Bahnhofsbild.
Der Bahnhof in Seitschen
Walter Kuhl
Der Bahnhof von Seitschen.
Der Bahnhof.
Ein Schuppen am Bahnhof von Seitschen.
Ein Schuppen.
Die Bahnhofsrestauration.
Die Bahnhofsrestauration.
Bewegung im Bahnhof.
Auf der Durchreise.
Alte Ansicht.
Wie es einmal war.

Der Bahnhof in Seitschen.

1846 eröff­nete die Säch­sisch-Schlesi­sche Eisen­bahn­gesell­schaft die Station Seitschen (sorbisch: Žičeń) an der Strecke von Dresden nach Gör­litz. 160 Jahre später ver­ließ der letzte Fahr­dienst­leiter das Stations­ge­bäude, einige Jahre später wurde es auf einer Auktion in Dresden ver­steigert.

Was 2018 so alles geschieht

Eine subjektive Bestandsaufnahme

Das von den Verkehrsverbünden VVO und ZVON betriebene Ostsachsen­netz II war auch 2018 in ständiger Bewegung. Mal fahren einige Züge mehr, mal fallen andere dafür aus. In der „Sächsischen Zeitung“ finden sich Perlen der Öffentlichkeits­arbeit, die bei genauerem Hinschauen zu Stirnrunzeln und Kopfschütteln führen müßten. Kommunikation ist eben eine Kunst; und den Worten sollten dann auch entsprechend sinnvolle Taten folgen. Außer den Triebwagen des öffentlichen Regionalverkehrs fahren auch Güter- und andere Züge, von denen einige auf meiner Sichtungsseite verewigt werden.

Angebotsverbesserung

Mit Beginn des Jahresfahrplans 2017/18 am 10. Dezember 2017 werden zwei neue Regionalexpreß­verbindungen angeboten. Die nachmittäglichen Züge ab Dresden um 15.08 und um 17.08 werden in Bischofswerda geflügelt. Der vordere Triebwagen fährt wie bisher nach Zittau, während der hintere Triebwagen in Bischofswerda einige Gedenkminuten einlegt, bevor er nach Bautzen, Löbau und Görlitz weiterfahren darf. Der Sinn dieser Gedenkminuten erschließt sich nicht wirklich.

Ähnlich verhält es sich in Bischofswerda seit Jahren mit dem Übergang von der Regionalbahn nach Zittau auf den ODEG-Verstärker nach Görlitz. Nach Ankunft des aus Dresden kommenden Zuges wird brav noch neun Minuten bis zur Abfahrt gewartet. Wenn wir bedenken, daß der ZVON ausdrücklich eine schnellere Verbindung nach Görlitz sehen will und dafür bereit ist, Halte an den kleineren Stationen zu opfern, ist dieses Kuriosum kaum zu verstehen. Denn es geht auch anders. Als während der Bauarbeiten an der Nesselgrund­brücke bei Klotzsche nur eingleisig zwischen Dresden-Neustadt und Dresden-Klotzsche gefahren werden konnte, schaukelten sich am Nachmittag die Verspätungen hoch. Somit war abzusehen, daß der aus Dresden kommende Zug frühestens fünf Minuten nach der fahrplanmäßigen Abfahrt des Zwischentakters nach Görlitz in Bischofswerda eintreffen würde. Auf Nachfrage versicherte die Zugbegleiterin des Zittauer Zuges, die ODEG würde warten. Das ist nicht selbst­verständlich; manchmal fährt sie einfach los und läßt die Fahrgästinnen und Fahrgäste auf dem Bahnsteig in Bischofswerda eine Stunde lang bis zur nächst­möglichen Reise­möglichkeit in der Zugluft stehen.

Und jetzt geschieht das Wunder. Kaum ist der Triebwagen nach Zittau verschwunden, kann der ODEG-Regioshuttle dessen vorherige Fahrstraße kreuzen und Kurs auf Görlitz nehmen. Dieser Übergang dauerte keine zwei Minuten! Es geht also, wenn man und frau will; und genau darin liegt wohl das Problem. Flexibilität ist für die beteiligten Verkehrsverbünde, die Zugbetreiber und DB Netz wohl ein Fremdwort. Dabei wäre es so einfach: die ODEG wartet auf den Zug aus Dresden und fährt los, wenn selbiger nach Zittau entschwunden ist. Das könnte sieben Minuten Fahrzeitgewinn ergeben. Diese werden jedoch verplempert und müssen daher – wie wir noch sehen werden – sekundenweise wieder eingeholt werden.

Flügeltriebwagen.

Bild 1: Desiro-Triebwagen 642 310 wirbt zwar für Fahrten ins Zittauer Gebirge, strebt aber gen Görlitz. Folgerichtig fährt der Görliwood-Expreß dann auch mal nach Zittau. Wie dem auch sei – diese einteilige in Bischofswerda geflügelte Einheit durcheilt am 31. Mai kurz vor achtzehn Uhr Seitschen.

Um auf den zusätzichen Regionalexpreß zurückzukommen: Der ZVON würde das Flügelkonzept gerne weiter ausdehnen, weil sich die Triebwagen in Radeberg, Arnsdorf und Bischofswerda schon merklich leeren. Da reicht oftmals (aber nicht immer) ein Triebwagen für die Zittauer Strecke, womit bei einer Zweifach­traktion eine Einheit für andere Aufgaben frei wird. Das Problem liegt in der Wieder­zusammenführung der Triebwagen aus Görlitz und Zittau in Bischofswerda. Offenbar sind die Bahnhofsanlagen, und hier die Vorleistungen der Signaltechnik, nicht für ein derartiges Konzept ausgerüstet. Ob und wann es jedoch zu einem Umbau der Anlagen in Bischofswerda kommen wird, und hier wäre die Herstellung von Barrierefreiheit für den Mittelbahnsteig durchaus ein ernsthaftes Thema, steht in den Sternen. Die Deutsche Bahn als Netzbetreiberin wartet hier wohl genauso wie die Verkehrsverbünde VVO und ZVON auf den warmen Regen der Fördermittel von Bund und Land.

Das Flügeln von Zügen ist ein zwar bewährtes Konzept, führt bei Fahrgästinnen und Fahrgästen jedoch gerne zu ungewollten Irritationen. Notwendig nämlich ist eine jederzeit eindeutige und richtige Information an den Triebwagen, Bahnsteigen und Ansagen. Und selbst wenn dies vorhanden ist, was es nicht immer ist, selbst dann sind manche sporadisch Reisenden mit dem für sie undurchschaubaren Konzept überfordert. So kann es schon einmal vorkommen, daß im Triebwagenteil nach Görlitz eine Reisegruppe nach Liberec sitzt. Oder in Bischofswerda jemand auf den letzten Drücker einsteigt, vielleicht weil der Zubringerbus zu spät ankam, nach Zittau will, um dann festzustellen, daß der Zittauer Triebwagenteil schon losgefahren ist, und er im Görlitzer Teil sitzt. Dies ist dann nicht unbedingt die „Schuld“ der Reisenden. Die hingegen dürfen erwarten, daß das ihnen vorgesetzte Angebot jederzeit durchschaubar und nachvollziehbar ist. Zugespitzt: es ist keine Holschuld der Reisenden, sondern eine Bringschuld der Verkehrsträger. Hier gibt es noch viel zu tun.

Nehmen wir einfach den späten Abend des 2. September. Um 22:39 Uhr soll in Dresden-Neustadt der zweiteilige Zug nach Zittau und Görlitz auf Gleis 3 einfahren. Die Anzeige besagt, daß vorne der Zittauer und hinten der Görlitzer Teil ist. Wenige Minuten vor Ankunft der Triebwagen scheucht eine blecherne Stimnme die schon leicht schläfrigen Reisenden auf und schickt sie zu Gleis 5. Ein Grund für diese Mobilitäts­maßnahme ist nicht erkennbar, denn die Bahnhofshalle gähnt vor Leere. Auch hier ist auf der Anzeige die korrekte Reihenfolge zu lesen; allerdings weiß das Trilex-Personal davon rein gar nichts und läßt, dem großen Vorbild Deutsche Bahn folgend, die beiden Triebwagen in umgekehrter Wagenreihung einlaufen. Das ist umso bemerkenswerter, als es doch vollkommen egal ist, ob ein bestimmter Triebwagen nun in Zittau oder in Görlitz eintreffen soll. Wer also nicht damit rechnet und nicht zufällig auf die Beschriftung des einlaufenden ersten Triebwagens schaut, setzt sich in den falschen Zug. Gut gemacht, Trilex! Das erinnert ein wenig an eine Episode aus dem Casablanca-Film der Marx Brothers. Groucho als neuer Hotelmanager schlägt vor, die an den Türen angebrachten Zimmernummern zu ändern. Ja, so wird ihm vorgehalten, aber dann findet sich doch keine und niemand mehr zurecht! Das nicht, meint Groucho, aber stellen Sie sich den Spaß vor!

Flügeltriebwagen in Dresden.

Bild 2: Desiro-Triebwagen 642 317 zeigt als Fahrtziel Liberec an. Daß der hintere Zugteil nach Görlitz fährt, muß frau oder man dann schon vorher wissen. Aufnahme in Dresden Haupt­bahnhof vom Dezember 2017, wenige Tage nach Einführung des Flügelkonzepts.

Auch die Verstärkungslinie „OE60V“ wurde ertüchtigt. Sie fährt zwar nicht öfter, dafür aber zusätzlich montags und freitags bei zwei weiteren Fahrten je Richtung mit einem zweiten Triebwagen. Ab dem 7. Mai geschieht dies bei den Zügen ab Görlitz um 13.20 und 17.20, sowie ab Bischofswerda um 14.22 und 18.22. In den Schulferien wird es wohl bei einem Triebwagen bleiben. Die zusätzlichen Kosten von etwa zwei Euro pro gefahrenem Kilometer trägt der ZVON. Das wären dann etwa 500 € täglich. Diese Bereitstellung eines zweiten Triebwagens scheint man im Oktober klammheimlich wieder eingestellt zu haben. [1]

Wo einstmals grenzüberschreitende Schnellzüge und Interregios Deutschland und Polen verbanden, bummelt heute dreimal täglich mehr oder weniger schnell ein roter Desiro-Triebwagen zwischen Dresden und Wrocław, teilweise auf deutscher Seite durch einen weiteren Triebwagen verstärkt. In den 90er Jahren gab es noch richtige überregionale Fernverbindungen von München oder Frankfurt am Main nach Warschau, von Köln nach Kraków, und eben von Dresden nach Wrocław. Ihnen war eine Ludmilla vorgespannt und sie verfügten über mehrere Reisezugwagen. Seit dem 3. Februar gibt es nun mit dem dreimal täglich von Görlitz nach Zielona Góra verkehrenden Bummelzug (Fahrzeit: zweieinhalb Stunden) eine zweite deutsch-polnische Kooperation. Im Grunde genommen wurde hier nur der schon zuvor ab Zgorzelec nach Norden verkehrende Regionalzug um eine Station westlich der Neiße verlängert. [2]

PKP-Triebwagen in Görlitz.

Bild 3: Triebwagen SA108-006 [wikipedia] der Polnischen Staatsbahn PKP vor der Rückleistung als PR 5307 nach Zielona Góra, Abfahrt in Görlitz um 11.07 Uhr. Aufnahme vom April 2018.

Dieses überaus großzügige Angebot ist nicht wirklich dazu angetan, sich ernsthaft den Träumen von einer Elektrifizierung der Strecke von Dresden nach Görlitz hinzugeben. Eine Expreßlinie von Dresden nach Wrocław oder gar Kraköw bzw. nach Warschau wäre zwar reizvoll – aber auch wirtschaftlich? Offensichtlich muß man und frau in ganz großen und vor allem sinnlosen Dimensionen denken, um irgendwie halbwegs ein vollkommen abwegiges – oder in diesem Fall: umwegiges – Argument für die Elektrifizierung auszugucken.

„Doch nicht nur im Güterverkehr könnte die Strecke eine Rolle spielen. Denkbar ist, so erklärt Ulrich Mölke, dass auf längere Sicht sogar wieder Fernzüge durch die Oberlausitz rollen. Mit dem geplanten Neubau der Strecke Dresden-Prag würde sich die Fahrzeit dort auf eine Stunde verkürzen – und nach Worten von Ulrich Mölke zugleich eine rasche Verbindung von der Moldau nach Wroclaw durch die Oberlausitz ermöglichen: ‚Ich sehe durchaus Chancen für den schnellen Personenverkehr.‘ Mit Inbetriebnahme der neuen Strecke nach Prag wird jedoch nicht vor 2035 gerechnet.“ [3]

Ich will ja niemandem zu nahe treten: aber wie groß mag denn dieses Verkehrsbedürfnis von Prag nach Wrocław sein, um daraus das größere Millionenprojekt einer Elektrifizierung ableiten zu können? In einer Stunde von Prag nach Dresden düsen, aber dann vier nach Breslau bummeln? Denn es liegt nicht an den verwendeten Diesel­triebwagen, daß die Fahrt so lange dauert. Die Höchst­geschwindigkeit ist zwischen Dresden und Görlitz nicht einmal durchgängig 120 km/h. Also wären da weitere Investitionen zu tätigen; und das wird dann richtig teuer. Immer diese heiße Luft durch die virtuelle Welt blasenden Träumer …

Und, noch etwas, lieber Ulrich Mölke: was hindert eigentlich deine Deutsche Bahn daran, wieder eine Fernverkehrs­verbindung anzubieten? Schließlich war es doch deine Deutsche Bahn, die vorhandene internationale Verbindungen dem angestrebten Börsengang zum Fraß vorgeworfen hat. Ist es nicht ohnehin Geschäftsprinzip deines Unternehmens, als unwirtschaftlich angesehenen Fernverkehr abzustoßen, in der Hoffnung, daß irgendein Verkehrsverbund statt dessen Regionalexpreß­linien bestellt und bezahlt, die vielleicht noch ganz zufällig auf derselben Trasse wie die vorherigen Schnellzüge liegen? Tja, solche Schlaumeier werden gerne als Verkehrs„experten“ eingeladen, so etwa zu einem deutsch-polnischen Gespräch Ende Mai in Görlitz. [4]

Nicht verbessert hingegen wird das Angebot dann, wenn es gebraucht wird. Schon in den vergangenen Jahren gab es gerade in den Sommermonaten immer wieder Beschwerden über zu geringe „Gefäßgrößen“. Sprich: wenn die Sonne schien und die Ausflugslust besonders groß war, reagierten VVO, ZVON und Trilex nicht entsprechend und so manche Reisenden mußten angesichts überfüllter Triebwagen zurückbleiben. Schließlich hatte ja keine und niemand einen weiteren Triebwagen bestellt; und auf die Idee zu kommen, hier eigen­verantwortlich nachzubessern, wie das zu Reichsbahn­zeiten noch gang und gäbe war, wäre ja von einem Verkehrsverbund und einem Verkehrs­unternehmen, insbesondere deren Verantwortlichen, nun wirklich zuviel verlangt.

Seltsamerweise funktioniert das aber, wenn zum Brot die Spiele gereicht werden. Wenn Dynamo Dresden ein Heimspiel austrägt, werden statt dem laut Bespannungs­übersicht einen vorgesehenen Triebwagen urplötzlich dann doch drei bereitgestellt, um die zuweilen schon vorab angesäuselten Massen nach Dresden zu befördern. Ich habe es schon erlebt, wie so ein sturzbetrunkener „Fan“ in Bischofswerda zustieg und trotz seiner mitgereisten Kumpels nicht mehr den Weg in die zwei Meter entfernte Toilette gefunden hat. Statt dessen urinierte er ungeniert in den nächst gelegenen Mülleimer im Zug; und die dabei anwesende Zugbegleiterin zog es vor, diskret wegzuschauen. Ansonsten sammel ich die Flaschen und Bierdosen ein, die andere derartige „Fans“ freigiebig im Gelände verstreuen, wenn sie auf der Fahrt zum Spiel schon einmal vorgeglüht haben, und bessere die Haushaltskasse auf. Alkohol und Sport – passen bestens zusammen. Keine Macht den Drogen … [5]

Friederike

Am 15. Januar wehte ein laues Lüftchen über der Oberlausitz und entwurzelte am Abend einen Baum zwischen Arnsdorf und Bischofswerda.

