Tempel von Apollon und Athene.
Das antike Side
Walter Kuhl
Tempel von Apollon und Athene.
Tempel von Apollon und Athene.
Das Theater von Side.
Das Theater von Side.
Friese in Trümmern.
Friese in Trümmern.
In den Arkaden des Theaters.
In den Arkaden des Theaters.
Fußbodenmosaik.
Fußbodenmosaik.

Das antike Side

Side in Pamphylien war in der Antike eine zeitweise reiche, lebendige und pulsierende Stadt. Die wieder ausgegrabenen Ruinen vermitteln ansatzweise den Glanz der Vergangenheit. Die hiermit einhergehenden Ausbeutungs­strukturen, die Armut und das damit verbundene Elend müssen wir uns hinzudenken. – Die Aufnahmen entstanden im September 2006.

Einleitung

Das an der türkischen Südküste gelegene Side ist nicht nur ein beliebtes Urlaubsziel. Side ist ganz sicher auch alles andere als die Türkei, oder besser gesagt: als Touristenziel ist es Ausdruck der Widersprüchlichkeit es Modernisierungs­prozesses, der Altes in etwas Verwertbares transformiert und dabei Neues schafft. Während die Europäische Union und die Türkei noch über die Modalitäten verhandeln, wie eine Aufnahme in die EU zu gestalten ist, ist Side schon längst eine europäische Enklave. Mehr noch: die kleine Stadt mitsamt ihrer touristischen Umgebung ist fest in europäischer Währungshand. Wer tatsächlich noch mit türkischen Lira auftaucht, muß befürchten, nicht ernst genommen zu werden. Der Euro hingegen eröffnet alle Horizonte.

Side ist eine uralte Siedlung. Zwar läßt sich der Zeitpunkt der griechischen Kolonisation nicht näher bestimmen, aber nach antiker Überlieferung wurde Side etwa im 7. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung von Kyme (Kleinstadt in der kleinasiatischen Aiolis) aus besiedelt. Der Kirchen­historiker Eusebios wollte im 4. Jahrhundert sogar gewußt haben, daß Side schon im Jahr 1405 vor unserer Zeitrechnung gegründet worden sei.

Direkte archäologische Belege für diese Behauptung fehlen jedoch. Mag sein, daß sie noch unter den Ruinen des antiken Side schlummern, mag sein, daß diese Zeitangabe einer antiken Fiktion folgt. Dennoch gibt es durchaus Hinweise darauf, daß Side oder eine Vorgänger­siedlung womöglich älteren Datums ist. Ein im Museum von Side aufgestellter Basaltkessel soll aus der spät­hethitischen Periode (etwa 8. oder 7. Jh. vor unserer Zeitrechnung) stammen. Auch der Name der Stadt ist vorgriechisch und bedeutet einer antiken Quelle zufolge Granatapfel.

Vermutlich sprachen die Menschen dieser Gegend zu Beginn des 1. Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung einen dem Luwischen (und damit dem Hethitischen) verwandten Dialekt, der in antiker Überlieferung als die Sprache von Side bezeichnet wurde. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß sich eine lokale bzw. regionale Sprache im Verlauf der Jahrhunderte auch ändert. Für eine vorgriechische Besiedlung spricht auch, daß zumindest im 13. Jahrhundert vor unserer Zeitrchnung Pamphylien nach Westen hin bis zum Fluß Kestros (hethitisch: Kastraja) zum hethitischen Vizekönigreich Tarḫuntašša (Tarchuntassa) gehört hat. Der Name der nordwestlich in der Nähe Sides gelegenen Stadt Perge, in griechisch-römischer Zeit wichtigste Konkurrentin Sides, lautete hethitisch Parḫa (Parcha) und wird unter diesem Namen in einem Vertrag zwischen dem Hethiterreich und Tarhuntassa gegen Ende des 13. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung erwähnt. Dies bedeutet jedoch nicht, wie auf verschiedenen Internetseiten zu lesen ist, daß Perge von den Hethitern gegründet wurde. Hierauf gibt es keinen schriftlichen Hinweis und ebensowenig einen archäologischen Beleg. Es scheint jedoch so zu sein, daß das Siedlungsareal von Perge schon in der spät­hethitischen Groß­reichszeit bewohnt gewesen ist. Es ist somit nicht ganz auszuschließen, aber gleichwohl wahrscheinlich auch nie zu beweisen, daß die Halbinsel, auf der Side errichtet wurde, schon zu hethitischer Zeit besiedelt war.

Steinrelief.
Bild 1: Dieses Steinrelief steht auf dem Museumshof von Side. Es scheint hethitisch beeinflußt zu sein.

