Rheinstraße.
Rheinstraße.
Residenzschloß.
Vor dem Residenzschloß.
Auf dem Ernst-Ludwigs-Platz.
Zentraler Umstieg am Weißen Turm.
Landesmuseum.
Vor dem Landesmuseum.
Marktplatz.
Auf dem Marktplatz.

Die Straßenbahn in Darmstadt

Ein Ausflug in die Fasanerie

Dokumente und Ansichten aus den ersten Jahren

1886 errichtete ein privates Konsortium die ersten beiden Straßenbahn­strecken in die Vororte Eberstadt und Griesheim, denen 1890 eine weitere Strecke nach Arheilgen folgte. Im Grunde handelte es sich um die Schmalspur­ausführung einer dampf­betriebenen Eisenbahn. Alle drei Linien standen in Konkurrenz zur parallel verlaufenden Eisenbahn. Die Stadt Darmstadt sah die inner­städtischen Verkehrs­bedürfnisse des Bürgertums nicht abgedeckt und ließ ein eigenes elektrisches Straßen­bahn­netz aufbauen. Aus der Verschmelzung beider Gesellschaften entstand 1912 die Hessische Eisenbahn Aktien­gesellschaft, kurz HEAG. Die Dampfstrecken wurden elektrifiziert; ein Vorgang, der aufgrund des Ersten Weltkriegs und der nachfolgenden französischen Besatzung Arheilgens und Griesheims erst 1926 abgeschlossen war.

Die Fasanerie, die Hirschköpfe und das Oberwaldhaus zählten um die Jahrhundert­wende zu den bevorzugten Ausflugs­zielen des Darmstädter Bürgertums. Folgerichtig wurde schon vor dem Bau der elektrischen Straßenbahn 1897 darauf geachtet, dieses Bedürfbis zu berück­sichtigen. 1902 wurde die damalige „blaue Linie“ zur Fasanerie verlängert, aber schon im Jahr darauf Teilstück der „grünen Linie“.

Ein besonderer Dank geht an Andreas Leipold.

Darmstadts Adel

Zur Geschichte der Enteignung städtischen Waldbesitzes durch Landgräfin Sophie Eleonore im Anschluß an den Dreißigjährigen Krieg, die nachfolgend den Grundstock für die Fasanerie bildete, siehe den Artikel Der Hainumstreit und die Entstehung der Fasanerie von Jörg Heléne.


1894 veröffentlichte der bei der Main-Neckar-Eisenbahn beschäftigte badische Eisenbahn­inspektor Ferdinand Scheyrer seine Denkschrift „Die elektrische Straßenbahn und ihre Anwendung auf Darmstadt“. Diese diente nicht nur als Dislussions­grundlage für ein sinnvoll zu bereibendes Liniennetz, sondern sollte zugleich dem technisch aufgeschlossenen Bürgertum die Vorteile einer eigenen elektrischen gegenüber der vorhandenen Dampf­straßenbahn aufzeigen. Neben der Verknüpfung der bürgerlichen Wohnviertel mit Stadtzentrum und den beiden Bahnhöfen am heutigen Steubenplatz sah sein Plan von vornherein Strecken ins Umland vor, genauer: Strecken, die bei den beliebten Ausflugszielen des Bürgertums an den Hirschköpfen, am Böllen­falltor Richtung Traisa und an der Ludwigshöhe enden sollten.

Alexanderstraße.

Bild 1: Ansichtskarte Verlag Lautz und Balzar, Aufnahme zwischen 1897 (Eröffnung Straßenbahn) und 1903 (Poststempel). Sie zeigt die Einmündung der Alexanderstraße in die Schloßumfahrung mitsamt Straßenbahngleis. Dieses ganz spezielle Exemplar hat eine eigene, typisch Darmstädter Geschichte.

