihre Markt­position stärken konnte. In den 1920er Jahren fusionierten mehrere Zucker­fabriken zur Süd­deutschen Zucker-Aktien­gesellschaft. Im Zuge einer Rationalisierungs­maßnahme wurden 1931 mehrere Zucker­werke geschlossen, darunter das Werk in Gernsheim. Teile des Geländes der Zucker­fabrik wurden 1948 für die rheinnahe Industrie­ansiedlung an Merck übergeben. [24]

Gleisanschluß Zuckerfabrik und Merck 1957.

Abbildung 43: Der Gleis­anschluß der Zuckerfabrik und von Merck auf dem Bundesbahn-Lageplan von 1957. Links die Lagerhalle der Zuckerfabrik. Teile der Merck'schen Gleis­anlagen waren schon zu Zeiten der 1931 eingestellten Zuckerfabrik vorhanden. Sowohl die Zuckerfabrik wie auch Merck besaßen einen Lok­schuppen; der von Merck ist noch vorhanden.

Der Konkurs der Zuckerfabrik 1901.

„Vor dem hiesigen Landgericht stand gestern ein Massen­prozeß zur Verhandlung, wie er sonst zu den Selten­heiten gehört. Die vor einigen Jahren neu gegründete Zuckerfabrik Gernsheim war von etwa 100 der Zuckerrüben­lieferanten auf Zahlung der im Jahre 1900 gelieferten Zuckerrüben verklagt worden. Etwa 15 Anwälte traten als Vertreter der Kläger auf; ein Anwalt hatte etwa 42, ein zweiter 23 Klagen zu vertreten. Ein großer Teil der Kläger beantragte die Konkurs-Eröffnung, während ein anderer Teil auf soforige Pfändung und Zwangs­vollstreckung besteht, da bei einem Konkurs der Verlust noch größer sein dürfte. Ein großer Teil der ärmlichen Bevölkerung des Riedes, die meist mit Aktien mehr oder weniger beteiligt ist, dürfte großen Schaden erleiden. Die Verhandlung dauerte mit kurzer Unter­brechung bis Abends und erging schließlich Versäumnis-Urteil in sämtlichen Klagen, da der Anwalt der Beklagten abwesend war. Auch der tele­graphisch zitierte Vorstand ließ seine Abwesen­heit melden. Der Zusammen­bruch des Unternehmens, das von vornherein auf schwachen Füßen stand, wird nicht ausbleiben.“

Quelle: Darmstädter Zeitung vom 26. Januar 1901 [digitalisat].

„Gernsheim, 14. Febr.  Heute morgen fand im Rathaus­saale hier eine von etwa 600 Pertsonen besuchte Gläubiger­versammlung der im Jahre 1896 erst begründeten, in Konkurs geratenenen Zuckerfabrik Gernsheim statt. Der bisherige Konkurs­verwalter, Herr [Georg Nikolaus] Hoffmann, brachte u. a. zur Kenntnis: Am 26. Januar d. Js. wurde auf Antrag des Vorstandes der Rheinischen Zuckerfabrik, Gesellschaft m. b. H., über das Vermögen der Fabrik der Konkurs erkannt. Die Zahlungs­unfähigkeit war schon eingetreten, als der Bau der Fabrik­gebäude noch nicht vollendet war, denn der Bau und die Maschinen­einrichtung, die mit 1 800 000 Mk. zu Buche stehen, haben beinahe zwei Millionen gekostet. Dazu kam, daß der Bau mit einer ungeheuren Hast betrieben und infolge­dessen sehr hohe Arbeitslöhne gezahlt wurden, alles um 1898 zur Fabrikation zu kommen. Infolgedessen wurde die Fabrik mit ein paarmal Hundert­tausend Mark teurer gebaut, als bei sach­kundiger Leitung notwendig gewesen wäre. Dazu kam, daß die technische Leitung der Fabrik von seiten des Vorstandes des Aufsichts­rates in jeder möglichen Weise beschränkt und dadurch eine Verminderung der Lebens­fähigkeit der Fabrik herbei­geführt wurde. Unter diesen Umständen nahm man Kredit, wo man ihn finden konnte, und später verlegte man sich auf die Wechsel­reiterei. Die von dem Konkurs­verwalter aufgestellte Bilanz ergab ein Aktiv-Vermögen von 1 486 650 Mk., Schulden von 2 693 457 Mk.. mithin eine Ueberschuldung von 1 206 807 Mk. Die nicht bevor­rechteten Gläubiger, darunter die sämtlichen Rüben­lieferanten, haben Forderungen von zusammen 1 503 720 Mk. und entfallen auf diese 17,5 pCt. Das Gesellschafts­kapital ist ganz verloren. – Mit Rücksicht auf die große Masse von Rüben, die in der Fabrik lagerten und die sich noch auswärts befinden – 2-300 Wagen waren noch auf der Bahn – beschloß der Konkurs­verwalter im Einver­ständnis mit dem Gläubiger-Ausschuß, das Geschäft in vollem Umfange einstweilen weiter betreiben zu lassen.