„Vielerorts saßen die Reisenden an den Bahnhöfen fest. Erst nach mehr als vier Stunden konnte die Sperrung der Strecke aufgehoben werden. In der Kürze der Zeit sei es nicht möglich gewesen, Busse und Taxis als Ersatz zu organisieren, so Trilex-Sprecher Jörg Puchmüller. Reisende berichteten unterdessen, dass Zugbegleiter erklärt hätten, alle möglichen Bus- und Taxi­unternehmer in der Region angerufen zu haben, allerdings keiner für einen Einsatz bereit gewesen sei.“ [6]

Bei den Busunternehmen kann ich das ja noch verstehen. Kurzfristig Personal zu organisieren, das noch Lenkzeiten „frei“ hat, dürfte schwierig werden, wenn am Folgetag Schulbusse und andere Auftragsfahrten anstehen. Die Personaldecke ist dünn. Aber die Taxen? Jedenfalls scheinen die Triebwagen östlich von Bischofswerda mehr oder weniger aus dem Takt, aber gefahren zu sein, wenn auch der Spätzug aus Dresden, der um 23.31 Uhr Seitschen erreichen sollte, satte fünfzig Minuten Verspätung hatte. Doch dies war nur die Ouvertüre zu dem, was wenige Tage später folgen sollte.

Für den 18. Januar hatte sich das Sturmtief Friederike angemeldet. Vorsichtshalber hatte die Länderbahn darauf hingewiesen, daß sie die Trilex-Triebwagen langsamer fahren lassen oder den Zugverkehr ganz einstellen werde [7]. So chaotisch wie bei der Deutschen Bahn ging es dann doch nicht zu. Kurz vor 18 Uhr erreichte der letzte, aus Dresden kommende Triebwagen des Tages Seitschen; danach war der Zugverkehr gänzlich eingestellt. Immerhin war die Strecke nach Görlitz am Morgen des folgenden Tages wieder frei; das habe ich schon anders erlebt.

„Der Bahnverkehr musste am Donnerstag komplett eingestellt werden, die Folgen waren am Freitagvormittag ebenfalls noch zu spüren. Zwar rollten am Morgen die ersten Züge wieder, beispielsweise zwischen Dresden und Görlitz. Von Zittau bis Bischofswerda mussten die Fahrgäste hingegen vorübergehend mit Bussen befördert werden. Grund für die Sperrung waren umgestürzte Bäume, sagte Jörg Puchmüller von der Länderbahn, die dort mit dem Trilex verkehrt. Auch in Richtung Kamenz und Königsbrück wurde am Morgen ein Schienen­ersatzverkehr eingerichtet.“ [8]

Andernorts ging es nicht ganz so glimpflich ab.

Ausfallerscheinungen

Ende April faßten die Nahverkehrs-Zweckverbände VVO (Dresden) und ZVON (Bautzen/Görlitz) und die entsprechenden Verbände in Tschechien den Beschluß, ab Dezember 2019 die Strecken von Dresden nach Görlitz bzw. Zittau von einem Tochter­unternehmen der DB Regio AG betreiben zu lassen. Dieses Unternehmen trägt den absonderlichen Namen „Start Ostsachsen GmbH“ und dürfte zum Zeitpunkt der Abgabe der Bewerbung weder über Fahrzeuge noch über Fahrerinnen verfügt haben. Erwartungsgemäß hat die im Bieterverfahren unterlegene Länderbahn (alias „Trilex“) vor Ablauf der Wartefrist zwei Wochen später den Antrag auf Einleitung eines Nachprüf­verfahrens gestellt. Sie will gewiß wissen, ob und wie dieses neu gegründete Tochter­unternehmen der Deutschen Bahn durch das mannigfach verflochtene Dickicht des Konzerns quer­subventioniert wird. So ein Nachprüf­verfahren ist gängige Praxis; das war schon vor einigen Jahren der Fall, nur eben umgekehrt, als die Deutsche Bahn unterlegen war. Ob sich dadurch der Beginn des Betriebs durch die Bahntochter nach 2020 verschiebt, wird sich zeigen müssen. [9]

Neben der nunmehr abgeschlossnen Ausschreibung läuft eine weitere EU-weite für die bislang von der ODEG ausgeführten Fahrten der Linie „OE60V“. Hier wurde wohl noch länger an der „Optimierung“ eines Fahrplans gefeilt, was nach Maßgabe des im November 2017 vorgelegten ZVON-Nah­verkehrsplans darauf hinauslaufen soll, mehr direkte schnelle Fahrten von Dresden nach Görlitz und zurück zu ermöglichen und dafür die kleineren Halte entlang der Strecke auszubluten. Es drängt sich der Verdacht auf, als wolle der ZVON auf Kosten der ländlichen Region die Großstadt Görlitz ködern, einem geplanten Großverkehrs­verbund VVO/ZVON beizutreten. [10]

Der daraus destillierte Artikel in der „Sächsischen Zeitung“ erwähnt ein besonders spannendes Detail.

„Auf eine Annehmlichkeit der Odeg-Züge müssen Fahrgäste zwischen Dresden und Görlitz sowie Dresden und Liberec jedoch auch in Zukunft verzichten: Schiebetritte, welche den Abstand zwischen Fahrzeug und Bahnsteigkante überbrücken. Während sie ausfahren, vergehen jedes Mal sechs Sekunden – eher öffnen sich nicht die Türen zum Ein- und Aussteigen. Das macht bei jedem Halt zwölf Sekunden. Regionalbahnen zwischen Dresden und Görlitz können es, wenn überall die Haltewunsch­taste gedrückt wird, auf 23 Halte bringen; zwischen Dresden und Zittau können sie sogar bis zu 26-mal halten. Da würde jede Fahrt etwa fünf Minuten länger dauern als heute. ‚Schweren Herzens‘ werde deshalb für diese Strecken auf die Schiebetritte verzichtet, erklärte der stellvertretende Zvon-Geschäftsführer Christoph Mehnert gegenüber der SZ.“ [11]

Echt jetzt? Ihr habt nicht einmal sechs Sekunden für ein bißchen Barriere­freiheit übrig? Andernorts werden dafür Bahnsteig­kanten mit Millionenaufwand angepaßt; nur der von einem Autostraßen­narren geführte rückschrittliche ZVON sieht keinen Handlungsbedarf und schafft ein durchaus nützliches Feature ab. Ich frage mich dann allerdings, wie das dann die ODEG hinbekommt, mit ihren Regioshuttles trotz ausgefahrener Schiebetritte fahrplanmäßig vier bzw. fünf Minuten schneller von Bischofswerda nach Görlitz bzw. wieder zurück zu kommen als die Trilex-Desiros, die erst gar keine Trittstufen ausfahren können. Wobei gerechterweise zu sagen ist, daß diese Tritte in den Regioshuttles recht willkürlich mal ausgefahren werden und mal nicht; als Fahrgast kann ich mich nie darauf einrichten. Aber ich kann regelmäßig beobachten, wie nützlich dieses Feature ist. Es hilft beispielsweise einer mit ihrem Einkauf schwer bepackten Rentnerin, den tiefer gelegenen Bahnsteig von Seitschen ohne die Mühen der Ebene zu erreichen.

Bahnsteig.

Bild 4: Bahnsteig in Seitschen nach einem Regenguß. An anderen Stellen bröckelt er, weshalb am 21. Juni einige, aber nicht alle „schlimmen Stellen“ mit einem Mörtelaufstrich notdürftig geflickt wurden.

Es hilft überhaupt, wenn nach einem Regenguß der Bahnsteig mal wieder schlüpfrig oder matschig geworden ist, allen Fahrgästinnen und Fahrgästen, den beherzten Sprung in den Matsch zu vermeiden. Oder dem etwas betagten Radfahrer, der vielleicht noch rüstig die Pedale treten, aber sein Velociped kräftemäßig nicht mehr hochstemmen kann, selbiges in den Hochbord­wagen zu hieven. Die Trittstufe war nicht ausgefahren worden; selbst gesehen. Die Zugbegleiterin war wohl unaufmerksam, so daß er die Hilfe einer zufällig aussteigenden Fahrgästin in Anspruch nehmen mußte, um die vom ZVON gewollte fehlende Barriere­freiheit zu überwinden. Und selbst der ZVON weiß, das steht nämlich in seinem Nahverkehrs­plan, daß die Altersstruktur in der Oberlausitz nicht gerade jugendlich zu nennen ist. Da verwundert es nicht, wenn die Leute lieber mit dem Auto fahren als mit den Zügen eines ignoranten Verkehrsverbundes.

Trittstufe.
Bild 5: Ausgefahrene Trittstufe eines ODEG-Regioshuttles, während sich die Türen wieder schließen; Juni 2018.

Wobei wir uns nicht über derartige Ignoranz wundern dürfen. Die Entscheider sind nämlich a) Männer in wohlgesetztem Alter, die b) selbstredend nicht mit dem öffentlichen Nahverkehr, sondern mit ihrem SUV unterwegs sind, und c) Bürokraten, die nach Aktenlage, nicht aber praxisnah entscheiden.

Dabei hat sich die ODEG vorgenommen, für anderthalb Millionen Euro ihre Desiro-Triebwagen zu modernisieren. Diese verkehren zwar nur ausnahmsweise, wenn gerade keine Regioshuttles zur Verfügung stehen, zwischen Görlitz und Bischofswerda; ansonsten verbinden sie Cottbus mit Zittau. In den modernisierten Wagen gibt es dann Monitore, denen die nächsten Anschlüsse zu entnehmen sind, eine Internetanbindung per WLAN, „sofern ein Signal anliegt“, sowie Haltewunsch­tasten, welche die geneigte Fahrgästin nicht mehr irgendwo im Gepäckabteil suchen muß. Alles nützlich, aber andernorts längst Standard. Und, das wird den Verantwortlichen, denen es vor den sechs Sekunden graust, nun gar nicht gefallen, dem Produktnamen Desiro (angeblich abgeleitet von desire) entsprechend gibt es etwas, was tatsächlich begehrt wird:

„Die Odeg nimmt das wörtlich und erfüllte mit dem Umbau in Delitzsch einige Wünsche der Fahrgäste. Zum Beispiel den nach den Schiebetritten an allen Türen sowie nach größeren Tischen in allen Sitzgruppen.“ [12]

Fahrgästinnen, die etwas wünschen, was den Machern nicht paßt – das geht ja schon einmal gar nicht. Also gilt es weitere Gründe herbeizureden, um das ungeliebte Feature abzuschalten. Während in Görlitz die Schiebetritte bündig zur Bahnsteigkante ausfahren, ist dies in Bischofswerda nicht der Fall. Bei einer Vorführfahrt im April trat der Vorführeffekt auf.

„Wieder fährt der Schiebetritt heraus, allerdings etwa 20 Zentimeter über der Bahnsteigkante. In Bischofswerda ist der Bahnsteig nämlich niedriger als in Görlitz, so wie dies an den meisten Stationen der Fall ist. Die Gefahren reduzierende Funktion kehrt sich so rasch ins Gegenteil. So richtig glücklich ist der Odeg-Chef mit dieser Situation nicht: ‚Wir denken noch darüber nach, ob wir den Tritt wirklich an allen Stationen ausfahren lassen.‘ Und auch für den stellvertretenden Zvon-Geschäfts­führer Christoph Mehnert ist es noch nicht sicher, ob der Schiebetritt zum Anforderungs­profil der nächsten Ausschreibungen gehören soll.“ [13]

Das ist aber kein wirkliches Argument gegen die Schiebetritte, die an vielen anderen Bahnsteigen entlang der Strecke zur Überbrückung der Höhen­differenz ja auch benötigt werden. Vielmehr weist dies auf ein Versäumnis der Verantwortlichen hin, den Bahnhof in Bischofswerda endlich einmal auf den „Stand der Technik“ zu bringen.

Apropos Zugbegleiterin. Vielleicht war es auch ein Zugbegleiter; die übrigens in der Regel freundlich und kompetent sind. Besagter Radfahrer stieg in einen zweiteiligen ODEG-Triebzug nach Bischofswerda ein. Die Zugbegleiterin war wohl im anderen Triebwagen beschäftigt. Nun ist es jedoch so, daß eigentlich in jeder Triebwageneinheit eine oder einer vorhanden sein sollte. So wurde das jedenfalls seitens des ZVON kommuniziert:

„Fahrscheinverkauf und -kontrolle, Auskunft zu Anschlüssen, Hilfe beim Ein- und Ausstieg – die Wünsche der Fahrgäste an die Kundenbetreuer sind vielfältig und umfangreich. Damit die Beratung der Fahrgäste nicht zu kurz kommt, setzt der ZVON nun auf mehr Personal und hat bei der Länderbahn (DLB) mehr Zugbegleiter für die Regionalzüge im ZVON-Verbundgebiet bestellt. Seit 13.06.2016 soll fast jeder Triebwagen mit einem Zugbegleiter besetzt werden. Damit muss das Servicepersonal nicht mehr unterwegs den Triebwagen wechseln und ist permanent für Kunden ansprechbar.“ [14]

Ich weiß nicht, was „fast“ bedeutet. Außerdem scheint die Vereinbarung nur für die Trilex-Züge zu gelten, nicht aber für die zum gleichen Netinera-Konzern gehörende ODEG. Auch diese fährt bekanntlich einige Kurse in Doppeltraktion. Was ich jedoch sowohl während der Fahrt und erst recht in Seitschen beobachten kann, sind von einem in den anderen Triebwagen hechtende Zugbegleiterinnen, um zu vermeiden, noch mehr wertvolle Sekunden durch den verlängerten Aufenthalt anzusammeln. Denn diese fallen zwangsläufig an, wenn der Triebwagen gewechselt werden muß. Mangels aussagekräftiger Statistiken kann ich nur die Vermutung anstellen, daß es nicht nur an Triebwagenführern mangelt, sondern auch an sonstigem Personal. Denn wer eine Ausschreibung gewinnen will, muß vor allem eines: sparen. Und zwar möglichst am Personal. Wie auch immer: wo sie konkret gebraucht wurde, war die versprochene Hilfe beim Einstieg – nicht gegeben.

Personalmangel ist bei allen Bahnunternehmen ein Thema. Es wurde jehrelang nicht oder zu wenig ausgebildet, weil man hoffte, dadurch Kosten sparen zu können. Jetzt hat man den Salat. Die Städtebahn Sachsen ist seit Monaten nicht mehr in der Lage, ihren Zugverkehr zwischen Neustadt und Sebnitz zuverlässig zu betreiben. Sie wurde vom Verkehrsverbund VVO dazu verdonnert, statt dessen Schienen­ersatzverkehr anzubieten. Ein Zuschußgeschäft, denn die Busse zahlt der VVO nicht. Es fehlt an Lokführern, der Markt ist leergefegt. Ein Problem, daß die Länderbahn mit ihren Trilexen nur dann haben will, wenn eine Grippewelle zuschlägt. Zu Jahresbeginn waren an einem Tag gleich mehrere Züge zwischen Dresden, Görlitz und Zittau betroffen.

„Aktuell läuft es auf der wichtigen Strecke weitgehend problemlos, so Jörg Puchmüller von der Länderbahn. ‚Grundsätzlich ist das aber natürlich ein Thema‘, gibt er unumwunden zu.“ [15]

Die Aussage stand schon am 3. Juni online in der „Sächsischen Zeitung“, datiert auf den Folgetag. Und dann dürfen die Fahrgästinnen und Fahrgäste die dünne Personaldecke ungewollt gleich am eigenen Leib erfahren. So fielen (mindestens) aus:

  • Sonntag, 3. Juni, Zug 74139, 9.27 ab Seitschen.
  • Sonntag, 3. Juni, Zug 74138, 12.35 ab Seitschen.
  • Sonntag, 3. Juni, Zug 74171, Dresden ab 13.32, nach Zittau.
  • Montag, 4. Juni, Zug 74141, 11.27 ab Seitschen
  • Montag, 4. Juni, RE 74108, Görlitz ab 12:41, nach Dresden.

Wobei das für die Reisenden an den kleineren Bahnstationen am 3. Juni ein erheblicher Mißstand war, denn es entstand zwischen zwei Zügen eine Lücke von vier Stunden! So jedenfalls kann frau und man in der Lausitz allerhand erleben – oder auch nicht.

Screenshot.

Bild 6: Ein Screenshot von der Trilex-Webseite verheißt eine Erlebnisreise, die leider ausfiel.

Dies sind jedoch nicht die ersten Ausfallerscheinungen beim Trilex, weil man und frau sich ja keine Mühe mehr geben muß, nachdem die Ausschreibung verloren gegangen ist. Der Anlaß vielmehr scheint ein eher tragischer zu sein. Am 2. Juni erfaßte eine Regionalbahn einen Mann in der Nähe von Arnsdorf. Dies führte nicht nur zu einer Streckensperrung, sondern auch dazu, daß der betroffene Triebwagen­führer aus gutem Grund zunächst einmal vom Dienst freigestellt wurde. Und nun zeigt es sich, daß die Personaldecke zu dünn gestrickt ist. [16]

Weitere Ausfälle: mindestens sechs Fahrten am Sonntag, 1. Juli. Am Montag, 16. Juli der RB 74151 von Dresden nach Görlitz, Seitschen 21.23 Uhr. Am Samstag, den 28. Juli, fiel nachmittags und abends ein modifizierter Umlauf mit vier Fahrten ersatzlos aus, und zwar die Regionalbahnen um 13.50 und 17.50 ab Görlitz und die Regional­expresse um 16.08 und 20.08 Uhr ab Dresden in der Gegenrichtung. Am Vormittag des 31. Juli die RB 74134, Seitschen ab 8.35 Uhr. Am Abend des 4. August die RB 74144, Seitschen ab 18.35 Uhr, und der abendliche Regionalexpreß aus Wrocław. Am Nachmittag des 9. November die Regionalbahn von Görlitz nach Dresden, in Seitschen Halt um 14.35 Uhr. Am 22. Dezember sind es die Ersatz­leistungen für die ODEG, Seitschen ab 10.01 und 10.29 Uhr, sowie der Zug Richtung Dresden um 12.28 Uhr. In der Silvesternacht fuhren drei weitere Züge nicht, insbesondere der Lumpensammler nach Görlitz.

