Die Straßenbahn in Darmstadt
Heftfahrscheine der Darmstädter Straßenbahn
Kleine Zettelchen mit Netzwirkung
1886 errichtete ein privates Konsortium die ersten beiden Straßenbahnstrecken in die Vororte Eberstadt und Griesheim, denen 1890 eine weitere Strecke nach Arheilgen folgte. Im Grunde handelte es sich um die Schmalspurausführung einer dampfbetriebenen Eisenbahn. Alle drei Linien standen in Konkurrenz zur parallel verlaufenden Eisenbahn. Die Stadt Darmstadt sah die innerstädtischen Verkehrsbedürfnisse des Bürgertums nicht abgedeckt und ließ ein eigenes elektrisches Straßenbahnnetz aufbauen. Aus der Verschmelzung beider Gesellschaften entstand 1912 die Hessische Eisenbahn Aktiengesellschaft, kurz HEAG. Die Dampfstrecken wurden elektrifiziert; ein Vorgang, der aufgrund des Ersten Weltkriegs und der nachfolgenden französischen Besatzung Arheilgens und Griesheims erst 1926 abgeschlossen war.
Seit 1927 erweiterte die HEAG ihr bislang ausschließlich mit Straßenbahnen betriebenes Liniennetz um einzelne Buslinien. Ab 1931 erhielten diese Buslinien, im Gegensatz zu den Straßenbahnlinien, Buchstaben statt Liniennummern. Diese Buchstaben orientierten sich am Ziel der jeweiligen Busstrecke, eine Methode, nach der bis heute in Darmstadt Linienbezeichnungen vergeben werden. Neben der einst als Ringlinie konzipierten Linie „R“ folgte die frühere Buslinie „D“ einer eigenen Logik, die jedoch durchaus durchschaubar ist. Da sie vom Hauptbahnhof zum Ostbahnhof quer durch die Innenstadt führte, war sie als Durchmesserlinie geradezu für den Buchstaben „D“ prädestiniert.
Einen weiteren Heftfahrschein aus dem Zweiten Weltkrieg hatte ich dargestellt und auch ideologiekritisch kommentiert. Auf dieser Seite zeige ich weitere Exemplare aus der Zeit von etwa 1914 bis 1950. Ein Dank geht an Ralph Völger, der einige der hier abgebildeten Heftfahrscheine zur Verfügung gestellt hat. Wer Denkfehler bei der Eingrenzung der Ausgabezeiten dieser Fahrscheine entdeckt, möge sie mir bitte mitteilen.
Abbildung 1: Vorderseite eines Heftfahrscheins der HEAG, etwa 1914 bis 1918.
Dieser recht frühe Heftfahrschein der noch jungen HEAG wird von 1914 oder kurz darauf stammen. Dargestellt ist die 1913 eingerichtete Verbindungsstrecke auf der Elisabethenstraße zur Neckarstraße, verbunden mit der Aufgabe der nur mäßig rentablen Strecke von der Heinrichstraße über den Saalbau zur Elisabethenstraße. Weiterhin die 1914 eröffnete Verlängerung der Eberstädter Linie zur neuen Endhaltestelle Frankenstein und die im Frühjahr 1914 begonnene, aber nie vollendete Linie ins Martinsviertel. In Griesheim wird der Abzweig zum Truppenübungsplatz noch angefahren, was seit Dezember 1918 aufgrund der französischen Besatzung wohl auszuschließen ist. Da im Bartarif schon 1918/19 für zwei Teilstrecken 15 Pfennige verlangt wurden, muß der hier angesetzte Tarif von 15 Pfennigen für drei große oder sechs kleine Teilstrecken davor anzusetzen sein.
Die mit diesem Fahrschein (und drei weiteren, nummernmäßig aufeinanderfolgenden Fahrscheinen) durchgeführte Fahrt begann an der Ludwigshöhe (vermutlich die heutige Haltestelle Marienhöhe) und brachte ein Umsteigen an der Kreuzung Rhein-/Neckarstraße mit sich. Bei sechs kleinen Teilstrecken dürfte das Ziel der Fahrt am Hauptbahnhof gelegen haben. Welcher Zug mag hier um sieben Uhr abends genommen worden sein?
Abbildung 2: Rückseite desselben Fahrscheins mit Werbung für die Benutzung elektrischer Geräte. Den Strom lieferte dann die HEAG.