Verschiedene Vorstellungen vom Strecken­verlauf innerhalb Darmstadts mündeten 1897 im Bau von zunächst zwei Linien. Die weiße Linie verband die Bahnhöfe mit dem Böllenfalltor, während die blaue Linie zunächst von der Ecke Taunusstraße / Dieburger Straße zur Hermannstraße in Bessungen geführt wurde. Eine weitere Linie durch das Johannesviertel verzögerte sich hingegen bis 1903, weil der Strecken­verlauf durch die Grafenstraße zwar vorgesehen war, sich aber als nicht realisierbar erwies. Die 1897 an der Taunusstraße endende Linie diente gleich zwei Zwecken, dem Verkehrs­bedürfnis des Bürgertums im Martinsviertel und der leichteren Erreich­barkeit der Biergärten entlang der Dieburger Straße. Alkohol war schon damals ein wichtiges Kommunikations­medium bürgerlicher Kreise.

Ausschnitt Stadtplan von 1906.

Abbildung 2: Ausschnitt aus einem Beckmann-Plan von 1906. Blau eingezeichnet ist die Verlängerung der Strecke von der Taunusstraße (T) über die Ausweiche mit dem Stumpfgleis (siehe weiter unten, S) bis zur Fasanerie (F). Schon aus diesem Plan wird der Charakter der Straßenbahnlinie als reine Ausflugslinie zur Fasanerie, eventuell auch auf das Oberfeld, deutlich, denn eine Wohn­bebauung, die erst später hinzukam, ist kaum ersichtlich.

Am 12. Juni 1902 wurde mit der Verlängerung der Strecke von der Taunusstraße zu den Hirschköpfen begonnen. Die „Darmstädter Zeitung“ beleuchtet tags darauf die sich daraus ergebenden wirtschaft­lichen Vorteile: „Mehrere Felsenkeller der dortigen Gegend haben bereits ihre Sommerwirt­schaft eröffnet und dürften von der erhöhten Frequenz, die das neue Verkehrsmittel demnächst wohl mit sich bringt, auch Vorteil haben.“ Am 1. Juli 1902 berichtet das Blatt über den bisherigen Fortgang der Arbeiten:

„Die Herstellung der elektrischen Bahn nach den Hirschköpfen schreitet recht rege vorwärts; die Geleislegung ist bereits über den Rosenhöhe-Weg gekommen. Am Beginn der neuen Linie in der Dieburgerstraße liegt das Geleis auf der nördlichen Seite, um dann vom Wienerschen Felsenkeller zur südlichen überzugehen. Zur Transportierung, bezw. zum Legen der besonders langen und schweren Doppelschienen werden sehr geschickt konstruierte Greifer benutzt.“

Und am 18. Juli 1902:

„Die Herstellung des Oberbaues der elektrischen Bahnlinie Taunusstraße – Hirschköpfe schreitet sehr rege voran, das Geleis hat nahezu den Endpunkt erreicht und gedenkt man, dem Vernehmen nach, dieselbe Ende n[ächsten] Monats in Benutzung nehmen zu können. Das Geleise ist jenseits des Viadukts, der übrigens noch nicht überschient ist, erhöht gelegt, um die Steigung am Heiligen Kreuzberg in etwas zu ermäßigen. Die für Fuhrwerke demnächst benutzbare Breite der Straße stellt sich zweifelsohne als ziemlich beschränkt dar. Daß die Gegend landschaftlich durch die Anlage eine gewisse Einbuße erleidet, ist nicht abzuleugnen.“

Fünf Tage später:

„Für die elektrische Bahn Taunusstraße – Hirschköpfe werden seit gestern die eisernen Masten für die Oberleitung aufgestellt, während das Geleise selbst fast ganz gelegt ist, auch die Lücke über den Odenwaldbahn-Viadukt jetzt zur Ausfüllung gelangt. Der größte Teil der Strecke östlich diese Viadukts wird neu chaussiert und höher gelegt, sowie eine regelrechte Floßrinne längs der Baumreihe angebracht, welch letztere jedenfalls zur Wasserabführung die besten Dienste leisten um lästige Schlamm- und Wasseran­sammlungen wie seither durch Platzregen u.s.w. möglichst verhindern wird. Die ganze Arbeit geht nach wie vor rüstig vonstatten.“

Am 28. August 1902 referiert der Beigeordnete Riedlinger in der Stadt­verordneten­versammlung über die bevor­stehende Eröffnung der Ausflugsstrecke und schlägt jetzt erst, zwei Tage vor der Verkehrs­aufnahme, den Standort der Haltestellen auf dem Weg zur Fasanerie vor.