Sehr schön ist es, frühmorgens am Bahnsteig zu stehen, auf seinen Zug zu warten, um dann zu erfahren, daß er ersatzlos ausfällt. Noch schöner ist es, wenn dies an einem Sonntag geschieht und der nächste Zug, so er denn kommt, erst zwei Stunden später verkehrt. Am frühen Sonntagmorgen des 2. September erfährt dann der erstaunte Fahrgast, daß sein Zug mit der Nummer 74137 um 7.27 Uhr nicht in Seitschen ankommt und statt dessen ein Schienen­ersatzverkehr angeboten wird, bei dem man dann nie weiß, wann er denn zu erscheinen gedenkt. Nun ist es eher unwahrscheinlich, daß die Verkehrs­leitzentrale des Trilex erst am frühen Morgen von diesem Ausfall erfahren hat und in aller Frühe einen Busunternehmer finden konnte, der auf die Schnelle einen Fahrer wecken kann, damit dieser den Ersatz betreibt. Demnach wußte das Unternehmen mit Sicherheit schon am Samstag davon und hätte dies ja auch auf seiner Webseite kommunizieren können. So jedoch sind wieder einmal die zahlenden Fahrgästinnen die Dummen und werden beim nächsten Mal das Auto nehmen. So etwas ist dann echte Kundenorientierung mit einem vorzüglich ausgeführten Servicegedanken und eine phantasievolle Werbung für das Reisen mit der Bahn. Auch die Rückleistung als 74136, Seitschen ab 10.35 Uhr, soll, so habe ich mir sagen lassen, ausgefallen sein.

Alles pünktlich.
Bild 7: Für die beiden ersten Züge ist um 16.53 Uhr schon abzusehen, daß sie nicht pünktlich sein können. Der 74111 wird etwa zehn und der 74112 etwa fünf Minuten später losfahren.

Es müssen jedoch nicht immer Ausfälle sein. Manchmal reicht auch nur eine nicht näher bezeichnete „Störung an der Infrastruktur“. Dies jedenfalls meldete die ODEG am 21. Juni, als der üblicherweise um 16.30 Uhr durch Seitschen kommende Triebwagen mit 23 Minuten Verspätung angekündigt wurde. Jedenfalls war das südliche Streckengleis zwischen Bischofswerda und Bautzen blockiert, so daß im eingleisigen Betrieb gefahren werden mußte. Begegnungen auf freier Strecke waren nicht mehr möglich. Hier wären, wenn sie noch an das elektronische Stellwerk in Bischofs­werda bzw. Leipzig angebunden gewesen wären, die Weichen­verbindungen vor und hinter dem Seitschener Bahnhof als Kreuzungs­möglichkeit nützlich gewesen. So jedenfalls schaukelten sich die Verspätungen bis zu einer halben Stunde hoch.

Auf der Trilex-Webseite wurden für Bautzen und Bischofswerda Züge als pünktlich angezeigt, die alles waren, nur das nicht. Nehmen wir der Einfachheit halber den die Anzeige mit den Abfahrtszeiten in Bautzen, per Screenshot um 16.53 Uhr eingefangen. Zu diesem Zeitpunkt wartet der pünktlich um 16.44 Uhr in Bischofswerda abfahrende Zug dort noch auf die Erlaubnis zur Weiterfahrt. Er wird Seitschen mit elf Minuten Verspätung durcheilen und Bautzen gegen 17.07 Uhr erreichen. Der Gegenzug, Bautzen ab 17.10 Uhr, müßte dabei nicht einmal länger warten; er scheint schon von sich aus um einige Minuten zu spät aus Görlitz zu kommen. Das alles hätte bei gut organisiertem digitalen Management schon längst in das System eingepflegt sein können. Das für den Landkreis Bautzen angekündigte und mit Steuergeldern vollfinanzierte „schnelle Internet“ würde hier auch nicht helfen. Denn erstens soll es die Bevölkerung mit Oberlausitz mit Netflix und anderen Gimmicks zudröhnen und ruhigstellen, und zweitens liegt die Verspätung in der Verspätungs­anzeige ganz gewiß nicht daran, daß die Informationen im Elektronenstau auf der Datenautobahn gestanden haben.

Entweder bietet man einen Service an, der funktioniert und auf den frau sich verlassen kann, oder man läßt es bleiben und meldet digitalen Bankrott an. Aber solch halbgarer Unfug ist einfach wertlos. Es kommt aber noch besser, also schlechter.

Der Bagger

Einen gänzlich anderen Grund hatten die Zugausfälle am Nachmittag des 23. April. So ziemlich genau um 13.55 Uhr traf ein Bagger in der Nähe des Stellwerks in Bischofswerda die Kabeltrasse der Bahn, in der sich zudem die Telefonleitungen von Vodafone befinden. Der Zugverkehr zwischen Bischofswerda und Löbau war stark beeinträchtigt; Telefon und Internet fielen in der Region um Bautzen und Zittau teilweise für mehr als 24 Stunden aus. Irgendwie muß der Regioshuttle der ODEG um 14.01 Uhr noch am Blocksignal in Seitschen vorbeigekommen und in Bischofswerda angekommen sein. Drollige Dinge verkündete das Infotainment am Bahnsteig in Seitschen. Es gebe einen „Sonderzug Bus“ – zur allgemeinen Verwirrung beitragend gesprochen BE-UH-ESS – mit einer fünfstelligen Nummer, die keine und niemanden weiterbrachte, „auf Gleis“. Nun ja, welches Gleis wurde nicht verraten, denn der Schienen­ersatzverkehr hält bekanntlich an keinem Gleis. Immerhin scheint die Länderbahn recht schnell einen solchen organisiert zu haben.

Nach der „Sächsischen Zeitung“ schlug die Baggerschaufel am Stellwerk in Bischofswerda zu und in Löbau strandeten die Fahrgästinnen und Fahrgäste: „Ein Zug der Odeg steckt hier aktuell fest. Ein DB-Triebzug der RE 1 steckt seit 15 Uhr fest und wird wahrscheinlich nicht mehr nach Dresden weiterfahren und um 19 Uhr nach Görlitz zurückkehren.“

Um 16:23 Uhr kam der in Bischofswerda abwartende Regioshuttle zurück Richtung Görlitz durch Seitschen. Einzelne Reisende, die gehofft hatten, mit diesem Zug pünktlich um 16:30 Uhr fahren zu können, wurden ziemlich verschaukelt; denn danach kam lange Zeit erst einmal wieder gar nichts. Der in der Zeitung erwähnte Regionalexpreß war aus Breslau kommend in Löbau gestrandet; da nur die roten DB-Desiros eine Polen-Zulassung haben, fuhr er als nächster nach Breslau verkehrender planmäßiger Regionalexpreß dann auch erst vier Stunden später Richtung Görlitz zurück. Dafür kam für alle schon länger wartenden Reisenden völlig überraschend um 17:25 Uhr der um 50 Minuten verspätete Trilex-Desiro Richtung Dresden in Seitschen an. Warum um 17:55 Uhr schnell noch ein weiterer Trilex nach Dresden durchrauschte, ohne zu halten, war nicht zu erkennen; vielleicht war es der um eine halbe Stunde verspätete Expreß. Einige weitere planmäßige Züge fielen dann wieder aus. So gegen 19 Uhr am Abend lief der reguläre Zugverkehr wieder an.

Wenn man und frau dann denkt, alles renkt sich wieder ein, gelingt der Deutschen Bahn noch schnell eine Extrakapriole. Diesmal war es ein Holzzug, der in Löbau so spät auf die Strecke geschickt worden war, daß er den eigentlich pünktlich nachfolgenden Trilex-Regionalzug in Seitschen, planmäßige Abfahrt 20:35 Uhr, um acht Minuten ausbremste. Erst dann zeigte das Blocksignal wieder freie Fahrt an.

„Radio Lausitz“ berichtete vom zeitweiligen Ausfall des Mobilfunk­netzes in Bautzen. Daß auch das Festnetz betroffen war, hatte sich hingegen nicht bis in die Redaktions­stuben geflüstert. Um es kurz zu machen: Festnetz und Internet kamen erst am späten Nachmittag des Folgetages zurück. Alles klar? Aber nicht doch. Zwei Tage später berichtete die „Sächsische Zeitung“ von der großangelegten Störaktion und verlegte nunmehr den Stellwerks­ausfall nach Löbau. Wie es nun der Zufall will, oder war es keiner?, gab es auch eine Störung im Vodafone-Festnetz in der Region um Löbau und Zittau. Und weil in der deregulierten Welt die eine Hand nicht weiß, was die andere Hand auch nicht weiß, erklärt uns die „Sächsische Zeitung“ unter Berufung auf den Pressesprecher von Vodafone, es habe „in dem Gebiet einen unterirdischen Kabelschaden gegeben. Das Kabel ist defekt.“ Das alles sei ohne Fremd­einwirkung geschehen, so der Pressssprecher. Was er nicht wußte: es war der Bagger. Und die Oberlausitzer Zeitungs­redaktionen in Bautzen, Löbau und Zittau sind nicht in der Lage, sich zwei und zwei zusammen­zureimen und den Sachverhalt korrekt darzustellen. So entstehen dann eben – fake news[17]

Baustellen

Baustellen als Teil des Erhalts oder Ausbaus der Schienen-Infrastruktur sind auch dann ein Übel, wenn sie notwendig sind. Sie führen für die Fahrgästinnen und Fahrgäste zu mannigfaltigen Belästigungen. Angepaßte Fahrpläne mit minimalen Verspätungen aufgrund eingleisiger Betriebsführung klingen harmlos; werden aber denn zum Ärgernis, wenn der jahrelang erprobte Anschluß verloren geht. Ungeliebt ist hingegen das, was euphemistisch als Schienen­ersatzverkehr bezeichnet wird. Es handelt sich in der Regel um Busverkehre, welche unzuverlässig, umständlich und äußerst umwegig sind. Das größte Übel ist jedoch eine mangelhafte, fehlerbehaftete oder schlicht verwirrende Informationspolitik.

Fahrplanaushang in Dresden.

Bild 8: Undurchsichtig wirkt die Baustellen­fahrplan­informations­politik, wenn in einer Region so ziemlich überall gebaut wird. Links hängt der reguläre Fahrplan, der mit der verwirrenden Anzahl von bruchstück­haften Teilinformationen auf der rechten Seite nur wenig gemein hat. Ist das im digitalen „Neuland“ wirklich so schwierig, alle diese Informationen in den großen Aushang zu integrieren und darauf aufbauend ein wöchentliches gedrucktes „Update“ zu kreieren? Gesehen auf dem Bahnsteig der Station Dresden-Mitte im Juli 2018.

Es ist immer wieder ein großartiges Erlebnis, Fahrplanaushängen zu begegnen, die wie folgt aufgebaut sind:

  • Für jede Baustelle gibt es einen eigenen Ersatzfahrplan.
  • In einer Kopfspalte werden die jeweils gemeinten Verkehrstage angegeben.
  • Verfrühungen oder Verspätungen werden farblich hervorgehoben.
  • Nicht aufgeführte Züge fahren planmäßig.
  • Beide zwischen Bischofswerda und Görlitz verkehrende Unternehmen haben ihre eigenen Baustellen­fahrpläne.

Fahrgästinnen und Fahrgäste dürfen sich dann aus dem Wust von undurchschaubaren Teilinformationen ihr Menü zusammenpicken. Irgendwie so: alle Züge fahren pünktlich. Aber an Montagen, und nur wenn der Vollmond scheint, fällt der frühe Triebwagen des Trilex aus und wird durch einen Bus ersetzt. Die ODEG hingegen fährt, aber das wird hier nicht verraten. Das geht mit dem Auto einfacher: Navi an und die Baustelleninfo ist gleich mitintegriert. Was, ihr Baustellenmanager, werden dann wohl eure Kundinnen und „Kunden“ tun? Eben.

Aber, werdet ihr sagen, solch eine Art Navi haben wir auch. Auf den jeweiligen Webseiten der beteiligten Unternehmen gibt es doch auch aktuelle Informationen. Die braucht ihr nur per App herunterladen. Meine Erfahrung sagt: diese Informationen sind, sofern überhaupt vorhanden, unzuverlässig, unaktuell und im Zweifelsfall grob falsch.

In Bautzen wird seit Anfang 2017 mit dem Bau einer neuen Brücke über die Zeppelinstraße ein Nadelöhr beseitigt; mit der Ferigstellung wird für das Frühjahr 2019 gerechnet. Damit Automobile und Lastkraft­wagen den ihnen gebührenden Raum einnehmen können, werden nicht nur satte vierzehn Millionen Euro verbaut – ursprünglich waren neun Millionen angesetzt [18]. Zudem müssen die Benutzerinnen und Benutzer des Schienenverkehrs einige Einschränkungen hinnehmen. Die alte Gewölbebrücke von 1864, die 1899 erweitert worden war, wurde abgerissen und weicht einem modernen, wesentlich breiteren Zweckbau. Im Januar kam es deshalb an einem Wochenende zu einer Vollsperrung zwischen Bautzen und Löbau und in einer weiteren Nacht zum Ausfall einzelner Züge zwischen Görlitz und Bischofswerda. Der Ausfall zwischen Bautzen und Bischofswerda dürfte hierbei rein organisatorische Gründe gehabt haben, um die Zahl der benötigten Triebwagen und Fahrerinnen zu minimieren, denn dieser Streckenteil war von der Brücken­sperrung nicht betroffen. Jedenfalls meint die Lokalpresse:

„Die erste Sperrung betrifft den Abschnitt Bautzen – Löbau. Hier fährt von Freitag, dem 19. Januar, bis Montag, dem 22. Januar, kein Zug. In der Woche darauf, am Donnerstag/Freitag, dem 25./26. Januar, erfolgt nochmals eine Vollsperrung. Dieses Mal ist der komplette Abschnitt zwischen Bischofswerda und Görlitz betroffen.“

Natürlich fuhren am 19. Januar Züge zwischen Bautzen und Löbau; erst ab 22 Uhr wurde die Strecke dicht gemacht. Und die Vollsperrung in der Folgewoche war ausschließlich in der Nacht. Die aufgeplusterte Panikmache stand unter dem Motto: „Ab Freitag fährt vier Tage lang kein Zug zwischen Bautzen und Löbau. Nächste Woche kommt es noch dicker.“ Das hat schon etwas von Desinformation. Dazu gab es dann einen Link auf die Webseite der Länderbahn. Zum Zeitpunkt der Einstellung des Artikels sagte selbige: „Das angeforderte Dokument wurde nicht gefunden.“ Das war ungemein hilfreich, um das Kommunikations­chaos zu entwirren. Später muß dann eine oder jemand das verschwundene Dokument wieder enrdeckt haben. [19]

Nesselgrundbrücke.

Bild 9: Bauarbeiten an der Nesselgrundbrücke am 21. März. Aufnahme: N. B.