Der nächste hier vorgestellte Heftfahrschein führt uns in die Weimarer Republik und entstammt der Zeit der ersten tastenden Versuche der HEAG, mit Omnibussen ihr Straßenbahnnetz zu erweitern. Einerseits sollten als solche erkannten Verkehrsbedürfnissen abgeholfen werden, andererseits sollte dies ohne größere Investition in die Infrastruktur geschehen. Während Straßenbahnen auf Oberbau, Gleise und Fahrdrähte angewiesen sind, können Busse den vorhandenen Straßenraum kostenfrei nutzen. Im Sinne der privatwirtschaftlichen Initiative ist es immer nützlich, aus Steuergeldern finanzierte Maßnahmen kostengünstig und profitabel zu nutzen.
Abbildung 3: Vorderseite eines Heftfahrscheins der HEAG von 1929. Sammlung Ralph Völger.
Die erste Buslinie wurde am 16. Dezember 1927 vom Rhönring über den Spessartring zum Ostbahnhof angeboten, rentierte sich jedoch nicht wie erhofft. Im Jahr darauf wurde sie vom Rhönring durch das Martinsviertel zum Schloß, von dort über den Ludwigsplatz und die Roßdörfer Straße zum Botanischen Garten verlängert.
„Die Betriebserfahrungen zeigten jedoch, daß die Endabschnitte dieser Linie wenig benutzt wurden. Daher wurden die Endstellen vom Ostbahnhof zur Ringstraße (Rhönring) und vom Botanischen Garten bis zur Heidenreichstraße zurückgenommen.“ [1]
Zum 27. Mai 1928 wurde eine weitere Omnibuslinie vom Böllenfalltor nach Ober-Ramstadt in Betrieb genommen. 1930 folgte versuchsweise eine weitere Linie vom Roßdörfer Platz durch das „Tintenviertel“ zur Hermannstraße, bzw. an deren Ende zur Artilleriekaserne.
„Die Benutzung war aber so gering, daß sie nach einem halben Jahr wieder eingestellt wurde. Ebenso erwies sich die zwischenzeitlich zur Ringlinie über den Ostbahnhof ausgebaute Verbindung Ringstraße – Schloß – Heidenreichstraße als unrentabel, die nicht aufrechtzuerhalten war.“ [2]
Tatsächlich verkehrte diese Buslinie vom 1. Juni bis zum 14. oder 15. Dezember 1929, wie dem eintsprechenden Geschäftsbericht der HEAG zu entnehmen ist. [3]
Zwei Dinge sind auf diesem Heftfahrschein auffallend. Erstens ist eine zweigeteilte Zeitangabe mit Vormittags- und Nachmittagsstunden jeweils von 1 bis 12 aufgedruckt. Zum Sommerfahrplan 1927 war – zumindest im Eisenbahnverkehr – die Zeitumstellung auf 24 Stunden-Anzeigen vollzogen worden. Zweitens ist die Linie zum Böllenfalltor schwarz aufgedruckt, während eine weitere Buslinie, die uns noch Rätsel aufgeben wird, rot erscheint. Wir erkennen eine Ringlinie mit zwei Verlängerungen, eine Konstellation, von der Ralph Völger, der diesen Heftfahrschein zur Verfügung gestellt hat, zutreffend anmerkt, es könne sie nicht gegeben haben. Nun wird sich die HEAG beim Druck der Fahrscheine etwas gedacht haben und ohnehin liegen Fahrpläne oder andere Angaben aus der Weimarer Republik reichlich spärlich vor.
Lassen wir die Zeitumstellung einmal beiseite, weil hier möglicherweise die vorherige Konvention beibehalten wurde. Nehmen wir die Linienführung vom Roßdörfer Platz zur Artilleriekaserne als gegeben, wenn auch auf dem Fahrschein nicht deutlich genug vermerkt. Dann bleibt der Ast zum Botanischen Garten übrig, der entweder vom Ostbahnhof oder vom Roßdörfer Platz aus bedient wurde und somit der Ringlinie eine Endhaltestelle gab. Das würde zu 1929 passen. Ohne Einblick in originale Fahrpläne oder andere Dokumente bleibt eine solche Vermutung dennoch spekulativ.