„Die erste Haltestelle soll an der inneren Ringstraße vis-à-vis dem Wiener Felsenkeller, die zweite am Rosenhöhweg an der Weiche, die dritte am Eingang des heil[igen] Kreuzes und die vierte an der Weiche vor dem Parkhotel sein, und finden diese Vorschläge Annahme.

Der Tarif für die ganze Strecke wird auf 15 Pfg. festgesetzt; die Tarifgrenze soll an der Odenwaldbahn sein. Für die ganze Fahrt von den Außenstrecken soll keine Erhöhung eintreten. Die Fahrzeit ist festgesetzt: Vormittags bis 1 Uhr 25 Min. nachmittags halbstündlich, von 1 Uhr 25 Min. ab viertelstündlich; an Mittwochen, Samstagen und Sonntagen soll bei Bedürfnis verstärkter Betrieb stattfinden, insbesondere bei günstigem Wetter. Da, durch den Betrieb verursacht, bisher nicht alle Wagen bis zu den Hirschköpfen laufen können, ist eine Beförderung dahin nur mit denjenigen Wagen garantiert, welche ganz dahin laufen.“

Woraus zu folgern ist, daß Verstärkungs­kurse auch vorzeitig an einer der Ausweichen enden können. Dies hängt mit dem Umsetzen an der Fasanerie zusammen, weil der Motorwagen dort auf einem Ausweichgleis am Anhängerwagen vorbeifahren und diesen dann wieder ankuppeln muß.

Ausweiche Rosenhöhweg.

Bild 3: Ansichtskarte Verlag Wilhelm Gerling Nr. 1368, Aufnahme zwischen 1908 (Erbauung Hochzeitsturm) und 1913 (Poststempel). Sie zeigt das Straßenbahngleis auf der Dieburger Straße in Höhe der späteren Ausweiche am Regerweg. Deutlich ist zu erkennen, daß diese Ausweiche als Stumpfgleis endet. Vermutlich werden die Verstärkerfahrten, die nicht bis zur Fasanerie durchgeführt wurden, dort gewendet haben. Frau und man beachte die Oberleitungs­konstruktion, die in gewisser Weise mit dem Jugendstil auf der Mathildenhöhe korrespondiert.

Am 29. August 1902 wird die Verlängerung zu den Hirschköpfen abgenommen und tags darauf der öffentliche Betrieb aufgenommen.

„Mit dem heutigen Tage hat unser elektrisch betriebenes Bahnnetz eine wertvolle Bereicherung mit der Inbetriebnahme der Linie Dieburger­straße – Hirschköpfe (Fasanerie) erhalten, die den allgemeinen Zugang zu einem der schönsten Waldgebiete der Umgebung unserer Stadt ganz wesentlich erleichtert. Die neue Linie wurde im Laufe des Sommers begonnen; am 16. Juni nahm die Schienenlegung ihren Anfang und ist Dank der regen Thätigkeit durch das Personal der städtischen Straßenbahnen rasch vollendet worden. Die etwa 1600 Meter lange Strecke (mit einer Steigung von etwa 1:16 am Heiligen Kreuz) enthält eine Zwischen-Ausweiche am Rosenhöhe-Weg, desgleichen eine Weiche am Parkhotel; die Anlage einer Schleife hinter dem Darmstädter Forsthaus zur Vermeidung des Abkuppelns der Anhängerwagen ist für später in Aussicht genommen. Am Odenwaldbahn-Viadukt konnte der südliche Fußsteig benutzt werden und ist jenseits der Brücke das jetzige Geleis so gelegt, daß bei Annahme einer demnächstigen Straßenbreite von 12,50 Meter das spätere Doppelgleis die Mitte der Straßenfahr­bahn einnimmt.