Obwohl griechische (Neu-)Gründung, befand sich der Landstreifen in den folgenden Jahrhunderten zum Teil unter nicht­griechischer Herrschaft. Zunächst kamen die Lyder, danach die Perser. Mit dem Feldzug des Makedonen­königs Alexander besetzten die griechischen Eroberer die Region und stritten sich anschließend in ihren Diadochen­kämpfen mehr als ein Jahrhundert lang auch um diesen Teil des Alexander­erbes. Im 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung ging Side eine Symmachie (heute würde man und frau das wohl eher eine ungleiche Partnerschaft nennen, von der vor allem die besitzenden Klassen in Rom und Side profitiert haben dürften) mit dem expandierenden Römischen Imperium ein, was der Stadt ein Jahrhundert lang relative Unabhängigkeit und wirtschaftlichen Wohlstand einbrachte. Der Zustand hielt jedoch nicht lange an; Side wurde Ende des 1. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung auch verwaltungs­technisch römisch (später byzantinisch) und blieb es auch, bis es etwa im 10. Jahrhundert verödete. Im 2. und 3. Jahrhundert gewann Side erneut an regionaler Bedeutung, was noch einmal zu relativem Wohlstand (für wenige, wie immer) und einer Umgestaltung der Stadt führte. Die inzwischen teilweise ausgegrabene Stadt gibt demnach nicht den Zustand der hellenistisch-griechischen Zeit wieder.

In der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts können wir im gesamten Römischen Imperium eine Tendenz zur Destabilisierung beobachten, die kurzzeitig durch Kaiser Diocletianus und seine Tetrarchenkaiser (seit 284) abgefedert wurde. Die Städte wurden kleiner, die Bevölkerung zog aufs Land. Auch Side scheint an Bedeutung verloren zu haben, denn im 4. Jahrhundert wurde eine zweite Stadtmauer um das nunmehr verkleinerte Areal gezogen. Nach der endgültigen Teilung des Reichs in eine Westhälfte und eine (byzantinische) Osthälfte trat im 5. Jahrhundert eine wirtschaftliche Erholung ein, die in Side einen neuen Bauboom auslöste. Das 5. und 6. Jahrhundert gilt als die letzte Blütezeit der Stadt. Mit den Einfällen der Araber ab dem 7. Jahrhundert setzte der Niedergang ein, spätestens im 10. Jahrhundert dürfte die Stadt verlassen worden sein. Zur neuen lokalen Metropole stieg das schon im 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung gegründete Attaleia, das heutige Antalya, auf. Auf dem südlichen Ruinenfeld wurden gegen 1900 Flüchtlinge aus Kreta angesiedelt; die Siedlung wurde Selimiye genannt und ist heute zur Einkaufsmeile zum Abschöpfen touristischer Euros mutiert.

Die Ruinen von Side kann frau oder man locker an einem Vormittag oder Nachmittag durchstreifen, doch bei jedem erneuten Durchgang lassen sich immer wieder neue Details entdecken. Selbst­verständlich gibt es auch hier die allgegen­wärtigen „Führer“, aber deren Aufdringlichkeit hiellt sich bei meinem Aufnethalt dort in erträglichen Grenzen.

Der Rundgang

Der folgende virtuelle Rundgang führt zu ausgewählten Sehens­würdigkeiten.

Ein weit gereister Sarkophag

In dem von Manfred O. Korfmann posthum herausgegebenen Band Troia – Archäologie eines Siedlungshügels und seiner Landschaft schreibt der Archäologe Charles Brian Rose auf Seite 90:

„Bis zu diesem Zeitpunkt setzten Städte im allgemeinen ein Abbild ihrer Hauptgottheit oder ihres Gründerheros auf die Vorderseite ihrer Münzen. Diese Position sollte jetzt in vielen Städten Alexander einnehmen, der eine Macht erworben hatte, wie sie vorher nur Götter oder Helden innehatten. Dies galt insbesondere für die Münzen seiner Nachfolger, wie Ptolemaios, Lysimachos und Seleukos; diese nutzten das Münzbild Alexanders als Mittel, um die eigene Macht zu legitimieren (Abb. 17). Der gleichen Propaganda bedienten sich auch Könige kleinerer Gebiete – etwa Abdalonymos, Herrscher von Sidon in der südöstlichen Türkei während des späten 4. Jhs. v. Chr. Sein Sarkophag, der zuerst als der von Alexander selbst identifiziert worden war, konzentriert sich auf Schlachten- und Jagdszenen, bei denen der König als erfolgreicher Krieger und Jäger dargestellt wird.“

Zunächst einmal ist festzuhalten, daß Sidon im Libanon liegt und daß der Libanon bis Ende des 1. Weltkrieges zum Osmanischen Reich gehört hat. Womöglich wurde hier statt Sidon im Libanon die Stadt Side in der Südtürkei assoziiert, mit dem Ergebnis eines geografischen Kauderwelschs. Mit derartigen Kuriositäten des etablierten Wissenschafts­betriebes werden wir wohl leben müssen. Ich finde so etwas dennoch enervierend.