Rheinstraße.
Rheinstraße.
Residenzschloß.
Vor dem Residenzschloß.
Theatergleis.
Auf dem Theatergleis.
Auf dem Ernst-Ludwigs-Platz.
Zentraler Umstieg am Weißen Turm.
Marktplatz.
Auf dem Marktplatz.

Die Straßenbahn in Darmstadt

Heftfahrscheine der Darmstädter Straßenbahn

Kleine Zettelchen mit Netzwirkung

1886 errichtete ein privates Konsortium die ersten beiden Straßenbahn­strecken in die Vororte Eberstadt und Griesheim, denen 1890 eine weitere Strecke nach Arheilgen folgte. Im Grunde handelte es sich um die Schmalspur­ausführung einer dampf­betriebenen Eisenbahn. Alle drei Linien standen in Konkurrenz zur parallel verlaufenden Eisenbahn. Die Stadt Darmstadt sah die inner­städtischen Verkehrs­bedürfnisse des Bürgertums nicht abgedeckt und ließ ein eigenes elektrisches Straßen­bahn­netz aufbauen. Aus der Verschmelzung beider Gesellschaften entstand 1912 die Hessische Eisenbahn Aktien­gesellschaft, kurz HEAG. Die Dampfstrecken wurden elektrifiziert; ein Vorgang, der aufgrund des Ersten Weltkriegs und der nachfolgenden französischen Besatzung Arheilgens und Griesheims erst 1926 abgeschlossen war.

Seit 1927 erweiterte die HEAG ihr bislang ausschließlich mit Straßenbahnen betriebenes Liniennetz um einzelne Buslinien. Ab 1931 erhielten diese Buslinien, im Gegensatz zu den Straßenbahn­linien, Buchstaben statt Liniennummern. Diese Buchstaben orientierten sich am Ziel der jeweiligen Busstrecke, eine Methode, nach der bis heute in Darmstadt Linien­bezeichnungen vergeben werden. Neben der einst als Ringlinie konzipierten Linie „R“ folgte die frühere Buslinie „D“ einer eigenen Logik, die jedoch durchaus durchschaubar ist. Da sie vom Hauptbahnhof zum Ostbahnhof quer durch die Innenstadt führte, war sie als Durch­messerlinie geradezu für den Buchstaben „D“ prädestiniert.

Einen weiteren Heftfahrschein aus dem Zweiten Weltkrieg hatte ich dargestellt und auch ideologie­kritisch kommentiert. Auf dieser Seite zeige ich weitere Exemplare aus der Zeit von etwa 1914 bis 1950. Ein Dank geht an Ralph Völger, der einige der hier abgebildeten Heftfahr­scheine zur Verfügung gestellt hat. Wer Denkfehler bei der Eingrenzung der Ausgabezeiten dieser Fahrscheine entdeckt, möge sie mir bitte mitteilen.


Heftfahrschein Vorderseite.

Abbildung 1: Vorderseite eines Heftfahrscheins der HEAG, etwa 1914 bis 1918.

Dieser recht frühe Heftfahr­schein der noch jungen HEAG wird von 1914 oder kurz darauf stammen. Dargestellt ist die 1913 eingerichtete Verbindungs­strecke auf der Elisabethen­straße zur Neckarstraße, verbunden mit der Aufgabe der nur mäßig rentablen Strecke von der Heinrichstraße über den Saalbau zur Elisabethen­straße. Weiterhin die 1914 eröffnete Verlängerung der Eberstädter Linie zur neuen Endhaltestelle Frankenstein und die im Frühjahr 1914 begonnene, aber nie vollendete Linie ins Martinsviertel. In Griesheim wird der Abzweig zum Truppen­übungsplatz noch angefahren, was seit Dezember 1918 aufgrund der französischen Besatzung wohl auszuschließen ist. Da im Bartarif schon 1918/19 für zwei Teilstrecken 15 Pfennige verlangt wurden, muß der hier angesetzte Tarif von 15 Pfennigen für drei große oder sechs kleine Teilstrecken davor anzusetzen sein.