Herr Rechtsanwalt Osann giebt Aufklärungen über die Frage der Verant­wortlichkeit und Haftbarkeit des Vorstandes und des Aufsichts­rates. Nachdem sich heraus­gestellt hatte, daß die Zuckerfabrik schon seit Jahren mit einer derartigen Unterbilanz gearbeitet hat, und daß selbst, wenn der Konkurs ausgeführt und durch­getragen wird, auf die Rüben­lieferanten ein wesentlicher Prozentsatz nicht entfallen könnte, bildete sich im Gläubiger­ausschusse die Ansicht, es müsse geprüft werden, ob die Geschäfts­führung eine ordnungs­mäßige gewesen ist und ob nicht die Mitglieder, die das Geschäft geführt haben, die Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates, persönlich zur Verant­wortung gezogen werden können. Es wurde dieser­halben eine auf diesem Gebiete anerkannte Autorität, Herr Bücher­revisor Kreyes aus Mainz, zugezogen und beantragt, festzu­stellen, ob das, was in den Büchern steht, die Bilanz­ziehung und die Verteilung auf die einzelnen Konten richtig ist. Herr Kreyes hat vorerst nur ein Gutachten erstatten können, jedoch bereits mehrere Punkte erwähnt und festgelegt, die Angriffs­punkte bilden werden in dem Vorgehen gegen die Vorstands­mitglieder und Mitglieder des Aufsichts­rates. Es ist weder eine Bilanz gemacht worden, noch, nachdem die 12 Monate des Jahres verflossen waren, eine Zwischen­bilanz und, nachdem am 31. Mai 1898 das Geschäfts­jahr abgeschlossen war, auch keine Bilanz. Nach kauf­männischen Grund­sätzen fehlen überhaupt 3 Bilanzen. Nachher (1899) wurden Bilanzen gemacht und in der ersten derselben wurde schon festgestellt, daß eine Unterbilanz vorhanden war und zwar in Höhe von 36 557 Mk. Entsprechend dem § 64 des Gesetzes wäre es notwendig gewesen, daß Konkurs erkannt worden wäre über das Vermögen der Gesellschaft und das folgende Jahr wäre nicht so schlecht abgeschlossen worden. Das Gesetz bestimmt auch, daß in derartigen Fällen, wenn der Konkurs hätte angesagt werden müssen, die Geschäfts­führer haftbar sind mit ihrem Vermögen für den entstandenen Schaden und für die Zahlungen, die nachher geleistet worden sind. Die Mitglieder des Aufsichts­rates haben ebenfalls Verpflich­tungen. In dem Gesetz heißt es, daß der Aufsichts­rat in allen Zweigen der Verwaltung die Geschäfts­führung zu überwachen und sich von dem Gange der Gesellschaft zu unterrichteh hat. Er hat die Jahres­rechnung und die Bilanz zu prüfen und der General­versammkung darüber Bericht zu erstatten, also auch darüber, ob überhaupt eine Bilanz gemacht worden ist. Hier haben die Mitglieder des Aufsichts­rates die Sorgfalt eines geordneten Geschäftes vernach­lässigt und sie haften deshalb mit den Vorstands­mitgliedern als Gesamt­schuldner für den daraus entstandenen Schaden. – Nunmehr wurde zur Wahl eines Konkurs­verwalters geschritten und Herr Hoffmann durch Zuruf als solcher wieder­gewählt; schließlich wurde der Gläubiger­ausschß verstärkt.“

Quelle: Darmstädter Zeitung vom 16. Februar 1901 [digitalisat und digitalisat]. Bericht nach der Wormser Zeitung.

„Darmstadt, 7. Nov.  Vor der hiesigen Strafkammer wurde seit Montag [4. November, WK] gegen 15 ehemalige Geschäfts­führer und Gesell­schafter der falliten Rheinischen Zuckerfabrik Gernsheim wegen Verfehlung gegen das Gesetz, betreffend die Gesell­schaften mit beschränkter Haftpflicht, und gegen die Konkurs­ordnung verhandelt. Das heute nachmittag verkündete Urteil lautet auf Frei­sprechung, nur gegen den ehemaligen Geschäfts­führer Mergler wurde wegen einfachen Bankerottes auf eine Geldstrafe von 200 Mk. erkannt.“

Quelle: Darmstädter Zeitung vom 7. November 1901 [digitalisat].

Luftbild Zuckerfabrik.

Bild 44: Luftaufnahme des Gebäude­ensembles der ehemaligen Zuckerfabrik mit den verschiedenen Anschluß­gleisen. Die Aufnahme ist datiert vom 4. August 1964, hier im Ausschnitt wieder­gegeben. Quelle: Merck-Archiv, Bestand Y-01/gern-3297/001. Mit freundlicher Genehmigung.

Zuckerfabrik Straßenseite.