»» Ein Darmstädter Stadtplan, dessen ursprüngliches Layout aus den 20er Jahren stammt, zeigt mit nachträglich eingezeichneten Straßenbahn- und Buslinien das HEAG-Liniennetz von 1933.
Auf dem folgenden Heftfahrschein ist die Buslinie vom Roßdörfer Platz zur Kaserne an der Einmündung der Hermannstraße in die Heidelberger Straße schon wieder verschwunden. Im Juli bzw. November 1929 wurde ein schon bestehendes Gleis zum Elektrizitätswerk II am Dornheimer Weg für die Personenbeförderung in die Waldkolonie eingerichtet. Die Ringlinie des vorherigen Fahrscheins wurde im Mai 1930 aufgegeben.
Abbildung 4: Vorderseite eines Heftfahrscheins der HEAG, wohl 1930/31. Sofern der Stempelaufdruck auf der Rückseite den Zeitpunkt der Fahrt angeben soll, wurde selbige am 7. Mai 1933 durchgeführt.
Ob die Angabe „Orpheum“ die Kreuzung des Spessartrings mit der Dieburger Straße meint oder die Kreuzung des Rhönrings mit dem Alfred-Messel-Weg, ist schwer zu entscheiden. Die Endhaltestelle jedenfalls wurde zum 1. August 1931 von ersterer zu letzterer Kreuzung zurückverlegt. Die Buslinie vom Böllenfalltor nach Ober-Ramstadt ist hier ebenfalls schwarz und nicht rot markiert. Die damals noch nicht Layouter genannten Grafiker werden hier wohl eine erteilte Vorgabe umgesetzt haben; ich vermute den Vorgriff auf die geplante und am 22. Mai 1931 tatsächlich schon zur Konzession gebrachte Verlängerung der Straßenbahnlinie 2, die dann doch nicht zustandekam. Interessant ist an diesem Fahrschein auch die Angabe von Zählgrenzen für den Fall, daß sie auf freier Strecke lagen.
Kurz darauf machen sie die politischen Veränderungen, die mit dem Siegeszug der Nationalsozialisten einhergehen, auch auf den Heftfahrscheinen bemerkbar. Hier heußt der Luisenplatz nunmehr nach dem Führer einer Bewegung, die ihr mörderisches Programm schon in den 20er Jahren offen dargelegt hatte.
Abbildung 5: Vorderseite eines Heftfahrscheins der HEAG, wohl 1933 oder kurz darauf.
Hier ist die Endhaltestelle Orpheum tatsächlich zum Washingtonplatz zurckgenommen und die Buslinie nach Ober-Ramstadt rot eingetragen, ein untrügliches Zeichen dafür, daß die Straßenbahn in diese Richtung nicht verlängert werden würde. Eberstadt scheint sich ebenfalls eine Hindenburgstraße zugelegt zu haben. Die Rückseite dieses wie des vorherigen Fahrscheins dient wiederum der Eigenwerbung, hier in Gestalt der Nutzung elektrischer Energie durch entsprechende Kochherde.
Abbildung 6: Rückseite desselben Heftfahrscheins.
Einige Jahre später wurde der nachfolgende Heftfahrschein verkauft, vermutlich noch vor Entfesselung des Zweiten Weltkriegs. Er zeigt das zu diesem Zeitpunkt bestehende Liniennetz der Straßenbahnen (schwarz) und Busse (rot).
Abbildung 7: Vorderseite eines Heftfahrscheins der HEAG, Zeitraum: etwa Dezember 1938 bis Februar 1940. Sammlung Ralph Völger.
Zwischen 1937 und 1939 wurden erst die Wendelstadtstraße (heute: Wilhelm-Leuschner-Straße) in Sudetengaustraße und anschließend die Blumenthalstraße (heute: Kasinostraße) in Taunusring umbenannt. Jüdinnen und Juden, oder auch diejenigen, welche die Nazis aufgrund ihrer verrückten Rassifizierungsideologie dafür hielten, durften nicht länger als Namensgeber von Straßen und Plätzen dienen. Zudem dürften sie als Maßnahme sozialer Ausgrenzung von der Beförderung ausgeschlossen gewesen sein. Und die (deutschen) Darmstädterinnen und Darmstädter schwiegen dazu. Ohnehin hatten diese bei der letzten halbwegs freien Reichstagswahl im März 1933 begeisterter für die Nazipartei gestimmt als der Reichsdurchschnitt. In den Dörfern rund um Darmstadt war der Zuspruch hingegen schon deutlich geringer. Offensichtlich versprachen sich die Menschen in Darmstadt einen materiellen Vorteil davon, wenn ihnen die lästige jüdische Konkurrenz vom Hals geschafft wird. So etwas würde die neoliberale Volkswirtschaftsideologie als individuell zweckrationales Handeln einstufen.