Die mit diesem Fahrschein (und drei weiteren, nummern­mäßig aufeinanderfolgenden Fahrscheinen) durch­geführte Fahrt begann an der Ludwigshöhe (vermutlich die heutige Haltestelle Marienhöhe) und brachte ein Umsteigen an der Kreuzung Rhein-/Neckarstraße mit sich. Bei sechs kleinen Teilstrecken dürfte das Ziel der Fahrt am Haupt­bahnhof gelegen haben. Welcher Zug mag hier um sieben Uhr abends genommen worden sein?

Heftfahrschein Rückseite.

Abbildung 2: Rückseite desselben Fahrscheins mit Werbung für die Benutzung elektrischer Geräte. Den Strom lieferte dann die HEAG.


Der nächste hier vorgestellte Heftfahr­schein führt uns in die Weimarer Republik und entstammt der Zeit der ersten tastenden Versuche der HEAG, mit Omnibussen ihr Straßenbahn­netz zu erweitern. Einerseits sollten als solche erkannten Verkehrs­bedürfnissen abgeholfen werden, andererseits sollte dies ohne größere Investition in die Infrastruktur geschehen. Während Straßenbahnen auf Oberbau, Gleise und Fahrdrähte angewiesen sind, können Busse den vorhandenen Straßenraum kostenfrei nutzen. Im Sinne der privat­wirtschaftlichen Initiative ist es immer nützlich, aus Steuergeldern finanzierte Maßnahmen kosten­günstig und profitabel zu nutzen.

Heftfahrschein Vorderseite.

Abbildung 3: Vorderseite eines Heftfahr­scheins der HEAG von 1929. Sammlung Ralph Völger.

Die erste Buslinie wurde am 16. Dezember 1927 vom Rhönring über den Spessartring zum Ostbahnhof angeboten, rentierte sich jedoch nicht wie erhofft. Im Jahr darauf wurde sie vom Rhönring durch das Martinsviertel zum Schloß, von dort über den Ludwigsplatz und die Roßdörfer Straße zum Botanischen Garten verlängert.

„Die Betriebs­erfahrungen zeigten jedoch, daß die Endab­schnitte dieser Linie wenig benutzt wurden. Daher wurden die Endstellen vom Ostbahnhof zur Ringstraße (Rhönring) und vom Botanischen Garten bis zur Heidenreich­straße zurück­genommen.“ [1]

Zum 27. Mai 1928 wurde eine weitere Omnibuslinie vom Böllen­falltor nach Ober-Ramstadt in Betrieb genommen. 1930 folgte versuchsweise eine weitere Linie vom Roßdörfer Platz durch das „Tintenviertel“ zur Hermannstraße, bzw. an deren Ende zur Artilleriekaserne.

„Die Benutzung war aber so gering, daß sie nach einem halben Jahr wieder eingestellt wurde. Ebenso erwies sich die zwischen­zeitlich zur Ringlinie über den Ostbahnhof ausgebaute Verbindung Ringstraße – Schloß – Heidenreichstraße als unrentabel, die nicht aufrecht­zuerhalten war.“ [2]

Tatsächlich verkehrte diese Buslinie vom 1. Juni bis zum 14. oder 15. Dezember 1929, wie dem eintsprechenden Geschäfts­bericht der HEAG zu entnehmen ist. [3]

