Die Straßenbahn in Darmstadt
Das 2017 frei gelegte Gleis in der Hochschulstraße
Bildergalerie
1886 errichtete ein privates Konsortium die ersten beiden Straßenbahnstrecken in die Vororte Eberstadt und Griesheim, denen 1890 eine weitere Strecke nach Arheilgen folgte. Im Grunde handelte es sich um die Schmalspurausführung einer dampfbetriebenen Eisenbahn. Alle drei Linien standen in Konkurrenz zur parallel verlaufenden Eisenbahn. Die Stadt Darmstadt sah die innerstädtischen Verkehrsbedürfnisse des Bürgertums nicht abgedeckt und ließ ein eigenes elektrisches Straßenbahnnetz aufbauen. Aus der Verschmelzung beider Gesellschaften entstand 1912 die Hessische Eisenbahn Aktiengesellschaft, kurz HEAG. Die Dampfstrecken wurden elektrifiziert; ein Vorgang, der aufgrund des Ersten Weltkriegs und der nachfolgenden französischen Besatzung Arheilgens und Griesheims erst 1926 abgeschlossen war.
1914 begann die Gesellschaft mit dem Bau einer Straßenbahnstrecke vom Schloß ins Martinsviertel zum Riegerplatz. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurden die Arbeiten eingestellt. Fertig gestellt wurde nur ein kurzes Teilstück in der Hochschulstraße. Im Sommer 2017 begann die Technische Universität mit dem Umbau dieses Straßenstücks und legte dabei im Oktober auch das vor 103 Jahren verlegte Gleisstück wieder frei. Die Arbeiten waren im Sommer 2018 abgeschlossen.
Eine aufmerksam-freundliche Person wies mich auf die laufenden Bauarbeiten hin und schickte mir erste Bilder. Im November 2017 war ich dann selbst einige Tage in Darmstadt und beobachtete den Fortgang der Bauarbeiten.
»» Vergleiche hierzu auch die meine Unterseite zu den Gleisen rund um das ehemalige Theater.
»» Die Lage der Hochschulstraße auf OpenStreetMap

Bild 1: Anfang September 2016 zeigte sich der südliche Teil der Hochschulstraße zweigeteilt. Links parken die Fahrräder der unzähligen, Darmstadt bevölkernden Studierenden. Rechts hingegen versammelt sich der Fuhrpark eines Bautrupps, der vermutlich das Innenleben der Technischen Hochschule aufmöbeln sollte. Nicht zu erkennen sind die nur sporadisch aus dem Asphalt schimmernden Gleisstücke der Straßenbahn.

Bild 2: Mir war Ende 2016 zugetragen worden, daß die schon länger geplante zweite Bauphase für den Umbau der Hochschulstraße nunmehr im Sommer 2017 anlaufen würde. Im Mai 2017 war ich für einige Tage in Darmstadt. Von Bauvorbereitungen war noch nichts zu erkennen. Aufgrund des Schloßgrabenfestes trugen die hier lustwandelnden Studentinnen und Studenten komische neckische gelbe Strohhüte. Individualität zeigen die heutigen Jugendlichen in der Regel in konformistischem Design.

Bild 3: Im Oktober 2017 war es dann so weit. Der Asphalt rund um das Gleis war abgetragen worden, so daß die beiden Schienen offen zutage traten. Dies ist das nördliche Ende des bis zum August 1914 verlegten Richtungsgleises zum Schloß. Eigentlich wäre zu erwarten gewesen, daß auch das andere Gleis noch Spuren hinterlassen hat. Aber es hat die Zeit nicht überdauert.

Bild 4: Hier sehen wir das ausgegrabene Gleis aus der einen Richtung …

Bild 5: … und hier aus der anderen. Die Straßenbreite erlaubte ein zweites Richtungsgleis. Die Angaben im HEAG-Geschäftsbericht lassen vermuten, daß das zweite Gleis parallel zum ersten noch vor Kriegsbeginn verlegt wurde. Es dürfte im September 1944 einem alliierten Bombentreffer zum Opfer gefallen sein, der auch das benachbarte Hochschulgebäude zerstört hat. Jedoch muß es, wie Augenzeugen berichten, noch im Gleisbogen an der Stelle gelegen haben, an der einst das Audimax der Hochschule errichtet wurde. Doch auch das Audimax ist längst Geschichte. Es wurde durch ein nicht minder häßliches postmodernes Stück Leblosigkeit ersetzt, ein Willkommen verheißendes Hotel.