Die Makadam-Straße nach den Hirschköpfen wurde gleichzeitig mit angemessener Wölbung aus straßen­technischen Gründen hergestellt, längs der Platanenreihe eine gepflasterte Rinne angebracht u.s.w. Der Oberbau ist wie auf den alten Strecken nach dem Haarmannschen Wechselstegverblattsystem ausgeführt, wobei die Schienen auf einer 1,70 Meter breiten Packlage ruhen und mit Kleinschlag gestopft sind; die Oberleitung hat die bekannte Konstruktion. Zunächst ist, wie schon kurz bemerkt, für vormittags halbstündiger Verkehr, von nachmittags etwa 1¾ Uhr ab viertelstündiger Verkehr (Abfahrt des letzten Wagens von Haltestelle Fasanerie 8 Uhr abends) vorgesehen, der in Ausnahmefällen natürlich intensiver gestaltet wird. Es ist nicht zu zweifeln, daß die neue Strecke, die nach so bevorzugten Punkten unsrer östlichen näheren Umgebung führt, zahlreiche Benutzer findet.“

Eingang zur Fasanerie.

Bild 4: Ansichtskarte Verlag Metz und Lautz, Aufnahme wohl im Abendlicht des Spätsommers 1902. Sie zeigt die Endhaltestelle am Fasanerieeingang mit den beiden charakteristischen Hirschköpfen. Das Schild mit der Fahrtzielangabe wird durch einen einfachen Seilmechanismus gedreht. Die Angabe Hermannstraße ist von der Fasanerie aus nur 1902 oder 1903 möglich gewesen. Das rückwärtige Schild von Wagen 11 lautet überkopf gelesen auf Taunusstraße. Der zweite Straßenbahn­wagen trägt die Nummer 17. 1904 wurde die Endhaltestelle einige Meter in den Wald hinein bis zu dem weiter unten abgebildeten Wartehäuschen verlagert.

Fahrschein.

Abbildung 5: Fahrschein der Städtischen Straßenbahn Darmstadt aus der Zeit zwischen 1903 und 1912. Auf der Rückseite warb das Kaufhaus der Gebrüder Rothschild am Markt. Der Nutzer oder die Nutzerin fuhr von der Fasanerie Richtung alte Bahnhöfe, mit Umsteigen am Ernst-Ludwigs-Platz. Die Druckerei von Heinrich Fasbender wurde 1903 gegründet. [1]

Die verlängerte blaue, später grüne Linie war als reine Ausflugslinie konzipiert. Die Fahrzeiten waren diesem Bedürfnis angepaßt, und selbst im Winter 1912/13 hatte sich nichts daran geändert, daß fahrplangemäß bis gegen 14 Uhr die Fasanerie nur jede halbe Stunde angefahren wurde.

Winterfahrplan 1912/13.

Abbildung 6: Ein Jahrzehnt nach der Streckeneröffnung fährt im Winter 1912/13 die grüne Linie von der Ecke Heinrich­straße / Heidelberger Straße über die Saalbau­straße, Elisabethen­straße, Ernst-Ludwig-Straße zum Schloß, und von dort über die Alexander­straße und Dieburger Straße zu den Hirsch­köpfen am Eingang zur Fasanerie.

Bald nach Gründung der Hessischen Eisenbahn-Aktien-Gesellschaft (HEAG) und der damit verbundenen Zusammenführung von elektrischer und Dampf­straßenbahn 1912 werden zusätzlich zu den Kennfarben der einzelnen Strecken auch Linien­nummern eingeführt. Anfangs verkehren nunmehr die Linien 7 und 8 ab Taunusstraße oder Fasanerie in Richtung der 1913/14 elektrifizierten Dampfstrecke nach Eberstadt oder endeten wahlweise auf halbem Weg dorthin an der Moosberg- bzw. Lands­kronstraße. Die teilweise erfolgte Elektrifizierung der Arheilger Dampfstrecke bis zu Merck 1924 zieht die Liniennummer 8 dorthin ab. Als Linie 7 wird die 1926 erfolgte Verlängerung zum Ober­waldhaus bezeichnet, während die 6 entweder von der Taunusstraße oder ab Fasanerie verkehrte.