Für März hatte die Deutsche Bahn mehrere Einschränkungen und Vollsperrungen zwischen Dresden-Neustadt und Radeberg angekündigt. Grund war die weichen- und signaltechnische Einbindung der Gleise auf der fertiggestellten Nesselgrund­brücke bei Dresden-Klotzsche. Nach einigen Wochen Vorgeplänkel, in denen sich die Verspätungen auf einem nur eingleisig befahrbaren Stück in Dresden hochschaukelten, wurde es zwischen dem 23. März abends und dem 25. März mittags Ernst. Nichts ging mehr. Die Terminplanung stand, der Schienen­ersatzverkehr war organisiert, die Ersatzfahrpläne hingen aus – und dann erkrankte kurzfristig ausgerechnet der Sicherheits­ingenieur, der die Gesamt­verantwortung trägt. Was folgte, war eine Posse: obwohl die Strecke nunmehr befahrbar blieb, fuhr der organisierte Schienen­ersatzverkehr anstelle der Triebwagen. Die Länderbahn war erbost, denn sie mußte als Trilex-Betreiberin nun auf die Schnelle einen weiteren Schienen­ersatzverkehr für einen neu anberaumten Sperrtermin vom 6. bis zum 8. April organisieren. In der Zwischenzeit fuhren zwei Wochen lang alle Züge weiterhin nach einem Baustellen­fahrplan und mit der langsam gewohnten Verspätung. Was die Fahrgästinnen und Fahrgäste von diesem Schildbürger­streich gehalten haben, wurde vorsichtshalber nicht kommuniziert. [20]

Für die Strecke von Dresden nach Bautzen, die selbst mit dem Bummelzug in rund einer Stunde zu bewältigen ist, wurden sage und schreibe zweieinhalb Stunden Busfahrt veranschlagt. Selbst wenn diese Busleistungen auf die volle Distanz nur in der Nacht und an einem Sonntagvormittag anfielen, so fragt es sich: wer tut sich so etwas freiwillig an? Alleine zwischen Bischofswerda und Bautzen, normale Fahrtzeit per Bahn vierzehn Minuten, sollte der Bus unglaubliche sechsundvierzig Minuten unterwegs sein! Der Grund: kein Dorf zwischendrin wurde ausgelassen. Dabei kann ich der Länderbahn in einer Hinsicht keinen Vorwurf machen: die Buskapazität war hier mehr als ausreichend. Vielleicht aber, als Anregung für mögliche ähnliche Situationen, sollte man darüber nachdenken: wenn man schon zwei Busse hintereinander fahren läßt, warum bedient der eine nicht Demitz-Thumitz und der andere Seitschen? Das könnte alleine zwischen Bischofswerda und Bautzen locker eine Viertelstunde Fahrtzeit­gewinn bringen. Die Fahrgästinnen und Fahrgäste, die am Sonntagmorgen zwischen den beiden dörflichen Stationen pendeln, dürften eine absolut vernachlässigbare Größe darstellen.

Schienenersatzverkehr.

Bild 10: Schienenersatz­verkehr am Sonntag­vormittag mit einem Gelenkbus, aufgenommen in der Seitschener Bahnhofssiedlung am 8. April. Der Bus ist in Richtung Bautzen unterwegs und erreicht die Bedarfs­haltestelle Seitschen in einer Minute. Dann geht es weiter über Gaußig, Brösang, Drauschkowitz und Stiebitz. Kein Wunder, daß alleine für diese Rundfahrt neunzehn Minuten veranschlagt wurden.

Die Bushaltestelle für den Schienen­ersatzverkehr wurde 2017 an die heutige Position verlegt; ihr Standort ist auf den Lageplänen in den Wartehäuschen der beiden Gleise ausreichend markiert. Befremdlicher ist es dann, wenn manchmal eine „fliegende“ Haltestelle aufgestellt wird und manchmal nicht, manchmal sogar ein Fahrplan aushängt, manchmal aber auch nicht, und dieser Fahrplan trotz ausreichenden Platzes mit der kleinstmöglichen Mikroschrift ausgedruckt wurde, die das Mitbringen einer Lupe zwingend erforderlich macht. Wie des Nachts bei dort absoluter Dunkelheit selbiger gelesen werden können soll, bleibt wohl eher dem Zufall einer Taschenlampen-App überlassen. Das mögen nichtige Details sein, aber sie verdeutlichen, was Schienen­ersatzverkehr in der Praxis bedeutet und wie wenig dabei an die Fahrgästinnen und Fahrgäste gedacht wird.

Ersatzhaltestelle.

Bild 11: Ersatzhaltstelle für den Bahnhof Seitschen. Wäre da nicht die Fitzelschrift im Fahrplanaushang, würde dieses Exemplar eine lobende Erwähnung finden. Gesehen im Januar 2018. Bei einem weiteren Ersatzverkehr im Juni wurde der Fahrplan­aushang eingespart.

Eine baden-württembergische Nahverkehrs­gesellschaft geht von einem Rückgang der Zahl der Reisenden von dreißig Prozent aus, wenn Schienen­ersatzverkehr anstelle von regulärem Schienenverkehr angeboten wird [21]. Dreißig Prozent der Fahrgästinnen und Fahrgäste werden also mutwillig vergrault, wenn es darum geht, einen Betriebsablauf betriebs­wirtschaftlich zu optimieren, ohne an die Folgen zu denken. Es mag Fälle geben, in denen ein Totalausfall einer Strecke unvermeidlich ist; in der Regel dürfte es jedoch immer eine andere zweckmäßige Lösung geben, die vielleicht nicht so billig, dafür aber nachhaltig ist.

Es wäre hiermit durchaus zu fragen, inwieweit der geringe Zuspruch der Eisenbahn­strecke von Zittau nach Bischofswerda nicht nur dem ausgedünnten Angebot geschuldet ist, sondern auch den permanenten Baustellen, die von den Fahrgästinnen und Fahrgästen immer wieder neue Verrenkungen erfordern.

  • Vom 19. bis zum 26. Januar gab es aufgrund der Bauarbeiten an der neuen Brücke über die Bautzener Zeppelinstraße Ausfälle zwischen Bautzen und Löbau, teilweise sogar zwischen Bischofswerda und Görlitz. Vom Abend des 19. bis zum 22. Januar war die Strecke zwischen Bautzen und Löbau total gesperrt. Um das Chaos für die Reisenden noch undurchsichtiger zu gestalten, boten Trilex und ODEG getrennte Ersatz­fahrpläne an, aus denen die geneigten Fahrgästinnen und Fahrgäste sich selbst ein Bild zusammenreimen mußten.
  • Zwischen dem 5. und 25. März wurde aufgrund von Bauarbeiten an der Nesselgrund­brücke bei Dresden-Klotzsche der Zugverkehr auf der stark befahrenene Strecke von Dresden-Neustadt nach Klotzsche nur eingleisig durchgeführt. Teilweise kam es zu einer Vollsperrung. Ausfälle waren zwischen Dresden und Radeberg, teilweise bis Löbau vorgesehen.
  • Aufgrund organisatorischer und personeller Probleme bei der Deutschen Bahn ging die Sperrung der Nesselgrundbrücke in die Verlängerung; es fand eine Vollsperrung vom 6. bis zum 8. April statt.
  • Am Abend des 27. Mai gab es eine weitere Vollsperrung der Nesselgrundbrücke bis in die späte Nacht mit entsprechenden Zugausfällen zwischen Dresden und Radeberg.
  • Ende Mai bis Anfang Juni wurden zwischen Arnsdorf und Bischofswerda neue Gleise verlegt. Aufgrund der damit verbundenen eingleisigen Streckenführung mußten die Fahrpläne angepaßt werden. Am 26. Mai gab es mehrere Ausfälle.
  • Zwischen dem 8. Juni und dem 2. Juli wurden an jeweils zwei Wochenenden die Verbindungs­weichen zwischen den beiden Durchgangs­gleisen in Seitschen und Pommritz ausgebaut. Für einzelne Nachtkurse Richtung Görlitz gab es Busersatz­verkehr. In Seitschen war die Ersatz­haltestelle aufgestellt, aber sie enthielt keinen Ersatzfahrplan.
  • In den beiden letzten Juliwochen fielen montags bis freitags wegen Brückenarbeiten in Bischofswerda tagsüber zwischen Arnsdorf und Bischofswerda alle Züge aus. Der Schienenersatz­verkehr mit zweimaligem Umsteigen erzwang rund eine halbe Stunde mehr Fahrzeit.
  • Mitte September wird an einem Wochenende die Strecke zwischen Bischofswerda und Arnsdorf komplett gesperrt; man bastelt sich bei Bischofswerda eine neue Brücke. Auch während einiger Randlagen an den Tagen davor und danach ist die Strecke dort dicht, dann und nur dann verkehren Busse.
  • Vom Freitagabend am 16. November bis zum Montagmorgen am 19. November ist die Strecke zwischen Bischofswerda und Arnsdorf erneut dicht, hinzu kommen einzelne Fahrten in der Nacht vom 19. zum 20. November. Es gibt wieder Schienen­ersatzverkehr. Diese Sperrung war erforderlich, um den zweigleisigen Betrieb wiederherzustellen.
  • Am Wochenende darauf sind Schienenschleif­arbeiten bei Bautzen angesagt. Ein einzelner Nachtzug wird zwischen Bischofswerda und Löbau durch einen Bus ersetzt.

Jens Fritzsche von der Sächsischen Zeitung war im Vorgriff auf die Sperrung Mitte September wieder einmal alles andere als hilfreich. Mit allgemeinen Parolen wird die gemeine Fahrgästin kirre gemacht, anstatt darauf hinzuweisen, daß die meisten Ausfälle an nur einem Wochenende (Samstag, 15., und Sonntag, 16. September) zu erwarten sind.

„In den nächsten zwei Wochen müssen sich Bahnreisende auf den Strecken von Dresden über Löbau und Görlitz, von Dresden über das Oberland nach Zittau und von Cottbus über Görlitz nach Zittau auf massive Änderungen im Fahrplan sowie auf Schienenersatz einstellen. Bis zum 24. September wird auf den Dresden-Strecken abschnittweise gebaut, was zu tageweise verschobenen Abfahrts- und Ankunftszeiten führt – und durchaus weiträumigen Busfahrten im Schienen­ersatzverkehr. So rollen beispielsweise bei der Regionalbahn und dem Regionalexpress Dresden – Görlitz zwischen Dresden-Klotzsche und Bischofswerda Busse.“

Und anstatt den Sachverhalt einmal nachvollziehbar aufzudröseln, das wäre nämlich sein Job, verweist der Redakteur das staunende Publikum auf die veränderten Fahrpläne auf der Trilex-Webseite. Und da schon er diese Fahrpläne wohl nicht richtig verstanden hat, läßt er seine Zielgruppe ins offene Messer laufen. Das PDF, das dort angeboten wird, stellt die Fahrpläne nämlich sinnigerweise um 90 Grad gedreht dar; und wenn frau sie dann dreht, muß sie entweder einen 80 Zoll Monitor besitzen oder eine Lupe herbeiholen, um das zusammen­gedrängte Zahlengewirr entziffern zu können. Ich stelle mir das mit einem Smartphone ziemlich lustig vor. Die Darstellung in dem PDF wird nicht besser dadurch, daß frau dann erst die Zeile suchen gehen muß, aus der hervorgeht, an welchem Tag die Einschränkung oder Veränderung der Fahrzeit überhaupt zu erwarten ist.

„Noch umfangreicher ist der Schienenersatz­verkehr dabei auf der Regional­bahnstrecke Dresden – Zittau. Hier müssen die Reisenden zwischen Dresden-Klotzsche und Zittau auf den Bus umsteigen.“ [22]

Die Aussage ist nicht komplett falsch, aber vollkommen sinnfrei. So gibt es während der hier verhandelten Bauarbeiten keinen einzigen Bus, der ersatzweise von Klotzsche nach Zittau oder zurück fährt. Es gibt die schon angesprochene Baustelle bei Bischofswerda und es gibt in einzelnen nächtlichen oder morgendlichen Randlagen Züge zwischen Ebersbach und Zittau, an deren Stelle ein Bus fährt. Der übliche Pendlerinnen- und Schülerverkehr jedoch, der den größten Teil der Zugleistungen betrifft, ist überhaupt nicht eingeschränkt! Panikmache ohne Ende anstatt klare Aussagen zu treffen. Und dann wundern sich die Zeitungsverleger, wenn ihre Produkte an Glaubwürdigkeit verlieren.

Eher als Randnotiz ist dann zu vermelden, wenn es am 13. September auf der Trilex-Webseite hieß:

„Aufgrund fehlerhafter Fahrplan­konstruktion durch DB Netz kommt es zu Verspätungen von bis zu 20 Minuten bei allen Trilex-Zügen.

Hintergrund ist eine zusätzliche Eingleisigkeit zwischen Dresden-Klotzsche und Radeberg, die von DB Netz eingerichtet wurde ohne den Fahrplan entsprechend anzupassen.“

Wozu auch? Verspätung ist doch das Kerngeschäft der Deutschen Bahn. Da sollen alle daran teilhaben. Sozusagen Teilhabegerechtigkeit.

Weichenausbau

In den 1970er Jahren wurde an der Westseite des Seitschener Bahnhofs für die Landwirtschaft ein neuer Gleisanschluß angelegt. Die beiden Weichenverbindungen zwischen den Hauptgleisen wurden dafür weiter nach Western bzw. Osten verlegt. Auch der Bahnhof wurde umgebaut. Das alte mechanische Stellwerk ließ sich wohl nicht mehr sinnvoll am alten Platz umbauen, so daß im nebenan gelegenen vergrößerten Fahrdienst­leiterraum ein elektro­mechanisches Stellwerk eingerichtet wurde. Den Hohlraum der alten Stellwerkskanäle überbaute man mit einem Holzboden und richtete dort einen Fahrkarten­verkaufsraum ein. Über den Holzboden legte man eine Schicht aus Bunaplaste; und den Rest können wir uns denken. Als der Bahnhof 2015 zum Verkauf stand, warnte ein großes Schild vor der Einsturzgefahr. Der Warnhinweis war berechtigt, denn der Würfelbruch hatte den gesamten Holzfußboden erfaßt.

Vier Jahrzehnte später sind Gleisanschluß und Weichenverbindungen überflüssig geworden; zumindest meint dies die zuständige Konzernabteilung der Deutschen Bahn AG. Auf dem Gleisanschluß wurden zumindest seit 2014 keine Rüben oder Getreide mehr verladen; ob der derzeitige Eigentümer den Gleisanschliß nunmehr abgemeldet hat, ist unklar. Jedenfalls sieht die betriebs­wirtschaftliche Logik nunmehr vor, daß die vor Ort ansässigen Bäuerinnen und Bauern ihr Getreide in Seitschen abladen. Dort wird es in Säcken auf Lastkraftwagen verladen, welche das zum Teil zu Alkohol zu verarbeitende Gut nach Niedercunnersdorf bringen. Von dort fahren die Getreidezüge – man und frau ahnt es schon – auf dem Weg zur Elbe oder in die Schnapsbrennerei durch Seitschen. So wird nicht nur Mobilität erzeugt, sondern auch überflüssiger Verkehr. So etwas heißt dann wohl aktive Förderung des Brutto­sozialprodukts.

»»  Robert Heinzke nahm 2011 einen Getreidezug zwischen Bautzen und Seitschen auf, dessen Inhalt zuvor in Seitschen verladen worden war.

Für zwei Wochenenden im Juni war nunmehr der Abriß der Weichen, verbunden mit einer jeweils halbseitigen Sperrung der Strecke, vorgesehen. Die Anwohnerinnen und Anwohner der umliegenden Straßen und Dörfer wurden von der zu erwartenden Lärmbelästigung, insbesondere durch die Warnsignale bei heranfahrenden Triebzügen, in Kenntnis gesetzt; nur den Bewohner des Bahnhofs erreichte diese Mitteilung nicht. Kommunikation bei der Deutschen Bahn ist halt Glückssache.

Ende Mai waren schon die ersten Vorboten zu sehen. Eine Gruppe von Bahnmitarbeitern marschierte vom Haltepunkt aus zu den jeweiligen Gleisverbindungen und scheint den Ausbau vorbereitet zu haben. An den Wochenenden vom 8. bis zum 11. Juni und vom 15. bis zum 18. Juni wurde der Ausbau vorgenommen. Während dieser Zeit war der Streckenbetrieb nur eingleisig möglich, weshalb es den nächsten Baustellen­fahrplan für die Görlitzer Strecke gegeben hat. Genau betrachtet ist es dann lächerlich, sechs Sekunden beim Ausfahren einer Trittstufe einsparen zu wollen, wenn es seit Jahren und auf weitere Jahre hinaus immer wieder neue Baustellen gegeben hat und geben wird, die Fahrplanänderungen und damit zwangsläufig längere Fahrzeiten erheischen.

Eine einzelne nächtliche Fahrt wurde gestrichen und allein hierfür eigens eine Bushaltestelle oberhalb des Bahnhofs für den Schienen­ersatzverkehr eingerichtet. Beim nächtlichen Bummeln über die Dörfer kommt sicherlich Freude auf.

Blick auf die Bauarbeiten.

Bild 12: Blick von der westlich des Bahnhofs gelegenen Straßenbrücke nach Osten auf die Bauarbeiten am 9. Juni. Vorne ist gerade ein Zweiwege­bagger dabei, einzelne Schwellen auf den linken Bahndamm zu hieven. Diese Schwellen werden ihm von einem zweiten Kran aus dem Anschlußgleis­gelände gereicht. Die linke vordere Weiche ist schon ausgebaut. Weiter hinten ist die rote 112 708 zu erahnen, die andächtig bei einem Flachwaggon verweilt und auf ihren Einsatz wartet.