Bild 6: Hier wurde wohl schon einmal im Vorgriff auf den Ausbau das Gleis angeflext. Dadurch können wir die Spurrille genauer betrachten.

Bild 7: Die Straße war ursprünglich mit einem Holzpflaster versehen worden. Dieses scheint jedoch chemikalisch derart verseucht zu sein, daß es in die museale Installation nicht wieder aufgenommen wird. Es ist von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen die Rede, also etwas, das ganz gewiß kein angenehmes Aroma verströmt.

Bild 8: Am 16. Oktober wurde mit dem Ausbau des Gleises begonnen.

Bild 9: Hier wird das Stück, das in der unmittelbaren Nähe des Herrngartentores lag, zu seinem provisorischen Lagerplatz gebracht.

Bild 10: Am 20. Oktober nahm Armin Schwarm die zum Wiedereinbau zurechtgelegten Gleisstücke auf.

Bild 11: Als ich am 8. November vorbeischaute, hatte jemand beschlossen, die einzelnen Gleisstücke nochmals umzuschichten.

Bild 12: An diesem eher trüben Mittag wurde an der Betonfahrbahn gearbeitet, auf die anschließend das Gleis montiert werden sollte.

Bild 13: Aus dieser Detailaufnahme wird das Gefälle deutlich, daß die Straßenbahn zu nehmen hatte, bevor sie – was nie ausgeführt wurde – am Herrngarteneingang um 90 Grad nach rechts gedreht den nächsten kleinen Hügel hin zum Kantplatz erklommen hätte.

Bild 14: Vom Plateau an der Universitätsbibliothek aus schauen wir am 15. November einem einsamen Bauarbeiter bei seinen Planierungsarbeiten zu. Die TU Darmstadt meint dazu im postmodernen Wohlfühlsprech: „Vor der ehemaligen Bombenlücke am Alten Hauptgebäude verweist eine Belagsintarsie aus geschliffenem Ortsbeton, Mosaikpflasterbändern aus Bestandspflaster und Straßenbahnschienen auf die ehemalige Straßenbahntrasse. Die Intarsie spannt sich als Belagsteppich zwischen den Gebäudefluchten der sogenannten Bombenlücke auf. Eine lange Sitzbank ist gestalterisch Bestandteil der Intarsie.“ An welcher Hochschule für Marketingvernebelung lernt ein Onlineredakteur einen derart gequirlten Quark? Liegt die Intarsie denn nicht zwischen dem einfallslosen Nachkriegsneubau und dem Herrngarten? Wo ist da die Gebäudeflucht dazwischen? Und warum erzählt uns der Redakteur dann nicht auch, daß es die damalige Technische Hochschule gewesen ist, die mavj 1918 den Weiterbau der Straßenbahn massiv verhindert hat?

Bild 15: So sieht die Installation aus, bevor sie in Steinpakete eingelegt wird. Die gesamte Umbaumaßnahme inklusive Kanalsanierung, Sitzgelegenheiten und Fahrradständern kostet 1,8 Millionen Euro. Ob die Installation den Posten Kunst am Bau abdecken soll?

Bild 16: Ein nicht wieder eingebautes Gleisstück wird wohl den anderen Weg alten Eisens gehen.

Bild 17: Die folgenden Aufnahmen vom 25. August 2018 zeigen eine Steinwüste in architektonischer Vollendung. Das wieder eingebaute Gleis liegt nunmehr etwas unmotiviert herum und dient als Stolperfalle für unvorsichtige Radfahrerinnen. Eine erläuternde Tafel ist nicht zu erkennen.

Bild 18: Ein Blick vom Herrngarteneingang belegt ein gewisses Sicherheitsdenken. Fette Poller ersetzen die vormals hier angebrachte Schranke, die gerne dazu einlud, sie zu übersehen und dagegen zu knallen. (Das ist wirklich mehrfach geschehen.)

Bild 19: Neben Pollern, welche die automobile Nutzung der frisch gepflasterten Installation einschränken sollen, thronen auf zwei Stelen Überwachungskameras. Wen oder was sollen sie im Blick behalten und wohin gelangen die Bilder?

Bild 20: Das obere Ende der Installation lädt Darmstadts Studentinnen und Studenten gewiß zum Flanieren und schwatzenden Sitzen ein. Der darin eingesperrte Baum versinnbildlicht auf seine Weise eine öde Vorstellung von urbanem Flair. Hier nicht sichtbar, haben sich auf der abgewandten Seite dieses Betondreiecks schon moderne „Künstler“ mit ihren, der Häßlichkeit angepaßten Sprühpinkeleien verewigt.