Was zu beachten ist

„Oberwaldhaus. Am Endpunkt der Linie 7, Oberwaldhaus, ist die Abfahrtzeit möglichst einzuhalten. Schaffner und Führer haben sich nach ankommenden Fahrgästen umzusehen.

Die Gleisschleife wird durchfahren um wieder auf die eingleisige Strecke zu kommen. Die im Kursbuch auf der eingleisigen Strecke bis Ringstraße [heute: Rhönring bzw. Spessartring] verzeichneten Kreuzungen sind genau zu beachten. Bleibt ein entgegenkommender Wagen länger als fünf Minuten aus, so hat der Schaffner des die Kreuzung abzuwartenden Wagens vorzugehen und, falls der entgegenkommende Wagen nicht sichtbar ist, das Zeichen zur Weiterfahrt zu geben. Die Weiterfahrt ohne Kreuzung hat langsam und mit der größten Umsicht zu geschehen.

Die Gefällstrecken sind möglichst ohne Strom und nicht mit größerer Geschwindigkeit zu befahren, als der Wagen in der Steigung fährt.

In die Einfahrtweiche der Schleife am Oberwaldhaus muß der Wagen so abgebremst werden, daß er nur in Schrittgeschwindigkeit in dieselbe einfährt.

Ringstraße. An der Haltestelle Ringstraße, dem Endpunkt der Linie 6, hält der Wagen in der Ausweiche vor der Ringstraße solange, bis der von Fasanerie bezw. Oberwaldhaus kommende Wagen der Linie 7 in die Ausweiche eingefahren ist. Nunmehr fährt der Wagen zur Haltestelle auf der Brücke und wartet hier seine Abfahrtzeit ab.

Die Abfahrtzeit ist möglichst einzuhalten. Bevor der Führer aus der Ausweiche Ringstraße fährt, hat er auf den entgegenkommenden Wagen zu achten. Ist der entgegenkommende Wagen bereits auf der eingleisigen Strecke, so hat er die Kreuzung in der Ausweiche abzuwarten.

Die aus der Stadt kommenden Wagen der Linie 6 und 7 dürfen die eingleisige Strecke ab Taunusstraße nur befahren, wenn der Wagen in der Ausweiche Ringstraße noch nicht sichtbar ist.

Taunusstr. bis Paradeplatz. Die Gefällstrecke ist möglichst ohne Strom zu befahren und auf die richtige Lage der Weiche zu achten.

Das Abstellen der Wagen im Aufstellungsgleis am Theater wird durch besondere Anweisung bekannt gegeben.

Jagdhaus bis Neckarstraße. Jagdhaus, auf dieser Strecke möglichst weit vorfahren. Sind vor dem Jagdhaus auf dem westlichen Gleis Wagen abgestellt, so sind diese durch den Gleiswchsel zu umfahren; nach Freigabe des Aufstellungsgleises sind die Weichen sofort für gerade Fahrt richtig zu stellen.

Bei Abfahrt am Jagdhaus haben die Wagen der Linien 1, 2, 3 und 9 vom Schloß kommend das Vorfahrtrecht. Linie 6 und 7 hat Vorfahrtrecht vor Linie 4 und 5.“

Auszug aus den Fahrdienst­vorschriften der HEAG von 1932, hier: Linie 6 Ringstraße – Heidelberger­straße und Linie 7 Oberwald­haus – Ringstraße – Heidelberger­straße.

Mit dem vernichtenden alliierten Luftangriff auf Darmstadt in der Nacht vom 11. zum 12. September 1944 wird der Straßenbahnbetrieb vorerst eingestellt und ab Februar 1945 nur noch als Linie 6 fortgeführt.

Alexanderstraße.

Bild 7: Kaserne des Infanterie­regiments 115 in der Alexander­straße. Kurz vor dem Ballonplatz begegnen sich hier zwei Motorwagen der elektrischen Straßenbahn. Ansichtskarte der Kunstanstalt Lautz & Balzar, vermutlich zwischen 1909 und 1911; siehe auch die Digitalen Sammlungen der ULB Darmstadt.