Interessant ist nun, daß nach Jahren des Stillstandes tatsächlich wieder Lokomotiven und Güterwaggons in den Gleisanschluß hineingefahren wurden, um Schienen, Schwellen, Schotter und anderes benötigte Material abzuliefern. Daß damit das Ende dieses Anschlusses quasi besiegelt wird, ist die traurige Ironie dieser Geschichte. Sollte in Zukunft jemals wieder eine Lieferung den Gleisanschluß Seitschen erreichen oder verlassen, dann geht dies nur noch über eine Rangierfahrt von den ebenfalls abgespeckten Güteranlagen in Bautzen und Bischofswerda aus. Die Weiche immerhin bleibt bestehen, auch wenn sie als Handweiche nicht an das elektronische Stellwerk in Leipzig angebunden ist. Nach zwei Wochenenden in Seitschen machte sich der Bautrupp auch im nahe gelegenen Pommritz daran, mehrere Weichen zu beseitigen.

Ausfahrt.

Bild 13: Am 21. Juni fand die vermutlich für lange Zeit letzte Bedienfahrt in den landwirt­schaftlichen Gleisanschluß statt. Zwei Lokomotiven holten eine dort mit Defekt abgestellte weitere Lokomotive ab. Diese hatte am 15. Juni Material zum Weichenausbau geliefert gehabt.

Angesichts dessen, daß die benachbarte A 4 chronisch überlastet ist, ist die systematische Zerstörung einer handlungsfähigen Infrastruktur ein Skandal. Doch die Deutsche Bahn, nominell in Staatsbesitz, faktisch aber der konkurrierenden Verkehrslobby ausgeliefert, ist eine Art Profitcenter, dem die sogenannten Beförderungs­fälle nur lästig scheinen und in dem die Unbilden der Jahreszeiten vollkommen überraschend eintreten. Die eigens handverlesen ausgesuchten Betriebs­wirtschaftler schauen halt nie über den Tellerrand der eigenhypnotisierten Zahlenkolonnen hinaus. Vier Weichen weniger bedeuten weniger Wartungsaufwand und Nachsorge. Aber eben auch weniger Flexibilität und Daseinsvorsorge. Vom Bautzener Landrat Michael Harig ist hierzu kein Kommentar überliefert. Vermutlich sinniert er gerade einmal wieder über neue Straßen­bauprojekte.

Entschleunigung

Die mobil gehaltene Gesellschaft strebt danach, immer schneller, weiter und höher zu werden. Die Gesellschafts­mitglieder werden zum homo oeconomicus degradiert, den sich selbst zum Nutzen des Allgemeinwohls (also des individuell angeeigneten Profits) optimalst zu verwerten. Dieser Eckpfeiler des neoliberalen Wahns nach Verwertung auch des letzten Stückchens Erde und der letzten menschlichen Ressource wird durch die Deutsche Bahn Netz AG immer wieder kongenial gebrochen. Wo andernorts die freie Fahrt für freie Bürger propagiert wird, stoppt sie den Geschwindigkeits­expreß mit Hilfe des Seitschener Blocksignals.

Und das geht so. Durch die systematische Zerstörung einer handlungsfähigen Infrastruktur werden die Möglichkeiten eines gleitenden Schienenverkehrs eingeschränkt. Gab es früher noch einen Streckenblock in Demitz-Thumitz, so ist dieser längst Geschichte. Dies hat zur Folge, daß in Seitschen jeder Triebwagen und jeder Güterzug so lange am Blocksignal halten muß, bis der vorherige Zug in Bischofswerda angekommen ist und die belegte Strecke wieder freigegeben hat. Wenn nun also ein langsamer und schwerer Güterzug den Buckel von Bautzen nach Bischofswerda hochkeucht, kann es schon einmal vorkommen, daß der nachfolgende Regionalexpreß einen Zwangshalt in der tiefsten Provinz verpaßt bekommt. Erstaunlich daran ist, wie oft die Netzdisponentinnen und Stellwerker im elektronischen Stellwerk in Leipzig diese Möglichkeit zu nutzen verstehen, wo doch die Zahl der im Laufe der Woche durchfahrenden Güterzüge (außerhalb der einen täglichen Übergabe nach Bautzen und Görlitz) in der Regel an den Fingern einer Hand abzuzählen sind.

Noch erstaunlicher ist es, daß der ostsächsische Verkehrsverbund ZVON, dem doch an der Beschleunigung der Strecke auf Kosten der kleinen Stationen gelegen ist, dem bundeseigenen Konzern dies durchgehen läßt. Weiß hier die eine Hand nicht, was die andere Hand auch nicht weiß? Herr Harig, hier besteht dringender Handlungsbedarf!

Meine sicherlich unvollständige Liste entsprechender Vorkommnisse 2018 sieht so aus:

  • 17. Januar: Regionalexpreß aus Breslau wird von vorheriger Lokomotiv­leerfahrt ausgebremst und steht am roten Blocksignal.
  • 9. Februar: Holzzug nach Bischofswerda bremst nachfolgenden Regionalexpreß um etwa zehn Minuten aus. Nach erzwungen verspäteter Abfahrt in Bautzen steht der Expreß weitere fünf Minuten in Seitschen.
  • 6. März: Holzzug nach Bischofswerda bremst nachfolgenden Regionalexpreß aus Breslau aus.
  • 19. April: Holzzug nach Bischofswerda sorgt für fünfminütigen Zwangshalt der nachfolgenden Regionalbahn.
  • 24. April: Holzzug kommt fünf Minuten vor fahrplanmäßiger Regionalbahn durch Seitschen; selbige erhält hierdurch acht Minuten Verspätung. Da eigentlich Bedarfshalt war und keine aus- und niemand einstieg, handelte es sich um einen absolut sinnlosen Halt. Kassiert die DB Netz dafür Stationsentgelte?
  • 3. Mai: Getreidezug kommt durch Seitschen auf der Fahrplan­trasse der nachfolgenen Regionalbahn; diese kann daher erst mit dreizehn Minuten Verspätung ihre Fahrt fortsetzen.
  • 30. Mai: Holzzug nach Bischofswerda sorgt für vier Minuten Warten am roten Signal.
  • 7. Juni: Holzzug nach Bischofswerda sorgt für fünf Minuten Verspätung der nachfolgenden Regionalbahn.
  • 26. Juni: Getreidezug Richtung Dresden läßt nachfolgenden ODEG-Triebwagen drei Minuten unnütz vor dem Signal warten. Ein- oder aussteigen wollte keine und niemand. In derselben Zeit hätten die Trittstufen auf jeder Station entlang der Strecke aus- und wieder eingefahren werden können.
  • 3. Juli: Wieder ist es ein Getreidezug, der den nachfolgenden Regionalexpreß zum Pausieren zwingt. Diesmal kommt er auf der Trasse des Expreßzuges durch Seitschen und müht sich den Berg hoch. Der Expreß durfte deshalb schon in Bautzen vier Minuten Mehraufenthalt hinnehmen, bevor er nach Seitschen bis zum nächsten Stop durchgelassen wurde. Nun mußte er die Einfahrt des Getreidezuges in Bischofswerda abwarten, so daß sich die Verspätung auf zehn Minuten summierte.
  • 27. Juli: Auch der nächste Getreidezug sorgt für einen ungeplanten Zwangshalt. Keine drückte die Haltewunsch­taste, niemand stand am Bahnsteig um mitzufahren; doch der ODEG-Regioshuttle wurde ausgebremst. Diesmal nur für eine Minute. Die ist zu verschmerzen; aber hier geht es ums Prinzip.
  • 17. September: Der fahrplangemäß ohenhin unnötig vor sich hinwartende OE 63934, Bischofswerda ab 10.22 Uhr, wird genötigt, einen einzelnen IC-Doppelstock­steuerwagen für Bombardier in Bautzen vorzulassen, und kommt daher in Seitschen mit sieben Minuten Verspätung an. Es wäre gewiß für die Stellwerker von DB Netz kein Problem gewesen, den Personenzug­fahrplan einzuhalten und die Lieferung für Bombardier hinterher­zuschicken.
Warten am Blocksignal.

Bild 14: Zwar hatte keine und niemand die „Haltewunsch­taste“ gedrückt, doch der ODEG-Triebwagen 650 084 steht sich auch zwei Minuten nach der fahrplan­mäßigen Abfahrt die Beine platt; dennl der vorausfahrende Getreidezug hat den Streckenabschnitt noch nicht geräumt. Die Fahrgästinnen und Fahrgäste dürften sich gewundert und gefragt haben, ob der Anschlußzug in Bischofswerda auf sie warten wird. So verwöhnt man sein Publikum mit fein ziseliertem Stau auf der Eisenbahn. Üblicherweise ist das nämlich so: schon eine Viertelstunde vor Ankunft des Zuges steht das Signal auf Grün. Aufnahme vom 26. Juni.

Angesichts der vielen freien Trassen zwischen den Triebwagen des Regionalverkehrs ist das eine grundsolide Leistung. Andererseits: weshalb die Aufregung? Was sind schon fünf oder zehn Minuten Verzögerung? Nun, im Zweifelsfall, ein verpaßter Anschluß in Dresden-Neustadt. Angesichts der anderweitig entschleunigenden Verspätungskünste der Deutschen Bahn AG ist die Seitschener Posse in der Tat unerheblich. Aber es bleibt – eine Posse; vor allem angesichts der berüchtigten sechs Sekunden …

Die durch Güterzüge erzwungenen Verspärungen fallen auch andernorts auf. In einem Facebook-Eintrag auf der Trilex-Seite meint ein Robin K.:

„Würde mich freuen, wenn man nicht nur Fahrpläne und Baustellen Fahrpläne herausbringt sondern auch einhält. Seit Wochen ist so gut wie jeder Zug bei euch mehr als 5 Minuten verspätet. Inkl. Güterzug vor Personenzug und solche Angelegenheiten wo oftmals noch mehr Verspätung entsteht …“

Der oder die Trilex-PR-Mitarbeiter oder Mitarbeiterin sprechblast dann, „wir verstehen dass das ärgerlich ist“ und verweist ihn an das Kundencenter. Er möge doch dort vorstellig werden. Nein. Das war dein Job. Du hättest schreiben müssen, „ich werde mich darum kümmern“ und dann unaufgefordert berichten, was du hast herausfinden können und vor allem, ob und wie diese Verspäteritis – verantwortlich ist hier wohl die DB und nicht Trilex – abgestellt werden kann. Kundenbindung ist keine Holschuld, sondern eine Bringschuld. Aber das lernen die PR-Fuzzis sowieso nie, weil es ihnen auch egal ist. So sieht ist die wirkliche Dienstleistungs­mentalität in Deutschland aus.

Eigenwerbung

Seit einigen Jahren bieten die Verkehrsverbünde ZVON und VVO als Marketingaktion die Möglichkeit an, an einem Tag im Jahr zum subventionierten Tarif die Vorzüge der Region und des öffentlichen Nahverkehrs zu erkunden. Während der dresdener Verkehrsverbund Familien­ageskarten für neun Euro anbietet, setzt der ZVON auf das individuelle Reiseerlebnis mit Einzelfahrkarten für 3,50 €. Dieses Jahr waren der VVO-Entdeckertag und der ZVON-Komm Rum-Tag auf Freitag, den 6. April, festgesetzt; im kommenden Jahr wird es der 26. April sein. Es ist der letzte Freitag der Osterferien.

Eine solche Werbestrategie sollte berücksichtigen, daß trotz oder gerade wegen der Ferien mehr Menschen als an gewöhnlichen Werktagen dieses besonders preisgünstige Angebot nutzen werden. Sie können dorthin fahren, wo frau oder man immer schon einmal hinwollte. So ist es dann durchaus normal, daß eine ganze Reise­gesellschaft den Tag feuchtfröhlich verbringen möchte. Wenn dann noch die Wettervorhersage einen sonnigen und warmen Tag ohne Regenschauer oder gar Frostbeulen ansagt, dann ist vorauszusehen, daß Züge und Busse mehr als nur gut gefüllt sein werden. Und so kam es, wie es kommen mußte: die Eigenwerbung war schlecht organisiert. Zumindest dort, wo ich mitgefahren bin. Denn so einen Komm Rum-Tag lasse ich mir nicht entgehen. Ein Besuch im Schlesischen Museum in Görlitz mit seiner Ausstellung zu 175 Jahren Eisenbahn war angesagt. Der Vorteil: wer eine Komm Rum-Fahrkarte vorzeigt, erhält vergünstigten Eintritt und muß nicht einmal für die Sonder­ausstellungen extra zahlen.

Werbeplakate oder -hinweise waren dieses Jahr in Seitschen keine ausgehängt; und auch in den Vorjahren geschah dies eher auf den letzten Drücker. So als sei es gewollt, daß dieses Angebot möglichst wenig publik wird; mit der Folge, daß manche Nachbarinnen und Nachbarn von dem Ereignis nicht mitbekamen. Der aufgrund von Bauarbeiten erst um 9.29 Uhr aus Dresden eintreffende einzelne Triebwagen war schon gut gefüllt und sorgte für erstes Gedränge auf den Stehplätzen im Gang. Natürlich wurde es im Verlauf der Fahrt noch voller. Die Zugbegleiterin zog es angesichts des Gedränges vor, ab Bautzen erst gar nicht mehr zu erscheinen und die Tageskarte abzukassieren. Wie gut, daß ich da schon eine Fahrkarte hatte; denn wie hätte ich sonst den vergünstigten Eintritt ins Museum erhalten sollen? Nachdem es schon in Bautzen so richtig eng geworden war, gab es in Pommritz einen kleineren Zwangs­aufenthalt. Was erdreisten sich auch die Bewohnerinnen und Bewohner dieses Dorfes, aus dem die Reisenden sonst eher getröpfelt kommen, gleich mit zehn oder noch mehr Frauen, Männern, Kindern und Fahrrädern das Angebot des ZVON auch wirklich nutzen zu wollen? Sie erhielten gleich einen realistischen Eindruck davon, welchen Stellenwert der öffentliche Regionalverkehr in der Oberlausitz besitzt. Auf Kante genäht und mitunter fernab der realen Bedürfnisse. [23]

Die vom ZVON veröffentlichte Bespannungs­übersicht verrät, daß auch nur ein Triebwagen durch den ZVON bestellt worden war; mehr ist Luxus, und das steht nur Iovi zu [24]. Erst in Görlitz wurde für die daran anschließende Rückfahrt an den einen ein zweiter Triebwagen angekuppelt. Noch auf meiner Rückfahrt am Nachmittag zeigte es sich, daß zwei Triebwagen an einem solch freundlichen Rumkommtag einfach zu wenig sind. Wie wäre es, Triebwagen auch dann in ausreichender Größe fahren zu lassen, wenn nicht gerade zufällig Dynamo Dresden zu Hause spielt?

So entdeckt dann die Bautzener Stadtverordnete Elisabeth Hauswald (CDU), daß zum Görlitzer Altstadtfest am 25. August die ODEG „nur einen Triebwagen zwischen Dresden und Görlitz bereit„ stellt. „Rappelvoll mit Menschen, Hunden, Kinderwagen und Fahrrädern.“ Tja, dumm gelaufen. Denn die CDU ist gewiß keine Partei, welche die Förderung des öffentlichen Personen­verkehrs konsequent betreibt. Und außerdem fährt kein ODEG-Triebwagen von Dresden, sondern erst ab Bischofswerda nach Görlitz. Aber das muß eine Autofahrerin ja auch nicht wissen.

Die Haltewunschtaste

Zu den erstaunlichen Gegebenheiten im sogenannten Ostsachsen­netz II, also den Strecken von Dresden nach Görlitz und Zittau, gehört es, an den kleineren Stationen die sogenannte Halte­wunschtaste zu betätigen. Diese Stationen gelten als Bedarfshalte, weshalb sich die Fahrgästinnen und Fahrgäste zum Einstieg rechtzeitig an der Bahnsteig­kante bemerkbar zu machen haben. Damit es nicht zu einfach für die Bahnreisenden wird, ist die Taste nur im Bereich des ZVON zu drücken; im Verkehrsverbund Oberelbe hingegen hält jeder Regionalzug von sich aus jederzeit und überall.

Was vielleicht einfach klingt, ist es nicht. Wer nur selten oder gar zum ersten Mal auf diesen Strecken unterwegs ist, also potentiell Neukundin oder Neukunde, geht im Triebwagen erst einmal auf die Suche nach den versteckten Knöpfen in der Kopfleiste unter den Gepäckablagen. Hat frau oder man sie gefunden, gar rechtzeitig gedrückt, geht das Rätseln los, ob das alles auch so wirklich funktioniert. Es sollen schon Haltewünsche ignoriert worden sein. Dies wird befördert, wenn Fahrgästinnen aufgrund einer fehlerhaft eingestellten Lautsprecher­anlage, einer Art Flüster­propaganda, im Zug nicht mitbekommen können, wann die Haltewunsch­taste eingefordert wird und wann nicht; so selbst erlebt am 2. September. Für Außenstehende noch konfuser wird es, wenn es am Bahnsteig darum geht, den Bedarfshalt zu einem echten Halt zu gestalten. Im Juli lief mir eine Frau über den Weg, die mich fragte, wo denn die Stoptaste für den sich nähernden Zug sei; und tatsächlich gibt es andernorts solch ein System. Im Juni saß eine Frau im Wartehäuschen und ging davon aus, daß so ein Zug halt hält, und war baß erstaunt, daß er einfach durchrauschte. Offensichtlich ist dieses Haltewunsch­unwesen weniger gut durchschaubar, als es sich die bürokratischen Strategen in ihren wirklichkeits­fremden Bürosesseln erträumen.