Dieser Heftfahrschein paßt, beispielsweise, zum Sommerfahrplan 1939. Auf dem Fahrschein ist – im Vorgriff auf eine vorgesehene Verlängerung der Bergstraßen-Straßenbahn nach Alsbach – selbige Verbindung schon als gegeben eingetragen. Neben den verschiedenen Straßenbahnlinien werden vier Buslinien aufgeführt: Eine Linie „R“ (wie Ringstraße oder Rundkurs) vom Orpheum in die Heidenreichstraße, eine Linie „E“ zur Anbindung der Ernst-Ludwig-Kaserne, eine Marktlinie „M“ zur städtischen Markthalle in der Gräfenhäuser Straße, sowie eine an Markttagen frühmorgens von Griesheim zur Markthalle verkehrende Buslinie „G“, die in anderen Jahren mit der Linie „M“ verknüpft war. Damit sollte vermutlich den Griesheimer Marktbeschickerinnen und Bauern eine verbesserte Absatzmöglichkeit ihrer Produkte gegeben werden.
Abbildung 8: Sommerfahrplan 1939 der HEAG.
Mit Hilfe der Angaben im Buch über die Darmstädter Straßenbahnen und Busse von Hermann Bürnheim und Jürgen Burmeister läßt sich der Zeitraum der Verwendung dieses Heftfahrscheins noch ein wenig weiter eingrenzen. Demnach wurde zum 1. Oktober 1938 eine Buslinie „E“ vom Rheintor zum Haardtring eingeführt, die am 30. Dezember 1938 bis zur Ernst-Ludwig-Kaserne in der Eschollbrücker Straße verlängert wurde. Selbige lag am westlichen Rand der späteren und heutigen Heimstättensiedlung und wurde 2003 abgerissen. Des weiteren soll die Straßenbahnlinie 3, die seit 1929 von der Landskronstraße über die Bismarckstraße zum Hauptbahnhof, und von dort weiter zum Rodensteinweg in der Waldkolonie verkehrte, ab dem 1. September 1939 nur noch bis zum Hauptbahnhof gefahren sein. Diese Angabe ist mit Vorsicht zu nehmen, denn die Ausgabe des Fahrplanbuchs vom 21. Januar 1940 weist die vollständige Wegführung bis zum Rodensteinweg auf. Ab 1. März 1940 wiederum sei die Straßenbahnlinie 4, die im Jahr zuvor eingestellt worden war, als Pendellinie zwischen der Sudetengaustraße und dem Rodensteinweg eingesetzt worden. Da selbige auf diesem Heftfahrschein nicht vermerkt ist, ist dessen Herausgabe im Zeitraum von Dezember 1938 bis zum Februar 1940 anzusetzen.
Abbildung 9: Vorderseite eines Heftfahrscheins der HEAG, Zeitraum: etwa Mai 1941 bis September 1944.
Abbildung 10: Vorderseite eines Heftfahrscheins der HEAG, Zeitraum: etwa Mai 1941 bis September 1944. Sammlung Ralph Völger.
Diese Heftfahrscheine benennen die HEAG nicht mehr als Eisenbahn-, sondern als Elektrizitäts-Aktiengesellschaft. Die Hauptversammlung der A.-G. beschloß den Namenswechsel am 23. Mai 1941. Die Qualität von Aufmachung und Druck ist noch vergleichsweise gut, im Gegensatz zu späteren Exemplaren. Vermutlich wird dieser Heftfahrschein noch vor der „Brandnacht“ am 11./12. September 1944 in Umlauf gebracht worden sein.
Die Rückseite des oberen Heftfahrscheins wurde zur Verbreitung von Verhaltensmaßregeln genutzt: „Denk auch an andere, / bleib nicht steh' / Pflicht ist's, für jeden, / durchzugeh'n.“ Das Denken an Andere schloß selbstredend Jüdinnen, Sinti, Zwangsarbeiterinnen und „lebensunwerte“ nicht mit ein, die zu diesem Zeitpunkt ohnehin aus dem Darmstädter Stadtbild eliminiert worden waren.