Bild 45: Lagergebäude der Zuckerfabrik von der Straße aus gesehen. Heute residiert dort das Betonbau­unternehmen Waibel. Aufnahme vom September 2014.

Einfahrtstor Zuckerfabrik.

Bild 46: Das Gleis zu den Resten der Zuckerfabrik wird schon lange nicht mehr bedient. Von den ehemals zwei Zufahrts­gleisen ist nur noch eines vorhanden. Auch wenn es nicht so aussieht: die Lokomotive 294 665-5 bewegt sich in den daneben liegenden Gleis­anschluß von Merck. Sie wird dort mit drei gedeckten und drei Kessel­waggons wieder nach Mainz-Bischofs­heim zurück­kehren. Aufnahme vom März 2014.

Wärterbude.

Bild 47: Vor dem Abzweig zur Lagerhalle der Zuckerfabrik stand bis etwa 2014 diese Wärter­bude. die zu einer Gleiswaage gehört hatte. Sie wurde durch einen schmucklosen Betonbau ersetzt. Aufnahme vom Juli 2013.

Merck (Westseite)

Luftbild Zuckerfabrik.

Bild 48: Luftaufnahme des Gebäude­ensembles der ehemaligen Zuckerfabrik mit den verschiedenen Anschluß­gleisen und den daran anschlie­ßenden nördlichen Anbauten von Merck. Am unteren Bildrand befindet sich die Wärter­bude mit der Gleiswaage, im Gelände selbst sind die beiden Lok­schuppen auszu­machen. Die Aufnahme ist ebenso datiert vom 4. August 1964, hier im Ausschnitt wieder­gegeben. Quelle: Merck-Archiv, Bestand Y-01/gern-3297/002. Mit freundlicher Genehmigung. – Eine Luftaufnahme von 2004 ist bei Wikimedia Commons vorhanden.

Das Darmstädter Pharma- und Chemie­unternehmen Merck siedelte sich 1948 auf dem Gelände der 17 Jahre zuvor still­gelegten Zuckerfabrik an. Bei der Stand­ortwahl war sicherlich der Zugang zur Rhein­schiffahrt entscheidend, dabei aber auch die vorhandenen Gleis­anlagen. Auf (Stand April 2017) nunmehr 947.000 qm arbeiten dort etwa 700 Frauen und Männer.

Lokschuppen Merck.

Bild 49: Neben dem Lok­schuppen an der Einfahrt zu den Merck'schen Gleis­anlagen steht das als Lokersatz fungierende Zweiwege­fahrzeug. Aufahme vom April 2015.

Abstellgleis Merck.

Bild 50: Zwischen Werks­gebäuden und Riedbahn steht auf einem Abstell­gleis eine Reihe von Kessel­waggons. Diese Kolonne, oder besser gesagt, ihre Vorgänger, finden wir schon auf der Luftauf­nahme von 1964 vor. Aufahme vom Juni 2015.

Ausklang

Diese zwar umfangreiche, aber dennoch eher einführende Darstellung der verschiedenen Gernsheimer Gleis­anlagen aus anderthalb Jahr­hunderten könnte ja vielleicht eine oder niemanden dazu verleiten, ein kleines Büchlein zur Geschichte der Eisenbahn in Gernsheim zu schreiben. Wie viel mehr gäbe es noch aus der Perspektive der Rangierer, Lokomotiv­führer, Heizer, Weichen­wärter oder anderer hart arbeitender Männer zu berichten; und daß es hier keine Frauen gegeben haben soll, die den Dreck wegge­wischt haben, kann mir keine und niemand erzählen.

Mit einem gehörigen Maß an Vorsicht lassen sich folgende Daten zusammen­fassen:

Tabelle 1: Die Gleis­anlagen in Gernsheim als noch sehr unfertige Zusammen­stellung. Die Daten sind zum Teil Annäherungen. Stand: Januar 2018.
Lfd. Nr.AnschließervonbisUmbauten und Zustand
1Merck (Ostseite)zwischen 1980 und 2010 in Betrieb
2Gewerk­schaft Elwerath1958 ????nicht mehr vorhanden
3Papiersack­fabrik Behn1958???Reste vorhanden
4Holz­handel Bauer, Bundes­wehr1946???nicht mehr vorhanden
5Hafenbahn1869 1893/99 im Hafengebiet neue Trasse angelegt, derzeit [2017/18] erneuter Umbau
6Solvadis??? in Betrieb
7Malzfabrik1893???noch vorhanden
8Kunststein­fabrik von Ludwig Debus, Georg Nungesser188x ?vor 1973nicht mehr vorhanden
9Badische Kartoffel­mehlfabrik, Süd­deutsche Chemische Werke1869???Trasse aus der Luft sichtbar
10Paul Pracht1951??????
11Chemische Fabriken Gernsheim-Heubruch, ab 1929 van Baerle1893 bzw. 1930??? 
theoretisch reaktivier­bar
12Zuckerfabrik1896/971931/??theoretisch reaktivier­bar
13Merck (Westseite)1948 in Betrieb