Mit der Einführung der Verstärkerlinie OE 60 V wurde dort auch das Konzept des Haltewunsches eingeführt, das mit dem Fahrplan­wechsel im Dezember 2017 auf die Trilex-Triebwagen ausgeweitet wurde. Nun mag es verständlich sein, nicht jeden Zug an jeder kleinen Station halten zu lassen, wenn ohnehin nur fallweise zu erwarten ist, daß eine oder jemand dort ein- oder aussteigen will. Dies mag der von Landrat Harig gewünschten Beschleunigung der Reisezeiten von und nach Görlitz dienlich sein, allein – der Fahrplan bleibt im Prinzip der gleiche. Ein wirklicher Sinn ist nicht zu erkennen. In gewisser Weise fungiert der Triebwagen­verkehr wie eine Art Überland­straßenbahn; und die hält eben auch dann in der Prärie, wenn keine und niemand das wünscht. Allenfalls lassen sich Verspätungen auf diese Weise aufholen; doch dies geschieht nur recht selten und kann daher nicht als Grund herhalten. Insofern scheint mir dies eine rein bürokratische Maßnahme zu sein. Kundinnen- und kunden­freundlich ist dies nicht.

So stellt sich die Frage, ab wie vielen unnötigen Halten eine Station zum Bedarfshalt degradiert werden kann oder soll. Hier ist der psychologische Effekr mitzubedenken, daß tatsächliche oder potentielle Nutzerinnen und Nutzer den Braten zu riechen scheinen, daß hiermit nur die zukünftige Auflassung der Station vorbereitet wird. Andererseits ist es durchaus berechtigt zu fragen, weshalb bei bestimmten Zugleistungen überhaupt die Haltewunsch­taste gedrückt werden muß, wenn der Zug erfahrungsgemäß ohnehin anhalten muß. Gibt es dazu Zahlen? Ich weiß nicht, ob der ZVON so etwas statistisch erfaßt; im Entwurf des Nahverkehrplans 2017 ist jedenfalls keine Aussage hierzu zu finden. So drängt sich der Verdacht einer willkürlichen Entscheidung auf.

Und so habe ich einfach einmal registriert, welche Züge halten und welche nicht. Da eine Rund-um-die-Uhr-Erfassung viel zu aufwendig ist, handelt es sich um eine Stuchprobe. Diese wird zudem dadurch beeinflußt, daß sich in Ferienzeiten andere Fahrtrelationen ergeben. Manchmal hält so ein Triebwagen auch nur, weil er zu früh angekommen ist und die Zeit bis zur fahrplanmäßugen Abfahrt „absitzen“ muß. Manchmal brettert er aber auch mit bis zu anderthalb Minuten „Verfrühung“ durch Seitschen ohne anzuhalten. Und manchmal hält er bloß deswegen, damit die Zugbegleiterin schnell die Triebwagen­einheit wechseln kann, denn der vom ZVON verkündete Service, in jedem Triebwagen sei nunmehr ein Zugbegleiter vorhanden, findet keine Entsprechung in der Praxis.

Durchfahrender Trilex.

Bild 15: Das Trilex-Doppel der Regionalbahn 74149. Die planmäßige Abfahrt ist um 19.23 Uhr. Oben rechts ist zu erkennen, daß die Bahnhofsuhr gerade von 19.21 auf 19.22 umspringt; aufgenommen im Juli.

Kommen wir also zur Stichprobe von Januar bis Juni 2018. Ausgewertet wird ein „Sample“, das aus den Abfahrten in Seitschen zwischen 12.01 und 19.23 Uhr an Montagen bis Freitagen besteht. Das sind insgesamt sechzehn Fahrten pro Tag. Theoretisch wären jeweils 124 Beobachtungen möglich gewesen. Bei einer Beobachtung in mindestens zwei Drittel all dieser Werktage ist die Datenlage wohl als ausreichend zu bewerten. Festzuhalten ist: insgesamt halten rund 80 % aller Züge. Das heißt im Umkehrschluß auch: in vier Fünftel aller Aufforderungen zur Aktivierung der Kundschaft, doch bitte die Halte­wunschtaste zu betätigen, ist dies vollkommen überflüssig!

Tabelle 1: Zughalte in Seitschen, an Montagen bis Freitagen zwischen 12 und 20 Uhr; Prozente gerundet.
AbfahrtRichtungUnternehmenBeobachtungenHalteProzent
12.01BischofswerdaODEG986869 %
12.30GörlitzODEG934346 %
12.35DresdenTrilex946165 %
13.23GörlitzTrilex835364 %
14.01BischofswerdaODEG897079 %
14.30GörlitzODEG827389 %
14.35DresdenTrilex877586 %
15.23GörlitzTrilex1018988 %
16.01BischofswerdaODEG969397 %
16.30GörlitzODEG938895 %
16.35DresdenTrilex959499 %
17.23GörlitzTrilex9191100 %
18.01BischofswerdaODEG875867 %
18.30GörlitzODEG966770 %
18.35DresdenTrilex967578 %
19.23GörlitzTrilex836072 %

Vermutlich werden sich die Zahlen in Demitz-Thumitz nicht wesentlich unterscheiden. Wir ersehen daraus auch, daß zu den „Stoßzeiten“ des Pendlerinnen- und Pendlerverkehrs so ziemlich jeder Zug anhalten muß und es somit keines Drucks auf die Haltewunsch­taste bedarf. Aggregiert sehen die Zahlen so aus:

Tabelle 2: Zughalte in Seitschen aus Tabelle 1, verschiedene Aggregate.
AbfahrtRichtungUnternehmenBeobachtungenHalteProzent
12-13  36822561 %
14-15  35930786 %
16-17  37536698 %
18-19  36126072 %
 Bischofswerda und Dresden 74259480 %
 Görlitz 72156479 %
  ODEG73356076 %
  Trilex73059882 %
allealleODEG und Trilex1463115879 %

Zweifellos mögen die Zahlen zu anderen Zeiten an anderen Tagen anders aussehen. Fahrtfrequenzen in Tagesrandlagen sind eben andere als zu den Hauptverkehrs­zeiten. Dennoch hätte ich jetzt gerne einmal begründet, weshalb das Drücken der Haltewunsch­taste am Nachmittag und frühen Abend erforderlich ist; außer vielleicht, „weil sie da ist“ und „weil wir das schon immer so gemacht haben“.

Zwei Verkehrsverbünde und eine Oberleitung

Die Triebwagen, die von Görlitz oder Zittau nach Dresden fahren, durchfahren zwei Tarifverbünde. Im Osten der ZVON und im Wesren der VVO. Der ZVON setzt auf eine kilometer­abhängige Preisgestaltung, der VVO auf Tarifzonen. Der Bautzener CDU-Landrat Michael Harig steht beiden Verkehrsverbünden vor, und frau fragt sich, wie er diese drei Jobs parallel erledigen kann. Jedenfalls strebt er das Zusammenlegen beider Verkehrs­verbünde an, doch die Stadt und der Landkreis Görlitz fürchten, dabei abgehängt zu werden. Daher gibt es derzeit das Kuriosum, daß man entweder eine Zeitkarte in einem speziell entwickelten Übergang­starif ersteht oder für eine Einzelfahrt auf den Regionaltarif der Deutschen Bahn ausweichen muß, die mit Ausnahme einzelner Triebwagen­fahrten nach Polen ja überhaupt nicht involviert ist. Das Katzensprung­ticket ist hier ein Unterkuriosum der ganz eigenen Art, durchaus nützlich, aber beim Erwerb voller Tücken.

Dieser Mißstand soll nunmehr geändert werden, bevor sich Michael Harig quasi zur Belohnung seiner guten Taten als geschäfts­führender Präsident des Ostdeutschen Sparkassen­verbandes mit einem Jahressalär von rund einer halben Million Euro verabschieden kann. Nun ist er nicht der einzige Bewerber für diesen doch recht lukrativen Job; auch den Leipziger Oberbürger­meister Burkhard Jung von der SPD reizt der pekuniäre Odem. Was beide für diese Aufgabe so ganz besonders qualifizieren mag, soll hier nicht interessieren; ohnehin geht es dabei mehr um Parteibücher und politische Einflußnahmen als um finanz­technische Qualifikation. [25]

Ob der Beitritt des ZVON zum VVO für die Fahrgästinnen und Fahrgäste in der Oberlausitz wirklich ein Gewinn ist, ist schwer vorauszusehen. Unwahrscheinlich ist es, daß hier große Synergieeffekte entstehen, und noch unwahr­scheinlicher ist es, daß der neue große Verkehrsverbund die Preise senkt, eher das Gegenteil. Doch eine Zielgruppe sieht sich schon als Gewinner; es ist die Fanbasis des Dresdener Fußball-Zweitligisten Dynamo. Dessen Fans fallen jedoch nicht nur durch unappetitliche Rituale in Trilex-Triebwagen auf, sondern auch durch recht ähnlich versprühte Duftmarken an Häuserwänden. Am 7. oder 8. September nutzte eine örtliche Kleingruppe eine Spielpause ihres Vereins, um sich auf der Granitmauer zum ehemaligen Seitschener Restaurations­gebäude neben dem Bahnhof zu verewigen. Sie nennen sich Brutalfans und Hools und erwarten natürlich, daß ihre gute Gesinnung durch Freifahrten mit dem Zug belohnt wird. Denn die Eintrittskarte gilt bislang nur im VVO als Freifahrt­schein. Allerdings frage ich mich dann schon, wer das Privatvergnügen dieser Fans bezahlen darf, wenn extra für dieselben auch zusätzliche Triebwagen bereitgestellt werden. Das wären nämlich zum einen all die anderen Fahrgästinnen, die weder mit Hools noch mit Brutalfans etwas zu tun haben wollen, und zum anderen der oft zitierte Steuerzahler, aus dessen Abgabe die Regionalisierungs­mittel stammen, die den Einsatz von Triebwagen zur kostenlosen Verfußballung erst ermöglichen. Doch vermutlich steckt ein Konzept dahinter. Die einen bekommen für 200 Millionen Euro ihr schnelles Breitband-Internet, um sich mit dümmlichen Seifenopern, Netflix- oder Amazon-Angeboten ihren Denkapparat zukleistern zu lassen, und die anderen dürfen dann kostenlos sich andernorts die Birne zudröhnen. Vom zugehörigen Vorglühen habe ich ja weiter oben schon geschrieben. [26]

Während über die Zukunft der beiden Verkehrsverbünde erst noch zu entscheiden wäre, gibt es eine Seitendiskussion zur schon lange ins Auge gefaßten Elektrifizierung der Hauptbahn von Dresden über Bautzen nach Görlitz. Hierzu laufen seit einigen Jahren vom Freistaat bezahlte Planungen, die bislang mit zehn Millionen Euro Steuergeldern veranschlagt sind. Und so verwundert es nicht, daß die Initiatoren dieser Investition auch eine Rendite sehen wollen, soll heißen: die Aufnahme in den vordringlichen Bedarf des Bundes­verkehrswegeplans. Derzeit ist es noch so, daß das Verkehrsministerium allenfalls einen „potentiellen Bedarf“ sieht; und realistisch betrachtet ist es genau dies: ein Potential, also eine Art Chimäre. Deshalb kursieren seit Jahren abenteuerlichste Vorstellungen dazu, weshalb eine Elektrifizierung geboten sei: mal ist es eine Güterzug­magistrale, mal eine internationale Fernverkehrs­trasse, mal eine S-Bahn, aber so richtig konkret wird der Nutzen nie benannt. Dazu bedarf es Zahlen, die mehr sind als das Produkt der eigenen Phantasie. Vorstellen kann ich mir hierzu auch schöne Dinge, etwa einen Halbstundentakt für alle Stationen mit gut erschlossenem Hinterland durch perfekt angepaßte Busse in die Nachbarschaft und Parkflächen, die mehr sind als Matschlöcher, wenn es zufällig mal wieder geschüttet hat. Nur die Realität, die sieht halt anders aus.

Am 3. September bedient Zeitungsredakteur Jens Fritzsche die Elektrifizierungs­kampagne zugunsten der Dresden-Görlitzer Eisenbahn. Er stellt gleich mehrere Gründe heraus. [27]

Erstens brauche die überlastete Autobahn von Dresden nach Polen eine starke Alternative auf dem Schienenweg. Aktuell, so meint er, gebe es nur eine einzige elektrifizierte Strecke von Sachsen nach Polen und Tschechien. Nun benötigt so ein Güterverkehr nicht notwendig Elektrizität. Jahrzehntelang haben Dampfloks und Diesel­lokomotiven dieses Geschäft durchaus erledigt bekommen. Zudem dürfen wir uns fragen, weshalb all die Jahre seit der Wende der Güterverkehr auf der Bahn zurückgedrängt und auf die Straße verlagert wurde. Das lag nicht an der mangelnden Elektrizität, das lag an politischen Weichenstellungen. Mit der euphemistisch Bahnreform genannten Politik seit 1994 hat die Deutsche Bahn nichts unversucht gelassen, eine funktionsfähige Infrastruktur zu zerbröseln. Die Herren Mehdorn und Grube waren hier nur die Spitze eines breit aufgestellten Eisbergs. Der sogenannte Brandbrief des jetzigen Bahnchefs Richard Lutz ist ja nur das Eingeständnis, daß die (durchaus politisch gewollte) Zerschlagung der früheren Infrastruktur sich desaströs auswirkt. An den von Anfang an anvisierten Börsengang ist deshalb wohl nicht zu denken; und vielleicht liegt genau darin das Problem. Festzuhalten ist jedoch, daß der Güterverkehr auf der Schiene parallel zur Autobahn A 4 schon längst möglich gewesen wäre, aber von den Verantwortlichen nie gewollt wurde. Weshalb sollte es nun einen Sinneswandel geben, nur weil eine Strippe über den Schienen hängt? Was ändert sich dadurch? Zumal Ende 2018 die runderneuerte zweigleisig elektrifizierte Güterzug­strecke von Halle, Leipzig und Dresden über Hoyerswerda und Horka nach Polen in Betrieb gehen wird. Es gibt demnach diese Alternative, und diese benötigt keine zweite, parallel verlaufende Magistrale. Weshalb verschweigt uns Jens Fritzsche dies? Sollen wir tatsächlich zehn oder noch mehr Jahre darauf warten, daß endlich die Oberleitungs­masten auch zwischen Dresden und Görlitz stehen, obwohl die Strecke über Horka den Bedarf locker abdeckt, also gar kein zusätzlicher Bedarf besteht? Sein erstes Argument ist demnach wertlos.

Zweitens werde die Industrie langfristig stärker über die Schiene beliefert werden. Zwar setzen derzeit Industrie und Gewertbe weiterhin auf den Schwerlast­verkehr auf der Straße. „Das wird sich unter dem Druck der Energiewende sicher in Richtung Zug verschieben, es braucht also elektrifizierte Strecken.“ Sein Wort von der Energiewende hören wir gerne, doch die Praxis sieht doch gänzlich anders aus. Die Automobillobby mauschelt in trauter Eintracht mit den entsprechenden Ministerien ihre Abgasschummelei aus. Die rollenden Lager auf der Autobahn sind konkurrenzlos billig, weil die Fahrer derart mies bezahlt werden, daß sie jede Menge Überstunden kloppen müssen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Dies zu ändern, wäre die effektivste Maßnahme zur Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Daran hat jedoch weder die Politik noch die Wirtschaft ein Interesse. Statt dessen werden sogar neue kuriose Mastenwälder entlang der bestehenden Autobahnen errichtet, um die E-Mobilität ja nicht auf die Schiene bringen zu müssen. Die bewährte Technologie ist da, aber sie ist nicht wirklich gewollt.