Zweigleisig wird die Strecke noch vor dem Ersten Weltkrieg in mehreren Etappen zwischen Ernst-Ludwigs-Platz und Taunusstraße und 1930 ein kurzes Stück weiter bis zum Lukasweg (Lucasweg) ausgebaut. Hinter der Brücke über die Odenwaldbahn lag immer nur ein Streckengleis, mit einer später an beiden Enden mit Weiche versehenen Ausweiche am Regerweg und einer weiteren an der Fasanerie. 1904 war die Strecke an der damaligen Endhaltestelle am Fasanerieeingang um wenige Meter verlängert und ein heute noch existentes Wartehäuschen in Achteckform und in Naturholz, wie ein zeitgenössischer Bericht vermerkt, aufgestellt worden. Sogar die Kosten sind mit 1079,62 Mark überliefert. Schon 1903 oder Anfang 1904 „wurde für die Schaffner und das Publikum ein Abort mit Pissoir an den Garten der Stadtförster­wohnung mit einem Kostenaufwande von 802 M eingebaut.“

Enfhaltestelle Fasanerie.

Bild 8: Endhaltestelle an der Fasanerie mit dem Warte­häuschen. Ansichtskarte des Verlags Zedler & Vogel in Darmstadt von 1907.

Im Frühjahr 1914 wird zur vierten Ausstellung auf der Mathildenhöhe ein Stichgleis von der Dieburger Straße in die Stiftstraße gelegt, um den Besucherinnen- und Besucher­andrang besser auffangen zu können. Als 2021 die Mathilden­höhe zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde, fiel der Stadt Darmstadt nichts Besseres ein, als eine schwächlich frequentierte Shuttlebus­linie vom Darmstadtium aus anzubieten. Hier hätte sich ein eingleisiger Museums­bahnbetrieb geradezu als quasi authentisch angeboten und wäre eine zusätzliche Attraktion. Aber so weit denkt eine auf monetären Gewinn abzielende städtische Marketing­abteilung einfach nicht …

Wartehäuschen.
Bild 9: Das ehemalige Wartehäuschen, teilweise erneuert.

Diese kurze Straßenbahn­verbindung wird mit Eintritt des Deutschen Reiches in den Ersten Weltkrieg wieder aufgegeben. Das Gleis erfährt Ende 1918 eine zweite Nutzung durch die mit zwei Straßenbahnwagen durchgeführte Post- und vor allem Paketbeförderung vom und zum Postamt in der Stiftstraße, die bis etwa 1937 anhält. Das Stichgleis dürfte den Zweiten Weltkrieg nicht lange überdauert haben. [2]

Ebenfalls im Frühjahr oder Sommer 1914 wird die Endhalte­stelle an der Fasanerie mit einer Wendeschleife versehen, um den Ausflugs­verkehr flüssiger abwickeln zu können. Hierbei sollen zwei Weichen verbaut worden sein. Am 12. Mai 1926 wird die Strecke um eine Station bis zum Oberwaldhaus, einem städtischen Ausflugslokal, verlängert. Ob hierbei die Schleife an der Fasanerie wieder ausgebaut worden ist, ist nicht bekannt. Mit Ende des Zweiten Weltkriegs wird die Strecke zur Fasanerie, ja sogar teilweise bis zum Regerweg, zurück­genommen und nur bedarfsweise bis zum Endpunkt befahren. In den 50er und 60er Jahren ist die Strecke vollständig wieder­hergestellt und wird als Linie 6 beispiels­weise im Sommer 1963 nur jede ¾ Stunde bis zum Ober­waldhaus durchgeführt; die meisten Fahrten enden am Regerweg.

»»  Der vollständige Sommer­fahrplan 1963 der HEAG.

»»  Ludger Kenning zeigt in einem Forumsbeitrag auf Drehscheibe Online Aufnahmen von Werner Stock aus den 50er Jahren. Auf Bild 14 steht Anhänger­wagen 122 auf der Ausweiche am Regerweg. Er wurde stehengelassen, als der zugehörige Triebwagen weiter zur Fasanerie oder zum Ober­waldhaus fuhr. In einem weiteren Forumsbeitrag zeigt er eine Aufnahme von 1967 mit der abfahrbereiten Straßenbahn Nummer 13 der Linie 6 in der Schleife am Ober­waldhaus und weitere Bilder entlang der Strecke.