Zwei Dinge sind auf diesem Heftfahr­schein auffallend. Erstens ist eine zweigeteilte Zeitangabe mit Vormittags- und Nachmittags­stunden jeweils von 1 bis 12 aufgedruckt. Zum Sommer­fahrplan 1927 war – zumindest im Eisenbahn­verkehr – die Zeitumstellung auf 24 Stunden-Anzeigen vollzogen worden. Zweitens ist die Linie zum Böllen­falltor schwarz aufgedruckt, während eine weitere Buslinie, die uns noch Rätsel aufgeben wird, rot erscheint. Wir erkennen eine Ringlinie mit zwei Verlängerungen, eine Konstellation, von der Ralph Völger, der diesen Heftfahr­schein zur Verfügung gestellt hat, zutreffend anmerkt, es könne sie nicht gegeben haben. Nun wird sich die HEAG beim Druck der Fahrscheine etwas gedacht haben und ohnehin liegen Fahrpläne oder andere Angaben aus der Weimarer Republik reichlich spärlich vor.

Lassen wir die Zeitumstellung einmal beiseite, weil hier möglicher­weise die vorherige Konvention beibehalten wurde. Nehmen wir die Linien­führung vom Roßdörfer Platz zur Artillerie­kaserne als gegeben, wenn auch auf dem Fahrschein nicht deutlich genug vermerkt. Dann bleibt der Ast zum Botanischen Garten übrig, der entweder vom Ostbahnhof oder vom Roßdörfer Platz aus bedient wurde und somit der Ringlinie eine Endhalte­stelle gab. Das würde zu 1929 passen. Ohne Einblick in originale Fahrpläne oder andere Dokumente bleibt eine solche Vermutung dennoch spekulativ.

»»  Ein Darmstädter Stadtplan, dessen ursprüngliches Layout aus den 20er Jahren stammt, zeigt mit nachträglich eingezeichneten Straßenbahn- und Buslinien das HEAG-Liniennetz von 1933.


Auf dem folgenden Heftfahr­schein ist die Buslinie vom Roßdörfer Platz zur Kaserne an der Einmündung der Hermann­straße in die Heidelberger Straße schon wieder verschwunden. Im Juli bzw. November 1929 wurde ein schon bestehendes Gleis zum Elektrizitäts­werk II am Dornheimer Weg für die Personen­beförderung in die Waldkolonie eingerichtet. Die Ringlinie des vorherigen Fahrscheins wurde im Mai 1930 aufgegeben.

Heftfahrschein Vorderseite.

Abbildung 4: Vorderseite eines Heftfahr­scheins der HEAG, wohl 1930/31. Sofern der Stempel­aufdruck auf der Rückseite den Zeitpunkt der Fahrt angeben soll, wurde selbige am 7. Mai 1933 durchgeführt.

Ob die Angabe „Orpheum“ die Kreuzung des Spessartrings mit der Dieburger Straße meint oder die Kreuzung des Rhönrings mit dem Alfred-Messel-Weg, ist schwer zu entscheiden. Die Endhalte­stelle jedenfalls wurde zum 1. August 1931 von ersterer zu letzterer Kreuzung zurückverlegt. Die Buslinie vom Böllenfalltor nach Ober-Ramstadt ist hier ebenfalls schwarz und nicht rot markiert. Die damals noch nicht Layouter genannten Grafiker werden hier wohl eine erteilte Vorgabe umgesetzt haben; ich vermute den Vorgriff auf die geplante und am 22. Mai 1931 tatsächlich schon zur Konzession gebrachte Verlängerung der Straßenbahn­linie 2, die dann doch nicht zustandekam. Interessant ist an diesem Fahrschein auch die Angabe von Zählgrenzen für den Fall, daß sie auf freier Strecke lagen.

Kurz darauf machen sie die politischen Veränderungen, die mit dem Siegeszug der National­sozialisten einhergehen, auch auf den Heftfahr­scheinen bemerkbar. Hier heußt der Luisenplatz nunmehr nach dem Führer einer Bewegung, die ihr mörderisches Programm schon in den 20er Jahren offen dargelegt hatte.

Heftfahrschein Vorderseite.

Abbildung 5: Vorderseite eines Heftfahr­scheins der HEAG, wohl 1933 oder kurz darauf.