Abbildung 11: Vorderseite eines Fahrscheins der HEAG, Zeitraum: etwa März 1943 bis September 1944. Sammlung Ralph Völger.
Zum 1. März 1943 stellte die HEAG ihren Tarif auf zwei Zonen um. Die erste Zone umfaßte viereinhalb Kilometer und kostete 20 Pfennige, darüber hinaus waren 40 Pfennige zu zahlen. Dieses Exemplar scheint für die längere Fahrt benutzt worden zu sein. Die Bezeichnung als Heftfahrschein ist entfallen. Nach der schon erwähnten „Brandnacht“ waren die Straßenbahngleise in der Innenstadt zunächst nicht zu benutzen; das Netz wurde erst nach und nach wieder hergestellt. So verkehrte die Linie 5 ab Februar 1945 nicht etwa von der Heinheimer Straße zum Ostbahnhof, sondern vom Rhönring über die Frankfurter Straße dorthin. Vermutlich wird keine und niemand auch nur einen Gedanken daran verschwendet haben, diese Notmaßnahme auf einen Fahrschein aufzudrucken. Dennoch liegt es nahe, daß auch dieser Fahrschein vor dem 11. September 1944 ausgegeben wurde, weil nach der „Brandnacht“ der innerstädstiche Straßenbahn- und Busverkehr ohnehin brachlag.
Abbildung 12: Wochenkarte vom Dezember 1945. Sammlung Ralph Völger.
Im Gegensatz zu den vorherigen und nachfolgenden Fahrscheinen ist diese Wochenkarte eindeutig datierbar. Der Name des Besitzers wurde anonymisiert. Das Liniennetz gibt den Zustand vom Sommer 1944 wieder. Dieselbusse, weil von der US Army beschlagnahmt, fuhren Ende 1945 nicht. Die Obuslinie vom Böllenfalltor nach Ober-Ramstadt wird hier mit einem Schlenker in Nieder-Ramstadt eingezeichnet. Die Marktlinie von Griesheim ist eingestellt, alle anderen Buslinien sind zumindest in der Theorie noch vorhanden. So scheint die Buslinie R schon mit Entfachung des Zweiten Weltkriegs aufgegeben worden zu sein. Sie taucht in der Fahrplanausgabe vom Januar 1940 nur noch mit den Worten auf: „Betrieb ruht!“
Wann die von den Nazis umbenannten Straßen wieder zurück- oder nochmals umbenannt wurden, dem wäre im einzelnen noch nachzugehen. Diese Fahrkarte jedenfalls wird in ihrer Aufmachung schon vor dem September 1944 in Umlauf gewesen und nach Kriegsende einfach pragmatisch aufgebraucht worden sein. Es gab andere Probleme als die Tilgung von Nazis auf Fahrkartenvordrucken. Daß seitens der deutschen Mehrheitsbevölkerung die Trauer um die vergasten Jüdinnen und Sinti nicht dazu gehört hat, versteht sich von selbst. Man und frau bedauerte lieber sich selbst und das selbst verschuldete Schicksal.
Abbildung 13: Vorderseite eines Fahrscheins der HEAG, Zeitraum: vermutlich 1. Halbjahr 1946. Sammlung Ralph Völger.
Auch dieser Fahrschein folgt noch der Fiktion des Liniennetzes vom Sommer 1944. Daß es sich um einen Nachkriegsfahrschein handeln muß, belegen die (alten) neuen Straßennamen Luisenplatz, Wilhelm-Leuschner-Straße oder Rhönring. Immerhin behauptet dieser Fahrschein nicht länger eine Straßenbahnverlängerung von Jugenheim nach Alsbach, die vor 1939 zwar geplant, aber nicht mehr realisiert worden war. Am 21. Juli 1947 scheint die erste Buslinie wieder in Betrieb gennommen worden zu sein, die mit Dieselbussen betrieben wurde, nämlich die Linie „B“ von Ober-Ramstadt nach Brandau. Da diese Linie aber auch auf den weiteren Fahrscheinen nicht auftaucht, taugt dieses Datum als Anhaltspunkt für diesen Fahrschein nicht. Erst 1948 sollten weiter Buslinien ihren Betrieb aufnehmen.