Ohnehin wird die Förderung alternativer Energien sukzessive zurückgeschraubt. Werden etwa die klimaschädlichen Braunkohlen­reviere dichtgemacht? Ganz im Gegenteil. Im Hambacher Forst fallen die Bäume und in der Oberlausitz gibt es Bestandsgarantien. Und ganz nebenbei: aus welcher Energiequelle wird denn der elektrische Strom auf einer Strecke von Dresden nach Görlitz gewonnen werden? Etwa aus … Braunkohle? Weiter: Es mag ja sein, daß für den Bombardier-Chef Michael Fohrer eine elektrifizierte Strecke nach Dresden ganz nützlich ist, um Lokomotiven und Wagenkästen effizienter zu transportieren. Das geschieht derzeit mit einer Diesel­lokomotive, und es funktioniert offensichtlich ganz gut. Sollen wir deshalb eine dreistellige Millionensumme verplanen, nur damit ein lokaler Betrieb einen kleinen Kostenvorteil erlangt und selbigen als Gewinn­mitnahme in die Firmenzentrale nach Kanada abführt? Auch dieses Argument ist ziemlich schwacht auf der Brust.

IC-Doppelstockzug.

Bild 16: Eine Diesellokomotive der Havel­ländischen Eisenbahn bringt am 13. Juni einen IC-Doppel­stockzug von einer Testfahrt zurück nach Bautzen.

Drittens, so fährt der Redakteur fort, werde auch in der Region eine moderne Infrastruktur benötigt. Immer mehr Menschen, so wurde ihm von „Experten“ gesagt, werden mit ihrem Computer von zu Hause aus arbeiten können. Das flache Land werde somit attraktiver, und man dürfe es deshalb nicht abhängen. Tja, und weshalb hat man bislang eigentlich nichts dafür getan? Die Verödung der Oberlausitz, die in den fast drei Jahrzehnten CDU-Herrschaft stattfand, wird doch allenthalben beklagt; am besten jammern ja die Geschäftsleute in Bautzen. Weshalb hat man dann eine vorhandene Schienen­infrastruktur mutwillig zerschlagen, wie etwa (komplett) die Eisenbahn von Bautzen nach Hoyerswerda oder (partiell) von Löbau nach Zittau? Schon jetzt ist man mit den Bussen angesichts einer überlasteten Straße an dem Punkt angelangt, wo man die Bahn nach Hoyerswerda wieder gut gebrauchen könnte. Aber es wird nichts gemacht! Landrat Michael Harigs Parole lautet nämlich: mehr Straßen. Mehr noch: unter seiner Ägide wird ein Nahverkehrs­plan veranbschiedet, der erhebliche Nachteile für alle kleineren Stationen entlang der Bahnstrecke von Bischofswerda nach Görlitz bringen wird. Faktisch heißt das, daß nicht nur sonntags, sondern an allen Tagen tagsüber der Zug nur noch alle zwei Stunden halten wird; wenn er nicht ohenhin wieder einmal ausfällt. Das ist doch nur Wortgeklingel, was uns Jens Fritzsche serviert – die Realität geht doch jetzt schon in eine andere Richtung. Die Elektrifizierung wird die Verödung des „flachen Landes“ nur verstärken. Insofern taugt auch dieses Argument nicht.

Warum schreibt er nun diesen Artikel? Er reiht sich ein in die Phalanx all derer, die mit den unwahr­scheinlichsten Argumenten versuchen, den Bundes­verkehrswegeplan zu beeinflussen. Mal ist es eine Phantasie-S-Bahn, mal eine besonders gefragte Magistrale Prag-Dresden-Wrocław, mal eine Güterverkehrstrasse, die ohnehin zum Jahresende ein paar Kilometer weiter nördlich bereitsteht, und mal sind es Industriebetriebe, die nur darauf warten, daß die Elektrizität zu ihnen kommt. Ernsthaft? Der Bürgermeister von Kodersdorf hat doch gezeigt, daß ein Bahnanschluß auch mit Diesel läuft; und hat Jens Fritzsche etwa MORA-C vergessen, also die gezielte Zerschlagung örtlicher Güter­infrastruktur kurz nach der Jahrtausend­wende? Gerade erst wurden die Gleisanlagen in Seitschen und Pommritz amputiert, und da ist die Rede von Ausbau? Wie weltfremd ist das denn?

Zusammengefaßt: ein weiterer netter Versuch, die Dringlichkeit einer nicht wirklich benötigten elektrifizierten Eisenbahn zu verkaufen. Bleibt die Frage: cui bono? Weshalb ist für manche Kreise die Elektrifizierung so wichtig, daß sie nicht ihnen gehördende zehn Millionen Euro in eine Planungsstudie stecken? Wer soll später davon auf Kosten der Allgemeinheit profitieren? Diese Frage gilt es, zukünftig näher zu untersuchen.

Fabienne und mehr

Für Sonntag, den 23. September, war ein Sturmtief namens Fabienne angesagt. Während es andernorts Bäume knickte, Autos verschob und Dächer abdeckte, war es in der Oberlausitz bemerkenswert ruhig. Vergleichsweise jedenfalls. Nichtsdesto­trotz ließ die Länderbahn über die Sächsische Zeitung verkünden, ihren Zugbetrieb von Dresden nach Görlitz und Zittau vorsichtshalber am Abend einstellen zu wollen. Das hinderte den Betreiber nicht daran, einzelne Triebwagen auf die Strecke zu schicken. Die Reisenden dürften erfreut gewesen sein. Aber warum dann vorab so eine Panikmache? Obwohl – auf der Sächsischen Städtebahn von Dresden nach Kamenz kollidierete bei Pulsnitz mal wieder ein Triebwagen mit einem Baum. Vielleicht sollte der Netzbetreiber bei herannahenden Stürmen grundsätzlich vor jedem Triebwagen eine Ludmilla als Rammbock vorschicken.

Fabienne rauschte vorbei. Unsinnige Informationen bleiben. Am 28. September kam aus welchem Grund auch immer der um 14.01 Uhr fällige zweiteilige Regioshuttle der ODEG zwanzig Minuten zu spät durch Seitschen. Da er in Bischofswerda während seiner Wende den Regionalexpreß nach Görlitz vorlassen mußte, sammelte er auf der Rückfahrt zusätzliche zehn Minuten Verspätung an. Damit war klar, daß er aufgrund der engen Fahrplan­gestaltung keineswegs pünktlich um 16.01 Uhr auf seiner nächsten Tour erscheinen würde.

Um 15.55 Uhr wurden die Fahrgästinnen und Fahrgäste durch eine krächzende Stimme aus dem Lautsprecher und durch die Laufschrift auf dem Infotainment von Gleis 1 darauf hingewiesen, daß der Zug der ODEG mit fünfzehn Minuten Verspätung eintreffen würde. Grund sei eine „Verspätung aus vorheriger Fahrt“. Parallel dazu informierten Lautsprecher und Laufschrift auf Gleis 2 darüber, daß die Rückleistung um 16.30 Uhr „leider“ ausfallen würde. „Wir bitten um Entschuldigung.“ Es hatte den Eindruck, daß irgendwer in der Leistelle ziemlich willkürlich einige Tasten zum Abspulen von Textbau­steinen gedrückt hatte, denn von den beiden Angaben konnte eine nicht stimmen. Und tatsächlich erschien der Regioshuttle, wie zu erwarten war, weder um 16.01 Uhr, noch um 16.16 Uhr, sondern gar nicht. Auf Gleis 2 warteten deshalb zwei Fahrgäste eine Stunde bis zur Fahrt des Folgezuges. Der immerhin kam pünktlich. Schienersatz­verkehr gab es natürlich nicht. Zur Optimierung selbst eingebrockter Verspätungen aufgrund wegoptimierer Puffer werden die „Beförderungsfälle“ sich selbst überlassen. So, lieber ZVON, gewinnt man Freundinnen und Freunde fürs Leben. Oder auch nicht. [28]

Tags darauf ein ähnliches Spiel. Am 29. September, einem Samstag, fuhr der ODEG-Triebwagen pünktlich um 12.30 Uhr durch Seitschen und nahm einen Fahrgast mit. In Bautzen wurde der Zug auf Gleis 3 umgeleitet und stand etwa zehn Minuten herum. Anschließend tuckelte der Triebwagen gemächlich nach Pommritz; und wenn er mit der gleichen Geschwindigkeit bis Görlitz geschlichen ist, dann ist es wenig verwunderlich, daß die ODEG-Halte in Seitschen um 14.01 und um 14.30 Uhr ersatzlos ausgefallen sind. Nur der Leitstelle hat das wohl keine und niemand richtig mitgeteilt. Kurz vor zwei behaupteten nämlich Ansage und Laufband, der Triebwagen, der um 14.01 Uhr nach Bischofswerda fahren sollte, käme 25 Minuten später wegen der berüchtigten Verspätung aus vorheriger Fahrt. Das waren dann Fake News.

Am 30. September hatte Dynamo Dresden ein Heimspiel. Diesmal durften sich die vor allem männlichen Fans um 10.35 Uhr in einen einzelnen schon gut gefüllten Triebwagen hineinquetschen; eine Frau mit Fahrrad wurde gar nicht erst mitgenommen. Der Regionalexpreß hingegen, der um 16.50 Uhr durch Seitschen nach Görlitz rauscht, war außerplanmäßig auf drei Einheiten verstärkt worden.

Neues zum Fahrplanwechsel

Wir erinnern uns: bei der Ausschreibung für das Oberlausitzer Ostsachsennetz II hatte sich die neugegründete Deutsche Bahn Start Ostsachsen GmbH gegen den bisherigen Zugbetreiber Länderbahn/Trilex durchgesetzt. Auf den Einspruch der Länderbahn hin landete die Angelegenheit vor der Vergabekammer des Freistaates Sachsen. Diese entschied Anfang November zugunsten der Länderbahn mit der Begründung, die Bahntochter erfülle nicht einmal die Eignungs­anforderungen. Eine nähere Erläuterung, weshalb die Bahntochter abgebügelt wurde, erfuhr die interessierte Öffentlichkeit nicht. Fristgerecht reichte die Bahntochter Beschwerde beim Oberlandes­gericht Dresden ein, womit die Angelegenheit weiterköchelt. Der in der Ausschreibung vorgesehene Beginn der Laufzeit des neuen Vertrages zum Dezember 2019 dürfte wohl nur dann zu halten sein, wenn auch hier zugunsten der Länderbahn entschieden wird.

Um den Vorgang zu verkomplizieren, kündigte Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig an, die Leistungsvergabe für den öffentlichen Personen­verkehr den bisherigen Zweckverbänden wegzunehmen und einer neuzugründenden Landesverkehrs­gesellschaft zu übertragen. Wollen VVO, ZVON und der tschechische Kreis Liberec die Vergabe noch in eigener Regie entscheiden, müssen sie bald handeln. Eine eventuell notwendige Neuausschreibung würde allerdings alle Pläne über den Haufen werfen. [29].

Am 9. Dezember trat der neue Jahresfahrplan 2018/19 in Kraft. Er brachte für den Verkehr zwischen Dresden, Görlitz und darüber hinaus einige Änderungen.

Die Brückenbaustelle westlich von Bischofswerda wurde rechtzeitig fertiggestellt, so daß zwischen Schiebock und Arnsdorf wieder zweigleisig gefahren werden kann. Dadurch ändern sich die Trassen der Regionalbahnen geringfügig. Dies hat zur Folge, daß der Schaukeltakt von Görlitz nach Bischofswerda von Montag bis Samstag etwas extremer ausfällt. Fuhr beispielsweise in Seitschen der Triebwagen der ODEG um 10.01 Uhr Richtung Dresden, der nachfolgende Trilex-Triebwagen um 10.35 Uhr und die nächste ODEG-Leistung um 12.01 Uhr, so lauten die nunmehrigen Fahrzeiten 10.01 Uhr, 10.28 Uhr und 12.01 Uhr. Wir ahnen schon, was passiert, wenn die Verstärker der ODEG Verspätung aufsammeln. Dann fahren zwei Bahnen im Blockabstand und dann lange Zeit gar nichts. So sieht intelligente Verkehrspolitik im ländlichen Raum aus, egal ob mit Strippe oder ohne. Hauptsache, die Fahrgästinnen werden verarscht und die Wagenumläufe werden minimiert. Das habe ich mir nicht ausgedacht, denn es kam sofort, wie es kommen mußte. Am 17. Dezember verkündeten zunächst Laufschrift und Blechelse, daß der Verstärkerzug um 10.01 Uhr mit erheblicher Verspätung eintrudeln würde. Als Grund wurde eine Störung an einem anderen Zug angegeben. Er kam dann auch um 10.23 Uhr, zehn Minuten später gefolgt vom nach Dresden verkehrenden Trilex-Triebwagen. Danach die üblichen neunzig Minuten gähnende Leere. Ganz abgesehen von dem angegebenen Grund für die Verspätung ist eine derartige Fahrplan­gestaltung mindestens hirnrissig und fördert garantiert den Umstieg vom Auto auf die Bahn.

Auf der polnischen Seite liegt der Fahrdraht nunmehr zwischen Węgliniec und Wrocław, so daß die Güterzüge auf der neuen Magistrale von Halle über Hoyerswerda zur polnischen Grenze innerhalb Polens ohne Umspannen weitergeleitet werden können. Zwei Monate vor dem anstehenden Fahrplan­wechsel sah es Oktober 2018 noch so aus, als stünde der Dresden-Breslau-Express wieder einmal vor dem Aus. Ob der laufende Vertrag verlängert werde, stand noch nicht fest. Dabei drängte die Zeit. Dabei ging es nicht nur ums Geld, sondern auch um die Traktionsart. Die polnische Seite wollte nachvollziehbar keine Dieselstinker mehr unter ihrem Fahrdraht dulden.

„Der 2009 gestartete Zug ist von Anfang an ein Zuschuss­geschäft für beide Seiten. Deshalb blieb er 2015 schon einmal für rund neuen Monate auf dem Abstellgleis. Nach harten Verhandlungen fanden der Freistaat Sachsen und die Woiwodschaft Niederschlesien schließlich doch eine Möglichkeit, um den Regionalexpress weiter zu finanzieren.“

„Nach SZ-Informationen will Polen die grenz­überschreitdenden Diesel­triebwagen nur noch bis Wegliniec (Kohlfurt) fahren lassen. Dort sollen Fahrgäste umsteigen in polnische Elektro-Triebzüge nach Breslau. Diese sind schneller, komfortabler und umwelt­freundlicher unterwegs. Selbst wenn in Wegliniec eine zehnminütige Umsteigezeit eingeräumt würde, wären die Elektrozüge rund zehn Minuten früher in Breslau als der durchgehende Diesel­triebwagen.“ [30]

Bald darauf kommt die Entwarnung. Der Express fährt weiter. Einen Monat später liegen der Zeitung die neuen Fahrpläne vor (oder einfach nur die ungeprüften Zahlen der Veranstalter), und der Zug ist weiter drin. Nur eben geteilt.

„Trotz des Umstiegs soll sich die Gesamt­reisezeit um bis zu zwölf Minuten verkürzen, so der Zvon.“[31]

Schauen wir uns die verkündete Fahrzeitverkürzung einfach etwas genauer an und vergleichen die Fahrzeiten vom Januar 2018 mit denen vom Januar 2019.

Tabelle 3: Fahrzeiten­vergleich für die Gesamtstrecke von Dresden nach Breslau. Quelle: die jeweiligen Fahrplanseiten der beteiligten Verkehrs­unternehmen.
2017/18 2018/19
FrühzugMittagszugAbendzug FrühzugMittagszugAbendzug
6.0812.0818.08Dresden Hbf6.0812.0818.08
888Anzahl der Zwischenhalte888
7.2613.2619.26Görlitz an7.2513.2519.25
7.3313.3319.33Görlitz ab7.3313.3319.33
454Anzahl der Zwischenhalte444
8.0114.0320.01Węgliniec an8.0014.0020.00
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Wir sehen: ob frau oder man schneller von Dresden nach Breslau kommt, hängt ganz davon ab, welcher Zug genommen wird und wie dessen Fahrplan gestaltet ist, und weniger davon, ob gedieselt oder elektrisch gefahren wird. Zwar legen es die Fahrzeiten auf polnischer Seite nahe, daß die Elektrotraktion tatsächlich einen Gewinn von einigen Minuten bringt. Andererseits wurde zum Fahrplan­wechsel beim Frühzug der Aufenthalt in Legnica um vier und in Bolesławiec (Bunzlau) um eine Minute gekürzt, so daß der reale Fahrzeitgewinn durch elektrischen Betrieb zwischen Wďgliniec und Wrocław auf fast die Hälfte schrumpft. Der Mittagszug hingegen behält weitgehend seinen Bummelcharakter bei, mehr noch, ab Węgliniec hält er nun an wirklich jeder Milchkanne [32]. Wenig erstaunlich ist es dann, daß diese Verbindung sogar sechs Minuten langsamer geworden ist. Dies verrät uns der Redakteur der Sächsischen Zeitung vorsichtshalber nicht, weil sich dann ganz andere Fragen auftun. Warum wird der Zug auf polnischer Seite nicht bestmöglich beschleunigt, wenn es sich doch um eine soooo wichtige Relation handelt? Offensichtlich sieht frau und man das in Polen anders und vor allem viel realistischer.