Hier ist die Endhaltestelle Orpheum tatsächlich zum Washington­platz zurckgenommen und die Buslinie nach Ober-Ramstadt rot eingetragen, ein untrügliches Zeichen dafür, daß die Straßenbahn in diese Richtung nicht verlängert werden würde. Eberstadt scheint sich ebenfalls eine Hindenburg­straße zugelegt zu haben. Die Rückseite dieses wie des vorherigen Fahrscheins dient wiederum der Eigenwerbung, hier in Gestalt der Nutzung elektrischer Energie durch entsprechende Kochherde.

Heftfahrschein Vorderseite.

Abbildung 6: Rückseite desselben Heftfahrscheins.


Einige Jahre später wurde der nachfolgende Heftfahr­schein verkauft, vermutlich noch vor Entfesselung des Zweiten Weltkriegs. Er zeigt das zu diesem Zeitpunkt bestehende Liniennetz der Straßenbahnen (schwarz) und Busse (rot).

Heftfahrschein Vorderseite.

Abbildung 7: Vorderseite eines Heftfahr­scheins der HEAG, Zeitraum: etwa Dezember 1938 bis Februar 1940. Sammlung Ralph Völger.

Zwischen 1937 und 1939 wurden erst die Wendelstadt­straße (heute: Wilhelm-Leuschner-Straße) in Sudetengau­straße und anschließend die Blumenthal­straße (heute: Kasinostraße) in Taunusring umbenannt. Jüdinnen und Juden, oder auch diejenigen, welche die Nazis aufgrund ihrer verrückten Rassifizierungs­ideologie dafür hielten, durften nicht länger als Namensgeber von Straßen und Plätzen dienen. Zudem dürften sie als Maßnahme sozialer Ausgrenzung von der Beförderung ausgeschlossen gewesen sein. Und die (deutschen) Darmstädterinnen und Darmstädter schwiegen dazu. Ohnehin hatten diese bei der letzten halbwegs freien Reichs­tagswahl im März 1933 begeisterter für die Nazipartei gestimmt als der Reichs­durchschnitt. In den Dörfern rund um Darmstadt war der Zuspruch hingegen schon deutlich geringer. Offen­sichtlich versprachen sich die Menschen in Darmstadt einen materiellen Vorteil davon, wenn ihnen die lästige jüdische Konkurrenz vom Hals geschafft wird. So etwas würde die neoliberale Volkswirtschafts­ideologie als individuell zweck­rationales Handeln einstufen.

Dieser Heftfahrschein paßt, beispielsweise, zum Sommer­fahrplan 1939. Auf dem Fahrschein ist – im Vorgriff auf eine vorgesehene Verlängerung der Bergstraßen-Straßenbahn nach Alsbach – selbige Verbindung schon als gegeben eingetragen. Neben den verschiedenen Straßen­bahnlinien werden vier Buslinien aufgeführt: Eine Linie „R“ (wie Ringstraße oder Rundkurs) vom Orpheum in die Heidenreich­straße, eine Linie „E“ zur Anbindung der Ernst-Ludwig-Kaserne, eine Marktlinie „M“ zur städtischen Markthalle in der Gräfen­häuser Straße, sowie eine an Markttagen frühmorgens von Griesheim zur Markthalle verkehrende Buslinie „G“, die in anderen Jahren mit der Linie „M“ verknüpft war. Damit sollte vermutlich den Griesheimer Markt­beschickerinnen und Bauern eine verbesserte Absatz­möglichkeit ihrer Produkte gegeben werden.

Fahrplan Linien 1 bis 3. Fahrplan Linien 5 bis 7 und Busse. Fahrplan Linien 8, 9 und O.

Abbildung 8: Sommerfahrplan 1939 der HEAG.