Abbildung 14: Vorderseite eines Fahrscheins der HEAG, Zeitraum: bis November 1946. Sammlung Ralph Völger.
Dieser Fahrschein vermittelt einen realistischen Zustand des Liniennetzes. Es verkehren die Straßenbahnlinien 1 bis 9 und die Buslinien N und O. Über die Einführung der Buslinie N schweigen sich Bürnheim / Burmeister aus. Da die nach der Währungsreform eingeführten Buslinien noch fehlen, ist auch hier als Vertriebszeitraum an 1946 und 1947 zu denken. Von Interesse wäre es herauszufinden, wann die Straßenbahnlinie 1 vom Schloß zur Moosbergstraße eingesetzt wurde. Diese Variante der Linienführung führen die beiden Autoren leider auch nicht auf. Allerdings schreiben sie: „Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt sie eine andere Strecke und dient seit längerer Zeit als HVZ-Linie; ab 1.4.1946 Hauptbahnhof – Neckarstraße – Moosbergstraße […].“
Wenn es denn so einfach wäre! Denn erst ab selbigem 1. April 1946 soll die Linie 7 von Arheilgen nach Eberstadt gefahren sein, vorher endete sie an der Moosbergstraße. Schauen wir uns daher die Linie 3 an. Diese wurde erst am 28. November 1946 wiederhergestellt. Auf dem Fahrschein ist sie nur mit einem Endpunkt, nämlich der Landskronstraße, vermerkt, der andere Endpunkt, Hauptbahnhof oder Rodensteinweg, fehlt; letzterer wird weiterhin, und zwar von Dezember 1945 bis November 1946, von der Linie 4 bedient. Daraus könnte – mit aller gebührenden Vorsicht gegenüber evtl. fehlerhaften oder unvollständigen Einträgen – gefolgert werden, daß dieser Fahrschein vor dem November 1946 im Umlauf war. Der vorige Fahrschein, der noch der Fiktion des Liniennetzes von 1944 anhängt, muß somit früher angesetzt werden.
Abbildung 15: Vorderseite eines Heftfahrscheins der HEAG, Zeitraum: Ende 1950 bis 1953. Sammlung Ralph Völger.
Abbildung 16: Vorderseite eines Heftfahrscheins der HEAG, Zeitraum: Ende 1950 bis 1953. Steht das „H“ für den halben Fahrpreis?
Dieser Fahrschein ist ein Kind der Währungsreform und wirft einige Fragen auf. Fangen wir mit den Buslinien an. Am 3. Oktober 1948 nahm die zweite Obuslinie „P“ von Eberstadt nach Pfungstadt ihren Betrieb auf, tags darauf die Buslinie „M“ von Eberstadt nach Nieder-Ramstadt. Schon am 2. August 1948 war eine südliche Ringlinie „S“ vom Böllenfalltor zum Südbahnhof eröffnet worden, die am 10. November 1948 in die Heimstättensiedlung verlängert wurde. Am 20. Februar 1949 wurde eine weitere Buslinie „E“ eingerichtet, die von der Bessunger Straße zur Ernst-Ludwig-Kaserne führte. Diese wurde am 16. November 1950 in die Buslinie „S“ integriert. Wenn wir davon ausgehen, daß die Hersteller der Druckvorlage mit Absicht keine Linie „E“ eingezeichnet haben, dann kann dieser Fahrschein frühestens im November 1950 ausgegeben worden sein.
Schauen wir uns nun die Straßenbahnlinien an. Die Linie 1 soll ab 10. Januar 1949 vom Rodensteinweg bis Eberstadt Friedhof gefahren sein, zuvor, wie hier zu sehen, nur bis Moosbergstraße. Die nächste Änderung wird erst für 1960 angegeben. Ist dies eine Lücke, die Bürnheim / Burmeister mit Schweigen übergehen, weil ihnen die entsprechenden Angaben nicht vorlagen, oder gab es elf Jahre lang keine Änderung in der Linienführung? Die Linie 6 hingegen fuhr erst ab 1953 vom Oberwaldhaus zum Rodensteinweg.
Wenn wir annehmen, daß die Linie „E“ auf diesem Fahrschein bloß „vergessen“ wurde, ist der Zeitraum der Ausgabe auf November 1948 bis Januar 1949 zu beschränken, ansonsten müssen wir eher an das späte Jahr 1950 oder danach, spätestens jedoch 1953, denken.