Das Ende der Strecke kommt 1970. Einer der Gründe dürfte die Umstellung auf Einrichtungs-Großraum­wagen gewesen sein, obwohl am Ober­waldhaus eine Kehrschleife bestanden hat. Den anderen, vielleicht auch nur vorgeschobenen Grund, um die Strecke auf Busbetrieb umstellen zu können, schildert Klaus Honold. Unter der Einmündung der Alexander­straße in die Schloßumfahrt sollte für die Technische Hochschule eine Tiefgarage errichtet werden.

„Rampe und Einfahrt wurden errichtet, die Garage selbst nie, was damals aber keiner ahnte. Im Zuge des Baus hätten die darüber hinwegführenden Gleise der Linie 6 erneuert werden müssen – die Heag verlangte von der Stadt, dass sie die Kosten trüge, die sagte nein, und kurzerhand verschwand die Sechs von der Bildfläche. So war das damals.“ [3]

Auf der kurvigen und nicht sehr breiten Alexanderstraße und in der Verlängerung Dieburger Straße war die Tram den Autos einfach im Weg. Mitten im Sommer, am 22. August 1970, kam das Aus. Heute muß der mit Zusatzgelenk ausgestattete F-Bus mit dem Strom schwimmen. Übrig geblieben sind ein paar Straßenbahn­rosetten an den Häuser­fassaden, das Warte­häuschen an den Hirschköpfen und ein aus dem Asphalt hervor­blitzender Schienenrest auf der Brücke über die Oden­waldbahn. Und die Erinnerung an die Linie 6.

Brücke über die Odenwaldbahn.

Bild 10: Brücke der Dieburger Straße über die Odenwaldbahn. An der Südseite ist das Profil der Straßenbahnschiene auszumachen.

An der Fasanerie und am Ober­waldhaus werden heute die ehemaligen Schleifen der Straßenbahn entweder bei Bedarf (Fasanerie) oder regelmäßig (Oberwaldhaus) von Bussen befahren.

Was andernorts nicht geht, nämlich Verkehrsraum für Radfahrerinnen oder Straßenbahnen zu schaffen, wird plötzlich ganz einfach, wenn es um den Autoverkehr geht. Zumindest sieht das auf den ersten Blick so aus. Tatsächlich argumentierte die Stadt Darmstadt mit notwendigen Kanalarbeiten und einer dadurch einsturz­gefährdeten denkmal­geschützten Stützmauer. Und so beschloß man, die Gelegenheit beim Schopfe zu fassen, die Straße auf neun Meter zu verbreitern, und dann noch einen kleinen Streifen für den Radverkehr zu finden. Das Problem mit dem Denkmal­schutz umging man, indem man einfach die Mauer abtrug und an passender Stelle unter Zuhilfe­nahme moderner Baumaterialien wieder zusammen­puzzelte. Denn nun bekam die neue Mauer einen Stahl­betonkern und die Verblendung der alten Stützmauer. Das ist gewiß ökonomischer so. So geschehen an der Dieburger Straße an einer Engstelle kurz vor den Hirschköpfen. 2014 begann das Abbruch­unternehmen, das insgesamt 1,7 Millionen Euro kosten sollte. Mit zweijährigem Verzug war die neu errichtete Mauer Mitte 2017 fertiggestellt. Als man nun daran ging, den Straßenbelag zu erneuern, fand sich dies:

Rostschienen in der Dieburger Straße.

Bild 11: Schienenfund in der Dieburger Straße in der Nähe des heiligen Kreuzbergs. Die Szenerie wurde am 25. September 2017 von Andreas Leipold aufgenommen.

Offensichtlich hatte man, wie auch andernorts, diese Relikte einer ungeliebten Vergangen­heit einfach mit Asphalt zugekleistert. Zum Verbleib dieses Schrotthaufens kann ich nichts sagen. In der Hochschul­straße hat man oder frau fast zeitgleich eine historisierende Installation vorbereitet.