Mit Hilfe der Angaben im Buch über die Darmstädter Straßenbahnen und Busse von Hermann Bürnheim und Jürgen Burmeister läßt sich der Zeitraum der Verwendung dieses Heftfahr­scheins noch ein wenig weiter eingrenzen. Demnach wurde zum 1. Oktober 1938 eine Buslinie „E“ vom Rheintor zum Haardtring eingeführt, die am 30. Dezember 1938 bis zur Ernst-Ludwig-Kaserne in der Escholl­brücker Straße verlängert wurde. Selbige lag am westlichen Rand der späteren und heutigen Heimstätten­siedlung und wurde 2003 abgerissen. Des weiteren soll die Straßenbahn­linie 3, die seit 1929 von der Landskron­straße über die Bismarck­straße zum Haupt­bahnhof, und von dort weiter zum Roden­steinweg in der Waldkolonie verkehrte, ab dem 1. September 1939 nur noch bis zum Haupt­bahnhof gefahren sein. Diese Angabe ist mit Vorsicht zu nehmen, denn die Ausgabe des Fahrplan­buchs vom 21. Januar 1940 weist die vollständige Wegführung bis zum Roden­steinweg auf. Ab 1. März 1940 wiederum sei die Straßenbahn­linie 4, die im Jahr zuvor eingestellt worden war, als Pendellinie zwischen der Sudetengau­straße und dem Roden­steinweg eingesetzt worden. Da selbige auf diesem Heftfahr­schein nicht vermerkt ist, ist dessen Herausgabe im Zeitraum von Dezember 1938 bis zum Februar 1940 anzusetzen.


Heftfahrschein Vorderseite.

Abbildung 9: Vorderseite eines Heftfahr­scheins der HEAG, Zeitraum: etwa Mai 1941 bis September 1944.

Heftfahrschein Vorderseite.

Abbildung 10: Vorderseite eines Heftfahr­scheins der HEAG, Zeitraum: etwa Mai 1941 bis September 1944. Sammlung Ralph Völger.

Diese Heftfahrscheine benennen die HEAG nicht mehr als Eisenbahn-, sondern als Elektrizitäts-Aktien­gesellschaft. Die Haupt­versammlung der A.-G. beschloß den Namens­wechsel am 23. Mai 1941. Die Qualität von Aufmachung und Druck ist noch vergleichs­weise gut, im Gegensatz zu späteren Exemplaren. Vermutlich wird dieser Heftfahr­schein noch vor der „Brandnacht“ am 11./12. September 1944 in Umlauf gebracht worden sein.

Die Rückseite des oberen Heftfahr­scheins wurde zur Verbreitung von Verhaltens­maßregeln genutzt: „Denk auch an andere, / bleib nicht steh' / Pflicht ist's, für jeden, / durchzugeh'n.“ Das Denken an Andere schloß selbstredend Jüdinnen, Sinti, Zwangsarbeiterinnen und „lebensunwerte“ nicht mit ein, die zu diesem Zeitpunkt ohnehin aus dem Darmstädter Stadtbild eliminiert worden waren.

Fahrschein Vorderseite.

Abbildung 11: Vorderseite eines Fahrscheins der HEAG, Zeitraum: etwa März 1943 bis September 1944. Sammlung Ralph Völger.

Zum 1. März 1943 stellte die HEAG ihren Tarif auf zwei Zonen um. Die erste Zone umfaßte viereinhalb Kilometer und kostete 20 Pfennige, darüber hinaus waren 40 Pfennige zu zahlen. Dieses Exemplar scheint für die längere Fahrt benutzt worden zu sein. Die Bezeichnung als Heftfahr­schein ist entfallen. Nach der schon erwähnten „Brandnacht“ waren die Straßenbahn­gleise in der Innenstadt zunächst nicht zu benutzen; das Netz wurde erst nach und nach wieder hergestellt. So verkehrte die Linie 5 ab Februar 1945 nicht etwa von der Heinheimer Straße zum Ostbahnhof, sondern vom Rhönring über die Frankfurter Straße dorthin. Vermutlich wird keine und niemand auch nur einen Gedanken daran verschwendet haben, diese Notmaßnahme auf einen Fahrschein aufzudrucken. Dennoch liegt es nahe, daß auch dieser Fahrschein vor dem 11. September 1944 ausgegeben wurde, weil nach der „Brandnacht“ der innerstädstiche Straßenbahn- und Busverkehr ohnehin brachlag.