Im übrigen könnte derselbe Fahrzeitgewinn auch auf deutscher Seite realisiert werden, ohne dafür einen einzigen Masten zu setzen, von der Ausgabe mehrerer hundert Millionen Euro ganz zu schweigen. Der aktuelle Fahrplan verrät uns nämlich, daß die – auch als „Expreß“ zum Einsatz kommenden – Desiros zwischen Bischofswerda und Görlitz als Regionalbehnen vier Minuten langsamer unterwegs sind als die als Verstärker eingesetzten Regioshuttles. Abends, wenn die Dunkelheit das Elend verhüllt, gibt es einen anderen interessanten Vergleich. Der Desiro-Regionalexpreß (Görlitz an 21.25 Uhr) benötigt von Bischofswerda nach Görlitz 42 Minuten. Das in Seitschen nicht haltende ODEG-Regioshuttle (Görlitz an 23.02 Uhr) benötigt nur zwei Minuten mehr, obwohl vier weitere Halte vorgesehen sind! Soll heißen: es hängt vom bestellten und bezahlten Wagenmaterial ab, wie schnell gefahren werden kann, und da ist man auf deutscher Seite gerne knausrig. Es sei denn, aus Berlin werden warme Millionen versprochen. Da kippt gleich die Stimmung, Jubelarien werden verfaßt, ohne daß nach Sinn und Unsinn auch nur ansatzweise gefragt wird.

Eine Milliarde Euro Spielgeld zu verballern

Anfang November zeigten sich die Erfolge der geduldigen und um manch absurdes Argument nicht verlegenen Lobbyarbeit Sachsens bei der berliner Politik. Das Bundesverkehrs­ministerium konnte nicht erkennen, weshalb die Magistrale von Dresden nach Görlitz derart wichtig ist, um sie in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrs­wegeplans hochzustufen. Selbst­verständlich kann man und frau die durchaus politisch motivierten Kriterien anzweifeln. Da wird für Frankfurt urplötzlich eine Tunnellösung quer durch die gesamte Innenstadt aus dem Hut gezaubert, die nicht einmal Frankfurter Insidern vorher bekannt war. Die Tunnel­baulobby hat gut vorgearbeitet, ohne daß bislang auch nur eine halbwegs seriöse Nutzen-Kosten-Untersuchung vorgelegt werden kann. Ähnlich erfolgreich war die Tunnel­baulobby bei der Realtion von Dresden nach Prag. Und vielleicht wäre auch die Görlitzer Strecke in den Genuß einer Hochstufung gekommen, hätte man eine Planung vorlegen können, das Granitmassiv unter der Lausitz zu untertunneln. So hingegen …

Doch mit der sachlich durchaus gerechtfertigten Ablehnung der Hochstufung wurde ein Pfefferminzbonbon verteilt. Die berliner Politik hat sich ein neues Finanzierungs­instrument ausgedacht, um die E-Mobilität auf der Schiene zu fördern. Zwar sieht sie keinen wirklichen Bedarf in einem Streckenausbau von Cottbis nach Görlitz und von Görlitz nach Dresden, aber das, was den Ausbau nicht lohnt, soll wenigstens unter Strom gesetzt werden. Nur, um es vorwegzunehmen: deswegen fährt nicht ein einziger zusätzlicher Zug, weder für Personen noch für Güter. Alles, was bislang hierzu herbei halluziniert wurde, ist nicht mehr als ein Luftgebilde.

Jedenfalls sollen nun, vorbehaltlich eines Beschlusses des Bundestages, zur Anbindung von Görlitz an die weite Welt über 800 Millionen Euro ausgegeben werden. Während der 26 Kilometer lange Tunnel südlich von Dresden grob mit anderthalb Milliarden Euro taxiert wird, sollen 513 Millionen Euro in die Verstromung der Relation von Dresden nach Görlitz und weitere 308 Millionen Euro in den Lückenschluß von Görlitz nach Cottnus fließen. Diese 821 Millionen Euro werden gewiß nicht das letzte Wort sein, denn Bauprojekte in Deutschland zeichnen sich dadurch aus, daß sie zuvor schöngerechnet worden sind, um gefördert und beschlossen zu werden. Die erlogenen Zahlen zu „Stuttgart 21“ sind hierfür das beste Beispiel. Gehen wir also realistisch von einer Milliarde Euro aus, deren wirkliche Nutznießer vorwiegend in der Bau- und Elektrizitäts­wirtschaft sitzen werden. [33].

Und jetzt stellen wir uns alle einmal vor, was für einen exquisiten Personenverkehr der ZVON mit derart viel Geld auf die Beine stellen könnte, um die Oberlausitz attraktiv zu gestalten. Er könnte, um bei der Bahn zu bleiben, umgehend halbstündlich Expreßzüge und Regionalbahnen zur Entlastung der zugestauten Autobahn A 4 verkehren lassen, die teilweise maroden Stationen als attraktive Park-and-ride-Plätze herrichten oder regelmäßig verkehrende Zubringershuttles für die vernachlässigten kleinen Ortschaften einrichten. Doch daran besteht kein Interesse. Denn die politischen Größen der Oberlausitz wollen nur eines: mehr Straßen und breitere Autobahnen. Insofern ist das Getöse um eine Region, die von attraktiven, schnellen elektrischen Zügen abgeschnitten ist, nur hohles Gerede. [34]

Nebenbei: der erste Elektrotriebwagen wird nicht vor 2029 durch Seitschen fahren. Dies hat die Deutsche Bahn in einem internen Papier festgestellt. Bis dahin werden wir vertröstet, während Andere am irgendwann beginnenden Bau sich eine goldene Nase verdienen. Und genau um diese Nase geht es bei dem Elektrifizierungs­programm. Damit dieses Vorhaben auch gemächlich voranschreitet, hat der sächsische Landtag eine weitere Million Euro für nicht näher bezifferte zusätzliche Planungsphasen in den Landeshaushalt 2019/20 eingestellt. Ich bin jetzt schon gespannt, welche Phantasmata diese „Planung“ aus dem Hut zaubert. [35]

Während der Bautzener CDU-Landtags­abgeordnete Marco Schiermann sich eine Elektrifizierung bis 2026 erträumt und Bautzens Oberbürger­meister Alexander Ahrens gar eine vollkommen unrealistische Umsetzung bis 2022 einfordert, ist die linke Bundestags­abgeordnete Caren Lay immerhin realistisch genug, eine Elektrifizierung in den kommenden fünfzehn Jahren nicht zu erwarten. Und dann schwafelt sie sinnbefreit drauflos:

„Für die Lausitz ist das ein fatales Zeichen: sie ist und soll weiter abgehangen bleiben. Nur eine Elektrifizierung der Strecke würde Fernzug­verkehr und eine weitere Taktverdichtung ermöglichen, um bessere Pendelbeziehungen herzustellen. Die ist nun weiter auf Jahre nicht in Sicht.“ [36]

Für Pommritz, Kubschütz, Seitschen und Demitz-Thumitz ist es vollkommen einerlei, ob ab Dezember 2019 tagsüber keine Diesel­triebwagen oder keine Elektro­triebwagen als Zwischentakter mehr halten. Alle zwei Stunden ein Zug bedeutet schon jetzt, abgehängt zu werden. Und glaube keine und niemand, an dem Zustand werde sich nach einer Elektrifizierung auch nur irgendetwas ändern. Eine Taktverdichtung muß aus den scharf begrenzten Regionalisierungs­mitteln finanziert werden; und die werden gewiß nicht üppiger fließen. Schließlich soll ja noch genügend Geld für weitere Straßen und Tunnel zur Verfügung stehen. Und wie viel zusätzlicher Fernverkehr ist realistisch zu erwarten, wenn schon jetzt der Breslauer Expreß ein Zuschuß­geschäft ist? Ein Zug pro Tag oder gar zwei? Und an wie vielen deutschen Milchkannen neben Bautzen und Görlitz soll er zur Förderung der Oberlausitzer Wirtschaft angehalten werden? Und dafür soll ernsthaft eine ganze Milliarde verballert werden?

Zum Jahresausklang

Der Fahrplanwechsel am 9. Dezember brachte eine weitere Neuerung, die mittelbar auf die Eisenbahn­strecke von Görlitz nach Dresden durchschlug. Die Eröffnung der Güterzug­magistrale von Halle über Hoyerswerda zur polnischen Grenze beendete den absurden Schienen­ersatzverkehr von Hoyerswerda nach Horka. Nach mehreren Jahren konnte die ODEG ihre Triebwagen­fahrten zwischen Görlitz und Hoyerswerda wieder aufnehmen. Offenkundig fehlte es deshalb auf einmal an ausreichendem Wagenmaterial. Zum Glück stellten sich die Auswirkungen als nicht so schlimm heraus, wie beim Fahrplan­wechsel in Sachsen-Anhalt. Dort sollte am 9. Dezember der Dienstleister Abellio das Dieselnetz Sachsen-Anhalt übernehmen. Vollmundig erklärte man noch am 30. November:

„Nach dreijähriger intensiver Vorbereitungs- und Mobilisierungsphase sind wir gut gerüstet, einen hochwertigen Service für unsere Fahrgäste zwischen Harz, Elbe und Börde anzubieten.“ [37]

Ja, man hatte die europaweite Ausschreibung mit dem wohl niedrigsten Preis gewonnen; und dieser Preis hatte einen Preis. Für die als hochwertig belobten neuen Diesel­triebwagen wurde an alles gedacht: WLAN, Infotainment, Berieselung mit belangloser Musik und dümmlichen Filmchen, ja sogar an barrierefreie Toiletten. Allein, es fehlte wohl an ausreichend motiviertem und bezahltem Fahrpersonal. Nach dreijähriger minutiöser Vorplanung konnte immerhin auf ausgewählten Strecken ein Schienen­ersatzverkehr angeboten werden. Hier zeigt sich, wohin europaweite Ausschreibungen führen. Der als Allheilmittel gepriesene Markt richtet die Vernunft zugrunde.

Ganz so schlimm kam es in der Lausitz dann doch nicht. Zwar wurde am 10. Dezember kein ODEG-Regioshuttle für die Zwischentakter zwischen Görlitz und Bischofswerda gesichtet. Aber immerhin konnte die zum selben Netinera-Konzern gehörende Trilex-Länderbahn mit einem Desiro aushelfen. Am 17. Dezember wurde sogar erstmals wieder ein ODEG-Desiro gesichtet, aber das war nur eine Eintagsfliege; tags darauf fuhren wieder die Triebwagen der Länderbahn. Am 24. Dezember erschien dann doch einmal wieder ein Regioshuttle; und wie es nach den Weihnachtstagen weitergeht, wird sich noch zeigen.

Regioshuttle.

Bild 17: Überraschung! Wenige Stunden vor dem scheinheiligen Geschenkeabend schaute dieser Regioshuttle in Seitschen vorbei.

Zwar scheint man bei der Länderbahn über ausreichend Triebwagen zu verfügen, doch mit dem Personal ist es manchmal zu knapp. Am 22. Dezember fielen mehrere Fahrten aus, unter anderem eine Ersatzleistung für die ODEG. Der Verstärkerzug, der Seitschen um 10.01 Uhr bedienen sollte, fiel ins Wasser. Zwei Fahrgäste, die sich schon auf die Mitnahme gefreut hatten, stiegen angesichts dieser Panne lieber aufs Automobil um. Tja, wieder einmal Fahrgäste vergrault. So sieht nämlich die Förderung des öffentlichen Personen­verkehrs fernab von Presse­verlautbarungen in der Praxis aus. Eine Station weiter, in Demitz-Thumitz, warteten gegen halb eins zwei Menschen aus dem Ort auf ihren Zug nach Dresden, vergebens. Sie hatten sich schon vorsorglich vorab ihre Fahrkarte organisiert, was sich nunmehr als Fehler herausstellen sollte. Sie hätten nämlich besser auf den bereitgestellten Ersatzbus warten sollen, der nach langer Fahrt aus Görlitz irgendwann auch einmal in Demitz eingetrudelt wäre. Wer jedoch einen Termin in Dresden hat, ist dann aufgeschmissen. [38]

Laut Jörg Puchmüller, dem Pressesprecher der Länderbahn, sei nur diese eine Zug ausgefallen. Was definitiv nicht zutrifft. Denn in Seitschen fuhr weder die ODEG-Ersatzleistung um 10.01 Uhr, noch der reguläre Zug um 10.28 Uhr, noch besagter Zug um 12.28 Uhr. Das Live-Fahrplan-Tool der Länderbahn meldete auch den Zug 26973 von Dresden nach Zittau als ausfallend. Wobei gerechterweise gesagt werden muß: die Ausfälle in der Oberlausitz halten sich in Grenzen. Andernorts ist es weitaus schlimmer. Aber darf das der Referenzmaßstab sein? – Apropos Personal: Vielleicht sollte auch in der IT-Abteilung der Länderbahn (oder deren Zulieferer) eine Informatikerin eingestellt werden, die ihr Handwerk versteht; bei den Jungs überkommen einen ja mitunter so manche Zweifel, so auch hier.

Fahrplanauskunft.

Abbildung 18: Fahrplanauskunft Trilex am 23. Dezember 2018.

Am 23. Dezember fährt ausweislich der Informationen der Trilex-Webseite um 0.18 Uhr ein Zug pünktlich von Bischofswerda nach, nun ja, Bischofswerda, und der ist sogar pünktlich! Ganz offensichtlich handelt es sich hierbei jedoch um den Zugteil des Triebwagens aus Dresden, der in Bischofswerda geflügelt wird; der erste Wagen fährt nach Zittau, der zweite nach Görlitz. Daß die verdoppelt angezeigte Abteilung nach Görlitz als zeitgleiche Parallelfahrt angekündigt wird, ist ein Unterkuriosum dieses Infotainments. Doch schauen wir uns den Zug 26929 etwas genauer an. Auch durch Ebersbach soll er pünktlich kommen, wenn auch der weitere Weg nicht nach Zittau, sondern … nach Bischofswerda führt. Wie ist das möglich?

Fahrplanauskunft.

Abbildung 19: Fahrplanauskunft Trilex am 23. Dezember 2018.

Des Rätsels Lösung ist offensichtlich ein internes Datenbank-Überlauf­phänomen, das bei Zügen auftreten kann, die nachts eine Datumsgrenze überschreiten. Betrachten wir das zugehörige Datum, dann sehen wir, daß hier noch der vor dreiundzwanzig Stunden von Bischofswerda abfahrende Zug enthalten ist. Da wurde, so sehe ich das, husch, husch, etwas zusammen­gestrickt, ohne es ausreichend zu testen.

Fahrplanauskunft.

Abbildung 20: Fahrplanauskunft Trilex am 23. Dezember 2018. Der letzte Halt, hier nicht abgebildet, wäre Bischofswerda.

Ich kenne Informatikerinnen, denen solch ein Pfusch schwer an die Berufsehre gehen würde; Jungs scheinen das lockerer zu sehen. Aber es zeigt auch die Wertschätzung, mit denen den Fahrgästinnen und Fahrgästen begegnet wird. Aufgeplusterter Multimedia-Schnickschnack, aber mit begrenztem Gebrauchswert. Solange alles fahrplanmäßig in den vorgegebenen Parametern verläuft, ist das Tool ja vielleicht brauchbar. Aber bei Verspätungen, Zugausfällen oder Datumsgrenzen ist frau oder man schnell aufgeschmissen. Manchmal liegt es allerdings auch am Kommunikations­fluß zwischen Strecke und Leitstelle. Da können schon einmal Züge auf dem Weg nach Görlitz als pünktlich ausgewiesen werden, die in Seitschen schon längst durchgefahren sein sollen, obwohl sie Bischofswerda noch gar nicht verlassen haben. Daß die allgemeine Abfahrtstafel auf der Trilex-Webseite mit dem anklickbaren realen Zuglauf nicht übereinstimmen muß, ist ein weiteres Unterphänomen im Bereich virtueller Inkonsistenz. [39]

Zum Jahreswechsel gab es nicht nur jede Menge Böller, sondern auch einen Knaller. Groß wurde in der Tagespresse verkündet, als Abschluß der Silvesternacht verkehre spät ein zusätzlicher Zug von Dresden nach Zittau und Görlitz. Nun, der Zugführer für den in Bischofswerda zu flügelnden Triebwagen nach Görlitz erkrankte und offenbarte, wie dünn gestrickt auch beim Trilex die Personaldecke ist. Wer also nicht mehr rechtzeitig mitbekommen hatte, daß schon die Züge nach Görlitz, Seitschen ab 21.25 Uhr, und wieder zurück nach Dresden, Seitschen ab 23.28 Uhr, ersatzlos ausgefallen waren, durfte in Bischofswerda anstatt der klimatisierten Wärme des Triebwagens die Eiseskälte des Bahnsteiges als besonderes Reiseerlebnis verbuchen.