Wochenkarte.
Abbildung 12: Wochenkarte vom Dezember 1945. Sammlung Ralph Völger.

Im Gegensatz zu den vorherigen und nachfolgenden Fahrscheinen ist diese Wochenkarte eindeutig datierbar. Der Name des Besitzers wurde anonymisiert. Das Liniennetz gibt den Zustand vom Sommer 1944 wieder. Dieselbusse, weil von der US Army beschlagnahmt, fuhren Ende 1945 nicht. Die Obuslinie vom Böllen­falltor nach Ober-Ramstadt wird hier mit einem Schlenker in Nieder-Ramstadt eingezeichnet. Die Marktlinie von Griesheim ist eingestellt, alle anderen Buslinien sind zumindest in der Theorie noch vorhanden. So scheint die Buslinie R schon mit Entfachung des Zweiten Weltkriegs aufgegeben worden zu sein. Sie taucht in der Fahrplan­ausgabe vom Januar 1940 nur noch mit den Worten auf: „Betrieb ruht!“

Wann die von den Nazis umbenannten Straßen wieder zurück- oder nochmals umbenannt wurden, dem wäre im einzelnen noch nachzugehen. Diese Fahrkarte jedenfalls wird in ihrer Aufmachung schon vor dem September 1944 in Umlauf gewesen und nach Kriegsende einfach pragmatisch aufgebraucht worden sein. Es gab andere Probleme als die Tilgung von Nazis auf Fahrkarten­vordrucken. Daß seitens der deutschen Mehrheits­bevölkerung die Trauer um die vergasten Jüdinnen und Sinti nicht dazu gehört hat, versteht sich von selbst. Man und frau bedauerte lieber sich selbst und das selbst verschuldete Schicksal.


Fahrschein Vorderseite.

Abbildung 13: Vorderseite eines Fahrscheins der HEAG, Zeitraum: vermutlich 1. Halbjahr 1946. Sammlung Ralph Völger.

Auch dieser Fahrschein folgt noch der Fiktion des Liniennetzes vom Sommer 1944. Daß es sich um einen Nachkriegs­fahrschein handeln muß, belegen die (alten) neuen Straßen­namen Luisenplatz, Wilhelm-Leuschner-Straße oder Rhönring. Immerhin behauptet dieser Fahrschein nicht länger eine Straßenbahn­verlängerung von Jugenheim nach Alsbach, die vor 1939 zwar geplant, aber nicht mehr realisiert worden war. Am 21. Juli 1947 scheint die erste Buslinie wieder in Betrieb gennommen worden zu sein, die mit Dieselbussen betrieben wurde, nämlich die Linie „B“ von Ober-Ramstadt nach Brandau. Da diese Linie aber auch auf den weiteren Fahrscheinen nicht auftaucht, taugt dieses Datum als Anhaltspunkt für diesen Fahrschein nicht. Erst 1948 sollten weiter Buslinien ihren Betrieb aufnehmen.

Fahrschein Vorderseite.

Abbildung 14: Vorderseite eines Fahrscheins der HEAG, Zeitraum: bis November 1946. Sammlung Ralph Völger.

Dieser Fahrschein vermittelt einen realistischen Zustand des Liniennetzes. Es verkehren die Straßenbahn­linien 1 bis 9 und die Buslinien N und O. Über die Einführung der Buslinie N schweigen sich Bürnheim / Burmeister aus. Da die nach der Währungs­reform eingeführten Buslinien noch fehlen, ist auch hier als Vertriebs­zeitraum an 1946 und 1947 zu denken. Von Interesse wäre es herauszufinden, wann die Straßenbahn­linie 1 vom Schloß zur Moosbergstraße eingesetzt wurde. Diese Variante der Linienführung führen die beiden Autoren leider auch nicht auf. Allerdings schreiben sie: „Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt sie eine andere Strecke und dient seit längerer Zeit als HVZ-Linie; ab 1.4.1946 Hauptbahnhof – Neckarstraße – Moosbergstraße […].“

Wenn es denn so einfach wäre! Denn erst ab selbigem 1. April 1946 soll die Linie 7 von Arheilgen nach Eberstadt gefahren sein, vorher endete sie an der Moosberg­straße. Schauen wir uns daher die Linie 3 an. Diese wurde erst am 28. November 1946 wieder­hergestellt. Auf dem Fahrschein ist sie nur mit einem Endpunkt, nämlich der Landskron­straße, vermerkt, der andere Endpunkt, Haupt­bahnhof oder Roden­steinweg, fehlt; letzterer wird weiterhin, und zwar von Dezember 1945 bis November 1946, von der Linie 4 bedient. Daraus könnte – mit aller gebührenden Vorsicht gegenüber evtl. fehlerhaften oder unvollständigen Einträgen – gefolgert werden, daß dieser Fahrschein vor dem November 1946 im Umlauf war. Der vorige Fahrschein, der noch der Fiktion des Liniennetzes von 1944 anhängt, muß somit früher angesetzt werden.


Heftfahrschein Vorderseite.

Abbildung 15: Vorderseite eines Heftfahrscheins der HEAG, Zeitraum: Ende 1950 bis 1953. Sammlung Ralph Völger.

Heftfahrschein Vorderseite.

Abbildung 16: Vorderseite eines Heftfahrscheins der HEAG, Zeitraum: Ende 1950 bis 1953. Steht das „H“ für den halben Fahrpreis?

Dieser Fahrschein ist ein Kind der Währungs­reform und wirft einige Fragen auf. Fangen wir mit den Buslinien an. Am 3. Oktober 1948 nahm die zweite Obuslinie „P“ von Eberstadt nach Pfungstadt ihren Betrieb auf, tags darauf die Buslinie „M“ von Eberstadt nach Nieder-Ramstadt. Schon am 2. August 1948 war eine südliche Ringlinie „S“ vom Böllenfalltor zum Südbahnhof eröffnet worden, die am 10. November 1948 in die Heimstätten­siedlung verlängert wurde. Am 20. Februar 1949 wurde eine weitere Buslinie „E“ eingerichtet, die von der Bessunger Straße zur Ernst-Ludwig-Kaserne führte. Diese wurde am 16. November 1950 in die Buslinie „S“ integriert. Wenn wir davon ausgehen, daß die Hersteller der Druckvorlage mit Absicht keine Linie „E“ eingezeichnet haben, dann kann dieser Fahrschein frühestens im November 1950 ausgegeben worden sein.

Schauen wir uns nun die Straßenbahn­linien an. Die Linie 1 soll ab 10. Januar 1949 vom Rodensteinweg bis Eberstadt Friedhof gefahren sein, zuvor, wie hier zu sehen, nur bis Moosberg­straße. Die nächste Änderung wird erst für 1960 angegeben. Ist dies eine Lücke, die Bürnheim / Burmeister mit Schweigen übergehen, weil ihnen die entsprechenden Angaben nicht vorlagen, oder gab es elf Jahre lang keine Änderung in der Linienführung? Die Linie 6 hingegen fuhr erst ab 1953 vom Ober­waldhaus zum Rodensteinweg.

Wenn wir annehmen, daß die Linie „E“ auf diesem Fahrschein bloß „vergessen“ wurde, ist der Zeitraum der Ausgabe auf November 1948 bis Januar 1949 zu beschränken, ansonsten müssen wir eher an das späte Jahr 1950 oder danach, spätestens jedoch 1953, denken.